Zum Inhalt der Seite

Complications

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Prologue

Für Kristina. Sie wollte eine Liebesgeschichte. Sie kriegt eine.
 

- - -
 

"Ich liebe Komplikationen. Wenn mir etwas zu simpel ist, schlafe ich auf der Stelle ein."
 

- - -
 

Er war groß, dunkelhaarig, braungebräunt - und ich mochte ihn auf Anhieb nicht.

Ganz zu meinem Leidwesen war aber genau dieser Mann mir eben als mein neuer Partner vorgestellt worden. Mit ihm musste ich also die nächsten zwei Monate am aktuellen Projekt arbeiten.
 

Es war die erste größere Aufgabe, die mir aufgetragen wurde und die ich eigentlich selbstständig zu erledigen hatte. Selbstständig - ein Wort, das implizierte, dass niemand sonst sich in meine Angelegenheiten einmischen oder mich gar behindern würde. Ich war entschlossen, sie souverän zu meisten.

Doch falsch gedacht. Da war er, der Haken.

Der Haken hatte dunkle, grüne Augen, die mich abschätzig musterten, und eine athletische Figur. Er hörte außerdem auf den Namen Jason Cornell und ich war mir sicher, dass seine Initialen auf weiblichen Hintern und ein gebrochenes Herz die einzigen Dinge waren, die er seinen Eroberungen hinterließ. Ich kannte doch diese Art Mann. Und deshalb ließ ich mich auch nie mit ihr ein.

Ja, ich mochte ihn definitiv nicht. Je länger ich ihn betrachtete, desto klarer wurde es mir. Er war dieser Typ Mann, der viel zu überzeugt von sich selbst war und es auch offen zeigte. Schon allein, wie er mich jetzt anstarrte, während mein Chef, ein kugelrunder, aber absolut weichherziger Mann in seinen Fünfzigern, Mr. Pullman, uns die Lage schilderte: als wäre ich ein Stück Fleisch. Oder noch schlimmer: als wäre ich ein hilfloses Weibchen, dem nichts zuzutrauen war!

Innerlich ging ich schon in Kampfstellung. Ich würde ganz sicherlich nicht klein beigeben oder mich von seinem Schuljungenlächeln einlullen lassen. Das hier war mein Projekt - und er nur ein unwillkommenes, kleines Extra. Ein Handicap, das ich schon zu handeln wissen würde. Und sollte er auch nur einen Versuch wagen, mir in irgendetwas hineinzureden, würde er die wahre Amy kennen lernen!

"Miss Michaels, hören Sie mir zu?", holte mich Mr. Pullman höflich aus meinen Gedanken heraus. Ich konnte nur hoffen, dass ich keine Miene verzogen hatte, die meiner Meinung von Jason "Ich-bin-ein-toller-Hecht" Cornell entsprach.

"Natürlich", log ich ungeniert und setzte sofort wieder einen interessierten Gesichtsausdruck auf. Ich kannte sowieso bereits jede Einzelheit des Projekts, also konnte ich es mir auch leisten, den Exkurs darüber zu schwänzen. Zumindest gedanklich. Jason "Heartbreaker" Cornell ignorierte ich einfach, obwohl er mich noch immer mit unergründlichem Blick anstarrte.
 

"Ich lasse sie zwei jetzt erst einmal allein, damit sie sich besser kennen lernen können", verkündete Mr. Pullman nach seinen Ausführungen und zwinkerte mir dabei ziemlich auffällig zu. Ich verdrehte die Augen. War mir dann auch egal, ob Cornell das gesehen hatte oder nicht.

Bill, so hieß mein Chef mit Vornamen, verdrückte sich mit einem Grinsen aus dem Konferenzraum, in dem so plötzlich, ohne seine Plauderei, eine unangenehme Stille herrschte. Ich dachte nicht daran, auch nur den Versuch zu unternehmen, das zu ändern.

Cornell hingegen räusperte sich lautstark, um auf sich aufmerksam zu machen, und ich tat ihm den Gefallen und blickte ihn endlich an.

Er schien es als Einladung zu interpretieren, mit mir kommunizieren zu dürfen, und lächelte. Vor meinem inneren Auge sah ich die dreitausend vollbusige Blondinen in Bikinis, die reihenweise in Ohnmacht gefallen waren, nachdem er sie in der Vergangenheit eben so angelächelt hatte. Tja, ich war zwar - irgendwie - blond, aber einen Bikini hatte ich nicht an.

"Also... Amy, richtig?" Wow, er hatte sich meinen Namen gemerkt. Sollte ich jetzt applaudieren? Eine Antwort schien er jedenfalls nicht zu erwarten, so überzeugt war er von sich selbst. "Wie wär's, wenn wir mit einem Drink auf unsere künftige Zusammenarbeit anstoßen? Unten an der Promenade gibt es eine nette Bar."

Aha, der schien ja keine Zeit zu verlieren. Das war das Stichwort für mich, glitzernde Sternchen in den Augen zu bekommen und ihm einen schmachtenden Blick zuzuwerfen. Stattdessen aber fischte ich seelenruhig nach meiner Handtasche, die an der Stuhllehne hing, und warf ihm ein zuckersüßes Lächeln zu, das er - wer hätte es geahnt? - siegessicher erwiderte.

"Leider habe ich jetzt keine Zeit", sagte ich, so affektiert wie ich nur konnte, und wusste, dass es gar nicht so klang, als hätte ich "leider" keine Zeit.

Jason's Lächeln gefror zusehends in seinem Gesicht und er runzelte kurz die Stirn. Das war ihm neu, so abgeschmettert zu werden. Armer Junge.

"Dann vielleicht-"

"Und, Mr. Cornell, mein Name ist Michaels", unterbrach ich ihn freundlich, aber bestimmt, warf ihm ein letztes, unechtes Lächeln zu und verließ nach dieser Kampfansage ohne ein weiteres Wort den Konferenzraum.

Das sollte sogar er verstehen können.

- 1 -

"Amy." Marley seufzte. "Findest du nicht, du übertreibst?"

Das fand ich allerdings nicht. Ich hatte mich mit Marley, meiner besten Freundin, getroffen, um mich bei ihr auszujammern, aber sie schien heute nicht sonderlich empfänglich für meine Probleme zu sein.

Ich kannte Marley, seit wir sechs Jahre alt waren, und trotz ihres etwas sonderlichen Namens hatte ich sie doch sofort ins Herz geschlossen. Sie war gerade mit dem Studium fertig geworden und absolvierte ihr erstes Jahr als Lehrerin an einer Grundschule. Darüber hinaus war sie immer auf dem neuesten Stand der Mode, und obwohl sie keine Millionen verdiente, schaffte sie es immer, das ein oder andere Designerstück abzustauben. Das einzige, was mir manchmal an ihr missfiel, war die Tatsache, dass sie immer so verdammt vernünftig war, so wie jetzt zum Beispiel.

"Nein", antwortete ich störrisch und verzog grimmig das Gesicht. "Mr. Pullman hatte mir versprochen, dass ich die Inneneinrichtung selbst übernehmen darf, aber dann stellen sie mir so einen blöden, arroganten Architekten zur Seite, der Babysitter spielen soll!"

Marley lächelte gequält. "Er soll doch nur deine Ausgaben überprüfen."

"Sag ich doch!" Ich schlug mit der Faust auf die weiche, rote Armlehne und ein paar Popcornkörner kullerten aus der Tüte, die ich auf dem Schoß hatte. Wir saßen im Kino, waren aber zu früh dran gewesen und weder Film, noch Werbung hatten bis jetzt angefangen.

"Das ist doch bei vielen Projekten so, wenn verschiedene Firmen zusammenarbeiten", gab Marley mir zu bedenken. "Das hat bestimmt nichts damit zu tun, dass dir mangelndes Vertrauen entgegengebracht wird."

Ich knurrte. "Trotzdem. Mr. Pullman hätte sich ein wenig für mich einsetzen müssen."

Sie zuckte mit den Schultern. "Dafür kann er doch wirklich nichts, immerhin kriegt er auch nur Befehle von weiter oben, oder?"

Da hatte sie allerdings recht. Ich murrte irgendetwas Zustimmendes, aber meine Wut war dadurch noch lange nicht abgeklungen.

"Und dieser Jason!" Den Namen sprach ich absichtlich aus, als wäre er eine Seuche. "Eingebildet bis zum Geht-nicht-mehr! 'Gehen wir noch auf einen Drink?'", äffte ich ihn blasiert nach, um Marley einen kleinen Eindruck von seiner Arroganz und Widerwärtigkeit zu verschaffen.

Sie kicherte. "Klingt jedenfalls nach einem selbstsicheren, jungen Mann."

Ich rollte mit den Augen. "Nur, wenn du es über alle Maßen positiv ausdrücken willst. Ich wette, der hat jeden Abend an jedem Finger fünf von diesen dummen, hirnlosen Blondinen, die täglich so am Strand rumhängen und sich für It-Girls oder Schauspielerinnen halten. Na ja, passt ja gut zusammen."

Marley steckte die Hand in meine Popcorntüte. "Mein Gott, Amy, du bist heute ja besonders gehässig. Du kennst ihn doch gar nicht, wie kannst du so was dann schon so pauschal über ihn sagen?"

"Ich kann es eben", erwiderte ich. "Ich bin doch nicht blind. Und wieso musst du immer alle verteidigen? Du kennst ihm ebenso wenig, und es ist viel wahrscheinlicher, dass ich recht habe, als dass er tief in seinem Inneren ein sensibler, anständiger Kerl ist, der das nur durch sein oberflächliches Äußeres kaschiert." Ich schnaubte verächtlich. Diese Theorie Marley's kannte ich schon, das sagte sie immerhin ständig über irgendwelche Menschen, die sie kaum kannte. Sie war ein unverbesserlicher Optimist mit ihrer "Alle Menschen sind im Grunde ihres Herzens gut"-Einstellung.

Marley schien ein wenig beleidigt, dass ich ihre Lebenseinstellung in Frage stellte und so wenig davon hielt. "Kann doch sein", murmelte sie eingeschnappt und kaute auf ihrem Popcorn herum. Extra lange sogar, damit sie nicht mit mir reden musste.

Das war der Grund, warum Marley Lehrerin geworden war und ich Innenarchitektin. Sie glaubte daran, Kinder zu besseren Menschen erziehen und ihnen wichtige Sachen für's Leben vermitteln zu können; ich hingegen kam besser mit leblosem Material klar. Häuser und Wohnungen einrichten, Büros, Hotels - das war mein Metier. Ich wollte weder die Welt verbessern, noch die Menschen um mich herum, höchstens die Einrichtung. Ästhetik war so viel einfacher zu schaffen als "das Gute im Menschen".

Marley sagte oft, ich wäre eine Zynikerin. Und dann folgte meist die obligatorische Theorie von dem trinkenden Vater, der uns verlassen hatte, als ich fünfzehn war, und sich nie wieder meldete, der Mutter, die alles mit sich hatte machen lassen, und dem älteren Bruder, der viel zu früh von zu Hause abgehauen war und sich nun erfolglos irgendwo in Hollywood herumtrieb, fest der Überzeugung, er könnte einmal groß rauskommen. Aber bis jetzt hauste er in einer Vierer-Wohngemeinschaft mit drei ebenso erfolgslosen "Schauspielern" in einer Zweizimmerwohnung, die viel mehr kostete, es sie eigentlich im gesamten Rest der Welt dürfte - für L.A. natürlich ein angemessener Preis -, und als billige Aushilfskraft in einem Fast Food-Restaurant arbeitete. Da war es doch kein Wunder, dass mir die Welt nicht immer rosig und himmelblau erschien. Sie war es schließlich auch nicht.

"Und wie werd ich ihn jetzt los, ohne das Projekt zu verlieren?", jammerte ich weiter. Ich musste Mr. Babysitter Jason Cornell unbedingt ins Boxhorn jagen, denn wenn er erst mal anfing, mir Vorschriften zu machen, würde er nie damit aufhören. So waren Männer nun mal. Fühlten sie, dass sie die Macht über jemanden hatten, konnten sie nicht anders. So war es bei meinem Vater und so war es bei jedem anderen Typen auch. Warum sollte Jason also die Ausnahme sein? Besser war es, er wüsste sofort, wo er stand und dass ich mir nicht würde ins Handwerk pfuschen lassen. Immerhin war ich hier die Inneneinrichterin und hatte mehr Ahnung von der Materie, als er! Und wieso sollte ich einem Mann erlauben, meine Arbeit zu bewachen? Das hier schrie förmlich nach Unterdrückung und Ungerechtigkeit! Glaubten seine Bosse etwa, dass ich – eine Frau wohlgemerkt – das Ganze nicht ordnungsgemäß ausführen könnte? Und dann diese fadenscheinige Ausrede von wegen "Zusammenarbeit" - ja sicher, das hatten die vielleicht dem gutgläubigen Mr. Pullman verkaufen können, aber mir bestimmt nicht!

Marley zuckte mit den Schultern und beobachtete den roten Vorhang, der langsam zurückglitt. Die Lichter wurden ein wenig gedämpft, gleich würde die Werbung anfangen. Wir waren in irgendeinen Film mit dem göttlichen Brad Pitt gegangen, aber ich hatte den Namen schon wieder vergessen und auch, worum es ging. Vielmehr hatte ich gar nicht zugehört, als Marley die Beschreibungen der Filme vorgelesen hat. Als sie jedoch irgendetwas von Brad Pitt sagte, war ich sofort dafür gewesen. Ist ja auch verständlich.

"Freunde dich doch einfach mit ihm an", schlug sie unbeteiligt vor.

Ich verschluckte mich beinahe. "Was? Das kann ich nicht! Ich kann ihn nicht ausstehen, da soll ich gute Miene zum bösen Spiel machen und ihn womöglich noch anhimmeln und ihm hinterher dackeln, so, wie er es wahrscheinlich am liebsten hätte?!"

Marley warf mir einen kurzen Seitenblick zu, der sagte: "Du bist total paranoid!"

"Das habe ich doch gar nicht gesagt", erwiderte sie stattdessen diplomatisch, freundlicherweise, ohne mir gleich meinen ganzen Ausmaß an Irrsinn vorzuhalten. "Ich meinte nur, du kennst doch das Sprichwort. Sei deinen Freunden nah, deinen Feinden aber näher. Es schadet ja nicht, sich mit ihm gut zu stellen, oder?"

Ich dachte eine Weile darüber nach, kam aber nicht so recht zu einem vernünftigen Entschluss. Inzwischen hopste ein einsamer Cowboy auf einem Pferd durch die Wüste Australiens und warb für Zigaretten. Interessant, dachte ich unwillkürlich dabei, dass der Marlboro-Mann, der Typ, der lange Zeit als Cowboy für diese Marke warb, an Lungenkrebs gestorben war. Ironie des Schicksals. Wunderte mich kein bisschen.

"Ich weiß nicht so recht", antwortete ich unbehaglich auf Marley's Vorschlag. "Ist es nicht besser, ich stelle von Anfang an klar, wo wir stehen?"

Sie lachte. "Du redest, als wärt ihr ein zerstrittenes Liebespaar. Aber wenn du meinst. Mach, was du willst."

Ich runzelte unzufrieden sie Stirn. Sie war noch immer eingeschnappt, dass ich ihre Ratschläge so einfach abtat und in den Wind schoss und mich über ihr Lebenskonzept lustig machte. Aber so war ich nun mal, und so war sie.

Und Jason, tja, der war Geschichte!
 

Nach dem Kino hatte sich Marley von unserer Meinungsverschiedenheit anscheinend wieder erholt, trotzdem lehnte sie es ab, sich noch mit mir in eine Bar zu setzen und einen Cocktail zu trinken. Stattdessen kauften wir uns an einer Eisdiele an der Promenade ein Waffeleis und gingen noch ein Stück gemeinsam. Ihr Wohnung, die sie mit ihrem Freund bewohnte, lag auch auf meinem Nachhauseweg, also bot sich das an.

"So, wie du über diesen Jason sprichst, möchte ich ihn echt mal sehen", verriet sie mir grinsend.

Ich schaute sie erschrocken an. "Warum das denn?"

"Na ja, er sieht anscheinend gut aus und bringt dich schon mit einer einfachen Einladung so aus der Fassung, dass du dich gar nicht mehr einkriegst. Da wird man halt neugierig." Jetzt war es an ihr, mich zu ärgern.

"Da ist gar nichts dran an ihm", murrte ich verächtlich. "Außerdem hast du deinen Jerry, schon vergessen?"

Sie verdrehte die Augen. "Das sollte nicht automatisch heißen, dass ich gerne mit ihm etwas anfangen würde, Amy", erklärte sie mir unendlich geduldig. Ich konnte mir gut vorstellen, dass sie auch so mit ihren Schülern redete. Kein Wunder, dass sie sich dazu berufen fühlte, sich mit nervigen, kleinen Bälgern herumzuschlagen, immerhin hatte sie jahrelang an mir üben können.

"Warum willst du ihn dann sehen?", hakte ich misstrauisch nach.

Marley seufzte. "Einfach so. Um zu sehen, was dich an ihm so stört. Hat er drei Arme oder so?"

Ich musste grinsen, da mir die Doppeldeutigkeit ihrer Aussage nicht verborgen geblieben war. "Das wünscht er sich höchstens!"

Marley boxte mich freundschaftlich und gespielt entsetzt gegen die Schulter. "Mensch, Amy!", lachte sie, sagte aber sonst nichts weiter dazu.

Wir bogen in die Straße ein, in der sich ihre Wohnung befand und die Aussicht, sich gleich ganz allein auf den Nachhauseweg machen zu müssen, stimmte mich nicht gerade fröhlich.

"Schade, dass du nicht noch mitkommen willst", beklagte ich mich.

Marley warf mir einen mitleidigen Blick zu. Sie wusste, dass ich es nicht mochte, alleine zu sein. "Morgen ist Montag und ich muss zur Arbeit", erklärte sie mir wieder, als wäre ich ein störrisches Kind. "Und du hast auch deinen ersten Arbeitstag mit diesem Kerl."

Ich zog eine Grimasse. "Richtig", erwiderte ich düster, "das wird ein Spaß..."

Sie stupste mich in die Seite. "Mal nicht immer alles so schwarz. Und ruf mich hinterher unbedingt an, um zu erzählen, wie es war."

Aha, sensationsgierig war die gute Marley trotz ihrer Friede-Freude-Eierkuchen-Tour aber dennoch!

"Mach ich", versprach ich. "Außer..."

"Außer was?"

"Außer, dieser Kerl lehnt sich zu weit aus dem Fenster und bringt mich so zur Weißglut, dass ich gezwungen bin, ihm den Hals umzudrehen."

Marley schüttelte halb amüsiert, halb fassungslos den Kopf. "Versuch doch bitte, es nicht so weit kommen zu lassen", bat sie trocken.

Ich grinste und steckte mir eine Strähne hinter's Ohr, die sich aus meinem lockeren Pferdeschwanz gelöst hatte. "Kann ich nicht versprechen."

Wir blieben vor ihrem Haus stehen und sie umarmte mich und lächelte dann verschmitzt. "Wenn du ihm schon an die Gurgel willst, kannst du das dann nicht aus einem anderen Grund tun?"

Ich schubste sie sanft in ihren Hauseingang hinein. "Du hast wohl zu viel Brad Pitt abbekommen", murmelte ich skeptisch.

- 2 -

Jason und ich standen uns gegenüber und sahen einander skeptisch an.

"Also", sagte er und kniff die Augen leicht zusammen. Anscheinend hatte er bei unserem ersten Aufeinandertreffen schon kapiert, dass mit mir nicht zu spaßen war. Kluger Junge.

"Also", wiederholte ich genauso misstrauisch.

Er musterte mich von oben bis unten und zog dann eine Augenbraue hoch. "Wollen wir anfangen?"

Das hättest du wohl gerne.

Ich ging hinüber zum Tisch und legte meine Papiere ab, zog einen Stuhl zurück und schaute ihn wieder an. "Mr. Cornell, wir wissen doch beide, wozu Sie hier sind, also nicht, dass wir uns missverstehen, aber ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sich in dieser Angelegenheit zurückhalten könnten. Ich brauche keinen Babysitter, der um mich herumschleicht."

Er riss für einen kurzen Moment leicht überrascht die Augen auf, fasste sich aber ungewöhnlich schnell wieder und räusperte sich.

"Miss äh..." Nun tat er so, als hätte er meinen Namen vergessen. "Michaels? Lehnen Sie sich nicht zu weit aus dem Fenster." Er lächelte überheblich. "Vergessen Sie nicht, wer hier für die Ausgaben verantwortlich ist." Das war sehr wohl eine indirekte Drohung, dass er mir das Budget kürzen könnte, aber ich war keineswegs beeindruckt. Da fing es schon an mit der Machtdemonstration.

"Genau das ist mein Problem, Jason." Ich lächelte, um ihm zu zeigen, dass er nicht der einzige hier war, der dieses arrogante Getue drauf hatte. "Sie wissen genauso gut wie ich, dass ich das hier auch alleine hingekriegt hätte, ohne eine Aufsichtstussi."

Sein Lächeln gefror ihm im Gesicht. Als "Aufsichtstussi" bezeichnet zu werden war wohl nicht gerade sein Ding. Tja, Pech gehabt, Kumpel!

"Um genau zu sein, Amy", kopierte er kühl meinen Tonfall, "weiß ich es nicht. Ich fürchte, Sie müssen mich erst davon überzeugen. Vorausgesetzt, Sie schaffen das."

Ich biss die Zähne zusammen und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich in der Falle saß. Stattdessen widmete ich mich einer anderen Taktik, um ihn aus dem Konzept zu bringen. Ich hob den Kopf und betrachtete ihn prüfend, runzelte dann missbilligend die Stirn.

Jason trug Khakishorts und ein T-Shirt, die, und ich konnte nicht umhin, das zu bemerken, seine Waden- und Armmuskeln betonten. Seine gebräunten Waden- und Armmuskeln!

"Wollen Sie zum Strand oder sind Sie zum Arbeiten hier?", fragte ich ihn so verächtlich, wie es mir möglich war, und verdrehte die Augen, um ihm zu zeigen, dass ich von seiner Kleidung nichts hielt.

"Was denn?", grinste er, kein bisschen angegriffen. "Haben Sie etwa was gegen meinen Aufzug?"

Er setzte sich mir gegenüber und nahm einen Kugelschreiber in die Hand. Ich zuckte unverbindlich mit den Schultern.

"Scheint mir nicht ganz das richtige zu sein", verkündete ich teilnahmslos und blätterte meine Unterlagen durch, um die Dokumente zu finden. Heute müssten die elementaren Dinge erledigt werden, das bedeutete, er würde mir den Grundriss zeigen müssen, dann die Örtlichkeiten selber. Hinterher hatte ich Zeit, mir genauestens zu überlegen, wie ich die Räumlichkeiten ausstatten wollte, und ihm einen Kostenplan vorzulegen, den er absegnen musste. Leider war seine Architekturfirma maßgeblich an dem Bau beteiligt gewesen und hatte konkrete Vorstellungen, die er mir sicherlich nicht vorenthalten würde. Es war ein Büro-Wohn-Komplex, was hieß, dass im selben Gebäude Wohnungen - natürlich für die Reichen, schon komplett ausgestattet mit Möbel und allem -, und Büros vorzufinden sein würden.

"Wundert mich gar nicht", setzte er unsere Unterhaltung - oder was auch immer das war -, fort und grinste wieder unverschämt. "So verklemmt, wie Sie zu sein scheinen."

Ich ließ die Unterlagen sinken und starrte ihn fassungslos an. "Wie bitte?!"

Er zuckte mit den Schultern und tat nun so, als ginge ihn das alles nichts an. "Ist es nicht so?"

"Sie haben keine Ahnung, Mr. Cornell." Ich versuchte zwar, mich zurückzuhalten, aber ich konnte den verärgerten Unterton dennoch nicht ganz kontrollieren.

Er suchte seelenruhig die Kopien des Grundrisses heraus und schob sie mir lächelnd über den Tisch hinweg zu. "Beweisen Sie es."

"Wie bitte?" Ich ignorierte die Unterlagen zwischen uns und sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an.

"Gehen Sie mit mir auf einen Drink. Wir müssen doch noch nachholen, auf unsere Zusammenarbeit anzustoßen." Er lächelte, wie er glaubte, gewinnend.

Ich hingegen zog eine Augenbraue skeptisch hoch. "Ganz bestimmt nicht."

Er nickte ziemlich selbstzufrieden, als hätte er das bereits geahnt. "Also doch."

"Jason, ich weiß ja nicht, ob sie es schon gemerkt haben, aber..." Ich zögerte. War es wirklich klug, seinen Geschäftspartner zu verärgern? Aber das hatte ich ja bereits getan, und anscheinend verstand er es nicht anders, wenn man nicht ganz direkt mit ihm redete. "Ich mag Sie nicht besonders."

Er lachte, als würde ihn das kein bisschen überraschen. "Was Sie nicht sagen, Amy. Das hab' ich schon verstanden."

"Warum", wollte ich verwirrt wissen, "wollen Sie dann mit mir ausgehen?"

Er lächelte nachsichtig. "Das sagte ich doch gar nicht. Ich will nicht mit Ihnen ausgehen, sondern nur auf einen Drink. Ich gehe für gewöhnlich nur mit Frauen aus, die ein gewisses Interesse in mir wecken, wenn Sie verstehen, was ich damit sagen will."

Ich fühlte mich wie vor den Kopf gestoßen. War das eine indirekte Beleidigung? Wollte er damit sagen, ich wäre hässlich oder gar nicht gut genug für diesen arroganten Schnösel? Und wieso lächelte er mich so an, als wäre ich eine blöde Kuh, die überhaupt nichts kapierte?!

"Na dann", erwiderte ich abweisend, "müssen Sie auch nicht die Schande ertragen, mit mir gesehen zu werden, bei einem Drink."

Er lachte nur höflich, aber durchaus provokant, und wir beschränkten uns darauf, das restliche Gespräch nur noch in beruflichen Bahnen zu halten.
 

Danach brachte Jason mich zu dem Gebäude, das sich momentan noch in der letzten Bauphase befand. Allerdings blieb er nicht, sondern verdrückte sich mit der Ausrede, er habe noch geschäftlich zu tun. Ich fand es höchst unverschämt, dass er sich so einfach vor seiner Arbeit drückte, aber andererseits war es ohne ihn natürlich tausendmal besser. Dass er mir einen Bauarbeiter mit dem obligatorisch gelben Helm zur Seite gestellt hatte, der all meine Fragen beantworten sollte, war jedoch nicht gerade förderlich, denn der Gute hatte überhaupt keine Ahnung. Dafür schien er aber ganz nett zu sein und wir unterhielten uns über seine gestresste Frau und seine zwei Kinder, von denen eins noch in den Windeln steckte und das andere gerade mal Kindergartenalter erreicht hatte. Ich glaube, er wollte von mir irgendeine Art von Ratschlag hören, wie er seine Ehe wieder auf Vordermann bringen konnte, aber da war ich wirklich die falsche Ansprechperson für so was. Ich war bis jetzt ja noch nicht mal in die Nähe einer Ehe gekommen. Nach ein paar Tipps meinerseits, er sollte ihr doch Blumen mitbringen, sah er mich allerdings ein wenig unzufrieden an und wechselte das Thema. Ich glaube, das war der Moment, in dem er gemerkt hatte, dass bei mir in Sachen gute Ratschläge nicht wirklich viel zu holen war.

Ich befürchtete allerdings, dass Jason mich irgendwie ausgestochen hatte. Eigentlich hatte ich ihm zu denken geben wollen, nun jedoch sah es so aus, als hätte er mich in die Tasche gesteckt.

Von dem Geruch der frisch gestrichenen Wände und dem vielen Staub bekam ich Kopfschmerzen und dachte zu allem Überfluss dauernd darüber nach, ob es stimmte, was er gesagt hatte. War ich wirklich verklemmt, im Sinne von absolut unlocker und konservativ? Es ärgerte mich, dass er das gesagt hatte, aber noch mehr ärgerte es mich, dass ich mir darüber tatsächlich solche Gedanken machte. Und ich war mir fast sicher, dass er sich wegen all meinen Aussagen über ihn nicht so den Kopf zerbrach. Das Meeting mit ihm war jedenfalls nicht gerade von Erfolg gekrönt gewesen, da ich total versagt hatte, während er scheinbar siegreich herausgegangen war. Mist, Mist, Mist!

Dafür, und trotz Kopfweh, hatte ich schon erste Ideen für die Einrichtung der Wohnräume. Es waren große Räume und wunderbar beleuchtet. Die Fenster waren auf der richtigen Seite, sodass es den ganzen Tag über hell sein würde, und außerdem richtig groß. Der Ausblick auf den Pazifik war phänomenal. Hier würde es sich locker aushalten lassen und auch ich hätte nichts gegen so einen Lebensstil.

In meinem Kopf formten sich erste Bilder. Die Einrichtung müsste genauso hell und luftig sein, wie die Räume, aber keineswegs zu steril. Im Esszimmer stellte ich mir einen Glastisch mit silbernen Metallbeinen vor - oder doch lieber schwarzen? Die Stühle gepolstert, naturfarben, genauso wie die Polstermöbel im Wohnzimmer. Natürlich würde es nötig sein, jeder Wohnung eine ganz spezielle, eigene Note zu verleihen, damit sie sich nicht alle glichen, aber im Großen und Ganzen hatte ich die Grundfarben schon festgelegt.

Die Büroräume waren einfacher. Schwarze Ledersofas, große Konferenztische, das Übliche eben. Hier erwartete wohl niemand große Meisterleistungen von mir.

Was mir am besten an meiner Arbeit gefiel, war, dass ich stundenlang durch verschiedene, kleine Galerien schlendern und mir Bilder, Portraits und Gemälde von jungen, aufsteigenden Künstlern ansehen und kaufen durfte. Abstrakte Bilder, Landschaftsgemälde und vieles mehr, je nach Kunde, je nach Geschmack, je nach Wohnung. Ich liebte das. Es war immer der perfekte Abschluss für einen Auftrag. Das i-Tüpfelchen. Wenn die Bilder, die als letztes dran waren, endlich hingen und ich zum letzten Mal durch die Wohnung, das Büro, das Hotel ging und mir alles ansah, verspürte ich immer eine tiefe Befriedigung, aber auch so ein Gefühl von Traurigkeit, dass nun alles zu Ende war. Aber der nächste Auftrag ließ meistens nicht lange auf sich warten.

Normalerweise waren es immer Privatpersonen, die mich engagierten, oder besser gesagt, unsere Firma engagierten und denen ich zugewiesen wurde, aber dieses Mal war es etwas Anderes. Das war mein allergrößtes Projekt bisher und ich war total aus dem Häuschen gewesen, als Mr. Pullman mir erzählte, dass ich daran teilhaben durfte. Nur leider musste dieser Jason ja dazwischenfunken. Es ärgerte mich maßlos, dass ich alles erst mit ihm absprechen musste und dass er erst billigen musste, was ich ihm vorlegte. Das war nicht meine Art zu arbeiten. Diese Abhängigkeit, diese... Bloßstellung! Und Frauenversteher Cornell lachte sich sicherlich ins Fäustchen, das konnte ich mir lebhaft vorstellen. Argh!

"Na, alles klar?" Wenn man vom Teufel spricht...

Jason klopfte Marty, dem nutzlosen Bauarbeiter mit der kritischen Ehe, freundschaftlich auf die Schulter und grinste. "Ich übernehme ab hier, Marty", entschied er und blickte mich mit einem freundlichen Gesichtsausdruck an, den ich ihm keine Sekunde lang abkaufte.

"Haben Sie sich umgesehen?", fragte er, steckte die Hände in die Hosentaschen und schaute sich selbst um. "Hübsche Räume, nicht wahr? Schön geräumig."

Ich wusste nicht, was das Theater sollte, also beschränkte ich mich darauf, ihm so wenig wie möglich zuzustimmen, obwohl er natürlich recht hatte. "Und bestimmt schön teuer", warf ich skeptisch ein.

Er lachte entspannt. "Das soll nicht Ihre Sorge sein, Amy. Haben Sie schon die Aussicht bewundert?"

Verdammt, wieso war er plötzlich so nett?! "Ja, habe ich", sagte ich, irgendwie steif.

Er trug immer noch die lockere Kleidung von heute Morgen, also war meine Kritik vollkommen von ihm abgeprallt. Der musste ja eine echt dicke Haut haben. Aber ich schätzte, dass Leute, die sich zu oft Beleidigungen anhören müssen, eben so etwas entwickelten.

"Sind Sie hier fertig?", hörte ich ihn sagen, während ich in Gedanken schon zu Hause bei meinem Abendessen war. Ich nickte. "Und, Lust auf einen Eiskaffee?"

Der Kerl würde es wohl nie lernen. Ich seufzte und sah ihn prüfend an. Wollte er mich eigentlich verschaukeln? "Nein, danke. Ich dachte, ich hätte mich klar genug ausgedrückt?"

Er grinste. "Haben Sie auch."

"Was ist dann Ihr Problem?", wollte ich verständnislos wissen. Langsam fingen meine Füße an zu schmerzen, kein Wunder, bei diesen Absätzen. Ich wollte nur noch nach Hause und nicht mit Kopfschmerzen in einem staubigen Gebäude herumstehen, um mir von Jason nur noch mehr die Nerven strapazieren zu lassen.

"Mein Problem ist, dass Sie nichts mit mir trinken gehen wollen, obwohl es unserer Zusammenarbeit bestimmt gut tun würde." Er zwinkerte mir unverschämterweise zu und obwohl es ganz normal war, was er sagte, klang es unglaublich schlüpfrig. Ich hegte keinen Zweifel daran, dass er mit "Zusammenarbeit" etwas ganz anderes meinte. Bäh, mir wurde schlecht!

"Das bezweifle ich stark", erwiderte ich kalt, aber innerlich brodelnd. "Aber schauen Sie doch mal unten an der Promenade nach Mitternacht vorbei, da finden sich sicherlich ein paar hübsche Dinger für Ihre so genannte Zusammenarbeit." Und wenn er jetzt so tat, als wüsste er nicht, dass sich dort nur "leichte" Mädels um diese Uhrzeit herumtummelten, dann würde ich ihm das nie und nimmer abkaufen.

Jason grinste verschmitzt. Anscheinend wusste er doch Bescheid. "Wofür halten Sie mich denn?", fragte er amüsiert

"Für jemanden, der auf schnelle Autos und billige Mädchen steht", antwortete ich wie aus der Pistole geschossen und gratulierte mir innerlich zu diesem super Gegenschlag.

Er zog die Augenbrauen hoch und wiegte seinen Kopf ein paar Mal hin und her, als würde er überlegen und abwiegen. Dann setzte er wieder sein unverwechselbares Lächeln auf. "Zumindest ein Teil davon könnte durchaus zutreffen."

Ich verdrehte die Augen und sammelte meine Unterlagen von dem notgedrungen aus Holzbrettern improvisierten Tisch auf.

"Und?", hakte Jason nach und lehnte sich mit dem Hintern lässig gegen das Fensterbrett. "Kommen Sie nun mit?"

Ich konnte es nicht fassen. Hatte dieser Typ denn Tomaten auf den Ohren?! "Kapieren Sie eigentlich gar nichts?!", fauchte ich, nun endgültig die Kontrolle über meine Selbstbeherrschung verlierend.

Er war jedoch vollkommen unbeeindruckt und zuckte nur gleichgültig mit den Schultern, als hätte er nicht um an die hundert Mal gefragt, ob ich mit ihm etwas trinken gehe. "Schade. Sie verpassen was."

Dann grinste er wieder, zwinkerte mir zu und verließ noch vor mir den Raum. Sprachlos starrte ich ihm nach.

- 3 -

Marley hatte heute keine Zeit für mich, also fläzte ich mich missgelaunt auf die Couch und stellte alles bereit, was das frustrierte Frauenherz begehrte: Cola, Schokolade, Kekse und eine große Pizza, die ich mir auf dem Nachhauseweg beim Italiener um die Ecke geholt hatte.

Man könnte sogar schon sagen, dass Paolo, der eigentlich Spanier war und kein Italiener, was aber niemand wissen durfte und trotzdem jeder wusste, beinahe mein bester Freund war, so oft beehrte ich ihn mit meinen Besuchen. Ich war keine große Köchin. Nudeln mit Soße, Kartoffelbrei und Co. stellten ja kein großes Problem für mich dar, aber für alles andere war ich einfach zu unbegabt und zu faul. Heute war wieder kein Koch-Tag. Wer kochte schon gern für sich selbst? Also ich nicht.

Deshalb beschränkte ich mich auf das Wichtigste: den Italiener um die Ecke und mein Tiefkühlfach. Mehr brauchte ich nicht. Nur manchmal vielleicht noch den Chinesen in der Nähe der Promenade, aber den nur im Notfall. Der war mir viel zu weit von meiner Wohnung entfernt, um seine Dienste regelmäßig in Anspruch zu nehmen.

Im Fernsehen liefen die Nachrichten und da ich gerade zu faul war, um umzuschalten, ließ ich sie einfach laufen und mich von den Katastrophen in der Welt berieseln. Ein Erdrutsch irgendwo auf den karibischen Inseln, ein Bankraub und eine verhinderte Geiselnahme in San Diego, der Geburtstag von Prinz William in England, ein Lagebericht aus dem Irak, Sportnews, das Wetter. Danach Klatsch und Tratsch über Stars. Ernährungsgewohnheiten unseres Gouverneurs, dem Terminator, Zeug über Bush, Brangelina und deren dreihundert Kinder, danach Werbung für die neue Single irgendeiner Kinderband, deren Namen nur Leuten unter siebzehn Jahren geläufig sein musste. Ich schaltete ab, aber nicht den Fernseher, sondern meine Gedanken.

Stattdessen begann ich, mich damit auseinander zu setzen, was heute eigentlich schief gelaufen war. Im Grunde gar nichts. Wenn... ja, wenn Jason nicht gewesen wäre. Ich hatte mit meiner ersten Einschätzung vollkommen recht gehabt: er war ein überheblicher, kontrollsüchtiger Arsch, der seine Machtposition nur so zu genießen schien. Mit einem jedoch habe ich nicht gerechnet und möglicherweise ist mir heute genau das zum Verhängnis geworden: er war zudem noch ein intelligenter, schnelldenkender und äußerst schlagfertiger Typ. Normalerweise würde es mir eine Freude sein, so einen Mann zu treffen. Will sagen: einen, der weder psychisch angeknackst, noch eine Schlaftablette, noch sonst irgendwie fehlfunktional ist, aber allein schon dadurch, dass Jason Jason war und sich in seiner Position "über mir" so offensichtlich sonnte, konnte ich es einfach nicht genießen, dass er mir verbal ebenbürtig war.

Das Telefon klingelte, aber ich ignorierte es, wie immer. Es konnte ja nur Andrew, mein älterer Bruder, sein, der seit seinem Hollywoodfimmel seinen Spitznamen "Andy" nun in "Randy" umgeändert hatte, weil der angeblich viel cooler war . Oder auch schwuler, hatte ich damals gesagt, aber er hatte meine Behauptung, "Randy" klänge, als wäre er ein nutzloses Würstchen ohne Rückgrat, mit einer verächtlichen Handbewegung abgetan.

Der Anrufbeantwortet sprang an und ich lauschte der altbekannten Frauenstimme, die den Anrufer dazu aufforderte, eine Nachricht zu hinterlassen. Den Fernseher stellte ich leiser.

"Hi, Amy", trällerte es auch sogleich. Ich wusste doch, dass Andy-Randy dran war! "Ruf mal zurück, Schwesterchen. Ich muss dich dringend um einen Gefallen bitten."

"Ja, und zwar um Geld", murmelte ich missmutig und biss ein ganzes Stück Pizza ab, um es frustriert zwischen meinen Zähnen zu zermalmen.

Andrew war kein Fan von Anrufbeantwortern, also beeilte er sich, das sehr einseitige Telefonat schnell zu beenden. "Also dann. Ciao!"

CIAO! Wer sagte denn so was?! Je länger ich über meinen Bruder nachdachte, desto unverständlicher wurde mir, was er aus sich machte und was aus ihm geworden war. Ein Traumtänzer ohne Kohle und ohne festen Arbeitsplatz, der sich in L.A. herumschlug und mit anderen Kerlen in einer viel zu kleinen Wohnung hauste! Also wenn das nicht beunruhigend ist, dann weiß ich auch nicht.

Das Telefon klingelte schon wieder, mitten in meine Überlegungen hinein, und seufzend legte ich meine Pizza weg. Mein Stoffwechsel war zwar gut, aber so gut, dass ich aus lauter Frust Kalorien noch und nöcher in mich reinschaufeln konnte, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste, dann doch nicht. Stattdessen brach ich mir ein Stück Schokolade ab, nicht ohne schlechtes Gewissen, und lutschte es langsam und genüsslich. Ich musste mich schließlich für das Kommende wappnen, denn die Frau, die da gerade anrief, war noch schlimmer als Andy-Randy.

"Schätzcheeen", erklangt es im Singsang aus dem Telefon, nachdem die Anrufbeantworterfrau brav ihr Sätzchen aufgesagt hatte. Ich verdrehte die Augen. Das fing zwar harmlos an, aber das Ende würde ganz dick kommen.

"Ich weiß, dass du zu Hause bist. Das bist du doch um diese Uhrzeit immer!"

Danke, Mutter, dass du so wenig Vertrauen in meine zwischenmenschlichen Beziehungen hast und nicht einmal in der Annahme gehen kannst, ich wäre mit Freunden oder gar Männern verabredet.

Sie fuhr unbeirrt fort: "Also geh endlich ans Telefon."

Schweigen. Warten. Ich rührte mich nicht, schon allein aus Angst, sie könnte durch irgendwelche übersinnlichen Fähigkeiten, die sie sich bei ihrer Esoteriktussifreundin abgeguckt hatte, hören, wenn ich auch nur einen Mucks machte.

"Dann nicht", schnaubte sie schließlich beleidigt, als nichts passierte und ich mich noch immer weigerte, mit ihr zu telefonieren. "Wenigstens mit Randy könntest du sprechen! Er versucht schon seit Tagen, dich zu erreichen! So hab ich dich nicht erzogen!"

Ich wusste doch, dass das kein Höflichkeitsanruf war. Und dann diese Nummer mit "Randy"! War ich denn das einzige Wesen auf dieser Welt, das diesen Namenswechsel total daneben fand? Sogar meine Mutter machte diesen schlechten Scherz mit, allerdings fragte ich mich, warum mich das überhaupt wunderte. Andy - Verzeihung, "Randy" -, war schon immer ihr verhätscheltes Lieblingskind gewesen, wahrscheinlich, weil unser Vater es immer ganz besonders auf ihn abgesehen hatte. Mich hatte er meistens in Ruhe gelassen. Warum, weiß ich nicht, vielleicht, weil ich ein Mädchen war und man deshalb sowieso nichts Großes von mir erwarten konnte. Andrew hingegen war eine richtiggehende Enttäuschung für Dad gewesen und genau so hat er ihn auch immer behandelt. Natürlich nur im betrunkenen Zustand, aber da unser Vater immer betrunken war, außer möglicherweise hin und wieder zwischen sieben und neun Uhr morgens am Dienstag, sei an dieser Stelle nichts mehr gesagt.

Ich weiß, ich sollte mich glücklich schätzen, nie ein Ziel für seine Wut abgegeben zu haben und immer glimpflich davongekommen zu sein, aber seltsamerweise erfüllt mich diese Gewissheit nicht mit Dank. Vielmehr war ich stets diejenige gewesen, die immer ignoriert wurde, die nie Hilfe bekommen hat, die immer alleine auf sich gestellt war. Andy wurde zwar mies behandelt, aber von der anderen Seite - unserer Mum - auch immer beschützt und verhätschelt und mit einer Extra-Portion Liebe versorgt. Das war bei mir nicht nötig, denn ich war ja außerhalb der Schusslinie. Nicht nötig, sich für mich einzusetzen, denn mir tat ja niemand weh. Wenn die wüssten...

Letztendlich war es interessant zu sehen, wie sich die Menschen aus meiner Familie entwickelt hatten. Mein Dad war abgehauen. Warum, weiß ich eigentlich nicht genau, aber vielleicht hat meine Mum es endlich geschafft, ihn rauszuwerfen, nachdem er sie und Andy jahrelang terrorisiert hatte. Vielleicht hatte er auch einfach nur die Schnauze voll von seiner über alle Maßen enttäuschenden Familie. Wer wusste das schon. Eins ist jedoch klar: Mein Dad war ein Versager. Jemand, der sich so verhält, ist für sich selbst die größte Enttäuschung von allen.

Meine Mum wird wohl nie darüber hinwegkommen, was damals alles passiert ist, und benimmt sich noch immer wie eine Glucke, wenn sie nur den Namen Andy - oder auch das hollywoodtaugliche "Randy" - hört. Sie versorgt ihn mit Geld, obwohl sie selbst kaum welches hat, und würde wahrscheinlich sogar für ihn sterben. Sie wohnt in einer kleinen Wohnung am anderen Ende der Stadt - Gott sei dank befinden sich also ein paar seeeehr lange Meilen zwischen ihr und mir -, in einem eher ärmeren Viertel, dafür aber mit einer geringen Kriminalitätsrate. So unglaublich das auch klingen mag. Genauso wie Andy-Randy schlägt sie sich mit ein paar Gelegenheitsjobs durchs Leben, nur dass sie nicht von sich behauptet, Schauspielerin zu sein, sondern viel realistischer ist in dieser Hinsicht. Der letzte Partner, den sie hatte, hat ihr Konto geplündert und ist danach getürmt.

Andrew war, wie gesagt, "Schauspieler", trieb sich irgendwo in L.A. rum und anstatt Filmrollen an Land zu ziehen, zog er jeden Morgen los, um frische Fische auf dem Fischmarkt zu kaufen, um seinen Job als Kellner und Mädchen für alles in dem kleinen, heruntergekommenen Restaurant behalten zu können.

Wie man sieht, schlugen sich drei Viertel meiner Familie nicht gerade erfolgreich durchs Leben. Ich möchte damit nicht sagen, dass ich ein Überflieger bin, aber mit einem abgeschlossenem Studium, einem festen Job und einem nicht gerade pingeligen Gehalt lebte es sich doch ganz angenehm.

Na Dad, dachte ich manchmal, würdest du heute immer noch sagen, dass man von deiner Tochter nichts Großes erwarten kann? Manchmal fühlte ich mich dann besser, aber manchmal auch nicht. Manche Wunden sitzen tief, tiefer als man mit Worten oder Gedanken in sich hineingraben kann, um sie herauszuholen und zu heilen. Manchmal ist das einfach nicht möglich. Und die mangelhafte Erwartung and mich und meine Fähigkeiten haben mich zu Höherem getrieben. Vielleicht sollte ich meinem Vater doch dafür danken. Aber vielleicht auch nicht.

"Du könntest dich ruhig mal melden", setzte Mum ihre Tirade fort und ich wunderte mich, warum es ihr nicht zu blöd wurde, einfach mit der Luft zu sprechen. Ich würde mich fühlen, als würde ich mit einer Wand reden, aber sie schien sich mit dem Anrufbeantwortet bestens zu verstehen. Ich zuckte unbeteiligt die Schultern und betrachtete weiter die flimmernden Bilder im Fernseher. Irgendeine Quizshow hatte angefangen und ich verfolgte die eingeblendeten Fragen mit und dachte, meine Schokolade lutschend, über die Antworten nach.

Die Hauptstadt von Bolivien. Cusco, Sucre, Santa Cruz oder Bolivia.

Eine leichte Frage. Sucre natürlich. Die Kandidatin schien es nicht zu wissen, denn sie kratzte sich nervös am Nacken, schaute ganz hilflos hin und her, zum Quizmaster, ins Publikum, nahm ein Schluck Wasser, fasste sich wieder an ihre Haare, verzog ratlos die Mundwinkel.

"Ich verstehe gar nicht, warum du dich immer so zurückziehst. Wir sind doch eine Familie-he!", wetterte Mum weiter. Jetzt war sie zu dem Ich-mache-ihr-Schuldgefühle-Part übergegangen und erinnerte mich daran, dass Blut doch immer dicker war als Wasser. "Man muss auch mal da sein für seine Familie. Wir waren schließlich auch immer für dich da, Amy!"

"Ja sicher", antworte ich ihr abwesend. Zum Beispiel immer dann, wenn ich von der Schule kam, mit sechs, sieben, acht Jahren und niemand zu Hause war, es kein Essen gab, niemand mir bei den Hausaufgaben helfen konnte. Und als dann jemand kam, gab es den altgewohnten Krach, Lärm, Geschrei. Oder als Andy ins Krankenhaus gebracht wurde wegen einem gebrochenen Bein und Mum die ganze Nacht und den ganzen Tag dort war, ohne mir Bescheid zu sagen. Ich war zehn, und weil Dad auch spurlos verschwunden schien – in der Kneipe, wie ich jetzt weiß -, habe ich mir die schlimmsten Dinge ausgemalt. Mord und Totschlag, um genauer zu sein. Anstatt die Nachbarn um Hilfe zu bitten, versteckte ich mich im Schrank, zitternd und heulend, die ganze Zeit darauf wartend, dass mich der Meuchelmörder, wer auch immer es war, auch fand und umbrachte. Am nächsten Morgen fand Dad mich zusammengekauert und schlafend im Kleiderschrank meiner Eltern, aber anstatt mich zu trösten, lachte er mich nur aus und ging wieder.

In diesem Stil verlief auch meine restliche Kindheit und meine Jugend. Meine Bezugspersonen waren meine Lehrer und Lehrerinnen, in denen ich immer so etwa wie Ersatzeltern gesehen hatte und es jedes Mal furchtbar schrecklich fand, wenn das Schuljahr zu Ende ging, weil im nächsten Jahr auch die Lehrer wechselten. Später, als ich älter und selbstständiger wurde und erkannte, dass Freunde auch zu mehr gut waren als nur zum Spielen und Hausaufgaben abschreiben, beschränkte ich mich auf Marley und den Rest der Clique. Sie halfen mir meist aus, wenn ich Schwierigkeiten hatte, und so hielten wir es bis heute. Es ist ein schreckliches Gefühl, zu wissen, dass man sich nicht auf seine Familie verlassen kann, aber dafür ein umso schöneres, dass man Freunde hat, die einen nicht im Stich lassen.

"Ich erwarte, dass du Randy zurückrufst. Er will doch nur Kontakt zu seiner Familie halten."

Und diese um ein paar Dollar erleichtern.

Dass meine Mutter das Wort Familie so inflationär gebrauchte, ärgerte mich furchtbar. Mit Familie verband ich etwas Schönes, Sicherheit, Menschen, die man mag. Ich hätte gerne gewusst, ob es bei ihr dieselbe Assoziationen weckte, oder ob sie überhaupt auch nur den Hauch einer Ahnung hatte, was es bedeutete?

"Ich würde mir wünschen, das auch von dir behaupten zu können! So, ich leg jetzt auf, Amy." Stille. "Amy?!"

Ich seufzte erneut. Die Frau wusste doch, dass sie mit einer Maschine sprach, oder? Und wie lang war eigentlich die Aufnahmezeit? Müsste das vermaledeite Ding nicht schon längst gepiepst und die Nachricht abgeschnitten haben?! Was hatte ich mir denn da für ein neuartiges Superteil gekauft, das ewig funktionierte? Das war ja total für die Katz. Ich wollte eins, dass schon beim Klang der Stimme meiner Mutter die Verbindung abbrach. Das wäre mal eine echt nützliche Erfindung.

"Also dann, Schätzcheeen." Wieder der Singsang. "Mach's gut und ruf ja an! Ciao!"

Ciao... meine Mutter also auch. Ich würde lachen, wenn es nicht alles so verdammt tragisch und ätzend wäre.

Ein paar Augenblicke blieb ich noch auf der Couch liegen und starrte auf den Fernseher, ohne wirklich wahrzunehmen, was in der Show gerade passierte. Dann erhob ich mich schweren Herzens und suchte in den Schubladen den Zettel, auf dem die Bankdaten meines Bruders notiert waren. Wenn ich es nicht machte, würde meine Mum ihm wieder Geld schicken, und das konnte und wollte ich ihr echt nicht antun. Trotz allem.

- 4 -

Erschöpft, als hätte ich die Nacht überhaupt nicht geschlafen, machte ich mich auf den Weg zur Arbeit. Die Aussicht, mich wieder mit Jason Supertoll's Plänen und Wünschen herumschlagen zu müssen, ließ mich nicht gerade in Begeisterungsstürme ausbrechen, aber irgendwie musste das Geld ja auf mein Konto gelangen, von dem mein Bruder lebte. Außerdem hoffte ich, ihm – Jason – diese Woche nicht besonders oft begegnen zu müssen.

Ich war müde und schlecht gelaunt, und auch, als ich Marley an der Straßenecke traf, wo sie immer auf mich wartete, besserte sich meine Laune nicht gerade, denn sie brauchte nur einen Blick auf mich zu werfen, um zu wissen, was los war.

"Oh nein", stöhnte sie missmutig und runzelte die Stirn. Dann besah sie sich die Mülltüte in meiner Hand, die eine Pizzaschachtel und zerrissenes Schokoladenpapier beinhaltete, an. Das bestätigte ihre Vermutung. "War es mal wieder so weit?"

Ich nickte schweigend. Marley kannte die Prozedur schon.

"Andrew oder deine Mum?"

"Beide", antwortete ich ihr knapp. Auf lange Erklärungen und Ausschweifungen hatte ich jetzt keine Lust, und ich störte mich bereits jetzt schon an der obligatorischen Predigt, die bestimmt gleich kommen würde.

Marley ließ sich nicht lange aufhalten. "Also, Amy, du musst endlich damit aufhören. Dein Bruder wird nie erwachsen, wenn du nicht aufhörst, für ihn seine Brötchen zu verdienen."

Ich fühlte mich, als hätte ich einen Kater, obwohl ich am Vorabend gar nichts getrunken hatte. Marley's Geplapper machte das Ganze nicht gerade besser. Was wusste sie schon? Die einzigen, für die sie Verantwortung übernehmen musste, waren ihre Schüler. Und die waren weder mit ihr verwandt, noch wollten sie Geld von ihr. Familie war für mich kein Begriff, in dem sich Sicherheit und Beständigkeit vereinten, nein, für mich war es eine Plage. Familie, das war ein blutsaugender Parasit, den man loszuwerden nicht übers Herz brachte. Meinem Bruder sein unverdientes Geld zu überweisen war die einzige Möglichkeit, ihn und meine Mum für ein paar Wochen ruhig zu stellen. Es war nicht so, dass ich meiner Familie keine Gefühle entgegenbrachte - es war nur so, dass es nicht allzu viele positive Gefühle waren.

Marley schien mit ihrer Moralpredigt - von der ich nicht viel mitbekommen hatte -, am Ende angekommen zu sein, denn sie schaute mich erwartungsvoll an, und um sie ebenfalls zufriedenzustellen, murmelte ich ein halbherziges "Ja, hast ja Recht".

Sie schnaubte und schüttelte den Kopf. "Ich habe gefragt, wie weit du mit deinen Entwürfen bist."

Beim Thema Entwürfe und Arbeit war ich wieder hellwach und wurde gesprächiger. "Ich habe schon genaue Vorstellungen, aber so richtig weit bin ich noch nicht gekommen." Andere Sachen haben mich abgelenkt, aber das sagte ich ihr nicht. "Übernächste Woche ist der Abgabetermin." Bei dem Gedanken daran verzog ich das Gesicht zu einer unwilligen Grimasse. Ich würde mich mit Jason zusammensetzen und ihm meine Ideen präsentieren müssen, und wenn ich Pech hatte, würde das stundenlang dauern. "Die von Oak’s Land" – ich vermied um jeden Preis, Jason persönlich zu erwähnen -, "haben mir versprochen, mir die Entwürfe heute zu mailen. Ich hoffe, sie haben nichts daran verändert."

Marley machte keinen Hehl daraus, dass meine Arbeit sie nicht wirklich interessierte und sie nur aus Höflichkeit fragte, und wechselte das Thema. "Wir haben neuerdings Läuse in der Schule", berichtete sie. "Irgendein Kind hat sie angeschleppt."

Ich machte einen Satz von ihr weg, um genügend Sicherheitsabstand zwischen uns zu bringen. "Ih, und das sagst du mir erst jetzt? Halt dich bloß fern von mir!"

Ich musste fast freudlos auflachen, als ich daran dachte, wie meine Kollegen wohl gucken würden, wenn ich mich wegen Läusen krankmelden würde. Das hätte mir noch gefehlt!

Marley boxte mir gegen die Schulter. "Haha, sehr witzig, Amy."

"Berufsrisiko", grinste ich und beförderte den Müll in die dafür vorgesehene Tonne, die leider ein Stück weit die Straße unten war, sodass man ein wenig laufen musste, bis man seinen Müll loswerden konnte. Das bedeutete, man durfte nie in Jogginghosen oder Schlabberlook rausgehen, wenn man nicht von irgendwem gesehen werden wollte. Und in dieser Stadt wurde man ständig von irgendjemandem gesehen.

"Du sagst es", stimmte Marley mir zu. "Und trotzdem..."

Ich sah sie neugierig an.

"Deine miese Laune ist viel ansteckender als ein paar Blutsauger auf dem Kopf." Sie grinste bis über beide Ohren und ich rollte genervt mit den Augen.

An der Ecke Lighthouse Ave und Cowell Street verabschiedeten wir uns. Marley ging die Straße weiter runter, die zu ihrer Schule führte, und ich bog in die Cowell ein, an deren Ende mich mein Büro erwartete. Das Gebäude war nicht sonderlich groß und hatte nur drei Stockwerke, denn wir waren ein kleines Unternehmen. Es war eins von diesen alten Sandsteinhäusern, weiß angestrichen, mit einem Treppchen, das zum Eingang hinaufführte. Im ersten Stockwerk befand sich der Empfangsraum, darüber hatte Mr Pullman seine Büroräume, die er sich mit seiner Sekretärin teilte, und mein Büro befand sich mit denen ein paar anderer Mitarbeiter ganz oben, sodass ich von dort aus alles überblicken konnte, was sich auf der Straße unten am Strand abspielte.

Ich begrüßte Jenny, unsere Empfangsfrau und eine gute Freundin, doch sie war gerade dabei, ein scheinbar wichtiges Telefonat zu führen, also nickte sie mir nur kurz angebunden zu und lächelte entschuldigend. In Gedanken machte ich mir eine Notiz, bald mal wieder etwas mit ihr zu unternehmen. Jenny hatte selten Zeit, denn sie war alleinerziehende Mutter eines Dreijährigen, und nach der Arbeit stürzte sie sofort panikartig hinaus, um auch ja rechtzeitig im Kindergarten zu sein, um ihren Sohn abzuholen. Jenny hatte niemals viel Zeit, sah immer etwas zerrupft und müde aus und befand sich fast immer in Eile. Ich bewunderte sie für diesen Spagat, den sie zwischen Arbeit und Kind machte, aber ich wusste auch, dass sie kaum Privatleben hatte und selten etwas für sich selbst tat, nachdem ihr sogenannter Freund – nun Ex – sie so unverschämt hatte sitzen lassen, als er erfuhr, dass sie schwanger war.

Männer waren einfach Schweine. Und wenn ich das nicht vorher gewusst hätte, wäre das der letzte Beweis gewesen.
 

Jason's Büro hatte mir die Grundrisse für das Berkeley-Haus tatsächlich geschickt, benannt nach der berühmten Universität nähe San Fransisco, auch, wenn mir schleierhaft war, warum. Schließlich hatte die Berkeley-Uni nichts mit unserem Bau oder den Leuten - reiche Geschäftsmänner und noch reichere, junge Familien -, die hier leben würden, gemein. Aber ja, natürlich, es klang verlockend, schmeichelhaft. Wer würde denn nicht gerne sagen "Ich lebe im Berkeley-Haus". Klingt jedenfalls gut.

Den Rest der Woche verbrachte ich im Büro - ich konnte auch von zu Hause aus arbeiten, aber es war dort schwieriger, sich zu konzentrieren. Im Büro, unter der Aufsicht von Mr Pullman, der hin und wieder vorbeischaute, um ein Pläuschchen zu halten oder zu fragen, wie es voranging, hatte ich zumindest die Muse, stundenlang zu zeichnen, zu konstruieren, nachzudenken, alles wieder zu verwerfen und mir hundertmal die Pläne neu ausdrucken zu lassen, um sie gleich wieder mit Zirkel, Lineal und Bleistift vollzukritzeln.

Allerdings hatte das Büro noch einen, alles entscheidenden Vorteil: Andy und Mum riefen hier nie an. Was in aller erster Linie daran lag, dass ich ihnen nie die Telefonnummer meiner Arbeitsstelle gegeben hatte. Hier hatte ich Ruhe vor meinen familiären Blutsaugern, hier konnte ich sie für ein paar Augenblicke lang vergessen.

Ich stützte das Kinn auf meine Hand und warf einen Blick aus dem Fenster. Das Wetter war wundervoll und die Aussicht auf das Meer und den Strand ließ mich ziemlich zappelig werden. Zu gern hätte ich sofort meinen Arbeitsplatz verlassen, um mich in den Sand zu setzen und mir die nackten Füße vom kühlen Meerwasser umspülen zu lassen. Ich beobachtete, wie sich ein Surfer mit seinem Brett in die Wellen stürzte und durch das offene Fenster wehten fröhliche Stimmen herein, Stimmen von Kindern und deren Eltern, die da unten am Strand ausgelassen spielten, sich etwas zuriefen oder sich stritten. Ich liebte mein Büro. Es war zwar klein, aber ich hatte es für mich ganz alleine, und am allerbesten gefiel mir der Ausblick auf den Strand und die Promenade. Die vielen kleinen Straßencafés, die abends durch Lichterketten und Kerzen beleuchtet wurden, konnte man zwar von hier aus nicht sehen, aber sie entfalteten ihre Pracht sowieso erst, wenn ich schon längst das Gebäude verlassen hatte.

"Träumen Sie sich gerade woanders hin, Miss Michaels?"

Ich schreckte auf und erblickte Mr Pullman. Er stand vor meinem Schreibtisch und lächelte, dann sah er auch kurz aus dem Fenster. "Schön draußen, nicht wahr?"

Ich nickte. "Ja."

Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder mir zu. "Wie kommen Sie voran?"

Ich schaute auf meinen ziemlich beladenen Schreibtisch und musste zugeben, dass es viel chaotischer aussah, als in meinem Kopf - dort hatte ich nämlich alles exakt notiert und gespeichert. Das Chaos auf dem Tisch ließ sich davon aber nichts anmerken. Mr Pullman folgte meinem Blick und besah sich die für ihn auf dem Kopf stehenden Entwürfe an, obwohl ich mir sicher war, dass er sich nicht sofort in die Materie hineindenken konnte. Immerhin war er noch nie auf dieser Baustelle gewesen, geschweige denn hatte er eine grobe Ahnung, worum es überhaupt ging.

"Ganz gut soweit. Ich komme gut voran."

"Und die Zusammenarbeit mit Cornell?", hakte er nach, lauernd wie ein Falke, der über der Beute kreist. "Sie verärgern ihn doch nicht, oder?"

Ich unterdrückte ein gereiztes Knurren. Wenn hier jemand wen ärgerte, dann eindeutig er mich. Und Mr Pullman zog gleich mit.

"Ich weiß ja, was für ein temperamentvolles Wesen Sie haben. Und das Angebot von 'Oak's Land' war ziemlich großzügig."

Ich hätte schreien können.

"Ja", antwortete ich stattdessen brav, "das war es. Oak's Land war das Architektenbüro, für das Jason arbeitete. Es muss ein ziemlich kreativer Kopf gewesen sein, der seinem Unternehmen einen kaum abgeänderter Namen der Stadt gab, in der sich der Hauptsitz des Unternehmens befand: Oakland. Da konnte ich ja sogar noch stolz sein, in einem Betrieb zu arbeiten, der ganz einfach nach seinem Erschaffer benannt war: Pullman & Son.

Es war einfach unfair. Noch nie hatte ich einen Auftrag vermasselt, warum also ging Mr Pullman dieses Mal davon aus, dass mein 'temperamentvolles Wesen' dieses Mal im Weg stehen würde? Ich wusste sehr wohl, wie ich mich zu benehmen hatte, auch, wenn Jason der letzte Mensch auf Erden war, mit dem ich zusammenarbeiten wollte. Na gut, nicht der letzte. Der letzte wäre vermutlich Marilyn Manson, aber auch mit dem vorletzten Platz konnte Jason nicht gerade glänzen.

"Sie kennen ja unser Konzept", redete Mr Pullman weiter, wobei er versonnen durch das Fenster schaute. Sein Büro befand sich auf der anderen Seite des Gebäudes, mit Aussicht auf andere Bürogebäude. Nicht gerade spannend. "Junge Köpfe für junges Wohnen. Es ist das erste Mal, dass wir die Zügel in die Hände so junger, idealistischer Menschen geben, und wenn das klappt..." Er schaute wieder mich an und mir schien, als verzogen sich seine Mundwinkel zu einem geheimnisvollen Lächeln, aber dann war es auch schon wieder vorbei. "Dann möchten wir dieses Konzept etablieren."

Ich blinzelte. ich wusste, dass er mir etwas damit sagen wollte, aber ich verstand nicht ganz, worauf er hinauswollte.

"Für Sie könnte das wichtig sein." Er zwinkerte und drehte sich wieder um, um aus meinem Büro zu gehen. Dann wedelte er kurz mit der Hand durch die Luft. "Machen Sie, dass sie hier rauskommen. Bei diesem Wetter sollte niemand im Büro versauern."
 

Trotz des großzügigen Angebots von Mr Pullman, früher Schluss zu machen, blieb ich noch eine Stunde, fügte ein paar Änderungen an und räumte den Dreck von meinem Schreibtisch. Zu Hause aß ich eine Kleinigkeit, ließ das rote Licht am Anrufbeantworter blinken, ohne ihn abzuhören, und entschied, dass es viel zu langweilig war, die ganze Zeit im Haus zu hocken. Ich sollte rausgehen und mich in irgendein Café setzen, einen entkoffeinierten Caffè Latte trinken und an meinen Entwürfen weiterarbeiten, also stopfte ich eine der Skizzen in meine Handtasche - und ich musste sie sehr oft falten und knicken, bis sie endlich reinpasste -, und verließ das Haus.
 

Es begann schon zu dämmern, als ich nach ein paar Umwegen durch Geschäften und Boutiquen endlich an der Promenade ankam. Dennoch war das Wetter schön, es war warm, und es wehte ein laues Lüftchen, brachte den Salzgeruch vom Meer hinüber. Ich zog meine Riemchensandalen aus und befühlte mit dem nackten Fuß den Asphalt. Er war sandig und angenehm warm, also konnte ich ruhig barfuß laufen. Die Sandalen in einer Hand schlenderte ich über den Gehweg, zu meiner linken und rechten ein paar hübsche Cafés, Palmen, dahinter der Sandstrand, wo sich noch vereinzelt Menschen aufhielten, aber da es abgekühlt und dunkel geworden war, waren es nicht mehr besonders viele. Das gleichmäßige Rauschen des Meeres veranlasste mich dazu, mich friedlich in meine Gedanken zurückzuziehen und ihnen nachzuhängen, doch schon bald erblickte ich eine mir nur allzu gut bekannte Gestalt, nur wenige Dutzend Meter vor mir.

Die pummelige, ältere Frau in den viel zu bunten Klamotten, engen schwarzen Leggings und dem Stirnband um den dauergewellten Lockenkopf stand an einer Imbissbude und schien angeregt mit dem Verkäufer zu plaudern, und erschrocken stürzte ich vom asphaltierten Gehweg in Richtung des Strandes, um mich in Sicherheit zu bringen. Doch es waren die Arme eines Mannes, in denen ich landete, als ich schwungvoll umkehrte.

In denen von Jason Cornell, um genauer zu sein.

- 5 -

Jason stand so dicht hinter mir, dass ich schwungvoll gegen ihn prallte, und als ich zurücktaumelte, hielt er mich grinsend an den Schultern fest. Wie konnte er sich so nah an mich heranschleichen, ohne, dass ich ihn gesehen hatte?

"Hoppla", lachte er. "Vorsicht."

Hastig machte ich mich von ihm los und warf dann einen nervösen Blick über meine Schulter. Meine Mutter war fertig mit ihrer Plauderei und wandte sich gerade zum Gehen. Ausgerechnet in unsere Richtung. Ich bekam langsam Panik. Auf keinen Fall durfte sie mich sehen!

"Lust auf einen Eiskaffee?", fragte Jason, wie üblich, und ging mir damit ziemlich auf die Nerven, wie üblich. "Ich lad Sie ein." Dass er für mich gerade von geringerer Priorität war, schien er gar nicht wahrzunehmen.

Aber ich hatte keine Zeit, mich mit ihm herumzuschlagen, deshalb schüttelte ich nur den Kopf und versuchte, mich schnell an ihm vorbeizudrücken, um abhauen zu können, aber Jason stellte sich mir in den Weg, sodass ich mich gezwungen sah, ihn anzusehen und irritiert die Stirn zu runzeln.

"Hören Sie, Jason, ich kann jetzt nicht, okay?" Abermals riskierte ich einen besorgten Blick zurück, und Jason schaute über meine Schulter ebenfalls neugierig in dieselbe Richtung.

Dann hob er die Augenbrauen. "Die Dame kommt übrigens immer näher", grinste er verschlagen. "Sie müssen sich schnell entscheiden."

Ich wagte es gar nicht mehr, mich umzudrehen, und überlegte blitzschnell, was das kleinere Übel für mich wäre. Jason "Ich hatte sie alle" Cornell oder meine Mutter mit ihrem Familiengewäsch, die mir nur noch mehr Geld aus der Tasche ziehen würde, um damit Andy's Miete bezahlen zu können.

Die Entscheidung fiel mir nicht schwer, obwohl ich wusste, dass der Tag für mich so oder so gelaufen war. Jason war ein Blödmann, aber mit dem wurde ich fertig. Mit meiner Mutter nicht.

"Gut, von mir aus", knurrte ich widerwillig und warf ihm einen grimmigen Blick zu, nur, um ihm zu zeigen, dass ich das Ganze nicht aus freien Stücken machte.

Er lächelte ziemlich selbstzufrieden - ein Gesichtsausdruck, den ich ihm gerne mit der Faust weggewischt hätte -, und schob mich dann, mit einer Hand in meinem Rücken, den Sandstrand hinunter, immer weiter weg von der irren Frau, der ich nicht begegnen wollte.

"Behalten Sie ihre Hände gefälligst bei sich", keifte ich ihn erbost an und ging einen Schritt schneller, damit er mich nicht mehr berühren konnte.

"Schon gut, ich wollte nur helfen", winkte er unbeteiligt ab und zeigte dann auf ein kleines Strandcafé, auf das ich schon lange ein Auge geworfen hatte. Es war relativ neu, und ich hatte noch nie die Zeit gefunden, mich reinzusetzen. Doch heute, mit dem lauernden Jason im Nacken, war ich auch nicht sonderlich scharf drauf.

Als wir näher kamen, machte ich große Augen. Es gab viele Strandcafés in dieser Gegend, aber dieses hier war so richtig typisch. Es hatte diesen Karibik-Flair, obwohl wir uns hier 'nur' in Kalifornien befanden.

Es gab eine große Veranda, die in Richtung des Meeres hinausführte. Die Tische hatten eine marmorne Oberfläche und waren allesamt rund, genauso wie auch die Stühle, deren schwarze Sitzflächen gepolstert waren. Die Holzverkleidung des Gebäudes war weiß angestrichen und wirkte ein wenig rustikal. Zwischen den einzelnen Tischen befanden sich Sonnenschirme, allerdings bestanden diese aus Stroh, ebenso die Überdachung des Cafés an sich.

Vom Strand aus führte eine kleine Treppe auf die Veranda, die mit dunklen Holzdielen ausgelegt war, und zwischen meinen Zehen sammelte sich der warme Sand, als wir darauf zuhielten.

Auf jedem Tisch befand sich ein leuchtendes Windlicht, einer alten Öllampe nachempfunden, und überall auf der Terrasse standen eingetöpfte Palmen herum, ebenso wie große hölzerne Fässer, gefüllt mit schwarzer Blumenerde, aus der bunte Blumen sprossen. Fliederfarbene und pinke, allesamt sehr sommerlich und herrlich duftend.

Ich ließ Jason vorgehen, während ich mich genauestens umschaute und versuchte, all das in mich einzusaugen und so genau wie möglich abzuspeichern. Möglicherweise würde es mir irgendwann in meinem Beruf noch mal nützlich sein. Ich folgte ihm zu einem dieser runden Tische und war froh, dass er sich nicht die Mühe machte, meinen Stuhl für mich zurechtzurücken. Aber vielleicht wusste er auch, dass ich mir das auf keinen Fall würde gefallen lassen.

Als wir uns setzten, schob er mir die Getränkekarte, die auf seiner Seite lag, zu, und fragte: "Erzählen Sie mal, Amy. Ist es eines ihrer Hobbys, ältere Damen zu beschatten?"

Meine Mutter als "ältere Dame" zu bezeichnen... ein Glück, dass sie das nicht hören konnte. Ich seufzte bei dem Gedanken an sie und ich weiß nicht, was mich in diesem Moment geritten hat, denn in einem resignierten Anfall von Ehrlichkeit gestand ich: "Das war meine Mutter."

Jason wäre fast der Mund offen stehen geblieben - ein Anblick, den ich zu gerne gesehen hätte -, aber er hatte sich viel zu gut im Griff. Stattdessen glotzte er dumm aus der Wäsche, als könnte er es nicht fassen, sagte jedoch nichts.

Ich glaubte zu wissen, was er gerade dachte. Wie konnte eine so bunte, flippige, unkonventionelle Frau eine so normale, gewöhnliche Tochter zur Welt bringen, wie mich? Aber normal und gewöhnlich zu sein, das war schon immer alles gewesen, was ich wollte. Von klein auf. Es war die Essenz meines Lebens. Eines normalen, gewöhnlichen, langweiligen Lebens. Ich liebte es!

Jason räusperte sich. "Ihre Mutter ist anscheinend sehr..." Er suchte nach einem passenden Wort. "...speziell, hm?", fügte er schließlich sehr diplomatisch hinzu.

Ich konnte mir nicht helfen, lachte unfroh auf. "Das kann man wohl sagen."

Noch bevor ich einen Blick in die Karte werfen konnte, kam die Kellnerin - weißblond, groß, gebräunt, und das wichtigste: Ausschnitt bis zu den Kniekehlen -, schmachtete Jason ein bisschen an und nahm unsere Bestellungen entgegen. Ich bestellte einen Milchshake, Jason tatsächlich einen Eiskaffee.

"Und warum in Gottes Namen flüchten Sie vor Ihrer Mutter?", hakte er neugierig nach und spielte mit einer abgeknickten Ecke der Getränkekarte, die wieder vor ihm lag.

Ich zog die Nase kraus. In so einer Situation hatte ich mich noch nie befunden - mit dem 'Feind' an einem Tisch zu sitzen und sich unterhalten zu müssen. "Das geht Sie nichts an", räumte ich ein und versuchte, meinen Tonfall so neutral wie möglich zu halten. Sicher, ich hätte ihn gerne angepflaumt, denn immerhin war er noch immer Jason, der große böse Wolf, der Feind, der nervige Typ, der sogar dieses "Kaffeetrinken" durch einen Trick und auf ziemlich unmoralische Weise erzwungen hatte, allerdings war ich auch klug genug, zu wissen, dass er mir die Suppe immer noch ziemlich versalzen könnte, wenn er wollte.

"Das ist mir schon klar", erwiderte er. "Ich bin aber trotzdem neugierig."

"Sagen wir einfach, unser Verhältnis ist nicht gerade das herzlichste." Ich hoffte, damit würde er sich zufrieden geben, und er wiegte den Kopf ein wenig hin und her, als würde er überlegen, ob ihm das als Antwort reichte, und nickte dann.

"In Ordnung. Sie wollen anscheinend nicht über ihre Familie reden."

Dann entstand eine peinliche Stille zwischen uns. Ich weigerte mich, Jason auf Persönliches anzusprechen, da ich ohnehin nicht wissen wollte, was er für ein Leben führte und was für ein Mensch er war. Das alles wollte ich nicht herausfinden, und außerdem glaubte ich es ja ohnehin schon zu wissen. Jemand, der eine Frau durch einen niederträchtigen Trick dazu bringt, mit ihm etwas trinken zu gehen, wird wohl kaum einen einwandfreien Charakter und tiefgründige Wertvorstellungen haben.

Jason hingegen schien nach einem Thema zu suchen.

"Und wie läuft es mit den Entwürfen?", fragte er dann, fummelte noch immer an der lädierten Ecke der Menükarte herum, als wäre er nervös. Wie gebannt beobachtete ich sein Vorgehen - ihm wohl absolut unbewusst -, und wartete nur darauf, dass die Karte bald auseinander fiel. Dann blickte ich wieder auf und starrte in sein erwartungsvolles Gesicht.

"Gut", wiederholte ich, ein zweites Mal an diesem Tag, und dann: "Ich komme gut voran."

"Das ist... gut", sagte er stirnrunzelnd, in Ermangelung eines anderen, besseren Wortes. Und dann schwiegen wir wieder.

Ich hätte zu gerne die Augen gerollt. Wenn das hier ein Date gewesen wäre, hätte man darüber sagen können, dass es absolut beschissen lief. Aber Gott sein Dank war es keins.

Jason schien denselben Gedanken zu haben, denn plötzlich grinste er wieder. "Ich weiß gar nicht, wie ich mit Ihnen umgehen soll, wenn Sie nicht so biestig sind wie im Büro", gestand er und seine Augen blitzen herausfordernd auf.

Mein Mund klappte auf - so etwas hatte ich nicht erwartet - und als ich antworten wollte, knallte jemand einen Milchshake vor mich hin. Die Flüssigkeit schwappte über den Rand des Glases und lief an den Seiten herunter, hinterließ weiße, dickflüssige Spuren an der Glasoberfläche. Ich warf der Kellnerin einen bösen Blick zu, aber die war damit beschäftigt, Jason's Eiskaffee behutsam vor ihn auf den Tisch zu stellen. Dann ließ sie wie aus Versehen eine Serviette neben sein Glas fallen, auf der eindeutig irgendwelche Ziffern aufgeschrieben waren.

"Das ist nicht ihr Ernst", sagte ich fassungslos, als sie endlich verschwunden war, und meinte damit die vollbusige Blondine ohne Schamgefühl. "Hat die Tussi Ihnen tatsächlich ihre Telefonnummer untergeschmuggelt?"

Jason warf einen Blick auf die Serviette. "Handynummer", korrigierte er mich, und dann schaute er mich fragend, aber amüsiert an. "Tussi?"

Ich ignorierte das. "Ganz schön unverschämt."

Zu meiner Empörung faltete er das Schriftstück akkurat zusammen und steckte es sich in seine Hosentasche. Schon wieder trug er nur eine Khakishorts und ein dunkelblaues T-Shirt, fast so, als würde seine Garderobe nicht mehr hergeben als diese Kombination.

"Unverschämt?", hakte er arglos nach.

"Ich hätte auch Ihre Freundin sein können, oder Frau, oder was weiß ich. Und dann kommt diese Tussi daher und schiebt Ihnen ihre Telefonnummer zu, als sei das das Normalste der Welt. Geht's noch?"

Jason lächelte nachsichtig und legte den Kopf schief. "Sind Sie aber nicht."

Ich schnaubte. "Das weiß SIE aber nicht."

Er grinste und schaute die Tischplatte an. Dabei hob sich eine seiner Augenbrauen höher als die andere.

"Es war nicht die feine englische Art, das muss ich zugeben. Aber wir sind ja hier auch nicht in England, oder?"

Ich verdrehte die Augen. Er hielt sich wohl für witzig. Fehlanzeige.

"Hören Sie, Jason. Dass ich jetzt hier mit Ihnen sitze, heißt nicht, dass ich Sie plötzlich doch mag, klar?" Sondern nur, weil ich vor meiner Mutter flüchten musste, fügte ich in Gedanken hinzu.

Er lachte leise. "Was Sie nicht sagen", erwiderte er trocken. "Dann ist das wohl kein günstiger Zeitpunkt, Sie zu fragen, ob Sie mich heute Nacht in meine Wohnung begleiten?"

Ich riss die Augen auf und starrte ihn entsetzt an. Als er meinen Gesichtsausdruck sah, brach er in lautes Gelächter aus, dieser Mistkerl.

Mir ging auf, dass er nur einen Witz gemacht hatte, aber ich fand das - ihn - alles andere als lustig. So ein Vollidiot, dachte ich entzürnt.

"Nur, wenn Sie Todessehnsucht haben", konterte ich ruhig.

Er entblößte eine Reihe weißer Zähne und nahm dann den Trinkhalm in den Mund, dessen anderes Ende in seinem Eiskaffee steckte, zog fast die Hälfte seines Getränks durch. Das Glas leerte sich zusehends.

Da er ganz offensichtlich nichts mehr zu dem Thema sagen wollte, entspannte ich mich ein wenig, nippte ebenfalls an meinem Shake und schaute mich gleichmütig um. Mittlerweile war es richtig dunkel geworden und über uns funkelten Tausende von Sternen am Himmel. Vom Meer wehte eine frische Brise herüber und um uns herum saßen lauter... Pärchen.

Ich blinzelte und schaute genauer hin. Lauter zweisame Männchen und Weibchen, die bei Kerzenschein aßen, tranken, und sich tief in die Augen schauten oder miteinander lachten. Ich versuchte, bewusster der Musik zu lauschen und stellte fest, dass ausschließlich langsame, romantische Stücke gespielt wurden.

Jason saß entspannt auf seinem Platz, zurückgelehnt, den rechten Ellbogen lässig an der Stuhllehne gestützt, und schaute mich an.

Der Gedanke, was zum Teufel ich hier machte, jagte wie ein Stromstoß durch meinen Kopf, machte ihn frei, und ich sprang hastig auf und griff nach meiner Tasche. Wir zwei sahen aus wie ein Liebespaar bei einem Date, und das konnte ich auf keinen Fall auf mir sitzen lassen. Jason sollte nicht denken ,dass er mich doch noch rumkriegen konnte - denn warum sonst hätte er mich in diese Verliebtenhölle einladen sollen?! So ein Mistkerl!

Erschrocken von meinem plötzlichen Aufbruch richtete er sich wieder gerade im Stuhl auf, betrachtete mich einen Augenblick und kam dann ebenfalls auf die Beine. "Bleiben Sie doch noch", bat er, richtig in der Annahme gegangen, dass ich ihn nun hier sitzen lassen wollte.

"Nein, wirklich." Ich schluckte. "Ich muss jetzt gehen." Ich kramte in meiner Handtasche, die vollgestopft war mit Skizzen, nach meinem Portemonnaie, und kratze ein paar Dollermünzen zusammen, die ich neben mein fast noch volles Glas auf den Tisch legte.

Jason musterte das Geld skeptisch, und warf mir dann einen argwöhnischen Blick zu. "Amy, ich habe Sie eingeladen. Das wissen Sie doch noch? Nehmen Sie ihr Geld bitte wieder."

Ich bekam langsam Panik, da seine Worte nur noch mehr nach Pärchenkiste klangen. Ich fühlte die neugierigen Blicke der umhersitzenden Paare auf mir, sie brannten mir Löcher in den Rücken und ich wurde so nervös, dass mein Gesicht anfing zu brennen. Gleichzeitig war ich furchtbar wütend auf Jason, dass er mich in diese Lage gebracht hatte.

"Ich brauche keine Almosen von Ihnen, Jason, danke", sagte ich kühl, aber meine Stimme war um einige Nuancen leiser als sonst, denn um uns herum lauschten mehr Ohrenpaare, als mir lieb war.

Ich drehte mich um und versuchte, so würdevoll die möglich an den starrenden Gesichtern vorbeizuschreiten, und ließ Jason einfach stehen, was wahrscheinlich ziemlich blamabel für ihn war, aber das kümmerte mich nicht sonderlich.

Sobald ich außer Sichtweite des Cafés angelangt war, trat ich wieder auf den asphaltierten, aber sandigen Bürgersteig, stellte meine Sandalen auf den Boden und schlüpfte mit den Füßen hinein. Dann nahm ich einen tiefen Zug der frischen Sommerluft, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen und die Verwirrung zu lichten, und machte mich auf den Heimweg, mich immer wieder fragend, was Jason eigentlich für ein Typ war, und was für ein Problem er hatte.

- 6 -

Erschlagen betrat ich das Bürogebäude am Montag Morgen. Das gesamte Wochenende hatte ich damit verbracht, in der Wohnung zu sitzen und an den Skizzen für den neuen Büro- und Wohnkomplex zu arbeiten, denn draußen hatte es geschüttet wie aus Eimern, aber ausgerechnet jetzt, am Montag, wo ich wieder zur Arbeit musste, schien die Sonne wieder, als wäre nichts gewesen. Der nasse Asphalt trocknete langsam, und von dem Regenschauer am Wochenende zeugten nur noch vereinzelte Pfützen und die frische, kühle Brise, wie man sie nach einem kräftigen Sommergewitter kennt.

Zudem hatte ich eine ruhelose Nacht gehabt - nicht, dass ich nicht hatte schlafen können, aber meine Träume waren verwirrend und unruhig gewesen. Ich hatte von meiner Familie geträumt, meiner Mutter und meinem Bruder, wie sie, zusammen mit einem rosa Ferkel, mein Büro stürmten und wild auf mich einredeten und -grunzten. Die Nacht war also purer Stress und nach dem Aufwachen war ich so gerädert gewesen, dass ich das Gefühl hatte, nachts kein Auge zugetan zu haben. Seltsamerweise fühlte ich mich immer dann genau so, wenn ich tatsächlich mit meiner Familie konfrontiert wurde – im wirklichen Leben, meine ich. Was allerdings das Schwein im Traum sollte, darauf konnte ich mir keinen Reim machen. Ich hoffte nur, Andy oder Mum hatten sich nicht ein Hausschwein zugelegt. Anders konnte ich das nicht deuten.

"Hey, Amy", begrüßte Jenny mich lächelnd. Sie sah heute etwas gesünder aus als sonst - ihre schwarzen Haare glänzender, ihre Augen wachsamer - ganz im Gegensatz zu mir.

"Guten Morgen", ächzte ich unter dem Gewicht meiner düsteren Gedanken und seufzte trübsinnig. Ich hatte heute wirklich keine große Lust, zu arbeiten, und dass der erste Abgabetermin immer näher rückte, machte es nicht unbedingt besser. Ich fühlte mich dieses Mal nicht besonders zuversichtlich, was meine Ideen anging. Die Entwürfe für die Inneneinrichtung waren schön, ohne Frage, aber irgendetwas fehlte noch... und ich bezweifelte, dass sich mir dieses gewisse Etwas bis Mittwoch erschließen würde. Vielleicht waren es aber auch nur meine Gedanken und Probleme bezüglich meiner Familie, die mich so blockierten. Sogar, wenn sie meilenweit weg waren, verfolgten die beiden mich auf Schritt und Tritt. Manchmal gab es lange Pausen, in denen sich keiner der zwei meldete, und dann wiederum Zeiträume, wo ich am liebsten in ein anderes Land auswandern würde, um ihnen aus dem Weg zu gehen.

"Was ist los? Lange Nacht gehabt?" Jenny grinste mich vielsagend an, nur hatte ich absolut keine Ahnung, was sie meinte.

"Äh", sagte ich geistreich. "Wie meinst du das?"

Das Telefon klingelte, und sie drückte auf die Besetzt-Taste und schickte den Anrufer in eine Endlos-Warteschleife, wo er mit Beethoven’s Symphonien bedudelt werden konnte, während Jenny sich mit mir unterhielt. Dann legte sie den Kopf schief und lächelte wohlwollend. "Komm schon, Amy. Ich weiß es."

"Was weißt du?", wollte ich begriffsstutzig wissen. Allmählich hatte ich das Gefühl, dass ich irgendetwas Entscheidendes verpasst hatte. Bloß was?

"Das mit Jason. Mit eurem Date."

"Mit unserem Date?", echote ich stumpfsinnig und kramte in meinem Gedächtnis nach einer Erinnerung, die mir auf die Sprünge helfen würde. Dann fiel es mir wieder ein. Unser kleines, unglückseliges Zusammentreffen an der Promenade! "Das war nicht... Das war doch kein Date", widersprach ich verwirrt. "Wie kommst du darauf?"

Sie nickte mit dem Kopf in Richtung des Besprechungsraumes, der sich ebenfalls im Erdgeschoss befand. "Mr. Cornell ist da. Er hat sich vorhin nach dir erkundigt und da hat er es erzählt."

Ich beugte mich über den Empfangstresen zu Jenny hinüber und stützte mich mit den Armen ab, dann blickte ich ihr fest in die Augen, als könnte ich sie durch meine Worte hypnotisieren. "Jenny. Das war kein Date. Wir saßen nur im Café. Cornell hat mich praktisch dazu gezwungen", erklärte ich ihr mit viel Nachdruck, damit sie mir auch ja glaubte. "Ich hatte keine Wahl." Zugegeben, das hörte sich seltsam an...

Jenny lächelte und zwinkerte mir komplizenhaft zu. "Schon klar, Amy. Verstehe."

Als ich sie nur unverwandt anstarrte, hob sie abwehrend die Hände. "Hey, niemand macht dir einen Vorwurf. Mr Cornell ist ein junger, erfolgreicher und zudem gutaussehender Typ. Wenn ich mit ihm zusammenarbeiten müsste, würde es mir wohl nicht anders gehen. Ist schon in Ordnung, wirklich."

Ich richtete mich frustriert auf und atmete tief durch, um meinem Ärger nicht sofort Luft zu machen. Wieso glaubte Jenny mir nicht, und warum, zum Teufel, lief Cornell herum und erzählte der ganzen Welt, wir hätten eine Verabredung gehabt, obwohl er ganz genau wusste, dass es nicht so war? War er ein kompletter Vollidiot, oder was?

In diesem Moment ging die Tür des Konferenzzimmers auf und Mr. Pullman kam heraus. Er hatte wie immer einen schwarzen Anzug mit Krawatte an - was seine Garderobe betraf, war Bill eher konservativ und nicht ganz so experimentierfreudig wie Jason -, und strahlte übers ganze Gesicht, als er mich erblickte. Freudig kam er auf mich zu.

Ich spinkste kurz über seine Schulter, durch das milchige Glas des Konferenzraumes. Die Gestalt, die sich dort befand - laut Auskunft Jason -, saß immer noch an seinem Platz, mit dem Rücken zur Tür. Wieso war er heute hier?

"Amy, wie schön. Ich habe es gerade gehört."

Ich stürzte mich sofort auf Bill. "Wieso ist Mr. Cornell heute hier? Der erste Abgabetermin ist doch erst am Mittwoch", verlangte ich panisch zu wissen. Ich war noch nicht soweit, noch nicht fertig!

Bill lachte. "Ganz ruhig, Amy. Ich hatte mit Mr. Cornell nur eine kleine Besprechung bezüglich des Bugets, nichts weiter. Sie sind natürlich erst am Mittwoch dran."

Ich atmete erleichtert auf. Gott sei Dank... nichts ist schlimmer, als unvorbereitet zu einem Termin zu kommen und seine Ideen vorstellen zu müssen. Nicht, dass mir das jemals passiert wäre, aber ich hatte trotzdem jedes Mal Angst davor, irgendetwas falsch zu machen, oder nicht genug vorbereitet zu sein.

"Aber etwas Anderes, Amy." Mr Pullman legte mir eine Hand auf die Schulter und schob mich behutsam etwas abseits, damit Jenny uns nicht hören konnte. Sie schaute trotzdem neugierig zu uns herüber. "Ich freue mich sehr für Sie, und natürlich freut es mich am allermeisten, dass ich Recht hatte und die richtige Wahl für Sie getroffen habe, aber es wäre mir sehr wichtig, wenn sie das Geschäftliche nicht mit dem Privaten vermischen und unser Deal nicht darunter leidet."

"Wie bitte?", hakte ich irritiert nach und warf einen hilfesuchenden Blick zu Jenny, die nur grinsend mit den Schultern zuckte. Natürlich hatte sie alles mitgehört.

"Na Sie und Jason", erklärte Bill geduldig und lächelte mich wohlwollend an. "Sie geben übrigens ein hübsches Paar ab."

"Mr. Pullman...", begann ich konsterniert und schüttelte empört den Kopf. "Wir sind nicht... wir sind kein Paar. Und was meinen sie überhaupt mit der 'Wahl', die Sie für mich getroffen haben?"

Ich bekam langsam ein ungutes Gefühl. Mein Chef als Kuppler? Schlechte Idee! Sehr schlecht sogar. Noch schlechter, wenn man Jason Cornell in diese Gleichung mit einbezog.

Mr. Pullman machte nun ein Gesicht wie ein kleiner Junge, den man beim Keksestibitzen in der Küche erwischt hatte. Er grinste ertappt und zog die Schultern hoch. "Jason hat mir alles erzählt, über ihre Verabredung am Freitag. Seien Sie ihm nicht böse deswegen. Und ich wusste gleich, dass er ein netter Junge ist und gut zu Ihnen passen würde. Ich verrate es auch keinem, wenn Sie es erst mal geheim halten wollen. Das verstehe ich vollkommen." Er zwinkerte mir vielsagend zu und ich verdrehte die Augen.

"Würden Sie mich bitte entschuldigen?", verabschiedete ich mich kühl von Mr. Pullman. "Ich habe etwas mit Jason zu besprechen." Jetzt würde der arme Irre etwas zu hören bekommen... was dachte er sich eigentlich, wer er war?!

"Sicher, nur zu." Mr. Pullman trat zur Seite und machte den Weg in den Konferenzraum frei. Dabei sah er mir lächelnd hinterher, denn bestimmt dachte er, ich wollte da drinnen ein bisschen Süßholz raspeln mit Mr. Ich-der-tollste-Hecht-unter-der-Sonne.

Ich stürmte brodelnd in den Raum und zwang mich die Tür behutsam hinter mir zuzuziehen, obwohl ich nicht wenig Lust hatte, sie wütend ins Schloss knallen zu lassen. Allerdings hatte ich Angst, dass dann das Glas zerspringen würde.

Ich baute mich mit verschränkten Armen vor Jason auf, der noch immer am Tisch saß, irgendwelche Dokumente vor sich liegend, und las. Er blickte arglos auf, und als er mich sah, wagte er doch tatsächlich, zu lächeln.

"Hallo, Amy. Schön, Sie zu sehen", begrüßte er mich freundlich.

Ich schnaubte, schmiss meine Tasche auf den Tisch vor mir, und funkelte ihn wütend an. Er hingegen mimte das Unschuldslamm schlechthin.

"Wieso", knurrte ich, "machen Sie das?"

Er setzte eine überraschte Miene auf. Dieser Mistkerl! "Was denn?"

"Tun Sie nicht so, Sie wissen genau, was ich meine." Dann beschrieb ich den Raum mit einer Handbewegung und konkretisierte: "Meinem Chef erzählen, wir hätten ein Date gehabt!"

Ein füchsisches Grinsen stahl sich auf Jason's Gesicht. "Aber Amy. Wir hatten ein Date."

Dabei zwinkerte er mir verschwörerisch zu. Wieso um alles in der Welt zwinkerten mir die Leute heute zu, als wüssten sie mehr als ich?! Ich fühlte mich mittlerweile wie eine idiotische Spielfigur, die niemand ernst nahm.

"Nein", keifte ich erbost, "hatten wir nicht. Und Sie wissen das genauso gut, wie ich! Sie bringen mich ganz schön in Schwierigkeiten! Was sind Sie nur für ein Mensch?!"

Jason runzelte die Stirn, grinste, machte den Mund auf, um etwas zu sagen, und schloss ihn wieder. Wahrscheinlich das erste Vernünftige, das er an diesem Tag getan hatte.

"Das machen Sie doch nur, um mich zu ärgern!" Und ich blöde Kuh fiel doch tatsächlich darauf rein, wurde mir in diesem Moment klar. Er spielte nur mit mir, und ich war ihm sofort in die Falle getappt!

"Natürlich", erwiderte Jason trocken und lächelte ironisch. "Mein erklärtes Ziel ist es einzig und allein, Sie zu ärgern. Dass ich es jetzt schon geschafft habe, vor..." Er warf einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr, "zehn Uhr vormittags, verschafft mir für den Rest des Tages eine Menge Freizeit."

Ich knurrte in mich hinein. "Sie sind unmöglich", warf ich ihm vor.

"Vielen Dank", sagte er doch tatsächlich ziemlich geschmeichelt und auch leicht überrascht.

"Das war kein Kompliment", erklärte ich ihm kalt. Das wäre ja noch schöner, wenn er sich einbildete, ich würde ihn für seine schwachsinnigen Taten auch noch mit unverhohlener Bewunderung belohnen.

Doch statt beleidigt zu reagieren, lachte er bloß. Mein Dämpfer hatte nichts gebracht. "Und Sie sind einmalig. Entspannen Sie sich mal. Sie tun ja gerade so, als würde das Leben Sie fressen wollen." Wie, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, lehnte er sich lässig im Stuhl zurück und betrachtete mich grienend. Als ich den Mund aufmachte, um darauf zu antworten, hob er allerdings die Hände in die Höhe und brummte mit verstellter Stimme, als wäre er ein Alien: "Ich. Komme. In. Frieden." Dabei hörte er sich viel mehr an wie Darth Vader unter seiner dicken Maske.

Beifallheischend grinste er mich an, aber ich verzog nicht einmal einen Gesichtsmuskel, sondern starrte ihn nur weiterhin zweifelnd an. Cornell hielt sich wohl für besonders lustig, dabei war er einfach nur besonders lästig. Und obwohl der Unterschied nur ein einziger Buchstabe war, lag doch eine Kluft zwischen diesen beiden Eigenschaften.

"Nicht witzig?", wollte er amüsiert wissen, wieder mit seiner normalen Stimme.

"Nein", bestätigte ich, nicht im geringsten beeindruckt.

Er zuckte mit den Schultern, als wüsste er sich selbst auch keinen Rat mehr. "Ich sag's ja. Total verklemmt."

Da war er wieder, der Versuch, mich zur Weißglut zu bringen, aber dieses Mal würde ich nicht so einfach drauf hereinfallen. In aller Seelenruhe nahm ich meine Tasche vom Tisch, hängte sie mir über die Schulter und ging langsam zur Tür.

"Lieber tausendmal verklemmt, als schlechte Witze zu erzählen", murmelte ich im Gehen, jedoch noch laut genug, dass er es auch hören konnte. Dann öffnete ich die Glastür.

"Ich geb's ja zu, das war nicht einer meiner besten", räumte Jason belustigt ein. "Eins zu Null für Sie."

Ich trat aus dem Raum, ohne irgendetwas darauf zu erwidern.

"Bis übermorgen dann, zur Besprechung Ihrer Arbeit", rief er mir noch gut gelaunt hinterher, und beförderte mich mit diesen Worten wieder in meinen Arbeitsmodus. Meine Ideen mussten gut sein. Die Entwürfe phänomenal. Ich durfte diesem oberflächigen, arroganten Kerl keine Angriffsfläche bieten, denn mir war mittlerweile klar, dass er alles gegen mich verwenden würde, was ihm glücklicherweise in die Finger fiel. Genauso, wie ich es auch bei ihm tun würde. Wenn ich nur die Gelegenheit dazu bekomme.

- 7 -

Marley wartete wie üblich an der Ecke auf mich, mit der Hüfte gegen ein kleines Mäuerchen gelehnt, das einen Vorgarten vom Bürgersteig trennte. Sie steckte sich gerade die letzten Reste ihres Croissants in den Mund, als sie mich bemerkte, und strahlte mich an.

"Hey, Amy. Heute ist der große Tag, was?"

Wie hatte ich auch nur eine Sekunde glauben können, ich könnte das verdrängen, bis ich im Büro war? Ich seufzte. "Ja."

"Nervös?", hakte sie fröhlich nach.

"Na ja..." Ich zögerte. Sie hatte recht, ich war irgendwie unruhig, dabei bestand dafür gar kein Grund. Okay, ich hätte ein bisschen mehr Zeit gebraucht. Aber ich war auch so zufrieden mit dem, was ich geleistet hatte. Das glaubte ich zumindest.

Marley klopfte mir auf den Rücken. "Mach dir keine Sorge. Und wenn die ganze Sache endlich über die Bühne ist, kannst du wieder deinen Atelierspaziergang antreten", versuchte sie mich aufzumuntern, und ihr zuliebe zwang ich mich zu einem Lächeln. Leider würde es noch viel zu lange dauern, bis das Gebäude soweit war, mit Bildern und Gemälden aufgestockt zu werden, vorausgesetzt, Jason würde sich einsichtig zeigen. Das vorgegebene Budget, mit dem ich zu arbeiten hatte, war zwar in Ordnung, aber es ließ mich auch nicht in Freudengeheul ausbrechen, also musste ich mich ziemlich einschränken, wenn ich alles so haben wollte wie in meiner Fantasie.

"Stell dir vor", redete sie weiter. "In der Schule grassieren gerade die Windpocken. Meine halbe Klasse ist schon ausgefallen."

Ich verdrehte die Augen. "Bei euch ist immer was. Halt dich bloß fern von mir."

"Wieso? Sag bloß, du hattest die Windpocken noch nicht?" Marley lachte, weil sie das für einen großen Witz hielt, aber als sie meinen Blick sah, verstummte sie sofort. "Du hattest die Windpocken noch nicht? Jeder hatte sie!"

"Tja, ich nicht. Und ich hab auch keine Lust, sie zu bekommen, also halt deine läuseverseuchten Windpockenkinder besser auf Sicherheitsabstand."

Marley grinste. "Es ist aber besser, man hat sie, wenn man noch jung ist, später könntest du sie vielleicht viel schlechter vertragen. Komm doch mal bei uns vorbei, wenn deine Besprechung fertig ist. Wir machen eine kleine Kuschelrunde." Sie brach in lautes Lachen aus, als sie meinen Blick sah, der ihr in etwa sagte 'Du hast sie wohl nicht mehr alle'. "Es sei denn", feixte sie dann hinterhältig kichernd, "du legst deine eigene Kuschelrunde mit Mr. Cornell ein."

Entrüstet boxte ich sie gegen die Schulter und sie rieb sich die schmerzende Stelle, warf mir einen genervten Blick zu. "Man, Amy, war doch nur Spaß."

"Vergiss es", riet ich ihr aufgebracht. "Vergiss Cornell. Er ist ein arroganter Schnösel, und er macht sich dauernd über mich lustig."

"Bist du etwa noch immer sauer, dass er rumerzählt hat, ihr hättet ein Date gehabt?" Sie warf mir einen Blick zu und hatte die Antwort. "So nennt mal es nun mal, wenn ein Junge und ein Mädchen sich abends treffen. Eine Verabredung."

"Ich hoffe, du kriegst die Windpocken", murmelte ich grimmig und schüttelte den Kopf. Jason war ganz offensichtlich nicht der einzige, der Freude daran hatte, sich über mich lustig zu machen.

Marley lachte. "Im Gegensatz zu dir hatte ich die schon. Ätsch." Sie streckte mir die Zunge raus, winkte und bog in die Straße ein, die zu ihrer Grundschule führte.

Ich zwang mich, mich zu konzentrieren und meine Gedanken wieder ganz auf die vor mir liegende Präsentation zu fokussieren.
 

Ich war früh dran, deshalb war Jason noch nicht anwesend. Gut für mich, so hatte ich noch genug Zeit um mich in die Materie hineinzudenken. Im Konferenzraum legte ich meine Sachen ab, breitete die Dokumente vor mir auf dem Tisch aus und klappte mein Notebook auf, um das System hochfahren zu lassen.

An meinem Bleistift kauend war so vertieft in die Entwürfe, dass ich gar nicht merkte, wie Jason den Raum betrat. Erst, als er sich gefährlich tief über meine Schulter beugte und meine Zeichnungen betrachtete, erschrak ich und sprang augenblicklich auf.

Er hob eine Augenbrauen. "Nervös, Miss Michaels?"

Zerstreut schüttelte ich den Kopf und versuchte, den Papierkram, der den Tisch bedeckte, wieder einzusammeln. "Ich hab Sie gar nicht reinkommen hören", wich ich seiner Frage aus.

"Ich hab aber geklopft." Er lächelte. "Es gibt keinen Grund, aufgeregt zu sein."

"Bin ich auch nicht", erwiderte ich trotzig und reckte das Kinn.

"Gut." Als ich aufstand und mich an die Projektorwand stellte, blinzelte er irritiert. "Was haben Sie vor?"

"Na... die Präsentation...", stammelte ich verunsichert, ganz untypisch für mich. War ich doch nicht so gut vorbereitet, wie ich dachte? Das konnte nicht sein. Wieso brachte er mich so aus dem Konzept?

"Wir sind doch unter uns. Bitte, setzten Sie sich. Ich denke, wir kommen auch so zurecht." Er wies freundlich auf meinen Platz gegenüber und verwirrt leistete ich seiner Aufforderung Folge. Wir würden unsere Besprechung also sitzend am Tisch hinter uns bringen - sehr seltsam.

Noch während ich mich wunderte, ging die Tür auf und Jenny kam herein. Auf einem Tablett balancierte sie zwei Tassen mit Kaffee und einen Teller mit Gebäck.

Verständnislos starrte ich sie an, und als sie routiniert und ruhig die Tassen und den Teller auf den Tisch stellte, erklärte sie: "Mr. Cornell hat um Kaffee gebeten, und ich dachte, etwas Süßes kann auch nicht schaden."

"Vielen Dank", sagte Jason.

"Gern geschehen. Viel Spaß." Sie zwinkerte mir zu und verschwand guter Laune aus dem Zimmer.

Ich hatte ein schlechtes Gefühl. Das lief alles ganz und gar nicht nach Plan. War das möglicherweise nicht mein Tag? Aber andererseits... Jason meinte es ja offensichtlich gut. Gemütliche, zwanglose Atmosphäre zwischen uns kreieren und das alles... aber trotzdem - gerade deshalb war ich misstrauischer denn je. Warum war er so nett zu mir?

"Also, Amy." Er faltete die Hände auf dem Tisch ineinander, legte den Kopf schief und grinste neugierig. "Lassen Sie mal sehen, was Sie für mich haben."
 

"Kurz gesagt: Die Büros sollen alle möglichst einheitlich gehalten werden, wohingegen ich plane, den Wohnräumen eine individuelle Note zu verleihen, da sich die Wohnungen vom Grundriss her ohnehin schon ähneln", schloss ich meine Ausführungen und atmete erleichtert auf. Endlich war ich am Ende meines Vortrags angekommen und Jason hatte mich die meiste Zeit über erzählen lassen und nur hier und da eine kurze Frage eingeworfen. Überhaupt hatte er sich sehr fachmännisch verhalten und keine blöden Kommentare oder Anzüglichkeiten von sich gegeben. Unter solchen Umständen war es fast schon angenehm, mit ihm zu arbeiten, aber trotzdem hätte ich einen Alleingang bevorzugt. Es war nicht so, dass er ein Mitspracherecht bei der Innenraumgestaltung hatte, es war nur so: er musste es absegnen, da seine Firma für die Einrichtung bezahlte. Und genau deshalb konnte er sich alles erlauben.

Jason schwieg eine Weile, betrachtete den Bildschirm des Notebooks und überlegte. Dann zeigte er auf das gerade dargestellte Bild. "Was sollen diese grauen Kästen hier an den Wänden symbolisieren?"

"Das sind die, äh..." Ich kratzte mich etwas verlegen hinter dem Ohr, "die möglichen Plätze, an denen man Bilder an die Wand hängen könnte. Ich habe sie markiert, wegen dem... äh... Lichteinfall und so." Ihm zu erzählen, dass das das i-Tüpfelchen meiner Arbeit war und dass ich praktisch jeden Auftrag damit abschloss, wagte ich nicht. Es schien mir so etwas Persönliches zu sein und gehörte nur mir allein, dass es mir nicht über die Lippen kam.

"Ach so. Sie suchen auch die Wanddekoration aus", sinnierte er, und ich nickte überflüssigerweise.

"Natürlich nur, solange das Budget es zulässt. Ohne Dekoration und die persönliche Note sehen Räume sonst so... kalt aus."

Er starrte noch immer den Monitor an. "Und Sie glauben nicht, dass die Leute ihre Räume lieber selbst einrichten?"

Ich zuckte mit den Schultern. "Das gehört zu unserem Service. Wenn jemand es nicht wünscht, braucht er es nicht in Anspruch zu nehmen, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass die meisten Menschen, die sich einen Innenarchitekten leisten können, viel zu beschäftigt sind, um sich über so etwas Gedanken zu machen. Deshalb lassen sie ja auch für sich arbeiten - um es nicht selbst zu machen. Trotzdem", fügte ich hastig hinzu, als er mir einen skeptischen Blick zuwarf, "lernen wir von Pullman & Son unsere Klienten natürlich persönlich kennen, bevor wir diese Wahl für sie treffen." Ich hörte mich an, als machte ich Werbung für unser Unternehmen, runzelte irritiert über mich selbst die Stirn und entschied, jetzt lieber nichts mehr zu sagen. Dass ich Jason so - Verzeihung - in den Hintern kriechen musste, damit er mein Konzept endlich absegnete, widerte mich zutiefst an, aber das war nun mal Teil meines Jobs: den Klienten überzeugen. Und dazu gehörte auch, ihm Honig ums Maul zu schmieren.

Jason nickte bedächtig, griff nach seiner Tasse und nahm seelenruhig einen Schluck daraus. Der Kaffee musste mittlerweile lauwarm und eklig sein. Ich hatte meinen kaum angerührt - die volle Tasse stand noch immer vor mir.

Als er fertig mit Trinken war, sah er mich ernst an.

"Okay, Miss Michaels. Das war sehr... interessant. Aber haben Sie nicht auch das Gefühl, dass das alles recht... 08/15 ist?"

Mir klappte der Unterkiefer herunter. "Was?"

"Na ja. Recht gewöhnlich eben. Nichts Neues", präzisierte er freundlicherweise.

Wollte er mich ärgern? Anders konnte es gar nicht sein. "Was verstehen Sie schon davon", erwiderte ich schnippisch, starrte ihn aber erbost an. Dass er mich dort treffen würde, wo es am meisten wehtat, damit hatte ich nicht gerechnet. Er stellte meine Arbeit und meine Kompetenz in Frage.

Jason hob überrascht die Augenbrauen und sah mich abschätzig an. "Ich arbeite in einem Architekturbüro. Was glauben Sie denn, was ich davon verstehe?"

"Sie wollen mich nur ärgern, weil Sie mich nicht mögen", warf ich ihm trotzig vor und bemerkte erstaunt, wie sein Gesichtsausdruck sich von einem Mal auf’s andere verfinsterte.

"Für wie unprofessionell halten Sie mich eigentlich?"

"Was ist dann Ihr Problem?"

Er holte tief Luft. "Mein Problem ist, dass Ihre Ideen zwar hübsch sind, ohne Frage, aber ihnen fehlt jede persönliche Note. Sie sind zeitgemäß und - wie sagt man? - trendy, also Mainstream. Das ist nicht das, was wir wollen."

Nachdem er seine kleine Ansprache beendet hatte, stand mir der Mund offen. Hatte er tatsächlich das Wort "Mainstream" benutzt? Das war in meiner Branche eine unverhohlene Beleidigung. Wie konnte er es wagen?!

"Wir bezahlen Ihnen eine Menge Geld", fuhr er unbeirrt fort, "also bieten Sie uns mehr, als jedes zehnjährige Kind anhand eines Schöner-Wohnen-Magazins zusammenstellen könnte."

Heiße Wut und Scham durchfuhr mich und ich wusste plötzlich gar nicht mehr, wo mir der Kopf stand. "Dann machen Sie es doch selbst!", keifte ich empört und blinzelte. Seine Worte steckten mir wie ein Messer tief in der Brust.

Er lächelte kühl. "Das muss ich gar nicht, denn dafür habe ich ja Sie, Amy, schon vergessen?" Plötzlich verschwand der berechnende Ausdruck auf seinem Gesicht und wich einer verwirrten Distanziertheit. Er trat einen Schritt zurück und runzelte die Stirn. "Sie werden doch nicht etwa weinen, oder? Das wäre nicht besonders professionell."

Das gab mir den Rest. Automatisch suchte ich mit den Augen den Raum nach einer Vase zum Werfen ab, aber der noch funktionierende, nicht frustrierte Teil meines Gehirns wusste, dass das keine gute Idee war. Wenn dieser Idiot tatsächlich dachte, ich würde hier seinetwegen in Tränen ausbrechen wie eine hilflose Maid, dann hatte er sich extrem geschnitten. Sein Ego war noch größer, als ich gedacht hatte, doch warum trafen mich seine Worte härter, als sie sollten?

"Hören Sie, wenn Sie keine Kritik vertragen können, dann haben Sie vielleicht den falschen Beruf gewählt?", legte er mir noch nahe und klang dabei auch noch besonders hilfsbereit. Wahrscheinlich glaubte er selbst daran, dass diese Bemerkung wie eine Offenbarung für mich war.

"Halten. Sie. Ihre. Dämliche. Klappe", knurrte ich aufgebracht und musste mich wirklich schwer zusammenreißen, um ihm nicht meinen kalten Kaffee auf sein weißes Hemd und seinen Anzug zu kippen. Heute hatte er ausnahmsweise endlich einmal adäquate Kleidung am Leib, wie es sich schließlich gehörte. Und obwohl es hieß, Kleider machten Leute, bedeutete das noch lange nicht, dass seine Garderobe aus ihm einen guten Menschen machte. Oder überhaupt einen Menschen.

"Man", meinte Jason und stieß fast ein wenig überfordert die Luft aus. Dann kam er auf mich zu und blieb direkt vor mir stehen. Todesmutig starrte ich ihn wütend an – vor diesem Möchtegerncasanova würde ich bestimmt nicht klein beigeben und mich als erste ducken. "Das Meeting ist offiziell zu Ende, Amy", verkündete er mir ernst und fügte dann hinzu: "Wenn du so wütend bist, will ich nichts lieber tun als... "

Bevor ich einen klaren Gedanken fassen konnte, fasste er mich an den Schultern und presste seine Lippen auf meine Wange. Für einen Moment stand ich stocksteif mit weit aufgerissenen Augen da, da ließ er auch schon wieder von mir ab und begegnete meinem entsetzen Blick mit einem durchtriebenen Lächeln. Noch bevor ich geistesgegenwärtig genug war, auszuholen, war er auch schon an der Tür, zwinkerte mir zu und rief: "Nicht ärgern, das lässt dich früher altern."

Ich kochte vor Wut. Was nahm sich dieser Blödmann eigentlich heraus? Das war doch nicht möglich! Ich sollte mich bei Mr. Pullman beschweren. Oder beim Gouverneur von Kalifornien – Arnie würde ihn im Nullkommanichts platt machen! Oder doch lieber gleich bei Gott?! Aber nein. Nach Jason’s Auffassung müsste ich diese Beschwerde ja direkt bei ihm selbst einreichen.

Bill kam herein und strahlte mich mit seinem Altmännergrinsen an, die Fältchen an seinen Augenwinkeln lachten entzückt. "Amy, das ging ja schnell! Mr. Cornell sah zufrieden aus, als er aus dem Konferenzraum kam, also nehme ich an, Sie haben gute Arbeit geleistet. Gut gemacht. Ich wusste ja gleich, dass Sie die Richtige dafür sind."

Der ganze Zorn fiel von mir ab und machte einer hilflosen Resignation Platz, die sich über mich legte. Stumm nickte ich und sah zu, wie Mr. Pullman sich gut gelaunt von den Keksen nahm. "Sehr gut, sehr gut", murmelte er dabei zuversichtlich. Dass ich total außer mir war, schien er gar nicht zu bemerken.

Ich raffte meine Sachen zusammen und beschloss, einen unglücklich-lästernden Mädelsabend mit viel Schokolade anzuberaumen. Marley und Jenny waren für so etwas immer gut zu haben und ich wollte eigentlich nur schimpfen, schimpfen, schimpfen wie ein Rohrspatz. Und vielleicht Brad Pitt auf DVD anschmachten.

- 8-

"Wirklich, das ist nicht witzig. Überhaupt nicht!", grummelte ich genervt, aber Jenny und Marley das Grinsen aus dem Gesicht zu wischen war schwieriger, als gedacht. Überhaupt war dieser Abend eine einzige Zeitverschwendung, denn irgendwie schienen meine beiden Freundinnen ganz und gar nicht auf meiner Seite zu sein. Außerdem hatte ich wegen Jason schon seit Tagen schlechte Laune, und das gefiel mir ebenfalls nicht. Ich konnte doch nicht dauernd miesepetrig herumrennen! Trotzdem störte mich die Reaktion der beiden. Man musste ja nicht hinter jedem Busch eine Liebesaffäre wittern, oder?

"Doch, ich bin sicher in ein paar Tagen wirst du auch darüber lachen können", versicherte Marley mir großspurig und kratzte sich abwesend am Oberarm, was mich an die Windpocken denken ließ, die in ihrer Schule grassierten...

Wir hatten es uns in meinem Wohnzimmer auf dem Sofa gemütlich gemacht und uns gegen einen Film entschieden, da Wichtigeres anstand. Da wir am nächsten Morgen alle zur Arbeit mussten, konnte der Abend sowieso nicht allzu lange dauern – außerdem müsste Jenny zu ihrem Sohn zurück -, also unterhielten wir uns nur, tranken ungesunde Limonade und aßen ungesundes Chipszeug. Wenigstens das gönnten wir uns.

Ich schüttelte den Kopf. "Sicher nicht. Da gibt es nichts zu lachen. Das ist ja schon fast... Belästigung..."

"Also in manchen Ländern", mischte Jenny sich nun auch ein, "ist ein Kuss auf die Wange Pflicht bei einer angemessenen Begrüßung oder beim Abschied."

"Ja schön." Ich schnaubte. "Wir sind hier aber nicht 'in manchen Ländern' und niemand muss sich so etwas bieten lassen, wenn er nicht will."

"Ich weiß ja, dass es nicht schwierig ist, Amy dazu zu bringen, aus der Haut zu fahren, aber ist dieser Jason wirklich so furchtbar, wie sie behauptet?" Marley wandte sich nun an Jenny, da sie meinem Urteil anscheinend keinen Glauben schenkte, und nahm sich einen Erdnussflip aus der Chipsschüssel, auf dem sie bedächtig herumkaute.

Jenny schüttelte den Kopf und seufzte genießerisch. In ihre Augen trat ein verträumter Ausdruck. "Jason ist der Knaller", verkündete sie. "Jung, ambitioniert, gutaussehend!" Das letzte Wort sagte sie mit besonderer Betonung, als ob alles Andere eigentlich gar nicht zählte. Dann kicherte sie mädchenhaft und warf mir einen verschmitzen Blick zu. "Und ich glaub’ Amy auf's Wort, dass er eine Frau dazu bringen kann, vollkommen außer sich zu sein."

Ich rollte mit den Augen. Wieso glaubte mir hier eigentlich keiner, dass Jason hinter seiner schönen Fassade ein furchtbarer Kerl war? Ich kam mir vor, wie in einem schlechten Film.

"Und nun?", wollte Marley dann endlich wissen und griff nun mit der ganzen Hand in die Schüssel hinein, ohne hinzuschauen. Jenny hatte heute noch nichts davon gegessen.

"Tja", erwiderte ich niedergeschlagen und merkte, wie meine Schultern unwillkürlich nach vorne sanken. "Jetzt muss ich mir was einfallen lassen, sonst bewilligt er auf keinen Fall das Budget und sucht sich ein anderes Unternehmen für dieses Riesenprojekt."

"Was?", hickste Marley empört. Anscheinend schien sie langsam zu verstehen, was ich ihr seit Anbeginn meiner Zusammenarbeit mit Cornell zu erklären versuchte. "Das geht doch nicht. Also ich fand deine Entwürfe immer ziemlich hübsch. Komisch."

"Warte mal", fiel Jenny ihr ins Wort. "Was hast du eben gesagt?"

Ich zuckte mit den Schultern. "Ich muss mir was Anderes einfallen lassen. Leider habe ich keine Ahnung, was Mr. Superwichtig sehen will. Hier habe ich echt das Gefühl, ich muss was anfertigen, was ihm gefällt und nicht, was den Kunden möglicherweise gefallen könnte..."

"Nein, nein", winkte Jenny ungeduldig ab und runzelte die Stirn, fixierte mich mit ihren himmelblauen Augen. "Das mit dem Budget. Wie kommst du darauf?"

"Hat er selbst gesagt."

Sie grinste.

"Was ist?", wollte ich misstrauisch wissen. "Warum lachst du so?"

Jenny lehnte sich genüsslich zurück und maß mich mit einem allwissenden Blick, wie sie es immer tat, wenn sie etwas wusste, was sonst niemandem bekannt war. Wenn sie wieder einmal am längeren Hebel saß – und als Empfangsdame, die alles sah und alles hörte -, passierte das ziemlich oft. Das kostete sie immer voll und ganz aus. "Na ja." Sie wackelte mit dem Zeigefinger in der Luft herum. "Um ehrlich zu sein..."

"Sag schon", verlangte ich.

"Das Budget wurde uns schon bewilligt."

Meine Kinnlade klappte nach unten. "Was?"

"Ja. Ich dachte du wüsstest das", sagte sie entschuldigend und schaute mich mitleidig an. "Ich dachte, du regst dich nur so über ihn auf, weil ihr darauf steht. Euer persönliches Vorspiel oder so."

Ich warf ihr einen entrüsteten, todbringenden Blick zu und sie grinste verlegen. "Na, manche Leute mögen so was ja. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du so außer dir bist. Also, wirklich außer dir."

"Warte mal", sagte ich langsam und hob die Hände, um beiden zu bedeuten, keinen Mucks von sich zu geben, während ich überlegte. "Wir kriegen das Geld also?! Und seit... seit wann wissen wir das? Du", korrigierte ich mich schnell, denn ich hatte ja anscheinend von nichts eine Ahnung.

"Na seit gestern. Nach eurer Besprechung ist er direkt zu mir und hat alles unterschrieben. Ich dachte, es sei gut gelaufen, deshalb konnte ich auch nicht nachvollziehen..." Sie unterbrach sich. "Aber wenn du das die ganze Zeit gedacht hast..." Sie gluckste plötzlich. "Wow, da hat er dich ja ganz schön an der Nase herumgeführt, was?"

Marley grinste mich an. "Nicht jeder schafft es, Amy zu veralbern", stimmte sie fröhlich zu.

Ich konnte es noch immer nicht so recht fassen und schaute kopfschüttelnd von einer zur anderen. "Aber... was bedeutet das?", brachte ich verwirrt heraus.

"Was?", wollte Jenny wissen.

Ich fuhr mir durch die Haare und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. "Wenn er alles sofort unterschrieben und bewilligt hat, warum hat er mir dann... all diese Dinge vorgeworfen und gesagt, ich sei nicht gut genug?"

Marley nahm sich die Chipsschüssel auf den Schoß, da außer ihr sowieso niemand an den Knabbereien interessiert war. "Keine Ahnung. Vielleicht wollte er dich dazu anstacheln, besser zu werden?"

"Und über dich hinauszuwachsen", fügte Jenny hilfsbereit hinzu und lächelte.

Aber egal, was die zwei dachten oder sagten, es konnte nur eine Erklärung für diese furchtbar miese und gemeine Aktion geben... nämlich die, dass Jason selbst ein furchtbar mieser und gemeiner Mensch war. Er hatte sich über mich lustig gemacht, mein Talent in Frage gestellt und mich persönlich beleidigt. Und dann war er hingegangen und hatte, ganz entgegen seiner Drohungen, trotzdem alles geregelt, als würde er sich meiner erbarmen. Das war noch viel verletzender, als alles, was er zu mir gesagt hatte. Diese Geste ließ ihn dastehen wie einen gütigen Menschen, der viel zu viel Anstand und Mitleid mit anderen hatte, und mich ließ sie dastehen wie jemanden, der auf diese Almosen angewiesen war. Ich beschloss, Jason Cornell zu hassen. Für immer und ewig.

"Themenwechsel", rief Marley, die wohl an meinem düsteren Gesichtsausdruck meine Gedanken erraten konnte. "Jen, wo ist Timmy eigentlich?"

Timmy war Jenny's kleiner Sohn, dreijährig und überaus lebhaft.

"Bei der Babysitterin. Wir haben eine neue. Sie ist sechzehn und mit ihrem Vater vor ein paar Wochen ins Nachbarhaus eingezogen, ich glaube, sie sind ein bisschen, na ja..." Sie druckste verlegen herum. "Ein bisschen arm... Jedenfalls hat sie letzte Woche kurz auf Tim aufgepasst, als ich schnell was im Supermarkt holen musste und die beiden haben sich so gut verstanden, dass ich sie gefragt habe, ob sie nicht Lust hätte, ab und an mal vorbeizuschauen, wenn ich etwas vor habe. Sie war begeistert."

Ich wurde ein bisschen von meiner Misere abgelenkt und lauschte Jenny's Ausführungen, aber irgendwo im Hinterkopf lauerte noch immer Jason. Zu meinem großen Bedauern.

"Ohoo", machte Marley lauernd. "Ein alleinerziehender Mann also, ja?" Dass sie aus dieser Erzählung nur diese eine Information herausgefiltert hatte, sagte ja schon so einiges.

Jenny lächelte in bisschen schüchtern. "Ja. Sieht ganz danach aus."

Ich klaute Marley die Schüssel und klammerte mich an ihr fest. "Wie kannst du... ich meine, dein Ex-Freund war ein Arschloch. Ist. Immer noch."

Jenny zuckte gleichmütig mit den Schultern. "Ja. Ist er. Was meinst du?"

"Ich meine", begann ich langsam, "wie kannst du überhaupt noch an Männer denken oder in Erwägung ziehen, darauf zu vertrauen, dass sie irgendetwas Gutes in sich haben, wenn du so behandelt wurdest?"

"Uff", murmelte Marley leise, schaute mich von der Seite an und wich dann meinem Blick aus, als ich sie ansah.

Jen hingegen lächelte - aber es war ein nachsichtiges Lächeln, was mich normalerweise auf die Palme bringen würde. Aber ich war viel zu verwirrt, um jetzt noch darauf einzugehen. "Ich kann doch nicht mein ganzes Leben lang herumsitzen und jammern, nur weil mir eins von den eher mangelhafteren Exemplaren untergekommen ist, oder? Und ich glaube daran, dass nicht alle so sind, weil ich einen Sohn habe, der ganz bestimmt kein Arschloch wird, wenn er groß ist, dem ich Verantwortung und Pflichtgefühl beibringe und ich vertraue darauf, dass Mütter das schon vor mir gemacht haben und es noch immer tun."

Ich ließ mir das durch den Kopf gehen und kaute auf den Flips, die mir überhaupt nicht schmeckten. Wieso hatte ich sie eigentlich gekauft? Fast wahllos hatte ich Zeug in den Einkaufswagen geschmissen, das mir einigermaßen passend für einen Abend mit Freunden erschien. Aber in Wirklichkeit hatte ich nur Rot gesehen und die ganze Zeit über Mr. Mistkerl Cornell nachgedacht, ohne mich ernsthaft mit dem Einkauf zu beschäftigen. Ich hasste Erdnussflips, beschloss ich. Genauso wie Jason. Für immer und ewig. Weil sie mich jetzt immer an ihn erinnern würden.

"Nicht immer sind die Eltern schuld. Du kannst ja durchaus eine nette Person sein, aber wenn dein Sohn sich die falschen Freunde aussucht...", warf ich nachdenklich ein.

"Ja, schon", gab Jenny zu, "aber deswegen kann ich ja trotzdem mein bestes geben. Und nicht jeder Mann hat den falschen Freundeskreis."

"Mensch, Amy", mischte sich nun auch Marley ein. "Du musst irgendetwas machen."

Ich blinzelte sie überrascht an. "Inwiefern?"

"Na..." Sie hob die Arme hoch zum Himmel, als wäre es selbstverständlich und nur ich stände auf dem Schlauch. "Gegen deine Männerangst. Nur weil dein Dad so ein Idiot war... ich meine", sagte sie schnell, als sie merkte, wie mein Gesicht sich verdunkelte, "nicht alle sind so, dass sie einen im Stich lassen. Okay - Jenny hat eben auch Pech gehabt. Aber zwei von Hundert sind noch lange nicht die Regel, sondern eher die Ausnahme davon..."

"Und woher", brauste ich auf, "nimmst du die Zuversicht, dass es den 98 anderen nicht ebenso ergangen ist? So, wie ich das sehe, sind wir hier in dem Verhältnis zwei zu eins - Jenny und ich gegen dich glückliche Pärchenfrau, was 66% und damit eindeutig die Mehrheit ist. Ha!"

Jenny machte den Mund auf, um etwas zu sagen, doch Marley kam ihr zuvor. "Aber dafür verallgemeinert sie das nicht alles so furchtbar. Du kannst doch nicht sagen, dass alle Kerle grün tragen, nur weil du einen gesehen hast, der grün trägt."

Ein seltsamer Vergleich.

"Doch", erwiderte ich trotzig, mir sehr wohl bewusst, dass ich die Diskussion hiermit ins Lächerliche zog und wie ein verwöhntes Gör klang, das darauf bestand, immer Recht zu haben, "das kann ich."

Marley seufzte. Und sie hatte Recht damit, denn das war unser ewig-leidiges Thema. Sie behauptete steif und fest, ich hätte in Problem, dabei war sie diejenige, die nicht verstand. Und ich konnte es ihr nicht verübeln, denn in ihrem Leben war schon immer alles glatt gelaufen. Keine furchtbare Kindheit - ihre Eltern haben sie verhätschelt -, und in ihrem Liebesleben lief es auch super. Das einzige, das ich hatten, war mein Job, und selbst den drohte mir Jason jetzt zu verderben. Jason - ein Mann! Wenn das nicht alles sagte, was ich wissen musste, dann weiß ich auch nicht mehr weiter...

Jenny streckte zaghaft die Hand aus und klaute sich einen Erdnussflip aus der Schüssel, die ich immer noch umklammert hielt. "Und", fragte sie vorsichtig, wahrscheinlich, um dem sensiblen Thema aus dem Weg zu gehen und die Gemüter wieder zu beruhigen, "was machst du jetzt weiter? Mit deinen Entwürfen?"

Ich zuckte mit den Schultern. Ich hatte wenig Lust, alles noch einmal umzumodeln, nur weil Mr. Güte persönlich ein blindes Arschloch war. "Weiß ich nicht. Ich schau mich morgen erst mal auf der Baustelle um. Vielleicht fällt mir ja da etwas ein." Aber ich hatte gute Lust, einfach alles so zu lassen, wie es war, ohne irgendetwas zu verändern, und es Jason beim nächsten Mal einfach wieder vor den Latz zu knallen. Das würde ihn bestimmt ärgern...

Ich stellte die Schüssel wieder auf den Tisch und atmete erleichtert aus. So richtig zufrieden war ich zwar noch nicht, aber er sollte nicht glauben, dass er mir die Arbeit zur Hölle machen konnte, ohne, dass ich mich bei ihm dafür revanchierte.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (41)
[1] [2] [3] [4] [5]
/ 5

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Ashanti
2015-04-09T16:51:34+00:00 09.04.2015 18:51
Wird das hier denn noch weitergehen? Diese brillante FF waere viel zu schade, wenn nicht ;__;
Ich hab sie in einem Stueck verschlungen.
Die Charaktere wirken so real und lebendig es ist als sehe man einen Film obwohl man nur liest.
Ich hoffe wirklich das hier ist nicht aufs Eis gesetzt >_<

lG
Von: abgemeldet
2011-01-26T08:41:13+00:00 26.01.2011 09:41
Breathtaking, funny, sad, charming, complicated ... just wonderful.
Von:  Monsterseifenblase
2010-09-13T16:47:38+00:00 13.09.2010 18:47
BUM.Wieder da!
Jaaa, wenn man so nette Freunde hat braucht man erst einmal keine Feinde`;D Obwohl ich die These aufgestellt habe, dass Fiesheiten und Beleidigungen nicht nur in der Liebe, sondern auch im Freundeskreis ein Zeichen, dafür ist, dass man sich mag. Wenn ich falsch liege, habe ich keine Freunde ;D
Und generell finde ich es nicht so nett, dass er Amy verarscht hat....das Prinzip verstehe ich, finde aber trotzdem dass man so extrem auf einem Arbeitgeber und Arbeitnehmerverhältnis, was die beiden (zusätzlich zu dem kommendem anderen:) ja haben, nicht ganz in Ordnung. Aber was will man machen, hat natürlich auch was, das zu lesen.
Ach, bevor ich es vergesse, das mit den Windpocken ist ne nette und lustige Nebensache, aber bitte bitte lass sie in den nächsten Kapiteln keine Windpocken kriegen und das dann irgendwie mit Jason verbinden bzw., im mehr Stoff zum ärgern zu geben. Das fände ich an dieser Stelle zu offensichtlich ;D
Und jetzt wandere ich mal weiter und schau mal, was sich auf mexxe noch an Arbeit für mich finden lässt ;D
Ich hoffe auf eine ENS beim nächsten Kapitel! :)
Lg

Monsterseifenblase
KmS
Von:  Monsterseifenblase
2010-09-13T16:34:12+00:00 13.09.2010 18:34
Woala :D
Monsterseifenblase hat wieder den Raum betreten! Ich kann mich erinnern, um ENS gebeten zu haben, oder?? :) Naja, selber Schuld, war drei Wochen im Urlaub und habs verpennt mich noch einmal deiner FF zu widmen. Aber jetzt bin ich ja da, also wollen wir uns mal versöhnen ;D
Ersteinmal finde ich es schön, wie du dadurch, dass Amy Jason immer mit Vornamen anspricht, bzw. auch mit Vornamen über ihn redet bzw. denkt, dass sie ihn prinzipiell mag. Lässt sich auch immer noch schön lese, aber ich würde behaupten, dass ich in etwa genauso reagieren würde wie sie, irgendwie fühle ich dass wir da gleich sind xD Zumindest bin ich mir sicher, dass ich genauso auf die Witze und die ganze Machotour die Jason fährt genauso abgehen würde, weil er mich damit nerven würde:D Die schönste Reaktionen finde ich, ist übrigens diese:
"Sie wollen mich nur ärgern, weil Sie mich nicht mögen", warf ich ihm trotzig vor . Kindischer gehts nicht mehr (: Ich sehe übrigens, dass du immer noch ne falsche EInstellung auf dem Pc hast, was die Anführungszeichen betrifft. Und dann habe ich einen ärgerlichen Rechtschreibfehler gefunden, der ein bisschen sinnverfälschend ist:
"Mein Problem ist, dass Ihre Ideen zwar hübsch sind, ohne Frage, aber Ihnen fehlt jede persönliche Note.
Hier schreinst du 'Ihnen' groß, dass macht man nur bei direkter Anrede und würde dann an dieser Stelle heißen, dass er ihr ins Gesicht sagt, dass er sie als Person nicht individuell finden würde. Aber ich glaube, du willst ehr, dass er das über ihre Ideen und nicht über sie selbst sagen will, oder? ;)
Wo.
"Nicht ärgern, das lässt dich früher altern." Daaaa wäre ich sauer. Ich glaube so richtig :D Und ich würde nicht nur schimpfen, sondern herumschreiben wollen xD
Das nächste Kapitel les ich jetzt auch noch direkt, also lesen wir uns gelcih noch mal :)

LG
Monsterseifenblase
Kms
Von:  Foresight
2010-09-06T13:39:30+00:00 06.09.2010 15:39
Wieder so ein tolles Kapitel. :3 Jetzt wissen wir ja schonmal, warum sich Amy allgemein so gegen die Männerwelt - Jason - sträubt. Da hat er sich wirklich einen gemeinen Scherz mit ihr erlaubt und ich kann mir gut vorstellen, dass sie ihm das mit gleicher Münze heimzahlen will. Ich bin gespannt. ^^
Besonders gut hat mir gefallen, dass sich die verschiedeen Charaktere so rauskristallisiert haben. ^^ Ich mag Jennys Einstellung, das ist genau die richtige!
Freu mich schon aufs nächste Kapitel. ^^
Von:  -Nami
2010-09-02T17:37:03+00:00 02.09.2010 19:37
oh ein tolles kapi, nur schade, dass es etwas kurz ist, ich hätte gern weitergelesen :)
ich war echt davon überzeugt, dass ihre arbeit doch nicht so gut ist und dann das - er hat sie verarscht XDDD
Ich freu mich, wenns weiter geht. Dein Schreibstil gefällt mir sehr und auch deine anderen Geschichten finde ich sehr gut. Besonders die Bilder!!*.*

lg -Nami

Von:  Foresight
2010-08-26T22:17:41+00:00 27.08.2010 00:17
Hoppla, da sind ja richtig die (verbalen) Fetzen geflogen. Zumindestr war Ami ja auf 180. XD Aber wer wäre nicht verärgert, wenn seine mühevolle Arbeit so einfach abgewiesen wird...
Die Szene mit dem Kuss war supersüß, wie er sie damit aus dem Konzept gebracht hat...hehe. Sehr schön geschrieben. Das ganze Kapitel an sich gefällt mir gut. Ich gehe mal davon aus, dass sie sich schnell von diesem ersten Schock erholt und gleich wieder Vollgas gibt. Würde zumindest zu ihr passen. ^^
Ich freu mich schon aufs nächste Kapitel!
:3
Von:  Monsterseifenblase
2010-04-28T19:34:36+00:00 28.04.2010 21:34
"Natürlich", erwiderte Jason trocken und lächelte ironisch. "Mein erklärtes Ziel ist es einzig und allein, Sie zu ärgern. Dass ich es jetzt schon geschafft habe, vor..." Er warf einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr, "zehn Uhr vormittags, verschafft mir für den Rest des Tages eine Menge Freizeit."
Erklärte Lieblingsstelle aus diesem Kapitel :D
Der Spruch ist gut, muss ich mir merken.
Ansonsten gibt es ehrlich gesagt nicht viel zu sagen. Ich finde, es passiert nicht sonderlich viel in dem Kapitel und für meinen GEschmack hätte es auch ein klein wenig länger sein können, aber wenn man keine Zeit hat, fallen die ja gerne mal ein bisschen kürzer aus, ich kenn das :D
Und ich behaupte einfach mal, dass Amy Mr. Pullmann (was ein Name.D) unglaublich gern hat, auch wenn sie es nie im Leben zugeben würde. Sie ist genervt von ihm, findet ihn unverschämt in mancher Hinsicht und ist vielleicht auch der Meinung, dass er sich zu sehr in ihre Privates einmischt, aber ich finde, er hat irgendwie so etwas von einer Vaterfigur (ja, da kommt der DeutschLK raus :D)
Aber bevor ich am Abend noch mehr Bockmist rede, machen wir Schluss für heute.

Zusammenfassend sag ich einfach mal: Eine schöne erfrischende FF, die vielleicht nicht unbedingt von der Handlung her, aber auf jeden Fall vom Stil un der Umsetzung her eine sehr sehr angenehme Abwechslung ist. Und du gibts mir auch noch das Gefühl, dass die Handlung nicht 0 8 15 weitergeht wie bei vielen anderen und ich hoffe, dass man Gefühl sich nicht täuscht :)
Ich freue mich auf ein neues kapitel und würde mich sehr darüber freuen, wenn du mir ne ENS schreiben könntest oder so, ich verpenn so was sonst ab und an mal...-.-'
In der Hoffnung, dass dir meine Kommis ein bisschen Freude gemacht haben,
Lg
Monsterseifenblase
Kms
Von:  Monsterseifenblase
2010-04-28T18:46:58+00:00 28.04.2010 20:46
Jason war ein Blödmann, aber mit dem wurde ich fertig. Mit meiner Mutter nicht. Cool. Mein Abend ist dank deiner FF amüsanter geworden, als ich gedacht habe. Allerdings finde ich immer nur ein paar Sätze wirklich zum Lachen, auch wenn wahrscheinlich alles belustigen soll:D Aber ich bin da eigen. Aber den Satz da oben, den fand ich gut. Ich hoffe du hast kein Problem damit, wenn ich ab und an so ein paar Sachen kommentiere und die Kommis dann ein bisschen länger werden, als sie eigentlich sind.
Ich hätte übrigens mit einer anderen Reaktion von Jason gerechnet, zumindest so, wie du ihn bis jetzt dargestellt hast. Aber auch ich kann mich mal täuschen x)
Was mich übrigens ein bisschen wundert ist dass Amy gar nicht zu merken scheint, wie er immer wieder auf ein ganz gechilltes Du umsteigt und sie mit Vornamen anredet. Ist das Absicht, um zu zeigen, wie geschickt er ist, oder ist das einfach so beim SChreiben passiert? Ich hätte irgendwie nämlich damit gerechnet, dass sie damit (auch in einem vorigen Kapitel) gar nicht einverstande ist(:
"Es war nicht die feine englische Art, das muss ich zugeben. Aber wir sind ja hier auch nicht in England, oder?" Ganz im Ernst. Der ist schlecht. Der ist richtig schlecht.
Und zu der Frage, was für ein Problem Jason hat. Ich glaube, er hat einen Stellenweise echt schlechten Humor (siehe das Beispiel), aber sonst hat ja vor allem Amy ein Problem :D Gut gelungen, wie du das herausarbeitest, dass sie überall böse Sachen sieht und gar nicht registriert, wie steil sie auf alles geht xD
Und auf zum letzten, ich schaff das heute noch :D
Lg
Monsterseifenblase
Kms
Von:  Monsterseifenblase
2010-04-28T18:35:41+00:00 28.04.2010 20:35
Wowowowow....
Schnulze ich komme :D Zumindest ist das so ein total typisches Ende, tut mit Leid, wenn ich das so sage. Wahrscheinlich wird es jetzt nicht sofort Friede Freude Eierkuchen ausgehen (das würde ich dir niemals vorwerfen), aber das ein so typisches Ende ist....komm, gib mir Recht. Das wäre gut für mein Ego.
Amys Chef finde ich überigens auch ganz amüsant :D Aber der hat nicht so viel Style wie Paolo, der Italiener, der eigentlich ein Spanier ist ;D Und ja darüber kann mich jetzt den ganzen Abend lang freuen.
Marely mag ich übrigens nicht. Interessiert dich wahrscheinlich nicht im geringsten, aber ich wollte das Mal loswerden. Irgendwie ist sie mir unsypatisch und passt so gar nicht zu Amy, aber so was passiert ja ab und an mal.
Bezüglich Amy muss ich aber auch noch los werden, dass sie einen ziemlich selbstbewussten und auch verantwortungsbewussten Charakter hat, dafür, dass sie in einer solchen Familie aufgewachsen ist. Finde ich zumindest :D
Was ich übrigens auch mag, ist dass du schaffst auf deine eigene Art und Weise allen Personen eine persönliche Note zu geben und nicht alle gleich sind. Ich würde dir in der Hinsicht nur dazu raten, es nicht immer zu übertreiben (was du nicht tust, nur so als Hinweis!), weil man sonst irgendwann zu viele 'freaks' hat, was unrealistisch werden kann. Und ich finde es gut, dass du jede Person mit ein paar Sätzen beschreibst, so das man ein Gefühl davon bekommt, was das für eine Person ist, weshalb sie Amy im Gedächnis geblieben ist, was sie vielleicht für eine Geschichte hat (z.b Die Empfangsdame...hab den Namen vergessen:)
Und auf zum nächsten :D
Lg
Monsterseifenblase
Kms


Zurück