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Untitled

Frühlingsboten
von

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Chapter 1

Sich bei der jungen Frau entschuldigend, hatte Ryne sich von der Couch erhoben und eilte zur Tür.

In unregelmäßigen Abständen rang die Klingel erneut, der Ton erklang mal kürzer, mal länger. Eigentlich hatte Ryne einen ruhigen Abend für sich und sein Date erwartet…

Bereits etwas gestresst vom vielen Klingeln öffnete er schließlich die Eingangstür seiner Wohnung. Zu seiner Überraschung zeigte das ihm ach so bekannte Gesicht, welches er nun erblickte, einen ihm bisher völlig unbekannten Ausdruck. Unaufhörlich bahnten sich Tränen ihren Weg über das Gesicht des Brünetten. Wann war sein bester Freund jemals so am Boden zerstört gewesen?

„June..? Was ist denn los?“

„Sie…“ Ein heftiges Schluchzen erklang. „…sie ist gegangen.“

Ryne konnte zusehen, wie der Kleinere langsam vor ihm zusammensackte. Gerade noch rechtzeitig hatte er ihn an den Oberarmen ergriffen und zu sich gezogen. Das Schluchzen, welches nur für das Ende des Satzes ausgesetzt hatte, ertönte nun noch lauter. Kein einziger Muskel in seinem Körper schien ihm noch zu gehorchen, immer wieder zuckte Juna zusammen.

„Hey, hey. Beruhige dich.“

Ryne hatte seine eigene Stimme schon lange nicht mehr so leise und sanft gehört, dennoch schienen seine Worte nicht bei dem , an den sie gerichtet waren, anzukommen.

Als er ein weiteres Zittern spürte, drückte Ryne seinen Freund noch fester an sich. Dann brachte er diesen ins Schlafzimmer, das direkt an den kurzen Flur angrenzte.

Aus den leeren Augen traten noch immer Unmengen von Tränen. Juna reagierte kaum, als Ryne ihn auf das Bett hinunter drückte und ihn kurz, bei den Schultern haltend, ansah.

„Warte kurz, ja?“ Er schenkte seinem Freund ein Lächeln, dann wandte er sich ab und zog die Tür hinter sich ran.
 

Juna war kaum bewusst gewesen, dass er in der Wohnung seines Freundes saß. Tränen rannen unkontrolliert über seine Wange, sein Körper erzitterte und er fühlte sich allein. Nur wenig Licht drang durch den Spalt zwischen Tür und Rahmen und der nur viel zu kleine Rest verlor sich schnell in der Dunkelheit des Raumes. Die einzigen Geräusche, die Junas Ohren ereichten, waren seine eigenen Schluchzer, dann jedoch hörte er schwach, wie aus weiter Ferne stammend, die Stimme seines besten Freundes.

„Jetzt muss ich mich schon wieder entschuldigen… Es tut mir wirklich leid.“

Die Stimme wurde von einer anderen, höheren übertönt.

„Schon klar, es gibt sicherlich vieles, das jetzt wichtiger ist, nicht wahr?“

Eine Frauenstimme, die sich fast überschlug vor Wut. Dann fiel die Tür laut ins Schloss und Ryne trat zurück ins Zimmer.

„Sorry…“

Junas Stimme versagte nach nunmehr stundenlangem Weinen allmählich.

„Hm… Ich bin für dich da, okay?“, antwortete Ryne und beugte sich zu Juna hinab. Rynes Hand an des Kleineren Wange verdeckte fast dessen ganzes Gesicht. Mit dem Daumen wischte er die Spuren fort, die die Tränen hinterlassen hatten. Der unbändige Fluss war versiegt. In Junas Augen trat ein mitleidiger Ausdruck.
 

Die Matratze gab nach, als sich Ryne setzte. Mit einer kurzen Bewegung seines Armes, hatte er die Schultern des Brünetten umschlungen und ihn zu sich gezogen. „Es tut mir leid“ kam es über seine Lippen, „Ihr ward ein schönes Paar.“

Ryne war sich bewusst, dass seine Worte nicht aufbauend waren, doch es war genau das, was er dachte.

„Ja… doch das ist jetzt vorbei.“ Junas Körper wurde ein letztes Mal von einem Zittern erschüttert, dann krallten sich seine Finger tief in das Hemd des Größeren. Als Ryne sich daraufhin rückwärts in das Bett fallen ließ, schliefen sie beide einander in den Armen liegend ein.

Chapter 2

Die hellen Strahlen der Morgensonne durchfluteten das Zimmer. Juna drehte sich ein letztes Mal, dann erhob er sich augenreibend. Sein Blick streifte durch den Raum, er gähnte und ließ sich wieder in das Bett zurückfallen.

„Und ein neuer Morgen bricht an…“

Nachdem Juna sich einmal gestreckt hatte, stand er endgültig auf. Er griff nach den Kleidungsstücken des Vortages. Die Jogginghose war weit und hing tief, die ebenfalls graumelierte Jacke hingegen war eng, sodass sich sogar die Falten des T-Shirts, das Juna drunter trug, abzeichneten. Er würde auch heute wieder nicht das Haus verlassen, also trug er, was am bequemsten war.

Noch etwas holprig verschlafen ging Juna in die Küche. Dort saß bereits Ryne am Küchentisch, vor ihm Geschirr, Besteck und Käse und Wurst in ihren Verpackungen.

„Guten Morgen, Prinzessin June.“ Ein Lächeln bei dem Ryne die Pracht seiner weißen Zähne zeigte, folgte.

Juna antwortete mit einem grummeligen „Morgen…“, wie immer, wenn Ryne seine Scherze mit Junas Namen trieb. Letztlich setzte er sich aber doch immer seinem Freund gegenüber, nahm den ersten Schluck vom Tee, den Ryne ihm hingestellt hatte und war sofort wieder gut gelaunt.

„Es sind schon wieder drei Monate, seit ich hier eingezogen bin…“

Juna erwartete keine Antwort. Für eine Weile herrschte vollkommene Stille, eine Stille, die Juna genoss. Erst dann sprach er weiter.

„Ich danke ihnen für das Asyl, das sie mir gewährten, mein teurer Prinz.“ Beide Gesichter strahlten auf ihre Art und Weise, für einen Moment schloss Juna seine Augen.
 

„Es ist ganz so wie früher, nicht wahr? Es hat sich wirklich nichts verändert.“ Juna legte den Kopf leicht schief und öffnete seine Augen. Er sah zu seinem Freund hinüber und dieser schaute seinerseits zurück. Dann nahm der Dunkelhaarige den letzten Schluck Kaffee aus seiner Tasse und begann den Tisch abzuräumen, da er wusste, dass June morgens außer Tee nichts zu sich nahm.

Als Ryne zurück an den Tisch kam, spielte Juna mit einem kleinen Silberring, der an einer Kette um seinen Hals hing. Er ließ den Ring zwischen seinen schmalen Fingern hin und her tanzen. Immer wenn das Sonnenlicht direkt auf das Silberstück fiel, nahm Ryne anstatt des Ringes nur noch ein Blitzen an Junas Händen wahr.

Der Dunkelhaarige war wie erstarrt und kam erst wieder in die Realität zurück, als der Kleinere den Kopf in den Nacken warf um den hinter ihm Stehenden sehen zu können.

„Erinnerst du dich noch?“, fragte Juna und unterbrach sein Spiel. „Ich habe ihn seitdem immer getragen. Auch wenn mich meine Freundinnen dafür komisch angeguckt haben. Für sie habe ich ihn sogar abgenommen… Jetzt trage ich ihn eben um den Hals!“

In Junas Gesicht trat ein ehrliches Lächeln. Seine Augen waren fast zugekniffen, als wären sie von etwas geblendet. Ryne hingegen schien noch etwas verwirrt von seinem kurzen Ausflug in die Traumwelt.

„Natürlich kann ich mich erinnern.“

Mit der Rechten zog der Größere einen Stuhl zu sich herüber und setzte sich auf diesen neben seinen Freund.

„Du hast immer darauf bestanden mich zu beschützen, weil ich der Jüngere von uns beiden bin!“

Juna grinste. Auch in Rynes Gesicht trat wieder Leben, eine leichte Röte und ein Grinsen.

„Genau. Der Altersunterschied rechtfertigt das doch!“

„Ja… einen ganzen Tag jünger zu sein als du ist wirklich lebensgefährlich!“

Juna brach in Lachen aus, Ryne hingegen erhob sich, blieb aber neben Juna stehen und sah auf ihn hinab. Wenn er das strahlende Gesicht des Jüngeren vor sich sah, schien der Altersunterschied doch größer zu sein…

Eine von Rynes Händen berührte das ungekämmte Haar des vor ihm Sitzenden. Nachdem ihm Ryne einmal durch die hellen, weichen Haare gefahren war, standen Juna die Strähnen noch wilder vom Kopf ab und das Frühstück war beendet.

Chapter 3

Die Sonne war bereits vor Stunden untergegangen. Ryne saß auf der Wohnzimmercouch, auf der vor gut drei Monaten das letzte Mal eine Frau Platz genommen hatte. Nun saß er hier allein, den Kopf weit in den Nacken zurückgeworfen, sodass er die gepolsterte Rücklehne spürte. Seine Augen waren geschlossen und sein Atem ging langsam. Die Hand des rechten Arms, den er auf die Rückenlehne gelegt hatte, zuckte kurz, als der Dunkelhaarige Schritte auf sich zukommen hörte.

Rynes Körper durchfuhr ein erneutes Zucken, als jemand, dessen Herzschlag er nun vernahm, sich dicht neben ihn gesetzt hatte. Ein paar Tropfen kalten Wassers, die auf seinen Ärmel hinabgetropft waren, waren der Grund für das zweite Zucken.

Vor Rynes noch geschlossenen Augen wurde es plötzlich hell und ein spitzer Schrei ertönte.

Rynes Hand fand die Haare des Brünetten, der eben den Fernseher angeschalten hatte und nun neben ihm saß.

„Den Film wollte ich schon immer mal gucken. Aber ich hab es bisher nie geschafft. Zu gruselig…“, gab Juna nicht ungern zu.

Die Haare waren noch nass vom Duschen und klebten regelrecht an Junas Kopfhaut. Ein leichter Apfelgeruch stieg dem Älteren in die Nase und ein paar weitere Tropfen fielen auf sein Hemd.

„Fast hätte ich’s mir gedacht.“

Juna bemerkte die Ironie in Rynes Antwort sehr wohl, lehnte sich aber nur weiter zurück in das Polster, denn er kannte Rynes Antworten.
 

Die erste Werbepause kam und Juna verschwand für etwa die Hälfte dieser Zeit. Als er zurück ins Wohnzimmer kam und sich wieder setze, hatte der Dunkelhaarige den Kopf wieder aus dem Nacken gehoben und die Augen geöffnet. Selbst in der Dunkelheit leuchteten diese noch blau.

Rynes Blick blieb an des Kleineren Brust hängen. Dort hing noch immer der Ring an der langen Kette.

„Trägst du den sogar zum Duschen, June?“

Junas Stimme hätte nicht aufrichtiger klingen können, als er antwortete: „Klar. Ich habe dir doch versprochen ihn immer zu tragen.“

Nach einer kurzen Pause begann der Film wieder, gleichzeitig fing aber auch Juna wieder an zu sprechen.

Seine Stimme war fast zu leise um sie zu hören, obwohl Ryne nur Zentimeter vom Kleineren entfernt war. Dennoch schienen die Worte klar und deutlich Junas Lippen zu verlassen: „ Du hast gesagt, dass du immer bei mir bist, solange ich deinen Ring trage…“

Es ertönte der spitze Schrei, der vorhin im Vorspann erschienen war. Ryne hatte gerade die Lippen zur Antwort geöffnet, nun verstummte aber selbst sein Atem für einen Moment.

Gleichzeitig zog Juna die Beine an die Brust um sein Kinn auf ihnen abzulegen. Seine Arme waren um die schmalen, nackten Beine geschlungen und die Augen des Kleinen schlossen sich langsam. Schon im nächsten Moment hatte sich Juna, dessen Augen nun komplett geschlossen waren, gegen Ryne gelehnt, der nun eine angenehme Wärme spürte.

„Zu zweit ist das Leben schöner… Aber nur mit dir ist es so leicht zu zweit zu sein.“

Juna blinzelte ein paar Mal, nicht sicher, ob das, was der Fernseher gerade zeigte nicht vielleicht doch zu viel für seine Nerven war. Den nächsten Schrei und ein dumpfes Geräusch begleitend zuckte Juna wieder zusammen und vergrub sein Gesicht gänzlich in Rynes Seite. Dessen Arm glitt nun von der Rückenlehne hinab auf die Schulter des Brünetten. Als er den Kleineren schließlich noch etwas fester umschlungen hielt, flüsterte er nah bei dessen Ohr: „Ich habe dir versprochen, immer bei dir zu sein. Nichts fiele mir leichter, June.“

Ryne warf einen Blick auf den silbernen Ring, ein finaler Schrei hallte durch die Stille des Raumes und dann nahm Ryne dem Fernseher seinen Strom, kurz bevor er seinen Kopf auf den Junas senkte und einschlief.

Chapter 4

Eine schlaflose Woche lag hinter Ryne. Die dunklen Augenringe gehörten nunmehr schon zu seinem Gesicht, die schlechte Laune der ersten Tage hingegen hatte er bereits wieder abgelegt, denn sie normalisierte seine Schlafgewohnheiten auch nicht.

Einen Augenblick lang wehte ein kühler Wind und Gras kitzelte Ryne an Arm und Wange. Seine Augen waren zugefallen, einerseits um dem Wind zu widerstehen, andererseits um vielleicht endlich zur Ruhe kommen zu können.
 

„June…“
 

Juna, der neben Ryne auf der Wiese lag, drehte sich auf den Bauch und sah seinen dunkelhaarigen Freund an.

„Ich dachte du schläfst!“, entgegnete Juna und schlug Ryne sacht auf die Brust, wo seine Hand dann verweilte.

„Hm..?“

Ryne war sich nicht bewusst gewesen, dass er etwas gesagt hatte. Wenn sich seine Gedanken nun schon von selbst äußerten war das wahrscheinlich ein Anzeichen dafür, dass er fast eingeschlafen war. Wieso schlief er seit einiger Zeit nur noch in der Nähe des anderen..?

Für einen Moment erschrak Ryne vor dem, was er gedacht und vor dem, was er möglicherweise im Halbschlaf gesagt hatte.

Vorsichtig griff Ryne nach der Hand, die auf seiner Brust lag. Sie war um so vieles kleiner, als die eigene es war, und sie erschien ihm unglaublich warm. Ob June seinen schneller werdenden Herzschlag bereits wahrgenommen hatte..?
 

Ryne setzte sich ruckartig auf. Seine Hand lag auf der kleineren warmen im Gras.

Um Ryne und Juna herum war die Wiese leer. Nur wenige junge Paare saßen unter den großen Bäumen des Parks verteilt und schienen sich überhaupt nicht für ihre Umwelt zu interessieren. Die meisten der Spaziergänger liefen eilig, mit den Gedanken bei ihren Nachmittagsterminen. Niemand schien sich für jemand anderen zu interessieren.

Und dennoch hatte er dieses Gefühl. Schaute nicht die Frau mit dem knappen, roten Rock zu ihnen herüber? Oder der zeitungslesende Mann auf der Bank, schräg von hier? Und die Kinder, die drüben ihr Eis schleckten, zeigten sie nicht mit den Fingern hierher? Irgendjemand außer ihm musste es doch noch bemerkt haben! Dieses Gefühl in seiner Brust, das dort eigentlich nicht sein durfte, dieses verheerende Gefühl, das schon so tief in ihm verankert war, hatte es denn außer ihm noch keiner bemerkt? Er fühlte sich fremd in seinem Körper, hätte schwören können, dass jeder diese Veränderung hätte bemerken müssen und dennoch war um ihn herum alles wie zuvor.

„Es ist alles noch genau so wie früher, oder?“ Ryne hoffte, dass Juna das Zittern in seiner Stimme nicht hören würde. Alles was er nun wollte, war eine Bestätigung. Es hatte sich nichts verändert und es würde sich nie etwas verändern, nicht wahr?

In Junas Gesicht las er für einige Sekunden Verwirrung, dann trat Junas Lächeln ein, so wie es immer kam.

„Nein. Ich glaube nicht. Als ich das letztens gesagt habe, ist es mir nur einfach noch nicht aufgefallen.“

Ryne schwieg. Seine Gedanken überschlungen sich, sodass ihm schlecht wurde. Er wünschte sich, er hätte mehr geschlafen in letzter Zeit.

„Als wir damals zusammen wohnten, waren unsere Gefühle anders.“

Das Herz des Dunkelhaarigen hüpfte.

„Jetzt haben wir beide keine Freundinnen mehr. Und diesen Schmerz… kannte ich nicht. Ich habe mich verändert- und vielleicht du dich auch.“

Nachdem sein Herzschlag für einen Moment ausgesetzt war, beruhigte sich sein Puls plötzlich wieder. Hatte er denn tatsächlich eine andere Antwort erwartet..?

Ryne zögerte. Noch bevor er darüber nachdenken konnte, warum, hatte ein Impuls sich allerdings schon für ihn entschieden. Seine Arme reichten um den schmalen Oberkörper seines Gegenübers, hielten diesen fest an den eigenen gedrückt. Langsam sanken so beide in das Gras zurück, still und ohne sich zu rühren lagen sie da.

Rynes Hände wanderten zu Junas Kopf hinauf, seine Finger vergruben sich in den hellen Haare. Er übte ein wenig Druck auf den Kleineren aus, dessen Stirn daraufhin an des Dunkelhaarigen Brust lag.

Deutlich flüsterte er Juna dann direkt ins Ohr.

„Wenn dieser Schmerz erst weg ist, wird es so sein wie früher… oder besser, June.“

Chapter 5

Der Tag neigte sich dem Ende zu. Von dem Punkt am Horizont, an dem die Sonne sich niedersetzte, ging ein Schleier warmer Farbtöne aus. Unermüdlich fochten sie das immer dunkler werdende Blau zurück, sodass der Himmel blutrot zu strahlen begann. Junas Gesicht erschien der letzten Sonnenstrahlen wegen rot und auch das eigentlich bereits dunkle Zimmer schimmerte in Fensternähe leicht. Lange Schatten wurden bis an die Wand geworfen, dort vereinten sie sich zum Anzeichen der Nacht.

Juna lag auf dem Bett, die noch zusammengelegte Decke unter sich. Arme wie auch Beine hatte er leicht an den Körper herangezogen, sein Blick ging aus dem Fenster.

Dann spürte er Licht in seinem Rücken. Erst nur einen kleinen Spalt breit, dann wurde das Zimmer von Türseite aus beleuchtet. Von jener Zimmerseite her hörte Juna Schritte näher kommen, die Lichtquelle war wieder verschwunden. Wenige Sekunden später gab die Matratze nach und Juna wusste, dass sein Freund sich gesetzt hatte.

„Was machst du hier, June?“, fragte dieser mit weicher Stimme.

„Ich wollte nicht allein in meinem Zimmer sein.“ Juna drehte sich zur Tür und somit auch zu Ryne um. Für nur einen kurzen Augenblick, als das schwache Licht von draußen in Junas Gesicht fiel, konnte Ryne das Glitzern in Junas Augenwinkeln sehen. Kurz darauf schon stellte er sich die Frage, ob es nur eine Illusion gewesen war.

„Ich hatte Angst einzuschlafen und dich zu verpassen. Deshalb habe ich in deinem Zimmer gewartet, damit ich wach sein würde, wenn du kommst.“

Das Glitzern war keine Einbildung gewesen. Die letzten Überreste salziger Flüssigkeit rannen Junas Wange hinab.

Ryne spürte Junas Berührung an seinem Arm.

„Meinst du wirklich, dass es jemals wieder besser werden könnte..?“ Der schmale Körper des Kleineren zog sich stärker zusammen. Dennoch schauten seine braunen Augen immer noch tief in Rynes.

„June…“, erwiderte dieser und blickte lange Zeit in das fast blasse Gesicht. Dann legte auch Ryne sich ins Bett, zwischen ihm und Juna nur wenige Zentimeter Freiraum, die jedoch ausreichten um eine Berührung zu vermeiden.

„Ryne, der Schmerz erdrückt mich. Obwohl ich mich kaum noch an damals erinnern kann, fehlt sie mir einfach…“

Eine Stille trat ein, die Ryne nicht zu überwinden wusste. Dass Juna noch immer so leiden würde, hatte er nicht erwartet.

„Mich hat schon so lange niemand mehr geküsst. Ich weiß nicht einmal mehr wie es sich anfühlt.“
 

Rynes Handrücken bewegte sich über Junas Wange. Seine Haut war so weich wie sie aussah.

Dann legte Ryne auch die andere Hand an die Wange des vor ihm Liegenden. In Junas Gesicht regte sich nichts, doch auch Ryne war ruhig.

Schließlich übten die beiden Hände einen leicht Druck auf Juna aus, zogen sein Gesicht näher heran, Rynes Hals streckte sich etwas. Der Raum zwischen ihnen war überbrückt, ein Paar Lippen lag weich auf dem anderen. Der Dunkelhaarige öffnete leicht den Mund und schloss ihn dann wieder. Unter dieser Berührung trat eine etwas gesündere Farbe in Junas Gesicht und auch sein Mund öffnete sich langsam.

Rynes Zunge strich über die Lippen seines Freundes und die eigenen Lippen umschlungen kurzzeitig die des anderen. Dann lagen die zwei Lippenpaare vollkommen aufeinander und die Zungen berührten einander zärtlich.
 

Keinem von beiden war bewusst, wie lange sie küssend dagelegen hatten, doch die Sonne verschwand gerade gänzlich vom Horizont, als sie berührungslos wieder neben einander lagen. Kein Licht fiel mehr von irgendwoher in den Raum, doch Juna und Ryne waren sich nah genug um die Züge des anderen erkennen zu können. Blaue Augen blickten Juna durch die Dunkelheit hinweg an. Dennoch lag in keinem der Gesichter ein Ausdruck.

Stundenlang sahen sie einander nur stumm an, dann, als die letzten Sterne ans Himmelszelt traten, schlief Juna endlich ein. Ryne hingegen war es nun nicht einmal mehr möglich in seiner Nähe zu ruhen und so wachte er bis in den nächsten Morgen, als die Sonne zurück an den Himmel kehrte, über Junas Schlaf.

Chapter 6

Die Sonne stand hoch am Himmel, als Ryne seine Augen plötzlich öffnete. Für einen Moment war er geblendet und nicht mehr in der Lage mehr als nur Umrisse zu erkennen.

„June..?“

Der Jüngere saß auf dem weißen Plastikstuhl, der zum runden Balkontisch gehörte, in der Sonne.

„Hm..?“, drehte sich dieser etwas verdutzt um und legte seine Zeitung auf dem Tisch vor sich ab.

„Sitzt du schon lange hier…?“ Ryne drehte sich ein paar mal hin und her. Er saß auf dem Balkon, direkt neben der Tür, an deren Rahmen gelehnt er saß.

„Ein Weilchen… Aber ich habe noch nicht viel gefunden.“, antwortete Juna und lächelte den Dunkelhaarigen an.

Ryne stützte sich am Türrahmen ab und stand etwas wackelig auf.

„Ich bin wohl wieder eingeschlafen…“

„Das passiert dir in letzter Zeit häufiger… Bist du dir sicher, dass alles in Ordnung ist?“

Ryne stand nun neben Juna. Ein Blick auf die offene Seite der Zeitung genügte und Ryne stellte seinem Freund die nächste Frage.

„Du bist auf Wohnungssuche..?“ Etwas in Rynes Magengegend zog sich zusammen.

„Ich will dir ungern noch länger auf die Nerven gehen! Vielleicht schläfst du dann ja auch wieder besser.“

Das war ein Volltreffer gewesen. Ryne hatte schon vor einiger Zeit verstanden, woher seine Schlaflosigkeit kam, nun verkrampfte er noch mehr.

„Du weißt, dass du mich nicht nervst. Diese Wohnung ist eh zu groß für einen.“

Er wollte nebensächlich klingen, doch nicht einmal sich selbst konnte er momentan überzeugen. In seinem Kopf erschien seither das Bild des Kusses, wann immer er in Junas Gesicht sah. Über jene Erinnerung hatte sich ein Schleier gelegt, der Ryne an dem klaren Bild in seinem Kopf zweifeln ließ. In den letzten Wochen hatte er so wenig Schlaf bekommen, dass er sich nicht mehr sicher sein konnte, was er träumte und was der Realität entsprach. Doch diese Erinnerung war sicherlich keine, die Juna gerne mit ihm teilte.
 

Sacht schob Juna Rynes Hand von der Zeitung, die er schließlich an sich nahm. Rynes Hand wurde an dieser Stelle der Berührung taub.

„Ich muss einfach wieder auf eigenen Beinen stehen, Ryne. Ich kann doch nicht immer auf deine Hilfe zählen.“

„Aber ich hab’ dir versprochen dich immer zu beschützen!“ Des Dunkelhaarigen Stimme war für einen Moment lang so laut geworden, dass sie einem Schrei gleichkam. Als er das bemerkte, trat ihm eine Röte in das verzweifelte Gesicht.

„June…“

Auch Juna erhob sich nun. Jetzt, da er gerade vor Ryne stand, dessen Wirbelsäule nicht mehr die Kraft zu haben schien aufrecht zu bleiben, waren sie beinahe gleich groß. Mit festem Blick sah er Ryne in die Augen.

„Ryne! Wir können nicht immer zusammen sein! Nicht, wenn du mich beschützen willst. Und nicht, wenn ich das gleiche für dich tun will.“

Trotz der starken Worte hatte Junas Stimme immer mehr an Kraft verloren, bis sie letztlich fast flehend geklungen hatte.

Gerade in dem Moment, als Ryne glaubte wieder Tränen in Junas Augenwinkeln erkennen zu können, senkte dieser die Stirn auf Rynes Brust und schlang die Arme um des Größeren Brustkorb.

In Rynes Gesicht kehrte der ernste, warme Ausdruck zurück. Sein Kinn sank gleichzeitig auf Junas Haaransatz hinab und seine Arme falteten sich hinter Junas Rücken.

„Vielleicht hast du Recht, June…“ Rynes Stimme war nun schwächer als er sie kannte, doch auch seine Antwort verunsicherte ihn. Bisher hatte für ihn nur eine Möglichkeit existiert, Juna zu beschützen, und das war in seiner Nähe zu sein. Hatte dieses eine, unerwünschte Gefühl in ihm ihre Freundschaft etwa so unmöglich gemacht?

Arm in Arm standen die beiden auf dem Balkon, die Wolken über ihren Köpfen

Während die Zeit für Juna und Ryne stehen zu bleiben schien, zogen die Wolken über ihren Köpfen ungehindert an ihnen vorbei.

Chapter 7

Der Himmel verdunkelte sich, als sich eine Wolkendecke über die Sonne legte und es begann zu regnen. Immer stärker prasselten die Tropfen gegen das Fenster, während Ryne und Juna sich schweigend gegenübersaßen. Das Essen auf den Tellern vor ihnen war beinahe unberührt, Juna aß nur zögernd und gänzlich ohne Appetit. Ryne hingegen konnte sich nicht erinnern jemals ein Hungergefühl verspürt zu haben, seine Gedanken hielten fest an den Ereignissen des Morgens.

Stillschweigend saßen sie also da. Jeder war mit seinen eigenen Gedankengängen beschäftigt und bemerkte dabei nicht, dass auch der andere litt. Nichts würde sich ändern, nun, da sich schon so viel verändert hatte zwischen ihnen. Nichts würde sich ändern, so lange sie es nicht selbst in die Hand nahmen.

Trotz des Regens und dem Wind, der gegen das Fenster peitschte, nahm Ryne den leichten Atem des anderen war und war sich sicher, dass auch Juna den seinen hören würde. Wie hatte sich so viel verändern können, obwohl doch alles an frühere Zeiten erinnerte?

Plötzlich durchbrachen Junas Worte die erdrückende Stille.

„Unsere Freundschaft geht kaputt.“ Und ich mit ihr, fügte Juna in seinen Gedanken hinzu.

„Wir waren doch die besten Freunde, Ryne! Immer wenn ich dachte, es könnte nicht mehr besser werden, wurdest du mir noch wichtiger. Du warst für mich immer das Wichtigste…“ Junas Blick sprach von Verzweiflung und Angst.

„Warum sprichst du in der Vergangenheit, June..?“ Ryne war zusammengezuckt, als er das erste „waren“ vernommen hatte. Dennoch erschien ihm die eigene Stimme fast zu kräftig und gefasst, als er antwortete.

Juna reagierte nicht. Er selbst hatte kaum auf seine Worte geachtet, waren sie doch regelrecht aus ihm heraus gesprudelt. Nun aber stellte auch er sich die Frage, ob er ihre Freundschaft bereits aufgegeben hatte.
 

„Ich will nicht, dass sie unsere Freundschaft zerstört, Ryne, ich will sie nicht!“

„Die Liebe..? Vielleicht ist es das, worin sich unsere Freundschaft gipfelt.“ Noch immer war Rynes Stimme klar und ruhig. Doch sowohl in seinem Kopf als auch in seinem Herzen bewegte sich etwas. Er hatte nicht erwartet, dass es ihn befreien würde, es auszusprechen, aber nun, da er es getan hatte, schien es ihm noch schlechter zu gehen. Es war wie ein Schuss, der gleichzeitig durch seine Brust und seinen Kopf ging. Schmerzhaft, doch nicht befreiend.

„Und ich will dich nicht gehen lassen.“

„Sag das nicht, Ryne..!“, flehte Juna. Sein Kopf neigte sich leicht zur Seite. Seine hellbraunen Augen sahen Ryne an.

Und dann kam dessen Hand der des anderen immer näher. Es war wie eine Kurzschlussreaktion, der Wunsch den anderen zu berühren, ihn zu trösten, in den Arm zu nehmen, einfach bei ihm zu sein. Doch selbst der kleine Küchentisch war ein zu großes Hindernis.

Kurz bevor sich die zwei Hände berühren würden, hielt der Dunkelhaarige inne, wartete darauf, wie Juna reagieren würde. Er allein war nun, nachdem er sich so weit vorgewagt hatte, nicht mehr in der Lage noch einen Schritt zu gehen.

So sehr er es auch versuchte, es gelang ihm nicht, seine Hand still in der Luft zu halten, knapp über dem Tisch hatte er die Bewegung in Richtung des anderen gestoppt, dort, wo seine Hand nun zitternd in der Luft hing.

Und natürlich hatte Juna alles mitbekommen, hatte die Situation verstanden. Und dennoch, obwohl er wusste, was sein Freund von ihm erwartete, was er selbst erwartete, trotzdem entschied er sich dazu, es weiterhin zu ignorieren. Anstatt sich seinem Gegenüber zu nähern, zog er die eigene Hand an seinen Körper, krallte die zitternden Finger so sehr in das Fleisch wie er nur konnte, nur um die Faust nicht willenlos wieder zu öffnen und die beiden Hände doch noch einander halten zu sehen.

Rynes Lippen öffneten sich gerade, da senkte Juna seinen Kopf so weit, dass seine halblangen, brünetten Haare sein Gesicht vollkommen verdeckten. In kurzen Abständen schien sein Körper einer Erschütterung ausgesetzt zu sein und Ryne konnte den Bach aus Tränen nur erahnen.

„June…“, flüsterte Ryne mit schwacher Stimme. Daraufhin krümmte sich der Kleine und stand auf ohne ein weiteres Wort zu sagen. Auch Minuten später starrte Ryne noch hinter dem längst Verschwundenem her.

Chapter 8

Der Himmel hatte sich nicht aufgeklärt. Ebenso dunkle Wolken wie die des gestrigen Tages ließen den Tag wie Nacht erscheinen, unaufhörlich fielen große Tropfen hinab.

Ryne saß wie am Abend zuvor am Tisch, die Arme auf der Platte abgestützt und das Gesicht in seinen Händen vergraben.

Erst als ein paar Geräusche von der Tür her sein Ohr erreichten, sah Ryne auf. Drüben im Flur stand Juna, die Kapuze seiner Regenjacke tief ins Gesicht gezogen. Beiläufig und ohne Ryne eines Blickes zu würdigen sagte er in einem fast rechtfertigenden Ton: „Ich gehe dann. Wohnungsbesichtigung.“

Noch bevor die Tür ins Schloss fiel, war Ryne aufgestanden und hatte sich seinen Mantel übergeworfen. Er ließ seinen Schlüssel in die Jackentasche gleiten und griff nach einem der Regenschirme, die in der Ecke neben der Tür standen. Dann warf er die Wohnungstür hinter sich zu und folgte Juna mit schnellem Schritt.

„June, warte!“, rief er ihm hinterher.

Einen Moment lang zögernd blieb Juna schließlich stehen. Bereits jetzt, nach nur wenigen Metern durch den Regen triefte es überall von Junas Regenjacke.

Ryne senkte sein Tempo wieder, als Juna stehen geblieben war und mit gespanntem Schirm kam er zu ihm hinüber.

„Du wirst ganz nass…“

Schutzspendend hielt Ryne den Schirm über ihrer beider Köpfe. Die letzten Tropfen rannen über Junas Jacke und fanden ihr Ende in einer der großen Pfützen, die sich über die Nacht angesammelt hatten.

Und wieder sprach keiner von beiden mehr auch nur ein Wort. Auch die Umgebung wurde ruhiger, als Juna in eine weitere Nebenstraße bog und Ryne ihm dicht darauf folgte. Der Hall ihrer Schritte wurde vom feuchten Asphalt unter ihren Füßen gedämpft. Außer Juna und Ryne war kein Mensch mehr in einer solch kleinen Straße anzutreffen.

Der bedrückenden Stille letztlich nachgebend begann Juna plötzlich seinen Monolog.

„Es ist eine kleine Wohnung in einem dieser Häuser in netter Umgebung. Ich brauche von hier aus nur ein paar Minuten bis zur Bahn. Dann habe ich meinen eigenen Balkon und ein Supermarkt liegt auch in der Nähe. Die Wohnung hat alles, was ich brauche.“

Ryne war sich dem anklagenden Ton in seiner Stimme bewusst, doch er konnte sich nicht zurückhalten: „Sie hat alles, was meine Wohnung auch hat.“

„Außer dich…“

Des dunkelhaarigen Augen weiteten sich auf einmal, ein stechender Schmerz durchstieß Rynes Brust, denn er wusste sofort, was Juna gemeint hatte. Es war ihre Freundschaft, die hier auf dem Spiel stand, ihre Freundschaft, die sie niemals aufs Spiel setzen würden.

„June..!“

„Halte den Regenschirm nicht so hoch, ich werde nass…“

Und wieder hatten sich Tropfen in Junas Augenwinkeln gesammelt, die nun über seine Wange rannen. Nur Junas Jacke schien bereits getrocknet und auch nicht erneut dem Regen ausgesetzt gewesen zu sein.
 

„Wir sind da.“

Rynes Blick ausweichend verließ Juna den schützenden Bereich des Schirms. Seine Umrisse verschwammen mit dem Grau der Umgebung im Regen und schließlich verschwand Juna in dem Gebäude, das möglicherweise sein neues zu Hause werden würde.

Ryne bewegte sich nicht von der Stelle, an der Juna ihn allein gelassen hatte. Der Wind schickte den Regen direkt unter den Regenschirm gegen Rynes Körper. Dennoch bewegte er sich kein Stück weit.

Alles, was ihm nun noch geblieben war, war auf Juna zu warten. Denn allein bei ihm lag nun die endgültige Entscheidung, die ihrer beider Leben verändern würde, egal wie sie ausfiel. Und somit wartete Ryne im Regen, nichts anderes als diesen einen Gedanken vor den Augen.

Chapter 9

Der versiegte Regen hatte die Umgebung in ein von Nebelschleiern verschwommenes Grau gehüllt. An eben jene Wahrnehmung hatte Ryne sich gewöhnt, während er draußen auf Juna wartete, seine Augen allerdings zeigten ihm einen eigenen Schleier auf, der sich über jeden Nerv, jede Erinnerung und jeden klaren Gedanken legte. Als sich dieser Nebel vor seinem Inneren fast schon in ein tiefes Schwarz verwandelt hatte, erschien in dem Punkt, auf den Rynes Augen gerichtet waren, eine trübe Gestalt, die sich auf ihn zu bewegte. Juna formte sich aus dem Schatten, der einen immer stärkeren Umriss bekam. Sowie sich die Linien Junas auch für Rynes Augen gefestigt hatten, blieb ersterer gut einen Meter vor Ryne stehen. Sein Kinn war gesenkt und obwohl seine Augen weit geöffnet waren, schienen sie leer.

Dann stieß Junas Kinn auf seine Brust und mit einem Mal fielen alle Strähnen bis tief in sein Gesicht, welches nunmehr vollkommen sicher sein konnte, dass keine Emotion an die Außenwelt dringen würde.

„Ich hab’ mich entschieden.“ Im Flüstern und all der Unsicherheit, die Juna, der sonst über eine so saubere und klare Aussprache verfügte, in sich trug, verloren sich die letzten Silben seiner Worte. Und wieder fühlte sich Ryne daran erinnert, was sich alles verändert hatte.

Für einen Moment siegte die Stille, dann fügte Juna die entscheiden Worte an, die dem Dunkelhaarigen bereits in seiner Vorstellung durch Mark und Knochen gegangen waren.

„Ich ziehe aus!“, kam es mit einem von Juna ungekannten Nachdruck in der Stimme. Dann schoss eine Kugel durch die verdichtete Luft, riss ein Loch in Junas Wange und traf mitten in Rynes Herz, welches sich schmerzhaft zusammenzog. Aus Junas porzellanweißer Haut löste sich eine Scherbe an eben verletzter Stelle und fiel klirrend zu Boden. Dann löste sich ein weiteres Stück aus der Haut, ein nächstes folgte und Juna löste sich in einem Scherbenhaufen vor Ryne auf, der daraufhin selbst zu Boden ging und sich in einer Spirale aus den sie umgebenden Grautönen verlor.
 

Schweißgebadet wachte Ryne auf. Sein Atem ging schwer, er war unruhig und fühlte, wie seine Finger sich in das Betttuch vergraben hatten. Es war nicht das erste Mal, das er diesen Traum, der der Erinnerung an diesen Tag so glich, hatte und dennoch schien er ihn dadurch nicht besser verdauen zu können. Seit damals holten ihn Junas letzten, an ihn gerichteten Worte immer wieder ein. Ein Jahr war seit dem vergangen und trotzdem war noch alles so klar, hart und schmerzlich.

Rynes morgendlicher Weg raus aus seinem Schlafzimmer führte an jenem vorbei, welches zuvor von Juna bewohnt worden war. Damals, als der Brünette zu ihm gezogen war, hatte er nur wenige Stücke mit sich gebracht gehabt und ebenso viele fehlten nun in diesem Raum, der seit Junas Auszug eine eisige Kälte verbreitete. Und trotzdem Ryne nicht wohl war, wann immer er in das eigentlich ausgestattete, aber dennoch leerstehende Zimmer blickte, fesselte ihn alles Vergangene umso mehr daran. Eigentlich war es ihm sogar ein Wunder, wie er noch immer einigermaßen in seinem eigenen Bett schlafen konnte ohne verrückt zu werden. Schließlich hatte erst die Berührung ihrer Lippen zu allem Geschehenen geführt. Vielleicht war es aber auch gerade der Kuss, den die beiden Freunde ausgetauscht hatten, der Wärme in Ryne hervorrief, auch wenn jene schon lange nicht mehr in der Lage war ihn zu wärmen.

Die Wohnung war mit Erinnerungen an Juna gefüllt und jedes Mal, wenn Ryne dies erneut feststellen musste, erlag er seiner eigenen immer größer werdenden Schwäche, die ihn raustrieb, weit weg von den schmerzenden Bildern.

Chapter 10

Ein blutrot gefärbtes Blatt fiel von einem der knöchernen Äste des Baumes, der über die Mauer hin weit über die schmale Straße reichte, und landete auf Rynes Schulter, wo es am Filz seines Mantels hängen blieb. Fast immer trieb es ihn an diesen Ort, wenn er eigentlich vorhatte der Realität und der damit verbundenen Vergangenheit zu entfliehen. Gegen die Mauer lehnend, die den Baum von der Straße trennte, fiel des Dunkelhaarigen Blick in jedem Fall auf die gräuliche Wand des Wohnhauses, in dem sich Juna ein Zimmer gemietet hatte.

Die Vorhänge waren immer zugezogen und Ryne war bisher nie auf den anderen getroffen, auch wenn ihm bewusst war, dass er nie lange blieb, obwohl er diese Leere in sich fühlte, die sich hier zu füllen versuchte. Vielleicht hoffte er insgeheim manchmal sogar, dass er Juna begegnen würde. Ausweichen würde er ihm nicht, das wusste er sicher.

Doch auch heute wartete er darauf vergebens. Die Sonne war während der halben Stunde, die Ryne hier verbracht hatte, bis in ihren Zenit gewandert und erinnerte den unter ihr Wartenden daran, dass es Zeit zu gehen war.

Das Licht der Ampel hatte bis eben einen warnenden, roten Ton getragen, jetzt, da dieser in das grüne Licht umgeschlagen war, schritten die Massen beider Straßenseiten schnell vor, als hätten sie Stunden auf diesen entscheidenden Moment in ihrem Leben gewartet. Auch Rynes Füße trugen ihn fort, allerdings mit nicht einmal halb so viel Elan. Es gab keinen Ort, an den er gehen wollte, keinen Ort, der ihm Ruhe und Ausgelassenheit schenken konnte. Doch gerade als er sich in der Mitte zwischen den beiden Bürgersteigen befand, fiel der zuvor noch leere Blick der blauen Augen in das Gesicht eines jungen Mannes, der mit seiner Freundin am Arm gerade aus dem gegenüberliegenden Park schritt. Ryne stockte, vergas einmal zu atmen und schluckte darauffolgend umso schwerer, als der Schock, welcher dadurch entstanden war, dass seine Füße plötzlich für sich entschlossen hatten, stehen zu bleiben, seinen Körper hinaufgewandert und sich dort verloren hatte. Von links und rechts stießen ihn Schultern von Menschen, die versuchten sich an ihm, der den ganzen schönen Rhythmus störte, vorbeizudrängen. Doch Ryne bewegte sich nicht vom Fleck, nur die erschlafften Muskeln ließen sich von den Stößen aller Seiten beeindrucken.

Noch bevor sich seine Augen bewusst geworden waren, was sie gesehen hatten, noch bevor seine Beine ihren jähen Halt wahrgenommen hatten und noch bevor sich Ryne über die Situation klar werden konnte, lief der Auslöser dies Allens geradewegs an ihm vorbei, ohne das Durcheinander in Ryne seinerseits vernommen zu haben.

Die Ampel schaltete auf rot zurück, alle Passanten waren von der Straße getreten, nur Ryne stand noch immer zwischen den beiden Fußgängerwegen. Eben war Juna an ihm vorbeigezogen ohne ihn bemerkt zu haben, denn er hatte ja nur das Mädchen neben sich im Sinn. Ein so wunderschönes Lächeln hatte der Brünette ihm, Ryne, schon ewig nicht mehr geschenkt. Er war also glücklich. Warum hatte sich Ryne überhaupt Sorgen gemacht? Natürlich würde der Kleinere wieder glücklich werden! Nur nicht mit ihm, so war es ihm nun klarer denn je zuvor und der stechende Schmerz in seiner Brust erreichte einen neuen Rekord.
 

Die ersten Hupgeräusche von den an der Ampel stehenden Fahrzeuge gingen schrill in die Luft. Sofort erregten sie die Aufmerksamkeit vieler, waren sie doch die einzigen Geräusche jener Lautsstärke. Und auch Juna, welcher seine Freundin sicher ans andere Ende der Straße geführt hatte, drehte sich sofort um, hatte er doch das Gefühl gehabt, eben mit einem Auge etwas wahrgenommen zu haben, das seinem Gedächtnis keine Ruhe lassen wollte.

Chapter 11

Der weiße Fliesenteppich, der sich durch das ganze Bad zog, warf nur wenig Licht auf den am Boden Knienden zurück. Der größte Teil eben jenes nur spärlichen Lichtes, welches durch das Fenster in Rynes Zimmer über den Flur und schließlich in das fensterlose Bad gefunden hatte, wurde aber von ihm absorbiert und ließ Ryne schließlich in einer Dunkelheit und Ruhe zurück, denen er nichts abverlangen konnte.

Dann würgte er ein letztes Mal. Sein Mageninhalt hatte sich gänzlich in die Toilettenschüssel entleert. Jedoch war er sich heute nicht sicher, ob es die Bilder in seinem Kopf von der Begegnung mit Juna waren, die sich immer wieder abspielten, oder die zahlreichen Medikamente, die er seit fast einem Jahr täglich zu sich genommen hatte, die die Schuld daran trugen.

Hatte sich auch an seiner Statur nichts Grundlegendes geändert, oder zu mindestens nichts, das auch unter dem Schutz seiner Kleidung noch zu erkennen war, so sah man die Auswirkungen der Geschehnisse von vor einem Jahr doch in seinem Gesicht. Die Wangen waren leicht an den Knochen eingefallen, die Haut kreidebleich. Lediglich um die Augen herum hatten sich tiefschwarze Schatten gelegt, die allgegenwärtig waren.

Ryne atmete schwer, fast keuchend. Er war sich nicht sicher, wie lange er an die kalten Fliesen gelehnt dagesessen hatte, doch der Geschmack des Erbrochenen, der sich auf seine Zunge gelegt und der Geruch desselben, der sich in seiner Nase festgesetzt hatte, waren noch nicht verflogen, als es läutete. Seine Beine zitterten und hielten den schmalen, kraftlosen Körper nur in der Höhe, da sie über die Unterstützung der gefliesten Wand in Rynes Rücken verfügten. Die blauen Augen hingegen kämpften mit der Bewusstlosigkeit, die sich täglich immer stärker durchzusetzen wusste und ihn schon einige Male an den Boden gefesselt hatte.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, dass Ryne endlich die Tür erreichte und dennoch hatte es kein zweites Mal geklingelt. Wahrscheinlich würde niemand so lange warten und der Dunkelhaarige hatte sich umsonst bis ans Ende des Flurs geschleppt.

Erst, als Rynes Hand bereits im Begriff war die Klinke, um die sie gelegt war, zu drücken, trat der Gedanke in seinen Kopf zurück, dass ihn seit gut einem Jahr niemand mehr besuchen gekommen war. Niemand außer Juna und ihm hatte diese Wohnung betreten, seit Juna das letzte Mal bei ihm eingezogen war und niemand außer Ryne selbst hatte diese Wohnung betreten, seit Juna sich gegen ihn entschieden hatte.

Die Tür öffnete sich einen Spalt breit, sprang ein Stück weit von allein auf und brachte schließlich das zum Vorschein, was sich hinter ihr verbarg. Braune Strähnen, die in einem Jahr an Länge gewonnen hatten, fielen so wie schon um die späten Mittagsstunden in das perlweiße Gesicht und der grade Rücken bedeutete Ryne einen stärkeren Charakter, als er ihn momentan selbst vorzubringen hatte. Eigentlich hatte es keinen Zweifel daran geben können, dass es Juna war, dem Ryne die Tür öffnen würde und dennoch war der sonst Größere nun, da er eben jenen Verdacht bestätigt sah, überrascht und hilflos.
 

Es war kein Wort der Begrüßung gefolgt, jeder hatte seinen gegenüber für viele Sekunden einfach nur betrachtet, doch Ryne hatte schnell bemerkt, dass er den braunen Augen Junas nicht standhalten konnte und war zurückgewichen. Nun stand er am Fenster, hinter sich den Flur und Juna, und Ryne war sich bewusst, dass er weder stark genug war Juna, nun da er endlich wieder in seiner Nähe war, wieder fortzuschicken, noch in der Lage war mit eben jenem, alten Freund zu sprechen.

Chapter 12

Kälte hatte sich an einem Ort ausgebreitet, an dem keine hätte sein dürfen. Die Kühle des Hausflurs und die schlichte Wärme von Rynes Wohnung trafen zwischen Tür und Angel aufeinander und vereinten sich zu einer eisigen Kälte, die Juna umschloss. Dieser Effekt glich sich auch nicht aus, als Juna schon lange die Tür hinter sich zugestoßen hatte. Das Gesicht seines Freundes, welches Juna so lange schon nicht mehr erblickt hatte, erschien veränderter als er es für möglich gehalten hatte. Eingefallene Wangen unter denen die Knochen hervorblitzen, straff darüber gelegte Haut ohne jegliches Leben im Teint und geöffnete Augen, die leerer schienen als die eines Schlafenden, umzeichnet von schwarzen Schatten, die schwärzer als Rynes Haar waren.

Mit diesem Bild vor seinen Augen konnte sich Juna nun sicher sein, das ihm sein Gefühl keinen Streich gespielt hatte. Das Gesicht, welches er nur für den Bruchteil einer Sekunde auf der Straße gesehen hatte, gehörte zu dem, der noch vor einem Jahr das wichtigste für ihn gewesen war. Doch nun erkannte er Ryne kaum wieder.
 

Mit wenigen großen Schritten hatte sich Juna immer weiter von der Eingangstür entfernt und war im Wohnzimmer angelangt, an dessen Fenster Ryne verweilte, seit er von der Tür vor Junas Anblick geflohen war. Juna machte am ersten Sessel halt und setzte sich ohne auf die Aufforderung des anderen zu warten. Von hier aus sah er direkt in Rynes Rücken, jeglicher Blick in des Dunkelhaarigen Gesicht blieb ihm verwehrt, nicht einmal die großen Fenster schenkten Juna eine Reflektion. Doch er erahnte, dass Rynes Gesicht, hätte es noch eine Farbe besessen, nun jeglicher bestohlen sein würde.

„Sie ist meine Freundin. Wir wohnen zusammen.“, begann Juna seinen Monolog als Antwort auf eine Frage, die er von Ryne auszugehen glaubte.

„Sie ist süß und lieb. Mir kommt die Wohnung jetzt nicht mehr so leer vor...“ Juna legte eine Pause ein, doch Ryne übernahm das Wort nicht, und doch war Juna sich sicher, dass er ihm zuhörte.

„Ich habe mich allein gefühlt. Vier kahle Wände um einen herum können so kalt und einsam sein. Sie haben mich fast erdrückt und doch konnte ich nichts dagegen tun. Gar nichts, Ryne.“ Nur flüsternd, doch mit Emotionen geladen hatte Juna seinen Satz zu Ende gebracht und ein Zittern durchfuhr den Genannten, der aber so stumm blieb wie zuvor.

„Ich hab mich allein gefühlt und mir gewünscht, du wärst bei mir. Nach all den gemeinsamen Jahren plötzlich zu spüren, dass du einfach nicht mehr da bist! Das, allein das hat mich fertig gemacht. Ich habe mir sogar eingebildet, du würdest immer ganz in meiner Nähe sein! Ich hatte das Gefühl verrückt zu werden. Ohne dich, mit dir.“ Juna atmete tief ein und wieder aus und unterdrückte dabei einen Schluchzer, der sich hervorgekämpft hatte. „Weiterhin allein zu bleiben hätte mich umgebracht. Ich war so froh, dass ich sie gefunden habe. Dass ich sie gefunden habe, als du nicht da warst.“ Nein, das hatte nicht der Wahrheit entsprochen. Er hatte das Mädchen gefunden, als Ryne nicht da sein könnte, nicht da sein durfte. Und nun hatte er doch seinem Freund die Schuld zugeschoben. „Ich hab’ mich nach dir gesehnt, Ryne. Doch als ich heute hierher gekommen bin, musste ich feststellen, dass mein bester Freund nicht mehr hier wohnt. Es ist nichts mehr übrig von dem, den ich so... Es ist nichts mehr von dem Ryne übrig, den ich einst kannte. Wenn du ihn wiederfinden solltest, sag ihm, dass ich ihn gern wiedersehen würde.“ Die Worte hallten noch im Raum, als Juna bereits aufgestanden war und einen letzten langen Blick auf Ryne warf, der sich noch immer nicht gerührt hatte. Dann wand er sich ab und schritt auf die Tür zu, immer noch darauf hoffend, dass Ryne ihn zurückhalten, endlich mit ihm sprechen würde. Doch vergebens, die Tür fiel lauter ins Schloss als zuvor und trennte die beiden Vertrauten sowie die Kühle und die warme Luft wieder voneinander.

Chapter 13

Über dem von Wolken bedeckten Himmel schien die Sonne mit all ihrer übrig gebliebenen Kraft, die von Tag zu Tag mehr zu Neige ging und kühler Herbstluft den Vortritt ließ. Die Sonnenstrahlen, die hin und wieder die dichte Wolkendecke durchbrachen, sorgten für den stetigen Wechsel von hell und dunkel im südlichsten Zimmer, in welchem Juna sich die meiste Zeit aufhielt. Sein Kopf war gebettet im Schoß des jungen Mädchens, welches sich Junas Freundin nannte und doch nichts um dessen Gefühle wusste.

Mit jedem Erhellen und wiederkehrendem Abdunkeln des Zimmer und mit jeder Bewegung der schmalen, zarten Finger seiner Freundin, die langsam durch sein Haar kämmten, drehten sich Junas Gedanken.

Unter langem brünetten Haar befanden sich zum Träumen geschlossene Augen, doch deutlicher als ein Traum es konnte, spielten sich vor jenen Lidern einzelne Bilder und vergangene Szenen ab.

Juna rutschte ein Stück hinauf um der Wärme seiner Freundin näher sein zu können, denn eben diese war es, die ihn das Mädchen an sich binden ließ. Er hatte nicht ihr naturblondes, weiches Haar gebraucht, nicht die strahlend grünen Augen oder die vollen, roséfarbenen Lippen, denn all dies lenkte ihn mit solchen Unterschieden nicht ab, sondern verpflichtete ihn beinahe noch stärker dazu, an den zu denken, den er eigentlich in seiner Nähe wissen wollte.

Doch Ryne war offensichtlich nicht mehr der, nachdem sich der kleine Brünette sehnte. Es hatte sich viel verändert und vieles schien über das letzte Jahr nicht nur bestehen geblieben zu sein, sondern sich trotz des Unglückes, um das Juna sich nun bewusst geworden war, noch verstärkt zu haben.

Der Gedanke schmerzte unermesslich, sodass Juna sich von ihm zu lösen versuchte, doch allein dieser Versuch hinderte ihn daran und festigte eben jene Gedanken noch.
 

Dann erklang eine zarte, zurückhaltende Stimme, die auf angenehme Weise die herrschende Stille und Junas Gedanken durchbrach. Es war die Stimme seiner Freundin, welche Juna schon so oft zurück in die Realität geholt hatte, wann immer er sich in seinen Erinnerungen und damit verbundene Gedanken verloren fand.

„Juna? Bist du noch wach?“

Mit ihren Worten breitete sich ein warmes Gefühl, welches sich selbst über den von ihr ausgehendem leichten Duft ihres Parfums legte, im Raum aus. Juna nickte nur unmerklich, doch das junge Mädchen nahm diese Antwort war und sprach zögerlich weiter.

„Ich wollte dir noch etwas sagen...“

Junas Augen öffneten sich und strahlten ihren grünen hellbraun entgegen. Ihr Ausdruck war sanft und gutmütig, doch schon zu lange waren Juna und sie zusammen, sodass er die in ihrem Gesicht liegende Unsicherheit erkannte.

„Ich liebe dich, Juna.“

Damit schlossen sich Junas Augen wieder und er kehrte in eine aufrechte Position zurück. In dieser konnte er das zarte Wesen, welches er immer in ihr sah, in den Arm nehmen und ihr einen Kuss aufdrücken, den sie entgegen nahm. Nur antworten, das konnte er ihr nicht. Zu viele Dinge in ihm waren noch nicht verarbeitet und so änderte auch die Tatsache, dass sie ihm nicht zum ersten Mal ihre Liebe gestand, nichts daran, dass er ihr auch nach all diesen Monaten, die sie zusammen verbracht hatten, nicht antworten konnte, nicht wollte. Denn wieder fand sich Juna unwiderruflich an Ryne erinnert. Ryne, der ihn immer „June“ genannt hatte, Ryne, der jene Gefühle so schwer und doch mit so viel mehr Emotion hatte ausdrücken können. Ryne, der Freund, der ihm bereits fehlte, als er sich nur an einen anderen Ort dachte. Doch noch mehr als dieser Wunsch mit jenem einem Menschen zusammen zu sein, war der Wunsch keinen anderen mit seinen furchtbaren Gefühlen zu verletzten.

Und so flüchtete Juna aus der Zweisamkeit, welchem ihm doch nicht das geben konnte, wonach sein Körper und seine Seele verlangten.

Chapter 14

Bis zum Horizont hatte sich eine dunkelgraue Wolkendecke gelegt, die es unmöglich machte, zu bestimmen, ob die Sonne im Zenit oder Nadir stand und somit bereits der Mond für das spärliche Licht unter eben jenem grauen Meer aus Wolken sorgte. Doch der Nacht zuwider waren die Straßen gefüllt mit Passanten, die von einem Laden in den nächsten fanden, hier und da kurz hielten oder durch die schmalen Gassen zwischen zwei großen Straßen schlenderten, sich einander erzählend und schwatzend in den Armen lagen und damit das Bild des Stadtlebens prägten.

Für einen kurzen Moment erschien zögernd Licht, welches eindeutig von der Sonne aus dem Himmel geschickt war, und erhellte die dunkle Straße und das Schaufenster, welches daraufhin den vor ihm Stehenden widerspiegelte. Das dunkle Haar war kürzer geschnitten als zuvor und das Schwarz um die Augen allmählich verblasst, dafür war die Farbe in Rynes Gesicht zurückgekehrt.

Für Monate war er nicht mehr unter Menschen gewesen, doch diese Zeit war nun vorbei. Junas letzter Besuch hatte ihm die Augen geöffnet und zwei Monate, die seitdem vergangen waren, waren für Ryne genug um sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Noch immer hatte er den anderen klar vor Augen, wie er so plötzlich vor ihm gestanden hatte, unerwartet, erhofft und dennoch nicht mit den Worten auf den Lippen, die sich Ryne erwünscht hatte. Das Juna hatte glücklich werden können, auch ohne ihn, war für Ryne unverkraftbar, doch gleichzeitig war ihm bewusst geworden, dass er sich auch über das Glück des anderen freute und unglaublich freuen konnte.

Das Licht in Rynes Rücken war wieder erloschen und mit ihm das Spiegelbild der Realität verschwunden, doch Ryne sah sich noch immer ganz genau vor dem Laden stehen.

Seine Schultern wirkten unter dem alten Mantel aus Filz breiter, als sie es waren und lenkten von ihrer Gebrechlichkeit ab. Die alten Erinnerungen hatten mehr Schmerzen und Narben zurückgelassen, als es Ryne für möglich gehalten hätte, doch keine dieser Wunden war wieder aufgebrochen, seitdem er es endlich verstanden hatte. Es war ihm genug zu wissen, dass Juna glücklich war, denn es musste ihm genug sein, da kein Weg zurück führte. Es war ihm klar geworden, dass er nun endlich seinen June beschützen konnte, wie er es ihm immer versprochen hatte. Also schloss er ab mit den Geschehnissen der letzten anderthalb Jahre, versuchte sein eigenes Leben zu führen, so gut es ging, sich treiben zu lassen, wo auch immer es ihn hinführen würde und konnte sich damit um Junas Glück sicher sein, auch wenn er um die Unendlichkeit der Leere im eigenen Innern wusste. Denn der Juna, welcher soeben neben dem eigenen Spiegelbild erschienen war, gehörte nicht der Realität an und war nicht in der Lage die Unendlichkeit zu beenden. Doch warum lächelte Juna nicht? Ryne wand seinen Kopf zur Seite, auf welcher das zweite undeutliche Bild im Fenster erschienen war.

„Ryne..?“

Junas schwache Stimme schallte in Rynes Ohren. Wäre es des Dunkelhaarigen Einbildung gewesen, so hätte Juna gelächelt, doch die Realität, der reale neben Ryne Erschienene, passte sich diesem Wunsch nicht an.

„Ryne...“

Ein ruhiges, sanftes Lächeln legte sich auf Rynes Lippen. Er hatte alles dran gesetzt, endlich loszukommen um den anderen loslassen zu können. Juna sollte lächeln und so machte es ihm Ryne nun vor. Seine Hände verschwanden in den Manteltaschen, das Lächeln jedoch blieb in seinem Gesicht, ein Lächeln, wie es Juna so lange nicht mehr bei seinem besten Freund gesehen hatte, ein Lächeln, dass ehrlicher nicht hätte sein können und sich auch in Juna eine Wärme ausbreiten ließ. Dann drehte Ryne dem Kleineren den Rücken zu um in der Masse zu verschwinden.

„Ryne!“, hörte er den anderen ihm noch hinterher rufen, doch er stoppte nicht, sondern ging schließlich gänzlich, das Lächeln auf den Lippen haltend und sich auch in den Augen ausbreitend, in der ihm entgegenkommenden Menge an Passanten unter.

Chapter 15

Die abendliche Stille wurde von Blitzen und Donnern durchbrochen. Immer wieder und in kürzer werdenden Abständen schossen Feuerwerkskörper in die Luft, ungeduldig und nicht bereit weiterhin auf die Stunden, die ihnen noch bis zum Mitternachtsschlag fehlten, zu warten. Jeder Blitz der Raketen erhellte den leeren Hausflur und jeder damit verbundene Donner ließ Juna kurz zusammenzucken. Hoffentlich würde man sein Klingeln hören.

Doch die Tür öffnete sich ihm viel früher als er es dank des letzten Besuchs erwartet hatte.

Nichts mehr an dem, was Juna nun vor sich sah, erinnerte noch an jenen Tag der Vergangenheit. Ryne wie er jetzt vor ihm stand, war wieder der, den Juna in seiner Erinnerung behütet hatte.

„June..?“, drang Rynes Stimme nur zögernd in den Hausflur, welcher gerade erst wieder von gleißendem Licht erstrahlt war. Juna erzitterte erneut.

„Was willst...“

Ryne brachte seine Frage nicht zu Ende, zu anklagend erschien ihm der Ton, den er nicht hatte treffen wollen. Sofort verbesserte er sich, sodass Stimmlage und Mimik wieder die sanfte Art, die Juna von Ryne kannte, zeigten.

„Möchtest du rein kommen?“

Dabei schob er die Tür auf bis sie an der Wand angelangt war. Doch Junas Antwort glich nicht dem, was Ryne von ihr erwartet hatte.

„Nein, lass uns lieber rausgehen, ja?“, erwiderte Juna und löste seinen Blick vom Anderen.
 

Es herrschte keine erleichternde Stille zwischen ihnen, als Ryne seinem alten Freund folgte, doch es erinnerte nichts an das Gefühl erdrückt zu werden, welches sie vor über einem Jahr endgültig eingeholt zu haben schien.

Und dann hatte sich, so kam es Ryne, welcher den Blick nicht von Juna abgewendet hatte, vor, schlagartig die Umgebung verändert. Anstatt den ihrer Farbe von der Nacht entzogenen Mauern der Stadt, waren sie nun umgeben von fast schwarzem Grün, welches im nächtlichen Park vorherrschend war.

Dann stoppte Juna an einer Stelle, die einen freien Blick auf den gesamten Himmel über ihnen bot.

Der Kleine befreite seine linke Hand von einem Handschuh um die unregelmäßige Rinde des Baumes, auf welchen er seine linke nun gelegt hatte, deutlicher spüren zu können.

„Hier haben wir vor zwei Jahren das letzte Mal gefeiert.“ Aus dem bedrückten Gesichtsausdruck, der sich vor allem von seinen Augen ablesen ließ, wurde ein Lächeln, als Juna sich zu Ryne umdrehte.

„Erinnerst du dich noch, Ryne?“ Dieser nickte mit einem ähnlich sanften Lächeln, welches von seinen geschlossenen Augen ablenkte.

„Ja... schon als Kinder waren wir oft hier...“, bejahte er nochmals und trat neben Juna, welcher seinen Kopf wieder geneigt hielt und mit der Stirn sowie mit der Hand die Baumoberfläche berührte.

„Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, in der Stadt, da dachte ich, du wärst wieder der Alte, Ryne.“ Ein zögernder Blick folgte, denn Juna konnte nicht abschätzen, was seine Worte beim Dunkelhaarigen auslösen würden. Doch Ryne blieb ruhig.

„Und dann bist du einfach gegangen, mit diesem Lächeln im Gesicht...“ Doch jene Frage, die sich ihm seither immer wieder stellte, wollte er nicht unter allen Umständen beantwortet hören.

„Ich hatte Angst, dich für alle Ewigkeit verloren zu haben.“, doch wärst du dann hier? „Mein Leben lang habe ich nach dem einen Menschen gesucht, bei dem ich der sein darf, der ich bin. Und als ich den Einen, der mir das Gefühl gegeben hat, dass ich mich selbst lieben kann, gefunden habe, habe ich es nicht einmal bemerkt und ihn schließlich verloren.“

Junas Augen glitzerten heller als die Sterne über ihnen und waren klarer als die Luft, die sie beide umgab.

„Ich will nicht mehr alleine sein, jetzt, wo ich es endlich verstanden habe. Es tut mir leid, Ryne.“

Eine einzelne Träne rann über Junas Wange und noch bevor die Kälte sie getrocknet hatte, konnte Ryne sie auch schon nicht mehr sehen, denn Juna hatte seine Lippen auf die seinen gelegt. Als des Kleineren Fersen schließlich wieder den Boden berührten, war die Träne der Vergangenheit gleich.

„Happy Birthday, Ryne.“

Chapter 16

Noch bevor das Feuerwerk das neue Jahr eingeleitet hatte, hatten Ryne und Juna die Dunkelheit des Parks, welche sie einander wieder ein Stück näher gebracht hatte, verlassen und die Dunkelheit Junas Wohnung betreten. In jenem Moment ging hinter ihnen eine weitere Rakete in die Luft und erhellte die kahlen Wände, die Ryne vor sich fand. Dann war das Licht wieder erlöschen, die Wohnung dunkel, kalt und einsam.

Wo das Mädchen geblieben war, war eine Frage, die Ryne nicht ausgesprochen hatte und dennoch schien die Luft sie zu Juna getragen zu haben, der antwortete: „Ich habe mich von ihr getrennt. Letztlich habe ich sie nur verletzten können, auch wenn sie mir wichtig war.“

Ryne trat einige Schritte an Juna, der sich ihm zugewandt hatte, heran. Seine große Hand, die noch eine gewisse Kälte von den Stunden, die sie draußen verbracht hatten, besaß, lag schließlich an Junas Hals. Unter dessen Haut spürte Ryne das Blut in den Adern pochen.

Junas Rollkragen erwies sich als hinderlich, dennoch fuhr Rynes Hand fast spielend leicht unter den wollenen Stoff, bis zu dem Punkt, an dem Junas Hals in die Schultern überging. Juna schloss daraufhin die Augen und senkte sein Kinn in die Richtung, aus der Rynes Hand gekommen war. Jene Berührung ließ seine Haare sich aufstellen, seinen Körper für den Bruchteil einer Sekunde erzittern.

Dann zog Ryne seine Hand zurück, legte sie erneut unterhalb des Kragens auf. Von dort glitt sie über Junas Brust, tastete nach etwas, was sie nicht fand und zog sich zurück, sodass sie wieder bei Ryne landete, der seinerseits einige Schritte zurückwich.

„Du trägst ihn nicht mehr..?“

Für einige Momente reagierte Juna gar nicht. Erst, als Rynes Worte nicht nur an seine Ohren gedrungen waren, sondern er sie auch begriffen hatte, trat wieder Ausdruck in sein Gesicht.

Junas Schultern begannen zu fallen und mit einer kurzen Muskelbewegung, die kaum dazu gedacht schien, die Jacke abzustreifen, geschah genau dies und die Jacke blieb am Boden liegen. Von den wärmenden Accessoires, die Juna zuvor noch getragen hatte, blieb nur ein einzelner Handschuh.

Mit der linken Hand, die, seitdem Juna im Park Halt gemacht hatte, nackt war, befreite er schließlich auch die rechte von jenem Handschuh. Demonstrierend hielt er diese nun vor die Brust, die Finger weit voneinander gestreckt. Und vom rechten Finger, zuvor vom Handschuh verdeckt, blitzte silbern jenes Objekt, welches Ryne gesucht hatte, im Feuerwerkslicht und blendete Junas gegenüber kurzzeitig fast.

„Ich hätte mit niemanden mehr zusammen sein können, der mich nicht so akzeptieren kann, wie ich bin. Und so bin ich nun einmal, Ryne.“

So ging Ryne mit bedächtigen Schritten auf seinen Freund zu, machte kurz vor ihm Halt und verschränkte die eigene linke mit Junas rechter Hand. „Ich hab’ ein ganzes Jahr auf diesen Moment gewartet. Immer darauf gehofft.“ Rynes Lippen berührten des Kleineren Handrücken und legten einen sanften Kuss auf ihn. Gleichzeitig hörte Ryne den anderen laut einatmen. „Es tut mir Leid!“, kam es durch die fest aufeinander sitzenden Zähne gequetscht von Juna, der krampfhaft versuchte sich gegen seine aufkommenden Gefühle zu wehren. „Ich hab’s einfach nicht ausgehalten! Ohne dich... Ich hatte Angst, dass du mich nicht mehr sehen wolltest! Verzeih mir!“

Dann fühlte er zwei starke Arme, die sich um seinen Körper geschlungen hatten und ihn davon abhielten langsam zu Boden zu gleiten. Flüsternd erreichten ihn Rynes Worte, die ebenso wärmten wie dessen Körper: „Es gibt nichts zu verzeihen. Ich hab’ mich doch auch lieber versteckt, als etwas zu unternehmen...“

Juna hatte viel dagegen einzuwenden und dennoch blieb er still, denn ihr Schweigen hatte wieder die alten Züge angenommen.

Und dann passierte der Sekundezeiger die zwölf und mit einem Mal ertönten von außerhalb all die Feuerwerkskörper, die sich bis hierhin gehalten hatten. Der Nachthimmel erleuchtete in allen Farben, hob sich über die kleinen Figuren unter ihm hinweg und alles Alte, Vergangene war vergessen, als der erste Schnee des Jahres zusammen mit Asche sanft zu Boden fiel.

Chapter 17

Der stetige Widerhall des Feuerwerks war bereits lange erstickt, als noch immer durchsichtige Kristalle vom Himmelszelt fielen um mit dem Auftritt auf den Boden zusammen mit ihren Vorgängern eine reinweiße Schneedecke zu bilden. Eben jener weiße Teppich gefrorenen Wassers glitzerte im zarten Licht des ersten Januartages, welches sich immer wieder an den helldurchscheinenden Wolken vorbeischlich und auch in Junas Wohnung fiel.

Ein letztes Mal bevor er sich zum Aufstehen zwingen würde, drehte sich Ryne um. Neben sich sah er durch die beinah zusammengekniffenen Augen die Decke zu einem Wall aufgebauscht. Als er diesen mit beiden Armen umfasste, drückte sich alle Luft aus den Fasern und Ryne wusste, dass sein Freund nicht mehr neben ihm lag.

Für einen Moment lag Ryne weiter ruhig da, einen Arm weit über die andere Betthälfte, die zuvor von Juna eingenommen worden war, ausgebreitet. Dann schoss die Tür zum Badezimmer auf und Juna trat wieder in des Dunkelhaarigen Blickwinkel. Kurz darauf hatte er sich schon vor dem Bett niedergelassen, die Knie auf dem Boden abgestützt und den Kopf auf die auf dem Matratzenrand übereinander gelegten Arme gebettet.

„Bist du endlich wach? Dein Dornröschen hat auf seinen Prinzen gewartet.“

„Ach, June...“, erwiderte Ryne und reckte sich ein Stück weit um des anderen Wange streicheln zu können.

Dann lag Junas kleinere Hand auf seiner, unter welcher er die Wärme Junas Haut spürte.

„Lass uns raus gehen. Komm schon!“ Damit umschloss die kleinere die größere Hand und zog sie sanft an sich, sodass Ryne nichts anderes blieb, als aufzustehen.
 

Kaum hatte sich Ryne seinen Mantel übergeworfen, hielt Junas Hand auch schon wieder die seine und riss ihn mit sich in die weiße Winterlandschaft, die sich vor ihren Augen auftat. Den Schneekristallen gleich strahlten braune Augen und brünette Strähnen hüpften auf und ab mit jedem Schritt, den Juna überschwinglich tat. Es war seine Ausgelassenheit, die auch bis in Rynes Innerstes reichte und die Narben, die sich dort über ein Jahr angesammelt hatten, zu verdecken begann.

Und dann nahm Juna einen Schritt rückwärts zu viel, kam ins Rutschen und auch seines Freundes starken Arme waren nicht mehr in der Lage ihn zu halten, sodass zwei Körper zugleich ins weiche Weiß fielen. Für einen Moment breitete sich die Stille der Umgebung auch zwischen den beiden Gestürzten aus, doch Junas Lachen durchbrach diese schnell und auch Rynes Züge lockerten sich so wie sie es früher getan hatten, wann immer Junas Tollpatschigkeit Ryne darin bestätigte, dass er den anderen zu beschützen hatte.

Rynes Fingerspitzen berührten die Kopfhaut des anderen, der unter ihm im Schnee lag. Als sich diese fortbewegten, stieß auch Rynes Handfläche auf Junas Haut und seine Finger fuhren durch weiches Haar.

„June, hast du dir den Ring schon einmal genauer angesehen?“

Rynes Ton war selbst für Juna unergründlich, doch sofort legte er seine rechte, mit dem Ring bestückte Hand an seine Brust, hielt einen Moment inne und warf dann den ausgezogenen Handschuh beiseite um einen weiteren Moment nur auf seine Hand zu sehen.

„Damals hast du noch nicht lesen können, aber...“

Also nahm Juna die eine Hand in die andere und schob langsam den Ring vom Finger um ihn sich genauer zu betrachten. Die in die Innenseite gravierten Worte, welche er zuvor nie bemerkt hatte, passierten leise, fast ungewollt seine Lippen. „Ewig meinem Liebsten“

„Das war der Ring meiner Mutter an meinen Vater.“

Nun blieben Junas Lippen verschlossen, kein weiteres Wort würde an ihnen vorbeikommen.

„Wer hätte gedacht, dass sich alles so fügen würde...“ Nochmals streichelten die Finger des Dunkelhaarigen durch das Haar seines stummen Freundes, der daraufhin die Lider schloss, sie wieder aufschlug und den über ihn gebeugten anlächelte, wie dieser es sich gewünscht hatte.

„Danke, Ryne.“

„Alles Gute zum Geburtstag, June.“
 

Wie eine schützende Schicht hatte sich der Schnee über die ganze Stadt gelegt und dabei an Dichte und Höhe gewonnen. Außer dem Asphalt, der die größten Straßen ausmachte, lag der Boden bedeckt, sodass schon eine Ahnung, wo sich die ersten Frühlingsboten ihren Weg durch die Schneedecke suchen würden, zu viel verlangt war. Und doch tat sich in zwei Köpfen der gleiche Gedanke auf:

Sie waren Kämpfer und würden Jahr für Jahr wiederkehren, was auch immer sich ihnen in den Weg stellte, wo auch immer sie einen Weg ans Tageslicht finden würden. Sie würden nicht aufgeben, denn sie waren Kämpfer.



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Kommentare zu dieser Fanfic (65)
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Von:  Annatar
2010-08-14T14:51:13+00:00 14.08.2010 16:51
Wuuuundervoll <3
Das einzig unlogische ist, dass Juna den Satz noch nicht vorher entdeckt hat! *lach* Aber das ignoriere ich hiermit gekonnt.
Ich liebe das Ende. s hat etwas so euphorisches, etwas so mutig und lebendiges.
Ich könnte so vieles aufzählen, aber ich beschränke mich darauf, dir zu sagen, dass ich deine Geschichte wirklich sehr gelungen finde. All die Momentaufnahmen, die zusammen ein fabenkräftiges Bild ergeben, von lebendig, zu düster, von düster zu lebendig, gewillt sich dem Kreislauf des Lebens zufügen und nicht aufzugeben, was auch geschieht. <3
Ich muss sagen, dass ich das mit den Geburtstagen auch super finde, wieder so eine Kleinigkeit. Herrlich <3
Die letzten Kapitel gingen so schnell vorbei ... jetzt ist die Geschichte tatsächlich zu ende.

Nun, ich hoffe, du schreibst bald eine neue <3

Allerliebste Grüße,
karura
Von:  Annatar
2010-08-14T14:42:10+00:00 14.08.2010 16:42
Ich komme mir immer schäbig vor, weil meine Kommentare so kurz sind ... Ich hoffe, du verzeihst mir!
Jedenfalls hat mich dieses Kapitel glücklich gemacht. Es war spannend und befriedigend. Es war schön. <3 Ich bin glücklich, dass die beiden endlich zueinander gefunden haben. Auch die Idee mit Sylvester finde ich schön, vorallem wie du das Neu Jahr mit der Geschichte verknüpft hast.
Es gibt so viele Kleinigkeiten, die deine Geschichte schön machen. Dass Juna den Ring nun am Finger trägt, und nicht mehr als Anhänger zum Beispiel. Hach! <3

Nur zwei kleine Sachen dieses Mal:

"Dann war das Licht wieder erlöschen"
Erloschen~

"(...)im Feuerwerkslicht und blendete Junas gegenüber kurzzeitig fast"
Das fast würde ich weglassen, es passt einfach nicht hin~

Aller liebste Grüße
Von:  Annatar
2010-08-14T14:30:52+00:00 14.08.2010 16:30
Kurz das Formelle:

"Doch Junas Antwort glich nicht dem, was Ryne von ihr erwartet hatte."
Zu umständlich, einfach in diesem Fall schöner~ "Doch Juna antwortete anders als erwartet".

"Doch die Tür öffnete sich ihm viel früher als er es dank des letzten Besuchs erwartet hatte"
"Dank des letzten Besuchs" würde man nicht sagen, zumindest nicht Dank. --> "Wegen des letzten Besuchs" ;3


"Und dann hatte sich, so kam es Ryne, welcher den Blick nicht von Juna abgewendet hatte, vor, schlagartig die Umgebung verändert."
"Und dann hatte sich, so kam es Ryne vor, (...)" sonst ist das so ein Kommagewurschtel~ Generell musst du ein bisschen darauf achten, dass deine Sätze nicht zu viele Nebensätze enthalten. Aber auch nur manchmal.

So weit, so gut.

AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAH!♥
Endlich, endlich, ENDLICH!
Ich hoffe, bete nur, dass Ryne ihn jetzt nicht zurück stößt!

Von:  Annatar
2010-08-14T13:55:54+00:00 14.08.2010 15:55
"Bis zum Horizont hatte sich eine dunkelgraue Wolkendecke gelegt, die es unmöglich machte"
Sooft beschreibst du zuerst das Wetter, das gefällt mir sehr und gibt dem jeweiligen Kapitel sofort eine Richtung und verbreitet vom ersten Moment an eine gewisse Stimmung.

"Doch der Nacht zuwider waren die Straßen gefüllt mit Passanten"
"Zuwider", so wie du es benutzt hast, heißt hier nun so viel wie, dass die Nacht es "nicht gut findet" dass die Straßen mit Passanten gefüllt sind. Ich würde den Satz umformulieren~ Vielleicht "Trotz der Dunkelheit (...)".

"welches eindeutig von der Sonne aus dem Himmel geschickt war"
Wurde, oder worden war~

"Junas letzter Besuch hatte ihm die Augen geöffnet und zwei Monate, die seitdem vergangen waren, waren für Ryne genug um sein Leben wieder in den Griff zu bekommen."
Dachte ich es mir doch ... Trotzdem finde ich Junas Worte grausam, aber vielleiht war es eben genau diese Grausamkeit, der Ryne bedurft hatte.

"erhofft und dennoch nicht mit den Worten auf den Lippen, die sich Ryne erwünscht hatte"
GEwünscht ;3

"doch gleichzeitig war ihm bewusst geworden, dass er sich auch über das Glück des anderen freute und unglaublich freuen konnte."
Wow, wirklich ... das ist stark, das ist tapfer. Ich bin beeindruckt.

"es war ihm klar geworden, dass er nun endlich seinen June beschützen konnte, wie er es ihm immer versprochen hatte."
Nachdem er sich jetzt zusammengerissen hat, bewundere ich eben das umso mehr ... Es muss unglaublich schwer sein und sein Entschluss ihn zu beschützen ist wirklich selbstlos, in der Hinsicht, dass er sine Gefühle zurück stellt, damit er den anderen beschützen kann. <333
Von:  Annatar
2010-08-14T13:44:46+00:00 14.08.2010 15:44
Ein sehr sanftes, zartes Kapitel, wie ich finde. Dennoch muss ich sagen, dass meine Wut auf Juna sich noch nährt von dem, was darin steht. Er mag ihr zwar nicht sagen, dass er sie auch liebt, lügt sie zumindest mit Worten nicht an. Andererseits flüchtete er sich nur in ihre Wärme und Stärke, ihre Zärtlichkeit, ohne zu bedenken, dass, selbst wenn er es nicht will, er sie damit verletzt. Und noch verletzen wird. Das Mädchen tut mir Leid ... Nur weil Juna vor seinen Gefühlen flieht, es nicht fertig bringt, seine Angst zu überwinden, seine Furcht, wird er ihr weh tun, tut es schon, während Ryne noch immer leidet.

Ansonsten kann ich nur sagen, wundervoller Stil, wundervoll zu lesen~
Von:  Annatar
2010-08-14T13:35:50+00:00 14.08.2010 15:35
Nein, nein nein! Wie kann er ihn gehen lassen!
Ich finde, Ryne hat das Recht zu Schweigen, schließlich hat Juna sich von ihm distanziert. Oh Gott, wie grausam sind die Worte, die er Ryne sagt. "Ich habe mich nach dir gesehnt" Wäre ich er, ich wäre gestorben bei diesem Satz ...
Nach einem Jahr kommt er zu ihm, auch nur weil er ihn auf der Straße gesehen hat, und ist so dreist und grausam zu ihm. Denn dreist ist es zu sagen "Wenn du ihn wiederfinden solltest, sag ihm, dass ich ihn gern wiedersehen würde." Auch wenn er Ryne vielleicht damit aufrappeln kann, so ist es dennoch nicht fair, im Vorbehalte zu machen. Das scheint, zumindest mir, sehr egoistisch ... weil ER sich sehnt, weil ER sich einsam fühlt. Der Arme! Er hat sich eine Freundin angelacht und übersteht die Zeit gut, während Ryne ein langes Jahr lang gelitten hat.
Entschuldige, ich rege mich gerade auf ... aber andererseits kann ich auch Junas Angst nach vollziehen. Wie dem auch sei~

"Eingefallene Wangen unter denen die Knochen hervorblitzen"
"Hervorblitzen" finde ich etwas unpassend für Haut. Eher "hervorstechen".

"geöffnete Augen, die leerer schienen als die eines Schlafenden"
Unlogisch, die Augen eines Schlafenden sind (normalerweise) geschlossen und somit können sie nicht leer sein, oder erscheinen, weil man sie ja nicht ansehen kann, um das zu befinden.
Vielleicht die Augen eines Toten? Obwohl das wohl schon ein zu krasser Vergleich ist.

"hätte es noch eine Farbe besessen, nun jeglicher bestohlen sein würde."
Beraubt fände ich schöner :3

Liebe Grüße <3

Von:  Annatar
2010-08-14T12:58:29+00:00 14.08.2010 14:58
Ich muss JunaeSora zustimmen. Ich kann zwar verstehen, dass Juna Distanz braucht, aber ein Jahr? Ein Jahr ist so eine ewig lange Zeit ... und sie waren vorher so gute Freunde. Es ist grausam von ihm, dass er den Kontakt gänzlich abgebrochen hat. Es seidenn natürlich er liebt ihn noch immer und hat es sich nicht getraut ...
Ah, es ist so spannend, verzeih mir die Kürze des Kommentars, ich muss weiter lesen.
Von:  Annatar
2010-08-07T10:51:42+00:00 07.08.2010 12:51
Das Wetter ist besser, das hebt meine Laune ein wenig. Dennoch ... dort in der Sonne zu sitzen und zu hoffen. Wie muss das wohl sein ...
Ich weiß nur wie man im Grauen hofft, während der Schmerz einen auffrisst.
Ach Ryne ...

"Ein blutrot gefärbtes Blatt fiel von einem der knöchernen Äste des Baumes, der über die Mauer hin weit über die schmale Straße reichte, und landete auf Rynes Schulter, wo es am Filz seines Mantels hängen blieb."
Mach zwei Sätze draus, das liest sich flüssiger.
"Ein blutrot gefärbtes Blatt fiel von einem der knöchernen Äste des Baumes, der über die Mauer hin weit über die schmale Straße reichte. Es landete auf Rynes Schulter, wo es am Filz seines Mantels hängen blieb."

"Fast immer trieb es ihn an diesen Ort, wenn er eigentlich vorhatte der Realität und der damit verbundenen Vergangenheit zu entfliehen."
Lass das "eigentlich" weg, das wird später sowieso klar.

"Gegen die Mauer lehnend, die den Baum von der Straße trennte, fiel des Dunkelhaarigen Blick in jedem Fall auf die gräuliche Wand des Wohnhauses, in dem sich Juna ein Zimmer gemietet hatte."
"In jedem Fall" ist etwas umständlich.
"Doch gegen die Mauer lehnend, die den Baum von der Straße trennte, fiel des Dunkelhaarigen Blick auf die gräuliche Wand des Wohnhauses, in dem sich Juna ein Zimmer gemietet hatte." Reicht völlig aus. Mit dem "doch" hättest du dann das "eigentlich" ersetzt. Was meinst du?

"bis in ihren Zenit gewandert und erinnerte den unter ihr Wartenden daran, dass es Zeit zu gehen war."
"In ihren Zenit gewandert", ist auch ein bisschen unpassend. Es ist ja mehr ein Steigen, oder von mir aus erklimmen, weil es der höhste Punkt ist. Wenn du diese Aufwärts-Bewegung klar machst, fände ich es schöner.

"schritten die Massen beider Straßenseiten schnell vor,"
Warum das vor? Sie "schreiten vor"? Lass das vor doch einfach weg~

"so war es ihm nun klarer denn je zuvor und der stechende Schmerz in seiner Brust erreichte einen neuen Rekord"
"Rekord" fällt aus dem Rahmen und ist absolut unpassend. Er versinkt gerade in neuen Wogen des Schmerzes, da passt "Rekord" nicht rein.
"und der stechende Schmerz in seiner Brust erreichte einen neuen Höhepunkt". Oder eine ganz andere Formulierung vielleicht?

Ansonsten habe ich wieder mit Ryne gelitten ...
Die geliebte Person mit jemand anderem zu sehen, ist grausam. Die geliebte Person glücklich zu sehen - und unglücklich zu sein, das ist grausam.
Was wird nur aus den beiden ...?

Liebe Grüße,
Karura
Von:  Annatar
2010-08-07T10:24:22+00:00 07.08.2010 12:24
Oh. Mein. Gott. Als Juna zersplittert, wie habe ich gezittert!
Der Traum ist genial. ich dachte natürlich zuerst es wäre die "reale" Vorsetzung des letzten Kapitels.
Hach. Ich kann es mir wieder genau vorstellen. Dieses Grau in Grau, dass es einem vorkommt, man sei in einem Käfig aus Nebel gefangen. Man ist hilflos, Ryne ist hilflos, er kann es nicht verändern. Er muss es hinnehmen, denn es ist Junas Entscheidung. Ich kann mir vorstellen, wie er sich gefühlt haben muss ... Voller Angst und dennoch die Hoffnung in sich tragend, die dann, mit Juna zusammen zersplittert.

Auch hier nur ein paar kleine Dinge:

"seine Augen allerdings zeigten ihm einen eigenen Schleier auf, der sich über jeden Nerv (...)"
Wenn du "seine Augen" schreibst, denke ich zuerst an einen Tränenschleier, aber dann das mit den Nerven etc. ... es ergibt irgendwie ein unstimmiges Bild, weil die Augen keinen Schleier aufzeigen können, der sich über Nerven spannt. Weißt du was ich meine?
Die Augen zeigen ihm, das beziht sich auf die Umgebung, außen. Der Nerv, die Gedanken und Erinnerungen aber sind innen. Es sind drei Ebenen, die du vermischst. Die Umgebung, außen, der Nerv, innen im Körper und die Erinnerungen im Geiste. Viell. soetwas wie:
"Er jedoch war von einem ganz eigenem Schleier umhüllt, der sich über jeden Nerv etc." Dann ordnest du den Schleier keinem der Ebenen zu und kannst das Bild stimmig halten.


"Seit damals holten ihn Junas letzten, an ihn gerichteten Worte immer wieder ein." Junas letztE Worte, oder?

"erneut feststellen musste, erlag er seiner eigenen immer größer werdenden Schwäche, die ihn raustrieb, weit weg von den schmerzenden Bildern."
Das Gefühl kenne ich so gut ... das hatte ich früher immer, wenn Freunde bei mir waren und dann wieder nach Hause gegangen sind. Plötzlich ist das Lachen fort, der Raum ist nicht mehr ausgefüllt. *seuftz*
Armer Ryne ... so lange Zeit ...
Von:  Annatar
2010-08-07T10:07:37+00:00 07.08.2010 12:07
Ach, wie schön man aus dieser Geschichte einen Film machen könnte!
Ich sehe alles so klar und deutlich vor mir, als würde ich es auf einer Leinwand sehen. Das Grau, der Regen ...
Auch hier spiegelt die Umgebung, bzw. das Wetter ihr Innenleben wieder, nicht? Es hat sich noch immer nichts geändert (das Wetter ist dasselbe), sie sind noch immer in diesem Moment vor der großen Entscheidung. Die Gespräche, die sie führen, sind so echt, so hautnah. Das liebe ich wirklich.

Ich habe nur ein paar kleine Sachen gefunden, an denen man feilen könnte.
"Ryne senkte sein Tempo wieder, (...)". Viell. etwas wie Ryne verlangsamte seinen Schritt? "Senkte das Tempo" klingt zu sehr nach Maschienen, finde ich. Oder "ging langsamer".

"Auch die Umgebung wurde ruhiger (...)"
Wie soll die Umgebung ruhiger werden? Was meinst du genau? Man kann sich nicht wirklich vorstellen, was du nun meinst. Sind es Geräusche, die verklingen, ist es der Regen, der nachlässt? Eine ein wenig präzisere Beschreibung wäre schön.

"Der bedrückenden Stille letztlich nachgebend begann Juna plötzlich seinen Monolog."
"Begann seinen Monolog" ist falsch, denn sie führen ja einen Dialog. Zudem klingt es etwas fehl am Platz. "Plötzlich sagte Juna (...)", ganz einfach. Fände ich schöner. Das, was er sagt, hat Aussage genug.

"Wind schickte den Regen direkt unter den Regenschirm gegen Rynes Körper. Dennoch bewegte er sich kein Stück weit."
"Schickte" ... hm. Das Wort finde ich unpassend. Du könntest das ganze etwas ausweiten. "Der Wind peitschte den kalten Regen gegen seinen Körper. Dennoch blieb er stehen, verweilte, wo er war, ohne sich zu bewegen." Was meisnt du?

Ansonsten wirklich wunderschön.
Und: ich bin so gespannt! Nimmt er die Wohnung nun, oder nicht?

Liebe Grüße,
Karura



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