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Weil Herzen lautlos brechen.

von

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Prolog

Februar. 23:50 Uhr. Der Tag endet also bald.

Gerade noch habe ich mit ihm geschrieben. Er hat mir fast ein Kompliment gemacht. Das kann er nicht gut. Zumindest muss man immer aus den Zeilen lesen.

Nicht alle Männer sind Idioten. Einige sind Vollidioten.
 

Irgendwann hat alles angefangen. Das kann man nicht abstreiten. Oder wie war das ... Huhn oder Ei? Ein Kreis hat keinen Anfang. Egal. Ich bin ja weder Huhn noch Ei. Ich bin scheinbar viel zu jung für die Welt der Erwachsenen. Zumindest sieht man mich so. Er jedoch nimmt mich wahr. Er nimmt mich ernst. Ich frage mich manchmal, wie ich ihn bloß als solch einen Gott bezeichnen kann.

Preisgebungen der Empfindungen.

Philosophie. Damit hat es angefangen. Er faszinierte mich einfach zu sehr damit.

An Tagen wie diesen hat es angefangen.

Gedankenverloren sah ich aus dem Fenster. Es regnete. Zum Glück war ich nicht draußen, sondern saß schön in diesem warmen Regionalexpress. So ein altes Klappergestell. Ich hatte immer Angst, dass die Waggons sich irgendwann mal trennten. Ich vermied es, gegenüber zu schauen. Das grüne Polster widerte mich zudem auch noch an. Ich hatte Ellen gebeten, dass sie sich zu mir setzt. Sie saß da auch. Kurz. Dann kam ER, fragte mich, ob er sich setzen könne. Ich zuckte nur mit den Schultern. Also setzte er sich mir gegenüber und konnte es einfach nicht unterlassen, mich ununterbrochen anzustarren.

Ellen stand daraufhin aber auf. Ich sah ihr ins Gesicht. Irgendwie wirkte sie von ihm angewidert. Ich dachte nur: Nein, lass mich mit dem nicht alleine! Und schon sagte sie mir, sie ginge eben ihre Freunde suchen. Und bat mich, auf ihre Tasche aufzupassen. Gesagt, getan. Ellen war weg. Ich war mit ihm allein. Toll. Sprich mich nicht an! Denkste. "Darf ich dir eine persönliche Frage stellen?", fragte er. Er hatte eine seltsame Stimme. Man erkannte gut, dass es eine Männerstimme war, aber irgendetwas störte mich. Heute würde ich sie überall heraus erkennen, ich vergöttere diese Stimme. Seine Worte, sein Lachen, seine Tonlage. Alles.

Ich wagte einen Blick in sein Gesicht. Er war mir vorhin in Düsseldorf schon aufgefallen. Und jetzt? Jetzt sah ich sofort wieder weg, da mir etwas Weiteres aufgefallen war.

Ihm hing ein schwarzes Haar aus der Nase. Ziemlich lang. Gekräuselt. - Wenn ich noch länger nachdachte, müsste ich bestimmt zu lachen anfangen. Ich zuckte mit den Schultern. Er fuhr fort. "Warum trägst du schwarz?", hieß es dann. Ich dachte nach. Warum fragte der mich so was? Konnte ihm doch egal sein. Mir selbst war es inzwischen ja auch egal. Bis auf die Tatsache, dass ich fand, dass mir nur Schwarz stand. Ich schluckte. Eine Antwort musste her. Verdammt. Zu so einer Zeit noch die Gehirnzellen anstrengen ... Immerhin war es draußen bereits dunkel! "Weil das am besten zu mir passt", sagte ich trotzig. Mir fiel wirklich nichts Gescheites darauf ein. Er musste schmunzeln. Ich konnte ihn sehen, auch wenn ich nicht direkt in sein Gesicht starrte. Die Fensterscheibe des Zuges war wirklich hervorragend dafür. "Warum passt das zu dir?", entgegnete er. Warum fragst du überhaupt? Geht dich doch nen Scheiß an. Ich fand diesen Mann so verdammt aufdringlich! Na gut. Vor dem Einsteigen in den Zug hatte ich mir noch gewünscht, dass er sich neben mich setzt. Vollidiot. "Ist mit meiner Vergangenheit verbunden", meinte ich leise. Vergangenheit? Ja, schon. "Also nicht der Aufmerksamkeit wegen?", fragte er. Ich wurde noch gereizter. "Nein", sagte ich ruhig, sah ihn weiterhin nicht an. Ich leckte mir über die Lippen. Das tat ich immer, wenn ich nervös war. Warum löste er diese Nervosität überhaupt aus? Warum fand ich ihn von Grund auf attraktiv, obwohl er beim genauen Hinschauen alles andere als supergeilundgutausshend war. Braune Haare. Pluspunkt. Brille - Scheiße, schon wieder ein Pluspunkt! Schlank. Noch einer. Groß. Könnte glatt zwei geben. Anzug. - Das hat mir den Rest gegeben. Setzt man mir einen großen, schlanken Mann im Anzug vor die Nase, der noch Haare hat, die nicht grau sind, ist das ein Knock-out. Aber wie konnte das angehen? Hieß es nicht noch Stunden zuvor, als ich ihn NICHT sah, dass ich unsterblich in meine Französischlehrerin verknallt war? Bis hinweg über beide Ohren? Vollidiot. "Was ist denn in deiner Vergangenheit passiert, dass du schwarz trägst?", fragte er weiter. Was sollte ich antworten? Erwartete dieser Mann, dass ich ihm mein Leben ausschüttete? Scheinbar ja. "Ich ... Na ja ... Ich habe mit fünf Jahren erfahren, dass ich adoptiert wurde", flüsterte ich, sah ihn schließlich doch an, das Nasenhaar ließ ich mal außen vor. "Das ist hart", entgegnete er. Toll. Was brachte mir Verständnis? Änderbar war es nicht. Ich seufzte tief. "Als ich neun war, ist dann mein Vater gestorben ...", fuhr ich fort. Er schwieg. Also erzählte ich weiter. "Dann vor zwei Jahren meine Oma. Mit meiner Mutter habe ich Stress, ich bin in eine Frau verliebt, die auch noch meine Lehrerin ist", ich sah wieder aus dem Fenster. Ich schämte mich, zugeben zu müssen, dass ich auf Frauen stand. ...Und scheinbar auch auf ihn.

"Das mit der Liebe ist immer so eine Sache", meinte er dann. "Ich bin ja Philosophielehrer und könnte dir dazu Bücher schreiben, was es mit Liebe und all dem auf sich hat." Ich zuckte mit den Schultern. "Ende 2004 habe ich dann mit dem Ritzen angefangen." Ich konnte erkennen, wie er beide Augenbrauen hob. "Ritzen?", fragte er stutzig. "Ja. Sich schneiden. Selbst verletzen." Ich zeigte ihm stumm meine beiden Arme. Rechts waren deutlich weniger Narben als links. Links hingegen häuften sich die Narben und frischen Schnittwunden von der Schulter bis zum Handgelenk. Außen und innen. Ich weiß nicht mehr, ob er sofort etwas darauf sagte. Ich weiß nur, dass er mich lange musterte. Ich ließ alles offen, verdeckte es nicht weiter. Wahrscheinlich wollte ich, dass es ihm jedes Mal, wenn er mich ansah, auffiel. "Worüber denkst du gerade nach?", fragte er mich als nächstes. "Über die Vergangenheit", entgegnete ich leise. "Aber das ist doch mind fuck - nichts wert! Du lebst jetzt. Hier! Was hast du in der Vergangenheit zu suchen?", fragte er. "Sie macht mich zu dem, was ich bin" Der Mann fing an zu grinsen. "Du lebst in einer Welt voller Illusionen." Ich antwortete nicht darauf. Was auch? Dass er ein Spinner sei und hier alles sichtlich real sei. Im Übrigen war Ellen schon so lange weg, nur um mal eben ihre Freunde zu suchen. Mit dieser Tatsache wurde ich dann auch ein wenig genervter. Ich sah ihn wieder an. "Aber mich prägt so vieles aus der Vergangenheit ...", flüsterte ich. Er sah mich ebenfalls an. "Was denn?", fragte er. Mir entfuhr ein leiser Seufzer. "Mein ganzes Leben! Mein Charakter. Alles einfach." Er begann zu grinsen. "Wir beurteilen Menschen doch ohnehin nur nach ihrer Vergangenheit. Oder siehst du das anders? Du weißt, was ich meine? Das Schubladendenken. Alles reine Egosache." Ich sah aus dem Fenster. Warum konnte er nicht einfach die Klappe halten. "Du bist doch viel zu hübsch, als dass du so als schwarzer Trauerkloß rumlaufen musst. Oder nicht?" Der Mann mit der Brille und dem auffälligen Nasenhaar (...) lächelte mich wieder an. Mir gefiel sein Lächeln. "Ich bin nicht hübsch. Und ein Trauerkloß bin ich auch nicht", wehrte ich ab. "Kannst du mit den Ketten überhaupt laufen?", fragte er und deutete auf meine drei Nietengürtel. "Ja, doch. Ist aber anstrengend."

- "Warum machst du es dann?", wollte er wissen.

"Weil ich bin, wie ich mich kleide", antwortete ich. Der Mann, bestimmt um die Ende 30, schmunzelte ein weiteres Mal, sagte nichts. Wieder schwiegen wir uns an. Als wir wieder am Dortmunder Hauptbahnhof ankamen, kam Ellen, holte ihre Tasche, hielt es wohl auch nicht für nötig, sich zu bedanken, und der Mann und ich erhoben uns.

"Ich habe mich jetzt zwei Stunden mit dir unterhalten, kenne deinen Namen aber gar nicht. Ich muss meiner Familie doch beim Abendessen von dem interessanten Mädchen im Zug erzählen." Er grinste breit. "Lu", meinte ich. Wir stiegen aus. "Wo musst du jetzt lang?", fragte er mich. "Auf Gleis 16. Dann mit dem Zug weiter Richtung Hamm. Und Sie?", fragte ich. "Ich wohne in Witten", entgegnete er. "Oh", machte ich bloß. Irgendwie war ich enttäuscht. "Na dann. Man sieht sich bestimmt mal auf dem Schulflur. Mach's gut."
 

Und wir gingen auseinander.

"Ich möchte irgendetwas für Dich sein."

Zwischenzeitlich sahen wir uns mal auf dem Flur. Grüßten uns. Ich wusste noch immer nicht, wie er hieß. Nach spätestens zwei Wochen war er mir wieder egal. Und einen Monat später wusste ich gar nicht mehr, dass es ihn gab. Kurz vor den Sommerferien sah ich ihn auf dem Fahrrad, wie er am Chaostag zur Schule fuhr. Ich hatte ihm die Tür zur Sporthalle aufgehalten. Er hatte gegrinst, völlig verschwitzt, und sich flüchtig mit mir unterhalten. Für diese paar Sekunden kam das Gefühl zurück. Es war unbeschreiblich. Ein paar Tage später hatten wir ihn dann in Biologie in Vertretung. Toll!, dachte ich. Hatte mich gefreut. Er hatte uns über das Schicksal von Mastschweinen etwas erzählt. Die Hälfte der Klasse sagte nach der Stunde, sie würden Vegetarier werden. Es ging aber dann doch um Philosophie, nach der Mastschweinerzählung. Es hat mich fasziniert. Was es genau war, damals, kann ich nicht sagen. Es ist einfach zu lange her. Die Sommerferien fingen an, endeten. In den Gedanken war ich wieder bei meiner Lehrerin, die ich so liebte. Wie ich glaubte. Die mich hasste. Zumindest war es dann nach den Ferien so, dass wir bereits in der ersten Woche wieder ihn in Vertretung bekamen. Diesmal in Deutsch für eine Stunde. Er erzählte uns ... - Genau! Wie sollte es auch anders sein, von Philosophie! Dass alles eine Illusion sei. Kannte ich doch. Dass die Liebe, die wir uns vorstellten, nicht die Liebe sei, die wir zu meinen glaubten. Alles Illusion. Auch die Liebe? Ich bildete mir die Liebe zu meiner Lehrerin also nur ein. Na Geil. Welch Erkenntnis. Dennoch lauschte ich ihm gebannt weiter. Die fünfundvierzig Minuten schienen wie maximal fünf Minuten vorbeizugehen. - Mir ist bis zum Schellen nicht aufgefallen, dass ich tränenüberströmt am Tisch saß, bis Ellen mich darauf angesprochen hatte. Ich war emotional so sehr bei ihm gewesen, hatte ihm so sehr zugehört, dass es mich fürchterlich getroffen hatte und ich wusste: Er hatte Recht. Er verließ die Klasse, ohne einen Piep. Er hatte mich nicht mal gegrüßt, der Idiot. Ich wusste nicht einmal, ob er mich überhaupt dort hinten an meinem Platz wahrgenommen hatte. Ich stürmte ihm hinterher, ich musste einfach. "H-hey...!", rief ich aus, ging neben ihm. "Hallo!", entgegnete er freundlich. "Du warst so still heute", merkte er an, lächelte wieder. Ich sah zu ihm auf. Er war mindestens zwei Köpfe größer als ich. "...Ja, Sie hatten mich damit so fasziniert", gab ich zu, seufzte. Ich wischte mir verlegen die Tränen weg. "Das freut mich, so etwas Positives zu hören. Das macht mich als Lehrer glücklich - ein positives Feedback der Stunde." Ich seufzte ein weiteres Mal. "...Ich ... würde gerne öfter mit Ihnen reden!", stieß ich aus. "So?", fragte er, hob beide Augenbrauen. Ich nickte. "Ja, weil ... ich denke, dass mir das psychisch helfen kann...!", reimte ich mir zusammen. Mich faszinierten seine Worte einfach zu sehr. "Na, das freut mich. Ich denke, Gespräche können sich durchaus nach dem Unterricht mal einrichten lassen...", entgegnete er. Sofort begann ich zu strahlen. "Echt? Das ist super... Danke!". Er zwinkerte nur, hob eine Hand und ging weiter. Ich blieb stehen, rannte auf den Schulhof und fing dort wieder an zu weinen. Mich hatten zu viele Informationen auf einmal konsultiert. Ellen leistete mir Gesellschaft, redete mit mir. Sie sagte ebenfalls, dass sie sehr bedrückt von seinen Worten gewesen war. Ich nickte nur. Kommenden Tag wechselte ich den Philosophiekurs zu ihm. Die Stunden waren maßlos faszinierend. Ich war hibbelig ohne Ende, konnte es nie abwarten. Am schönsten war es nach Unterrichtsschluss. Ich hatte Philosophie immer in der letzten Stunde, die auch seine letzte Stunde war, sodass wir zusammen nach Hause gehen konnten. Erst redeten wir im Raum miteinander. Er erzählte mir von zwei Mönchen.

"Zwei Mönche waren auf dem Weg zurück zum Kloster. Doch dazu mussten sie einen Fluss überqueren. Dennoch - es gab keine Brücke und auf der anderen Seite stand eine wunderschöne Frau. Sie wollte sich nicht ihr Kleid beschmutzen, aber sie wollte doch unbedingt über den Fluss. Da griff sich ein Mönch ein Herz, ging durch den Fluss und trug die Frau auf Händen ans andere Ufer. Dann gingen die Mönche weiter. Zuerst sagte der Mönch, der die Frau nicht getragen hatte, nichts. Doch irgendwann überkam es ihn >Wieso hast du sie getragen?! Du weißt doch, dass wir keine Frauen anfassen dürfen! Ich meine ...Was um Himmelswillen hast du dir dabei gedacht?!< Daraufhin schwieg der andere. Doch kurzerhand später sah er auf und sprach >Nichts. Aber was ist mit dir ... Trägst du sie immer noch?<" (genauer nachzulesen unter: Eckhart Tolle - Eine neue Erde) ... Oder so ähnlich. Ich konnte am Anfang nichts damit anfangen. Natürlich dachte ich lange darüber nach, und wurde mir somit langsam aber sicher bewusst, dass ich durchaus wie der Mönch war, der die Frau von Anfang an nicht hatte tragen wollen, sie aber gedanklich nicht losließ.

Unsere Gespräche häuften sich mit der Zeit, am liebsten hätte ich mich an ihn geklammert, ihn vollgejammert mit meinen Sorgen, meinen Problemen ... -

"Gehen wir zusammen heim?", riss er mich aus den Gedanken. Ich erschrak aufs Heftigste, brachte vor Erstaunen nur ein Nicken hervor. Er fuhr heute also nicht mit dem Auto. Und das freiwillig?

"Warum sind Sie nicht mit dem Auto da?", fragte ich, hob eine Augenbraue, konnte es kaum wahrhaben.

"Meine Frau braucht das jetzt erst mal.“... 'Meine Frau', diese Worte. Wie abgrundtief ich diese Worte nur hasste.

Es war kaum in Worte zu fassen, wie eifersüchtig ich auf seine Frau war. Warum nicht ich an ihrer Stelle sein konnte. Warum nicht ich 3 Kinder mit ihm haben konnte. Warum nicht ich ihn küssen durfte, warum nicht ich mit ihm aufwachen und einschlafen durfte, warum nicht ich ... -

Dennoch musste ich es ja akzeptieren, denn was brachte es mir überhaupt, mich aufzuregen? Seine Frau bemerkte das ohnehin nicht, wenn ich mich aufregte, und ihn störte es nicht. Wir konnten vielleicht gut miteinander reden, aber was war unsere Beziehung zu dem Zeitpunkt?
 

"Für Lu, von einem etwas älteren Wegbegleiter. - 06 / 09 / 06" Ein Wegbegleiter also. Das war er. Ich war wohl so etwas wie eine Art Schützling für ihn, dem er seine Weisheiten preisgeben konnte und von dem er wollte, dass er mal genau so klug und weise werden würde, wie er selbst. Wie egoistisch. Aber genau darum ging es doch bis heute. Der Egoismus des Menschen. Ich konnte ihn bis heute nicht besiegen, das ist wohl das, was am meisten an mir nagt. Wahrscheinlich ist der Selbsthass wegen des Egos, von dem ich mich nicht trennen kann, noch größer als meine illusionierte Liebe zu ihm, die ich wohl auch für real halte, welche es aber nicht ist. Ich weiß es nicht.

Vielleicht sollte ich aufhören, andauernd wissen zu wollen.

Er sagt mir doch selbst immer, dass alles nur Illusion ist. Es war nichts, was ich hätte ignorieren können. Ganz davon abgesehen, dass ich von ihm sowieso nichts ignorieren konnte.

Seufzend entgegnete ich ein leises "aha" und wir gingen los. Ein paar Schüler von ihm grüßten ihn, sahen mich aber aus den Augenwinkeln seltsam an. Die Blicke der anderen Schüler lagen schon seit geraumer Zeit auf mir. Ich sagte immer, es störte mich nicht groß, aber im Grunde tat es das doch.

Doch was sollte ich schon groß tun? Es war egal. Er war so egoistisch, es wäre ihm nicht einmal heute aufgefallen, was mich damals belastete und was nicht.

Das war wohl das enttäuschendste von allem. Dass er einfach so unemotional war und mich nicht nachvollziehen konnte. Und dennoch machte er mir unbewusst Komplimente. Kürzlich hatten wir im Internet noch über das Besuchen geredet. Er hatte es mir angeboten. Ihn auf seinem 'Bauernhof' zu besuchen. Natürlich sagte ich zu. Ich wäre dumm gewesen, hätte ich es nicht getan. Er hatte mir von zwanzig Miniaturponys erzählt. Das klang ziemlich pädophil, auf den ersten Blick hin. So dachte ich für kurze Zeit, warf den Gedanken beiseite. Parallel chattete ich mit einem Freund, der mir etwas über Pädophilie erzählte und mir sagte, er sei ein eindeutiger Kandidat. Dass er mich mit Tabletten und sonstigem Zeugs verführen könnte. Mich auf eine Cola einladen konnte, dort was reinschmeißen könnte. So einen Mist halt. Und wissen Sie was, liebste Leser? - Es hätte mich auch noch gefreut, selbst wenn er mich auf so eine Art und Weise an sich genommen hätte und mit mir irgendwelche Gedanken ausgelebt hätte. Bis heute hat er das natürlich nicht getan, auch wenn es bislang wohl immer mein Wunsch war. Nicht, dass ich ihn als einen pädophilen ... ugs. gesagt: Kinderficker darstellen möchte, denn diese Bezeichnung träfe nicht zu. Er ist das genaue Gegenteil. Ich nahm die Aussage meines Freundes hin, wie sie war, und seine ebenfalls. So gingen wir nun den leicht angehobenen gepflasterten Weg zur U-bahn hoch. Diese Idioten von der Stadt hatten bei der Kurve einen Zaun montiert, damit die Schüler in der ach so gefährlichen Kurve nicht mehr gefährdet waren. Und damit sie nicht weiterhin über die Straße liefen. Unklug waren sie dennoch gewesen, da sie den Zaun nicht bis zur nächsten Ampel durchgezogen hatten und die Schüler, wie natürlich auch andere Passanten, den kürzesten Weg benutzten - somit liefen sie die Natur platt, anstatt die Ampel zu benutzen. War aber zu erwarten gewesen. Die Stadt hatte wahrscheinlich ohnehin nur Geld sparen wollen. Ich glaube, er fluchte über den Zaun. Er wusste aber scheinbar nicht, wo er zu Ende war, und wollte den längeren Weg gehen, bis ich seinen Arm ergriff und ihn wortlos in die andere Richtung leitete. Sekunden später ließ ich wieder los. Seine Reaktion blieb aus. Gerade deswegen wagte ich so etwas nicht oft. Als wir in der U-Bahn standen, bekam ich eine SMS von einem Bekannten. "Hey Lu, kannst Du sagen, dass ich krank bin und deswegen nicht in der Schule war?", lautete die SMS. Ich sah zu ihm auf, zeigte ihm die SMS, da sie für ihn war und nicht für mich. So gesehen. Er schmunzelte. "Was wirst du antworten?", fragte er interessiert, betrachtete das Handy-Display. "Mal gucken." Ich hob eine Augenbraue. "Darf ich zuschauen?", fragte er plötzlich. Irgendwie hatte mich das aus der Bahn geworfen. Dass er mir unbedingt beim SMS-schreiben zuschauen wollte - nicht nachvollziehbar. "Wenn Sie das möchten", willigte ich ein und schrieb in fast fünfzehn Sekunden ein "Ok, richte ich aus, dann gute Besserung und bis die Tage" Er ächzte auf. "Du schreibst wahnsinnig schnell!", stieß er aus. "Wow." Ich lachte leicht. "Mache ich ja schon ein paar Tage lang", entgegnete ich, deutete ein Zwinkern an. Er grinste schief. "Da hast du Recht." Ich nickte nur, steckte das Handy beiseite. Ein dicker Mann schob sich an ihm und mir vorbei, angewidert zog ich mich zurück, presste mich an meinen Lehrer. Er sah mich verblüfft an. "Was ist?", fragte er.

- "Ich mag es nicht, wenn man mich ohne Erlaubnis berührt", meinte ich, sah verlegen weg, entfernte mich von ihm.

"Achso."

"Was ist mit dem Besuchen?", fragte ich schließlich, legte den Kopf schief.

"Ich habe meine Frau noch nicht gefragt", entgegnete er bedächtig.

'Meine Frau'. Schon wieder das verbotene Wort. Ich konnte es mittlerweile wirklich nicht mehr hören. War das denn so schwer? Musste er denn immer seine Frau erwähnen, wenn er gerade keine richtige Antwort fand?

Ich wusste es nicht, wurde leicht genervt.

"Das heißt sowieso, dass ich nicht darf", murrte ich sauer.

"Wie kommst du darauf?", fragte er sichtlich verblüfft.

"Na ja. Wäre ich Ihre Frau...", diese Worte schmolzen nur so dahin, "...würde ich ziemlich sauer und eifersüchtig werden, wenn Sie als mein Mann mir vorschlügen, eine Schülerin mit heim zu nehmen."

Er schmunzelte. "Meine Frau ist nicht so" - Ja, ja. Ich weiß schon. Deine Frau ist das strahlendste Wesen, das perfekteste unter den perfekten Wesen, ich weiß. Du musst mir das nicht noch mal unter die Nase binden - immer, und immer wieder.

"Sie ist eine Frau", entgegnete ich skeptisch, sagte nichts weiter.

"Aber ist schon in Ordnung. Es würde mich nicht überraschen, würde daraus nichts werden."

Am Bahnhof kaufte er sich eine Zeitung und ein Brötchen.

"Willst du auch was?", fragte er, als er in das Brötchen biss.

"...Nein, danke", ächzte ich. Natürlich hatte ich gewollt!

"Keine Sorge, habe ich nicht vergiftet oder so...", flüsterte er peinlich berührt.

"...Ich weiß! Ach, ich hab einfach keinen Hunger. Ich esse nicht so viel."

- Und was für einen Hunger ich hatte...!

"Dann das nächste Mal", er grinste breit. Er stieg in seinen Zug, hob die Hand. Ich lächelte nur, wartete bis der Zug abgefahren war, und ging auf mein Gleis.

Im Zug dachte ich über sein Verhalten mit dem Brötchen nach, die Antwort blieb aus.

"Manchmal stell' ich mir vor, Du wärst jetzt hier bei Mir."

Loveless: "Ah, okay."

J-L: "Hier weiter?"

Loveless: "Gern! Tag hat schlecht angefangen, aber ansonsten war mein Tag okay."

J-L: "Also: Sechs Stunden, davon eine Freistunde bei Beate" -

Hier muss ich ihn kurz unterbrechen, da mich das sehr zum Schmunzeln brachte. Bei einer Ecke neben der Schule befindet sich eine kleine Cafeteria, Beate's Backshop - schön und gut. In der Innenstadt jedoch gab es Beate Uhse, und ich denke, jeder von Ihnen kennt Beate Uhse. Und er hatte nicht 'Beate's' geschrieben - was schließen wir daraus? Aber wahrscheinlich meinte er wirklich die Cafeteria.
 

... "heute bei den Kleinen ganz nett, auch der Philokurs in der 12 gut (zwar etwas dröge, weil Kant, aber interessant trotzdem, aus meiner Sicht)."

Loveless: "Ebenfalls sechs Stunden. Ersten beiden Sport. Toll. Einfach super. Schon wieder Volleyball. Habe mitten im Sportunterricht tierische Kopfschmerzen bekommen, dass ich mich wohl auf dem Boden herumgewälzt hatte. Etwas später war es wieder in Ordnung, nicht zu erklären. 4. Stunde eine Freistunde, 5. und 6. Stunde Französisch. War wirklich wunderbar, das alles..."

J-L: "Höre ich da gelegentlich ein wenig Ironie und etwas Sarkasmus heraus?"

Loveless: "Nein, gar nicht."

J-L: "Gab‘s denn wenigstens einen respektablen Lernerfolg - bei sechs Unterrichtsstunden lässt sich das doch kaum vermeiden ..."

Loveless: "Nein, gab es nicht."

J-L: "So bist du also nur ein bisschen älter geworden, nicht schlauer..."

Loveless: "Oui"

J-L: "de toute facon"

Loveless: "Fahren Sie morgen wieder zum Hauptbahnhof?"

J-L: "Wahrscheinlich gehe ich nur bis zum Stadthaus. Meine Frau kann mich dann von da aus abholen, den Luxus gönn ich mir. Aber ganz entschieden ist das noch nicht."

Loveless: "Okay."

J-L: "Und du, fährst du immer mit dem Zug?"

Loveless: "Ja. Ist der schnellste Weg. Alles andere würde über 90 Minuten dauern. Zeitlich würde ich somit immer den Bus verpassen und noch mal extra 30 Minuten warten, so was halt."

J-L: "Ok. Überzeugt. Hatte neulich eine ähnliche Odyssee hinter mir. Freue mich schon darauf, wenn ich wieder mit dem Auto fahren kann."
 

Auto. Das klang für mich schon fast, als wolle er unbedingt mit dem Auto fahren, damit er mit mir nicht mehr laufen musste.
 

Loveless: "Pourquoi? Sind bei Ihnen auch sämtliche Züge ausgefallen, oder wie?"

J-L: "Ca me donne du temps en plus. Nein, nur vereinzelt. Gestern z.B. bin ich deswegen 20 Minuten später zu meiner 8 in Bio gekommen. (Die waren aber nur begrenzt unglücklich.)"

Loveless: "Oh. Na ja. Ich hoffe, dass ich Ihnen nicht Ihrer Zeit beraube?"

J-L: "Nein. Muss nur ab und zu längere Aufgaben parallel erledigen."

Loveless: "Gut. Also ... ich will Sie auch keinesfalls nerven. Ist mein Satz von gestern eigentlich angekommen?"

J-L: "Worum ging es denn in dem letzten Satz?"

Loveless: "...Ok, dann schreibe ich es noch mal: Ich habe keine Ahnung, ob Sie mich deswegen nun meiden oder nicht, aber ich kann Sie wirklich gut leiden. Und danke, dass ich mit Ihnen reden kann. Ich habe keine Ahnung, wie Sie darauf wohl reagieren. Ich weiß nicht, ob ich das bereuen soll, geschrieben zu haben, oder nicht."

J-L: "Ich finde, da gibt es keinen Grund, da irgendwas zu bereuen. Das ist sicher mutig zu schreiben, und wenn ich ein Armleuchter wäre, könnte ich darauf falsch reagieren. Aber dem Inhalt nach hätte ich das umgekehrt auch schreiben können. Ich kann dich wirklich gut leiden. Und danke, dass ich mit dir reden kann. Ich habe keine Ahnung, wie du auf dieses Bekenntnis reagierst."

Loveless: "Wie ich darauf reagiere? ... So glücklich war ich lange nicht mehr!"

J-L: "Immerhin scheine ich hier und da noch was zu bewirken ... Bin jetzt wieder beim familiären Abendessen - bis hoffentlich gleich!"
 

...Hoffentlich, hatte er gesagt. Hoffentlich ...

"Es sind Kleinigkeiten, die Dich so wunderschön machen."

Auch die nächsten Tage gingen wir zusammen zum Bahnhof. Irgendwann verblüffte er mich damit, dass sein Auto nun doch auf dem Parkplatz stand. Ich war leicht verwirrt darüber, sprach ihn an. "Warum sind Sie nicht mit dem Zug da?", fragte ich, leicht gekränkt, nahm es persönlich. Natürlich hatte ich keinerlei Grund dazu.

"Ich musste heute so viel schleppen", ächzte er, schleppte sich die Treppen in den vierten Stock des Schulgebäudes rauf. Ich folgte ihm, wie nicht anders zu erwarten.

"Normalerweise haben Sie doch jetzt Schluss?", flüsterte ich. "Da hast du Recht, aber ich habe meine Trommel-AG aus dem Staub gezogen und aktiviere sie wieder..."

Trommel-AG. TROMMEL-AG. Meine Fresse. Musik ok - aber warum ausgerechnet trommeln? Meine Vorurteile der AG gegenüber verschwanden sofort, da mich diese schlagartige Musik wirklich faszinierte.

Nach dem Trommeln fragte er mich nach meinem Eindruck. Ich sagte sogar ehrlich, dass mir das Zuhören sehr gefallen hatte, ich aber nicht wagte, es selbst auszuprobieren. Er ging mir mit einem Schmunzeln voraus ins Lehrerzimmer. Es war wie üblich. Er ging rein, ich wartete davor. Er kam raus, ich folgte. Nur wie sah es heute aus? Wir gingen zusammen zum Auto, erst schweigend, dann redend.

Ein VW Polo. In einem seltsamen, grässlichen blau.

"Musst du wieder zum Bahnhof?", riss er mich aus den Gedanken. Sicherlich musste ich das, ich nickte stumm.

"Soll ich dich mitnehmen? Dann dauert es nicht so lange." Er lächelte fragend, hielt mir die Beifahrertür auf.

'Soll ich dich mitnehmen' Alles zersprang schlagartig. Ich sah ihn nur perplex an, stieg aber ins Auto. Ich drang in eine seiner beschichteten Privatsphären ein.

Wir redeten wieder über mich. Und meine Narben. Ich weiß bis heute nicht, woher ich die Dummheit nahm, und sie ihm zeigte. "Warum zeigst du mir das?", fragte er mich daher. Meine Antwort blieb aus. Warum zeigte ich ihm dies? Aufmerksamkeit? - "Das schreit nach Aufmerksamkeit. Willst du damit Aufmerksamkeit erreichen?"

"Nein!", stieß ich sauer aus. Ich hasste es, wenn man mein Ritzen als Aufmerksamkeitsmasche bezeichnete. Es war unheimlich verletzend. "Tut das nicht weh?", fragte er, sah mich nicht an. "Nein", flüsterte ich.

"Aber du verletzt mich damit", erwiderte er, schenkte mir einen flüchtigen Blick.

"Was du dir antust, tust du mir auch an. Weil wir eins sind. Alles ist eins", sagte er ruhig und leise. Mir stiegen Tränen in die Augen, Sekunden später liefen sie die Wange herab. Er reagierte nicht darauf, wie so oft.
 

Wir waren am Cinestar angelangt.

"Komm gut nach Hause", sagte er knapp und lächelte mir zu. Ich nickte stumm, verließ das Auto, winkte ihm und betrat den Bahnhof. Er hatte mich wie so oft zum Nachdenken angeregt.

Gezieltes Verlangen.

Am nächsten Tag hatte er mir ein Buch ausgeliehen. "Illusion". Eigentlich ganz nett, aber ein paar sexistisch angehauchte abgedruckte Zeichnungen darin.

"..." Ich fing an, von ihm zu Träumen. Der erste Traum handelte gleich sogar schon von seiner Frau mit. Ätzend, nun wurde ich schon im Traum verfolgt von der Person, die ich nie im Leben je kennen lernen wollte. Am Abend teilte er mir freundlicher Weise mit, dass er nun 22 Jahre mit seiner Frau verheiratet war. Als ob mich das groß interessiert hätte. Es hat nur Verzweiflung hervorgerufen. Erneut nächster Tag: Der langersehnte letzte Schultag. Ich hatte mir eigentlich fest vorgenommen ihn zu umarmen. Wurde nichts draus. Stattdessen saß ich da nun in seinem Auto und habe mich zur Straßenbahn fahren lassen. Überrascht war ich dann, als er mir seine Hand reichte.

"Schön, dass Du mir in letzter Zeit so viel anvertraut hast. Ich wünsche Dir schöne Herbstferien. Die Du, wie auch ich, uns verdient haben." Er zwinkerte lieb, ich nahm seine Hand. Ein wenig zögerlich. - Ich hätte bei seinem starken Händedruck aufächzen können. Nicht, dass er auf meine Hand Rücksicht genommen hätte, nein. Er drückte fest zu. Ich grinste leicht gequält, sah auf unsere Hände, die sich noch immer berührten. Seine waren unangenehm rau. Groß, aber kurze Finger. ...Dabei mochte ich schlanke, lange Finger so sehr. Meine Lehrerin hatte lange, schlanke Finger. Sie war sowieso sehr schlank. ...Und bestimmt über 1,70m.

Meine Finger schlangen sich um den Griff der Autotür. Eigentlich hatte ich ihn wirklich, wirklich, wirklich umarmen wollen.

"...Ja ... Also schöne Ferien!", entgegnete ich hastig und verließ das Auto. Er grinste mir zu, hob eine Hand. Ich sah, wie er mit seinem seltsam blauen Polo davonfuhr, danach machte ich mich auf den Weg zur Straßenbahn. Es war schon irgendwie trostlos. Ich wusste wenig über ihn. Wir unterhielten uns zwar, aber andauernd ging es um mich. Natürlich; Ich redete gerne von mir. Aber von ihm wollte ich mindestens genau so viel wissen, wie er inzwischen von mir wusste.

Die Ferien über war er insgesamt 4 Tage weg. Irgendwo bei Verwandten im Sauerland? Weiß nicht, irgendwie so was. Nach den 4 Tagen ließ er sich mit dem online kommen enorm Zeit. Am Freitag darauf hatte meine Lehrerin Geburtstag. In Gedanken gratulierte ich ihr und freute mich noch mehr auf die Schule. Während der Ferien hatte ich angefangen, ihn mal hier und da zu zeichnen, was mir leider Gottes völlig misslang.

"Als würde ich Dich jemals loslassen können."

Schlafen konnte ich nicht, als montags die Schule wieder begann. Die Sonne schien, es war selbst für den 16. Oktober recht warm, ich ging also nur knapp bekleidet zur Schule. Einerseits mochte ich lange Kleidung, andererseits war mir bei solch einem Wetter die luftigere lieber - verständlicher Weise. Den gesamten Morgen sah ich ihn nicht. Meine Lehrerin hingegen sah ich viel zu oft. Nach der 5. Stunde fiel es mir auf. Sie hatte zugenommen am Bauch. Ich hatte Angst, dass ich mich eventuell verguckte, dem war nicht so. Ich schüttelte ihr die Hand, da ich ihr nachträglich zum Geburtstag gratulierte, grinste ihr zu. "Wie alt sind Sie geworden?", fragte ich neugierig und hoffte auf eine normale Antwort - nicht auf eine, die wieder mit Ignoranz beschmückt war. Sie schwieg mich erst einen kurzen Moment an, bis sie "35" antwortete. Ich war mir ganz sicher. - Sie war schwanger. Meinen Gedanken, dass sie es war, äußerte ich nur meinem "Retter in der Not" gegenüber. Wir saßen zusammen im Auto. Dauernd fragte er mich, was mir denn fehlte, warum ich so schweigsam war. Bis ich zu reden begann. "Ich habe Angst, dass sie schwanger ist", meinte ich leise, ballte die Hände zu Fäusten. Ich war allein bei dem Wort 'schwanger' schon völlig von der Rolle und bemühte mich um die Trockenheit meiner Augen.

Ich wagte nicht, ihn anzusehen. Vor allem, weil er eine beschissene, fette Nickelbrille aufgesetzt hatte. - Nicht sehr modern. Von den Brillengläsern will ich gar nicht erst sprechen, da das Gestell schon unglaublich breit war. Seufzend sah ich aus dem Fenster. "Hat sie das schon gesagt?", fragte er. Ich brummte. "Nein. Ich sagte doch, dass ich Angst habe, dass sie es ist. Das heißt nicht, dass sie es ist, sondern ich es nur in Erwägung ziehe, man..." Er sah mich verblüfft an. "Weißt du, was mir dazu für eine Geschichte einfällt?", fragte er, lächelte ein wenig. Ich schüttelte den Kopf. Er begann zu erzählen. "Ein paar Jäger hatten oft versucht, einen Affen zu fangen. Nie ist es ihnen gelungen. Dann gab es einen Einfall: Sie brachten eine Banane in einem Krug an. Der Affe roch diese, griff in den Krug. - Die Banane hatte er, diese hatte sich dennoch so verankert, dass der Affe nicht mehr seine Hand aus dem Krug bekam. Loslassen wollte er die Banane nicht - sie war doch so lecker. So schnappten ihn die Jäger und er starb jämmerlich, weil er nicht von dem loslassen wollte, was er so liebte."

Ich weinte, ohne dass ich es noch mitbekam. Ich sah ihn endlich an, hatte mir in dem Moment nichts mehr als eine Umarmung gewünscht. - Die natürlich ausblieb.

Er lächelte nur leicht. "Mach dir das Leben nicht so schwer", flüsterte er mir zu, hielt am Parkplatz. Ich weinte noch bitterer. Aber das Leben IST schwer! Wie kannst du das nur sagen? Du verstehst mich nicht, wie ich es gerne hätte. Ich nickte nur. "Mach dir nicht so einen großen Kopf. Und wenn was ist, ich bin sicher im Laufe des Nachmittags mal online." Er grinste mir lieb zu und hob lächelnd die Hand, als ich ausstieg und noch einmal in seine Richtung sah. Seufzend hob ich die Hand.

In der Schule nahm meine Leistungsfähigkeit ab und ich beteiligte mich nirgends. Am Donnerstag sprach er sie darauf an, ob ich noch eine Chance darin sehen könnte, richtig mit ihr zu reden. Auch später teilte er mir mit, was sie dazu gesagt hatte. - Wie nicht anders zu erwarten: Nein.

Im Grunde fragte ich mich ohnehin, warum er das für mich tat. Ich sprach ihn ein weiteres Mal auf das Besuchen an. Nicht nur dieses Mal, später auch noch. Doch immer nur kam ein "Ich muss meine Frau noch fragen". Was hätte ich sagen sollen; Dass er mich einladen soll, wenn seine Frau mal gerade im Business unterwegs ist und mal in München, Hamburg oder Berlin ist? Ich brachte ja nicht mal richtige Sätze zustande. Wir redeten normal weiter, immer donnerstags und freitags nach der 7. Stunde.

Die Tage vergingen, es wurde kälter, dennoch blieb der Schnee aus. Einen Donnerstag hatte ich die 3. und 4. Stunde frei. Wenn ich mich nicht irre, war es entweder der 12., 16., oder 17., Dezember. Ich weiß es nicht mehr genau. Der Weihnachtsmarkt hatte bereits geöffnet, somit gingen „Fish‘‘, ein Freund, und ich über den Weihnachtsmarkt. Es ergab sich einfach, ich konnte Geschenke einkaufen und ansonsten einfach den süßen Geruch von gebrannten Mandeln, Zuckerwatte, Popcorn, Glühwein und sonstigem Zeugs genießen. Nun, als wir auf dem Rückweg waren, wurde ich von einigen Leuten angerempelt und die Menge teilte sich. Wer lief mir wohl entgegen? - Natürlich, er. Und ein Schüler, der auch gleichzeitig ein Freund von mir war, Thorsten. Thorsten ging es zu der Zeit wirklich beschissen und ich wollte mich eigentlich nicht beschweren und nicht eifersüchtig sein; immerhin war er ein Freund, den ich sehr schätzte. Mir blieb nichts Anderes übrig, als die Augen aufzureißen und sie aufzuhalten. Ich streckte eine Hand aus, griff an seinen Bauch, Thorsten sah mich nur stumm an.

"...Hi!", machte ich, noch immer perplex. "Hallo, Lu", entgegnete er freundlich, Thorsten grinste.

"Was ... machen Sie hier?", fragte ich ihn. Er schmunzelte, die Hände in den Hosentaschen.

"Weihnachtsgeschenke einkaufen."

Damals dachte ich, es sei der einzige Grund gewesen, warum er für den Jungen zwei Freistunden opferte. Daher dachte ich nicht groß darüber nach, als ich ihn fragte, ob ich mitkommen dürfe.

Er sah ein wenig beschämt drein und lehnte ab.

Wenn ich das jetzt so aufschreibe, kommen mir bei der Erinnerung noch immer die Tränen. Ich wurde abgelehnt.

Es war so ein schreckliches Gefühl, ich glaube, meinen Schmerz konnte man mir sogar im Gesicht ansehen. Wortlos ging ich weiter. Umdrehen tat ich mich nicht, aber die Tränen rannen die Wangen herab, als er gerade hinter mir war. Trösten konnte man mich nun auch nicht. Ich hätte so gern geschrieen, ich hätte so gerne laut geheult, mir alles zerrissen, aber nichts war für diesen Schmerz Genugtuung oder ersetzbar. Ich ging alleine zurück zur Schule und saß eine ganze Zeit lang am Haupteingang. Die letzte Stunde hatte ich bei ihm, es war ja ein Donnerstag. Selbst als es zur 7. Stunde schellte, war er nicht da. Mit dem Schellen betrat ich das Gebäude und setzte mich auf die Treppe im 2. Stock, ansprechbar war ich nicht. Dann kam auch noch Thorsten, den ich von allen am wenigsten sehen wollte.

Ich riss mich zusammen und grinste ihm zu, als er sich neben mich setzte.

Er biss in ein Eibrötchen.

"Geil, ne? Hat er mir vorhin gekauft", sagte er stolz und präsentierte es mir stolz.

Für diese Aktion hätte ich ihm gerne den Hals umgedreht, denn er wusste um meine Gefühle.

Ich nickte nur und sah weg.

"Hey, was ist los?", fragte Thorsten und stupste mich an. Ich biss mir auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf.

Ich hatte doch gerade zu weinen aufgehört, und im nächsten Moment brach ich wieder in tausend Tränen aus, dass er wohl aus Mitleid einen Arm um mich legte. Es hatte mich einfach sehr geprägt. Wer würde denn anders reagieren, wenn der wichtigste Mensch der Welt einen ablehnt? - Thorsten ging rein. Ich stand auch auf, als Er die Treppen hochkam. Ansehen konnte ich ihn nicht, neben ihm laufen ging auch nicht. Während ich in die Klasse ging, weinte ich weiter. Wahrscheinlich fiel es ihm nicht auf, wie sonst auch. Er brachte seine Stunde hinter sich, anwesend war ich nicht. Ich hatte die gesamte Stunde überlegt, ob ich ihn nach der Stunde ansprechen sollte oder nicht. Und ob ich überhaupt bei ihm bleiben sollte und nicht einfach abhauen sollte. Dennoch wäre das eine Art Flucht gewesen und das hieß der Mann nicht gut. Also blieb ich und sprach auch mit ihm. Ich brauchte eine gewisse Zeit. Schweigend gingen wir nebeneinander die Treppe runter. Warum er keine Worte fand, wusste ich nicht. Normalerweise war er derjenige, der immer persönlich irgendwelche Gespräche anfing. Im Internet war es genau anders herum. Erst vorm Lehrerzimmer hieß es: "Wartest du noch?" Ich nickte, brachte das Klassenbuch weg und setzte mich draußen am Haupteingang auf den Boden. Es war eiskalt und regnete ein wenig. Es dauerte wie immer seine Zeit, bis er das Lehrerzimmer verließ.

"Was ist los?", fragte er schließlich und ich begann erneut zu weinen. Ich erklärte ihm, dass es mich verletzt hatte, so abgewiesen worden zu sein, woraufhin er seine Standartantwort zurückgab, wenn es um das Verletzen ging. "Du kannst gar nicht verletzt werden. Und zum Verletztwerden gehören immer zwei. Der, der verletzt und der, der sich verletzen lässt. Und das hast meines Erachtens weder du noch ich nötig." Was hätte ich antworten sollen - Er hatte doch Recht. Zumindest aus seiner Sicht. Noch heute denke ich, dass man sehr wohl verletzt werden kann und es nicht nur eine Sache des Egos sein soll, das ja angeblich der böse Kern in uns ist und uns nicht glücklich sein lässt.

Ich schwieg erst, bis ich zu ihm aufsah und ihn fragte:

"Haben Sie morgen noch Weihnachtseinkäufe zu erledigen?"

Er überlegte.

"Kann gut sein, weiß ich nicht so genau."

"Würden Sie dann mit mir über den Weihnachtsmarkt laufen?"

"Na gut, dann hast du zumindest keinen Grund mehr, traurig zu sein."

Ich grinste breit.

"Versprochen?", hakte ich nach.

Er lachte herzlich und sah mich warmherzig an.
 

"Versprochen."

"Er ist es nicht wert. Er hat ja nur mein Herz."

Ich hätte ihn anschreien und ankotzen können, als er am nächsten Tag seine Tasche hinten in den Kofferraum schmiss und sich hinters Steuer setzte.

Ich wagte nicht, etwas zu sagen. Vielleicht hatte ich es in dem Moment sogar vergessen, unwahrscheinlich. Als er das Tor passierte, sah ich ihm hinterher und schrie laut "FUCK!". Das hatte er natürlich nicht gehört und nachlaufen konnte ich ihm schlecht.

Heulend ging ich zum Bahnhof und schrieb einer Bekannten sofort die SMS: "Er ist ein Arschloch. Er hat mich vergessen."

Im Internet erinnerte ich ihn sofort daran, aber sogar eine Entschuldigung blieb aus. Stattdessen kam er mir mit einem "Ich habe mich zu nichts verpflichtet und wüsste nicht, warum ich jetzt ein schlechtes Gewissen haben sollte." Nach diesem Satz brach ich erneut in Tränen aus und blieb das Wochenende lang offline und ließ ihn in Ruhe die Klausuren und Arbeiten seiner 0815-Schüler korrigieren.

Ich glaube, danach hatte er ein schlechtes Gewissen. Denn er sprach mich darauf an, ob ich nicht Lust hätte, zum nächsten Jahr mit ihm auf den Weihnachtsmarkt zu gehen. Das ließ ich mir nicht zwei Mal sagen. Wie hätte ich auch anders gekonnt - ich sagte zu.

Die Sache hatte sich somit vollends erledigt.
 

Im Übrigen hatte der Mann sogar angefangen, gegen Mitte Dezember Weihnachtsbäume zu verkaufen. Ausgerechnet Weihnachtsbäume. Irgendwie fand ich das affig.

Mir hatte das natürlich nicht gepasst, immerhin waren das ... ich glaube, glatte 14 Stunden, die er mit dem beschissenen Verkaufen der Bäumen zubrachte. Er kam immer nur früh morgens online oder unter der Woche eben gar nicht. Aber was hätte ich machen sollen. - Drei Tage nach der missglückten Weihnachtsmarktaktion wurde mir am Morgen mitgeteilt, dass Thorsten nach Hamburg abgehauen sei. Ich wusste nicht, ob ich sauer sein sollte oder mir Sorgen machen sollte. Da er Thorstens Klassenlehrer war, hat er sich wie immer verantwortlich gefühlt. Durch diese Aktion habe ich zumindest seine Handynummer bekommen. Seine Festnetznummer hatte ich schon länger, er hatte sie mir bei ICQ gegeben, als es mir nicht sonderlich gut ging. Er hatte mir gesagt, dass ich sogar mitten in der Nacht anrufen könne, wenn mir danach sei. Aber ich rief nicht an. Ich habe nie gerne telefoniert. Nur mit Marina, meiner besten Freundin. Bei ihm wäre ich ohnehin völlig vor Aufregung eingegangen. Zur Handynummer zurück; Dort hatte ich mich natürlich auch nicht gemeldet. Aber ich sollte mich ja nur melden, wenn ich etwas wüsste. Wusste ich dann auch. Bei ICQ teilte ich ihm mit, dass Thorsten nur ein Drama gemacht hätte, da er sich nämlich die ganze Zeit über bei seinem Bruder befunden hatte. So viel dazu.

Ich wusste nicht weiter. Ich war entsetzt. Ich hasste dieses Aufmerksamkeitsgetue. Irgendwann war er bei ICQ nicht mehr erreichbar. Der Grund? Thorsten. Er hatte über eine Stunde mit ihm und seiner Mutter telefoniert. Wenn ich noch heute daran denke, kommt mir vor Weißglut und Eifersucht die Galle hoch. Danach ging er offline.

Außerdem hatte ich Wut auf ihn und war wie immer eifersüchtig und sauer, weil er sagte, er habe für Thorsten ein Weihnachtsgeschenk gekauft. Auch jetzt noch könnte ich vor Eifersucht heulen und ernsthaft überlegen, Thorsten nicht endlich mal eine für sein beschissenes Verhalten zu klatschen. Er verdiente seine Aufmerksamkeit nicht. Er suchte immer seine Aufmerksamkeit. Immer, immer, immer. Das war wirklich nicht fair - so fand ich. Thorsten hatte wirklich eine tolle Familie. Sein Vater hatte ihn zwar verlassen, aber der war immer noch am Leben; meiner nicht. Er hatte eine tolle Mutter; ich nicht. Er hatte Geschwister; ich nicht. Und er bekam alles in den Arsch geschoben - ich hingegen musste mich immer mit dem zufrieden geben, was ich damals nun mal hatte. Und das war bei weitem nicht das, was ich gerne gewollt hätte. Dazu kam noch die Tatsache, dass ich adoptiert war. Aber das hatte nie so viel Wert für ihn. Ich hatte nicht gezeigt, wie schlecht es mir dadurch ging. Wenn durch das Ritzen. Aber ich hatte nie die Aufmerksamkeit von ihm bekommen, die Thorsten an meiner Stelle bekam. Jetzt macht es mich noch immer traurig, da Thorsten die gleiche Masche auch heute noch abzieht. Ich bin nur froh, dass ich davon nicht mehr allzu viel mitbekomme. Und wenn ich Thorsten frage, wie es mit ihm läuft, antwortet er, dass er ihn ignoriert. Von einer Freundin von Thorsten und mir muss ich mir jedoch anhören, dass Thorsten ihn volllabert bei ICQ, wo er doch eigentlich nicht mehr mit ihm schreibt. Angeblich nur, wenn Thorsten dicht ist. Aber ich weiß nicht, was ich da noch groß zu sagen soll oder überhaupt denken soll. Dass dieser Junge nach krankhafter Aufmerksamkeit schreit, nervt. Ich habe nie etwas dagegen gemacht und auch nicht gesagt: "Hey, jetzt lass mal Deine Aufmerksamkeitsmasche fallen und stell Dich nicht so an!", aber diese gewünschten Worte standen in den Sternen. So kam es, dass ich ihm sagte, dass auch ich ihm ein Geschenk gekauft hatte. Ein wenig kam ich mir vor, dass er nur für mich eines kaufen wollte, weil ich ihm angekündigt hatte, eines zu kaufen. Ich weiß es nicht.
 

...Am nächsten Tag hatte er sich zumindest für sein inakzeptables Verhalten bei ICQ und auch überhaupt entschuldigt. Das hatte mich dann wieder beruhigt und ich konnte ihm nicht mehr böse sein - Seine übliche Masche. Wir hatten abgemacht, uns am darauf folgenden Tag für die Weihnachtsgeschenke zu treffen.
 

Ich musste am letzten Tag ziemlich lange auf ihm warten. Drei mal dürfen Sie raten, warum, lieber Leser. - Thorsten. Das Gespräch mit Thorsten sollte angeblich nur kurz dauern, stattdessen zogen sich die knapp 45 Minuten wie Kaugummi dahin. Danach hatte er endlich Zeit für mich.

Ich würde nicht sagen, dass ich mit Ungeduld vor dem Lehrerzimmer gehockt habe, aber irgendwann hatte ich dann wirklich keine Lust mehr. Dennoch hatte ich brav gewartet. Wir waren an seinem Auto. Ich glaube nicht, dass wir viele Worte gewechselt hatten. Ich hatte ihm mein Geschenk gegeben, er mir seines. Das Geschenk war nicht sonderlich gut verpackt. Es befand sich in einem kleinen Beutel aus Stoff. Der war ganz süß. Er war rot mit goldenen Sternen darauf und zugezogen. Und sein Inhalt war weich. Der Stoffbeutel befand sich in einer Plastiktüte der Mayerschenbuchhandlung. Sorgfältig steckte ich sein Geschenk weg und wir gingen auseinander, wünschten uns schöne Ferien.

Aufwallende Gefühle.

Die Tage bis zum Weihnachtsabend zogen sich ebenso wie Kaugummi dahin. Er war nur einmal online, es war auch nicht wirklich das Wahre. Den ersten Ferientag verbrachte ich damit, dass ich mich mit anderen zulaufen ließ und bowlen war. Danach bei Mc'ces, was damit endete, dass wir fast rausgeworfen wurden, weil wir unter anderem ein Gurkenrennen an der Glasscheibe des Fastfoodrestaurants veranstaltet hatten und es lautstark kommentiert hatten, wessen Gurke schneller den Boden erreichte und die Glasscheibe hinunterrutschte. Außerdem hatten die Jungs noch mit Pommes rumgeworfen, dass sich ein Großteil sogar später ein paar Einzelteile vom "Big Mac" oder "Mc Fischstäbchen" aus den Haaren zupfen durfte. Noch vor 22 Uhr suchte ich das Weite, die Langeweile plagte mich seit Ferienbeginn. Nicht nur die Langeweile, auch die Sehnsucht, ihn nun zwei Wochen nicht sehen zu können.

Den Weihnachtsabend verbrachte ich am Morgen bis zum Abend damit, dass ich von 8 Uhr an bis 20 Uhr "Kingdom Hearts 2" zockte. Das Geschenk hing inzwischen an meiner orangefarbenen Schreibtischlampe, welche über die Jahre mit Edding bemalt wurde. Das Orange hatte mich irgendwann gestört, dass ich sie schwarz oder blau bemalen wollte. Ich gab es nach der Hälfte auf. Bis heute noch hat sie diese wunderschöne beißende Mischung aus blau und orange. Als meine Mutter mich zum Essen rief, wusste ich ohnehin, was es gab. Jedes Jahr an Weihnachten das gleiche. Kartoffelgratin. Meine Mutter machte tolles Kartoffelgratin. Da habe ich meistens noch nachts von gegessen. Diesmal aber aß ich schnell und freute mich gar nicht richtig über die Geschenke meiner Mutter oder die ihres Mannes. Ich lief in mein Zimmer, nahm den Stoffbeutel in die Hand und setzte mich an den Schreibtisch. Vorsichtig nahm ich es heraus. - Eine Karte. Und ein Plüschtier. Eine Schildkröte.

Auf der Karte stand wie folgt:

"Liebe Lu!

Zum Weihnachtsfest und auch zum Jahreswechsel wünsche ich Dir alles Gute. Als Geschenk habe ich Dir mein "Wappentier" zugedacht: Langsam, aber beharrlich, und durch einen Panzer vor allem geschützt, verfolgt die Schildkröte ihr Ziel (ein bisschen davon kann jeder von uns gebrauchen). Es hat keine Eile - wichtig ist nur, dass wir unser Ziel nicht aus den Augen verlieren und dabei auf uns selbst vertrauen! - Wenn Du wieder mal über Dich nachdenkst, schließe mit ein, dass Du mir wichtig bist!

Alles Gute, Dein ..."

...Den Namen möchte ich an der Stelle noch nicht erwähnen.

Ich hörte nur am 30. Dezember und am 1. Januar noch etwas von ihm. Ansonsten verbrachte ich den Rest meiner Ferien wohl damit, fetter zu werden als ich schon war, weil ich aus Faulheit nur am Essen war und auf Sport keine Lust hatte. Hinzu kam natürlich noch der Fernseher und die dazugehörige PS2 und mein Laptop.
 

Am ersten Tag wünschte er mir noch mal persönlich ein frohes Neues und gab mir die Hand. Meine Knochen knackten unter dem gewaltigen Händedruck.

Nach Unterrichtsschluss ging er mit mir in den Musikraum und spielte mir etwas auf dem Flügel vor. Ich war fassungslos, so göttlich hörte sich diese Improvisation von ihm an. Eine schöne melancholische Melodie. Ich begann über ihn nachzudenken, über unsere Beziehung zueinander, bis ich irgendwann in Tränen ausbrach. Er sagte mir, dass er sich Sorgen mache. Worum genau, das sagte er nicht. Er lud mich außerdem für ein weiteres Vorspiel ein in den kommenden Tagen.

Dazu kam es nicht.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  revyn
2010-12-13T20:03:53+00:00 13.12.2010 21:03
Eine wundervolle Geschichte. Danke ♥


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