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The Wasted Time of Our Lives

von

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苦くて甘い後味 - Nigakute amai atoaji - The bittersweet Aftertaste

„Was?“

Mein Blick fokussierte sich wieder, verweilte jedoch auf demselben Objekt. Ich sah in seine dunklen Augen. Schwache Schatten hatten sich darunter abgezeichnet. „Nichts.“

„Ach so.“ Es war nicht zu überhören, dass er vom Gegenteil überzeugt war. Er verlangte eine ehrliche Antwort. Etwas, das ich ihm oft nicht geben konnte.

„Ich habe...“, startete ich dieses Mal zumindest einen Versuch. „Ich bin nur wieder einmal fasziniert, wie jemand so Kleines...“ „...schon so alt sein kann?“, führte er meinen Satz weiter und meinte mit einem ein wenig empörten Unterton: „Damit hat die Größe doch nichts zu tun.“

„Nein, ich meinte, so viel Power haben und so gut singen kann.“, klärte ich ihn auf, was ihn sichtlich verwirrte, weil er keinen Zusammenhang zu der gegenwärtigen Situation herstellen konnte. Und es war besser so. Selbst, es zu erklären, wäre schwierig. Meistens wusste ich am Ende einer Gedankenkette selbst nicht mehr, wie es so weit kommen konnte. Und das Schlimmste daran war, dass es so gut wie immer auf dasselbe hinauslief. Die Kette endete immer mit derselben Perle.

In diesem Fall jedoch wäre es einfach gewesen, ihm zu erklären, wie ich auf meine Aussage gekommen war, doch ich befürchtete, auf weitere Fragen dazu keine Antworten liefern zu können, oder sie nicht geben zu wollen. Denn mein Ausspruch stellte nicht das Ende der Gedankenkette dar. Es war eine andere Perle, noch weit entfernt von der letzten.

„Aber mit dem Alter ist das auch so eine Sache...“, grinste ich; er hatte mir eine gute Gelegenheit gegeben, das Thema zu wechseln. „Dass du, obwohl du zwei Köpfe kleiner bist als ich...“

„Jetzt übertreib mal nicht!“, warf Hyde entrüstet, aber lachend, ein. „Höchstens eineinhalb.“

„...trotzdem vier Jahre älter bist... Das ist einfach unglaublich.“, führte ich meinen Satz zu Ende.

„Tja... Ich weiß, dreiundvierzig ist ein stolzes Alter.“, meinte er mit einem selbst etwas fassungslosen Blick ins Leere und doch auf seine Geburtstagstorte, die vor ihm auf dem Wohnzimmertisch stand, noch vollkommen unberührt. Ich hätte sie bereits vor Stunden aus ihrem Versteck holen können, um sie den Gästen anzubieten, die mit Hyde in seinen Geburtstag hineingefeiert hatten, doch sie sollte ganz für ihn alleine sein. Ich hatte sie nur für ihn gebacken, eigenhändig. Ich habe nicht übermäßig viel Talent, was das Backen betrifft - dementsprechend sah die Torte in meinen Augen auch aus , aber Hyde hatte sich dennoch sehr über sie gefreut.

„Hast du die wirklich selbst gebacken?“, fragte er nun zum wohl fünften Male.

„Das willst du nicht wahrhaben, oder?“, fragte ich zurück, lächelte aber.

„Ich finde es nur einfach... Dass du dich in die Küche gestellt hast, nur um mir einen Geburtstagskuchen zu machen... Das ist total... Ich bin einfach begeistert.“, versuchte er, seine Dankbarkeit auszudrücken. „Ich hoffe, ich muss das an deinem Geburtstag dieses Jahr nicht auch...“ Er blickte mich mit einer sichtlich unguten Vorahnung an, als befürchtete er, ich würde ihn sogleich dazu zwingen, zu versprechen, dies zu tun; aber ich wusste natürlich, dass es nur ein Scherz war.

„Natürlich nicht. Ich esse so süßes Zeug doch gar nicht gern. Aber... ich hätte da eine viel bessere Idee: ein kleines Konzert, ganz für mich alleine... Das hätte schon etwas.“, schlug ich indirekt vor.

„Du bist mittlerweile ein richtiger Fan von mir, was?“ Hyde zeigte eines seiner unwiderstehlichsten Lächeln. In diesem Fall sein neckendes. Meine Antwort aber war ernst gemeint, aufrichtiger hätte sie kaum sein können, doch ob Hyde das bemerkte, wusste ich nicht.

„Auf jeden Fall.“ Ich hatte versucht, meine Stimme ebenso geradlinig klingen zu lassen wie meine Antwort formuliert war.

Hydes Blick änderte sich etwas. Ich konnte nicht genau sagen, wie, aber er tat es. Ich konnte mir durchaus vorstellen, dass er die Aufrichtigkeit meiner Aussage wirklich erfasst hatte, denn ich glaubte, sein neckendes Lächeln etwas verblassen zu sehen. Ich dachte, sein Lächeln verwandelte sich in ein dankbares, ein freundschaftliches oder in ein peinlich berührtes oder in eines, das die unangenehme Stille überbrücken und nach einem neuen Thema suchen wollte. Vielleicht war es von manchem ein bisschen. Ich zog allerdings nicht in Erwägung, dass es auch denkbar gewesen wäre, dass sein Lächeln einfach traurig geworden war.

Plötzlich stand Hyde vom Sofa auf. Sein Gesicht ließ Vorfreude durchscheinen. „Ich schneide ihn jetzt an. Ich bin so neugierig, ob er auch schmeckt.“, meinte er, als hätte er bereits seit geraumer Zeit mit dem Gedanken gespielt. Mit einem letzten Blick auf die Torte und einem zu mir, verließ er den Raum in Richtung Küche und kam mit einem Messer, einem Teller und einer Gabel zurück. „Du möchtest ja eh keins, nehme ich an.“, meinte er freudig, als bedeutete das für ihn, er konnte die ganze Torte nun alleine essen. Ich lächelte bei dem Gedanken daran, wie gefräßig Hyde war, was man bei seiner Größe und schmächtigen Statur gar nicht annehmen würde. Nach einem mehr oder minder kurzen Blick auf seinen zierlichen Körper, der, in eine schwarze Jeans und ein rotes Shirt gehüllt, nach vorne gebeugt dastand, sah ich ihm zu, wie er sich ein großes Stück auf den Teller lud.

„Bist du sicher, dass du nicht erst einmal ein kleines Stück probieren solltest?“ Ich war etwas besorgt. „Du weißt doch gar nicht, ob man das essen kann - oder sollte.“

~Was wäre, wenn er aus Höflichkeit das ganze Stück isst, obwohl es gar nicht schmeckt?~

Etwas misstrauisch beäugte er das Stück Torte auf seinem Teller. „Ich schätze, du hast auch zwischendurch nicht probiert, oder? - Aber egal. Ich vertraue auf deine Backkünste.“, meinte er zuversichtlich und schob kurzerhand eine Gabelvoll in den Mund.

Ich beobachtete aufmerksam seine Gesichtszüge. Noch hatte er keine Grimasse des Ekels gezogen. Dann hielt er plötzlich inne. „Hey... Das schmeckt richtig gut.“, sagte er verwundert. „Das hätte ich dir gar nicht zugetraut.“

„Es schmeckt wirklich?“, wollte ich verdutzt wissen. „Richtig gut?“

„Ja, ernsthaft. Es schmeckt sogar richtig klasse.“, meinte er anerkennend und führte eine zweite überhäufte Gabel zum Mund. „Und du hast ihn wirklich selbst gebacken?“, fragte er nun wohl zum sechsten Male, allerdings noch erstaunter, und aß noch eine Gabelvoll.

„Jetzt muss ich ihn doch probieren.“, beschloss ich, all meine Prinzipien übergehend.

„Wirklich?“, wollte Hyde begeistert wissen, weil er es noch nie erlebt hatte, dass ich freiwillig etwas Derartiges aß. Bereitwillig und etwas übereifrig belud er seine Gabel und hielt sie mir entgegen. Ich beugte mich aus meinem Sessel nach vorne und zögerte noch einen Moment, bevor ich nicht einmal die Hälfte von dem, was auf der Gabel lag, mit meinen Zähnen zu mir zog.

Kurz besah Hyde die noch ziemlich volle Gabel kritisch, dann suchte sein Blick mein Gesicht und fand einen überraschten Ausdruck.

„Das schmeckt ja wirklich nicht schlecht...“, brachte ich erstaunt heraus, woraufhin Hyde mir die noch mehr als halbvolle Gabel hinhielt. „Und nicht einmal so schrecklich süß...“, merkte ich an, bevor ich den Rest von der Gabel auf meine Zunge ließ.

„Das ist eine Premiere!“ Hyde freute sich unverhohlen und hielt alle paar Sekunden eine volle Gabel in meine Richtung. Und jedes Mal, wenn diese leer war, schien er sich aufs Neue zu freuen.

„Iss du auch mal wieder und fütter mich nicht nur.“, ordnete ich nach ein paar Malen an, setzte mich aber zu ihm auf das Sofa, um mich nicht ständig so weit nach vorne lehnen zu müssen, um an die Gabel zu kommen. Darum, und auch aus einem anderen Grund.

„Es macht aber viel mehr Spaß, dich zu füttern, als selbst zu essen. Außerdem habe ich heute schon so viel Kuchen gegessen und du kannst ohnehin mal ein paar Kilo mehr vertragen.“, begründete er leichthin.

„Findest du?“, fragte ich, doch meine Stimme zeigte nicht allzu viel Interesse.

„Auf jeden Fall. Manchmal frage ich mich, wie du deinen Alltag durchhältst und warum du nicht einfach zusammenklappst.“ Es entstand eine kurze Stille. Wir beide dachten still an die diversen Vorfälle in den letzten Jahren und an die aus jüngster Vergangenheit. „Wie viel wiegst du überhaupt momentan?“, wollte er wissen.

„Keine Ahnung.“, sagte ich lediglich und wartete darauf, dass er die beladene Gabel, die er in der Hand hielt, zu mir schweben ließ. Doch das schien er vorerst nicht im Sinn zu haben.

„Natürlich weißt du das. Du kannst mir nicht erzählen, dass du dich nicht mindestens viermal pro Woche auf die Waage stellst.“, unterstellte er mir indirekt und sah mich durchdringend an. „Also, was hat sie das letzte Mal angezeigt? Sechzig? Fünfundfünfzig? Noch weniger?“

„Soll das ein Verhör werden?“, fragte ich leicht bissig und kreuzte die Arme vor der Brust.

„Wie viel, Ga-chan?“ Hyde ließ nicht locker und auch sein Blick machte den Anschein, als würde er mich nicht mehr loslassen, sofern ich ihm keine Antwort gab. Wollte ich das?

Sollte ich es ihm sagen? Sollte ich die Antwort beschönigen, beziehungsweise verfälschen?

Ich seufzte. Es war nicht fair, ihn anzulügen. „Neunundvierzig.“

„Neunundvierzig?“, keuchte Hyde atemlos. „Neunundvierzig? “, wiederholte er, als würde die Zahl mit jedem Moment unglaublicher klingen. „Ga-chan... Du bist über einen Meter achtzig groß... Du solltest normalerweise nicht viel weniger als achtzig Kilo wiegen, vielleicht siebzig, aber...“ Sein Blick war nicht vorwurfsvoll, sondern einfach nur besorgt. Ein kurzes Schweigen lag zwischen uns.

„Warum?“, fragte er nur, nahezu verzweifelt.

„Ich weiß es nicht.“, antwortete ich niedergeschlagen, doch es war nicht die Wahrheit.

„Wie geht es dir?“ Es war eine so simple Frage, aber, eine Antwort zu geben, war so schwer.

„Das weiß ich auch nicht.“, kam es nicht weniger niedergeschlagen zurück.

„Aber du musst doch wissen, was deine Probleme sind, oder zumindest, was dir an deinem Leben nicht gefällt... Oder nicht?“, fragte Hyde vorsichtig.

Ich konnte ihm nicht die Wahrheit sagen. Ich konnte es einfach nicht.

„Ich weiß es auch nicht, was mich so unzufrieden macht.“, log ich, glaubwürdig.

„Warum hattest du eigentlich noch nie eine feste Freundin, außer deiner ersten Frau?“, wollte Hyde daraufhin wissen. Ob er wusste, dass er unmittelbar ins Schwarze getroffen hatte?

„Ich schätze, ich bin nie der Richtigen begegnet.“, meinte ich und bemerkte, wie absurd sich dieser Satz aus meinem Mund anhörte. Hätte ich zumindest behauptet, ich wäre nie dem Richtigen begegnet, hätte sich schon ein wenig mehr Sinn darin verborgen, doch auch das wäre gelogen gewesen.

„Du hattest auch nicht allzu viel Gelegenheit dazu. Es ist so selten, dass du einmal ausgehst.“

~Und einen drauf machst.~, fügte ich in Gedanken hinzu, mit einem Bild vor Augen, das Hyde auf einer Tanzfläche zeigte, ohne Sonnenbrille, in aller Öffentlichkeit. Auch wenn wir uns in einem Land befunden hatten, in dem uns mit großer Wahrscheinlichkeit nur eine Handvoll Leute kannte, ich hatte ihn dafür bewundert. Auch für seine sorgenfreie Art zu tanzen. Ich weiß bis heute nicht, wie es ist, nicht auf einer Bühne, sondern unter fremden Menschen zu tanzen.

„Ich weiß, es ist nicht ganz so einfach, wenn man ziemlich bekannt ist, aber du musst schon mehr unter Menschen, wenn du jemanden finden willst.“, vertraute er mir an.

„Ja, wahrscheinlich schon.“, sagte ich einfach, ohne es zu meinen. Eine leere Stille trat ein.

Hyde sah starr vor sich in die Luft, ich sah ihm dabei zu. Dann blickte er auf.

„Aber es muss doch trotzdem irgendetwas geben, das dich beschäftigt.“, sagte Hyde leise. „Ist es... deine Familie?“, fragte er behutsam.

„Nein.“ Endlich einmal wieder eine ehrliche Antwort.

„Dein Freundeskreis?“ Ich zögerte. Sollte ich bejahen? Aber was sollte ich dann weiter antworten? Außerdem hätte ich damit verraten, dass ich doch eine ungefähre Ahnung davon hatte, was mein Problem war. Gerade hatte ich mich dazu entschlossen, neutral „Nein, ich denke nicht“ zu antworten, als wir beide den Kopf drehten, da wir eine Schlüsseldrehung im Schloss der Haustüre gehört hatten. Die Tür ging auf und Megumi betrat den Flur, in den wir durch die offene Wohnzimmertür sehen konnten. Hinter ihr trat Joseph über die Schwelle. Hydes Sohn.

Ein unangenehmes Gefühl erfasste meinen Körper und ließ mich aufstehen.

„Ich denke, ich gehe dann mal.“, sagte ich in einer Lautstärke, in der Megumi mich nicht verstehen würde. Ich verspürte den nicht ignorierbaren Drang, dieses Haus zu verlassen. Und zwar sofort.

Hyde zögerte einen Moment. „In Ordnung.“, sagte er dann und stand ebenfalls auf.

Wie er meinen fluchtartigen Abschied in diesem Zusammenhang wohl deutete? Vielleicht ging er davon aus, dass ich vor anderen nicht über meine Probleme reden und nicht zeigen wollte, dass ich überhaupt welche hatte, oder dass ich das Zusammensein der Familie nicht stören wollte, oder dass ich nicht mit einem glücklichen Paar zusammen in einem Raum sein wollte, das mir permanent vor Augen führte, was ich gerne hätte. Mit dieser Mutmaßung läge er schon verdammt nahe an der Wirklichkeit. Doch es macht mir nichts aus, vor anderen über meine Probleme zu sprechen. Außer sie selbst sind Inhalt dieser. Und es würde mir als Letztes in den Sinn kommen, mich von Hyde forttreiben zu lassen, nur um das Zusammensein der Familie nicht zu stören. Ich wollte es am liebsten zerstören.

„Ich bin zurück! - Oh, guten Abend, Gakuto-san.“ Sie schien mich erst jetzt bemerkt zu haben. „Verlässt du uns schon?“, fragte sie gleich darauf.

„Ja, er wollte gerade gehen.“, nahm Hyde mir die Aufgabe des Antwortens ab. Ich fragte mich, ob es wirklich eine Erleichterung für mich war, oder ob es mir die Situation noch erschwerte, indem es mir den schweren Gedanken bescherte, dass Hyde mich nicht bei sich haben wollte, wenn er Zeit mit seiner Familie verbringen konnte. Als wäre ich nur ein Ersatz für sie.

„Schade. Ich habe so viel fürs Abendessen gekauft. Hast du wirklich keinen Hunger?“, wollte sie wissen und nahm, jetzt, da sie ihre Schuhe ausgezogen hatte, die beiden vollen Einkaufstaschen wieder in die Hand und trug sie ins Wohnzimmer, in Richtung Küche. Ich sah den schlichten Ring an ihrer Rechten. Es war derselbe wie der an Hydes rechtem Ringfinger.

„Nein, danke. Ich muss wirklich los.“, lehnte ich ab und lief an ihr vorbei, zur Tür.

„Ich möchte unbedingt das Rezept von dieser Torte da, ja?“, rief Hyde mir noch hinterher. Er begleitete mich nicht zur Tür.

„Kein Problem.“, sagte ich lediglich im Umdrehen und hob die Hand zum Abschied. „Ciao.“

„Tschüß!“, kam es von Megumi zurück und nach einem Moment auch von Hyde, allerdings in einem ganz anderen Tonfall.
 

Die Tür fiel ins Schloss und er stand etwas hilflos im Raum. Warum hatte seine kleine Familie auch mitten in diesem wichtigen Gespräch auftauchen müssen? Er glaubte, er hätte ihn gerade so weit gehabt, dass er ihm die Wahrheit gesagt hätte.

„Jo-chan, kannst du schon einmal den Tisch decken?“, hörte er seine Frau sagen.

Er musste irgendetwas unternehmen. Er ertrug es nicht, Gackt so abgemagert zu sehen. Doch was sollte er tun? Er musste wissen, was sein Problem war. Er glaubte nicht, dass er nur so dünn war, weil er schlank sein wollte. Nein, er war unglücklich und es musste einen Grund dafür geben. Doch er befürchtete, dass er ihn ihm nicht einfach anvertrauen würde, wenn er ihn denn überhaupt wusste, was auch noch nicht sicher feststand, doch er glaubte eher, dass er ihm etwas verheimlichte. In jedem Fall dürfte es schwierig werden, ihn noch einmal auf dieses Thema anzusprechen, beziehungsweise einen Moment zu finden, in dem er noch einmal bereit sein würde, erneut damit anzufangen.

„Was ist denn, Schatz?“

„Was?“ Hyde blickte hastig zu Megumi auf, die in der Tür zwischen Küche und Wohnzimmer stand. Er hatte sie nicht verstanden. Und er wusste nicht, ob sie ihn gerade zum ersten Mal angesprochen hatte.

„Du bist so abwesend. War irgendetwas?“, wollte sie ein wenig besorgt wissen.

„Nein, nein.“, wehrte er ab. „Ich bin nur schon etwas müde. Es war ein langer Tag.“

Es war nicht schwer, sie anzulügen. Er tat es beinahe täglich.

雨 - Ame - Rain

~Es regnet...~

Deprimiert wandte er den Blick vom Fenster ab. Was er tun sollte, wusste er nicht.

Er seufzte. Er hatte sich wieder einmal dabei ertappt, wie er zum oberen Ende seines Schlafzimmerschrankes hinaufblickte. Er konnte sie nicht sehen, doch er wusste, dass eine Box in der Größe eines kleinen Umzugskartons voller DVDs, Bilder und Erinnerungsstücken sich dort oben versteckt hielt. Der Platz war mit Bedacht gewählt worden: ein Ort, zu dem Hyde nicht gelangen konnte.

Er konnte nicht anders. Er öffnete den Schrank und stieg auf das oberste Regalbrett. Sich mit der linken Hand am Dach des Schrankes festhebend, zog er mit der rechten die begehrte Box zu sich, ließ sie geschickt an seinem Körper zu seinen Füßen hinabgleiten und setzte sie vorsichtig auf dem Brett, auf dem er stand, neben diesen ab. Dann sprang er mit einer Leichtigkeit wieder hinunter, die davon zeugte, dass er dieses Spiel nicht zum ersten Mal gespielt hatte.

Sich dessen bewusst, setzte er sich, mit einem resignierenden Lächeln, auf sein Bett und stellte die Box behutsam, als wäre sie etwas Heiliges, vor sich ab. Er hob den Deckel an und enthüllte einen Stapel penibel aufgeschichteter Original-DVDs, ein wuchtiges Fotoalbum und eine Schachtel. Die Anordnung dieser Dinge, seiner Heiligtümer, war ebenfalls durchdacht: alles befand sich in einer Position, in der nichts verrutschen konnte, und der Innenraum der Box wurde restlos ausgenutzt; es gab lediglich eine Nische zwischen den drei Elementen, die dazu diente, dass man etwas herausgreifen konnte, wenn man wusste, wie; denn man musste zuallererst die oberste DVD vom Stapel herunternehmen, dann konnte man, wenn man sich geschickt anstellte, das schwere Fotoalbum herausnehmen, und daraufhin erst war es einem möglich, die Schachtel in die Hände zu bekommen.

Wer die von außen eher unscheinbare, schlichte beige Box mit unauffällig dunkelrotem Deckel betrachtete, würde nicht erwarten, dass sie im Innern mit schwarzem Samt ausgelegt sein würde.

Für Gackt war sie wie ein kleiner Schrein, und das Trauerschwarz des Samtes erinnerte auch stark daran - allerdings an einen Totenschrein, doch mehr als seine Hoffnung war bisher nicht gestorben.

Wie gewohnt nahm Gackt die oberste DVD heraus, legte sie neben sich auf das Bett und griff darauf nach dem Album. Er legte es sich zwar auf den Schoß, doch er zögerte, es aufzuschlagen. Eigentlich hatte er sich ein älteres Live-Konzert aus dem Stapel aussuchen wollen, doch jetzt, da er das Fotoalbum vor sich sah, konnte er sich ebenso wenig davon abhalten, es aufzuschlagen, wie er sich davon hatte abhalten können, die Box vom Schrank herunterzuholen.

~Nur einen Blick hineinwerfen...~, dachte er bei sich und schlug den tiefbraunen Deckel des Buches um. Sein Lieblingsbild nahm die komplette erste Seite ein. Hyde lächelte ihm sanft entgegen.

In dem Album befanden sich ausschließlich Bilder von Hyde, Hyde zusammen mit Gackt selbst, Hyde mit anderen Personen, von denen jedoch nicht mehr allzu viel zu sehen war - eine Hand vielleicht oder eine Schulter, den Rest hatte er weggeschnitten - und dann gab es da noch, im hinteren Teil des Albums, das nahezu keinen Platz mehr für weitere Bilder bot, welche, die Hyde mit Personen zeigten, die ihm so nahe waren, dass es unmöglich war, sie aus dem Bild zu entfernen, ohne Hyde selbst zu zerschneiden oder gar zu zerstückeln. Zumeist mied er diesen Bereich des Albums, um sich das Gefühl der absoluten Aussichtslosigkeit und den Anblick des Begräbnisses seiner Hoffnung zu ersparen.

Nach ausgiebiger Betrachtung des ersten Fotos blätterte er um und wurde von gleich sechs Hydes angelächelt. Er hatte die Bilder so sortiert, dass zu Anfang nur Fotos zu sehen waren, die Hyde lachend oder lächelnd zeigten, diese waren wiederum so angeordnet, dass vorab diejenigen gezeigt wurden, auf denen Hyde direkt in die Kamera blickte und diese wiederum waren nach Gackts Geschmack angeordnet; die schönsten zuerst. Die, an denen man sich nicht satt sehen konnte. Wobei sie alle für ihn schön waren, ausnahmslos alle, selbst die im hinteren Teil des Albums, auch wenn diese einen bittersüßen Nachgeschmack hatten.

Insgesamt hatte Gackt sehr viel Arbeit und vor allem Unmengen an Zeit in dieses Fotoalbum hineingesteckt. Ja, es war eine endlos präzise Fingerspitzenarbeit - kein einziger Fingerabdruck war auf den Fotos zu finden - und ein enormer Zeitaufwand gewesen, doch es hatte ihm Spaß gemacht; es hatte ihn glücklich gemacht. Jetzt, da es in seinen Augen perfekt war, wirklich perfekt, konnte er nichts mehr tun; und diese Tatsache, wie wohltuend das Gefühl, vollbracht zu haben, was man vollbringen wollte, nach getaner Arbeit auch war und ganz gleich wie stolz er auf das Resultat war, vermochte es nicht, sein Gefühl der Hoffnungslosigkeit zu mindern.

Dieser Gedanke war es auch, der ihn verfolgte: ~Ich kann nichts mehr tun. Es ist, wie es ist. Und so wird es wohl auch immer bleiben...~ Niedergeschlagen blickte er auf das Fotoalbum. Es war wirklich perfekt, bis auf die wenigen freien Felder - es waren mittlerweile nur noch vier an der Zahl , die sich nach neuen Fotos sehnten, nach Bildern, die Hyde anders zeigten, nicht einfach nur an seiner Seite, sondern auf seiner Seite, in seinen Armen, an seinen Lippen, auf seiner Seite des Flusses, und Megumi auf der anderen. Doch es blieb ein Traum.

Er klappte den Deckel wieder zu, ließ das Fotoalbum zurück am samtenen Stoff entlang in die Box gleiten, legte die entwendete DVD zurück auf den Stapel und tat auch den Deckel der Box zurück an seinen Platz. Das ohnehin dunkle Rot des Deckels wurde an einer Stelle tiefer, färbte sich dunkler, als wäre Regen darauf gefallen.
 


 


 

Gedankenverloren saß Hyde auf dem Rand seines Bettes. Er starrte ununterbrochen auf die Karte, die er in seinen Händen hielt. Gackts Geburtstagsgeschenk.

Er war ratlos. Er konnte sich nicht erklären, was Gackt dazu gebracht hatte, ihm so etwas zu schenken. Er verstand es nicht, erkannte den Sinn, der dahinter stecken musste, nicht.

Als Gackt sie ihm überreicht hatte, war er zuerst verwirrt gewesen; dann hatte er gelächelt und meinte nur: „Deine Geschenke müssen eben immer etwas Besonderes sein.“

Jetzt saß er hier, mit diesem besonderen Geschenk, und wusste noch immer nicht, was er damit tun, was er davon halten sollte.
 

Ein Gutschein für was immer du willst.

Gackt
 

Mehr stand nicht auf der Karte.

Das war es, das Gackt Hyde schenken wollte: einen freien Wunsch. Doch warum? Warum hatte er ihm nicht einfach irgendetwas aus blauem Glas geschenkt? Oder hochwertigen Sake, oder etwas Schönes, das er irgendwo entdeckt hatte, ein Schmuckstück vielleicht. Etwas Normales, das allein dadurch, dass es von Gackt kam, etwas Besonderes war. Doch ein Gutschein ohne Grenze, ohne Anhaltspunkt - es verlagerte Gackts Aufgabe, sich für etwas zu entscheiden, auf Hyde. Als wollte er testen, wie er reagieren würde. Als wollte er herausfinden, was er sich am meisten wünschte.

Dabei stand die Antwort auf diese Frage bereits auf der Karte selbst.

合言葉 - Aikotoba - Password

Ungeduldig wartete er darauf, dass ihm jemand die Tür öffnen würde. Nervös klopfte er mit seinen Fingern gegen seine Oberschenkel. Es schien niemand da zu sein.

Er atmete niedergeschlagen aus. ~Ich hätte vielleicht doch vorher anrufen sollen...~, dachte er gerade, als er ein Geräusch hinter der Tür wahrnahm. Er sah in dem Moment auf, in dem sie geöffnet wurde. Ein überraschtes Gesicht empfing ihn.

„Ah, Ga-chan. Was machst du hier? Waren wir verabredet?“

„Nein, ich war nur in der Gegend.“, log er. „Was machst du gerade?“

„Nichts eigentlich. Möchtest du reinkommen?“, bot Hyde ihm an und trat einen Schritt zur Seite. Wortlos überschritt Gackt die Schwelle. Hyde schloss die Tür hinter ihm.

„Hattest du etwas Bestimmtes geplant?“

„Ich hatte überlegt, ob du vielleicht Lust hättest, eine Kleinigkeit essen zu gehen.“

Er dachte einen Augenblick über sein Angebot nach, dann nickte er. „Warum nicht? Dann müsstest du aber noch einen Moment warten. Ich bin eben erst aufgestanden.“

„Wie kann man nur so lange schlafen?“, fragte Gackt, ohne eine Antwort zu erwarten.

„Wenn man spät ins Bett geht.“, gab Hyde ihm trotzdem eine und ging voraus, in Richtung Badezimmer. Gackt folgte ihm nur bis ins Wohnzimmer; dort wollte er auf Hyde warten.

Er sah sich um. Alles sah so aus wie immer, nur Hydes Laptop stand ungewöhnlicherweise auf dem Wohnzimmertisch. Wenn er mit dem Laptop arbeitete, tat er das üblicherweise in seinem Arbeitszimmer oder bei schönem Wetter draußen im Garten. Mitten auf dem Wohnzimmertisch hatte Gackt seinen Laptop noch nie stehen sehen.

Der Bildschirm war heruntergeklappt, was den Anschein erweckte, dass er ausgeschalten war, doch das Kabel zur nahe gelegenen Steckdose machte das Bild verdächtig. Es waren jedoch die blauen Lichter, die ihn schlussendlich verrieten.

Gackt lief langsam auf den niedrigen Tisch zu, ohne den Laptop aus den Augen zu lassen, als könnte dieser sich jeden Moment bewegen. Hinter dem Sofa blieb Gackt stehen. Er hatte kein Recht, nachzusehen, was Hyde an seinem Laptop tat. Und doch war es ihm unmöglich, seine Gedanken davon abzulenken. Er warf einen Blick zur Badezimmertür am Ende des Flurs, der übergangslos in das Wohnzimmer mündete. Er zögerte. Was würde Hyde sagen, wenn er sich einfach das Recht nähme, nachzusehen? Gackt wusste es nicht. Aber selbst wenn er es gewusst hätte, wäre es ihm nicht leicht gefallen, sich davon abzuhalten, um die Couch herum zu dem Laptop zu gehen und den Bildschirm nach oben zu klappen. Nachdem er das getan hatte, sah er zuallererst einmal einen schwarzen Bildschirm. Dieser wurde orange, als er seinen Finger über das Touchpad streifen ließ, und zeigte ein Symbol an, neben dem die Aufforderung „Please enter password“ zu sehen war.

„Was machst du da?“, wollte Hyde fassungslos wissen.

Gackt zuckte nicht zusammen; er erstarrte in der Bewegung. Nach diesem Schreckmoment drehte er sich zu Hyde um. „Ich wollte nur sehen, was du mir verheimlichst.“, meinte er schlicht.

„Was sollte ich dir verheimlichen?“, fragte Hyde verwirrt.

„Wofür solltest du sonst ein Passwort brauchen?“, kam Gackts Gegenfrage.

„Wer hat kein Passwort an seinem privaten Laptop?“, fragte Hyde zurück.

„Du hast gesagt, du bist eben erst aufgestanden. Warum ist der Laptop dann bereits an?“

Er war einen Augenblick sprachlos. „Weil ich ihn eben gleich nach dem Aufstehen angemacht habe.“, erklärte er standhaft.

„Warum?“, hakte ich nach. Ich konnte seiner Aussage aus irgendeinem Grund keinen Glauben schenken.

„Das werde ich doch wohl geständnisfrei tun dürfen.“, empörte er sich und in diesem Augenblick war ich mir sicher, dass er die Wahrheit sagte. Doch das Gefühl, dass er mir irgendetwas nicht sagen wollte, blieb. Er kam herüber, zog den Stecker und drückte den Ausschaltknopf. „Zufrieden?“

„Sorry...“, entschuldigte ich mich für mein Verhalten. „Ich wollte... Ich weiß auch nicht. Vergiss es einfach, in Ordnung?“

„Du hast heute keine besonders gute Laune, kann das sein?“, fragte er wieder nur zurück.

„Ja.“, gestand ich ihm ein. „Ich weiß auch nicht, warum.“ Für einen Moment befürchtete ich, mit meiner schlechten Laune würde er nicht mit mir essen gehen wollen.

„Wollen wir dann jetzt gehen?“, ließ er alle Befürchtungen von mir abfallen. „Wo wollen wir eigentlich hin?“, fragte er auf dem Weg zur Haustür.

Ich war ihm gefolgt und hatte ihm dabei zugesehen, wie er sich die Schuhe anzog. „Wohin du willst. Mir ist es gerade egal, was ich jetzt esse.“

Nachdem ich das gesagt hatte, warf er mir einen schwer zu deutenden Blick zu. Ich vermutete, dass er sich Sorgen machte. Oder ich wünschte es mir.
 

„Das Übliche.“, bestellte er bei dem älteren Herrn hinter der Ladentheke, dann drehte er sich zu mir und fragte: „Auch wenn es noch etwas früh dafür ist, willst du Sake dazu trinken, oder?“

„Klar.“, meinte ich lächelnd, wissend, dass er wusste, wie gerne ich Sake trank. Auch er lächelte nun. Das erste Mal heute.

Ich machte es mir zur Aufgabe, ihm noch öfter an diesem Tag ein Lächeln abzugewinnen. Doch es war nicht leicht. Immer wieder schien er mit seinen Gedanken abzuschweifen. Wir unterhielten uns über das Musikgeschäft, über unsere kommenden Projekte, und ließen dabei absichtlich unser Privatleben außen vor. Doch irgendetwas beschäftigte ihn dennoch ununterbrochen. Dies erkannte man alleine daran, wie halbherzig er in seinen Ramen herumrührte. Den Sake dagegen, den er eigentlich eher selten mittrank, leerte er in wenigen Zügen. Ich machte mir ernsthafte Sorgen um ihn.

„Ga-chan.“ Er sah zu mir auf. „Was ist los mit dir?“, fragte ich direkt. Er seufzte.

„Ich weiß es nicht.“, antwortete er mir, doch ohne mir in die Augen zu sehen. Ich hatte das Gefühl, sein Blick haftete an meinem Ehering.

„Aber du weißt mehr als ich. Also sag mir das, was ich nicht weiß.“, forderte ich ihn auf.

Er schwieg lange Zeit, dann, vollkommen unvermittelt, durchbrach ein Wort die Stille: „Aishiteru.“

Dieses Wort erfüllte die Luft um uns. Es hüllte uns ein. Es war alles, was uns umgab. Als auch der Nachhall in unseren Ohren verklang, war auf einmal alles still. Nichts schien mehr dort zu sein, wo es bis eben war. Nur das Schweigen zwischen uns blieb.

Die Frau, die dieses Wort eben ausgesprochen hatte, legte ihr Handy beiseite und nahm ihre Suppenschüssel entgegen, die ihr der Wirt reichte.

„Ga-chan, wenn ich etwas für dich tun kann, dann sag es mir.“ ~Wenn ich es nur sagen könnte, würde ich es tun...~ „Ansonsten weiß ich echt nicht, was ich tun soll.“ Hyde sah mich ratlos an.

„Ich weiß es auch nicht...“, sagte mein Mund leise. „Sag du es mir“, sagten meine Augen lautlos. „Wiederhole ihre Worte“, sagte mein Kopf verzweifelt.

„Du musst doch mindestens eine Ahnung haben, was es sein könnte.“, sagte er. Ich musste endlich etwas sagen. Auch wenn ich nicht wusste, was.

„Ich habe einfach... Mir macht nichts mehr wirklich Spaß...“, versuchte ich es zu umschreiben. „Ohne zu wissen, dass du mich liebst“, fügte ich in Gedanken hinzu.

„Ja, aber warum? Was fehlt dir? Freizeit? Beschäftigung? Was?“, wollte er wissen.

„Du...“ Es war schon beinahe meine Antwort auf seine Frage. „...tappst genauso im Dunkeln wie ich selbst. Ich weiß nicht, woher es kommt, nicht, wann es angefangen hat. Ich weiß gar nichts.“

„Dann solltest du versuchen, nicht darüber nachzudenken.“ Seine Antwort überraschte mich. Es war, als kannte er das Gefühl, den Auslöser für die eigene Stimmung nicht zu kennen. „Versuch einfach, Spaß zu haben. Unternimm häufiger etwas. Such dir vielleicht sogar ein neues Hobby.“

„Hast du in nächster Zeit denn Zeit für mich?“ Wie oft wollte ich ihm diese Frage alleine heute schon stellen. Er schien nachzudenken, in Gedanken seinen Terminkalender durchzugehen.

„Ich kann dir nichts versprechen, aber ich denke schon, dass ich mir öfters Zeit für dich nehmen kann. Mein Soloalbum liegt gut im Zeitplan, die Tour ist erst im Herbst geplant. Es sieht gut aus in den nächsten Wochen.“ Er konnte gar nicht ahnen, wie glücklich er mich damit machte.
 

Der Laptop stand unverändert auf dem Wohnzimmertisch. Falls in der Zwischenzeit jemand hier gewesen sein sollte, dann hatte ihn das Gerät mit dem ausgesteckten Kabel auf dem Boden wohl nicht gestört. Meine Hoffnung war, dass, wenn jemand hier gewesen war, dass zumindest jetzt niemand mehr hier war.

Hyde zog seine Schuhe aus und stellte sie an den gewohnten Platz. Ich stellte meine neben seine und konnte meinen Blick zuerst nicht wieder von diesem Bild lösen. Es war, als wohnten wir zusammen. Es war eine Traumvorstellung.

„Ich wollte dir noch etwas zeigen.“, begann Hyde mit einem Mal und bewegte mich dazu, meine Augen von dem Anblick unserer Schuhpaare loszureißen. Ich folgte seiner Stimme ins Wohnzimmer.

Der Laptop stand verändert da; Hyde hatte ihn aufgeklappt und schien gerade dabei zu sein, das Passwort einzugeben. Mit einem von Hyde ungesehenen missbilligenden Blick zur Decke, an der eine Lampe hing, die Hyde, weil es bereits dunkel war, bedenkenlos angeschaltet hatte, weshalb sie nun grausam künstliches Licht verstrahlte, trat ich an den Tisch heran, wusste daraufhin nicht mehr, was ich tun sollte, und setzte mich schließlich neben Hyde auf die Ledercouch. Die Frage nach seinem Passwort brannte mir auf der Zunge.

„Was willst du mir denn zeigen?“, fragte ich stattdessen.

„Das siehst du gleich.“, strahlte Hyde vor Vorfreude. Bei diesem Lächeln waren die Gedanken an sein Passwort und die Erinnerung an die Situation von vor wenigen Stunden und das damit verbundene Gefühl, dass er mir etwas verheimlichte, verschwunden.

Mein Blick verharrte auf diesem lächelnden Gesicht, nicht gewillt, davon abzuweichen, doch in ständiger Angst, bemerkt zu werden.

Hyde sah zur Seite, in mein Gesicht, seine Augen leuchteten noch immer.

„Schau. Das hier.“, erklärte er, doch es dauerte eine Weile, bis es mir gelang, den Blickkontakt zu brechen und auf den Bildschirm zu schauen, denn Hyde ließ nicht davon ab, mich mit diesen strahlenden Augen anzusehen.

Gezwungenermaßen war mein Blick nun auf eine Internetseite gerichtet. Ihr Hintergrund zeigte ein Bild: Hyde und mich - wie wir uns küssten.

Ich spürte Hydes aufmerksamen Blick auf mir. Wie sollte ich reagieren? Ich kannte dieses Bild bereits. Wenn er wüsste, wie viele solcher Bilder ich bereits gesehen hatte...

„Das... Sind das wir?“, fragte ich, als wäre ich sehr überrascht und zugleich verwirrt.

„Ich fürchte schon... Es steht immerhin groß und breit dabei.“, meinte Hyde.

„Das ist ja...“, begann ich, ohne im Sinn zu haben, den Satz zu Ende zu führen.

„Unglaublich, nicht?“, fragte Hyde, auch eher rhetorisch, und fügte kopfschüttelnd, eher fassungslos, hinzu: „Eine Fanseite für dich und mich... Ich wusste ja, dass es so etwas zuhauf gibt - auch wenn ich mich noch immer frage, warum, weil unsere Musik doch sehr unterschiedlich ist , aber mit diesem Bild. - Ich habe ja schon gelesen, was Fans so alles machen, aber... das fand ich echt... unglaublich... Es sieht so... echt aus...“

„Vielleicht ist es das.“ Ich wusste nicht, warum ich das gesagt hatte. Es kam einfach so über meine Lippen, musste irgendeinem meiner vielen wirren Gedanken entsprungen sein.

Hyde blickte mich irritiert fragend an. Er blinzelte einige Male.

„Vielleicht können wir uns nur nicht mehr daran erinnern...“, versuchte ich, meinen Kommentar in einen Scherz zu verwandeln.

„Ja, klar. So was würde man ja auch sehr leicht vergessen...“, entgegnete er ironisch.

~Nein, das wäre unvergesslich...~, gab ich ihm in Gedanken Recht.

~Nein, das wäre unvergesslich...~, schweifte ich kurz ab, bevor ich mir der Anwesenheit der Person, die ich in meiner Vorstellung gerade hatte küssen wollen, wieder bewusst wurde.

Ich warf Gackt einen schnellen Blick zu und klickte dann schnell die Internetseite weg. Er schien von dieser Fanidee und vor allem von diesem Bild nicht sehr begeistert zu sein. Fand er die reine Vorstellung bereits unschön? Gefiel es ihm nicht, dass Bilder solcher Art im Internet kursierten? War er auf noch keine derartigen Bilder gestoßen? Er schien so überrascht. Doch was sollte seine Bemerkung? „Vielleicht ist es das“ - was wollte er damit andeuten?

„Hast du heute eigentlich noch länger Zeit für mich?“, wagte ich zu fragen. Ich wollte nicht gehen.

„Den ganzen Tag.“, meinte er nahezu stolz. „Sie und Jo-chan kommen erst morgen Mittag wieder. Ich kann tun und lassen, was ich will.“

„Woran hindern sie dich denn?“, wollte ich von ihm wissen, aus einem Reflex heraus. Er schwieg.

„Hättest du dann Lust, noch einen Film anzuschauen?“, fragte er, als hätte es diese Stille nie gegeben. Dafür war ich ihm unendlich dankbar.

„Warum nicht?“, entgegnete ich erleichtert.

„Wie wäre es mit ‚Kagen no Tsuki’?“, war seine nächste Frage.

„Wie bitte?“ Er glaubte wirklich nicht, dass dies ein ernst gemeinter Vorschlag war.

„Warum nicht?“, meinte ich nur, ihn bewusst wiederholend.

„Vielleicht weil ich da mitspiele?“, war seine ungläubige Gegenfrage.

„Na und?“, gab ich zurück.

„Ist es nicht ein bisschen eigenartig, sich einen Film anzusehen, in dem man selbst mitspielt?“

„Ach, was.“, widerlegte ich diese These. „Zum Beweis schauen wir jetzt ‚Moon Child’ an. Da habe ich nicht nur mitgespielt, sondern gleich das ganze Drehbuch geschrieben. Für mich müsste es dann ja jetzt noch viel eigenartiger sein als für dich, das anzuschauen. Außerdem würde ich ‚Moon Child’ echt gerne wieder einmal sehen. Wie lange ist es jetzt her? Neun Jahre? Ich glaube, ich weiß schon gar nicht mehr, worum es in dem Film überhaupt geht...“ Er grinste.

„Na gut. Schauen wir ihn eben an.“, gab er letztendlich nach. „Ist bestimmt witzig, ihn wieder zu sehen. Unser erster Film...“ Wie er das sagte... Unser erster Film...

Wir bereuten es nicht. Während wir den Film schauten, fiel uns zu fast jeder Szene etwas Witziges ein, das hinter den Kulissen passiert war. Wir lachten fast den ganzen Film hindurch. Nur bei der Schlussszene konnten wir das nicht.

Wir waren vollkommen still, bis der Abspann begann. „Eine Frage...“, sagte Hyde plötzlich. „Warum wird mein Name eigentlich als erster im Abspann genannt?“ Mit dieser Frage hatte ich nicht mehr gerechnet, jetzt, da der Film bereits so viele Jahre alt war. „Das wollte ich eigentlich schon bei der Premiere fragen.“, fügte er hinzu, als hätte er meine Gedanken gehört.

„Na, weil du der Hauptdarsteller bist.“, antwortete ich schlicht.

„Ja, aber du doch auch. Und du warst ja wohl eher die Hauptfigur. Es ging ja hauptsächlich um Shous Leben. Ich war nur Teil davon.“, verdeutlichte er seine Ansicht.

„Du hast in meinen Augen die wichtigste Rolle gespielt.“, meinte ich lediglich. Diesen Satz hätte ich auch genauso gut im Präsens ausdrücken können. Es wäre eine ebenso wahre Aussage gewesen.

„Aber du bist zudem noch der Drehbuchautor. Es ist dein Film.“, beharrte er.

„Es ist unser Film.“, berichtigte ich ihn und mit einem Mal blickte mich Hyde mit großen Augen an, als würde ihn diese Aussage überraschen, dabei hatte ich dies schon öfter verlauten lassen. Doch weshalb reagierte er auf diesen Satz dann derart? „Was ist?“, wollte ich verwirrt wissen. Er starrte noch einen Moment nichts sehend vor sich ins Leere, dann sah er wieder mich an.

„Nichts. Wollen wir auch gleich noch das Making-of anschauen?“, wich er meiner Frage aus.

Ich überlegte einen Moment, ob ich nicht weiter nachhaken sollte, doch dann beschloss ich, dass es besser war, dies nicht zu tun. „Warum nicht?“

Das Making-of brachte uns wieder kräftig zum Lachen. Es kam mir vor, als hätte ich seit einer Ewigkeit nicht mehr so herzhaft gelacht.

Als auch das Making-of zu Ende und unser Lachen verklungen war, bemerkte ich meine Müdigkeit. In letzter Zeit war ich sehr häufig müde. Das war sehr ungewöhnlich für mich. Normal dagegen war, dass ich, wenn ich mich dann ins Bett legte, trotzdem nicht schlafen konnte.

„Es ist schon verdammt spät, ich denke, ich sollte gehen. Ich schlafe nämlich gleich ein.“

„Und dann willst du noch fahren?“, kam es ebenfalls schläfrig zurück.

„Wenn ich ein Taxi nehme, steht mein Wagen hier.“, erklärte ich nüchtern.

„Willst du... vielleicht... hier übernachten?“ Es war eine zögerliche Frage.

„Hm. Warum eigentlich nicht. Vielleicht wäre das besser.“, sagte ich, meine Glücksgefühle überspielend. Wie hätte es ausgesehen, wenn ich mich darüber wahnsinnig gefreut hätte?

„Das glaube ich auch, wenn ich dich so ansehe...“ Mein Blick wanderte zurück zu seinem Gesicht, das nun frech grinste.

„So schlimm kann es noch gar nicht sein.“, meinte ich schlichtweg.

„Das Gästezimmerbett kannst du leider momentan nicht benutzen; Jo-chan hat den Lattenrost zerbrochen, als er mit ein paar Freunden darauf herumgehüpft ist, und wir haben noch keinen neuen kommen lassen, aber du kannst in meinem Bett schlafen; ich schlafe dann auf der Couch im Wohnzimmer.“, schlug er vor.

„Nein. Das brauchst du nicht. Ich kann auf der Couch schlafen. Überhaupt kein Problem.“

„Ach was. Das kann ich doch nicht tun - den Gast auf die unbequeme Couch verbannen.“

„Es ist wirklich in Ordnung. Es macht mir wirklich nichts aus.“

„Sicher?“ Ich nickte zur Bestätigung. „Aber dann... schlafe ich mindestens auch im Wohnzimmer. Ich kann das nicht, in einem Bett schlafen, während der Gast auf dem Sofa schläft.“

„Bitte. Keine Einwände. Es ist ja genügend Platz hier.“, meinte ich mit einer vagen Bewegung in Richtung Couchgarnitur. Es gab zwei sich gegenüberstehende Ledersofas, zwischen ihnen der gläserne Wohnzimmertisch, und einen großen Sessel, in dem ich zu sitzen pflegte.

„Also, dann machen wir das so.“, sagte er abschließend. Es wirkte ein wenig, als würde er die Richtigkeit seiner Entscheidung bereits anzweifeln. Mein Blick senkte sich unmerklich.

Ich hörte, wie sich Hyde von der Couch erhob und sah auf. Er wandte sich zum Gehen.

„Ich werde dann mal Bettzeug und so holen.“, meinte er kurz, bevor er den Raum verließ.

Normalerweise hätte ich jetzt eingeworfen: „Ich helfe dir.“, und wäre ihm hinterhergelaufen. Doch das konnte ich gerade nicht. Es lag an dieser seltsamen Stimmung. Diese Stimmung, die jedes Mal aufkam, wenn ich in Hydes Verhalten, seinen Aussagen oder seiner Mimik zu erkennen glaubte, dass er mich niemals so sehen würde, wie ich ihn.

Das Geräusch von Schritten ließ mich aufmerksam werden. Hyde war mit zwei großen Kissen und zwei Steppdecken zurückgekehrt, die er auf das Sofa, auf dem - wie es den Anschein hatte - er schlafen würde, ablegte. Dann warf er mir ein Kissen zu und brachte eine der Decken zu mir.

„Ich nehme an, du willst dir vor dem Schlafengehen noch die Zähne putzen. Wir dürften eine neue Zahnbürste für dich im Haus haben.“, ließ er mich wissen, als er die für mich bestimmte Decke in meine Arme legte, und bemerkte nicht, wie ich zurückzuckte, als ich den Stich spürte.

~„Wir“... „im Haus“... In ihrem gemeinsamen Haus...~

Erneut ging er aus dem Raum, dieses Mal in das Badezimmer, und ließ mich allein mit meiner trüben Stimmung. Ich überlegte, ob es nicht vielleicht doch besser wäre, nach Hause zu gehen. Jetzt, da ich mich ohnehin wieder wach fühlte. Ich hatte hier noch nie zuvor übernachtet und ich hatte es auch eigentlich niemals vorgehabt. Schließlich fühlte ich mich hier nicht sonderlich wohl und die Wahrscheinlichkeit, Megumi am nächsten Morgen anzutreffen, war unerträglich hoch. Die Möglichkeiten, dass sich Bilder in meinem Kopf einbrannten, die ich nie wieder loswerden würde, unbegrenzt. Doch ich konnte nicht mehr gehen. Ich konnte es nicht.

„Ich habe eine gefunden!“, verkündete eine heitere Stimme aus dem Badezimmer. Eine Engelsstimme, die manchmal ebenso die des Teufels sein konnte, rief mich zu sich. Als ich in das aufgeräumte, aber - im Gegensatz zu meinem eigenen - bewohnt wirkenden Badezimmer trat, hielt Hyde mir eine noch verpackte Zahnbürste entgegen. Ich nahm sie an mich und packte sie aus, während er nach seiner eigenen griff, die er aus einer Halterung nahm, in der sich noch eine zweite, andersfarbige befand.

Ich versuchte, diese Gedanken beiseite zu schieben. Ich musste es ignorieren. Ich sollte es akzeptieren.

„Hier.“ Ich blickte auf und sah Hydes Hand mir die Zahncreme reichen. Wortlos nahm ich sie an.

Nach einer Weile des schweigsamen Putzens, tat er seine Bürste wieder in die Halterung zurück und schien etwas zu überlegen. Ich spülte meine Zahnbürste ebenfalls ab, wusste daraufhin jedoch nicht, wohin ich diese tun sollte. „Ach, stell sie einfach zu den anderen. Sie haben ja alle verschiedene Farben.“ Fast hätte sich ein Lächeln auf meinen Lippen gezeigt.
 

„Soll ich dir eigentlich einen Schlafanzug von mir ausleihen?“, fiel mir plötzlich ein.

Wir waren aus dem Badezimmer wieder ins Wohnzimmer gegangen. Es war ein eigenartiges Gefühl, wenn Gackt auf meine Hilfe angewiesen war.

„Du weißt doch, dass ich nackt schlafe.“, meinte Gackt nur und begann, sich die Hose aufzuknöpfen.

Mein Blick wie auch mein Körper erstarrte. „Aber... Aber du... Du kannst doch nicht nackt schlafen, wenn ich im selben Raum schlafe.“ Meine Vernunft sagte mir, dass er das verstehen musste.

„Doch, natürlich. Warum nicht?“ Gackt schien eine andere Vernunft zu besitzen. Oder keine.

„Aber was, wenn meine Frau zurückkommt und du liegst nackt auf dem Sofa?“, argumentierte ich.

„Du hast doch gesagt, sie würde erst mittags wiederkommen.“, zerschmetterte er mein Argument.

Ich öffnete den Mund, aber ich fand keinen Grund mehr. Keinen, außer den eigentlichen, den ich jedoch nicht aussprechen konnte. ~Das kann er mir nicht antun...~ Er konnte.

Er zog sein Oberteil aus und legte es, wie die Hose zuvor, über die Sessellehne.

Hastig, um nicht unendlich nervös und zugleich ein offenes Buch zu werden, wandte ich mich um und verkündete im Gehen: „Also ich ziehe mir jetzt einen Schlafanzug an. Mach du, was du willst.“

Ich sah ihm nach. Empfand er es als Unverschämtheit, wenn ich im selben Raum wie er nackt schliefe? Wollte er mich einfach nicht nackt sehen? War es ihm schlichtweg unangenehm?

~Warum musste er wieder seine Frau erwähnen...?~

Es war meine Absicht gewesen, mithilfe seiner Reaktion auf etwas wie einen Hinweis zu stoßen. Doch ich hatte nicht bedacht, dass Nervosität - die ich mir eigentlich erhofft hatte - kein eindeutiges Zeichen war. Es konnte die Art von Nervosität sein, die ich mir wünschte, jedoch auch die, die entsteht, wenn etwas geschieht, das man nicht will oder nicht gewohnt ist. Nun wusste ich nicht, welche es war. Doch mein Pessimismus hatte eine Tendenz.
 

Nachdem ich ein paar Minuten herumgerätselt hatte, was ich zum Schlafen anziehen sollte, kam ich mit einem simplen weißen Unterhemd und einer langen, weiten weißen Stoffhose zurück ins Wohnzimmer. Ich hatte versucht, mich mental darauf vorzubereiten, was mich dort erwartete, doch das war unmöglich.

Zum Glück hatte sich Gackt immerhin die Decke über die Beine bis nicht weit unter den Bauchnabel gelegt. Doch sein Oberkörper reichte aus, dass ich mir nicht mehr sicher sein konnte, ob meine Gesichtsfarbe nicht ein wenig rötlicher als gewöhnlich war.

Vorsorglich ging ich sogleich zum Lichtschalter, um Gackt in Finsternis zu hüllen und vor meinen Augen zu verbergen, doch der Mond wollte sich heute Nacht von seiner strahlendsten Seite zeigen. „Brauchst du noch etwas?“, fragte ich in die Fastdunkelheit hinein. „Wasser steht noch am Tisch und sonst... fällt mir nichts ein, was man in der Nacht noch so gebrauchen könnte.“

~Außer die Person, die man liebt, ganz nahe an seiner Seite...~

„Ich finde schon, was ich brauche.“, meinte er nur und ich hörte, wie er es sich gemütlich machte.

~Brauchst du mich dann nicht oder getraust du dich nicht, mich zu suchen?~

„Gute Nacht.“, wünschte ich ihm, nachdem ich ihm zugesehen hatte, wie er sich zu seinem Schlafplatz begeben und es sich bequem gemacht hatte. In diesem ärmellosen Shirt, das, wie auch seine Hose, im Mondlicht wunderschön leuchtete und zudem einen großen Teil seines Tattoos preisgab, das der Mond für einen traumhaften Augenblick sichtbar machte, sah er einfach engelsgleich aus.

„Gute Nacht.“, sprach der Engel und drehte sich zur Seite, den Rücken mir zu. Ich dankte dem Mond für seine Großzügigkeit in dieser Nacht und betrachtete Hydes unvergleichlichen Rücken, dessen Flügel ich so unsagbar gerne einmal berühren würde.

Ein trauriges Lächeln malte sich auf meine Lippen.

Es hätten Stunden gewesen sein können, bis Hyde sich wieder auf die andere Seite drehte, es hätte mir nicht genügt. Schnell hatte ich die Augen geschlossen, als er sich zu bewegen begonnen hatte.

Denn ich war mir nicht sicher, wie gut er mich im hellen Mondschein sehen konnte.

Ich lauschte seinen Bewegungen. Es war wieder still. Doch ich fürchtete, dass er noch nicht schlief; deshalb tat ich so, als würde ich es, ohne zu wissen, ob dies nötig war. Doch ich nutzte die Stille und meine geschlossenen Augen, um das eben so lange und doch zu kurz betrachtete Bild in mein Gedächtnis zu meißeln, dass ich es zumindest in Gedanken immer wieder würde betrachten können.

Ich hatte es mir wohl nur eingebildet, dass er mich ansah. Er hatte die Augen geschlossen; vielleicht schlief er sogar schon. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich mich anders herum auf die Couch gelegt hatte, mit dem Kopf in die entgegengesetzte Richtung wie Gackt. Ich hoffte daher, dass ich nicht so hell erleuchtet war, wie er es war. Ich fürchtete mich vor solchen Fragen wie: „Was schaust du mich so an?“ oder „Ist irgendwas?“ Darauf wüsste ich keine Antwort zu geben. Auch wenn ich sie wüsste.

Ich seufzte. „Schläfst du auch immer noch nicht?“, erschreckte mich Gackts Stimme. Fast noch mehr war ich jedoch erschrocken, als er seine Augen fast zur gleichen Zeit aufgeschlagen hatte.

Ohne zu zögern wandte ich den Blick von Gackt ab. „Iie... Heute ist Vollmond; ich glaube, da geht es vielen Menschen so, dass sie nicht schlafen können.“, nahm ich als Ausrede.

„Sou ne...“, stimmte er mir leise, beinahe nachdenklich klingend, zu. Dann schwiegen wir wieder.

„Glaubst du eigentlich an Gott?“ Diese leise Frage durchbrach die Stille. Ich zuckte beinahe erneut zusammen. Weder hatte ich damit gerechnet, dass er nach so langem Schweigen noch einmal etwas sagen, noch damit, dass es eine solche Frage sein würde.

„Ich... weiß es nicht.“, gab ich ihm zur Antwort. Es war die Wahrheit. „Ich wusste es einmal - oder glaubte, es zu wissen. Doch inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher.“

„Und woran liegt das?“, war seine nächste Frage. „Was macht dich so unsicher?“

„Ich weiß es nicht.“, konnte ich nur wieder antworten.

„Bist du denn nicht zufrieden mit deinem Leben?“, stellte er eine noch kompliziertere Frage.

„Wer ist schon zufrieden?“, fragte ich lediglich zurück. Ich hoffte, er beließ es dabei.

„Womit bist du unzufrieden?“ Es war immer wieder sinnlos, dies zu hoffen.

„Ich...“ Ich seufzte. „Ich weiß es nicht, Ga-chan. Will man nicht immer mehr als man hat, egal wie viel man bereits hat? So sind die Menschen nun mal, oder nicht?“

„Was hättest du denn gerne?“ Ich schloss meine Augen. Wie konnte er mich nur so vieles fragen, was ich ihm nicht beantworten durfte? Was wollte er von mir hören? Was sollte ich jetzt sagen?

„Ich habe keine Ahnung, Ga-chan.“, sagte ich niedergeschlagen. Es war meine größte Lüge, die größte, an die ich mich erinnern kann, die größte, die je meine Lippen verlassen hatte. Ich wusste so genau, was ich wollte, dass es wehtat, auch nur darüber nachzudenken. Es zu leugnen jedoch, waren unbegreifliche Schmerzen.

僕達の子 - Bokutachi no ko - Our Child

Meine Augen öffneten sich. Die Sonne war noch nicht sehr weit aufgestiegen. Es war noch früher Morgen. Doch ich nahm nach und nach mehr in dem trüben Licht wahr, das den Raum sanft erhellte, der mir im ersten Moment unbekannt vorkam. Als ich einen Arm, nur wenige Meter von mir entfernt, bewegungslos von einem Sofa herunterhängen sah, wusste ich sofort, wo ich war, weshalb, was passiert war und - was nicht.

Ich warf einen Blick auf meine Kleider, die über der Sofalehne hingen. ~Vielleicht sollte ich mich besser anziehen, bevor er aufwacht... Es ist ihm doch so peinlich...~ Leise erhob ich mich und tat Hyde diesen - wie ich annahm - „Gefallen“.

Als ich beinahe fertig angezogen war, begann Hyde sich zu räkeln, doch seine Augen blieben geschlossen. Sein Gesicht war nun mir zugewandt, sodass sich mir der friedliche Anblick eines schlafenden Engels bot. Ich hielt inne. Dieses Bild hatte mich in seinen Bann gezogen.

Plötzlich flatterten seine Augenlider. Und öffneten sich langsam. Ein Paar unschuldig brauner Augen blickte in meine Richtung.

„Guten Morgen.“, sagte ich, nachdem ich ihm eine Sekunde oder zwei Zeit gelassen hatte, richtig wach zu werden. Er schien sich dennoch zu erschrecken, als hätte er zuvor geglaubt, ich wäre nichts weiter als ein Traumbild gewesen, nicht wirklich hier, sondern nur eine Erscheinung.

Er schien einen Augenblick angestrengt nachzudenken, und dann erkannte man die Erkenntnis in seinem Blick: Er hatte sich erinnert, dass ich hier übernachtet hatte. „Guten Morgen...“, gab er schwach zurück, bevor er sich über das verschlafene Gesicht und durch die wirren Haare fuhr.

„Und? Konntest du doch noch gut schlafen?“, fragte ich ihn und griff nach meinem Hemd, das ich noch immer nicht angezogen hatte.

Er setzte sich auf, fuhr sich erneut durch die Haare, dieses Mal jedoch scheinbar mit der Absicht, sie wieder einigermaßen in Ordnung zu bringen. „Ich denke schon.“, antwortete er, in meine Richtung blickend, die er daraufhin sofort wieder änderte, als hielte er es für unverschämt, zu mir zu blicken, während ich mich anzog. Mit einem Mal sprang er regelrecht vom Sofa auf und schien zu sprechen zu beginnen, bevor er wusste, was er sagen wollte: „Ich... werde dann jetzt mal duschen gehen. - Oder willst du zuerst ins Bad? Ich kann auch noch warten!“, fügte er sofort hinzu, als hätte er etwas Rücksichtsloses gesagt.

„Nein, nein, geh du nur.“, meinte ich, ließ mich zurück auf meinen Schlafplatz fallen und schloss müde die Augen. Es vergingen ein paar Sekunden, bis ich hörte, wie sich Hydes Schritte entfernten. War er diese paar Augenblicke stehen geblieben und hatte mich beobachtet? Als ich die Augen aufschlug, sah ich ihn gerade noch im Bad verschwinden.

Ich seufzte. Ich wusste nicht genau, weshalb, aber ich hatte das Gefühl, ich hatte etwas verpasst.

Mein Blick wanderte unbestimmt zu dem Sofa, auf dem Hyde geschlafen hatte. Die Decke lag unordentlich da. Ein Gedanke formte sich in meinem Kopf und mein Körper bewegte sich wie von selbst zu dieser Decke. Ich beugte mich hinunter und sog den Duft, den ich gehofft hatte, dort zu finden, genüsslich ein. Das löste ein unbeschreiblich schönes Gefühl in mir aus.

Ich atmete erneut tief ein, gieriger. Ich wollte diesen Geruch nicht mehr entbehren, ihn nicht wieder hergeben, nie wieder missen müssen; ich wollte ihn permanent riechen. Am liebsten hätte ich nur ein und nicht wieder ausgeatmet. Ich wollte seinen Geruch in mich aufnehmen, ihn dort festhalten und nie wieder freigeben.

Ebenso wie ich von fremder Kraft geleitet zu dieser Stelle geführt worden war, war ich nun gezwungen, mich auf den noch warmen Schlafplatz zu legen. Genießerisch schloss ich die Augen und badete in seiner Wärme und seinem Geruch.

„Schläfst du etwa schon wieder?“, fragte eine Stimme ganz in meiner Nähe.

Ich öffnete erschrocken die Augen und richtete mich unweigerlich halb auf.

„Warum liegst du jetzt eigentlich auf meinem Platz?“, fiel ihm dann das Unvermeidliche auf.

„Shirimasen.“, meinte ich ahnungslos klingend und blickte mich verwirrt um. Ich versuchte einfach mal, den Unwissenden zu spielen. Vielleicht würde es mir ja gelingen, mich so aus dieser Situation zu retten.

„Bist du Schlafwandler?“, fragte Hyde amüsiert. Sein Lächeln ließ meine Befürchtungen verblassen.

„Vielleicht.“, antwortete ich unbestimmt, ebenfalls mit einem Lächeln im Gesicht.

„Na, egal. Wollen wir frühstücken?“, schlug Hyde vor und machte sich auch schon auf den Weg in die Küche. Er schien ungewöhnlich gute Laune zu haben, vor allem für diese Uhrzeit.

„Was möchtest du essen? Was willst du trinken?“ Ich konnte mich nicht sattsehen an diesem lächelnden Gesicht, dass von noch leicht nassen Haarsträhnen umrahmt wurde.

„Kaffee. Hunger habe ich noch keinen.“, antwortete ich ihm, ihm in die Küche folgend.

„Ach, komm. Irgendetwas kannst du doch bestimmt essen.“, meinte er zuversichtlich. „Es ist noch Suppe übrig, die wir uns aufwärmen könnten. Na? Wie wäre es damit?“

„Na gut.“ Ich konnte es ihm nicht abschlagen. Ich wollte, dass seine Stimmung ewig hielt.
 

Ich warf einen Blick auf die Uhr. Ich wollte nicht mehr hier sein, wenn andere Bewohner des Hauses zurückkamen. „Ich werde mich dann mal auf den Weg machen.“, sagte ich zu Hyde, der auch schon seit einer ganzen Weile mit Essen fertig war und nur noch ab und zu an seinem Glas Wasser nippte.

„In Ordnung.“ Sein Blick war mir gefolgt.

Wir standen beide vom Tisch auf und gingen langsam in Richtung Haustüre.

„Lust, was zu machen? Übermorgen, oder so?“ Ich ertrug den Gedanken nicht, nicht zu wissen, wann ich ihn wiedersehen würde. Ich hoffte, dass es bald sein würde. Ich betete zu Gott.

„Ich kann nicht, ich habe Jo-chan schon etwas versprochen.“ Seine Stimme und sein Blick zeigten mir, dass es ihm leid tat. Doch trotzdem konnte ich meine Enttäuschung nur schwer verbergen.

„Ah... Sou da.“ Es tat weh.

„Vielleicht... Freitag?“, schlug Hyde versöhnlich vor.

„Klar, dann Freitag.“, entgegnete ich wieder fröhlicher. Mein Lächeln sollte jedoch nicht lange halten. Als Hydes Stirn sich in leicht angestrengte Falten legte, verspürte ich bereits eine ungute Vorahnung.

„Oh, warte. Doch nicht.“, zog er seinen Vorschlag zurück. „Freitag ist schlecht.“

Ich versuchte, ruhig zu bleiben. Es war nicht einfach. Es tat einfach weh.

„Freitag ist ganz schlecht.“, fügte er hinzu, als könnte das die Zurücknahme rechtfertigen. „Lass mich überlegen...“ ~Bevor du wieder etwas Falsches sagst... um meine Hoffnung wieder zu zerstören...~, fügte ich in Gedanken hinzu. „Wie wäre es mit... Montag?“ Ein weiterer Stich. So viele Tage lagen zwischen Jetzt und diesem Tag. Was sollte ich in der Zwischenzeit tun? Wofür sollte ich es?

„Vielleicht ergibt sich ja vorher noch etwas. Du musst ja nicht gleich den halben Tag Zeit für mich haben. Ein, zwei Stunden reichen auch.“, ließ ich ihn wissen, in der Hoffnung, es würde ihn dazu bewegen, sein Angebot zu ändern.

„Dann finde ich bestimmt zwischendurch noch etwas Zeit.“ War es ein Versprechen oder nur ein Tröstungsversuch? „Ich melde mich dann kurzfristig bei dir.“ Ich konnte es nicht sagen.

„In Ordnung.“ Er konnte nichts dafür. „Also dann, tschüß...“ Doch es tat nichtsdestotrotz weh.

„Ja. Tschüß...“ Er zögerte, doch dann umarmte er mich flüchtig. Ich schloss meine Augen.

Auch wenn es nur ein kurzer Moment war, hatte er eine lange schöne Nachwirkung.

„Lass den Kopf nicht hängen.“ War es ein Ratschlag oder eine Bitte?

„Ich werde es versuchen.“, sagte ich mit einem schwachen Lächeln und schritt davon. Es war eine Lüge. Ich wusste viel zu gut, dass es sinnlos war.
 

Ich sah ihm nach. Er nahm seine Autoschlüssel aus der Hosentasche und schloss seinen Wagen auf. Er öffnete die Autotür, doch bevor er einstieg, sah er zu mir zurück, legte zwei Finger auf seinen Nasenrücken, ließ sie diesen hinunterstreifen und warf sie in meine Richtung. ~Unser Abschiedsgruß...~ Ich lächelte und tat es ihm nach, verabschiedete mich von ihm auf unsere Art und Weise. Eigentlich war es ja seine Erfindung, doch alles, was mit ‚Moon Child’ zusammenhängt, betrachten wir stets als unser Eigentum. Er tat es, so vermutete ich, aus Bescheidenheit; ich tat es, weil mir die Vorstellung gefiel, dass etwas uns beiden gehörte.

Dieser Gedanke erinnerte mich wieder an die Situation am Abend zuvor, als Gackt „Es ist unser Film“ gesagt hatte. Mit diesen Worten wurde eine fast vergessene Erinnerung wach.

Ich ging zurück ins Haus, schloss die Türe hinter mir, lief zielstrebig in mein Arbeitszimmer zum Regal, griff einen Ordner heraus, legte ihn auf meinen Schreibtisch, schlug ihn ganz hinten auf und entnahm einer Klarsichtfolie ein paar Blätter. Das oberste, das man durch die Folie hatte sehen können, war der erste Entwurf für „The Fourth Avenue Café“. Er war die Tarnung, das Deckblatt, das die Papiere darunter verdecken sollte. Seiten, die niemand finden sollte, die niemand sehen sollte.

Es waren zwei. Zwei Seiten mit zwei verschiedenen Texten. Nach einem davon suchte ich gerade. Es war der ältere. Er war neun Jahre alt.
 

Our Child

Everything began with our child

It meant work, it was fun

It cost us a lot of time

And gave us much to spend together

And even more

We were close to each other

for such a long lapse of time

for it was our child

We raised it, made it beautiful and kind

But one day, I feared to admit

that I loved you
 

That day was the same day

that I said I was sorry

for not being able to come

to sing with you

together on stage

I was so afraid

anyone could see

how much I felt

while singing our song

for our child

It would have been so obvious

Everyone would have seen the sparkling

in my eyes

The tears falling off of them

The pain in my face

for we had to say goodbye

to our child
 

We knew we could see it

anytime we wanted to

But never again

together

Never together again

We would never again be occupied

by looking after, watching over, taking care of

our child

We could only watch it

Maybe

Maybe at the same time

Maybe even together

But in another country

Not where we raised it

We could merely watch it

from far away

For I will never go back

to that place where we raised it

It’s too hard to endure

the pain I would feel

when seeing the streets again

we walked so many times

together

doing anything to make our child

decent and respectable

We wanted it to be successful

for we were not

in being parents

or rather I was not

for you did anything

for our child

for you are its mother

for you gave birth to it

Actually

You should be its only parent

for I did almost nothing

for our child

It’s cruel not to be sure

if I changed anything about that

if I could turn back time
 

I am listening

to our song

It reminds me of the closeness

there once was

It reminds me of the confusion

there once was

when I did not yet understand

what I felt for you

Now I feel sorry

for not having been honest

with you

Even now I am not successful

in being honest with you

and me
 

I hope our child

won’t be forgotten

I hope we will watch it

one day

together

Still I fear to admit

that I love you
 

I am looking to the moon above us

And think about you

think about us

think about

our child

Our Moon Child
 

Die letzten beiden Worte konnte ich nicht mehr lesen; meine Sicht war verklärt. Doch ich kannte sie, kannte sie nur zu gut. Meine Hände zitterten. Ich spürte etwas Warmes meine Wange hinabfließen.

~Wir haben es gesehen... zusammen...~ Ein Lächeln zeichnete sich langsam auf meinen Lippen ab. ~Mehr können wir nicht mehr tun...~ Ein Schluchzen entwich meiner Kehle.

~Wie gerne würde ich die Zeit noch einmal zurückdrehen wollen... Wie sehr wünschte ich mir, diese kurzen Wochen noch einmal erleben zu dürfen... Wie viel würde ich dafür geben, den gemeinsamen Abschied unseren „Kindes“ nachzuholen... mit dir zusammen... Ein Duett... nur für unser „Kind“... Würdest du mir diesen Wunsch erfüllen? Würdest du das, Ga-chan?~

Das Blatt Papier fiel aus meinen bebenden Fingern auf den Tisch, meine Hände folgten, stützten sich auf dem kalten Holz ab, bevor sie von warmen Tropfen getröstet wurden. Sie spürten den Trost jedoch nicht. Sie nahmen die Berührung gar nicht wahr. Es gab nichts, das mir in diesem Moment Trost hätte schenken können. Nichts.
 

Nichts.

Er begann zu singen.

I didn’t know how much

My own life could depend on another

I was sure I would live just for me

and would not even bother
 

If I fell out of love

There was still me and myself, I thought

So I could do without anybody else

I thought that was the life I had sought
 

But then there came a time

when I didn’t know what to do

for I had forgotten if it was me

or you I was leading my life for
 

I realized that I would do

more than many things for your sake

rather than for mine

That was when I learned the difference

between real love and fake
 

I never was tormented so frequently

by thoughts of sudden change

I never thought that much of the daily danger

that’s soaring over you - it’s strange
 

That I never felt this fear before

Although there have ever been precious people in my life

I can’t compare my feelings for you

with anything before you arrived
 

I realized that I would do

things for your rather than for my sake

That was when I learned the difference

between real love and fake
 

It’s not like being in heaven

It’s not like being in hell

It’s not my body - neither yours

In love with your mind I fell
 

So deeply I can’t describe

I need you I can’t explain why

I could never hurt you

Not even in my thoughts I could try
 

More than a lover

You are my friend

More than a friend

You are my everything
 

I realized that I would do

more than many things for your sake

That was when I learned the difference

between real love and fake
 

It’s not that I need

to kiss you all the time

It’s just that I will

miss you if you’re not by my side
 

It’s not that I need

to feel your body on mine

It’s more that I want you

to want to feel mine
 

More than a lover

You are my friend

More than a friend

You are my everything
 

I realized that I would do

anything for your sake

I finally learned the difference

between real love and fake
 

Sein Gesang verklang. Zurück blieb er, alleine, in der Dunkelheit seiner Wohnung.

運命の皮肉 - Unmei no hiniku - Irony of Fate

Einmal, es ist schon ein paar Jahre her, kam das Gespräch mit einem Moderator auf die Frage, wie häufig ich gewöhnlich weinte. Aufrichtigerweise antwortete ich, dass es durchschnittlich einmal pro Tag dazu kam. Ein Mal am Tag kam diese Stimmung über mich, und ich wusste, dass es mir besser gehen würde, verdrängte ich sie nicht, sondern ließ sie fließen. Die Tränen flossen auch nie lange; es waren nur ein paar Minuten, dann war es vorbei. Und ich fühlte mich wieder normal.

Und ich ging davon aus, das wäre normal.

Es ist das Alter, redete ich mir immer ein. Mehr nicht. Dass es etwas anderes sein könnte, kam mir nicht in den Sinn. Dass es einen tieferen Grund haben könnte, glaubte ich nicht. Dass es mir zeigen sollte, dass ich unglücklich war, begriff ich nicht. Zu sehr dachte ich, ich hätte alles, was man sich als Mann nur wünschen könnte: eine Frau, ein Kind, Freunde, Erfolg, einen Beruf, der mich erfüllte. Was wollte ich mehr?, fragte ich mich, als ich langsam ahnte, dass doch etwas nicht in Ordnung war. Ich verstand es nicht. Und so achtete ich mehr darauf, was ich manchmal nur halb bewusst dachte. Ich begann, meine Gedanken in meinem Kopf zu wiederholen. Es war, als dachte ich alles zweimal. Es war, als redete ich mir ein, dass das meine Gedanken waren. Es war, als wären es Regieanweisungen. Und ich war der Schauspieler.

Und eines Tages, es ist noch gar nicht so lange her, da bemerkte ich etwas: Ich lag in meinem Bett, alleine; Megumi war für ein Wochenende bei ihren Eltern; Joseph hatte sie bei sich. Und ich wurde mir bewusst, dass ich den ganzen Tag, obwohl ich, seit Nachmittag, den kompletten Abend alleine gewesen war und nicht wirklich etwas zu tun gehabt hatte, noch kein einziges Mal geweint hatte.

Es wäre keine großartige Entdeckung gewesen, wenn ich nicht so viele Stunden dieses Tages Zeit gehabt hätte, in diese Stimmung zu verfallen. Ich hatte nicht viel zu tun; ich tat dies und das, und doch ging es mir gut. Ich fühlte mich nicht einsam, nicht untätig, nicht mit nutzloser Zeit beschenkt. Daher fragte ich mich: Warum? Warum war es heute nicht so? Warum, wenn doch die Umstände die besten Voraussetzungen dafür boten? Ich verstand es nicht.

So lag ich die halbe Nacht wach und dachte darüber nach, was am vergangenen Tag anders gewesen war, wie an den „normalen“ Tagen. Ich suchte die Ursache in den kleinen Dingen des alltäglichen Lebens: in meinen Gedanken, in dem, was ich gegessen hatte, in winzigen Auffälligkeiten, in glücklichen Zufällen. Doch es war vergebens.

Ich wollte den Fall gerade als puren Zufall abtun, indem ich einfach annahm, dass ich mehr oder minder grundlos gute Laune gehabt und mir nichts meine positive Stimmung verdorben hatte; da öffnete ich plötzlich ruckartig meine Augen, obgleich ich sie eben erst geschlossen hatte, mit dem Gedanken, endlich zu schlafen zu versuchen, und ich wusste, dass ich diese Nacht nicht mehr viel würde schlafen können. Ich wusste, dass ich mir in diesem Moment der offenbaren Erkenntnis ein breites Gedankenfeld eröffnet hatte, und ich nicht eher ruhen würde, bis ich es vollkommen durchforstet hatte. Es wurde eine lange Nacht.
 

„Was?“ Ich sah ihn fragend an. Es dauerte einen Moment, dann blickte er in meine Augen.

„Nichts.“, antwortete er und es war mehr als eindeutig, dass er log. Ich zeigte ihm, dass ich das wusste mit einem ironischen „Ach so“. Aber ich war überrascht, dass er mir doch noch eine Antwort gab.

„Ich habe...“ Er schien nicht so recht zu wissen, wie er es formulieren sollte. „Ich bin nur wieder einmal fasziniert, wie jemand so Kleines...“ „...schon so alt sein kann?“, führte ich seinen Satz weiter und meinte mit einem ein wenig empörten Unterton: „Damit hat die Größe doch nichts zu tun.“ Ich glaube, ich hatte einfach gehofft, dass er von etwas Bedeutendem zu sprechen anfangen würde.

„Nein, ich meinte, so viel Power haben und so gut singen kann.“, klärte er mich schließlich auf, was mich etwas verwirrte, weil ich nicht wusste, wie er auf diesen Gedanken gekommen war. Eben hatten wir es noch von meiner Geburtstagsfeier. „Aber mit dem Alter ist das auch so eine Sache...“, grinste Gackt. „Dass du, obwohl du zwei Köpfe kleiner bist als ich...“

„Jetzt übertreib mal nicht!“, warf ich entrüstet, aber lachend, ein. „Höchstens eineinhalb.“

„...trotzdem vier Jahre älter bist... Das ist einfach unglaublich.“, führte er seinen Satz zu Ende.

„Tja... Ich weiß, dreiundvierzig ist ein stolzes Alter.“, meinte ich abwesend, meine Gedanken noch immer bei der Frage, wie er darauf gekommen war, dass ich zwar klein, aber gesanglich talentiert und energiegeladen war. Nach einem Moment bemerkte ich, dass ich Löcher in die Luft starrte und suchte etwas, das ich sagen konnte, um das Schweigen zu brechen und meine Gedankenverlorenheit zu überspielen, und da fiel mein Blick auf meine Geburtstagstorte, die Gackt eigenhändig für mich gebacken hatte. Ich habe mich wahnsinnig über sie gefreut. Ich konnte ihm gar nicht sagen, wie sehr.

„Hast du die wirklich selbst gebacken?“, fragte ich nun zum ich weiß nicht wievielten Male.

„Das willst du nicht wahrhaben, oder?“, fragte er zurück.

„Ich finde es nur einfach... Dass du dich in die Küche gestellt hast, nur um mir einen Kuchen zu machen... Das ist total... Ich bin begeistert.“, versuchte ich, meine Freude in Worte zu fassen. „Ich hoffe, ich muss das an deinem Geburtstag dieses Jahr nicht auch.“, scherzte ich, um die Stimmung etwas zu verändern, die Spannung, die ich verspürte, zu entschärfen.

„Natürlich nicht. Ich esse so süßes Zeug doch gar nicht gern. Aber... ich hätte da eine viel bessere Idee: ein kleines Konzert, ganz für mich alleine... Das hätte schon etwas.“, schlug er vor und mein Herz setzte einen Takt aus. Er wünschte sich ein Privatkonzert von mir? Meinte er das ernst? Würde ihm das wirklich gefallen?

„Du bist mittlerweile ein richtiger Fan von mir, was?“, versuchte ich, ihn zu necken.

„Auf jeden Fall.“, antwortete Gackt in einem Tonfall, der einfach nach Wahrheit duftete.

Doch auch wenn es auf den ersten Blick positiv zu sein schien, war es nicht das, was ich hören wollte. ~Ein Fan... Was ist in seinen Augen schon ein Fan? Ein Bewunderer? Einer von vielen. Was, wenn es mehr sein soll als das? ~ Es war wie ein Kompliment, das einen traurig machte.

Ich schüttelte diese Gedanken ab und versuchte, an etwas durch und durch Positives zu denken. Ich lächelte bei dem Anblick der Torte, die Gackt für mich gebacken hatte. „Ich schneide ihn jetzt an, ich bin so neugierig, ob er auch schmeckt.“ Mit einem letzten Blick auf die Torte und einem zu Gackt, um seine Reaktion zu sehen, ging ich in die Küche, um Geschirr zu holen. „Du möchtest ja eh keins, nehme ich an.“ Ich hatte das Bedürfnis, etwas zu sagen. Egal, was es war.

„Bist du sicher, dass du nicht erst einmal probieren solltest? Du weißt doch gar nicht, ob man das essen kann - oder sollte.“ Er klang ein wenig besorgt.

„Ich schätze, du hast ihn auch zwischendurch nicht probiert, oder? - Aber egal. Ich vertraue auf diene Backkünste.“, meinte ich zuversichtlich und dachte: ~Egal, wie es schmeckt, ein Stück werde ich schon essen können. ~

Ich spürte, wie er mich beim Essen beobachtete. „Hey... Das schmeckt richtig gut.“ Es war die Wahrheit. „Das hätte ich dir gar nicht zugetraut.“, neckte ich ihn.

„Es schmeckt wirklich?“, überging er meine neckende Bemerkung.

„Ja, ernsthaft. Es schmeckt sogar richtig klasse. Und du hast ihn wirklich selbst gebacken?“, neckte ich ihn weiter.

„Jetzt muss ich ihn doch probieren.“, beschloss Gackt überraschenderweise.

„Wirklich?“ Damit hatte ich nicht gerechnet, umso mehr freute es mich. In diesem Fall störte es mich nicht, dass man es mir ansah, als ich ihm meine Gabel entgegenhielt. Es war eine Ausnahme. Ich hatte die Berechtigung, mich über etwas so Seltenes zu freuen. Er beugte sich aus seinem Sessel zu mir nach vorne und ich sah ihm zu, wie er überaus vorsichtig ein wenig von der Gabel aß. Es versetzte mir einen Stich bei dem Gedanken, dass es aussah, als wollte er die Gabel so wenig wie möglich berühren. Meinetwegen.

„Das schmeckt ja wirklich nicht schlecht... Und nicht einmal so schrecklich süß...“ Ich nutzte die Situation. „Das ist eine Premiere!“ Es gefiel mir, ihn zu füttern.

„Iss du auch mal wieder und fütter mich nicht nur.“, beklagte er sich halbherzig und setzte sich neben mich aufs Sofa. ~Er will nicht mehr gefüttert werden... Aber er setzt sich zu mir. ~

„Es macht aber viel mehr Spaß, dich zu füttern, als selbst zu essen. Und du kannst ohnehin mal ein paar Kilo mehr vertragen.“, rutschte es mir heraus. Mit diesem Thema hatte ich heute eigentlich nicht mehr beginnen wollen.

„Findest du?“ Ich hatte das Gefühl, er wollte es beiläufig klingen lassen.

„Auf jeden Fall. Manchmal frage ich mich, wie du deinen Alltag durchhältst und warum du nicht einfach zusammenklappst.“ Ich konnte mich nicht zurückhalten. Ich wollte es wissen. „Wie viel wiegst du überhaupt momentan?“

„Keine Ahnung.“, kam als Antwort zurück. Das genügte mir nicht, lange nicht.

„Natürlich weißt du das. Du kannst mir nicht erzählen, dass du nicht mindestens viermal pro Woche auf die Waage stehst. Also, was hat sie das letzte Mal angezeigt? Sechzig? Fünfundfünfzig? Noch weniger?“

„Soll das ein Verhör werden?“, fragte er bissig und kreuzte die Arme vor der Brust.

„Wie viel, Ga-chan?“ Ich wollte, jetzt da das Thema angeschnitten war, Antworten.

Er seufzte. „Neunundvierzig.“

„Neunundvierzig?“, keuchte ich atemlos. „Neunundvierzig? “ Es war eine grausame Zahl. „Ga-chan... Du bist über einen Meter achtzig groß... Du solltest normalerweise nicht viel weniger als achtzig Kilo wiegen, vielleicht siebzig, aber...“ Ich hatte gehofft, dass er nur - aus einem mir noch nicht bekannten Grund - etwas magerer als gewöhnlich aussah - denn er war schon immer sehr, sehr dünn und achtete stark auf sein Gewicht , aber wenn er wirklich so wenig wog - noch weniger als wenn er auf Tour war , dann war das schrecklich. Ich konnte die Besorgnis nicht aus meiner Stimme verbannen. „Warum?“

„Ich weiß es nicht.“ Er klang niedergeschlagen.

„Wie geht es dir?“ Es war eine so simple Frage, aber ich wusste, eine Antwort zu geben, konnte so schwer sein.

„Das weiß ich auch nicht.“ Meine Besorgnis wuchs.

„Aber du musst doch wissen, was deine Probleme sind oder zumindest was dir an deinem Leben nicht gefällt... Oder nicht?“, fragte ich vorsichtig. Ich befürchtete, dass er das Gespräch jeden Moment beenden würde.

„Ich weiß es auch nicht, was mich so unzufrieden macht.“ Ich wusste nicht so recht, ob ich ihm glauben sollte, dass er ahnungslos war. Mir kam ein unschöner Gedanke.

„Warum hattest du eigentlich noch nie eine feste Freundin, außer deiner ersten Frau?“

Es dauerte nicht lange, da antwortete er: „Ich schätze, ich bin nie der Richtigen begegnet.“ Doch es klang wie eine Floskel, eine billige Ausrede.

„Du hattest auch nicht allzu viel Gelegenheit dazu. Es ist so selten, dass du einmal ausgehst.“

Er schwieg. „Ich weiß, es ist nicht ganz so einfach, wenn man ziemlich bekannt ist, aber du musst schon mehr unter Menschen, wenn du jemanden finden willst.“ Es tat weh. Es war einfach schmerzhaft, so etwas über die Lippen zu bringen, wissend, welche Konsequenzen es haben könnte, wenn er sich das Gesagte zu Herzen nahm.

„Ja, wahrscheinlich schon.“, sagte er nur. Eine leere Stille trat ein. Ich wollte sie brechen.

„Aber es muss doch trotzdem irgendetwas geben, das dich beschäftigt.“, sagte ich leise und fragte behutsam: „Ist es deine Familie?“ Ich dachte einen Augenblick an den Tod Belles, doch er lag bereits so viele Jahre zurück, dass ich davon ausging, dass er das mittlerweile verkraftet haben musste. Aber vielleicht hatte es ihn auch allmählich einsamer gemacht.

„Nein.“ In dem Fall schien er sich sicher.

Ich zögerte, weiterzufragen. „Dein Freundeskreis?“

Auch er zögerte. Dann hörten wir jemanden an der Tür und wussten, das Gespräch war beendet.

„Ich denke, ich gehe dann mal.“, sagte Gackt plötzlich und ich glaubte, er wollte, dass Megumi ihn nicht hörte. Ich spürte, dass es keinen Sinn hatte, zu versuchen, ihn am Gehen zu hindern. „In Ordnung.“ Ich tat es ihm nach und stand ebenfalls auf.

„Oh, guten Abend, Gakuto-san.“, begrüßte meine Frau ihn. „Verlässt du uns schon?“

„Ja, er wollte gerade gehen.“, hielt ich den Schein aufrecht. Ich wusste selbst nicht genau, weshalb. Ich wusste einfach, dass er gehen wollte und ich wollte ihn zu nichts zwingen. Außerdem war es für mich nie angenehm, Gackt und Megumi in einem Raum zu haben. Es war immer ein eigenartiges Gefühl gewesen. Ich konnte nicht anders, als sie zu vergleichen. Doch es war lächerlich, einen Mann mit einer Frau zu vergleichen.

„Schade. Ich habe so viel fürs Abendessen gekauft. Hast du wirklich keinen Hunger?“, fragte Megumi und kam ins Wohnzimmer.

„Nein, danke. Ich muss wirklich los.“, lehnte Gackt ab und lief an ihr vorbei, zur Tür. Ich wollte unbedingt noch etwas sagen und ihn nicht einfach so gehen lassen. Auf diese eigenartige Weise wortlos.

„Ich möchte unbedingt das Rezept von dieser Torte da, ja?“ Das war das Erste, das mir einfiel.

„Kein Problem.“ Er versuchte ein Lächeln und hob die Hand zum Abschied. „Ciao.“

„Tschüß!“, entgegnete Megumi ihm, bevor ich es tun konnte. Ob er meinen Abschiedsgruß überhaupt noch hatte hören können, konnte ich nicht sicher sagen.
 

Als ich an diesem Abend, an dem meines dreiundvierzigsten Geburtstages, im Bett lag, dachte ich an unser Gespräch zurück. „Auf jeden Fall.“ ~Er zählt auf jeden Fall zu meinen Fans.

Manchmal frage ich mich, ob es nicht einfacher für mich wäre, ein Fan von ihm zu sein. Einer von Tausenden, die keine andere Möglichkeit haben, als ihn aus der Ferne zu bewundern, in dem Bewusstsein, dass man mit seinen Gedanken lediglich in einer Traumwelt lebt und die Vorstellung eines näheren Kennenlernens oder gar einer Beziehung zu ihm für immer eine Utopie bleiben wird.

Würde man nicht viel leichter aufhören können, sich Hoffnung zu machen?

Würde der Abstand, der unüberwindbar schiene, nicht hilfreich sein, um irgendwann einzusehen, dass es keinen Sinn hatte? Es wäre so viel unkomplizierter für mich, so viel schmerzloser. Wäre es nicht... traumhaft? ~

Plötzlich kam mir eine Textzeile in den Sinn, gefolgt von weiteren Versen, die, als wäre es selbstverständlich, sich ganz von selbst in meinem Kopf formten:
 

~Wishing to be one of your admirers

To live in their world of dreams and imagination

Far, so far away from you

Without hope of becoming someone close to you ~
 

Ich schnaubte. ~Wie viele es gibt, die sich wünschen, in meiner Lage zu sein... Und ich? Ich sehe momentan nur das Negative in ihr.~

Mit diesem Gedanken kam mir die Idee für den Titel des Songs: Irony of Fate.

~Solche Gedanken sind sinnlos.~, tadelte ich mich nach einem kurzen Moment der Gedankenstarre. ~Wünscht man sich nicht immer auf die andere Seite? ~

Ich seufzte. Es blieb mir nichts anderes übrig, als aufzustehen. Ich musste die Zeilen aufschreiben. So leise ich konnte, erhob ich mich vom Bett, ein achtsamer Blick auf meine schlafende Frau. Realisierend, dass ich mich ungewöhnlich munter fühlte für diese Uhrzeit - und das nach einer solchen Nacht - in seinen Geburtstag hineinzufeiern, ist eigentlich alles andere als erholsam , verließ ich das Schlafzimmer und wanderte leise in mein so genanntes Arbeitszimmer. Eigentlich passte der Name nicht so wirklich, denn, wie in dieser Nacht, zwang ich mich nicht dazu, etwas zu kreieren, sondern es kam von selbst. Es war keine Arbeit, es war etwas, das ich tun wollte und gern tat. Manchmal musste ich es auch tun, damit ich Dinge, die mich beschäftigten, hinauslassen konnte. Danach ging es mir meistens besser. In letzter Zeit kam es immer häufiger vor, dass das Schreiben ein solches Muss war. Und es war auch nicht mehr selten, dass ich mitten in der Nacht aufstand, um etwas auf Papier zu bringen.
 

Irony of Fate
 

Wishing to be one of your admirers

To live in their world of dreams and imagination

Far, so far away from you

Without hope of becoming someone close to you
 

I can’t stand you - being so near

I don’t want to hear - your voice - so clear

I wished you’d disappear - from my memories

I wish you far away - from my fantasies
 

Etwas auf sich selbst Zutreffendes und Schicksalsträchtiges schwarz auf weiß vor sich zu sehen, macht das Gefühl der Hilflosigkeit nur noch unerträglicher.
 

Am nächsten Tag, den ich nach wenigen Stunden Schlaf begonnen hatte, war das Erste, das mir in den Sinn kam, der in der Nacht begonnene Song. Er schwirrte in meinem Kopf herum; ich konnte nichts dagegen tun. Er war ununterbrochen da, sang sich selbst in meinen Ohren.

Plötzlich stoppte der Gesang, als ich mich zu wundern begann: ~Müsste es im sechsten Vers nicht korrekt „clearly“ heißen? Wenn ich das ändere, reimt es sich aber nicht mehr auf „near“... Hm...~ „I don’t want to hear...“, sprach ich vor mich hin, um zu hören, wie es klang. „...your voice... in my ear ?“ Das würde die Nähe auch noch etwas mehr betonen, stellte ich fest. Unwillkürlich dachte ich an Szenen zurück, in denen Gackt mir etwas ins Ohr geflüstert hatte. „...to hear your voice... whispering in my ear...“ Das war es, das ich unbewusst gesucht hatte.

„Schatz?“ Ich sah auf, wurde mir wieder bewusst, dass ich im Schlafzimmer vor meinem Kleiderschrank und mit einem Mal auch Megumi hinter mir stand.

„Ja?“ Ich wandte mich zu ihr um. Sie lächelte nachsichtig.

„Träumst du mal wieder?“, fragte sie, ohne eine Antwort zu erwarten. „Schreibst du gerade an einem neuen Liedtext?“ Nun erwartete sie eine.

„Ja, eh - nein. Ich - Doch. Doch, ja, ich... habe da so eine Idee, die mir im Kopf herumschwirrt.“

„Ach... so. Du scheinst dir aber noch nicht so ganz sicher zu sein, ob es eine gute ist oder nicht, ne?“

„Ja.“ Es war nicht einmal gelogen. Denn eine gute Idee war es nicht, wenn es darum ging, einen neuen Song für mein nächstes Album zu produzieren. Ich hoffte nur inständig, sie würde nicht fragen, was das Thema des Songes war.

„Worum geht es denn in dem Lied?“, zerstörte sie meine Hoffnung.

„Das weiß ich auch noch nicht so genau.“ Das war eine Lüge. Definitiv.

„Na dann viel Erfolg.“, wünschte sie mir mit einem Lächeln. „Ich werde jetzt mit Jo-chan zusammen einkaufen gehen. Willst du mitkommen?“

„Eh, nein, ich... würde gerne weiterschreiben. An dem Songtext.“, erklärte ich, schuldbewusst. „Und ich bin noch viel zu müde. Ich sehe bestimmt schrecklich aus.“

„Nein, gar nicht. Ich finde es bemerkenswert, wie du nach einer solchen Nacht schon wieder so frisch aussehen kannst.“ Ihre Antwort erinnerte mich an Gackts am Tag zuvor, als er, der als letzter meiner Gäste noch bei mir geblieben war, um mir alleine sein Geschenk überreichen zu können, meinte, wie es ihn faszinierte, dass jemand so Kleines wie ich angeblich „so viel Power haben und so gut singen“ konnte. Hatte er das mit „Power haben“ gemeint? Nach einer solchen Nacht noch relativ fit zu sein? Er war der Grund dafür. Wäre er nicht mehr da gewesen, hätte er mir nicht sein Geschenk überreicht und mich damit vollkommen verwirrt, hätte ich auf der Stelle einschlafen können.

„Na gut. Dann gehen wir eben alleine. Wir sind auch bald wieder zurück, denke ich.“ Megumi holte mich von dem gestrigen in den heutigen Tag zurück. Ihrem Tonfall entnahm ich, dass es ihr nicht sonderlich viel ausmachte, dass sie allein gehen musste. Das glaubte ich zumindest. Vielleicht redete ich es mir auch nur ein.

„Ich wünsche euch viel Spaß.“, meinte ich noch. Ich empfand es als meine Pflicht, das zu sagen.

Immerhin das.

„Und wir wünschen dir gute Ideen.“, lächelte sie und gab mir einen flüchtigen Kuss auf den Mund. „Bis später!“ Ich sah ihr nach, wie sie das Schlafzimmer verließ, hörte noch, wie sie etwas zu meinem Sohn sagte und wie die Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde.

Ich verdrängte meinen momentanen Gedanken und überlegte, wo ich zuvor stehen geblieben war. Mein Blick fiel wieder auf den Kleiderschrank vor mir und ich verließ das Schlafzimmer, ging in mein Arbeitszimmer, nahm den Ordner aus dem Regal, wie in der Nacht zuvor, und zog gezielt das Blatt Papier mit der Überschrift „Irony of Fate“ heraus. Ich änderte die Stelle, wie ich es eben vor dem Kleiderschrank beschlossen hatte und las die Strophen nochmals durch.
 

Irony of Fate
 

Wishing to be one of your admirers

To live in their world of dreams and imagination

Far, so far away from you

Without hope of becoming someone close to you
 

I can’t stand you - being so near

I don’t want to hear - your voice - so clear

I wished you’d disappear - from my memories

I wish you far away - from my fantasies
 

You’re here, here in my head

Ceaselessly torturing me

I thought I already had enough tears shed

Why haven’t you turned your back on me?
 

You’re around, I’m shivering

What the hell are you doing with me?

You tell me every tiny thing

What the hell are you doing to me?

Why the hell are you so near?
 

You’re around, all around me

You keep smiling your beautiful smile at me

There are just a few words I wanna hear

Why the hell are you so - silent?
 

Why am I not like all the others?

Admiring you from far away

Knowing that my wish you will never hear

Why the hell am I so near?
 

Heute würde keiner dieser Tage sein, an denen ich nicht weinte.

旋律の力 - Senritsu no chikara - The Force of Melodies

„Wir brauchen noch ein paar mehr ruhige Songs zum Ausruhen.“, merkte Ken an.

„Ja, auf jeden Fall... Wie wäre es, wenn wir endlich einmal den Fans die Freude machen und ‚Anemone’ spielen?“, schlug Tetsu vor. ~Bitte nicht...~ Ich schloss innerlich die Augen.

Ken meinte dazu: „Keine schlechte Idee. Wir wollten schon lange ein Orchester auf die Bühne holen. Außerdem haben wir dann eine Pause nach diesen vielen schnellen Songs.“ Yukihiro nickte nur.

„Muss das sein?“, warf ich etwas missmutig ein. „‚Anemone’ ist ziemlich schwer zu singen. Ich würde wahnsinnig viel dafür üben müssen.“

„Na gut, das stimmt. Für dich ist das alles andere als eine Zeit zum Ausruhen. Außerdem könnten wir uns das Orchester für das 25-jährige Jubiläum aufheben.“ Er grinste keck, fuhr nach einem gedankenverlorenen Moment fort: „Aber dann will ich auf jeden Fall ‚Forbidden Lover’ und ‚Anata’ in der Setlist haben.“

Ich seufzte. Innerlich. Bei ‚Forbidden Lover’ würden meine Gedanken bei einer Person sein, bei der sie in letzter Zeit ohnehin zu oft waren, und mittlerweile war ich dermaßen verwirrt, dass ich bei ‚Anata’ gar nicht mehr wissen würde, an wen ich dabei denken sollte.
 

Ich öffnete das schwere Eisentor, trat über die Schwelle auf den Gehweg einer nahezu unbewohnten Straße, die in eine Brücke mündete. Und da war es wieder. Ich konnte nie erklären, woher es kam. Ich wusste nicht, warum ich es fast immer nur dann bemerkte, wenn ich mich auf dieser Straße befand. Ich hatte keine Ahnung, weshalb es immer häufiger auftrat, dieses Gefühl, dass ich etwas vorhatte, dass ich etwas tun wollte. Es war da. Doch was war es? Was hatte ich vor? Was wollte ich tun? Wollte ich nicht einfach nur nach Hause? Nein, das war es nicht. Obwohl ich sehr erschöpft war; da war ich mir ganz sicher. Doch was war es dann? Es war, als wollte ich genau in die entgegengesetzte Richtung. Es war, als wollte ich an einen bestimmten Ort. Das ließ mein Gefühl durchschimmern. Mehr jedoch nicht. Es machte mich wahnsinnig, nicht zu wissen, was dieses Gefühl mir sagen wollte. Es war schrecklich, den Grund dafür nicht zu kennen. Ich wusste nicht, woran es lag, dass ich dieses Gefühl nicht verstand. Mittlerweile konnte ich ausschließen, dass es daran lag, dass ich zu wenig darüber nachdachte. Denn in letzter Zeit ging mir dieses Gefühl nicht mehr aus dem Kopf, und nicht mehr aus dem Körper. Ich glaubte, es immer öfter zu spüren, auch wenn ich nicht auf dieser Straße war. Das verstärkte meinen Wunsch, dahinter zu kommen, was es war. Ich hatte auch schon überlegt, mir Rat bei Tetsu zu holen. Oder bei Gackt. Doch ich hatte das Gefühl, dass es besser war, mit niemandem darüber zu sprechen. Auch dafür erfuhr ich keinen Grund. Ich wusste es einfach, instinktiv. Zumindest glaubte ich das.
 

Ich ließ mich auf das neue Sofa fallen und sah mich im Raum um, betrachtete die neue Einrichtung. Ich war zufrieden. Vor einer Woche war ich hier eingezogen und jetzt waren alle Dinge, die ich brauchte, endlich an ihrem lange durchdachten Platz. Eigentlich hatte ich Hyde gebeten, mit mir Möbel aussuchen zu gehen, doch er hatte wieder einmal keine Zeit gehabt. Ich fragte mich, ob ich, seit ich in seine Nähe gezogen war, vielleicht etwas zu viel Zeit von ihm in Anspruch nehmen wollte. Es wäre grausam, wenn er das so sehen würde. Wundervoll wäre es, würde er stattdessen seinen Terminkalender dafür verfluchen, dass er so voll war. Ich seufzte. Tagträume. Eine schlechte Angewohnheit. Doch ich konnte es nicht ändern.

Ich schaute zu der offenen Balkontüre, die Sonnenstrahlen hineinbat, die die Gardinen erleuchteten. Der Wind spielte mit dem langen weißen Stoff, wehte ihn leicht der Decke entgegen. Ich stellte mir vor, es wären Engelsflügel, die jeden Moment ausgebreitet würden. Ich sah Hyde, wie er einen letzten Blick zurück warf und durch die Tür, über das Balkongeländer, in den glasklar blauen Himmel entschwebte. Ich sah ihm nach, mit einem traurigen Lächeln im Gesicht.

Ob er sich wohl schon einen Wunsch ausgedacht hatte, für den er meinen Geschenkgutschein einlösen wollte? Ich versuchte nicht abzuschweifen, nicht daran zu denken, was ich wollte, wofür er ihn einlöste. Es war nicht einfach. Es war einfach unmöglich.
 

Er legte die beiden Blätter Papier beiseite und stand auf. Zielstrebig ging er auf den Gitarrenständer zu, griff nach dem Instrument, setzte sich wieder auf das Sofa und begann zu spielen.

Er spielte, dachte nur an das Gefühl, das ihn ausfüllte, wenn er diesen Text las, und da war sie - die Melodie, die er gesucht hatte. Er legte sich die Seiten zurecht und begann zu singen:
 

I can’t stand you - being so near

I don’t want to hear your voice whispering in my ear

I wished you’d disappear from my memories

I wish you far away from my fantasies
 

You’re here, here in my head

Ceaselessly torturing me

I thought I already had enough tears shed

Why haven’t you turned your back on me?
 

Wishing to be one of your admirers

To live in their dream world

Far, so far away from you

Without hope of becoming someone close to you
 

Why do you stare at me like this

Your eyes goring through mine

I know you can see right inside me

Why don’t you give me a sign?
 

You’re here, so show me

Show me if you know that I love you

Would you still be my friend - Could you?

If you know, if you only knew
 

Wishing to be one of your admirers

To live in their world of dreams and imagination

Far, so far away from you

Without hope of becoming someone dear to you
 

You’re around, I’m shivering

What the hell are you doing with me?

You embrace me gently, smiling

What the hell are you doing to me?
 

Why the hell are you so near?
 

You’re around, all around me

You keep smiling your beautiful smile at me

There are just a few words I wanna hear

Why the hell are you so - silent?
 

Wishing to be one of your admirers

To live in their world of imagination

Far, so far away from you

Without hope of becoming someone loved by you
 

You’re around, the feelings grow

It’s so hard to suppress them, impossible to ignore

There are so many things I want you to know

Why the hell am I so - silent?
 

Why am I not like all the others?

Admiring you from far away

Knowing that my wish you will never hear

Why the hell am I so near?
 

Why are we so close to each other?

And why do I want you to be even closer

“Closer, closer, closer“ I beg

As close as my wings are to my back
 

I want to be one of your admirers

I want to live in their dream world

So far from your being - so kind

Without hope of being on your mind
 

Die Melodie verklang. Er lauschte ihrem Verschwinden. Eine Träne folgte ihr, stürzte sich in den Stoff, der sein pochendes Herz beschützte, und war verschwunden. Das einzige Anzeichen dafür, dass sie einmal existiert hatte, war die Spur, die sie auf seiner Wange hinterlassen hatte.
 

Als das Telefon klingelte, saß Hyde noch immer auf dem Sofa, noch immer die Gitarre in der Hand, doch er spielte nicht mehr, wartete nur gedankenverloren, unbewusst darauf, dass ihn etwas aus seinen Gedanken holte. Das Klingeln des Telefones hatte es geschafft. Hydes Blick fiel auf das schwarze Gerät, das auf seinem Schreibtisch stand. Wenn es klingelte, bedeutete es entweder, dass jemand aus geschäftlichen Gründen anrief, denn es war seine Geschäftsnummer, die dieses Telefon zum Klingeln brachte, oder jemand, der aus irgendeinem Grund niemals, unter keinen Umständen, die private Nummer wählen wollte.

„Ja?“, fragte Hyde in den Hörer hinein, nachdem er die Gitarre beiseite gelegt, aufgesprungen und zum Telefon gegangen war.

„Ich bin es.“, kam es von der anderen Seite der Leitung, mit einem fast schon entschuldigendem Unterton.

„Ga-chan, wie oft soll ich dir noch sagen, dass du nicht die Geschäftsnummer wählen sollst?“, wurde er sogleich zurechtgewiesen.

„Entschuldige. Aber so gehst du doch am schnellsten ran.“, führte Gackt als Argument an.

„Es ist aber nicht die Funktion eines Geschäftstelefons, Privatgespräche damit zu führen.“, belehrte Hyde ihn.

„Du weißt doch gar nicht, ob ich nicht geschäftlich anrufe?“, stellte Gackt Hydes Vorwurf in Frage.

„Tust du doch eh nicht.“, setzte Hyde voraus.

„Komm erst einmal zu mir. Ich habe meine Wohnung fertig eingerichtet. Sie muss eingeweiht werden.“, erwiderte Gackt nur, ohne auf die Annahme des anderen einzugehen.

Hyde blickte einen Moment aus dem Fenster, überlegte, ob er noch etwas zu erledigen hatte, stellte das Gegenteil fest und meinte: „Okay, ich esse nur noch etwas und dann komme ich zu dir.“

„Lass uns doch zusammen essen gehen. Ich habe auch noch nichts gegessen.“, warf Gackt ein.

„Na gut. Dann bis gleich.“, ließ er den anderen wissen und legte auf. Als erstes verstaute er den Liedtext wieder an einem sicheren Ort, stellte die Gitarre in ihren Ständer zurück und verließ dann, nach einem prüfenden Blick, sein Arbeitszimmer, um sich umzuziehen. Auch wenn die Wasserflecken nicht mehr zu sehen waren.
 

Es klingelte. Darauf hatte ich gewartet. Nachdem ich noch einen Prüfgang durch meine neue Wohnung gemacht und festgestellt hatte, dass alles zu meiner Zufriedenheit aufgeräumt war, saß ich nur wartend auf dem Sofa, mit Erwartung dieses Augenblicks. Auf dem Weg zur Tür warf ich nochmals einen Blick in den Spiegel, zupfte ein oder zwei Haarsträhnen zurecht, bevor ich die Tür öffnete.

„Hast du doch noch etwas gegessen?“ Diese Frage konnte ich mir nicht verkneifen.

„Warum?“, fragte er zurück, innehaltend.

„Weil du so lange gebraucht hast.“, gab ich zurück. „Aber egal, jetzt bist du ja hier.“ Ich umarmte ihn, noch zwischen Tür und Angel.

„Du hast ja Gänsehaut...“, stellte Hyde überrascht fest und fragte etwas besorgt: „Ist dir kalt?“, während er mich losließ - und mich wirklich Kälte aussetzte.

Weil es sonst keine andere Erklärung gab, die ich gewagt hätte, ihm gegenüber auszusprechen, bejahte ich seine Frage. „Ein bisschen vielleicht...“

„Du frierst doch sonst nie. Wirst du krank?“, wollte Hyde noch eine Brise besorgter wissen.

„Schon möglich.“, meinte ich lediglich und wollte ablenken: „Wie warm ist es draußen?“

„Es geht. Aber wenn dir kalt ist, solltest du lieber etwas Wärmeres anziehen.“, riet er mir.

„Dann tue ich das mal schnell.“, sagte er und ging in sein Schlafzimmer. Ich sah mich indes im Wohnzimmer um, warf einen Blick in die Küche, auf den Balkon. „Sieht echt klasse aus.“, rief ich in Richtung Schlafzimmer. „Gefällt mir wirklich!“, fügte ich noch nachdrücklich hinzu.

„Mir auch!“, rief Gackt zurück und ich hörte, dass er dabei lächelte. Ich lächelte mit.

Auf dem Weg zum Sofa, auf das ich mich zum Warten niederlassen wollte, kam ich am Schreibtisch vorbei und sah ein Englischwörterbuch aufgeschlagen darauf liegen. Ich schlenderte, wie beiläufig, in dessen Richtung. Dieses Bild hatte meine Neugier geweckt. Ich beugte mich über die aufgeschlagene Seite und suchte nach einem Hinweis, der mir verriet, nach was Gackt gesucht hatte. Zu meinem Bedauern war nichts markiert, kein Abschnitt, kein Wort, nicht einmal ein winzig kleines Kreuzchen war aufzufinden. Ich ließ flüchtig meinen Zeigefinger über die Seiten fahren, auf der Suche nach einem Wort, von dem ich mir vorstellen konnte, dass Gackt es in einem Songtext verwenden würde. Bei dem Wort „kanashimi“ verweilte meine Fingerspitze einen Moment länger als bei den anderen Zeilen.

Warum passte dieses Wort so gut zu ihm? Warum beschrieb es seinen momentanen Zustand so treffend? Ich schüttelte diesen Gedanken von mir. Es könnte jedes dieser Wörter sein. Vielleicht hatte er auch einfach nur einen Text zu übersetzen versucht. Etwas enttäuscht, da ich nichts herausgefunden hatte, wollte ich mich abwenden, als ich aus dem Augenwinkel mehrere Blätter Papier wahrnahm, die ein wenig unter dem wuchtigen Wörterbuch herausragten. Ich hielt in der Bewegung inne.

Ein wenig schuldbewusst warf ich einen Blick zur Tür, durch die Gackt jeden Moment zurückkommen könnte. Es war vielleicht sehr privat. Vielleicht.

Vorsichtig hob ich das Lexikon an und zog eine beschriebene Seite durch den entstandenen Spalt heraus. Es war eindeutig Gackts Handschrift. Ich hätte sie unter tausenden wiedererkannt, obgleich er eher selten mit lateinischen Buchstaben schrieb. Noch ungewöhnlicher war - wie man mit einem Blick ersehen konnte , dass der Text in englischer Sprache verfasst worden war, komplett auf Englisch. Ich begann zu lesen:
 

Watching your innocent face

As you played in the glimmering waves

Running all over the beach barefoot

How I adored you
 

Your name we wrote in the sand

And the shells we adorned it with

Shoulder to shoulder

We watched as the waves wiped it away before us
 

The orange sun I saw with you at dusk

Making a face about to cry the big farewell
 

The blue sky slows its breathing

To embrace the red setting sun

As I too held you, I closed my eyes
 

All the joy and sadness

The countless encounters and partings

Just as it did back then

The orange sun oversees them all
 

Back when we dreamed of an eternity

Laughing, we held each other for so long
 

It’s stunning how much I think of you

That’s all I needed to satisfy myself

Don’t cry, we can meet again anytime

Just by closing our eyes
 

Ich wusste bereits nach den ersten Zeilen, um was für einen Text es sich handelte. Wie hätte ich unseren Song nicht wiedererkennen können?

Und da war es, das Wort, das er nachgeschlagen hatte. ~Sadness...~

„So, wir können gehen.”, hörte ich Gackt sagen, bereits auf dem Weg zu mir. Schnell tat ich das Blatt Papier zurück an seinen Platz und wandte mich versucht unauffällig vom Schreibtisch ab, der Wohnungstüre zu, als Gackt auf mich zukam.

„Es gefällt mir wirklich sehr, wie du deine Wohnung eingerichtet hast.”, wollte ich ihn noch einmal wissen lassen und zugleich mein in meinen Ohren verdächtiges Schweigen übertönen.

„Danke.”, bedankte sich Gackt, ein wenig verlegen, eigentlich kaum sichtbar - für jemanden, der ihn nicht kannte. „Wo wollen wir hingehen zum Essen?”, fragte er, um davon abzulenken.

„Wie wäre es, wenn wir deine Küche einweihen?“, fragte ich zurück.
 

Es war wie immer ein wundervolles Gefühl, mit Hyde durch die Gassen der Innenstadt zu spazieren. Wir beide wie immer mit dunklen Sonnenbrillen, um unerkannt zu bleiben. Einmal hatten wir uns etwas besonders Effektives einfallen lassen, um nicht erkannt zu werden: Wir hatten uns einen Mundschutz angezogen, taten, als wären wir erkältet, aber ansonsten nichts Außergewöhnliches, verdeckten, ohne Sonnenbrillen zu tragen, unser halbes Gesicht und machten es somit selbst unseren größten Fans schwer zu erahnen, wer wir waren. Die halbe Zeit, die wir so durch die Straßen gingen, amüsierten wir uns nur, erfreuten uns an unserer brillanten Idee. War das eine Zeit...

Ein, zwei Jahre zuvor, in Taiwan, war das nicht einmal nötig gewesen. Dort konnten wir uns frei bewegen, unverschleiert. Es war ein so befreiendes Gefühl. Ein Gefühl, das wir teilen konnten...

„Lust auf Okonomiyaki?“

Ich bemerkte, dass mein Blick starr geradeaus gerichtet war, blinzelte, um meine Augen Hyde zuzuwenden. Sie schauten mich erwartungsvoll an.

„Wo warst du denn gerade mit deinen Gedanken?“, wollte er neugierig wissen, mit einem leichten Lächeln um die Lippen. ~Wie oft hätte ich gerne eine Kamera in der Hand...~

„Ich musste gerade daran denken, wie wir einmal mit Mundschutz mitten durch Tokyo gelaufen sind...“, gab er mir doch tatsächlich zur Antwort. Ich lachte, einerseits wegen der Erinnerung, andererseits wegen der Freude über seine Offenheit.

„Ja, das war ein Erlebnis...“, begann nun ich zu sinnieren. „Das sollten wir mal wieder machen.“

„Ich bin dabei.“, sagte Gackt, ohne zu zögern, was das Lächeln in meinem Gesicht spürbar vertiefte.

„Morgen?“ Sie sahen sich an, ihre Schritte wurden langsamer, ihre Herzschläge schneller.

„Morgen.“
 

„Hast du mittlerweile eigentlich ein paar Songideen?“, fragte Hyde mit einem Mal unerwartet. Wir waren auf dem Rückweg, schon fast wieder bei meiner Wohnung angelangt.

„Ja, aber...“, begann ich automatisch, meine Gedanken bei „The Difference between Real Love and Fake“, einem Songtext, den ich wenige Tage zuvor geschrieben hatte.

„Aber?“, fragte er nach, nachdem ich für mehrere Momente geschwiegen hatte.

„Sie werden wahrscheinlich wieder verworfen.“, sagte ich einfach, als wäre es nichts Außergewöhnliches, als wäre es keine Lüge.

„Wieso? Gefallen sie dir nicht?“, wollte er stirnrunzelnd von mir wissen.

„Doch, sie sind nur... nicht für alle Ohren bestimmt.“, drückte ich mich vage aus.

„Wie meinst du das?“ Einen Augenblick lang glaubte ich zu sehen, dass er diese Frage zwar verständnislos klingend stellte, doch genau wusste, was ich gemeint hatte - und es nachvollziehen konnte, wie es war, wenn man einen Song nicht preisgeben wollte. Aus privaten Gründen.

„Die Songs sind... eher nur für mich.“, umschrieb ich es auf andere Weise. Seine Erwiderung ließ mich meine Theorie, dass er nur so tat, als kenne er dieses Anliegen nicht, anzweifeln.

„Du schreibst Songs, die du nicht veröffentlichen willst? Warum? Wenn sie doch aber gut sind.“

„Sie sind... zu persönlich.“, versuchte ich, meine Hemmungen zu erklären.

„Viele Songs sind sehr persönlich, aber gerade deshalb sind sie gut. Sie sind... echt. Sie drücken Gefühle am besten aus. Echte Gefühle.“ Hyde sah mich an, als erwartete er, dass ich ihm Recht gab.

„Schon möglich.“, meinte ich, in der Hoffnung, damit das Thema abzuschließen. Doch bevor ich ein neues gefunden hatte, das ich ansprechen konnte, stellte Hyde seine nächste Frage, zögerlich.

„Darf ich sie mir anhören?“ Es war mehr eine Bitte als eine Frage.

Ich durfte es ihm nicht erlauben. Doch ich konnte ihm nichts abschlagen; das wusste ich. Wusste er das auch? Wie er mich ansah. So unschuldig, so hoffnungsvoll. Konnte ich diese Hoffnung zerstören?

„Ich habe noch nichts aufgenommen.“ Immerhin war es die Wahrheit. Und keine klare Abweisung.

„Darf ich dann “ „Ich habe es auch nicht vor.“, fügte ich hinzu, ihm wohl wissentlich ins Wort fallend. Ich hoffte, dass er es dadurch nicht wagen würde, weitere Fragen zu stellen.

„Kann ich trotzdem die Texte sehen?“, fragte er nach kurzem Schweigen leise, nahezu enttäuscht klingend, obgleich ich ihm noch nichts versagt hatte. Als wüsste er, dass ich es tun würde.

„Ich überlege es mir.“, wich ich seiner Frage aus.

Wir schwiegen eine Weile. Dann ergriff Hyde wieder das Wort.

„Aber wenn du die Songs nicht aufnimmst... wenn du sie nur im Kopf, aber nicht abgeschlossen hast... belasten sie dich dann nicht auch irgendwie?“ Er sah mich unsicher an. Ich blickte erstaunt zurück. So hatte ich das noch nie gesehen. Natürlich wusste ich, dass sie mich belasteten - weil ihr Inhalt dasselbe tat , doch dass es mich stärker belasten würde, wenn ich nicht komplett mit ihnen abschloss, um mich von ihnen vielleicht sogar loslösen zu können, wenn ich sie nicht vollkommen beendete, sodass sie, von allen Seiten betrachtet, fertig waren und ich nichts mehr damit tun konnte, nichts mehr ändern konnte, nichts mehr ändern wollte, daran hatte ich nicht gedacht.

~Es ist fast dasselbe wie mit dem Fotoalbum... Ich muss damit abschließen.~

„Vielleicht hast du recht. Vielleicht sollte ich die Songs doch aufnehmen.“

„Aber sie mir nicht zeigen.“, führte er meinen Satz weiter. Es war eine halbe Frage. Er hatte wohl gemerkt, dass ich es nicht vorhatte, sie ihm zu offenbaren.

„Ich denke nicht.“, erwiderte ich ehrlicher. Es war das Gegenteil eines Vertrauensbeweises. Ich hatte ein grausames Gefühl. Es erinnerte an Verrat. ~Ich bin ein Verräter.~

„Und wenn ich es mir wünsche?“, kam es noch leiser von Hydes Lippen, noch zaghafter.

„Wie meinst du das?“, kam es nun aus meinem Mund.

„Wenn ich meinen Gutschein dafür einlöse...“

Ich atmete unwillkürlich ein. „Wieso solltest du das tun? Was nützt es dir?“ Für so etwas war der Gutschein nicht gedacht. „Was versprichst du dir davon, zu wissen, worum es in den Songs geht?“

„Ich will dich besser verstehen.“ Es war ein wundervoller Satz. Es war Engelsgesang in meinen Ohren. „Vielleicht erkenne ich in den Songs dein Problem und kann dir helfen.“

~Du wirst es erkennen... Aber kannst du mir dann helfen? - Nur wenn du dasselbe fühlst...~

„Also?“, fragte er nun am zögerlichsten.

„Ich...“ Was sollte ich sagen? „Mein Gutschein sagt es ja eindeutig: Es gibt keinen Wunsch, den ich dir nicht erfüllen werde, sofern ich es kann. Also werde ich dir diesen Wunsch erfüllen, wenn du das willst.“ Ich hatte keine Wahl.

„Ja, ich will.“ Das war genau die Antwort, die ich hören wollte - auf eine andere Frage.

望み望む - Nozomi nozomu - I hope it's hope

Er schwenkte sein Weinglas hin und her, starrte dabei gedankenverloren auf den Küchenschrank. Ich zog in Erwägung, ihn anzusprechen und aus seiner Trance zu holen, doch eigentlich war der Anblick viel zu schön, die Gelegenheit viel zu rar, als dass ich ihn zerstören wollte.

Wir hatten Spaghetti gekocht, eine meiner Leibspeisen. Ursprünglich wollte ich, dass wir Curry Reis machen, weil es sein Lieblingsgericht ist, doch er meinte, er hätte schon seit Ewigkeiten keine Spaghetti mehr gegessen und damit war die Sache entschieden. Ich kann mich an kein Mal erinnern, da das Kochen mit ihm zusammen nicht witzig gewesen war. Dieses Mal hatten wir die Nudeln abrennen lassen, sodass sie kaum mehr aus dem Topf herauszubekommen waren. Zum Glück hatten wir jedoch wie immer viel zu viel eingekauft.

Jetzt saßen wir satt und zufrieden mit unseren Weingläsern in den Händen vor unseren leeren Tellern und hingen unseren Gedanken nach. Woran er dachte, wusste ich nicht. Ich wusste nur, dass ich an uns dachte. Und hoffte, dass er dasselbe tat.

Je länger er geradeaus starrte, desto leerer wurde sein Blick, desto weiter entfernte er sich von mir, desto dringender wurde mein Wunsch, ihn zurückzuholen. Gerade, als ich ihn ansprechen wollte, öffnete er seinen Mund.

„Ich überlege, mich von Megumi zu trennen.“

„Was?!“, keuchte ich schockiert. ~Das muss der Wein sein.~, war mein erster Gedanke. ~Aber er hat noch fast nichts getrunken und er wirkt sehr nüchtern.~, der zweite.

Erst dann bemerkte ich, wie oft ich mir in meinen Tagträumen bereits vorgestellt hatte, dass er so etwas sagen würde. Doch ich konnte mich in dieser Situation - anders als in meinen Träumen - nicht offenkundig darüber freuen. Hyde sah nicht sehr glücklich aus.

„Warum denn?“, fragte ich ihn behutsam. Es war eine Woche vor Valentinstag.

„Ich glaube nicht, dass ich sie liebe.“, vertraute er mir mit ruhiger Stimme an.

„Bist du sicher?“, fragte ich weiterhin vorsichtig nach. Ein wortloses Nicken war die Antwort.

Schock, Freude, Überraschung, Anteilnahme, Verwirrung. Ich fühlte alles.

Ich versuchte, objektiv zu denken. „Und was ist mit Joseph?“

„Ich habe nicht vor, mich scheiden zu lassen. Ich möchte mich nur von ihr trennen.“, erklärte er. „Ich möchte ihr nur... nicht vormachen, dass ich sie liebe.“

Auf diesen Satz trat eine lange Stille ein. Ich bewunderte seine Aufrichtigkeit. Und ich freute mich vor allem über seine Offenheit mir gegenüber. ~Mein Glückstag...~, kam mir in den Sinn. Doch ich musste mich fragen, was ich mir von der Trennung versprach. ~Natürlich, Hyde wird unter Umständen mehr Zeit für mich haben, wenn er nichts mehr mit Megumi unternimmt, doch nicht einmal dafür habe ich eine Garantie; sie könnten versuchen, richtig gute Freunde zu bleiben, Joseph zuliebe. Und Joseph könnte jedes zweite Wochenende oder sogar jedes einzelne zu ihm kommen. Er könnte möglicherweise noch mehr Zeit mit seinem Sohn verbringen als zuvor. Und nicht nur deshalb, sondern auch weil es Hyde sichtlich belastet, darf ich mich nicht über diese Situation freuen. Ich dürfte nicht. Eigentlich.~

Und eigentlich gab es auch wenig Anlass zur Freude. Einen wirklichen Grund, mich richtig zu freuen, hätte ich erst dann, wenn ich der Grund für die Trennung wäre.

„Das klingt...“, begann ich, mir bewusst, dass ich an der Reihe war, zu sprechen. „...irgendwie vernünftig.“ Mehr konnte ich dazu nicht sagen. Ich konnte nicht unparteiisch denken. Nicht in dieser Angelegenheit.

Durch meine Sprachlosigkeit entstand eine nicht genießbare Stille. Ich rang mit mir, etwas Bestimmtes vorzuschlagen, das mir bereits einige Male in meinen Vorstellungen begegnet war.

„Wenn du willst... kannst du in der Übergangszeit bei mir wohnen.“ Ich hatte es hervorgebracht. Ich wusste nicht, ob ich stolz auf mich sein oder mich dafür ohrfeigen sollte.

Zuerst schaute er mich nicht an, betrachtete weiterhin den Schrank. Dann sah er mir, nahezu vorsichtig, fast, als wollte er nicht durchscheinen lassen, dass er annahm, dass ich es ernst meinte, ein wenig verwirrt ins Gesicht. Hastig setzte ich hinzu: „Dass heißt... nur bis du eine eigene Wohnung gefunden hast, natürlich.“ Ich hatte eigentlich nicht die Absicht gehabt, mein Angebot, das mich schließlich Überwindung gekostet hatte, wieder so einschränken, doch sein unsicherer Blick hatte mich regelrecht dazu gezwungen. „Nur wenn es nötig sein sollte eben. Wenn du natürlich gleich eine Wohnung findest...“ Ich ließ den Satz unvollendet. Es war eindeutig, was ich damit sagen wollte. Doch eigentlich wollte ich es gar nicht sagen.
 

Nicht lange nachdem ich von Megumi zu sprechen angefangen hatte, Schweigen uns einhüllte, uns verschluckte, uns gefangen hielt, wollte ich ausbrechen. Ich meinte: „Ich sollte jetzt dann gehen.“

„Hast du Morgen Zeit?“, fragte ich beiläufig klingend an, während wir zur Tür gingen. Ich erinnerte mich daran, dass wir ausgemacht hatten, uns Morgen wieder einmal einen Spaß daraus zu machen, mit Mundschutz durch die Stadt zu gehen.

„Hm...“, machte er nur nachdenklich, wirkte nicht, als wüsste er, woran ich dachte, was wir ausgemacht hatten, als hätte er es vergessen. „Sieht schlecht aus...“ Meine Stimmung tauchte.

„Ich habe schon was mit... Megumi vor.“, erklärte er vage.

Sie hatte den Meeresgrund erreicht. „Ah, schade.“

„Aber übermorgen hätte ich Zeit.“, bot er glückverheißend an.

Sie tauchte wieder aufwärts, ließ sich von der Strömung mitreißen.

„Zumindest so ab Nachmittag.“, fügte er noch eilig hinzu, als befürchtete er, mir falsche Hoffnungen zu machen. Dafür war es schon zu spät.
 

Auf dem Rückweg dachte ich über seine Reaktion nach. Er war natürlich in erster Linie verwirrt gewesen. Das war auch mehr als verständlich, hatte ich doch aus heiterem Himmel mit so einem Thema angefangen, was für mich an sich schon sehr ungewöhnlich war. Über etwas Privates zu sprechen zu beginnen, vollkommen ohne Anlass, das war nicht meine Art. Es war eine regelrechte Ausnahmesituation.

~Doch was war es noch? Verwirrung und...? Es musste noch etwas anderes gewesen sein. Irgendetwas gab es noch in seinem Blick. Sorge... Verwirrung, Sorge... und... Hoffnung... Ich hoffe, dass es Hoffnung war.~
 

~Eine Trennung... Was hätte eine Trennung zur Folge? - Sag es mir doch, Hyde...~

Ich saß auf meinem Sofa, das Zimmer um mich herum dunkel, kein Licht, keine Kerze. Ich hatte es noch nicht einmal bemerkt, wie dunkel es bereits geworden war.

Wie lange dachte er bereits darüber nach, das zu tun? Plante er es schon seit längerem? Waren es Monate? Waren es Jahre? Warum hatte ich ihn all das nicht gefragt?

Ich seufzte. Es würde wohl kein Problem darstellen, ihn diese Dinge das nächste Mal zu fragen. Wir würden wohl öfters in nächster Zeit über dieses Thema sprechen. Dachte ich. Ich hätte mich dafür verflucht, hätte ich gewusst, dass er nie wieder davon zu sprechen beginnen würde.

守護神 - Shugoshin - Guardian Angel

Ich legte die Karte nieder und sah der jungen Frau ins Gesicht. „Ich hätte gerne einen großen Eisbecher mit drei Kugeln Schokolade und einer Vanille, wenn das geht.“, fragte ich indirekt nach.

„Natürlich.“, meinte die Bedienung freundlich. „Kein Problem.“

„Für mich einen Kaffee, schwarz.“, bestellte Gackt mit wenigen Worten, doch ohne dass es unhöflich klang. Es war einfach nur seine zielstrebige Art. Ungewöhnlich, aber nicht unhöflich.

Es war bereits mehr als ein ganzer Monat vergangen, seit ich Gackt von meiner Überlegung, mich von Megumi zu trennen, erzählt hatte. Er hatte mich seither nicht mehr darauf angesprochen. Wir hatten uns auch nicht sehr häufig gesehen in diesen Wochen, doch seit diesem Gespräch schien sich die Atmosphäre zwischen uns verändert zu haben. Sie war noch angespannter als gewöhnlich. Wir versuchten die Situation immer wieder mit Scherzen aufzulockern, aber es half nichts. Die Spannung blieb.

Sie war auch der Grund, weshalb ich ihn nicht mehr auf seine geheim gehaltenen Songtexte angesprochen hatte. Ich wusste, dass es das Letzte war, worüber er sprechen wollte, und auch das Letzte, das die Stimmung anheben würde.

Sein Blick wanderte zu mir; ich bemerkte es zu spät, sodass ich nicht mehr unbemerkt in eine andere Richtung sehen konnte. „Nani?“

Ich schüttelte zur Antwort lediglich andeutungsweise den Kopf. Dieses Mal ging er nicht weiter darauf ein, sondern begann sogleich ein anderes Thema: „Wie weit bist du eigentlich mit deinem neuen Soloalbum?“ Smalltalk.

„Fast fertig.“, ließ ich ihn wissen, mit den Gedanken bei meinem neuen Song, bei dem ich noch hin und her überlegte, ob ich ihn auf das kommende Album tun sollte. Wegen des Textes. Würde ihn jemand verstehen? Würde er ihn zu deuten wissen? Ich sah ihn fragend an. „Warum fragst du?“

„Ich... habe mir überlegt... mein Talent als Drehbuchautor noch einmal unter Beweis zu stellen.“, antwortete er mit gewählten Worten und meine Augenbrauen hoben sich an.

„Du hast wieder ein Drehbuch geschrieben?“, wollte ich interessiert wissen. Die Spannung fiel von uns ab, als hätte sie nie existiert.

„Der Schluss fehlt noch.“, sagte er gelassen, doch ich glaubte zu sehen, dass er sich über meine rege Anteilnahme freute. „Aber ich brauche Gewissheit, bevor ich weiterschreibe.“

„Gewissheit?“, fragte ich verständnislos nach.

„Gewissheit, dass du wieder die Hauptrolle spielen wirst.“, sagte er freiheraus.

Meine Augenbrauen wagten sich noch höher. Ich keuchte leise vor Erstaunen. „Das... Also... Schon wieder ich?“, brachte ich nur heraus.

„Ich sehe es als Fortsetzung zu ‚Moon Child’.“, erklärte er sogleich, als hätte er gewusst, dass ich das sagen würde und sich bereits Antworten zurechtgelegt. Ich war mir manchmal jedoch nicht sicher, ob es nicht einfach nur so klang, weil er - im Gegensatz zu mir - so schnell antworten konnte.

„Aber keine tatsächliche Fortsetzung, also nicht inhaltlich, oder?“

Nun zog er seine Augenbrauen nach oben. „Dir ist aber schon klar, dass, dass das Auto am Ende leer war, nicht bedeutet hat, dass wir ausgestiegen sind und den Wagen haben stehen lassen, oder?“

„Ja, das ist mir schon klar, aber... Ja, okay. Es kann keine Fortsetzung sein.“, gab ich kleinlaut zu. Ich hatte mal wieder nicht lange genug nachgedacht, bevor ich zu sprechen begonnen hatte.

„Also? Interesse?“, fragte er kurz und bündig und sah mich erwartungsvoll an.

„Worum geht es denn? Und vor allem: Wann willst du mit dem Dreh anfangen? Mein Terminplan sieht nächstes Jahr nicht sehr leer aus.“

„Ich dachte auch an den Herbst.“, sagte er arglos.

„Nächstes Jahr.“, äußerte ich meine Annahme.

„Nein. Dieses Jahr.“, kam es deutlich zurück.

„Herbst? Wir haben schon März. An welchen Monat hast du denn gedacht?“, fragte ich fassungslos und sah ihn dementsprechend an.

„Na, Anfang August oder so.“, meinte er schlicht.

„Anfang August?? Wie willst du das denn so schnell alles auf die Beine gestellt bekommen?“

„Ich habe mich schon darum gekümmert. Ich habe eine provisorische Zusage von demselben Filmteam wie bei ‚Moon Child’. Ich habe schon ein paar Schauspieler gefragt, ob sie Zeit und Interesse hätten. Ich hätte so ziemlich alles schon geregelt, müsste nur noch die Verträge, die ich auch schon aufgesetzt habe, endgültig unterschreiben lassen. Es hängt eigentlich... nur noch von dir ab.“

Seine Augen durchbohrten mich, genau so wie sie es getan hatten, als er mich fragte, ob ich in seinem ersten Film mitspielen wollte. Es war das allerselbe. Und so würde es wohl auch auf das allerselbe hinauslaufen. Entweder ich würde die Rolle annehmen und der Film würde dank seines Drehbuchs ein voller Erfolg oder - es würde den Film nie geben.

Ich sah ihm ins Gesicht. Wusste er eigentlich, wie wenige Dinge dafür und wie viele dagegen sprachen? Einerseits wollte Megumi schon seit einer Ewigkeit mit mir und Joseph richtig Urlaub machen, wozu es noch nie gekommen war, da ich bis jetzt nicht die nötige Zeit aufbringen konnte. ~Und Tetsu wird mich umbringen, wenn ich - wie er es dann nennen wird - „mehr Zeit für solchen Kram habe als für die Band“. Wir haben nämlich geplant, demnächst eine neue Single aufzunehmen. Auch mein Manager wird nicht sonderlich begeistert sein, wenn mein neues Album vor Drehbeginn nicht in den Regalen steht. Es muss noch so vieles dafür gemacht werden: Studioaufnahmen, das Cover, das Booklet, Promotion Shootings, Promotion Auftritte im Fernsehen, im Radio, die Werbung auf der Website. Vier Monate sind verdammt wenig Zeit für all das. Andererseits würde ich wahnsinnig gerne wieder in einem seiner Filme mitspielen...~

Ich bemerkte, wie er mich dabei beobachtete, wie ich nachdachte.

„Nicht vor September.“, sagte ich schnell, um seinem stillen Blick zu entkommen, in dem Versuch, entschlossen zu klingen, die Für und Wieder vorerst ignorierend. Denn eigentlich konnte ich jetzt ohnehin noch keine Entscheidung treffen. Das wusste er. Hoffte ich.

„Ist das eine Zusage?“, lächelte er verschmitzt.

„Nein.“, antwortete ich hastig. Doch es war eine Lüge.

„Ich wollte damit nur klarstellen, dass, wenn du unbedingt im Juli zu drehen anfangen willst, du dir auf jeden Fall jemand anderen suchen musst.“

„Du weißt, dass ich niemand anderen will...“ Sein Blick verschlang mich. Mein Herz blieb stehen. „...für diese Rolle.“ Seine Augen funkelten. „Dann fangen wir im September an.“ Sein Beschluss stand fest. „Ich bringe dir bei Gelegenheit das Drehbuch vorbei.“ Sein Gesicht konnte die Freude nicht vollends verbergen.

„Warte mal. Worum geht es jetzt eigentlich?“, fragte ich, um nicht weiter darüber nachdenken zu müssen, ob ich bereits eine Entscheidung getroffen hatte oder nicht.

„Wie ich ja weiß, würdest du nie einfach nur einen gewöhnlichen Menschen spielen. Also wirst du das schon einmal nicht sein.“ Er grinste. Es gefiel ihm, mir unklare Antworten zu geben.

„Jetzt sag schon, worum genau geht es?“, fragte ich ungeduldig. „Wer oder was bin ich?“

„Also nimmst du das Angebot an?“, grinste er erneut teuflisch.

„Du weißt genau, was ich wissen wollte. Was ist die Figur, die du mir anzubieten hast? - Besser so?“, fragte ich noch kurz nach, in sarkastischem Ton.

„Saa... Du bist...“ Sein Blick war direkt auf meine Augen gerichtet, und doch durchbohrte er mich dieses Mal nicht. Er war weicher. Unablässig, fesselnd, und doch sanft. „...ein Engel...“

Im ersten Moment verstand ich nicht, wie er das, was er gerade gesagt hatte, meinte. Dann begriff ich, dass es die Antwort auf meine Frage war, mit der ich so schnell nicht gerechnet hatte.

„Meine Rolle... wäre ein Engel?“, fragte ich vorsichtshalber noch einmal nach.

„Ja... Du bist ein Engel.“, wiederholte er seinen Satz lediglich noch einmal, was mich etwas verwirrte. „Ein Schutzengel.“, wurde er dann doch etwas präziser.

„Ein Schutzengel also... Und was tue ich so?“, wollte ich erfahren.

„Du rettest Menschen.“, antwortete er knapp, doch dann konnte er sich nicht mehr zurückhalten, mir mehr zu erzählen und es sprudelte regelrecht aus ihm heraus. „Du bekommst Menschen zugeteilt, die du beschützen sollst. Doch du kannst nicht immer bei allen gleichzeitig sein, deshalb musst du dich manchmal entscheiden, wen du eher beschützen willst oder welches Unheil das größere und deswegen zuerst abzuwenden ist. Du hast auch nur eine begrenzte Anzahl an Einschreitungsmöglichkeiten pro Mensch, der dir zugeteilt worden ist. Beziehungsweise: Es ist eher so, dass du für jeden Menschen nur soundsoviel Energie zum Einschreiten aufwenden darfst. Wenn du einem Menschen schon so oft geholfen hast, dass diese Energie aufgebraucht ist, kannst du ihm nicht mehr helfen - und früher oder später wird er sterben.“ Ich schluckte bei diesen Worten. „Du kannst dann nichts mehr für ihn tun.“

Ich öffnete den Mund, dabei wusste ich gar nicht, was ich sagen sollte, zu gefesselt war ich von der Vorstellung, diese Last tragen zu müssen.

„Du machst dir also Vorwürfe, weil es alleine in deiner Macht liegt, wie lange die dir zugeteilten Menschen leben, denn du musst abwägen, wann du einschreitest und wann nicht, wann mit mehr und wann mit weniger Aufwand von dieser Energie. Wenn du bei vielen kleinen, eher unwichtigen Dingen eingreifst, verbrauchst du zu viel von dieser Energie, die ich ‚Protergy’ genannt habe - eine Verschmelzung aus ‚Protection’ und ‚Energy’.“ Er unterstrich seine Aussagen mit Gesten. Ich war fasziniert. „Außerdem kannst du Menschen, denen du zu viel unter die Arme greifst, unvorsichtig und damit übermütig machen. Wenn du ihnen von Anfang an das Gefühl gibst, ihnen kann nichts - oder zumindest nicht viel - passieren, dann werden sie waghalsig. Und wenn du ihnen dann nicht mehr helfen kannst, werden sie selbst es kaum schaffen, sich ausreichend zu schützen. Zu Anfang machst du solche Fehler, doch sie werden im Film nur als Rückblicke gezeigt oder erzählt. Zum Zeitpunkt der Handlung machst du dir bereits wahnsinnige Vorwürfe und bist dir der Verantwortung bewusst, die man dir auferlegt hat. Du machst dich selbst verrückt, ruhst keine Sekunde, aus Angst, es könnte etwas passieren und du wärst schuld, weil du hättest eingreifen müssen. Du versuchst dich selbst zu zerreißen, dabei sollte dir klar sein, dass es unmöglich ist, alles Schlechte vorauszusehen. Du weißt es und doch versuchst du, es nicht zuzulassen. Dein Partner, ebenfalls ein Schutzengel, versucht, dich davon abzuhalten, dass du dich selbst daran zugrunde richtest. Er will verhindern, dass du daran zerbrichst. Doch du lässt es nicht zu. Du versuchst weiterhin alles, dass niemandem etwas Ernsthaftes zustößt, dass du niemanden verlierst, ohne zu bemerken, dass du dich selbst dabei verlierst.“

Er sah mich an, als hätte ich ihm gerade die schlimmste Geschichte erzählt, die er je gehört hatte. Dabei war es nichts anderes als sein eigenes Leben, in einem etwas anderen Rahmen ausgestellt.

Er versuchte verzweifelt, es allen recht zu machen und ich war der Partner, der alles daran setzte, dass er es bemerkte, was er tat, und dass er auch einmal an sich selbst dachte. Doch es war erfolglos.

„Dieser Film ist... sehr traurig, nicht?“, fragte Hyde auf einmal zaghaft.

Ich nickte. „Ja...“ ~Es ist eine traurige Art zu leben.~

„Und was passiert dann? Wie geht es aus?“, wollte er plötzlich neugierig wissen.

Ich holte tief Luft. „Du... kannst einen deiner zugeteilten Menschen nicht mehr retten und brichst zusammen. Das ist der Moment, in dem es deinem Partner gelingt, zu dir durchzudringen und dir begreiflich zu machen, dass es so kommen musste und du nichts dagegen tun konntest. Er macht dir endlich klar, dass die Menschen einmal sterben müssen, wenn nicht an dieser, dann an jener Ursache. Du siehst es endlich ein, schaust natürlich immer noch regelmäßig nach deinen Schützlingen, hetzt aber nicht mehr vom einen zum anderen und greifst auch nur noch ein, wenn es wirklich nötig ist. Es vergehen Jahre und du hast nur noch zwei Schützlinge, für die du beide nur noch sehr wenig ‚Protergy’ übrig hast. Und plötzlich frägst du dich, was passiert, wenn du die letzten beiden auch noch verloren hast. Du hast nie über deine eigene Existenz nachgedacht, immer nur über deinen Auftrag. Das Erste, an das du dich erinnern kannst, ist, als du in einem weißen Raum aufgewacht bist und man dir deine Aufgabe erklärt und deine Schützlinge zugeteilt hat. Ab da fing deine Existenz als Engel an, doch du hast keine Erinnerung mehr an dein Leben vor dieser Existenz. Und nun, da du so kurz davor stehst, deinen Auftrag, den man dir anfangs gab - wie man im Rückblick sehen kann , endgültig zu erfüllen, stehst du vor der Frage, was danach passiert. Du hast keine Ahnung und sprichst mit deinem Partner darüber, fragst, ob er es weiß. Doch auch er kann es dir nicht sicher sagen, aber er glaubt, dass man nach dem göttlichen Dienst einen Wunsch frei hätte.“

Er blickte mir gespannt ins Gesicht, erpicht darauf, dass ich weitersprach, doch längst nicht so sehr wie ich, dass er sich dasselbe wünschen würde wie ich.

„Daraufhin willst du von ihm wissen, was er sich denn dann wünschen würde. Du selbst weißt nämlich von keinem Wunsch, den du dir gerne erfüllen würdest. Du hast ja auch noch nie darüber nachgedacht.“ Es klang wie ein direkter Vorwurf. Ich vermute, es war einer.

„Was hat er geantwortet?“, fragte Hyde gespannt, nachdem ich die Sprechpause hatte zu groß werden lassen.

„Er meinte... er wünsche sich, zusammen mit der Person, die er liebte, wieder zum Menschen zu werden.“ Seine Augen sahen mich nur stumm an. Er versuchte noch, selbst eine Antwort auf seine Frage zu finden, dann stellte er sie doch an mich: „Wer ist diese Person?“

Es war eine so einfache Frage. Doch es war nicht so einfach, sie zu beantworten. Ich zögerte. „Du...“

Es herrschte eine Weile Stille. Dann, nachdem er wahrscheinlich entschieden hatte, dass es keine einfältige Frage war, konnte er sie auch nicht länger zurückhalten: „Wer ist eigentlich mein Partner?“

Ich wusste, dass er das nun fragen würde, ich wusste, dass er das früher oder später musste. „Ich...“

Lange sah er mir in die Augen, dann, als wäre er sich in dem Moment dessen erst bewusst geworden, wandte er scheu seinen Blick ab, schlug verlegen seine Augen nieder.

„Entschuldigen Sie, dass es etwas länger gedauert hat.“, riss die Bedienung ihn, wie auch mich, aus den Gedanken. „Bitte.“, meinte sie, als sie den Eisbecher vor ihm und zugleich den Kaffee vor mir abstellte.

„Danke sehr.“, gab ich zurück. Hyde erwiderte nichts, konnte es in dem Augenblick vielleicht nicht.

Ich beobachtete ihn eine Weile, doch er rührte sich nicht. Sein Eis schmolz vor sich dahin.

„Was sagst du zu der Story?“, fragte ich ihn dann, versuchend, neutral zu klingen.

Er sah wieder auf, nachdem seine Augen unruhig hin und her gewandert waren, was sie auf meinem Gesicht fortsetzten. „Sie ist...“ Seine Stimme brach ab. Er versuchte es erneut. „...gelungen.“

Mehr konnte er dazu wohl nicht sagen. Ich wollte ihn auch zu nichts zwingen. Zu sehr fürchtete ich, dass er das Angebot letzten Endes doch noch ablehnen würde.

„Schön, dass sie dir gefällt...“, kommentierte ich. Ich hätte es gar nicht ausdrücken können, wie sehr es mich glücklich machte, dass es ihm gefiel. „Du solltest dein Eis essen. Es schmilzt schon.“

„Oh. Ja.“ Er nahm den Löffel zur Hand und begann zu essen. Dabei machte er allerdings nicht den Eindruck, als hätte er noch Appetit.
 

„Lust, Morgen was zu machen?“, fragte ich locker, als wir an der Innenseite der Eingangstür von Hydes Haus standen. Nach dem Eisessen waren wir noch eine Weile zu ihm nach Hause gegangen und irgendwann - es war nicht sonderlich viel Zeit vergangen - hatte ich das Gefühl, dass er wollte, dass ich ging. Und so sagte ich, dass ich gehen wollte. Auch wenn es eine Lüge war.

„Ich fürchte... ich habe keine Zeit...“, antwortete er nahezu vorsichtig, als wüsste er längst, dass meine Laune nicht sonderlich gut war, und wollte mich schonen. Es könnte aber auch einfach sein, dass er sich zu erinnern versuchte, was in seinem Terminkalender stand.

„Studio?“, fragte ich nach, als würde es mich jedoch gar nicht wirklich interessieren.

Selbstbeherrschung.

„Nein...“ Es wirkte, als wollte er etwas hinzufügen, sparte es jedoch absichtlich aus.

„Joseph?“, fragte ich weiter und spürte zugleich, dass ich das nicht hätte tun sollen.

„Nein, ich habe Megumi versprochen, mit ihr... was zu machen.“, klärte er mich vage auf.

~Wieso hat er mit mir darüber gesprochen, dass er überlegt, sich von ihr zu trennen, wenn er es doch nicht tut?! Worauf wartet er? Warum zögert er es hinaus? Warum zögert er? Warum tut er mir das an? Warum kann er sie nicht loslassen? Warum hört er nicht auf, sie zu lieben? Warum liebt er nicht mich? Warum? Warum habe ich keine Chance gegen sie?~

„Du weißt, dass ich es hasse zu verlieren!“, entfuhr es mir. Ich war wütend. Es war nicht nur die Tatsache an sich, dass er keine Zeit für mich hatte, nicht nur die Einbildung, dass sie ihm um ein Vielfaches wichtiger war als ich, nicht nur die Grundwahrheit, dass sie mehr Zeit mit ihm verbrachte, nicht nur die Erwähnung ihres Namens, nicht nur die Vorstellung, wie unglücklich sie ihn machte; es waren nicht nur die vielen Bilder, die auf mich einströmten, von denen ich nicht einmal mehr sagen konnte, ob sie Erinnerungen oder meiner Fantasie entsprungen waren. Es war auch nicht nur die Tatsache, dass ich spürte, wie meine Selbstbeherrschung zu zerbröckeln begann, nicht nur die, dass sich mit der Zeit so viel Wut anstauen, ohne dass ich sie abbauen konnte, sondern die, dass ich ihn praktisch dazu gebracht hatte, es mir zu sagen, dass sie der Grund ist. Ich hatte es erzwungen, obgleich ich es gar nicht wissen wollte, oder eher nicht wollte, dass ich es wusste.

„Verlieren? Wieso denn verlieren?“, fragte Hyde verwirrt. „Gegen Megumi?“

Ich konnte ihm nichts darauf antworten. Ich konnte ihn nicht einmal ansehen. Ich blickte beschämt zu Boden. Ich wusste mit einer derartigen Situation nicht umzugehen, kam ich doch so unermesslich selten in eine solche. Und diese war beispiellos.

„Ga-chan...“, begann Hyde leise, die Stille brechend. „Megumi ist zwar meine Frau, aber... die Freundschaft zu dir...“ Mein Blick hob sich unkontrolliert ein wenig an. „...ist mir trotz alledem wichtiger...“ Nun zog sein Gesicht meinen Blick regelrecht an. Mein Mund war leicht geöffnet; ich bemerkte es zuerst nicht. Meine Augen ließen seine lange Zeit nicht mehr los. Hyde sah mich warm lächelnd an. So hatte er das noch nie getan. Etwas hatte sich verändert. Es war etwas Winziges, zumindest etwas, dass man kaum sehen konnte, etwas, von dem man nicht einmal sicher sagen konnte, ob es da war. Doch ich sah es.

„Arigatou, Hai-chan...“, flüsterte ich beinahe. Dann gab ich dem Drang nach und schlang meine Arme um den kleinen, zarten Körper. Als zwei warme Arme meine Taille umschlossen, spürte ich eine Gänsehaut aufkommen; und als zwei warme Hände meinen Rücken berührten, fühlte ich die nächste; als sich die eine Hand dreimal auf und ab bewegte, in der Absicht, mir über den Rücken zu streichen, die nächsten zwei.

Aber wie immer konnte ich nur die ersten, wenigen Sekunden genießen, denn danach kreisten drei quälende Fragen in meinem Kopf herum: ~Wundert er sich, weshalb ich ihn nicht mehr loslasse?~, ~Empfindet er es als seltsam?~ und ~Fühlt er sich überhaupt wohl in dieser langen Umarmung oder will er sie beenden?~ Sie zwangen mich dazu, wieder von ihm abzulassen.

So standen wir, nachdem ich zurückgetreten war, in eigenartigem Schweigen voreinander. Hyde warf mir ein flüchtiges Lächeln zu, dann schweifte sein Blick ab, sein Kinn senkte sich etwas, seine Augen schienen nichts Bestimmtes zu sehen. Einige Male wandte ich meinen Blick von ihm, hielt mich davon ab, ihn ununterbrochen zu beobachten, aus Angst, er würde mich fragen, weshalb ich ihn derart anstarrte. Als ich meinen Blick von der Lampe nahm und wieder auf ihn richtete, schwenkten seine Augen gerade wieder zu meinem Gesicht.

„Willst du auch noch eine Zigarette?“, wollte Hyde auf einmal von mir wissen. Es war, als wäre nichts gewesen, als hätte er diese Spannung zwischen uns nicht bemerkt. Ich wusste nicht, ob mir das nun gefiel oder nicht. Ich konnte mich nicht entscheiden zwischen Aufatmen, da ich mich nicht verraten hatte, und dem Gefühl der Enttäuschung, dass diese Spannung nur Teil meiner Einbildung und Zeuge der Einseitigkeit meiner Gefühle war.

Doch ich war ein wenig überrascht. An eine Zigarette hatte ich in dieser Situation überhaupt nicht gedacht, dabei würde sie wahrscheinlich meinen Puls wieder etwas beruhigen.

„Gute Idee.“ Warum hatte ich nicht daran gedacht? - Wahrscheinlich, weil mein Kopf von anderen Dingen eingenommen war. Im Gegensatz zu seinem.
 

~Warum hat er mich schon nach so kurzer Zeit losgelassen? Fühlt er sich vielleicht unwohl? Empfindet er es als seltsam, einen Mann so lange zu umarmen?~

Ich sah wieder zu ihm hoch. Es war der Moment, in dem auch er seinen Blick wieder mir zuwandte. Ich verspürte den Drang, etwas zu sagen, die Stille zu brechen.

„Willst du auch noch eine Zigarette?“ Ich hatte es geschafft, dass es sich natürlich anhörte.

„Ii kangae da yo.“ Er wirkte nahezu erleichtert, als er das sagte.

Ich griff nach meiner Jacke, versicherte mich, dass eine Schachtel Zigaretten in der Tasche war und öffnete die Haustür. Wir gingen hinaus, stellten uns neben seinen Wagen und holten jeweils eine Zigarette aus unseren Packungen. Er steckte sich seine an, während ich noch nach meinem Feuerzeug suchte. Da ich es, nachdem seine Zigarette brannte, noch immer nicht in der Hand hielt, zippte er sein Feuerzeug ein weiteres Mal auf und zündete damit auch meine Zigarette an.

„Arigatou...“, murmelte ich, mit meiner Zigarette im Mund.

Von dem Zeitpunkt an standen wir still in der Dunkelheit, nur eine Straßenlaterne ein paar Meter weiter unterbrach sie. Und unsere brennenden Zigaretten, die uns unsere Gesichter besser erkennen ließen. Wir sprachen nicht.

Gackt stand gelassen da, genoss das Rauchen sichtlich. Ich warf ihm immer wieder verstohlene Blicke zu, trat eher nervös von einem Bein auf das andere. Die Nachtluft war nicht kühl.

Als Gackt seine Zigarette auf den Boden fallen ließ und austrat, tat ich es ihm nach, bemerkte erst dann, dass ich meine bereits viel weiter, als ich es gewöhnlich tat, heruntergeraucht hatte.

Wir sahen uns einen Augenblick an, dann umarmte er mich zum Abschied. Und wieder ließ er mich viel zu schnell wieder los.

„Bis bald hoffentlich.“, sagte ich, zu leise für eine gewöhnliche Verabschiedung.

„Jaa, mata ne.“, meinte er noch, bevor er um den Wagen herum lief und einstieg. Er schien es nicht bemerkt zu haben. Als er den Motor angelassen hatte, winkte er mir noch einmal kurz zu, bevor er davonfuhr und mich in der Dunkelheit zurückließ.

Wie konnte es sein, dass mir Gackts Wohnung heller erschien, obgleich sie noch weniger erleuchtet war als diese Straße?

契約書 - Keiyakusho - Contract

Ich weiß nicht mehr wie, doch irgendwie hatte es Gackt doch tatsächlich geschafft, dass ich bereits acht Tage später bei ihm war, auf seinem Bürosessel saß, mit einem Stempel in der Hand, der nur noch wenige Zentimeter über der Stelle des Papiers schwebte, die eine Linie zeigte, auf die ich mein Zeichen setzen sollte, um den Vertrag gültig werden zu lassen.

Ich zögerte noch, las alles bis ins kleinste Detail durch, bis Gackt zu lachen begann. „Haido! Du tust ja gerade so, als wärst du dir sicher, dass ich dich über den Tisch ziehen will!“

„Ach was, nein, das glaube ich nicht.“, stritt ich ab. „Ich... schaue mir Verträge lediglich prinzipiell sehr genau an.“, behauptete ich, dabei tat das meist nur mein Manager, und nicht ich. Ich hatte auch zuerst überlegt, meinen Manager mitzubringen, doch Geschäfte mit Gackt waren mehr privater Natur. Mehr noch als nur privat.

„Ah, sou desu ka.“, meinte er lediglich, neckend. Ich warf ihm einen strafenden Blick zu, ließ aber endlich den Stempel auf das Papier nieder.

„Geht doch.“, grinste er und stieß sich von der Tischkante ab, gegen die er gelehnt hatte. „Wollen wir auf unser neues Projekt anstoßen?“

„Eigentlich sollte ich keinen Alkohol trinken, wenn ich noch fahren will.“, ließ ich ihn wissen.

„Ach, komm schon, ein Schluck Sake schadet nicht. Das müssen wir doch feiern!“, sagte er beschwingt, auf dem Weg in die Küche. Ich hatte keine Wahl. Ich wollte seine gute Laune nicht zerstören. Er war schon lange nicht mehr in einer so ausgelassenen Stimmung gewesen. In letzter Zeit war er eher launisch und leicht reizbar. Das kam bestimmt daher, dass er nicht genügend aß. Der Zustand seines Körpers schien sich nämlich auch nicht zu verbessern; er war noch immer unglaublich dürr, wurde eher noch magerer im Laufe der Zeit. Ich machte mir wirklich ernsthafte Sorgen um ihn. Doch in solchen Situationen, in denen er glücklich schien, versuchte ich, das nicht zu sehen, versuchte, es ihm nicht zu zeigen, dass ich es sah, und versuchte, alles zu tun, um ihm seine Freude nicht zu nehmen.

Eine halbe Stunde später lagen wir beide mit dem Rücken auf dem Wohnzimmerteppich, unsere Gläser leer, die Flasche zum Glück nur zur Hälfte. Gackt hatte die Stehlampe am Schreibtisch ausgeschalten, sodass nur noch die vielen Kerzen - kleine und ungewöhnlich große , die im Raum verteilt waren, brannten. Es waren so unglaublich viele. Ich fragte mich, wie lange er täglich brauchte, um sie alle anzuzünden. Oder ob das ein Angestellter für ihn tat.

„Ich freu mich schon total darauf, wieder mit dir zu drehen.“, sagte Gackt plötzlich in die Stille hinein und legte sich auf die Seite, wandte sich mir zu, den Kopf auf seinem linken Arm abstützend. Er sah mir in die Augen. Wieder einmal hatte ich das Gefühl, dass er in mich hineinsehen konnte.

„Ich mich auch.“, meinte ich mit schwacher Stimme und tat es ihm gleich, drehte mich ebenfalls zur Seite, stützte meinen Kopf auf dem rechten Arm ab, sodass unsere Blicke einander zugewandt waren. Ich glaube, ich dachte, dass ich das sagen müsste, weil er es sonst in meinen Augen las und sich fragte, weshalb ich es nicht aussprach. Ob er wusste, wie sehr?
 

Er war mir so nahe. Nicht mehr als meinen Arm müsste ich ausstrecken, um ihn zu berühren. Doch ich tat es nicht, konnte es nicht. Ich blickte nur in seine dunklen Augen, die mich erwartungsvoll ansahen, als wüssten sie, dass ich gleich zu sprechen beginnen würde.

„Kennst du das Gefühl, etwas tun zu wollen, aber dein Stolz verbietet es dir?“

Er sah mich eine Weile an, als wäre er sich sicher, er wüsste, was nun kam - als befürchtete er, es zu wissen. Dementsprechend unsicher antwortete er: „Ich glaube schon.“ Dann schaute er mich aufmerksam an, wartend und wieder sprachlos.

„Kannst du deinen Stolz dann beiseite schieben?“, fragte ich weiter.

„Iie...“, kam es leise zurück, niedergeschlagen, beinahe schon schuldbewusst.

„Würdest du es tun, wenn du könntest?“ Wie lange hatte mein Blick ihn nicht mehr losgelassen? Konnte ich es überhaupt noch ein weiteres Mal? Würde er den Blickkontakt brechen?

Seine Augen schienen eine Antwort auf meine Frage in meinem Gesicht zu suchen. Als er sie schließlich, nach einem Meer von Sekunden, gefunden hatte, wisperte er ein winzig kleines, kaum hörbares „Hai“ und nickte noch zusätzlich, vielleicht, weil er sich nicht sicher war, ob ich ihn hören konnte. Vielleicht schlug auch sein Herz so laut wie meines und übertönte seine eigene Stimme. Hätte meines nicht für einen Augenblick der Spannung ausgesetzt, hätte ich seine Antwort womöglich wirklich nicht gehört. Wie laut ein Schweigen doch sein konnte.

Das Sprechen fiel mir immer schwerer. „Würdest du wollen, dass dir, weil du es nicht schaffst, jemand die Aufgabe abnimmt?“ Sein Blick war Antwort genug.

„Könntest du mit den Konsequenzen leben, wenn es jemand tut?“

Ein tiefer Blick, ein Hauch einer Stimme: „Hai...“

Meine Kehle war trocken, mein Kopf leer, bis auf einen Gedanken. „Willst du es jetzt?“

Er öffnete zwar leicht seinen Mund, doch kein Laut verließ seine Lippen, bis ich mich, ihm tief in die Augen schauend, langsam zu ihm vorgelehnt und diese sanft berührt hatte; dies entlockte ihm ein unglaublich leises, beinahe atemloses Keuchen, das mich erzittern ließ.

Zeitgleich öffneten wir die Augen wieder, sahen in die des Gegenübers, dann zu dessen Lippen und schlossen die Lider erneut, um die zarte Berührung unserer Lippen deutlich spüren zu können. Dieses Gefühl, das er in mir auslöste, war unbeschreiblich.

Wieder und wieder und wieder ließ ich meine Lippen auf seine treffen. Und jedes Mal wartete ich auf eine Reaktion von ihnen, eine Erwiderung von ihm.

~Küss mich... Küss mich endlich...~, flehte ich, meine Gedanken bei den unbeteiligten Lippen, die bewegungslos unter meinen lagen. ~Zeige mir, dass nicht nur ich es will...~

Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Er erwiderte nichts. Er wehrte sich nicht. Er tat gar nichts.

Was sollte ich tun? Sollte ich aufhören? Sollte ich ihm Zeit geben, seine Gedanken zu verstehen? Suchte er einen Weg, mich nicht allzu hart zurückzuweisen? Wollte er mich mit seiner Reaktion nicht zu sehr verletzen? Wie lange wollte er seine Antwort noch herauszögern? Wie viele dieser endlosen Sekunden? Hätte er, wenn er dasselbe für mich empfinden würde, nicht längst mein Handeln erwidert?

Ich ließ alles mit mir geschehen, zu schwach, um etwas zu tun, etwas anderes als zu spüren; denn es war so viel, zu viel auf einmal. Mehr als ich je gefühlt hatte, mehr als ich mir hätte ausmalen können. Es überwältigte mich. Meine Arme lagen tatenlos von mir gestreckt da, schwer und kraftlos. Ich war ihm hilflos ausgeliefert. Doch etwas Schöneres konnte ich mir nicht vorstellen.

Er war über mir, küsste mich, leidenschaftlich. Ich spürte seinen Körper, seine Hände. Ich glaubte, nicht mehr atmen zu können. Er war überall. Ich konnte nur noch ihn atmen.

Ich konnte meine Hände nicht mehr länger zurückhalten. Mein rechter Arm legte sich über seine Taille, meine Hand fuhr, verzweifelt nach Halt suchend, über seinen Rücken, drückte seinen Körper unausweichlich in meine Richtung. Mein Kuss wurde verlangender, zwang ihn zurück. Sein Arm, auf den sein Kopf gestützt war, gab nach, schien ihn nicht mehr tragen zu können, ließ ihn zu Boden sinken. Ich war halb über ihm, sah auf seine geschlossenen Augen, seinen halb geöffneten Mund, und musste ihn küssen. Seine Lippen bebten leicht.

~Berühre mich... Berühre mich endlich...~, flehte ich, meine Gedanken bei den untätigen Händen, die auf dem Teppichboden lagen. ~Zeige mir, dass nicht nur ich all das will...~

Meine Hand fuhr verzweifelt von seinem Hals in seine Haare, strich flehend wieder hinab zu seiner Schulter, seinen Arm entlang, bis hin zu seiner Hand, die ich mit meiner verschränkte, sie drückte, und die Verschränkung wieder löste, nachdem kaum eine Reaktion seiner Hand wahrzunehmen war. Ich bekam Angst.

Meine Hand verfolgte ihren Weg, seinen Arm entlang, wieder zurück, legte sich in seinen Nacken. Endlich, sachte, unendlich sachte, begannen seine Lippen sich mit meinen zu bewegen, zaghaft berührten mich seine Hände, unbeholfen strichen sie über meine Schultern, vorsichtig strichen sie bis zu meinem Hals hinauf, riefen eine weitere Gänsehaut hervor.

In diesem Moment machte er mich so unwahrscheinlich glücklich. Seine Resonanz, seine stumme Antwort, machte mich glücklicher als alles, was mich je zuvor Glück verspüren ließ.

Es war so traumhaft, und doch so unglaublich real. Er küsste mich, innig, wie ich es mir schon vor so langer Zeit ausgemalt hatte, und doch war es ganz anders. Es war längst nicht mehr dieser schüchterne Kuss, den ich mir vorgestellt hatte. Es war ein verzweifelter, ein hungriger.

Mein Körper bebte, mein Herzschlag war aus seinem Rhythmus. Ein Keuchen entfuhr mir, als seine Lippen unerwartet von meinen abließen. Ich schlug langsam die Augen auf.

Gackts Gesicht war ganz nahe, doch sein Blick war zur Seite, der Wohnungstür zugewandt. Erst jetzt hörte ich das Klopfen. Er hielt den Atem an und horchte in die Stille, die immer wieder von den Geräuschen an der Tür unterbrochen wurde. Dann sah er wieder mich an, schloss seine Augen und küsste mich. Unwillkürlich schlossen sich auch meine und das Klopfen war vergessen, alles außer Gackt wieder weit entfernt.
 

Es hätten Sekunden oder auch Stunden vergangen sein können, als meine Lippen von den seinen abließen und ich die Augen aufschlug. Unter mir erblickte ich meinen kleinen Engel, der - wie ich selbst - noch etwas schneller als gewöhnlich atmete und mit leicht geöffnetem Mund, aber geschlossenen Augen dalag, seine Arme um meinen Oberkörper geschlungen. Es dauerte einen Augenblick, dann öffnete er seine dunklen Augen, suchte meine in der Dunkelheit. Bis auf ein paar wenige waren in der Zwischenzeit alle Kerzen erloschen. Das Licht dieser wenigen Quellen reichte gerade aus, um Umrisse und Bewegungen zu erkennen. Es herrschte absolute Stille. Stumm sahen wir uns an. Keiner wagte es, das Geschehene oder gar Gedachtes in Worte zu fassen.

Um diese Atmosphäre zu zerbrechen, ließ ich zwei meiner Finger seine Wange auf und ab streichen. Für einen Moment glaubte ich, ihn seine Augen schließen zu sehen.
 

Als ich meine Augen öffnete, war der Raum, in dem ich mich befand, von Tageslicht erfüllt. Ich wurde mir dem Bett unter meinem Körper bewusst und der Decke über diesem. Und des Körpers an diesem. Sofort fühlte ich mich hellwach.

Auch ohne ihn zu sehen, wusste ich, wer hinter mir lag, wessen Arm auf meiner Hüfte ruhte. Ich wusste, was letzte Nacht passiert war. Ich wusste, dass wir nur das getan hatten, was unser Gefühl uns gesagt hatte. Ich wusste nur nicht, wie ich jetzt damit umgehen sollte.

Ich wusste, dass wir nicht zu weit gegangen waren. Ich wusste, dass es nur unschuldige Berührungen gewesen waren. Und doch fühlte es sich jetzt falsch an. Es war falsch.

Was hatte ich nur getan? Megumi... Joseph... Gackt... Nur an ihn hatte ich gedacht, nur an mich, nur an uns. Nicht an meine Familie, nicht an mein alltägliches Leben. Es war rücksichtslos. Es war unbedacht. Es war ein Fehler.

~Doch warum weiß ich ganz sicher, dass ich diese Nacht niemals werde vergessen können? Warum kann ich sicher sagen, dass ich mein alltägliches Leben jetzt, nach dieser Nacht, niemals so weiterführen kann wie bisher? Warum will ich es nicht?

Ich habe Pflichten. Ich trage Verantwortung. Ich darf nicht egoistisch sein. Was soll ich nur tun?~ Gackt bewegte sich. Mein Herz blieb einen Augenblick lang stehen. Was sollte ich sagen? Wie sollte ich mich verhalten? Wie sollte ich reagieren, wenn er mir näher kam? Meine Gedanken schienen gasförmig geworden zu sein.

„Ohayou...“, wisperte er in meine Gedanken hinein und ich wusste sofort, dass er schon länger als ich selbst wach war. Er hatte nur darauf gewartet, dass ich aufwachen würde.

„Ohayou...“, hauchte ich zurück und schwieg daraufhin. Er rückte noch näher an mich heran, richtete sich etwas auf, um über meine Schulter in mein Gesicht zu sehen, über das er jetzt sanft seinen Handrücken streifen ließ. Er musste es einfach spüren, wie sich mein ganzer Körper anspannte.

Ich spürte es, doch ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, sondern weiterhin beruhigend über seine Wange zu streichen. Es musste der erste Schock sein. Ich hoffte, dass es nichts Schlimmeres war.

„Wie hast du geschlafen?“, wollte ich unser Gespräch mit etwas Unverfänglichem weiterführen.

„Ganz gut...“, kam es angespannt zurück.

„Ich...“, begann ich, entschied mich aber dagegen, ihn jetzt direkt darauf anzusprechen. Stattdessen fragte ich ihn in gewollt positivem Tonfall: „Wollen wir aufstehen und etwas frühstücken?“

Es verging eine gewisse Zeit, bis seine Antwort kam: „Ja. Aber ich... habe keinen Hunger.“

Mit diesen Worten machte er Anstalten, sich zu erheben, und für einen Moment spielte ich mit dem Gedanken, ihn davon abzuhalten, davonzulaufen; doch ich dachte, es wäre besser, wenn ich ihm nichts aufzwang und ihm Raum gab, um zu denken und herauszufinden, wie er sich gerade fühlte. Aber es war nicht einfach, ihn sich aufsetzen und das Bett wie auch, nachdem er seine restlichen Kleider an einer Stuhllehne hängend entdeckt und an sich genommen hatte, den Raum verlassen zu sehen. Ohne einen Blick zurückzuwerfen, hatte er die Tür geöffnet und wieder hinter sich geschlossen. ~Ich muss mit ihm reden...~
 

~Was soll ich tun? Was soll ich nur tun??~ Ruhelos lief ich im Badezimmer umher. Nachdem ich mich angezogen hatte, wusste ich nicht, was ich als Nächstes tun sollte. Ich war ratlos, verzweifelt. ~Was habe ich getan?~ Ich konnte noch immer nicht begreifen, was in der Nacht passiert war, was ich zugelassen, was ich getan, was ich gefühlt hatte, was ich jetzt fühlte. Ich verstand es nicht.

~Was denkt er jetzt von mir? Was erwartet er? Was stellt er sich vor, wie wir uns jetzt verhalten sollen, was wir jetzt tun sollen? Sag es mir, Ga-chan...~

„Hai-chan? Willst du noch viel länger da drin bleiben?“ Er hatte mich erhört.

Ich warf einen schnellen Blick in den Spiegel, zupfte meine Haare zurecht, die ich in all der Aufregung zu kämmen vergessen hatte, und ging zur Tür, öffnete sie, erblickte Gackt - und fühlte meinen Körper, wie ich ihn noch nie zuvor gefühlt hatte.

„Wie fühlst du dich?“, fragte Gackt, als könnte er es sehen.

„Eigenartig.“, war meine ehrliche Antwort. Dennoch konnte ich ihm nicht in die Augen sehen. Er zwang mich nicht dazu. Betretenes Schweigen. Er brach es für mich.

„Lass uns... frühstücken, in Ordnung?“ Ich wusste, er lächelte mir Mut zu, doch ich konnte ihn nicht ansehen, konnte seine Hilfe nicht annehmen. Dabei wollte ich es.

„Ich...“ Ich brach ab. Es war falscher Mut, mit dem ich weitersprach: „Ich würde lieber gehen.“

Jetzt wagte ich es erst recht nicht, ihm ins Gesicht zu sehen. Ich wusste, seine Augen würden etwas von ihrem Leuchten verloren haben.

„Ich werde dich nicht aufhalten, wenn du gehen willst, aber...“ Gackts Stimme war ruhig. „...du solltest es nicht tun. Wir sollten reden.“ Es war so vernünftig, was er sagte. Doch es war nicht das, was mein Gewissen mir sagte. Ich musste aus seiner Wohnung. Ich hatte das Gefühl, hier nicht denken zu können. Ich brauchte Abstand, ich brauchte Zeit, ich hatte Angst. Angst, alles falsch zu machen, Angst, Fehler zu begehen, Angst, Fehler begangen zu haben, und am meisten Angst hatte ich davor, Gackt zu verletzen.

„Es tut mir leid.“ Das war das Einzige, das ich ohne Bedenken aussprechen konnte.

Ich wagte es, meine Augen für einen kurzen Augenblick zu seinen wandern zu lassen. Sie sahen mich traurig an, was irgendeinen Teil in mir schmerzhaft verkrampfte. „Ich muss wirklich gehen.“, versuchte ich zu erklären, bereits auf dem Weg zur Tür. Er folgte mir langsam, sah mir dabei zu, wie ich hastig meine Schuhe anzog, lehnte dabei an der Wand direkt neben der Tür.

Ich legte die Hand auf die Türklinke, mein Gesicht seinem zugewandt. Er stieß sich leicht von der Wand ab und tat den einen letzten möglichen Schritt auf mich zu. Mein Herz imitierte das Intro von „The Black Rose“. Nur schneller. Er legte seine Arme um mich. Es fühlte sich auf eine grausame Art und Weise mehr als gewöhnlich nach Abschied an.
 

Seine Hände berührten meinen Rücken nur flüchtig. Doch auch so hätte ich gespürt, wie unangenehm es ihm war, dass ich ihn jetzt umarmte. Aber ich konnte ihn nicht ohne jegliche Form des Abschieds gehen lassen. Eigentlich wollte ich ihn überhaupt nicht gehen lassen, und ich wollte ihn noch einmal nahe bei mir spüren. Wer wusste, wann ich das nächste Mal die Gelegenheit dazu hatte.

Er wich ein Stück zurück, ich lockerte meine Umarmung und machte ihm Platz, sodass er die Tür öffnen konnte. „Jaa. Mata.“, war seine knappe Verabschiedung.

„Dekireba chikai uchi ni.“ Meine Worte waren wohl unmissverständlich.

Nie werde ich den Anblick seiner Augen in diesem Moment vergessen, so kurz bevor er durch die Tür verschwand. Sie zeigten Erkenntnis, sie zeigten Entsetzen, sie zeigten Angst.

病気愛は - Byouki ai ha - A Disease Love is

Meine Beine gaben nach, ließen mich auf die Knie sinken, und letztendlich zu Boden. Ich zitterte. Wie hatte ich es nach Hause geschafft? Ich verstand es nicht.

In zwei Tagen war ihr Geburtstag. Wie konnte ich es drei Tage vor ihrem Geburtstag zulassen, dass Gackt mich küsste? Ich verstand mich nicht.

Wie sollte ich Megumi gegenübertreten? Würde sie die Veränderung bemerken? Wie sollte ich mit ihr ihren Geburtstag feiern? Wie konnte ich das? Ich wollte es nicht.

Ich hätte alles dafür gegeben, es nicht tun zu müssen. Doch ich musste. Und eine gewisse Tatsache machte mir den Gedanken an die Geburtstagsfeier nicht leichter: Gackt stand ebenfalls auf der Gästeliste. Würde er kommen? Nach dem heutigen Tag? Nach der gestrigen Nacht?

„Tadaima!“, kam es von der Haustüre, die sich scheinbar eben geöffnet hatte. Ich hörte, wie sie geschlossen wurde. ~Was soll ich tun?~ Ich versuchte aufzustehen. Ich hörte sie in Richtung Arbeitszimmer kommen. Die Tür stand noch offen.

„Okaeri.“, brachte ich mühsam hervor, nachdem sie in der Tür erschienen war. Sie erblickte mich, auf dem Sofa sitzend, mit Schweißperlen auf der Stirn. Es war kalter Schweiß.

„Was ist denn los? Du siehst aber gar nicht gut aus. Bist du krank?“, wollte sie wissen.

~Eine gute Idee...~ „Ich glaube schon...“, nahm ich ihren Vorschlag an. „Ich fühle mich nicht gut.“

Sie strich mir zärtlich über die Stirn. „Oh, nein... Doch nicht so kurz vor meinem Geburtstag...“

Es brach mir das Herz zu sehen, wie unglücklich sie die Vorstellung machte, dass ich bei ihrer Geburtstagsfeier nicht in der Lage sein könnte mitzufeiern.

„Ich glaube, es ist nichts Ernstes. Bis Übermorgen ist bestimmt wieder alles in Ordnung.“, versuchte ich sie zu beruhigen. Sie lächelte erleichtert. „Ich muss mich nur etwas ausruhen.“

„Dann mache ich dir jetzt etwas zu essen und dann legst du dich eine Weile hin.“, schlug sie vor, bereits auf dem Weg aus dem Raum, in die Küche.

„Ich...“ Sie hielt inne, drehte sich zu mir um. „Ich habe keinen Hunger. Ich lege mich gleich hin.“

„Na gut... Aber später musst du etwas essen, wenn du wieder gesund werden willst.“

~Kein Essen dieser Welt, keine Medizin, nichts kann diese Krankheit heilen...~
 

„Kawaii!“ Ich wusste, dass es ihr gefallen würde. Sie nahm die Petroliumlampe in Herzform aus der Geschenkverpackung und betrachtete sie von allen Seiten, stellte sie vorsichtig und wohl platziert in die Mitte des Wohnzimmertisches, bevor sie sich wieder zu mir umdrehte und ihre Arme um mich schlang. „Arigatou, anata!“ Dasselbe hatte sie bereits bei dem riesigen Strauß Blumen getan, den ich ihr geschenkt hatte. Nur dass sie zu den Rosen „Kirei na!“ gesagt hatte.

Sie strahlte über das ganze Gesicht und doch konnte ich mich nicht wirklich mit ihr freuen, nicht in der Art, wie ich es früher getan hätte. Wie ich es geliebt hatte, wenn ich ihr eine Freude machen konnte, egal wie klein sie auch war. Warum war das nicht mehr so? Was war die Ursache? Dass ich sie überhaupt nicht mehr liebte? Dass ich ein schlechtes Gewissen hatte, weil ich jemand anderen liebte? Kann man zwei Menschen gleichzeitig lieben?

Sie küsste mich. Es war seltsam. Es fühlte sich einfach nur eigenartig an. Ihre Lippen hatten eine andere Form als die Gackts. Sie waren weich, doch auf eine andere Art und Weise als die Gackts. Und sie küssten mich vollkommen anders als die Gackts.

Ich bemerkte, dass ich vergessen hatte, wie ich sie küsste. Würde sie den Unterschied bemerken, wenn ich es nicht wie gewohnt tat? Würde sie die Anspannung spüren, die permanent da war, wenn wir uns nahe waren? Eine Anspannung, die einen ganz anderen Ursprung hatte, als die, die ich in Gackts Nähe verspürte.
 

Er stand neben dem Geburtstagskind und dessen Kind, begrüßte lächelnd die Gäste, die das gemietete Lokal betraten. Er lächelte, doch, wer ihn kannte, erkannte, dass es nur ein aufgesetztes Lächeln war. Es waren nicht sehr viele.

Tetsu war in jedem Fall einer von ihnen. Er flüsterte Hyde gerade etwas ins Ohr, als ein zweiter von diesen wenigen Menschen den Raum betrat. Er ging zielstrebig auf Hyde zu, schien sich im letzten Moment umzuentscheiden und doch zuerst dem Geburtstagskind zu gratulieren, flüchtig, bevor er Hyde um den Hals fiel, der sich gerade erst von Tetsu abgewandt und den neuen Gast noch gar nicht bemerkt hatte. Auf Hydes Gesicht erschien, nach einem überraschten Ausdruck, ein ehrliches Lächeln. Er freute sich sehr, wieder einmal Sakura zu sehen. Doch nach ein paar Worten wollte dieser wissen, was mit Hyde los war, warum er so unglücklich aussah. Und schon kam das unangenehme Gefühl zurück, das Hyde verspürte, jedes Mal, wenn er log. „Ich bin nur ein wenig krank.“

Sakura wie auch Tetsu wussten, dass es nicht so war, aber solange er neben Megumi stand, konnten sie ihn nicht dazu zwingen, ihnen die Wahrheit zu sagen. Und so ließen sie ihn vorerst in Ruhe, gingen zu den anderen Gästen, versuchten sich zu amüsieren, auch wenn sie die meiste Zeit nur damit verbrachten, sich Sorgen zu machen und immer wieder kummervolle Blicke zu Hyde zu werfen, der mit unveränderter Miene die Gäste begrüßte. Nur ab und zu, wenn gerade keine neuen Gäste in Sichtweite waren, schien sein Blick abzuschweifen und nach etwas zu suchen. Er konnte es anscheinend nicht finden.

„Doiha?“ Ich wandte meinen Kopf zur Seite, erblickte wieder einmal Tetsu, der mir ins Ohr sprach.

„Hm?“, machte ich nur, hoffte, dass es dieses Mal einen anderen Grund haben würde, dass er mich ansprach. Doch - vergebens.

„Kann ich jetzt kurz mit dir sprechen?“, fragte er nachdrücklich; es war bereits sein zweiter Versuch.

Ich seufzte. Megumi wurde gerade von ein paar Freundinnen an einen Tisch gezerrt, die meinten, sie hätte mittlerweile lange genug nur Gäste begrüßt. „Die wichtigsten sind alle da; wer jetzt noch kommt, braucht nicht extra begrüßt zu werden.“, sagten sie. ~Das ist nicht wahr.~, dachte ich. Sie hatten keine Ahnung, wer wichtig war. Ich warf noch einen Blick in die leere Eingangshalle, bevor ich, an Tetsu gewandt, meinte: „Na gut. Wenn es unbedingt sein muss.“

„Es muss.“, erwiderte er und zog mich in ein Nebenzimmer. Es war scheinbar ein Lagerraum für Stühle. Bis auf ein paar Stapelreihen war er leer. „Was ist los mit dir?“ Ich öffnete den Mund mit einem Ausdruck, der Tetsu sagen sollte, dass ich ihm das heute schon mehrmals gesagt hatte. „Und ich will jetzt nicht hören, dass es daran liegt, dass du noch krank bist. Das kaufe ich dir nämlich nicht ab.“, stellte er sogleich klar. „Ich habe dich noch nie so durcheinander erlebt. Es muss irgendwas passiert sein. Das kann gar nicht anders sein. Sakura sieht das auch so. Du kannst so etwas nicht vor uns geheim halten. Also sag schon.“

Ich schloss die Augen, schüttelte schwach den Kopf. „Tet-chan... Ich bin wirklich nur nicht ganz fit. Du hast mich eben selten krank erlebt, das ist alles. Jetzt glaube mir doch. Wieso sollte ich dich anlügen?“ Ich sollte ihn nicht anlügen, aber ich wollte es, um jeden Preis.

„Versprichst du mir, dass du es mir irgendwann erzählst?“, fragte er plötzlich. Es war bemerkenswert, wie sicher er sich seiner Sache war. Ich glaubte, Traurigkeit in seinem Blick zu erkennen.

Ich blickte ihm zum ersten Mal an diesem Tag direkt in die Augen. „Ich verspreche es.“

Tetsu lächelte mit nur einem Mundwinkel. Er klopfte mir auf die Schulter. „Komm, jetzt darfst du weiter den Gutgelaunten mimen. Ich weiß ja, dass du es nur Mei-chan zuliebe tust.“

Ob er gesehen hatte, wie tief seine letzten Worte meine Stimmung versenkten? Ich hoffte, nicht.

僕の名字 - Boku no myouji - My Last Name

Nachdem Hyde gegangen war, stand ich noch eine ganze Weile an der Tür. Ich wusste nicht, warum, aber vielleicht hoffte ich - so aussichtslos dies auch war , er würde wieder zurückkommen.

~I am longing for you the moment you walk out the door...~ Ich wusste, noch in dem Moment, in dem ich diesen Gedanken in meinem Kopf laut werden ließ, dass es die erste Zeile eines neuen Songes sein würde. ~I would do anything to wipe away your fears... Anything...~ Wie in Trance fand ich den Weg zu meinem Schreibtisch, ohne meine Gedankenkette abreißen zu lassen, obgleich ich den Vertrag wahrnahm, dessen Siegel, der Beweis unseres Paktes, das Versprechen des Wiedersehens. Ich ließ die Feder über ein unbeschriebenes Blatt wandern.
 

I am longing for you the moment you walk out the door

I would do anything to wipe away your fears, anything

I would sign every contract you want me to

Let them be contracts to tether our souls together
 

I knew long before that it would end like this

There was nothing contradicting it

Everything was telling me this

It was my destiny to become what I’ve become

Yours
 

I would give you everything

no matter our fame

no matter our sexes

I’d even give you my name
 

I’m longing for you

After getting one small foretaste of your lips

As if I had always been addicted to you
 

It’s not that it is interdicted

But still it’s not nonrestricted

I now am afflicted

with being addicted

to you
 

I would give you everything

no matter our fame

no matter our sexes

I’d even give you my name
 

Ich begann zu singen. Meine Gedanken jedoch waren bei dem grausamen Gefühl, das ich verspürte, jedes Mal, wenn Megumi mich küsste. Reue.

Ich konnte ihr in den letzten Wochen kaum in die Augen sehen. Ich schämte mich. So unsagbar.

Wenn ich an Gackt dachte, mischten sich so viele Gefühle, dass ich überhaupt nicht sagen konnte, was ich empfand. Es war zu viel. „Love is what I’m feeling...“ Wie konnte ich nur von Liebe singen, ohne mir sicher zu sein, was es ist? Hatte ich das Recht dazu?

„STOP!“, schrie er in den Raum hinein und ging zügig zu der Sprechanlage, über die man mit der Person im Nebenzimmer sprechen konnte. „Was ist denn los mit dir? Du triffst keinen einzigen Ton! So können wir keine neue Single aufnehmen!“

Die Person im Nebenzimmer schwieg. Sie fuhr sich lediglich seufzend durch die Haare.

„Gomen nasai...“, erwiderte ich schließlich leise und sah aus dem Augenwinkel, wie Tetsu den Raum verließ. Einen Augenblick später stand er vor mir, aufgebracht.

„Irgendetwas stimmt mit dir doch nicht! Und bestimmt weißt du auch, was es ist!“, setzte er voraus. „Du bist nicht einfach nur krank; es ist etwas anderes, da bin ich mir ganz sicher!“ Er wusste, dass es so wahr. Er hatte mich noch nie so erlebt. Er wusste, dass es etwas Schwerwiegendes war.

„Ich kann im Moment nicht darüber sprechen.“, wich ich aus.

„Wann dann? An Mei-chans Geburtstag konntest du auch nicht darüber sprechen, und das ist jetzt schon ein paar Wochen her! Und überhaupt, was spielt es für eine Rolle, wann?“, wollte er verwirrt wissen.

„Ich muss... mir erst selbst darüber im Klaren werden.“, sagte ich letztendlich. Dabei war die Nacht bei Gackt bereits über drei Wochen her und ich war keinen Schritt weiter. Ich hatte mich nicht mehr bei ihm gemeldet, hatte seine Anrufe nicht entgegengenommen und so getan, als wäre ich nicht da, wenn es an der Haustüre geklingelt hatte. Was sollte ich tun, wenn ich nicht wusste, was ich tun sollte, wenn er mir gegenüber stünde? Blieb mir da eine andere Wahl, als ihn zu meiden? Ich wusste, dass ich mich ihm früher oder später stellen musste. Ihm, meinen Gefühlen und meinem schlechten Gewissen. Das war ich ihm, mir und Megumi schuldig.

Tetsu blickte mich ratlos an. Natürlich, schließlich hatte ihn nichts, was ich zu ihm gesagt hatte, auch nur ein Stück weitergebracht. „Und wann, glaubst du, wird das sein? Weil lange will ich mir das nicht mehr mitansehen.“ Ich nickte nur, schuldbewusst. Ich wusste, dass er sich nur Sorgen um mich machte und nicht verstehen wollte, dass ich ihm nicht sagte, was es war. Verständnisvoll fuhr er fort: „Dann geh jetzt nach Hause und beeil dich mit dem Klarwerden. Ruf mich an, wenn du mit mir reden willst.“ Er umarmte mich. „Du weißt, dass du das jederzeit kannst.“

Ich lächelte ihn dankbar an. „Arigatou, Tet-chan.“

„Schon gut. Jetzt hau schon ab.“, sagte er schwach.

„Ich melde mich so schnell ich kann.“, versprach ich ihm.

„Hai. Mach das.“ Ich sagte noch etwas zum Abschied zu den anderen, die noch im Nebenraum waren, bevor ich das Studio verließ. Und da war es wieder. Dieses Gefühl des unbewussten Wollens. Mein Blick wanderte über die Brücke auf die andere Seite des Flusses - und plötzlich wusste ich, was es war. Dass ich es nie bemerkt hatte! Dass ich nie auf diese Idee gekommen war! Auf der anderen Seite dieses Flusses, ein paar Straßen weiter, in einer riesigen Wohnung im siebten Stock, ohne viele Türen und Wände, fast ohne künstliches Licht, sondern mit Kerzenschein - wohnte Gackt. Er war der Grund für dieses Gefühl. Er war das, wonach ich mich sehnte. Er war der Anlass für das Vorhaben, in die entgegengesetzte Richtung meines eigenen Zuhauses gehen zu wollen. Ich wollte zu ihm. Schon die ganze Zeit.

Für einen Augenblick blieb ich reglos stehen, mit weit geöffneten Augen, dann, mit einer Wucht, die ich mir nicht erklären konnte, trieb mich das Gefühl, der Drang, zu ihm zu gehen, über die Brücke. Zuerst versuchte ich, mich dagegen zu wehren, wollte nachdenken, bevor ich losrannte, doch - so vernünftig ich auch sein wollte - ich konnte es nicht. Ich rannte. Ich wusste, dass es keiner Eile bedarf. Doch ich rannte.
 

Ich seufzte. Es war das, was ich am häufigsten in den letzten Wochen getan hatte. Seufzen. Und nachdenken. Und trainieren. Mehr tat ich nicht. Ich konnte nichts essen. Ich konnte nichts arbeiten. Ich konnte nur trainieren. Und dabei nachdenken. Und dabei seufzen.

Ich machte mir Vorwürfe. War es falsch gewesen, ihn zu küssen? - Aber er hatte es doch erwidert. War es nur eine unkontrollierte Reaktion gewesen? - Dafür hatte es zu lange angedauert.

War es reine Neugier gewesen, die ihn dazu verleitet hatte? - Würde er so etwas tun?

Ich wusste es nicht. Aber ich glaubte es nicht. Ich wollte es nicht glauben.

Hätte ich auf Megumis Geburtstagsfeier gehen sollen? - Hätte das aber nicht alles nur noch schlimmer gemacht?

Hatte ich unsere Freundschaft zerstört? Würde er mir mein Handeln verzeihen können? Könnte wieder alles werden wie zuvor? War das denn möglich? Jetzt, da er wusste, was ich für ihn empfand. Jetzt, da ich unsere Freundschaft für diese eine Nacht an die zweite Stelle gesetzt hatte.

Mai spitzte ihre Ohren. Es klingelte. Ich seufzte. Wieder einmal. Sollte ich öffnen? In meiner Verfassung, mit meiner unverbesserlichen Stimmung, war das keine gute Idee. Vielleicht sollte ich einfach so tun, als wäre ich nicht hier. Es war wohl das Beste. Für mich und für jeden, der gerade vor meiner Tür stehen konnte. Denn eigentlich wollte ich niemanden sehen. Nicht einmal mich selbst.

Es klingelte erneut. Mai blickte mich fragend an. Nach einem weiteren Seufzen raffte ich mich auf und ging zur Tür. Ich holte tief Luft, bereitete mich darauf vor, jemandem gegenübertreten zu müssen. Ich öffnete, in der Hoffnung, einfach nur einen Postboten oder dergleichen anzutreffen, und blickte - erstaunt, dass es nicht so war - in ein bekanntes Gesicht.

„Na? Mit mir hast du nicht gerechnet, was?“, strahlte Leehom, sichtlich amüsiert über meinen überraschten Ausdruck.

„Nein, damit habe ich wirklich nicht gerechnet.“, gab ich offen zu, lächelte. Das letzte Mal, dass ich das tat, war schon einige Wochen her. „Komm doch rein.“ Ich freute mich sehr, ihn zu sehen. Dieses Gefühl, sich zu freuen, hatte ich seit geraumer Zeit vermisst. Ich glaubte sogar, es verloren zu haben.

Wir erzählten uns gegenseitig, was in den letzten Jahren, in denen wir uns nicht gesehen hatten, alles passiert war; nur eine Sache, die aktuellste, sparte ich aus. Das war an sich noch kein Verbrechen, doch ich war auch nicht ganz ehrlich. Eine Lüge konnte ich nicht umgehen. Auf die Frage, wie es mir ginge, antwortete ich: „Gut. Ich habe wieder angefangen, ein Drehbuch zu schreiben. Ich wollte dich schon fragen, ob du vielleicht Lust und Zeit hättest...“ Die Lüge ging völlig unter. Obwohl er es sehen musste, dass es mir nicht gerade ausgezeichnet ging. Ich hatte ihn sofort begeistert, abgelenkt von seiner ursprünglichen Frage. Er wollte alles wissen. Und er sagte mir sogar zu, noch bevor er auch nur ein Wort über meine Filmidee gehört hatte.
 

Ich keuchte, lehnte mich gegen die Fahrstuhlwand. Den ganzen Weg war ich gerannt. Meine Kehle brannte, ich war erschöpft. Die Türen öffneten sich. Ich lief zu Gackts Wohnungstür, die einzige auf diesem Stockwerk, klopfte, wartete. Auch wenn es nur Sekunden waren, die ich wartete, bis ich mich aus Erschöpfung gegen die Wand lehnte, kam mir die Zeit endlos lange vor. Ich stieß mich wieder von der Wand ab, klopfte gegen die Tür. Nichts passierte. Ich klingelte. Nichts. Ich klopfte nochmals, klingelte wieder, tat beides zugleich. Nichts. Er war nicht hier.

Ich war, unabwendbar, enttäuscht. Ich war davon ausgegangen, dass er zu Hause sitzen und auf mich warten würde. Doch weshalb sollte er das tun? Er konnte es nicht einschätzen, wann ich kommen würde, konnte ja nicht einmal damit rechnen, dass ich das tun, geschweige denn mich anderweitig melden würde. Ich konnte nicht erwarten, dass er auf mich wartete. Sein Leben ging genauso weiter wie mein eigenes. Anders, aber es ging weiter.

Vielleicht würde er jeden Moment zurückkommen. Vielleicht würde er überglücklich sein, dass ich gekommen war. Vielleicht war es jedoch ein schlechter Zeitpunkt. Vielleicht sollte ich, bevor ich zu ihm kam, besser anrufen. Vielleicht sollte ich dann jetzt wieder gehen. Vielleicht sollte ich von zu Hause aus anrufen. Vielleicht würden wir dann ein Treffen ausmachen. Vielleicht...

Ich stoppte diese rationalen Gedanken und hörte auf mein Gefühl. Dasselbe Gefühl, das mir befohlen hatte, dass ich herkommen sollte, sagte mir jetzt: Ich sollte warten.
 

„Mata ne!“, erwiderte Leehom fröhlich und stieg in seinen Wagen. Ich wartete, bis er fortgefahren war, stieg dann in den Fahrstuhl. Ich hatte Leehom einen geretteten halben Nachmittag und einen gelungenen ganzen Abend zu verdanken. Wäre er nicht aufgetaucht, hätte dieser Tag, wie die vielen Tage zuvor, auf dieselbe Weise geendet: Ereignislos. Trostlos.

Doch jetzt, da ich wieder zu Hause war, alleine, ohne Ablenkung, war der schöne Abend schon fast wieder vergessen, und das Nachdenken und die Seufzer kehrten zurück.

Die Fahrstuhltüren öffneten sich, entließen mich auf den Flur. Ich wollte den Schlüssel aus meiner Hosentasche holen, während ich auf meine Wohnungstür zuging, als ich plötzlich innehielt. Neben meiner Tür saß Hyde, auf dem Boden, an die Wand gelehnt, und schien zu schlafen.

Mein Mund öffnete sich vor Überraschung, formte dann, ungläubig, ein Lächeln. Ich trat leise auf die zierliche Gestalt zu, kniete mich zu ihr hinunter und betrachtete ihr schlafendes Gesicht. Ich musste einfach meine Hand ausstrecken und ihn berühren. Ewig lange Wochen hatte ich ihn nicht gesehen, seine Stimme nicht gehört, sein schönes Gesicht nicht betrachtet, ihn nicht berührt. Wie ich ihn vermisst hatte.

So sanft meine Berührung auch war, er schlug sofort die Augen auf, die sich mehr und mehr mit Nervosität füllten, je länger sie zu mir aufblickten.

„Boku wa...“, begann er schwach. Er konnte es nicht erklären. Doch das brauchte er auch nicht.

„Komm. Gehen wir rein.“, schlug ich lächelnd vor und hielt ihm eine Hand entgegen, mit der ich ihn zu mir hinaufzog. Ich bemerkte sofort, dass er keinen Ring trug. Auch seinen Ehering nicht.

„Wie lange wartest du hier schon?“, fragte ich ihn, während ich die Tür öffnete. Er warf einen Blick auf die Wanduhr, staunte: „Seit sieben.“

Ich schloss die Tür, sah selbst auf die Uhr, meine Augenbrauen hoben sich. „Vier Stunden?“

„Ich...“, begann Hyde wieder. Ich glaubte, dass es der Anfang desselben Satzes war, den er zuvor schon begonnen hatte. „Ich will mit dir sprechen.“
 

„Wollen wir uns setzen? Möchtest du etwas trinken?“ Er versuchte die Spannung zu überspielen. Doch es war unmöglich. Dieses Mal war es wahrhaftig undenkbar.

„Ja. Wasser, bitte.“, antwortete ich knapp. Zu mehr Worten war ich nicht fähig. Ich setzte mich auf die Couch, knetete nervös meine Hände, bis Gackt zurückkam. „Arigatou.“, sagte ich, als ich ihm das Wasserglas abnahm. Ich trank einen Schluck. Meine Kehle war trocken. Und das blieb sie.

Gackt setzte sich neben mich. Ich spürte seine Anspannung. Er wartete. Er erwartete Schlimmes. Ich wollte ihn und mich von dieser Spannung erlösen, und so zwang ich mich zu sprechen und auch gleich zum eigentlichen Thema zu kommen.

„Ich weiß nicht, was genau ich… für dich empfinde…“ Das Sprechen fiel mir unglaublich schwer. Die Anspannung nahm zu, auch wenn ich nicht gedacht hatte, dass das noch möglich wäre. „Was sollen wir tun, wenn es... tatsächlich mehr wäre… als nur Freundschaft?“

„Wenn es so ist, finden wir schon eine Lösung.“ Sein Körper und sein Blick jedoch sagten: „Sag mir zuerst, dass es so ist.“

„Wie soll ich es herausinden?“ Das war die wichtigste Frage, die ich mir zurechtgelegt hatte. Ich hatte das Gefühl, es war die richtige und die einzig entscheidende Frage.

„Küss mich…“, flüsterte Gackt. Ich zweifelte nicht daran, dass das die einzig richtige Antwort war.

正直な答え - Shoujiki na kotae - Honest Answer

„Hai-chan...“ Ein Flüstern an meinem Hals. „Hast du es herausgefunden?“

Ich öffnete meine Augen. „Was?“ Eine geflüsterte Frage.

„Ist es mehr?“ Eine so kleine Frage, nur drei kleine Worte, und doch bedeuteten sie so viel.

Ich dachte nicht mehr über die Konsequenzen meiner Antwort nach, schwebte selbst über der ungewissen Zukunft. Ich wollte einfach nur die Wahrheit aussprechen: „Ja, viel mehr...“

Sein Gesicht näherte sich wieder meinem; ich wartete auf seine Lippen, doch sie kamen nicht. Ich schlug die Augen auf und sah Gackts lächelndes Gesicht vor mir.

Ich hatte ihn noch nie dermaßen glücklich gesehen.

Eine Zeit lang sah er mich einfach nur an, mit diesem wundervollen Lächeln im Gesicht, dann kam er näher, schloss seine Augen und berührte meine Lippen mit seinen, so zart wie eine Feder. Er streifte sie nur, wie zufällig. Ich hatte meine Augen bei der Berührung geschlossen, wartete auf die nächste. Doch sie blieb aus. Verzweifelt zogen meine Hände ihn näher an mich heran, doch er schmiegte nur seine Wange an meine. Ich wandte meinen Kopf zur Seite, doch er hatte sich bereits wieder zurückgezogen. Ich drückte ihn mithilfe meiner Hände auf seinem Rücken wieder näher an mich heran, doch wieder streiften seine Lippen meine nur und er wollte wieder zurückweichen. Daraufhin schlang sich mein rechter Arm um seinen Hals, zog ihn zu mir hinunter und ich kam ihm mit meinen Lippen entgegen, küsste ihn voller Verlangen.

Als er sich wieder ein Stück von mir entfernen wollte, bäumte ich mich noch mehr auf, um den Kontakt nicht abbrechen zu lassen. Ich klammerte mich an ihn, sodass er sich mir nicht mehr würde entziehen können. Das schien er nun auch nicht mehr zu wollen, zu sehr wurden seine Küsse wieder leidenschaftlich. Vielleicht hatte ich seinen Test bestanden. Vielleicht wollte er nur eine Bestätigung, ein Zeichen der Zuneigung, der Erwiderung.

Jetzt, da ich es ausgesprochen hatte, jetzt, da er es wusste und ich es nicht mehr zurücknehmen konnte, wollte ich diese Situation auch bis aufs Letzte ausnutzen, wollte so viel, wie ich nur von ihm bekommen konnte. Ich wollte keine Zeit vergeuden. Wer wusste, wie lange es noch so bleiben würde.
 

„Hai-chan... Darf ich einmal deine Flügel berühren?“ Ich sah ihn lange Zeit einfach nur an. Es war eine so seltsame Frage. Aber ich wollte, dass er mich berührte, und es machte mich glücklich zu wissen, dass er es wollte.

Gackt wartete nicht auf meine Antwort. Er ließ seine Hände unter den Stoff meines Oberteiles wandern, strich sanft über die Haut, auf die sie dort stießen. Meine Arme wussten nicht, was sie tun sollten. Erst als Gackt den Stoff immer weiter hinaufzog und bei meinen Armbeugen angekommen war, wusste ich, dass ich sie nach oben ausstrecken sollte, musste, wollte. Der Stoff fiel auf das Polster, nahezu lautlos. Seine Hände fuhren über meinen Rücken. Es war, als berührte er mich an einer äußerst empfindlichen Stelle. Es war, aufgrund der Tatsache, dass mich selten jemand dort anfasste, eine intime Berührung. Meine Augen fielen ohne mein Zutun wieder zu. Ich genoss den Kontakt seiner Finger mit den schwarzen Linien.

Ein Schauer wanderte meine Arme entlang. Es war ein unglaubliches Gefühl. ~Don’t let it end...~ Ja, der Titel „Seventh Heaven“ passte sehr gut zu dieser Situation. Ich vergaß alles um mich herum, spürte nur seine Hände, meine glühende Haut darunter, meinen Herzschlag und seinen Atem an meinem Hals - weitere Schauer.

„Schon immer wollte ich diese Flügel berühren...“, fing Gackt leise an. „...seit ich weiß, dass sie auf deinem Rücken sind...“ Seine Fingerspitzen fuhren die Konturen nach. Plötzlich hielt er inne, um dasselbe mit seinen Lippen zu tun. Mein Mund öffnete sich, ein Keuchen entfuhr mir. Seine heißen Hände drehten mich zur Seite, sodass ich, als ich meine Augen öffnete, in seine blicken konnte. Er küsste mich, stürmisch, drängte mich zurück, nieder auf das Sofa, unter ihn. Wieder war ich ihm hilflos ausgeliefert. Und wieder wusste ich nicht, was es Schöneres geben konnte.
 

Ich fürchtete, dass mein Körper zu schwer auf ihm lastete, doch es war schwierig, dem viel Beachtung zu schenken, und es war unmöglich, von ihm abzulassen. Ich keuchte. Mein Körper reagierte auf seinen, wie seiner auf meinen. Doch es waren meine Hände, die sich nicht unter Kontrolle hatten, meine Lippen, die ihn nicht atmen ließen, mein Verlangen, das uns dazu trieb, das zu tun, was wir taten. Ich presste meinen Unterleib an seinen, ließ eine Hand über seinen Oberkörper gleiten, mit seinen Piercings spielen und die andere sein Bein auf und ab streichen, zunächst außen, dann an der Innenseite, während sich die andere bereits mit dem Verschluss seiner Hose beschäftigte. Er schnappte nach Luft, noch stärker tat er dies - sodass sein Mund offen stehen blieb , als ich dabei an gewisse Stellen stieß.

Nachdem ich den Knopf gelöst hatte, gerade den Reißverschluss öffnete, griff Hyde plötzlich nach meiner Hand, hielt sie fest, hielt sie zurück, hielt sie davon ab, weiter zu ihm vorzudringen.

„Nicht.“, keuchte er, seine Augen noch immer verschlossen. Ich führte die Hand, die meine festhielt, zu meinem Mund, küsste sie. In diesem Moment öffnete er seine verklärten Augen, blickte mich verwirrt an. Dieser Anblick zwang mich dazu, seine Lippen aufzusuchen. Das hatte zur Folge, dass ich mich nicht mehr von ihnen losreißen konnte. Es war alles wieder wie vor seiner Unterbrechung, nur dass ein Knopf und ein Reißverschluss mehr geöffnet waren - und zwei Körper erregter.

Es war unvermeidbar, dass sich mein Körper wieder auf seinem zu bewegen begann. Und irgendwann kamen wir an einen Punkt, da holte Hyde versucht unauffällig tief Luft. Danach erschlaffte sein zuvor angespannter Körper und ich wusste, was geschehen war.

Ich lächelte, auch wenn ich selbst noch nicht an besagtem Punkt angelangt war, und trotzdem stoppte ich, lag nur still auf ihm, küsste seinen Hals, der von einem leichten Schweißfilm überzogen war. Ich flüsterte die beiden Worte, die ununterbrochen in meinem Kopf kreisten.

„Hai-chan...“, drang zu meinem benebelten Verstand durch. „Ich liebe dich...“

Ich fühlte mich benommen. Ich fühlte mich wohl. Ich fühlte mich sicher. Ich glaubte ihm. Ich vertraute ihm. Ich kam zu einer Schlussfolgerung: ~Ich liebe dich auch...~

無理解の波 - Murikai no nami - Wave of Incomprehension

Er stand regungslos auf seinem Balkon und starrte in den blauen Himmel. Er seufzte. Es war nun schon das sechste mal in dieser Woche, dass er versuchte, Hyde zu erreichen. Er ging nicht an sein Mobiltelefon, er nahm zu Hause nicht ab - niemand tat das. Gerade wollte er wieder auflegen, als am anderen Ende abgenommen wurde.

„Moshi moshi.“, sagte Hyde in seltsamem Tonfall.

„Weißt du, wie oft ich dich diese Woche schon versucht habe zu erreichen? Ich weiß ja, dass du viel zu tun hast, aber um ein paar Minuten mit mir zu telefonieren, wird es wohl reichen.“

Hyde schwieg. Gackt beschlich ein ungutes Gefühl. „Was ist los?“

Hyde holte tief Luft. „Ich war in den letzten Tagen viel im Krankenhaus.“

„Was?!“, entfuhr es Gackt unkontrolliert. „Warum? Wie geht es dir?“ Er antwortete nicht auf seine letzte Frage. Doch nach seinem nächsten Satz war das auch gar nicht mehr nötig.

„Megumi und Joseph hatten einen Autounfall.“ Der Satz hing bleischwer in der Leitung.

„Und... wie geht es ihnen?“, fragte Gackt vorsichtig nach.

„Jo-chan hat sich das Bein und sie hat sich den Arm gebrochen.“ Stille.

„Das ist ja schrecklich. Warum hast du nicht längst angerufen?“, wollte Gackt wissen.

Wieder holte Hyde tief Luft. Es machte den Anschein, als kostete ihn das Sprechen mit Gackt große Anstrengung. „Ich musste nachdenken.“

„Worüber? Was meinst du?“ Nun war einmal Gackt derjenige, mit dem rätselhaft gesprochen wurde, wenn auch unabsichtlich. Als Hyde nach ein paar Sekunden noch immer nicht geantwortet hatte, begann Gackt wieder zu sprechen. „Kann ich vorbeikommen?“

„Nein. Ich will alleine sein.“ Diese Antwort kam rascher.

„Doushite? Du brauchst Gesellschaft, Haido-chan. Du hörst dich nicht gut an.“ Gackt war besorgt.

„Natürlich geht es mir nicht gut; meine Familie liegt im Krankenhaus.“, erwiderte Hyde etwas schroff. „Und es ist meine Schuld.“

Gackts Gesicht drückte pures Unverständnis aus. „Wieso das denn? Was redest du da? Bist du betrunken?“ Hyde antwortete nicht. „Bist du zu Hause?“ Wieder keine Antwort. „Ich bin in einer Viertelstunde bei dir.“, ließ Gackt ihn wissen, bevor er noch einen Moment in die Stille des Hörers hineinlauschte, um dann aufzulegen, seine Schuhe anzuziehen, nach dem Schlüssel zu greifen und die Wohnung zu verlassen.
 

Vor Hydes Haus angekommen, stieg ich aus und lief hastig auf die Eingangstüre zu. Ich klingelte, wartete keine vier Sekunden, bevor ich die nächsten drei Male klingelte. Würde er mir aufmachen? War er dazu in der Lage? Er hatte so ungewöhnlich langsam gesprochen, so schwermütig.

„Gakuto-san?“, sagte eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und erblickte Tetsu, der gerade die Treppenstufen zu mir hinaufstieg.

„Konnichi wa, Tetsu-san. Haido-chan “ „Ich weiß.“, unterbrach er mich sofort und holte einen Schlüssel aus seiner Hosentasche. Er schien einen Hausschlüssel zu besitzen. Etwas, das ich nie besitzen würde, nicht für Hydes Haus.

Tetsu hob den Schlüssel zum Türschloss, ließ ihn jedoch wieder sinken, wandte sich mir zu.

„Haido-chan ist am Boden zerstört, seit Mei-chan vor ein paar Tagen einen Autounfall gehabt hat. Er gibt sich die Schuld dafür, dabei ist er nicht einmal dabei gewesen. Sie war auf dem Weg zu ihren Eltern. Ihr und Jo-chan sind aber nicht viel passiert. Ihnen geht es ziemlich gut. Sie sind mit leichten Verletzungen davongekommen, wenn man bedenkt, wie schwer der Unfall war. Und trotzdem scheint Haido-chan eine Art Schock zu haben.“

Ich starrte Tetsu nur aufmerksam an, wartete darauf, dass er mehr erzählte, dass er mir einen Rat gab, dass er sagte, wie man Hyde helfen konnte, dass er Bescheid wusste, was Hyde und mich betraf.

„Haido-chan ist seither kaum ansprechbar. Ich glaube, er ist depressiv. Es scheint, als wäre ihm zum ersten Mal aufgefallen, dass die Gefahr, die beiden zu verlieren, die ganze Zeit da war, aber er sie nicht bemerkt hat. Deshalb gibt er sich auch die Schuld. Er glaubt, er hätte es verhindern können, wenn er sich der Gefahr bewusst gewesen wäre, was natürlich völliger Schwachsinn ist, aber er ist nicht davon abzubringen.“ Tetsu seufzte. „Ich glaube, dass es mit Haidos anderem Problem zusammenhängt, das er mir noch immer nicht anvertrauen will.“ Ich schluckte. „Weißt du darüber irgendetwas?“

Ich öffnete den Mund, sprachlos. Und schüttelte den Kopf. Wenn Hyde es Tetsu nicht sagen wollte, sollte ich das besser auch nicht tun. „Wirklich nicht?“, wollte sich Tetsu noch versichern.

„Nein, ich habe auch schon mit ihm darüber gesprochen. Er will mir auch nichts sagen.“ Es war nicht einmal völlig gelogen. Ich hatte mit ihm darüber gesprochen, doch mittlerweile wusste ich Bescheid, was ihn bedrückte. Das glaubte ich jedenfalls. Ich war mir mittlerweile jedoch nicht mehr sicher, ob ich von allem wusste. Vielleicht gab es noch immer Dinge, die er mir verschwieg.

„Hast du schon mit ihm gesprochen?“, fragte Tetsu plötzlich.

„Ja, gerade eben, am Telefon. Aber vorher noch nicht. Er hat ja nie abgenommen. Ich habe ihn schon sechs mal angerufen.“, rechtfertigte ich mich, dabei verlangte Tetsu das gar nicht von mir.

„Und die Tür öffnen tut er auch nicht. Mei-chan hat mir ihren Schlüssel ausgeliehen. Sie darf aber schon Übermorgen wieder nach Hause. Sie haben sie auch nur wegen den paar Prellungen und zur Beobachtung dabehalten. Sonst wäre sie schon längst wieder hier.“ Jetzt machte er Gebrauch von dem Schlüssel. „Ich hoffe, dann renkt sich wieder alles ein, wenn sie zurück sind. Er hat auch noch all seine Termine abgesagt. Es wird eine Menge Arbeit auf ihn zukommen.“ Er öffnete die Tür.

Alles schien wie sonst. Das Haus war ordentlich, alles stand an seinem Platz. Tetsu ging voraus in Richtung Arbeitszimmer, schaute sich auf dem Weg zu allen Seiten nach Hyde um. Ich wartete vorerst inmitten des Wohnzimmers, fühlte mich nicht berechtigt, durch das Haus zu gehen, um nach Hyde zu suchen. Mein Blick fiel auf eine herzförmige Petroliumlampe, die auf dem Glastisch stand. Ich hatte sie noch nie gesehen. Doch ich ahnte, was es war.

„Doiha-chan... Wie geht es dir?“, hörte ich Tetsu leise sagen. Sollte ich zu ihnen gehen? Durfte ich?

Tetsu kam zurück, mit einer leeren Sakeflasche in der Hand. „Er ist schon fast wieder nüchtern. Aber ich will nicht wissen, in wie kurzer Zeit er die gekippt hat.“, meinte er, zu der Flasche nickend. „Du darfst ruhig zu ihm reingehen. Es ist nicht so schlimm, wie du vielleicht denkst.“ Das war es, was ich hören wollte. Ich ging durch die offen stehende Tür Hydes Arbeitszimmers und entdeckte ihn auf dem Sofa liegen. Er wirkte tatsächlich normal, nur erschöpft.

„Daijoubu ka?“ Mir fiel keine andere Frage ein. Und Antworten hatte ich erst recht keine.

Er sah mich erst lange an, dann seufzte er und ließ sich zurückfallen, den Kopf ein Stück über die Lehne hinausragend, in den Nacken gelegt. „Ich dachte, ich habe dich gebeten, nicht herzukommen.“

Er sagte es in neutralem Tonfall, doch es schmerzte nichtsdestoweniger.

„Du brauchst aber Gesellschaft, die dir manche Gedanken aus dem Kopf scheucht.“, entgegnete ich.

„Mir ist bewusst geworden, dass ich für meine Familie da sein muss.“ Es war ein vernünftiger Satz, doch für mich war es ein erbarmungsloser. „Und zwar nur für meine Familie.“

Ich wusste, was er damit sagen wollte. Wenn Tetsu nicht im Haus gewesen wäre, hätte er es vielleicht ausgesprochen. „Verstehst du das?“ Mit dieser Nachfrage hatte ich nicht gerechnet.

„Nein.“, antwortete ich ehrlich. „Vor allem nicht, nachdem du mir erzählt hast, dass du überlegst, dich von ihr zu trennen.“ Er blickte mich lange wortlos an. Ich glaubte zu sehen, dass er ernsthaft darüber nachdachte, was ich gesagt hatte. Seine Antwort allerdings war: „Es war eine Überlegung. Aber ich habe sie wieder verworfen.“

Wir sahen uns lange einfach nur an. Sein Blick nachdenklich, meiner traurig.

„Willst du auch etwas trinken, Gakuto-san?“, fragte Tetsu, als er ins Zimmer kam, mit einem Glas Wasser für Hyde. Er reichte es ihm, Hyde setzte sich auf, nahm es entgegen, sagte ein leises „Arigatou“ und trank, mit gesenktem Blick.

„Nein danke.“, antwortete ich mit einiger Verzögerung.

„Die Küche - und alle anderen Zimmer auch - sehen eigentlich in Ordnung aus. Ich denke, wenn ich Übermorgen noch rechtzeitig zum Aufräumen komme, reicht das, damit Mei-chan nicht der Schlag trifft.“, meinte Tetsu. „Ich habe jetzt auch gar nicht so viel Zeit. Würdest du Haido-chan etwas zu essen machen? Ich glaube, er hat seit gestern nichts mehr gegessen.“

„Oi! Ich befinde mich auch im Raum, okay?!“, empörte sich Hyde. „Ich kann mir selbst etwas zu essen machen und überhaupt bin ich für alles alt genug!“

Tetsu zog nur eine Augenbraue nach oben. „Du kannst es vielleicht, aber du tust es ja nicht.“

„Ich habe keinen Hunger, ich will einfach nur meine Ruhe.“, bat Hyde erschöpft.

Tetsu warf seinen Blick zu mir. „Also, ich muss so oder so gehen. Du kannst selbst entscheiden, ob du noch bleiben willst oder nicht. Nimm aber bloß keine Rücksicht auf ihn. Wie du siehst, geht es ihm gut genug, um herumzuzicken.“ Er zwickte Hyde neckend in den Bauch. Ich wusste genau, dass es Tetsu wahnsinnig beschäftigte, wie schlecht es Hyde ging. Doch er versuchte es mit seiner Methode.

„Jaa, ittekimasu.“, sagte er abschließend, auf dem Weg zur Tür.

Als ich sie ins Schloss fallen hörte, blickte Hyde wieder zu mir auf. Ich seufzte, kam ein paar Schritte auf ihn zu, setzte mich auf das Sofa neben ihn.

„Warum gehst du nicht?“ Eine Frage, die von einem Kind hätte stammen können.

„Weil ich gerne bei dir bin.“ Eine Antwort, die seine Augen an meine heftete.

„Außerdem habe ich dich die ganze Woche noch nicht gesehen. Ich finde es nicht fair, wenn du nie ans Telefon gehst.“, sagte ich ruhig. „Glaubst du, ich mache mir keine Sorgen?“ Er schlug schuldbewusst die Augen nieder. „Ich habe noch nie wegen jemandem so viel darüber nachgedacht, was ich tun würde, wenn er plötzlich nicht mehr da wäre... wie bei dir...“
 

Mein Blick wurde starr, als er dies sagte. Im Gegensatz zu mir hatte er sich scheinbar bereits Gedanken darüber gemacht, was wäre, wenn jemandem in seiner unmittelbaren Umgebung etwas zustoßen würde. Warum hatte ich das nicht? Zumindest nicht bei Megumi.

Ich sah ihn an. Sein Blick war so aufrichtig. Ein krasser Gegensatz zu all meinen Lügen. Ich belog Megumi, ich belog Gackt, ich belog mich. Doch ich konnte es nicht stoppen.

„Darüber habe ich in den letzten Tagen auch nachgedacht...“, begann er langsam. „Und ich habe gemerkt, wie einsam ich mich fühle, wenn sie nicht hier sind...“ Er sah sich im Raum um, als sähe er ihn jetzt, da das Haus verlassen war, mit anderen Augen.

„Du warst ja auch vollkommen allein.“, versuchte ich ihm begreiflich zu machen. „In einem leeren so großen Haus fühlt sich allein jeder einsam.“ Er drehte an dem Ring, den er am rechten Ringfinger trug - sein Ehering. Er trug ihn wieder. Es tat weh.

„Aber ich vermisse sie... Ich vermisse sie richtig...“ Ich fragte mich, ob er nur nicht darüber nachdachte in diesem Zustand, oder ob er mir gezielt wehtun wollte.

Ich schloss für einen Moment die Augen, stand dann mit einem Mal auf und wandte mich zur Tür.

~Das hätte ich nicht sagen sollen... Ich will nicht, dass er geht... Bleib bei mir...~

„Willst du etwas Bestimmtes essen? Wenn nicht, mache ich jetzt irgendwas, worauf ich gerade selbst Lust habe.“, meinte er plötzlich und ich schaute ihn verblüfft an. Ich war sicher gewesen, dass er im Begriff war zu gehen. Doch er ließ mich nicht allein.

Schweigend saßen wir nebeneinander auf dem Sofa im Wohnzimmer und aßen - beide mit nicht sonderlich viel Appetit. Hyde war mir nicht in die Küche gefolgt, hatte mich dort alleine kochen lassen. Er war ins Badezimmer gegangen, hatte geduscht, wie ich am Rauschen des Wassers erkannte, und an seinen nassen Haaren, die ihm beim Essen ins Gesicht hingen. Ich hielt mich zurück, sie zurückzustreichen. Und doch konnte ich, nachdem der Gedanke mehrere Male mein Denken eingenommen hatte, nicht mehr anders, als es einfach zu tun. Er hielt inne, als ich es tat, und wandte seinen Blick mir zu, als ich es getan hatte. Er sah mich einfach nur an, fand keine Worte für diese Situation.

Gackt war derjenige, der sie fand. „Hast du ihr diese Lampe geschenkt?“ Seine Frage schmerzte, weil ich wusste, dass ihn die Antwort schmerzen würde. Ich nickte. Eine Weile lang blickten wir beide stumm die Herzlampe an. Sie brannte still vor sich hin, spendete uns warmes Licht. Ich wünschte, ich hätte sie nicht angezündet.

Dann wandte er sein Gesicht mir zu und fragte: „Was willst du von mir, Hai-chan? Was soll ich deiner Meinung nach tun?“

Ich konnte meinen Blick nicht von seinen Augen abwenden. „Wakaranai...“

„Darf ich dann das tun, was ich will?“ Eine komplizierte Frage. Ein kompliziertes Unterfangen, sie zu beantworten. Ich versuchte mir auszumalen, was es war, das er tun wollte. Ich glaubte, ich wusste es. Ich hatte Angst davor. Ich fürchtete, dass er mich wieder an den Anfang meiner Gedankenkette stellte.

Er schüttelte den Kopf. Meine Hoffnung sank. Ich hätte es wissen müssen, dass er mir nicht gestatten würde, das zu tun, was ich will. Ich hätte es nicht fragen sollen. Es war eine so sinnlose Frage.

„Du bist unmöglich...“, sagte er mit einem Mal leise, noch immer langsam den Kopf schüttelnd. Ich blickte auf. „Du kommst ungebeten hier her, kochst für mich, stellst schwierige Fragen und willst auch noch mehr Dinge tun, die du tun willst.“ Er schaute mir direkt in die Augen. „Was ist es, das du jetzt willst?“

Er hatte den Spieß herumgedreht. Nun war es an mir, Fragen zu beantworten. „Dich küssen...“

„Und dann?“, fragte er weiter, als hätte er erwartet, dass dies meine Antwort sein würde.

„Dich mit zu mir nehmen.“, antwortete ich weiter.

„Und dann?“, wollte er ebenso unbeeindruckt wissen.

„Nicht mehr gehen lassen...“, war das Erste, das mir in den Sinn kam.

„Und dann?“, trieb er sein Fragespiel weiter, doch sein Tonfall veränderte sich. Eine Spur Verzweiflung hatte sich beigemischt.

„Dann sind wir glücklich.“, war meine einfältige Antwort.

„Nein, Ga-chan...“, wisperte Hyde, wiederum kopfschüttelnd. Die Verzweiflung war nun greifbar, ummantelt von Ratlosigkeit. „Wie soll ich glücklich sein, wenn ich meine Familie im Stich lasse?“

Er hatte Recht. Er hatte einfach Recht. Ich stellte mir das Ganze zu einfach vor.

„Gibt es eine Möglichkeit...“, begann ich vorsichtig. „...sie nicht im Stich zu lassen und trotzdem mit mir zusammen zu sein?“

Ich glaubte, er hielt sich davon ab, erneut den Kopf zu schütteln. „Aber es wird nicht einfach sein...“

Es gab eine Möglichkeit. Es gab Hoffnung. Erleichterung überflutete mich. „Und eigentlich will ich sie nicht betrügen.“ Sie drohte, mich zu ertränken. „Früher oder später wird sie es bemerken.“ Ich schnappte nach Luft. „Und das will ich nicht.“ Mein Atem stockte. „Verstehst du das?“ Eine erneute Welle, eine Welle des Unverständnisses.

„Nein...“, brachte ich mit Mühe über meine Lippen. „Ich glaube, ich will es auch nicht verstehen.“

Er seufzte, ließ den Kopf nach vorne sinken. „Was, wenn du musst?“, flüsterte er beinahe.

„Das kann ich nicht...“, kam es ebenso leise zurück. Dann: Stille. Es vergingen Minuten, in denen nichts gesprochen wurde. Wir sahen uns auch nicht an, blickten beide vor uns auf den Glastisch, ohne unser Spiegelbild zu sehen.

„Ich muss darüber nachdenken...“, sagte er leise in die Stille hinein.

„Soll ich dann jetzt gehen?“, fragte ich und hoffte zum ersten Mal an diesem Tag, dass er den Kopf schütteln würde.

„Hai...“, wisperte er. Er sah mich dabei nicht an.

„Darf ich dich noch küssen, zum Abschied?“, fragte ich vorsichtig an.

„Nein, Ga-chan.“, sagte er leise, aber bestimmt, sein Blick gen Boden gerichtet.

„Umarmen?“

„Nein, Ga-chan.“, wiederholte er. „Gib mir Zeit zum Nachdenken. Bitte...“

Ich nickte, obgleich ich wissen sollte, dass er dies nicht sehen konnte. Dann stand ich wortlos auf, widerstand dem Drang, die Petroliumlampe umzustoßen, und ging um das Sofa herum, um nicht an seinen Beinen vorbei zu müssen. Er blieb sitzen, hatte nicht vor, mich zur Türe zu begleiten. Mein Blick senkte sich, unwillkürlich.

僕達のハッピーエンド - Bokutachi no Happy End - Our Happy End

Ich stand an der Tür, hatte sie geöffnet. Es hatte geklingelt.

Vor mir stand Gackt, mit einem großen, braunen Umschlag in der Hand. „Hallo.“

„Hallo.“, gab ich unsicher zurück, blieb wie angewurzelt in der Tür stehen.

„Ich habe das Drehbuch fertig. Und da dachte ich, ich bring es dir einfach vorbei.“, sagte er.

„Du hättest es mir auch schicken können, wenn du es eh in einen Umschlag machst.“, ließ ich ihn wissen und wusste selbst, dass ich ihm damit zeigte, dass er nicht willkommen war. Es tat mir bereits im selben Moment, in dem ich diese kalten Worte sprach, wieder leid und ich fragte, um es zumindest ein Stück weit wieder gutzumachen: „Möchtest du reinkommen?“

Er lächelte, das hörte ich an seiner Stimme, als er „Gerne“ entgegnete.

Mit noch immer gesenktem Blick trat ich zur Seite, die Hand noch immer an der Türklinke, die Unsicherheit noch immer da, wo sie in seiner Nähe immer war: bei mir.

Er schritt an mir vorbei, blieb - wie fast immer - vorerst im Flur stehen und drehte sich zu mir um, als ich gerade die Tür schloss. Im Vorbeilaufen fragte ich ihn, was ein guter Gastgeber immer tat: „Möchtest du etwas trinken?“ Doch es klang gezwungen.

„Nein, danke.“, antwortete er und folgte mir ins Wohnzimmer. Als er dort stehen blieb, nahm ich ihm wortlos den Umschlag aus der Hand und nahm das Skript heraus. Ich blätterte die ersten Seiten flüchtig durch. „Ich habe nicht sonderlich viel Text, oder?“, bemerkte ich, nachdem ich fast ausschließlich nur Angaben zu meinem Verhalten, jedoch wenige Textzeilen gesehen hatte.

„Nur am Anfang.“, ließ er mich wissen. „Später folgen mehr Dialoge... zwischen dir und mir.“

Ich warf ihm einen kurzen Blick zu, um zu sehen, dass er, wie ich erwartet hatte, schwach lächelte.

Dann blätterte ich hastig weiter, bis ich auf eine Seite kam, auf der sehr viel Text zu sehen war, was sich als einer dieser gerade benannten Dialoge herausstellte. Ich begann zu lesen.
 

Gackt: Was sind die Menschen, die du beschützt, für dich?

Hyde, den Kopf in den Nacken legend: Die Menschen sind wie Bienen und ich bin das, das sie dazu treibt, zuzustechen, ihren Stachel und somit ihr Leben zu verlieren.

Gackt: Wieso solltest du sie dazu bringen, das zu tun? Du hilfst ihnen doch nur.

Hyde: Wenn mein Nichtstun ihnen etwas Schlimmes zustoßen lässt, dass sie aggressiv macht, dann trage ich die Verantwortung dafür, dass sie leichtfertig zustechen... und ihren Stachel verlieren. Das ist dann ganz allein meine Schuld.

Gackt: Aber du tust doch bei weitem alles Engelmögliche. Ich kenne keinen zweiten Engel, der seine Aufgabe so gewissenhaft ausführt, wie du es tust. Du tust wirklich alles, was in deiner Macht steht. Mehr kannst du nicht tun. Mehr sollst du nicht tun. Irgendwann müssen sie sterben. Du musst sie sterben lassen. Wie sonst willst du sie erlösen?

Hyde: Erlösen?

Gackt nickt

Hyde: Von was erlösen?

Gackt: Von ihrem Dasein als Mensch.

Hyde: Aber Mensch zu sein, ist doch etwas Tolles. Das hast du selbst gesagt.

Gackt: Ja, das ist es auch. Aber nicht für ewig. Irgendwann hast du es satt. Irgendwann hast du zu viele grausame Dinge erlebt, die du einfach nicht mehr vergessen kannst. Die dich quälen.

Hyde, Gackt fragend ansehend: Woher weißt du das?

Gackt schweigt, sieht aus dem Fenster

Hyde, erstaunt: Kannst du dich an deine frühere Existenz erinnern?

Gackt sieht ihn erst lange an, bevor er ihm antwortet: Ja.

Hyde, verblüfft: Warum?! Wieso?! Seit wann?! - Wieso kannst du es, aber ich nicht?

Gackt: Weil ich auf andere Weise gestorben bin als du.

Hyde, überrascht: Du weißt, wie ich gestorben bin?

Gackt: Nein.

Hyde, aufgebracht: Aber du

Gackt, ihm ins Wort fallend: Ich weiß nur, wie du nicht gestorben bist.

Hyde, wieder ruhig werdend, aufmerksam, zaghaft: Und wie... bin ich nicht gestorben?

Gackt sieht wieder aus dem Fenster, bewegt sich lange Zeit keinen Millimeter: Durch Selbstmord.
 

~Ende Szene 47~
 

Ich sah zu Gackt auf. Er erwiderte meinen Blick, hatte mich ohnehin beobachtet, was ich für eine Weile vergessen hatte, da ich so vertieft in den tiefsinnigen Dialog gewesen war.

„Ich konnte mich noch nicht für Namen für die Charaktere entscheiden, deshalb habe ich vorläufig unsere Namen genommen.“, erklärte er mir und fügte noch lächelnd hinzu: „Du darfst mir noch helfen, mich für welche zu entscheiden.“

„Die Dialoge gefallen mir.“, gab ich zu. „Also, wenn sie alle so sind, bin ich begeistert. Sie sind irgendwie... poetisch.“

„Findest du?“, fragte er zurück, freute sich insgeheim. So sehr, dass man es sehen konnte.

„Auf jeden Fall.“, gab ich zurück und wir beide, die uns in diesem Moment anblickten, wurden uns bewusst und sahen es auch in dem Gesicht des anderen, dass er sich an die Situation am Tag meines dreiundvierzigsten Geburtstags zurückerinnert fühlte, in der Gackt dieselben Worte gesprochen hatte, in nahezu demselben todernst gemeinten Tonfall.

Ich wandte meinen Blick von ihm ab, wusste nicht, wie ich länger in seine Augen blicken sollte. Daher sah ich es nicht, doch ich nahm wahr, wie Gackt sich mir näherte. Mein Herzschlag sagte es mir voraus. „Gibt es jetzt eigentlich ein Happy End?“, fragte ich mit sich fast überschlagender Stimme, im Rhythmus meines Herzschlages.

Als ich aufsah, stand er direkt vor mir, sagte leise: „Nur wenn du es zulässt...“

Seine Stimme jagte eine Gänsehaut meinen Rücken, meine Arme und Beine hinunter. „Aber... aber du schreibst doch das Drehbuch. - Du hast es schon geschrieben.“, verbesserte ich mich selbst. Wenn er die Gänsehaut auf meinen Armen noch nicht bemerkt haben sollte, hörte er sie spätestens jetzt aus meiner Stimme heraus. „Du musst doch irgendeine Schlussszene geschrieben haben - oder nicht?“

„Doch, natürlich. Das habe ich. Aber ich habe gerade nicht vom Drehbuch gesprochen.“

Mein Mund blieb einen Spalt offen stehen. Meine Augen huschten so schnell in seinem Gesicht hin und her, wie es meine Gedanken in meinem Kopf taten. „Was meinst du damit?“, fragte ich etwas atemlos, meine Stirn in leichte Falten gelegt. Ich verstand es nicht. Oder ich wollte es nicht.

„Ich meinte, dass es, nur wenn du es zulässt, ein Happy End für uns geben kann.“

Ich sah zur Seite. Dann herrschte Schweigen. Ich rührte mich kein bisschen, bis er plötzlich einen Finger unter mein Kinn legte, was mich zusammenzucken ließ. Doch ich wagte es trotzdem nicht, in sein Gesicht zu blicken. Und ich wusste auch, was mich dann erwarten würde.

„Eine Geschichte gut enden zu lassen, ist so einfach...“, flüsterte er, wodurch ich bemerkte, dass sein Mund nur wenige Zentimeter von meinem Ohr entfernt sein konnte. „...wenn man nur will.“

Ich schloss verzweifelt die Augen. Was tat er mit mir? Was wollte er? Wollte er es einfach nicht einsehen, dass ich mich entschieden hatte? Gegen ihn.

Zarte Lippen berührten meine, ließen mich scharf einatmen und abrupt meine Augen aufschlagen. Doch mehr konnte ich nicht tun. Zu mehr war ich nicht im Stande. Stärker konnte ich mich nicht widersetzen. Ich war ihm hilflos ausgeliefert. Das wusste er.

Er küsste mich, zärtlich, ließ seine Lippen immer wieder auf meine treffen. Ich hatte meine Augen längst wieder geschlossen, war nicht mehr reaktionsfähig, nicht mehr ansprechbar, nicht mehr wirklich hier. Auf einmal spürte ich seine Hände auf meinem Rücken, seine Arme zu beiden Seiten meines Oberkörpers. Ich wusste, dass ich nicht mehr hier war, doch dafür spürte ich, dass er da war. Er war bei mir.

Plötzlich ließen seine Lippen von mir ab, schlagartig, wie auch seine Hände, unerwartet. Es dauerte noch einen Augenblick und ich war wieder da, konnte meine Augen wieder öffnen und hören, wie die Haustür aufging. Und ich sah Megumi, die hinter dieser erschien. Sie lächelte, als sie mich erblickte. Ich konnte nichts erwidern. Meine Augen waren starr.

„Was schaust du denn so entsetzt?“, fragte Megumis Stimme belustigt vom Flur aus.

Ich konnte ihr nicht antworten. Meine Stimme war nicht mehr da. Nun war sie es, die nicht mehr wirklich hier war. Und Megumis Auftauchen war der Grund dafür.

Dann hörte ich etwas rascheln und sah vor meine Füße, wo sich Gackt in die Hocke niedergelassen hatte, um das Skript aufzuheben, das ich scheinbar hatte fallen lassen, auch wenn ich mich nicht daran erinnern konnte.

„Er ist ganz schockiert von meinem Drehbuch.“, übernahm Gackts Stimme meine Aufgabe, zu antworten, für mich. Ich war ihm überaus dankbar.

„Ach, du bist auch hier, Gakuto-san!“, begrüßte sie ihn herzlich, während sie ihre Schuhe abstreifte.

„Ich habe Haido das Drehbuch vorbeigebracht.“, erklärte er. „Er ist sogar so schockiert darüber, dass er es hat fallen lassen.“, fügte er noch auflachend hinzu, doch ich hörte deutlich, wie gekünstelt dieses Lachen war. Er würde wieder jeden Moment gehen. Das wusste ich.

Megumi schien dies gar nicht zu bemerken. Sie meinte zu Gackt gewandt, ausgelassen scherzend: „Was schreibst du auch wieder für schlimme Sachen?“ Dann lachte sie und fragte: „Willst du zum Essen bleiben?“

Er legte das Drehbuch auf den Wohnzimmertisch und wandte sich um. Sein Blick fiel auf ihren Gipsarm. „Nein, nein. Ich habe keine Zeit. Ich habe noch einen Termin.“, log er. Natürlich war es gelogen.

„Schade, Mensch!“, bedauerte sie es aufrichtig. Gackt hatte schon seit einer Ewigkeit nicht mehr mit uns zusammen gegessen. Wie lange war es wohl her? Wie viele Jahre?

„Aber wie geht es deinem Arm?“, wechselte er das Thema. Ich glaube, er war ernsthaft besorgt. Ich wusste, dass er Megumi eigentlich schon immer gemocht hatte. Sie war eine gute Freundin für ihn gewesen. Doch das war längst vorbei.

„Ach, der verheilt schnell. Es war kein schlimmer Bruch.“, meinte sie heiter und kam auf mich zu. Ich hoffte inständig, dass sie nicht vorhatte, mich mit einem Kuss zu begrüßen.

Gackt schien den gleichen Gedanken gehabt zu haben, denn er meinte plötzlich: „Saa... Ich muss los. Lies fleißig.“, befahl er mir noch und verabschiedete sich mit einem simplen „Jaa, na“, bevor er durch die Tür verschwand und eine seltsame Leere zurückließ.

匂いの跡 - Nioi no ato - Trace of Scent

Der Duft von Platinum Egoïste lag in der Luft. Er war hier. Oder er ist es noch.

Lautlos setzte ich meinen linken Fuß vor den rechten. Als dieser den anderen wiederum überholen wollte, stieß er gegen eine am Boden stehende Tasche, die ich nicht gesehen, da ich versucht hatte, so viele Orte wie möglich, an denen sich Gackt aufhalten könnte, im Blick zu behalten, sodass mir keine Bewegung entgehen konnte; und am Boden würde ich Gackt weniger erwarten. Ich warf die Tasche zwar nicht um, doch das Geräusch, mit dem ich gegen sie stieß, war unwirklich laut in der Stille des Hauses. Innehaltend horchte ich in die wieder eingetretene Geräuschlosigkeit. Kein weiterer Laut folgte. Es war, als hielte das gesamte Haus mit all seinem Inhalt die Luft an, die gerade so köstlich duftete.

Als ich erkannte, dass niemand hier war, kamen unwillkürlich Gefühle der Enttäuschung auf. Auch wenn es nicht gut gewesen wäre, wenn Gackt tatsächlich hier gewesen wäre, war ich, da er nicht hier war, doch enttäuscht. Es war paradox. Doch so ist die Realität.

Ebenso absurd war mein Verlangen, ihn jetzt zu sehen.
 

Ich öffnete die Tür. Ich sah ihn nur an. Mir fiel keine Begrüßungsformel ein. Keine, die passend gewesen wäre. Es gab keine passenden Worte für unsere Situation. Ich winkte ich wortlos hinein.

Als ich die Haustüre wieder geschlossen hatte, fragte ich das, was mir als Erstes in den Sinn kam: „Warst du gestern hier?“

„Ja. Ich dachte mir, dass sie es dir sagen würde.“, antwortete er schlicht, unbeeindruckt.

„Sie hat dich reingelassen? Sie hat mir nichts davon gesagt, dass du hier warst.“, sagte ich schneller, als ich gedacht hatte.

„Woher wusstest du es dann?“, wollte Gackt irritiert wissen.

„Ich...“ Ich verfluchte mich dafür, die Antwort zu kennen. „Ich habe es gerochen.“ Seine Augenbrauen hoben sich. „Das ist ja wohl kein Wunder, so viel Parfüm, wie du benutzt!“, verteidigte ich mich, doch Gackt lächelte nur, als er mir ins Wohnzimmer folgte.

„Und? Wie weit hast du gelesen?“, fragte er dann auf einmal und ich wusste, dass er sein Drehbuch meinte, dass er mir vor vier Tagen vorbeigebracht hatte. Auch wenn man es seiner Stimme nicht anhörte, ich wusste, dass es ihn brennend interessierte, was ich davon hielt.

„Ich bin fertig.“, gab ich etwas verlegen zu, weil es so deutlich zeigte, wie viel Zeit ich mir dafür genommen hatte, folglich, wie wichtig es mir war. Als könnte ich diese Tatsache damit überspielen, ging ich in Richtung Küche, um Trinkgläser zu holen.

Gackt stutzte. „Fertig? In so kurzer Zeit?“ Er war offensichtlich überrascht und glücklich zugleich.

„Ich habe mich an dem Tag, als du es mir gegeben hast, nach dem Essen hingesetzt und angefangen zu lesen. Dann konnte ich nicht mehr aufhören und habe die ganze Nacht durchgelesen.“

Gackt stand hinter mir, schwieg. Ich drehte mich mit den Gläsern in der Hand um und erblickte Gackts glückliches Gesicht. Er lächelte ein Lächeln, das ich so nicht kannte. Es war faszinierend. Und es war ein ebenso faszinierendes Gefühl, einen neuen Gesichtszug zu entdecken.

„Also hat es dir gefallen?“, wollte Gackt nun mit unverhohlener Neugierde wissen.

„Ja.“, antwortete ich schlicht. „Sehr...“, fügte ich ehrlicherweise hinzu. „Aber das Ende...“ Gackts Blick verriet mir, dass er damit gerechnet hatte, dass ein Aber folgen würde. „...ist schon sehr grausam...“ Er hob seine Schultern etwas an, als könnte er nichts dafür.

„Wie gesagt... Wenn du es zulässt, gibt es noch ein Happy End...“

Ich seufzte. „Dann würdest du also das Ende umschreiben, wenn ich d“ Ich brach ab. Es klang hart, was ich gerade vorhatte, auszusprechen. „Wenn ich dich darum bitte?“, sagte ich stattdessen und brachte die Gläser an den Wohnzimmertisch, auf dem bereits eine Flasche Wasser stand.

„Wir könnten auch noch ein alternatives Ende machen. Das gibt es doch bei manchen Filmen. Ich finde, das hat etwas.“, meinte Gackt dazu. Es war keine Antwort auf meine Frage. Vielleicht, weil ich ihm auch nicht meine ursprüngliche Frage gestellt hatte.

„Ich hatte noch eine andere Filmidee.“, begann Gackt unvermittelt, als wir unschlüssig vor dem Wohnzimmertisch standen. Offenbar wollte sich keiner von uns setzen.

„Echt? Noch eine? Bist du gerade im Schreibfieber, oder wie? Worum geht es da?“, wollte ich wissen. Ich war erleichtert, dass wir uns wieder etwas mehr abseits von einem gewissen Thema befanden.

„Ich hatte mir überlegt, dass du entweder ein Dämon oder gleich der Fürst der Unterwelt bist. Da war ich mir noch nicht sicher, aber ich wäre dann das jeweils andere gewesen.“

„Ich werde das Gefühl nicht los, dass deine Skripte auf meine Rollenwünsche abgestimmt sind.“, unterstellte ich ihm. Es lag Sarkasmus in meiner Stimme.

„Das kann schon sein.“, entgegnete er unbestimmt, doch ich wusste, dass ich Recht hatte.

„Die Vorstellung gefällt mir.“, ließ ich ihn wissen, woraufhin er überrascht seine Augenbrauen hochzog. „Dämon zu sein, meine ich.“, machte ich deutlich, um jegliche Missverständnisse auszuschließen.

„Ach so... Ich dachte schon, du m“ „Ich weiß, was du dachtest.“, unterbrach ich ihn schroff. Es war keine Absicht. Ich wollte nur nicht, dass er es auch noch aussprach. Es genügte schon, dass ich es zu wissen glaubte.

„Haido-chan?“ Es war eine zögerliche Bitte nach Aufmerksamkeit. Ich schenkte ihm meinen Blick. „Darf ich dich küssen?“

Meine Lippen öffneten sich fast unmerklich, als wollte ich Luft holen, doch das tat ich nicht; stattdessen hielt die Luft an, um erst nach Sekunden wieder einzuatmen. Dabei schüttelte ich verständnislos den Kopf, erst nur ganz leicht, ungläubig. Es war mir unbegreiflich, wie er so etwas dermaßen direkt zu fragen wagte. Zumal in dieser angespannten Situation, und ohne ersichtlichen Zusammenhang.

„Ga-chan... Was soll das?“ Meine Stimme war ein Flehen. „Warum tust du mir das an?“ Ein Flüstern. Er wandte seine Augen keine Sekunde von meinen ab, als wollte er sie studieren, als wollte er in ihnen lesen. Er war auf der Suche nach Antworten.

„Warum? “, wiederholte er nun ungläubig. „Warum ich das tue?? - Weil ich genau weiß, dass es genau das ist, was wir beide wollen!“ Er versuchte sichtlich ruhig zu bleiben. „Nur darum.“

„Woher willst du denn wissen, was ich will?“, stellte ich seine Behauptung verzweifelt in Frage. Ich wusste schließlich, dass er Recht hatte. Und er wusste das auch. Es war eigentlich sinnlos, das zu fragen. Ich wusste es. Und doch tat ich es.

„Glaubst du wirklich, man merkt es nicht? Glaubst du, ich sehe nicht, wie du versuchst, nicht in meine unmittelbare Nähe zu kommen? Wie du versuchst, mir nicht in die Augen zu sehen, aus Angst, du könntest an ihnen hängen bleiben und mir damit zeigen, was für Gefühle du für mich hast? - Jede verdammte Sekunde liegt diese Spannung zwischen uns! Das macht mich wahnsinnig! Dabei müssten wir nur beide ehrlich zueinander sein!“

„Nur?! Nur?! “, keuchte ich verständnislos. „Du glaubst also, dann ist alles in Ordnung, ja? Ich muss nur ehrlich sein? Und dann?! Was ist dann?!“, schrie ich ihn nahezu an. „Dann muss ich eben selbst sehen, was ich mit meiner Familie anstelle, oder wie?! Dann lass ich mich am besten mal kurz scheiden, bekomme mein Kind nur alle paar Monate einmal zu sehen und habe auch noch die ganzen Medien am Hals! DAS ist dann!!

Er starrte mich lediglich an. Ich hatte ihn noch nie derartig angeschrieen. Er war schockiert.

Unerträglich viele Sekunden lang herrschte gelähmtes Schweigen. Er stand ebenso gelähmt vor mir. Es kam mir vor, als wären es etliche Meter, die uns trennten. Ohne dass wir uns bewegt hatten, schienen wir uns voneinander entfernt zu haben.

„Es tut mir leid.“ Die Stille war gebrochen, das Schweigen wieder bewegungsfähig. Gackt senkte seinen Blick. „Ich weiß, dass es nicht so einfach ist, wie ich es gerne sehe. Ich weiß es, aber... es macht mich wirklich wahnsinnig, verstehst du? Ich liebe dich...“ Erneutes Schweigen, gebadet in Verzweiflung.

Ich wusste nicht, was ich tun sollte, was ich sagen sollte. Ich brachte es nicht über die Lippen „Ich dich auch“ zu sagen. Ich konnte es nicht.

Seine Schuhe kamen in mein Blickfeld. Mein Kopf hob sich; ich sah in seine Augen. Einen Moment später spürte ich seine Hand an meinem Gesicht. „Wenn du mich doch mindestens öfters in deine Nähe lassen würdest... und mich nicht so sehr auf Abstand halten würdest... Das würde mir schon viel bedeuten...“ Seine Finger waren unglaublich sanft, seine Berührungen unfassbar zart. Ich hatte meine Augen geschlossen, war mir sicher, was nun kommen würde und wartete nur noch darauf, dass seine Lippen meine berührten. Doch das taten sie nicht. Er umarmte mich.

Diese Enttäuschung meiner Erwartungen löste irgendetwas in mir aus. Ich konnte sie deutlich spüren, die Veränderung. Ich wusste nicht, was es war, aber ich spürte, dass sich etwas veränderte.
 

Ich hatte das Gefühl, meine Worte hatten etwas bewirkt. Ich konnte nicht sagen, was es war, aber ich war mir sicher, dass sich etwas geändert hatte. Als ich wieder von Hyde abgelassen hatte, hatte er mich eigenartig angesehen und gefragt, ob wir zu mir gingen und er über Nacht bei mir bleiben dürfte. So seltsam, wie er mich angesehen hatte, so seltsam verlief auch der Rest dieses Abends. Es war ein eigenartiger Nebel, der uns einhüllte, der unsere Stimmen belegte, unser Handeln bestimmte. Wir sahen zusammen fern, doch keiner schaute wirklich zu. Wir hingen unseren Gedanken nach. Es war eine Comedy Show, doch keiner musste auch nur schmunzeln.

Es war bizarr, als wir uns nebeneinander in sein riesiges Bett legten. Wir blickten beide schweigend zur Decke. Wir berührten uns nicht.

„Ga-chan... Liebst du mich?“ Er sah mich lange wortlos an.

„Was willst du von mir hören?“, fragte er dann ruhig zurück. Es wirkte wie ein Angebot für eine Antwort meiner Wahl. Doch was wollte ich?

„Die Wahrheit.“ Meine Stimme war nur noch ein Flüstern.

„Und was versprichst du dir davon?“

„Gewissheit.“

Sein Blick zeigte Unverständnis. „Wie kannst du daran zweifeln?“ Es war die schönste Antwort, die er mir auf diese Frage hätte schenken können.

Doch mit einem Mal wurde mir bewusst, was ich soeben getan hatte: Ich hatte seine Gefühle für mich offen angezweifelt und somit gezeigt, dass ich ihm noch immer nicht vertraute. Es musste wehtun. Vielleicht sogar so sehr, wie es mir leid tat.

„Gomen nasai... Boku wa... Ich kann es einfach noch nicht fassen, was gerade passiert. Die Situation überfordert mich. Sie ist einfach... zu wenig real...“

„Was meinst du damit?“ Ich glaubte, Furcht in seinem Gesicht zu finden.

„Noch bis vor ein paar Monaten habe ich versucht, dich mir aus dem Kopf zu schlagen und jetzt...“ Er lächelte erleichtert. „Jetzt bist du hier, liegst neben mir und ich weiß, dass du mich liebst.“ Sein Lächeln wurde sanfter. „Es ging alles etwas schnell, verstehst du? Ich muss erst einmal lernen, mit dieser Situation umzugehen. Ich brauche Zeit, um zu begreifen, dass das eingetreten ist, was ich mir schon seit langem gewünscht habe.“ Es wurde noch sanfter. „Es fühlt sich noch immer so an, als könnte ich jeden Moment aufwachen.“ Seine Hand strich zart über meine Wange. Ich schloss die Augen. „Träume ich?“

Seine Stimme war ganz nahe, als er sprach. „Nein, das Schicksal meint es nur gut mit uns...“

Gefühle, wie sie in keinem Traum gespürt werden könnten, durchströmten mich, als seine Lippen vorsichtig in Kontakt mit meinen kamen. Es war kein Traum. Schicksal. Es war Schicksal.
 

Er ließ seinen Arm unter meinem Hals hindurchschlüpfen und legte seine Hand auf meine Schulter. Die Stelle wurde augenblicklich heiß. Nach einem Moment des Zögerns begann die Hand leicht, als wäre sie nichts als ein sanfter Wind, über meine Schulter zu streifen. Ich genoss es - unheimlich.

Die Bewegungen seiner Finger wurden langsamer, das Gewicht der Hand größer. Immer schwerer lastete sie auf meiner Schulter und war dennoch keine Last.

Seine Hand hielt mich, doch sie hielt mich nicht zurück; eher schickte sie mich fort, in höhere Ebenen, dorthin, wohin nur er mich zu schicken vermochte.

Ich konnte nicht sagen, wie viel Zeit bereits verflossen war, doch die Bewegungen waren nun erstorben. Regungslos lag seine scheinbar glühende Hand auf meiner Haut.

Mit einem Mal nahm ich seinen ruhigen Atem wieder wahr, der mir verriet, dass er eingeschlafen war. Eine Andeutung eines Lächelns zeigte sich auf meinem Gesicht. Ich seufzte leise. So sollte es jede Nacht sein - und das seit einer halben Ewigkeit.

Plötzlich löste sich die Berührung und seine Hand fiel auf die Matratze nieder.

Der Kontakt war gebrochen, das Gefühl der Geborgenheit verblasste.

Es war kein gutes Omen.
 

Die Sonne schien zu den großen Fenstern hinein, erhellte alles, erwärmte es. Wir saßen auf dem Sofa, schauten auf den Fernseher. Er war ausgeschaltet. Wir hielten uns aneinander fest.

Ich blickte am Fernseher vorbei, entdeckte ein paar beschriebene Blätter auf Gackts Schreibtisch und fragte mich unweigerlich, was es sein könnte, was dort lag. Gackt bemerkte meinen Blick. „Das sind Entwürfe für das Drehbuch.“

Ich runzelte die Stirn. „Dafür ist es aber sehr viel Text.“

Er suchte nach Worten. „Na ja... Es ist auch nicht wirklich in Drehbuchform. Es ist mehr wie... ein Roman.“ Er hatte das wohl eigentlich eher für sich behalten wollen. Doch es war zu spät; er hatte meine Neugier geweckt.

„Willst du ein Buch zum Film veröffentlichen?“ Ich atmete tief ein.

„Ich bin dabei, mir das zu überlegen.“, antwortete ich ihm schließlich. „Es ist schwierig, weil ich mir nicht sicher bin, ob es dafür gut genug ist.“, gab ich aufrichtig zu. „Ein Drehbuch und ein richtiger Roman... Das ist ein so großer Unterschied.“ Er sah zurück zu den Papieren auf meinem Schreibtisch, dann wieder zu mir.

„Darf ich?“ Ich konnte seinem unschuldig neugierigen Blick nichts abschlagen, machte eine Geste, die es ihm erlaubte, aufzustehen und die Blätter zu nehmen. Schon auf dem Weg zurück zum Sofa begann er zu lesen.
 

Als ich auf die Terrasse hinaustrat, hörte ich Musik. Dabei war es mitten in der Nacht. Ich sah mich um, fragte mich, aus welcher Richtung sie kam. Denn sie war schön. Sie war wunderschön. Ich wollte sie deutlicher hören.

Ich lehnte mich über die Brüstung - nichts, keine Bewegung. Ich ging zur anderen Seite der Terrasse, beugte mich hinunter - nichts. Verwirrt ließ ich meinen Blick schweifen und bemerkte die Treppe. Es war die Wendeltreppe, die zu dem Turm hinaufführte, in dem Selifer hauste. Kam diese wundervolle Melodie etwa von ihm, der köstliche Gesang aus seinem Mund?

Neugierig geworden, stieg ich die Stufen hinauf und sah bereits, als ich auf der viertletzten Sprosse stand, dass Selifer mit einer Gitarre im Mondlicht auf der Balustrade saß. Mit einem Mal hielt er inne, sang nicht mehr, spielte nicht mehr, wandte sich um, hatte mich bemerkt.

„Was spielst du da?“, getraute ich mich zu fragen und schritt näher, leise, als ob das noch nötig gewesen wäre. Er lächelte traurig, wandte sich wieder dem Mond zu. Er atmete tief ein und lange wieder aus, bevor er sagte: „Es war mein Lieblingssong.“

„Es war ?“, fragte ich nach, irritiert, dass er in der Vergangenheit sprach.

„Ja... früher einmal.“ Meine Augen huschten zwischen seinen hin und her. „In meinem früheren Leben.“ Stille.

„Wie ist es, sich daran erinnern zu können?“, fragte ich nach langem Zögern.

„Es ist... seltsam.“ Die Stille der Nacht war beruhigend und beunruhigend zugleich. „Weil es so weit weg ist, obwohl es mir nicht so zu sein scheint. Und es ist seltsam, zu wissen, dass ich nie wieder dahin zurück kann.“

„Beobach- Besuchst du deine Familie manchmal?“ Ich hielt mit einer Hand das Geländer fest, auf dem er saß.

„Jeden Tag.“ Diese Antwort ließ die Stille weichen, ersetzte sie durch ein lautes Schweigen.
 

Chapter 48 - End
 

„Das sieht doch richtig gut aus. Um nicht zu sagen: klasse. Ich finde, du solltest es auf jeden Fall probieren. Selbst wenn es kein so großer Erfolg wird wie der Film selbst, fände ich es schön, wenn man diese Geschichte auch lesen kann.“ Er wirkte verlegen. „Ich würde sie auf jeden Fall lesen.“

„Obwohl du das Drehbuch kennst, den Film kennst und selbst darin mitgespielt hast?“ Ich lachte leise auf, war belustigt und glücklich darüber, dass er das gesagt hatte. Er machte mir Mut.

„Ja.“, antwortete er schlicht. „Den Roman zu lesen, wird, wie ich hieran sehe, noch einmal etwas anderes sein. Obwohl ich die Szene, und vor allem den Dialog, bereits kenne.“

„Schön...“, lächelte ich. „Wenn das so ist, werde ich den Roman auf jeden Fall drucken lassen. Und wenn er nur für dich ist.“
 

Ich fühlte mich seltsam. Mich in diesem Haus zu befinden, befremdete mich. Es war, als gehörte ich nicht hier her. Doch Hyde war hier. Und er war der Grund dafür, dass auch ich hier war. Wie so oft. Ich hielt es keinen Tag mehr ohne ihn aus, und doch musste ich mehr als die Hälfte der Woche ohne ihn verbringen. Ich hatte längst den Roman zu Ende geschrieben, das Drehbuch schon seit einem Monat. Ich hatte viel zu viel Zeit. Viel zu viel Zeit, um nachzudenken. Viel zu viel Zeit, um einsam zu sein. Viel zu viel Zeit, um ihn zu vermissen. Wir sahen uns nicht häufig, und wenn wir uns sahen, nicht lange. Es war grausam. Ich wusste, ich würde das nicht mehr lange aushalten.

„Kommst du noch mit zu mir?“ Es war eine hoffnungsvolle Frage. Doch ich hätte wissen müssen, wie aussichtslos es war, auf eine positive Antwort zu hoffen.

„Besser nicht.“ Er suchte nach Worten. „Sie kommen bald zurück.“ Ein Stich, ohne ihre Namen gehört zu haben. Es war alles wie zuvor. Nur eines nicht: Der Schmerz wurde schlimmer.

„Wann sehen wir uns dann?“ Eine verzweifelte Frage. „Diese Woche noch?“ Es war Donnerstag.

„Sumimasen. Ich habe keine Zeit.“ Ich wusste genau wegen wem. Und ich wusste, weshalb er es nicht aussprach. „Vielleicht...“ Er konnte es jedoch nicht verhindern. Zu lange war die Situation unverändert geblieben. Zu oft hatte er keine Zeit für mich gehabt. „...Dienstag?“ Es war zu spät.

ICH HASSE ES, DIE NUMMER ZWEI ZU SEIN, DAS WEIßT DU!!“ Betreten blickte er zu Boden. Dieser Anblick vermischte zwei Gefühle in mir: Eifersucht und Schuldgefühl.

Es lag eine scheinbar unbrechbare Stille zwischen uns. Ich spielte nicht mit dem Gedanken zu gehen, doch ich wusste, dass es sinnvoll gewesen wäre. Aber ich konnte nicht.

Wie kannst du nur so ein Doppelleben führen?!“, platzte es erneut aus mir heraus. Er hätte es verhindern können, wenn er nur endlich etwas gesagt oder getan hätte. „Hier die eine, dort den anderen - wie es eben gerade passt! Dass es bei der einen eben meist besser passt, da kannst du ja nichts dafür, nicht wahr?!“

Ich konnte seine Augen aufgrund seines gesenkten Blickes nicht sehen, aber ich nahm an, dass er sie geschlossen hatte und darauf wartete, dass ich aufhörte, ihm Vorwürfe zu machen, auch wenn er noch nicht wusste, was er dann tun würde.

Ich sah ihn stumm an. Eigentlich wollte ich ihn in den Arm nehmen, doch etwas hielt mich zurück. Ich konnte nicht sagen, was es war. Ich blickte ihn einfach nur an und dann sah ich es: eine Träne an seinem Kinn.

Das Gefühl der Eifersucht war verschwunden, die Schuldgefühle hatten die Oberhand gewonnen. Ich musste ihn in den Arm nehmen. „Es tut mir leid... Ich bin egoistisch...“ Ich drückte ihn an mich. „Für dich ist es auch nicht leicht...“

Er unternahm nichts gegen die Umarmung, erwiderte sie jedoch auch nicht. Ich hörte ihn unruhig einatmen. Es machte mir Angst, nicht zu wissen, was er gerade dachte.

Ich wartete, ungeduldig, darauf, dass er etwas sagen, dass er seine Arme um mich legen, dass er zu weinen aufhören würde. Er tat es nicht.

Für mich ewig andauernde Sekunden verstrichen, in denen er wort- und tatenlos dastand. Ich wurde immer unruhiger, drückte ihn fester an mich, vielleicht aus Angst, dass er sich ganz von mir loslösen könnte, vielleicht auch, dass er mich spürte, dass er wusste, dass ich bei ihm war, dass er nicht alleine war, dass er sich dessen bewusst wurde und seine Gedankenwelt für mich verließ.

~Hör auf damit...~, flehte ich innerlich. ~Sag etwas... Tu etwas...~

Er bewegte sich. Er rührte seine Arme. Ich hielt die Luft an - und atmete erleichtert aus, als seine Hände meinen Rücken berührten. Er kuschelte seinen Kopf an meine Schulter, wischte seine Tränenspuren fort, während in meine Augen Tränen der Erleichterung traten.
 

Ich weiß nicht, wie lange wir uns so umarmten, doch ich genoss es und versuchte, nicht an die Zukunft zu denken. Plötzlich lehnte sich Gackt ein wenig zurück und ich blickte zu ihm auf. Ich sah zwei kleine Tränen in seinen Augen funkeln. Er ließ mir jedoch nicht genug Zeit, mich zu fragen, woher sie kamen, da küsste er alle meine Gedanken fort.

Als ich meine Augen öffnete, wusste ich nicht mehr, wo wir waren, warum wir hier waren und was geschehen war; ich sah nur noch Gackt. Ich spürte ihn, ich roch seinen einzigartigen Duft und ich hörte, wie er leise sagte: „Aishiteru...“

決定 - Kettei - Decision

Ich erwachte in seinen Armen. Es war ein unglaubliches Gefühl der Sicherheit. Doch immer wieder kam mir Megumi in den Sinn und mischte Schuldgefühle bei. Ich hatte nie gedacht, dass ich sie einmal betrügen würde. Ich hatte nicht geglaubt, dass ich jemals unser Ehebündnis anzweifeln würde.

„Was denkst du gerade?“ Gackt sah zu mir hinunter, sein Kopf auf seinem Arm abgestützt.

„Nan demo nai.“, gab ich nur zurück, unfähig, ihm eine richtige Antwort zu geben, im Stande und im Begriff, ihm sein Lächeln zu rauben.

„Denkst du darüber nach, wie es weitergehen soll?“, fragte er weiter, ein nachsichtiges Lächeln in seinem Gesicht. Ich blickte ihn eine Weile schweigend an, fragte mich, ob er immer wusste, was ich dachte, und nickte schließlich, mit gesenktem Blick. „Und bist du schon zu einem Ergebnis gekommen?“ Ich schüttelte schuldbewusst den Kopf. „Was... siehst du denn für Möglichkeiten?“, fragte er zögerlich. Ich wollte nicht daran denken. Ich wollte einfach nicht daran denken.

„Können wir das ein anderes Mal besprechen? Bitte.“, flehte ich.

Er zögerte einen Moment; vielleicht überlegte er, mich nicht davonlaufen zu lassen, doch letztendlich lächelte er gütig und meinte: „Wollen wir dann frühstücken?“

Auf diese Weise vergingen Wochen, Monate, ohne dass wir auch nur einen Schritt weiterkamen. Wir trafen uns, so oft wir konnten, heimlich, so oft ich glaubte, dass es nicht auffällig werden würde. Doch an unserer Situation änderte sich nichts. Wir kamen kein Stück voran, keine Entscheidung rückte näher. Es war, als gäbe es keine Lösung. Zumindest keine, die ich finden würde. Und Gackt konnte mir nicht helfen, weil es alleine meine Entscheidung war, auch wenn er mir helfen wollte, das spürte ich. Doch ich ließ ihn auch nicht. Ich hatte noch immer die Hoffnung, dass sich eines Tages etwas ergeben, dass mir die Lösung liefern würde.

Hoffnungen können so sinnlos sein.
 

„Oh, ist das schön, mal wieder so viel Zeit mit dir verbringen zu können! Ich sollte mir öfters einen Tag frei nehmen!“ Sie lachte. „Natürlich nur, wenn ich sicher weiß, dass du auch Zeit hast!“ Sie legte ihre Arme um mich. Ich hätte sie am liebsten von mir geschoben.

Meine Lippen fühlten sich eigenartig an.

„Seit Jo-chan da ist, habe ich dir gesagt, dass du nicht mehr zu arbeiten brauchst.“, sagte ich. Ich glaube, dass es mehr meiner Ablenkung diente als irgendetwas anderem.

„Aber was soll ich denn dann den ganzen Tag tun, wenn du nicht da bist?“ Sie zog einen Schmollmund. „Wenn du nicht so viel unterwegs wärst, würde ich bestimmt nicht so viel arbeiten.“ Sie lächelte. „Na ja, Hauptsache es gibt immer wieder einmal zwischendurch solche Tage, an denen wir so viel Zeit füreinander haben, wie heute.“ Ich versuchte, das Strahlen in ihrem Gesicht widerzuspiegeln. Ich versuchte es. Vergeblich. „Am liebsten würde ich jeden Tag mit dir solche Ausflüge und Spaziergänge machen!“ Ich lächelte. Unehrlich.

Das Telefon klingelte - und ich war dankbar dafür. „Ich gehe ran.“, trällerte sie und tänzelte davon. Ich fuhr mir verzweifelt durch die Haare. ~Das kann so nicht weitergehen...~ Mehr von solchen langen freien Tage würde ich nicht überstehen.

„Moshi moshi?“, hörte ich Megumi im Nebenzimmer sagen. „Ah, Gakuto-san, konnichi wa!“

Meine Augen öffneten sich schlagartig, meine Hand hielt inne. „Ja, der ist da. Ich bin schon unterwegs!“, trällerte sie wieder, ihre gute Laune versprühend. Doch ich bezweifelte, dass sie auch nur einen geringen Effekt bei Gackt oder mir erzielen konnte.

Sie kam um die Ecke gelaufen und hielt mir den Hörer hin. Ich zwang ein Lächeln auf meine Lippen und nahm ihn an mein Ohr. „Moshi moshi?“ Ich versuchte meine Stimme so neutral wie nur möglich klingen zu lassen.

„Gakuto desu.“ Entweder er wollte mir Zeit geben, mich auf das Gespräch einzustellen, oder er wusste nicht mehr, weshalb er anrief. „Könntest du... für eine Weile zu mir kommen?“

Ich atmete tief ein und wieder aus, bevor ich antwortete. „Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist.“ Ich blickte zu Megumi, die sich wieder neben mich auf das Sofa gesetzt hatte. Sie kuschelte sich an meine Schulter. Ich wollte nur noch fort von ihr.

„Ich hatte gehofft, du könntest dir ein bisschen Zeit nehmen. Geht es denn wirklich gar nicht? Auch nicht später?“, fragte Gackt weiter und mein Blick blieb starr auf Megumi gerichtet, auch wenn ich sie nicht mehr wirklich sah. „Ich würde dich wirklich gerne sehen...“

Mein Blick fokussierte sich wieder, als Megumi zu mir aufsah. Ich wagte es. Es schockierte mich, dass ich es riskierte, ihre gute Laune zu trüben. „Mei-chan? Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich kurz zu Gakuto-san gehe?“ Ich hoffte, er verstand nicht viel durch die von meiner Hand zugehaltene Sprechmuschel.

„Nein, natürlich nicht.“, gab sie zur Antwort. „Aber du musst bis zum Abendessen zurück sein.“, stellte sie eine Bedingung. „Das dürfte so...“ Sie warf einen Blick auf die Uhr. „...in einer Stunde sein.“

„Okay...“, sagte ich, und wusste nicht, ob zu ihr, zu mir oder zu Gackt. „Ich komme dann jetzt vorbei. Jaa, ne.“ Ich legte auf, bevor er eine Gelegenheit hatte, etwas zu erwidern.

„Ich beeile mich.“, meinte ich zu Megumi, legte das Telefon auf den nächst besten Platz und verließ das Haus, ohne mich von ihr zu verabschieden. Für einen Moment war mir der Gedanke im Kopf herumgeschwirrt, ihr einen Kuss zum Abschied zu geben, alleine aus Dankbarkeit, dass sie nicht nachgefragt hatte, warum ich zu Gackt ging. Doch ich konnte nicht. Ich konnte es nicht.
 

Ich klopfte nervös mit dem Fuß auf dem Boden, während ich vor Gackts Tür wartete, die, wenige Sekunden nachdem ich geklingelt hatte, bereits geöffnet wurde. „Hallo...“, empfing er mich, ließ mich eintreten, schloss die Tür und umarmte mich, presste mich an sich. Ich genoss es.

Dann blickte er mir in die Augen und küsste mich. Ich glaubte, einen traurigen Zug in seinem Gesicht zu erkennen. Ob er wusste, wie wenige Minuten es her war, dass ich sie geküsst hatte...?

„Weißt du, was heute für ein Tag ist?“, fragte er mich plötzlich. Ich blickte ihn ratlos an. Wieder ein trauriger Zug. „Unser Zweimonatiges.“ Auf einmal griff er hinter mich in die Tasche eines Mantels, der an der Garderobe hing, und nahm ein samtschwarzes Kästchen heraus. „Ich habe etwas für dich...“, verkündete er strahlend vor Vorfreude. „Ich wollte es dir eigentlich schon zu unserem ersten Monatstag, aber...“ ~Ich hatte bestimmt keine Zeit für ihn...~

„Du weißt doch, dass du mir nichts schenken sollst...“, warf ich ihm vor. Er lächelte nur und legte es in meine Hände. Es war unerwartet schwer. Ich war jedoch nicht sicher, ob ich es mir nur einbildete.

Er wartete, sah mich mit durchdringenden Augen an. „Mach es auf.“ Ich riss meinen Blick von diesen blauen Perlen, öffnete die Schatulle und erblickte ein Herz aus ebenso blauem Glas, das im Licht der Spätnachmittagssonne funkelte. Das Glasherz war makellos, von einem klaren, durchscheinenden Blau, das den Blick auf die Unterseite des Glaskörpers gewährte, in den Schriftzeichen eingraviert waren, die die Worte „I will always love you“ ergaben.

„Es ist wunderschön...“, flüsterte ich. Dann blickte ich mit verzweifelten Zügen im Gesicht zu ihm auf. „Aber ich will nicht, dass du mir solche Dinge schenkst...“

Sein Lächeln verschwand. „Ich will es aber...“ Eine schwere Stille entstand. Ich fühlte mich unfähig, sie zu brechen. „Wenn du willst, kannst du es auch bei mir lassen.“, schlug er nach etlichen Sekunden vor. „Du musst es nicht mit nach Hause nehmen...“ Ich konnte den Schmerz sehen, den ich ihm zufügte. Irgendetwas in mir krampfte sich zusammen. „Doch. Ich will es mitnehmen.“ Er lächelte sanft, traurig. „Arigatou, Ga-chan...“ Ich zog ihn in meine Arme und drückte ihn fest an mich.

„Ich muss jetzt gehen...“, wisperte ich, unfähig, etwas so Schreckliches laut auszusprechen.

„Aber - Du bist doch gerade erst gekommen!“, entfuhr es Gackt verständnislos.

„Ich weiß, aber ich muss zurück...“, wisperte ich, beschämt zu Boden blickend. Ich schloss die Augen, mein Herz klopfte rastlos. Es tat weh. Es tat so weh, ihm weh zu tun.

„Ich halte das nicht mehr aus!“, brach es auf einmal aus Gackt heraus. „Wenn du mich liebst, dann sollte ich dir wichtiger sein!!“

Ich konnte ihm nicht ins Gesicht sehen. Ich hatte Angst vor seinen zerbrochenen Augen.

„Das bist du doch...“ Meine Stimme war kaum noch ein Flüstern.

„Davon merke ich aber nichts! Wenn es so wäre, hättest du schon längst die Scheidung eingereicht!“, rief er aufgebracht und augenblicklich kehrte Stille ein.

„Das hat damit doch gar nichts zu tun!“, meinte ich verzweifelt.

„Und ob das etwas damit zu tun hat! Du kannst nicht beide Seiten zufrieden stellen, verstehst du das nicht?!“, fuhr er mich heftig an. Verzweiflung mischte sich mit Wut.

„Weißt du, was ich von Heute auf Morgen alles aufgeben müsste?!“ Verzweiflung. „Ich habe nicht nur eine Frau, ich habe auch ein Kind, Satoru!! Du hast doch keine Ahnung, was für eine Verantwortung das bedeutet!!“ Wut. Ich nannte ihn sonst nie bei seinem Taufnamen.

„Nein, habe ich nicht!“, war seine ehrliche Antwort. „Und ich bin auch froh drum!! Kinder in die Welt zu setzen, ist das Schlimmste, das man tun kann!“

„Warum gibst du dich dann mit einem Verbrecher wie mir ab?!“

Er schloss seine Augen. „Wir sollten uns nicht streiten. Das hilft uns auch nicht weiter.“ Stille.

„Du hast Recht.“, stimmte ich ihm zu, bereute meine rücksichtslos wütende Reaktion und senkte ebenfalls beschämt meinen Blick. Ich wusste nicht mehr, was ich sagen sollte. Ich hatte keinen Vorschlag, den ich ihm unterbreiten könnte. In Wirklichkeit hatte ich keine Ahnung, wie es weitergehen sollte.

„In meinen Augen gibt es nur eine Möglichkeit.“, meinte Gackt und ich sah zu ihm auf, in der Hoffnung, er würde eine Lösung gefunden haben, die ich übersehen hatte.

„Du musst dich entscheiden, Haido...“ Mein Mund öffnete sich von selbst. „Ich oder sie...“
 

Ich hatte es ausgesprochen. Ich setzte alles aufs Spiel... Ich war so dumm.

Was, wenn er nun erkannte, dass es der einfachere Weg sein würde, so zu leben wie früher?

Ohne unsere Beziehung, ohne meine Forderungen, ohne mein Drängen - ohne mich...

Meine Ungeduld hatte womöglich alles zerstört.

~Wenn ich ihn nun verloren habe, bin ich der Einzige, der Schuld daran trägt...

Vielleicht wäre es aber auch besser für ihn, sein früheres Leben weiterzuführen.

Ohne den Skandal einer Scheidung, ohne den Tumult der Medien, ohne die Angst, dass das, was zwischen uns war, ans Tageslicht dringt...~
 

Er schien wirklich an seine Grenzen gestoßen zu sein. Das Schlimmste daran war: Ich konnte ihn verstehen. Er hatte vollkommen Recht. Ich konnte doch kein Familienleben führen und ihn so ganz nebenbei lieben. Doch es war alles nicht so einfach.

Warum konnte er das nicht verstehen? Ich brauchte Zeit. Und doch brauchte ich ihn dringender...

~Aber eigentlich habe ich ihn ohnehin gar nicht verdient...

Niemand behandelt ihn so schlecht wie ich... Niemand würde ihn dermaßen abweisen wie ich...

Niemand würde ihn auf eine so gespaltene Art und Weise zu lieben versuchen...

Vielleicht geht es ihm ohne mich, der ihn nur wieder und wieder verletzt, schon bald besser...~

透明な出席 - Toumei na shusseki - Transparent Presence

Um mich herum waren einige Leute - zu viele für meinen Geschmack. Sie lachten und sangen, tranken und alberten herum. Ich hörte sie nicht. Ich sah sie kaum. Ich lachte mit, doch ich wusste nicht, worüber, und eigentlich gab es auch keinen Grund zu lachen - nicht für mich.

Es war bereits später Abend und ich sollte schon seit Stunden fröhlich meinen neununddreißigsten Geburtstag mit meinen engsten Freunden zusammen feiern, doch ich konnte nicht. Er fehlte.

Jedes Mal wenn die Klingel läutete, sprang ich auf, in der Hoffnung, er würde vor der Türe stehen. Doch ich musste nur wieder und wieder feststellen, dass es jemand anderes war - nicht Hyde.

Mit irgendwelchen dürftigen Worten entschuldigte ich mich und verließ den Raum. Ich schloss mich in mein Badezimmer ein und genoss für einen Moment die relative Ruhe. Die johlende Menge war von hier nicht mehr so deutlich zu hören. Ich hatte meine Hände an den Waschbeckenrand gelegt, stützte meinen müden Körper darauf ab. Kühles Wasser tropfte von meinem Gesicht.

Der Moment des Stillegenießens war vorbei, als ich die Augen öffnete. Ich blickte in ein schrecklich ausgelaugtes Gesicht. Es war das Bild der puren Erschöpfung. Ich war es gewohnt, Menschen etwas vorzuspielen, doch niemals zuvor musste ich das stundenlang tun, als es mir dermaßen schlecht ging.

Wochen waren vergangen und Hyde hatte nicht angerufen, hatte sich auf keine Weise gemeldet.

Ich hatte vor mich hin gelebt, versucht, etwas Sinnvolles zu tun, mich abzulenken - erfolglos.

Ich brauchte eine Antwort. Und doch fürchtete ich sie.

Es klopfte an die Badezimmertür. Ich erschrak. „Oi, Ga-chan! Du hast einen neuen Gast!“, rief Chachamaru durch die geschlossene Tür hindurch. „Komm gefälligst, um ihn zu begrüßen!“ Ich seufzte. Wieder einmal.

„Ich komme!“, rief ich zurück und trocknete mir kraftlos das Gesicht ab. Nach einem weiteren Blick in den Spiegel, der mich nur abermals vor die Frage stellte, wie man nicht sehen konnte oder ob man nicht sehen wollte, dass ich mich miserabel fühlte, verließ ich das Badezimmer und ging zurück ins Wohnzimmer. Dort entdeckte ich ihn sofort - den neuen Gast, von dem Chachamaru gesprochen hatte. Er stand, mit einem Geschenk in den Händen, unsicher, noch etwas abseits von den anderen Gästen. Als er mich bemerkte, kam er lächelnd auf mich zu, schien nicht so recht zu wissen, was er mit dem Geschenk tun sollte, während er mich begrüßte. So legte er bei unserer Umarmung nur einen Arm um mich, um mit dem anderen das Geschenk festzuhalten. „Tanjoubi omedetou, Ga-chan!“, wünschte er mir und überreichte mir dann freudestrahlend das, was er in der Hand hielt. Es interessierte mich nicht, was darin war. Es interessierte mich nicht, wer um mich herum stand. Es interessierte mich nicht, wie sich alle amüsierten. Es interessierte mich nichts - außer die Antwort auf die Frage, wo Hyde gerade war. Ich wollte wissen, was er gerade tat, was er dachte und warum er es mir antat, an meinem Geburtstag nicht bei mir zu erscheinen.

„Arigatou.“, meinte ich gezwungen an Leehom gewandt. „Schön, dass du noch gekommen bist. Ich dachte schon, du schaffst es nicht mehr.“

„Sorry, dass ich erst so spät komme, aber ich konnte den Termin wirklich nicht absagen.“, entschuldigte er sich aufrichtig.

„Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen. Mir reicht es, dass du überhaupt noch gekommen bist.“ ~Ja, mir reicht es... Mir ist das alles zu viel. Ich will hier raus. Ich will eine Antwort, Hyde...~
 

~Ich bin so ein Egoist...~

Wieder einmal stand ich vor seiner Tür. Ich wusste, das sollte ich nicht. Doch ich hatte es nicht länger ertragen, zu Hause zu sitzen, alleine, unfähig, an etwas anderes zu denken als an ihn. Ich hatte es nicht mehr ausgehalten, darauf zu warten, dass er sich meldete. Und ich hatte die Hoffnung aufgegeben, dass er es jemals tun würde.

Die Tür bewegte sich. Sie entfernte sich von mir. Ihr Gesicht zeigte ein Lächeln.

„Gakuto-san! Schön, dass du mal wieder vorbeischaust! Komm doch rein!“, bot sie mir höflich an.

Sie schien sich zu freuen, mich zu sehen.

Sie würde mich hassen, wenn sie wüsste, weshalb ich hier war.

„Haido-chan ist in seinem Arbeitszimmer.“, ließ sie mich wissen und schloss die Tür hinter mir.

Sie war noch vollkommen ahnungslos.

Ich bemerkte, dass sie keinen Gipsarm mehr hatte. Es erleichterte mich aus irgendeinem Grund. Vielleicht hatte es ebenso wie bei Hyde auch bei mir Schuldgefühle ausgelöst, sie verletzt zu sehen - unangebrachte Schuldgefühle.

„Arigatou.“, meinte ich nur lakonisch und machte mich auf den Weg zu benanntem Zimmer.

Die Tür war geschlossen. Ich hatte das Gefühl, auf eine Wand zu treffen.

Zaghaft klopfte ich und lauschte. Es kam keine Antwort. Ich tat es noch ein zweites Mal - nichts. ~Er hat mich kommen hören...~ Ich öffnete nun einfach die Tür und erblickte Hyde, der mit dem Rücken zu mir auf seinem Schreibtischstuhl saß und lustlos in einer Zeitschrift blätterte. Er hatte kein Licht angeschaltet, dabei war es durch das trübe Wetter ziemlich dunkel im Raum. Er wirkte düster - sowohl der Raum als auch Hyde als auch die Atmosphäre.

„Hai-chan...“, versuchte ich es leise, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Doch seine Reaktion war nur ein genervtes Seufzen. Es versetzte mir einen unglaublich tiefen Stich.

Er wollte mich nicht sehen. Meine bloße Anwesenheit schien seine Laune verdorben zu haben.

~Vielleicht hätte ich doch nicht kommen sollen...~, dachte ich niedergeschlagen.

„Es tut mir leid, Hai-chan...“, begann ich so leise, dass ich es nicht für nötig hielt, die Türe hinter mir zu schließen. „Es tut mir so wahnsinnig leid... Ich wollte dich nicht vor solch eine Entscheidung stellen... aber ich konnte nicht anders... Ich war verzweifelt... Ich bin verzweifelt...“

Schweigen. Selbst das stetige Geräusch des Regens wurde ruhiger. Es dauerte etliche Sekunden, bis Hyde mit einem weiteren Seufzen antwortete. Ein weiterer Stich, noch stärker als der erste.

Ich schloss die Augen, hoffend, dass das alles nur ein Traum war. Doch ich wusste, kein Traum hätte solchen Schmerz bieten können.

„Hai-chan...“ Meine Stimme brach ab. Ich wollte nicht vor ihm weinen, nicht, wenn er so kalt zu mir war, nicht, wenn er in diesem Haus war, nicht, wenn wir nicht alleine waren.

Nicht einen Blick hatte er mir geschenkt.

Ich konnte seine Gleichgültigkeit nicht länger ertragen. Ich musste fort. Irgendwohin, egal wo, Hauptsache fort von hier, fort von dieser Gleichgültigkeit, fort von diesem Schmerz.

Ich warf noch einen letzten Blick auf die kleine Gestalt, die für mich so unerreichbar fern war und wandte mich um, lief durch die Tür, ohne sie auch nur zu schließen, steuerte auf die Haustüre zu und verließ durch sie das Haus, das ich nie wieder betreten wollte. Der Regen spülte mich davon.
 

Er erschrak, als ihn etwas an der Schulter berührte. Er wandte seinen Kopf zur Seite und erblickte Megumi, die ihn mit gerunzelter Stirn anblickte. Er nahm die Kopfhörer aus seinen Ohren und sah sie fragend an.

„Warum ist Gakuto-chan denn so schnell schon wieder gegangen? Er ist doch gerade erst gekommen. War irgendwas?“, fragte Megumi besorgt.

Gackt war hier?! - Wann?! Wo?!“, keuchte er atemlos.

„Bis eben. Ich habe ihn gerade noch aus der Tür gehen sehen.“, teilte sie ihm mit.

Panik breitete sich in Hyde aus. Was war passiert? Wo war Gackt gewesen? Warum war er wieder gegangen, ohne ein Wort mit ihm zu wechseln? Der Drang, Gackt nachzulaufen, war überwältigend.

„Habt ihr euch denn g?“, begann Megumi, als Hyde an ihr vorbeistürmte, sie beinahe noch zur Seite gestoßen hätte, wäre sie nicht im letzten Augenblick selbst aus dem Weg gegangen. „Was?!“, brachte sie noch verwirrt hervor, doch Hyde hörte sie ohnehin nicht mehr. Er rannte zur Tür hinaus, ohne sich Jacke, ohne sich Schuhe anzuziehen. Auch die Mühe, die Haustüre zu schließen, machte er sich nicht. Es war ihm alles egal, nur nicht das, das gerade das Haus verlassen hatte. Und genau das wollte er jetzt zurückholen.

Seine nackten Füße flogen unglaublich schnell über den vom Regen durchnässten Teer. Unachtsam lief er auf die Straße. Nichts als Gackts Wagen im Blick. Nichts als Gackt selbst im Sinn. Nichts als Angst in sich. Die Panik trieb ihn voran. Als Gackts Wagen hinter einer Kurve verschwand, setzte sein Herz einen Schlag aus. Seine Beine wurden von selbst schneller; er spürte sie nicht mehr.

Als er selbst die Kurve hinter sich gelassen hatte, hatte er den schwarzen Jaguar aus den Augen verloren. Und doch hörte er nicht auf zu laufen, konnte es nicht.

Der Regen prasselte erbarmungslos auf ihn nieder. Doch er spürte ihn nicht.

An einer Kreuzung blickte er sich hastig nach allen Seiten um und lief geradeaus weiter, bis er registrierte, dass er das Gesuchte für einen kurzen Augenblick links von sich hatte sehen können. Er versuchte abzubremsen, anzuhalten, doch er schaffte es nicht sofort, konnte die Laufrichtung nur abändern, steuerte somit auf ein Schaufenster zu, stieß sich von diesem mit einem lauten Knall ab, sodass die Leute in dem Geschäft erschrocken aufschauten. Doch es war ihm egal.

Er rannte über den Gehweg, wieder auf die Straße; ein Fahrzeug hupte. Hyde war sich nicht bewusst, dass er der Auslöser dafür war. Er befand sich in seiner eigenen Welt, in der nur eine Gefahr drohte: Gackt zu verlieren.

Er sah ihn, den schwarzen Jaguar. Er hielt an einer roten Ampel. Das war seine Chance, wohl seine einzige. Er zögerte nicht, rannte auf den Wagen zu. Wenige Meter entfernt hörte Hyde das Geräusch eines anfahrenden Autos.

~Nein!~, dachte er entsetzt, beschleunigte noch ein letztes Mal und fing sich mit lautem Geräusch mit beiden Händen an der Beifahrerscheibe ab, wodurch er Gackts erschrockenen Blick zu sich herumfahren ließ. Seine geweiteten Augen starrten in Hydes nasses Gesicht. Es war nicht auszumachen, ob nur der Regen des Himmels oder auch der seiner Augen es überflutet hatte.
 

Langsam drangen die lauten Hupgeräusche an meine Ohren. Ich löste meinen Blick von Hydes Gestalt und fuhr um die Kurve, an den Straßenrand, um auszusteigen. Für einen grausamen Moment musste Hyde gedacht haben, dass ich einfach davonfahren würde, denn seine Augen hatten sich erneut geweitet. Doch jetzt, als ich auf ihn zukam, brach er erleichtert in meinen Armen zusammen. „Ga-chan... Ga... chan...“, keuchte er und klammerte sich an mir fest. Er war völlig außer Atem und vollkommen durchnässt. Er musste mir die ganze Strecke hinterhergelaufen sein. Erst jetzt bemerkte ich, dass er barfuß war.

„Komm...“, bat ich ihn. „Komm... Wir fahren zu mir...“ Ich wollte aus dieser Menschenmenge, fort von all den Geräuschen, ihn aus der Kälte bringen, und mit ihm alleine sein.

Ich hatte so viele Fragen, doch ich wusste, dass wir sie nicht hier klären sollten. Also half ich Hyde in den Wagen, schloss seine Tür und stieg selbst schnell ein. Ich warf einen besorgten Blick zu ihm.

Er war am Ende.

Ich startete den Wagen. Ich wollte so schnell es ging nach Hause, an einen Ort, an dem wir ungestört und ungesehen sein würden. Ich war hin und her gerissen zwischen einer waghalsigen Fahrweise, die uns am schnellsten an unser Ziel bringen würde, und einer vernünftigen, die uns - und vor allem ihn - sicher dorthin brächte.

Ich erschrak, als etwas meinen Bauch streifte.

Es war Hydes Arm, den er, wie auch seinen anderen, um mich legte. Überrascht blickte ich zu ihm hinunter. Er hatte die Augen geschlossen, atmete hörbar.

Ich nahm eine Hand vom Lenkrad und streichelte ihm beruhigend über den Rücken. Da bemerkte ich, dass er sich nicht angeschnallt hatte. Und schon hatte ich mich für die Vernunft entschieden.
 

Ich warf einen Blick auf die noch leicht zitternde Gestalt neben mir, bevor ich ausstieg. Als ich um den Wagen herum lief, kam mir Hyde allerdings schon entgegen, dabei wollte ich ihm doch zumindest meine Schuhe geben, dass er nicht barfuß über den kalten Boden gehen musste. Er war jedoch schneller als ich selbst am Fahrstuhl, ging hinein und drückte den Knopf für den siebten Stock. Als sich die Fahrstuhltüren schlossen, wurde ich plötzlich nach hinten gestoßen und gegen sie gedrückt. Stürmisch hatte er mich in die Arme geschlossen. Es schien, als hätte er nur darauf gewartet, dass sich diese Türen schlossen. Noch nie hatte er mich so verzweifelt umarmt.

Ich zog ihn fest an mich, wollte ihn ebenfalls nicht mehr loslassen.

„Ich... habe dich so vermisst...“, flüsterte er mit einer so zerbrechlichen Stimme, dass es mir wehtat. Als Erwiderung ließ ich meine Hände seinen nun wieder stark bebenden Körper entlang fahren, durch seine Haare, über seinen mit Gänsehaut überzogenen Nacken, den kalten Rücken hinunter und wieder hinauf, um ihn erneut fest an mich zu pressen. Ich hatte das Gefühl, dass sein Zittern jedoch nichts mehr mit der Kälte zu tun hatte.

„Es tut mir so leid, dass ich das von dir verlangt habe... Ich...“ Ich wollte mein Verhalten erklären, doch ich konnte es nicht. Ich konnte nicht mehr nachvollziehen, wie ich diese wochenlange Einsamkeit und den Entzug des Zusammenseins unserer heimlichen Beziehung vorziehen konnte, die es mir erlaubte, zumindest ab und zu in seiner Nähe sein zu dürfen.

„Das ist doch jetzt egal...“, klagte Hyde, als wollte er etwas anderes, als über dieses Thema zu reden. „Lass uns...“, begann er, als der Fahrstuhl im siebten Stock angelangt war, und sein Satz endete in einem Kuss, der uns in den siebten Himmel versetzte.

An seinem Verhalten erkannte ich, dass es das war, was er wollte.

開放して - Kaihou shite - Open yourself up

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

夢のような - Yume no you na - Like a Dream

Der Tag, der auf diese Nacht folgte, fühlte sich auf traumhafte Weise real an. Es war das erste Mal, dass ich neben ihm einschlief und mir beim Erwachen sicher war, dass er noch neben mir liegen würde. Ich war nie glücklicher erwacht.

Ich hatte einen für mich ungewöhnlich langen und erholsamen, traumlosen Schlaf, doch dafür fühlte sich das Wachsein wie ein Traum an. Ebenso die vergangene Nacht. Ich konnte es noch immer nicht glauben, wie nahe wir uns gewesen waren, wie gut es sich angefühlt hatte, mit ihm vereint und in dem Moment dabei zu sein, in dem er den intensivsten Punkt des Empfindens erreichte. Ich wusste, selbst wenn dies die einzige gemeinsame Nacht für uns bliebe, würde ich sie niemals vergessen, keine Sekunde davon, kein Detail, kein Bild, kein Geräusch. Noch jetzt kann ich ihn deutlich keuchen hören. Es ist eine Erinnerung für die Ewigkeit.

Und zum ersten Mal, zum allerersten Mal - als wir erschöpft nebeneinander lagen und darauf warteten, dass unsere Kräfte zurückkehrten -, hatte Hyde ganz leise, kaum hörbar, „Aishiteru“ in mein Ohr geflüstert. Erst das hatte die Nacht perfekt gemacht.

Er regte sich, ich lächelte. Er schlug die Augen auf, sie lächelten. Er rieb sich sein müdes Gesicht und schaute mich mit seinen unschuldigen Augen an. „Ich dachte im ersten Moment, ich träume noch...“

Mein Lächeln wurde immer tiefer. „Das denke ich seit gestern.“

„Es ist zu schön, um wahr zu sein, nicht?“, sagte er mit verträumtem Blick.

„Ja... Wunderschön...“, stimmte ich ihm zu. „Es war eine wundervolle Nacht, es hat ein wundervoller Morgen begonnen...“

„Hai... Totemo subarashii...“, stimmte ich ihm zu. Er lächelte mich auf eine wundervolle Art und Weise an. Ich wollte ihn küssen. Ich tat es.

„Aishiteru...“, flüsterte er zwischen unseren Küssen. „Aishiteru...“, und wieder: „Aishiteru...“

Es musste ein Traum sein. Das musste es einfach. Er hörte nicht auf. Nicht an diesem Morgen.
 

Es war Mittag. Es regnete. Ich starrte aus dem Fenster. Dann hörte ich Schritte. Gackt trat hinter mich. Er legte seine Arme um mich. „Worüber denkst du nach?“

Ich roch seine frisch gewaschene Haut. Er duftete nach Pfirsichen. „Ich muss zurück.“ Ich spürte ihn innehalten. Die Traumatmosphäre zersplitterte. Die Realität kehrte zurück. Mit ihr die Probleme, die Anspannung, die Übelkeit.

„Zurück?“ Ich hörte das Entsetzen in seiner Stimme.

„Zurück in mein altes Leben.“, fuhr ich fort. Ich spürte seine Angst. „Um damit abzuschließen.“

Er atmete erleichtert auf. „Ich habe beschlossen, es ihr heute noch zu sagen.“

„Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte er leise.

„Nein.“, sagte ich, mit einem Lächeln, und drehte mich zu ihm um. „Das ist allein meine Sache.“

„In Ordnung. Soll ich dich auch nicht hinbringen?“

„Nein. Ich werde laufen.“

„Und wann willst du gehen?“

„Jetzt.“

„Und wann kommst du zurück?“

Ich lächelte. „Noch heute.“

Im Nachhinein könnte man es als Lüge bezeichnen.

化け物 - Bakemono - Monster

Es hatte sich noch nie so falsch angefühlt, meine eigene Haustüre aufzuschließen und einzutreten.

Als die Tür ins Schloss gefallen war, hörte ich Schritte. Sie war hier. Das hatte ich zwar erwartet, und auch so geplant, doch jetzt wünschte ich, sie wäre aus irgendeinem Grund doch ganz woanders. Sie kam auf mich zu, mit einem überraschten und auch erleichterten Gesichtsausdruck.

„Hai-chan! Wo warst du denn? Warum hast du dich nicht mehr gemeldet? Ich habe mir Sorgen gemacht. Ich habe versucht, dich anzurufen, aber du hast dein Handy ja hier gelassen.“

„Mei-chan... Ich muss... mit dir sprechen.“ Es war kein leichtes Unterfangen, das auch nur anzukündigen. Es kostete all meine Überwindungskraft.

Sie blickte mich nur stumm an, auf eine Art aufmerksam und gespannt, auf eine andere angsterfüllt.

Sie ahnte, dass es nichts Gutes war. Wie hätte man diese Spannung auch missverstehen können?

Ich konnte nicht länger warten. Je länger sie mich auf diese Weise ansah, desto nervöser wurde ich, desto lauter schlug mein Herz und übertönte all meine Gedanken, die ich mir zuvor zurechtgelegt hatte. Im nächsten Moment würden sie alle verschwunden sein. Das wusste ich.

„Ich möchte mich scheiden lassen.“

Der Satz lag tonnenschwer in der Luft. Dieses Gewicht war durch sein Aussprechen nun von meiner Seele abgefallen, doch ihr Blick lastete noch viel schwerer auf mir.

Sie starrte mich bewegungslos an. Ihr Gesichtsausdruck - pure Fassungslosigkeit. Sie blinzelte nicht.

Es vergingen ins Endlose ausgedehnte Sekunden, in denen sie zu keinem Wort fähig war. Weder sie noch ich. Die Stille machte mir langsam Angst. Ich hatte das Gefühl, alles um mich herum hielt die Luft an. Auch sie schien nicht zu atmen. Sie war erstarrt. Doch ihre Augen waren keinesfalls leblos. Sie waren fassungslos. Und allmählich schien sich die Fassungslosigkeit in Wut zu verwandeln.

„Warum?!“ Es wirkte, als versuchte sie die vielen leisen Stimmen in ihrem Kopf zu übertönen, die die gleiche Frage stellten. „Warum?! Warum auf einmal?!“ Sie wollte Gründe, die ich ihr nicht geben konnte, nicht geben durfte, und nicht geben sollte. Es würde sie nur noch mehr verletzen. Was sollte ich ihr also antworten? Konnte ich ihr etwas antworten? Konnte ich sie anlügen?

Es muss doch einen Grund geben!“, schrie sie mich an. Ich hatte sie so noch nie erlebt. Ich wollte es nicht. Doch es war zu spät. Was sollte ich nun tun? Wie sollte ich sie beruhigen? Konnte ich es?

WARUM?! SAG MIR, WARUM!!“ Sie griff nach meinem Hemd, zerrte daran, als könnte sie so eine Antwort aus mir herausbekommen. „SAG MIR VERDAMMT NOCH MAL, WARUM!!

Ein paar Knöpfe an meinem Hemd sprangen von ihrem Platz. „ICH WILL WISSEN, WARUM!!

„Ich...“, begann ich verzweifelt. „Ich... Ich liebe dich nicht mehr so, wie ich es sollte.“ Sie hielt inne. „Für das, dass wir verheiratet sind.“, fügte ich noch hinzu.

„Dann lass uns doch zumindest für Jo-chan zusammenbleiben...“, flehte sie mich an. Sie war mit einem Mal viel ruhiger. Ich glaubte, sie sah eine Chance in dieser Vorgehensweise. „Er ist noch so jung... Das ist... Das wäre so schrecklich für ihn...“ Ihre Stimme, ihr Blick, alles flehte mich an.

Was sollte ich nur tun?

„Ich werde ihn so oft sehen, wie ich kann.“, sagte ich tonlos. Es waren keine tröstenden Worte.

Sie begann, mich wieder entsetzt anzustarren, als hätte ich ihr gerade erst von meiner Entscheidung erzählt. Sie schien nicht minder schockiert. Sie war ratlos.

Es tat weh. Ihre Hand traf hart auf meiner Wange auf. Doch ich hatte es verdient. Dass ich ihre Reaktion einfach so hinnahm, dass ich sie nicht davon abhielt, gegen meinen Oberkörper zu schlagen, ließ sie leider noch viel mehr verzweifeln. Aber ich konnte mich nicht wehren. Sie hatte das Recht, auf mich wütend zu sein. Sie war nur ein unschuldiges Opfer meiner Gefühlswelt.

Sie hatte wieder begonnen, an meinem Hemd herumzuzerren, starrte mich mit tränenunterlaufenen Augen an und schrie gegen die Wand meiner Untätigkeit: „Das kannst du mir nicht antun! Wir sind eine Familie! Wir waren so glücklich! Alles war in Ordnung! Was hat sich daran geändert? Was habe ich falsch gemacht? Was?! WAS?!

„Nichts.“, versuchte meine Stimme von sich zu geben. „Du hast nichts falsch gemacht. Du bist an gar nichts schuld. Es liegt alles nur an mir.“ Das war immerhin die reine Wahrheit.

Ihre Stimme war beinahe nur noch ein atemloses Flüstern: „Aber ich verzeihe dir alles.“ Ihr Blick war Vergebung, gemischt mit Verzweiflung. Ihre Hände hatten mein Hemd nicht wieder losgelassen. Sie hielt an mir fest. Sie hielt sich an mir fest. „Bist du fremd gegangen? Es ist mir egal. Dann hast du eben einen Fehler gemacht. Das tut jeder einmal. Das ist doch noch kein Grund. Dafür brauchst du doch nicht gleich unsere Ehe aufzugeben. Ich verzeihe dir. Ich verzeihe dir alles.“

Was sollte ich darauf erwidern? Ihre Augen nagelten mich an die Wand, obgleich sie meterweit entfernt war. Es waren nasse Nägel. Sie schien es gar nicht wahrzunehmen, wie viele Tropfen von ihrem Gesicht abfielen und den Teppich unter unseren Füßen durchtränkten. Sie wischte sie nicht ein einziges Mal fort. Dazu hätte sie mich loslassen müssen, und das wollte sie nicht. Dazu hatte sie viel zu große Angst, mich zu verlieren.

„Megumi... Es hat keinen Sinn mehr... Ich würde dir nur etwas vormachen... Das willst du doch nicht... Das wird dich nur unglücklich machen...“ Aber nicht so sehr wie es die Trennung tun wird.

„Lass mich nicht allein... Bitte, lass mich nicht allein...“ Ihr Flehen zerriss etwas in mir.

„Gomen nasai.“ Mehr konnte ich nicht von mir geben. Mehr wusste ich nicht mehr. Die Gedanken waren verschwunden.

YAAAH!“ Ihr Schrei hallte eine scheinbare Ewigkeit in meinen Ohren nach. Und noch Monate später würde ich ihn in meinen Träumen hören können. Jetzt hatte ich das Gefühl, sie zu zerreißen.

Sie schloss ihre Augen so fest, kniff sie so stark zusammen, dass eine Kette von Tränen ihre Wangen überflutete. Es war, als versuchte sie, ihre Wut zurückzuhalten, um mich zu schützen. Doch es gelang ihr nicht. Sie zerrte wieder an meinem Hemd; ich fürchtete, der Stoff würde reißen. So wie sie.

Sie schrie Dinge, die ich nicht verstand; ich fürchtete, meine Ohren würden zerfetzt. Sie schlug ihre Fäuste gegen meine Brust; ich fürchtete, sie wollte mein Herz zerschmettern. So unsanft, wie ich ihres gerade zerbrochen hatte.

Ich musste etwas tun. Doch wie konnte ich ihr helfen? Was würde ich wollen? Was würde mich trösten? - Ich zögerte, doch dann legte ich meine Arme um sie.

Und tatsächlich: Sie hielt inne. Sie hielt still - für einen Moment. Im nächsten stieß sie mich mit einem weiteren Schrei heftig von sich, so heftig, dass sie selbst nach hinten stolperte. Sie verlor das Gleichgewicht und stürzte - auf den Glastisch - nie werde ich dieses Geräusch vergessen -, warf die Petroliumlampe, die ich ihr zum Geburtstag geschenkt hatte - die sie jeden Abend, an grauen Tagen bereits mittags, anzündete, als glaubte sie, das würde unsere Herzen immer wieder aufs Neue entflammen -, zu Boden, wo das zarte Glas zersprang, sich öffnete für den Funken, den Funken Zorn, der sich in unbändige Wut und Verzweiflung verwandelte. Ein Feuer, das nicht sehr einfach unter Kontrolle zu bringen war.

Eine Stichflamme entstand, der Teppich brannte. Megumi lag bewegungslos auf dem Glastisch.

Meine Augen weiteten sich; das Bild brannte sich in meine Netzhaut. Ein Bild für die Ewigkeit.

Nach diesem Schockmoment hob ich Megumi auf meine Arme und trug sie von dem brennenden Teppich fort, in den Flur, legte sie dort auf den Boden, kehrte zurück ins Wohnzimmer und stand ratlos, doch rastlos vor dem brennenden Teppich. Das Feuer drohte, auf das Sofa und den Parkettboden überzugreifen. Ich griff nach einem großen Kissen und begann, damit die Flammen zurückzuschlagen. Ich peitschte sie auf, trieb sie zurück, erstickte sie. Es war dasselbe, was ich mit meinen Gefühlen gegenüber Megumi und Gackt getan hatte.
 

Ich hörte leises Fußgetrappel und wusste im nächsten Augenblick, dass mein Sohn nicht weit hinter mir stand, entsetzt. Er hielt einen gewissen Abstand zu mir. Die Situation erinnerte mich paradoxerweise an eine Szene aus ‚Moon Child’. Wenn der kleine Shou durch die Trümmer zu dem Monster läuft - zu mir. Der hauptsächliche Unterschied lag darin, dass Joseph seine Angst nicht verbarg. Er lächelte nicht. Das würde er an diesem Tag auch nicht mehr tun.

„Was ist passiert, Otou-san?“ Eine unschuldige Stimme in der Nähe des Monsters.

„Daddy hat nicht aufgepasst und jetzt... ist die Lampe kaputt.“ Mehr konnte ich ihm nicht erklären. Ich würde niemals wissen, wie ich ihm auch nur einen kleinen Teil davon begreiflich machen sollte.

„Wir fahren jetzt zu Obaa-san, ne?“ Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und versuchte, meinem Sohn zuzulächeln. Es gelang mir nicht.

„Doushite? Okaa-san wa doko ni desu ka?“, fragte Joseph und begann, sich umzusehen. Er musste uns gehört haben. Natürlich. Er hatte uns gehört. Wie wir uns gestritten hatten.

„Mama schläft. Aber Obaa-san will dich sehen.“, versuchte ich es weiter, ihn von dieser Lüge zu überzeugen und damit zu beruhigen. Letzten Endes funktionierte es tatsächlich. Während er, wie ich ihm befohlen hatte, seine Sachen packte, rief ich den Notarzt. „Sie ist auf einen Glastisch gestürzt.“ Das war alles. Präzisere Erklärungen konnte ich nicht abgeben.

Danach rief ich Megumis Eltern an, erzählte im Flüsterton von dem Unfall und bat sie, Joseph für ein paar Tage bei sich zu behalten. Keine Einwände. Selbstverständlich. „Kein Wort zu ihm.“ Das war der Deal. „Sonst macht er sich nur unnötig Sorgen.“ Das war der Vorwand. „Sie darf bestimmt schon Morgen wieder nach Hause.“ Das war meine Hoffnung.

„Otou-san, ich bin fertig. Ich habe alles gerichtet.“ Ich hörte einen Wagen vor dem Haus halten.

„Dann geh noch duschen oder baden. Du willst doch nicht ungewaschen zu Ojii-san und Obaa-san.“

Er seufzte und kehrte wieder um, Richtung Badezimmer. Da klingelte es an der Tür. Er hielt inne.

„Na, mach schon. Das ist bestimmt nur der Paketdienst.“ Lügen über Lügen.

Der Krankenwagen kam, wie gewünscht, ohne Sirene. Nach ein, zwei Sätzen nahm man Megumi mit und brachte sie ins Krankenhaus. Nur wenige Minuten später fuhr ich selbst aus der Einfahrt und brachte Joseph zu seinen Großeltern und - in Sicherheit vor dem Monster.

無力 - Muryoku - Helplessness

Das Telefon klingelte. Ich schrieb noch die nächste Zeile meines neuen Songes, die mir gerade im Kopf herumschwebte, und ging dann, die Melodie summend, zum Telefon. „Ja?“

Ich hörte an Hydes Stimme sofort, dass etwas nicht in Ordnung war. Doch ich ahnte nicht, dass überhaupt nichts mehr in Ordnung war.

„Ga-chan... Ich... Du...“ Er wirkte schrecklich durcheinander. Es musste etwas Schlimmes passiert sein. „Es funktioniert nicht. Ich... habe ihr gesagt, dass ich die Scheidung will, aber... sie ist völlig durchgedreht. Das verkraftet sie nicht. Ich... kann mich nicht von ihr trennen.“

Mein Blick wurde starr. Ich wollte nicht glauben, was ich gerade hörte. Noch eine Minute zuvor hatte ich mich so wohl und ausgeglichen gefühlt. Ich war glücklich gewesen. Und jetzt dieser Schlag. Vollkommen unerwartet. Sodass er mich noch heftiger traf, als er das ohnehin getan hätte.

„Warum? Du hast es doch bereits getan. Du hast es ihr gesagt. Dass sie nicht glücklich darüber ist, ist verständlich, aber... Du hast es doch nicht wieder zurückgezogen oder so etwas?“, warf ich ein.

Langes Schweigen. „Nein.“ Ich atmete erleichtert auf. „Aber sie... Wir haben uns gestritten. Und sie... sie ist gestürzt...“ Mein Körpergefühl änderte sich. Es war nicht mehr real. „Sie war bewusstlos. Vielleicht erinnert sie sich nicht einmal mehr daran, was ich ihr gesagt habe.“ ~Oh, mein Gott...~ „Und selbst wenn sie das tut... Ich muss es zurücknehmen. Ich habe ihre Reaktion gesehen. Das... Sie kann damit nicht umgehen. Ich werde ihr Leben... kaputt machen.“ Ich hörte seiner Stimme immer deutlicher an, dass er geweint hatte. Er war dabei, wieder damit anzufangen.

„Warte. Ich komme jetzt erst einmal zu dir. Du bist doch zu Hause, oder?“, fragte ich der Vorsicht halber noch nach.

„Ja, aber... Komm nicht. Bitte. Ich brauche Zeit zum Nachdenken.“ Er klang verzweifelt.

„Und ob ich das tue! Ich bin sofort bei dir und wehe du bist dann nicht mehr da!“ Ich wartete noch einen Moment, bevor ich den Hörer auflegte. Doch er sagte nichts mehr. Ich hoffte, das tat er aus reiner Resignation. Nicht, weil er schon überlegte, wo er hingehen würde, um nachdenken zu können.

Noch nie hatte ich es geschafft, in so kurzer Zeit zu ihm zu gelangen. Zwei rote Ampeln hatten meinen Weg versperrt, die ich gewöhnlich mehr beachtet hätte. Doch nicht heute. Nicht jetzt.

Ich klingelte gleich zweimal, als ich vor seiner Tür stand. Es dauerte einen Augenblick, dann öffnete Hyde und ich sah es seinen Augen an, wie viel er bereits geweint hatte.

Ich schloss schnell die Tür hinter mir und nahm ihn zuerst einmal in den Arm. „Erzähl mir alles.“, sagte ich, während ich ihm beruhigend über den Rücken strich, doch es wirkte nicht.

„Ich...“ Er schluckte. „Ich habe es ihr gesagt... und sie... sie wollte es nicht einsehen... meinte, ich hätte keinen Grund... Sie wollte den Grund wissen...“ Mein Magen tat etwas Seltsames. ~Er hat ihr den Grund doch nicht genannt, oder doch?~ „Und dann hat sie an mir herumgezerrt... und... irgendwie habe ich sie dann weggestoßen und sie... ist auf den Glastisch gefallen... und war sofort bewusstlos...“ Mein Blick, ohnehin durch die Tür hindurch auf das Wohnzimmer gerichtet, heftete sich an den Glastisch. Ich sah keinen Riss. Sie konnte nicht allzu hart gelandet sein. Ich sah kein Blut. Sie hatte wahrscheinlich nicht einmal eine Platzwunde. Dann sah ich es: der Teppich... Er hatte ein großes Brandloch. Ich erkannte die Petroliumlampe, deren Scherben auf ihm verstreut lagen.

~Hätte ich sie damals doch nur schon umgestoßen...~

„Ich habe den Notarzt gerufen und Jo-chan zu seinen Großeltern gebracht... Ich weiß nicht, wie viel er wirklich mitbekommen hat...“ Ich merkte sofort, dass der Gedanke an seinen Sohn seine Verfassung noch verschlechterte. Es versetzte mir einen Stich, zu spüren, wie viel ihm an seinem Kind lag. Natürlich, es ist normal, dass Eltern sich um ihr Kind sorgen, weil sie es lieben. Doch diese Situation war nicht normal. Sie war alles andere als das.

„Es ist ja nichts Schlimmes passiert. Ihr geht es bestimmt schon wieder gut, Joseph geht es gut. Es ist alles in Ordnung, okay?“ Es war mehr eine Frage, ob er mir das einfach glauben und sich wieder beruhigen wollte, als eine Frage der Tatsachen.

„Sie ist bewusstlos...“ Es war, als konnte er es noch immer nicht fassen, dass das eine Tatsache war.

„Sie ist bestimmt schon wieder wach.“, versicherte ich ihm, hörte nicht auf, seinen Rücken zu kosen.

„Ich habe sie bewusstlos geschlagen...“, hauchte Hyde fassungslos an meiner Brust. Ich glaubte, mich verhört zu haben.

„Du hast sie nicht ‚bewusstlos geschlagen’.“, behauptete ich, ohne dass ich es sicher wissen konnte.

„Doch, es war meine Schuld...“, wisperte er. Als ich mich etwas zurücklehnte, sah ich, wie geistesabwesend er geradeaus starrte, die Augen weit geöffnet. Er stand unter Schock.

„Haido! Komm wieder zu dir!“ Ich schüttelte ihn leicht an den Schultern. Er reagierte nicht.

„Sieh mich an! Haido! Sieh mich an!“ Seine Augen drifteten langsam aus seiner Gedankenwelt zurück in die Realität und schienen wieder mein Gesicht wahrzunehmen. „Dich trifft keine Schuld.“, versuchte ich ihm klarzumachen. „Hörst du? Du hast ihr lediglich die Wahrheit gesagt. Sie muss lernen mit der Wahrheit umzugehen. Ihr Sturz war ein Unfall.“ Er holte tief Luft. „Okay?“, fragte ich nach, und ich war erleichtert, als er nickte.

„Vielleicht hast du Recht.“ Bei diesen Worten atmete ich nochmals befreit aus, schenkte ihm ein Lächeln. „Aber ich darf sie trotzdem nicht verlassen.“
 

Ich hatte mich noch nie so hilflos gefühlt.

Hyde war nicht mehr davon abzubringen. Zumindest nicht in seinem jetzigen Zustand. Er sprach immer davon, dass Megumi eine Trennung nicht verkraften und wie schlecht sich das auf die Entwicklung von Joseph auswirken würde. Er wollte das ihm und ihr nicht antun.

Ich nahm ihn letztendlich mit zu mir. Ich konnte ihn nicht alleine lassen, wollte aber auch nicht in dem Haus bleiben. Und auch für Hyde war es besser, wenn er sich nicht in diesen Räumen befand, in denen alles an den Vorfall erinnerte. Widerwillig willigte er ein.

Es dauerte eine Ewigkeit, bis er einschlief. Und er tat es nur aus Erschöpfung. Es war kein friedlicher Schlaf. Er wälzte sich hin und her, immer und immer wieder zog er seine Augenbrauen zusammen, runzelte die Stirn und stöhnte. Er hatte Alpträume.

Am nächsten Morgen war er noch vor mir wach. Ich schätzte, dass er aus einem Alptraum erwacht war. „Guten Morgen.“, sagte ich liebevoll und strich ihm über die Wange. „Wie fühlst du dich?“

„Seltsam.“ Dieselbe Antwort hatte er mir schon einmal gegeben. An dem Morgen nach unserem ersten Kuss. Das war kein gutes Zeichen, bedachte man, dass er daraufhin geflüchtet war, und wie grausam die Wochen waren, die darauf folgten - ohne ihn.

Ich hoffte, dass es nicht wieder so sein würde.

„Ga-chan?“ Ich sah ihn aufmerksam an. Seine Augen zeigten noch immer die Spuren vom Vortag. „Was soll ich tun?“ Ich wusste es zu schätzen, dass er mich das fragte, und nicht mehr selbst versuchte, eine Lösung zu finden. Doch es machte mir auch Angst, dass er schon jetzt um Hilfe bat. In seinen Augen musste er sich in einer absolut aussichtslosen Lage befinden.

„Erst einmal solltest du abwarten, wie es ihr geht, und noch einmal mit ihr reden.“ Es war nicht nötig, ihren Namen zu erwähnen. Es wäre nur unnötig schmerzhaft. Für mich, wie vielleicht auch für ihn.

„Was, wenn sie noch immer bewusstlos ist?“, wollte Hyde ängstlich klingend von mir wissen.

„Das ist sie nicht.“, redete ich ihm ein, wie auch mir. Bevor ich ein weiteres Wort sagen konnte, richtete er sich auf.

„Ich werde im Krankenhaus anrufen.“, sagte er aufgeregt und sprang aus dem Bett. Als ich ihm nachsah, betete ich, dass sie wirklich nicht mehr bewusstlos war.

Ich stand ebenfalls auf, ging ins Badezimmer, ließ jedoch die Türe offen stehen, sodass ich Hyde telefonieren hören konnte. „Oishi Megumi. Ja.“ Ich war mir sicher, dass er nervös sein rechtes Bein bewegte. „Ihr Ehemann.“ Ein Stich. Ich schloss die Augen. „Wie geht es ihr? Ist sie wach?“ Ein Moment der Spannung. „Ah...“ Ein Ausatmen. Erleichterung. „Kann ich sie besuchen?“ Eine Gänsehaut. „Danke sehr.“ Ich hörte, wie er den Telefonhörer auflegte.

Ich ließ Wasser laufen, begann, mir die Zähne zu putzen. Als Hyde zu mir ins Zimmer kam, war er bereits angezogen. „Sie ist wach. Ich werde jetzt ins Krankenhaus gehen.“

„Soll ich dich begleiten?“ Er überlegte lange. Ich war mir sicher, dass er verneinen würde.

„Ja.“ Ich war erleichtert.
 

Ich hatte Hyde noch nie dermaßen nervös erlebt. Er konnte seine Arme und Beine nicht stillhalten, und wenn es ihm doch einmal für einen kurzen Moment gelang, verriet irgendetwas anderes seine enorme Nervosität. Es war nicht schön, das mitansehen zu müssen.

Als wir an einer Ampel anhielten, legte ich meine Hand auf seine. Sie war ganz kalt. „Es wird bestimmt alles gut.“ Etwas Sinnvollereres fiel mir gerade nicht ein. Er sagte nichts, und das nächste Mal, dass gesprochen wurde, war erst wieder, als wir vor ihrem Krankenzimmer standen, beide unschlüssig, was wir tun sollten. „Ich werde dann hier warten.“

„Ja.“, war seine leise Erwiderung. Dann atmete er noch einmal tief durch, bevor er klopfte und den Raum betrat. Als seine Hand die Türklinke hinunterdrückte, sah ich, wie stark seine Finger zitterten. Und wieder fühlte ich mich entsetzlich hilflos.
 

Vorsichtig wagte ich mich tiefer in den Raum hinein. Das Zimmer war hell erleuchtet und doch fehlte ihm der Glanz. Diesen vermisste ich auch in ihren Haaren und in ihren Augen. Beides war matt. Abgestumpft. Am Ende.

„Mei-chan... Wie geht es dir?“ Meine Stimme versagte. Sie starrte mich nur an. Kalt.
 

Nervös lief ich hin und her, setzte mich wieder. Dann stand ich wieder auf, um hin und her zu laufen und mich schließlich wieder zu setzen. Ich hatte Angst. Ich befürchtete, dass er alles, was er gestern zu ihr gesagt hatte, zurücknehmen würde. Oder dass sie den Vorfall wirklich vergessen hatte.

Das Gefühl, nichts tun zu können, ist ein mehr als nur grausames.
 

„Was willst du?“ Es waren keine Worte, es waren Geschosse.

„Ich wollte mit dir reden... wegen gestern.“ Ich schluckte und schluckte, doch es bewirkte nichts.

„Ich glaube nicht, dass es da viel zu bereden gibt.“ Sie nahm mir alle Hoffnung, vernünftig mit ihr über den Vorfall sprechen zu können. „Außer...“ Sie gab sie mir wieder ein Stück zurück. „...du bist wieder vernünftig geworden und nimmst alles zurück, was du gestern zu mir gesagt hast.“
 

Ich wollte lauschen. Ich wollte wissen, ob Hyde nicht einen Fehler beging. Doch ich konnte es nicht. Ich wollte ihm vertrauen.

詫びの口づけ - Wabi no kuchizuke - Kisses of Apology

Die Tür öffnete, mein Blick hob sich. Er kam zur Türe heraus. Ich hatte das Gefühl, seine Beine würden jeden Moment nachgeben. „Und? Was hat sie gesagt?“

„Lass uns erst einmal hier rausgehen, bitte.“, meinte er nur, wandte sich zum Gehen.

Wir gingen stumm auf den Parkplatz zu meinem Wagen, setzten uns hinein, schlossen die Türen. Ich wartete, bis Hyde sprach. Er tat es tatsächlich von sich aus.

„Ich habe ihr gesagt, dass ich darüber nachdenken muss.“

„Haido!“ Ich starrte ihn einfach nur fassungslos an. „Das kannst du mir nicht antun!“

„Das kann ich ihr auch nicht antun, verstehst du das nicht? Und ich muss auch an Jo-chan denken!“

„Genau das ist es, Hai-chan. Du opferst dich. Du denkst an alle, nur nicht an dich. Genau so wie in meinem Drehbuch. Du verhältst dich genau wie Adriel.“

„Das ist etwas ganz anderes.“, stritt er ab, noch bevor er darüber nachgedacht hatte.

„Nein, das ist es nicht. Jetzt sieh es doch endlich ein: Du tust alles, nur nicht das, was dich glücklich macht.“ Ich konnte sehen, dass er zumindest anfing zu versuchen, meine Sichtweise zu verstehen. „Es ist dasselbe, wie es bei mir war.“, erklärte ich weiter. „Das war der Grund, warum ich unglücklich war. Ich habe nicht das getan, von dem ich wusste, dass es mich glücklich machen würde. Ich habe sogar versucht, mir zu verbieten, dich zu lieben.“

Er blickte zu Boden. Er hatte nun verstanden, was ich meinte. Doch würde er seinen Aufopferungsinstinkt ausschalten können? Würde er es für mich tun? Ich wusste es nicht. Ich bezweifelte es.

„Ich brauche Zeit.“ Es war ein so grausamer Satz. Er bedeutete Warten. Ich bin sehr ungeduldig.

Doch was konnte ich anderes tun als nicken? Ich konnte ihm nichts vorschreiben. Ich konnte ihm nicht einmal helfen.
 

Ich seufzte, ließ mich auf das Bett fallen. Es war anstrengend gewesen, meinen Eltern zu erzählen, was passiert war. Doch irgendwie war ich nun auch erleichtert. Sie wussten Bescheid, hätten es ohnehin irgendwann irgendwie erfahren; auf diese Art war es jedoch am besten und am fairsten. Allerdings blieb noch immer ein ungutes Gefühl in mir zurück. Gackt war in meinen Erklärungen bisher nicht aufgetaucht.

Ich starrte mit leerem Blick an die Decke des Zimmers. Der Abstand zu meinem Alltag, zu Megumi, zu Joseph, zu Gackt, zu allem, ließ mich wieder freier atmen. Und doch machte es nichts leichter für mich. Mein Kopf konnte sich von keinem Gedanken trennen, der sich eingenistet hatte. Alle blieben sie hartnäckig in meinem Kopf, verschwanden nur für wenige Sekunden in der Gegenwart meiner Eltern. Bei ihnen fühlte ich mich beschützt.

~Tue ich das bei Gackt aber nicht auch...? ~ Eine weitere quälende Frage. ~Ich glaube, ich sollte doch einmal mit Tetsu sprechen... Vielleicht weiß er einen Ausweg...~
 

Endloses Warten. Hyde Zeit zu geben, bedeutete, ewig zu warten und schließlich doch selbst derjenige sein zu müssen, der den Kontakt sucht. Es war unerträglich. Ich konnte nichts essen, ich konnte nicht arbeiten, ich konnte gar nichts tun. Wenn das Telefon klingelte, nahm ich nur ab, um danach enttäuscht zu sein, nicht Hydes Stimme zu hören.

Ich konnte nicht schlafen. Ich lag die ganze Nacht wach, um mich zu fragen, was ich tun sollte. Manchmal trainierte ich die ganze Nacht durch, um in den frühen Morgenstunden mindestens ein paar Stunden Schlaf zu bekommen - aus Erschöpfung.

Hyde war nun schon seit einer Woche bei seinen Eltern. Er hatte sich nicht gemeldet. Ich hatte Angst davor, mich bei ihm zu melden. Ich wollte ihm die Zeit geben, die er brauchte. Doch ich konnte es nicht. Nicht, ohne dabei selbst Zeit zu verlieren. Der Gedanke, noch mehr wertvolle Zeit zu verschwenden - nachdem wir bereits etliche Jahre unseres Lebens vergeudet hatten, indem wir nicht einsehen wollten, nicht den Mut hatten, uns einzugestehen, was wir empfinden -, bringt mich um.

~Über neun Jahre... Seit über neun Jahren...~ „Mit diesem Jahr sind es zehn...“, stellte ich beinahe atemlos fest, mein Blick starr geradeaus ins Dunkel gerichtet. ~Fast ein ganzes Jahrzehnt lang liebe ich ihn bereits...~ Zehn Jahre meines Lebens habe ich vergeudet.
 

Ich griff zu meinem Handy, suchte Tetsus Nummer, als es zu vibrieren begann. Tetsu. Mit einem Lächeln nahm ich den Anruf entgegen. „Hi, Tet-chan! Ich wollte dich gerade anrufen.“

„Wirklich? Warum denn?“

„Nein, erzähl du zuerst, weshalb du anrufst.“, grinste ich, glücklich, einen einfachen Einstieg in unser Gespräch geschenkt bekommen zu haben.

„Ich habe schlechte Nachrichten, Doiha...“ Mein Lächeln verblasste. Tetsus Tonfall verhieß nichts Gutes. „Gackt liegt im Krankenhaus.“

„Nein.“ Der Schock verfehlte mich nicht.

„Er ist zusammengebrochen.“

„Oh, nein...“ Meine freie Hand bewegte sich von selbst vor meinen Mund.

„Sein Zimmermädchen hat ihn gefunden.“

„Oh, mein Gott, nein...“ ~Ich hätte ihn nicht alleine lassen dürfen...~

„Ich habe es selbst eben erst erfahren. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie es ihm geht.“ Ich schluckte, schüttelte jedoch weiterhin ungläubig den Kopf. „Ich weiß, dass du gerade bei deinen Eltern bist, aber ich finde, du solltest ihn besuchen.“

„Nein...“ ~Es ist alles meine Schuld...~ „Nein...“
 

Die Tür öffnete sich, langsam, zaghaft. Er wandte den Blick, hatte die schwache Bewegung wahrgenommen. Noch vorsichtiger wagte sich ein schwarzer Haarschopf hinein, schaute sich in dem Raum um, in den er gelangt war, und erblickte ihn. Stumm öffnete er den Mund einen Spalt breit. Dann schloss er diesen wieder und ebenso die Tür. Unschlüssig stand die zierliche Gestalt neben der Tür, blickte zu Boden, beschämt. Aus welchem Grund, das wussten beide nicht.

Gackt, zu schwach zu sprechen, streckte seine Finger nach Hyde aus. Als dieser das bemerkte, kam er langsam auf das Krankenbett zu, mit noch immer gesenktem Blick. In dem Moment, in dem er diesen hob, sah Gackt, dass er bereits Tränen vergossen hatte. Vor kurzem erst. Und auch jetzt bahnte sich wieder eine Träne den Weg über seine Wange. Sie landete vor dem Bett auf dem Boden.

Gackts Finger reckten sich erneut, wollten Hyde zu ihm, zu sich bringen. Hydes Hand zitterte, als sie sanft die des anderen nahm und drückte. Gackt, unfähig zu lächeln, schloss genüsslich die Augen, zum Zeichen, wie dankbar er ihm war, dass er gekommen war. Er wusste nichts davon, dass Hyde, sobald er es erfahren, seine Sachen gepackt hatte und losgefahren war. Nicht einmal seine Eltern hatten ihn aufhalten können, obgleich sie es versucht hatten, da sie Hyde in diesem aufgelösten Zustand nicht hatten gehen lassen wollen. Doch er war nicht davon abzuhalten gewesen. Er war noch am selben Abend im Krankenhaus angekommen, aber zu spät, um als Besucher zu ihm durchgelassen zu werden. So verbrachte er die Nacht im Krankenhaus und stand, nach einer schlaflosen Nacht, zu Beginn der morgendlichen Besuchszeit, vor seiner Krankenzimmertür. Doch es dauerte eine Viertelstunde, bis er sich dazu durchgerungen hatte, überhaupt einzutreten. Jetzt stand er hier, vor seinem Bett, hielt seine Hand, konnte die Tränen nicht zurückhalten, sein Zittern nicht stoppen. Er schluckte und schluckte, doch irgendetwas in seinem Hals versperrte seinen Worten den Durchgang.

„Es ist...“ Hyde blickte auf, seine Augen gefüllt mit Tränen. „...alles in Ordnung...“ Gackt versuchte ein Lächeln. Das verursachte, dass Hydes Augen überflutet wurden.

„Küss...“ Hyde sah ihn aufmerksam an. „...mich...“ Er schüttelte schwach den Kopf, wandte sein Gesicht verzweifelt dem Boden zu. Er ließ die schwache Hand in seiner jedoch nicht los.

„Bit...te...“, hauchte Gackts schwache Stimme. Hydes Augen öffneten sich, er sah in sein Gesicht. Es wirkte, als wollte er den Kopf erneut schütteln. Dann jedoch beugte er sich vor, langsam zwar, doch er tat es. Gackt schloss die Augen, schlug sie wieder auf, als er Hyde zurückweichen spürte. Ihre Lippen hatten sich noch nicht berührt.

Gackts andere Hand, diejenige, die nicht gehalten wurde, hob sich, langsam, kraftlos. Sie erreichte Hydes Arm, zog ihn näher zu sich, legte sich auf seine Schulter, als diese tief genug war, und gelangte schließlich an seinen Hals, kurz bevor sich ihre Lippen trafen.

Hydes freie Hand legte sich auf diejenige an seiner Wange, drückte sie, hielt sie fest, stützte sie. „Es tut mir leid...“, flüsterte er gegen Gackts Lippen. „Es tut mir so le...“ Seine Stimme brach.

„Shh...“, machte Gackt leise. „Entschuldige... dich... mit Küssen...“

笑顔の破片 - Egao no hahen - Fragments of a Smile

Als ich aus dem Badezimmer kam, erblickte ich Hyde, auf der Couch sitzend, seinen Kopf in nachdenklicher Pose auf seine Hand gestützt. Mai beobachtete ihn aus der Ferne. Vier Tage war ich im Krankenhaus gelegen und jeden Tag war Hyde bei mir gewesen. Er hatte mich gefüttert, wie er das vor Monaten mit einem Stück seiner Geburtstagstorte getan hatte. Er hatte viel mit mir gesprochen, hatte viel erzählt. Und er hatte mich oft - ähnlich wie jetzt - nachdenklich angesehen.

„Was ist denn?“, fragte ich und setzte mich neben ihn auf das Sofa.

„Ich habe gerade mit ihr telefoniert.“ Ich wusste sofort, wen er meinte. „Ich habe ihr gesagt, wie ich mich entschieden habe. Sie hat... Ich werde Jo-chan so oft sehen dürfen, wie ich will.“

„Das ist doch eine gute Nachricht, oder?“, fragte ich vorsichtig nach.

„Ja. Eigentlich schon. Aber sie... Wie sie mit mir spricht...“ Er blickte gekränkt gen Boden.

Ich wusste nicht, wie ich ihm helfen sollte. „Das wird sich mit der Zeit bestimmt wieder legen.“

„Glaubst du?“ Er blickte mit hoffnungsvollen Augen zu mir auf.

„Ja, ganz sicher.“ Er lächelte schwach.

„Hast du auch so Hunger wie ich?“, fragte er plötzlich. Ich war mir sicher, er versuchte, die Stimmung zu heben.

„Ja, tierisch.“, antwortete ich ihm, obgleich mein Magen etwas ganz anderes gesagt hätte. Seit dem kurzen Gespräch mit Megumi war mir übel. Wenn ich etwas essen würde, dann nur Gackt zuliebe.

„Wollen wir meinen Spezial-Curry-Reis mit Butabara machen?“, schlug Gackt vor.

„Also ich hätte jetzt Hunger und nicht erst in vier Tagen!“, neckte ich ihn, war aber dankbar dafür, dass es noch dauern würde, bis ich etwas würde essen müssen.

Noch bis wir vor der Tür zum Tiefkühllager standen, diskutierten wir darüber, ob man vier Tage zum Kochen brauchen konnte, und ob man das Fleisch dann wirklich noch essen sollte. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, als der „Aufseher“, der Gackt definitiv bereits gut kannte, nur noch fragte, wie viel er dieses Mal haben wollte, während er ihn das Fleisch begutachten ließ. Als wir den Hinterraum verließen, musste ich mich zusammenreißen, nicht laut loszulachen, doch als wir das Geschäft verließen, begann ich ungehalten zu lachen. Schon lange hatte ich nicht mehr so sorglos gelacht. Das letzte Mal war an dem Tag gewesen, als ich mit Gackt ‚Moon Child’ gesehen hatte. Ich hatte die vorerst schwierigste Aufgabe - Megumi meine Entscheidung mitzuteilen - hinter mich gebracht und so fühlte ich mich erst einmal unbeschwert, so leicht, als könnte ich fliegen.

Mein lachendes Gesicht gefror, zerbrach und die Splitter schnitten in meine Haut. Wenige Meter vor mir stand sie - die Frau, deren Leben ich zerstört hatte.
 

„Haido?“ Ich sah ihn erstarren, sah sein Lächeln brechen. Dann verfolgte ich seinen Blick und wusste, was ihn zu zerbrechen versuchte. Meine Augen wanderten zwischen ihm und ihr hin und her. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Würde sie etwas bemerken, wenn ich ihn von ihr fortzöge? Würde sie an der Art und Weise, wie ich ihn berührte, sehen, wie nahe wir uns wirklich standen? Ahnte sie etwas? Was würde sie tun, wenn es so wäre? Was, wenn sie sich sicher wäre? Würde sie etwas Unüberlegtes tun? Würde sie die Medien einschalten? Wäre sie zu so etwas Grausames fähig? Das wollte ich nicht glauben. So etwas wollte ich ihr nicht unterstellen. Sie war eigentlich ein durch und durch netter Mensch. Eher oberflächlich, aber nett. Doch ich hasste sie dafür, was sie ihm gerade antat. Verfluchte sie dafür, dass sie diese Idylle zerstört, dass sie sein Lachen hatte verklingen lassen.
 

„Haido. Haido. Komm. Gehen wir weiter.“ Ich wusste nicht, wie oft er meinen Namen bereits genannt hatte.

„Ja.“, entgegnete ich langsam. „Gehen wir.“ Ich riss meinen Blick von dem Fleck, an dem bis eben noch Megumi gestanden hatte. Auch nachdem sie einfach an uns vorbei weiter den Gehweg entlang gegangen war, konnte ich meine Augen keiner anderen Stelle zuwenden. Ihr vorwurfsvoller Blick blieb. ~Ich habe ihr Leben zerstört. Ich habe ihr Leben zer- ~

„Haido.“ Gackts Stimme war nun eindringlicher. Ich lief sofort weiter, wollte zumindest den Eindruck erwecken, als wäre der Moment vorbei und ich wieder Herr meiner Gedanken.

„Sieh mich an.“ Seine Hände hatten nach meinen Schultern gegriffen. Ich schaute in sein Gesicht, sah die Besorgnis, spürte die Angst. „Alles okay?“ Ich hatte das Gefühl, er hatte ursprünglich etwas anderes sagen wollen.

„Ja. Alles in Ordnung.“, versuchte ich ihm zu versichern. Sein Blick wurde schmerzvoll. Er seufzte. Mit einem Mal zog er mich an sich, in seine Arme.

„Es ist in Ordnung, wenn nicht alles in Ordnung ist.“ Seine Worte verwirrten mich. „Aber bitte sei ehrlich und sag es mir.“ Zerstreut ließ er mich zurück, als mich seine Arme wieder freigaben. Doch als er meine Hand nahm, wich die Verwirrung dem Gefühl der Sicherheit. Das musste es auch gewesen sein, was er mir mit seinen Worten vermitteln, mit seiner Umarmung hatte schenken wollen. Und ich spürte sie. Doch das grausame Gefühl, das Megumi in mir ausgelöst hatte, war noch immer da. Und es würde auch für den Rest des Tages nicht wieder verschwinden. Das wusste ich.

前途 - Zento - Future Prospects

Ich hatte Angst. Wie würde Joseph mir begegnen? Was würde er für Fragen stellen? Würde ich sie beantworten können? Ich wusste es nicht. Würde er mir etwas von Megumi geben? Einen Brief? Einen Scheidungsantrag? Ihren Ehering? Ich hatte Angst.

Als ich in die Einfahrt fuhr, kam - ungewöhnlicherweise - Megumi, von der ich erwartet hätte, dass sie im Haus bleiben würde, um mich nicht sehen zu müssen, zusammen mit Joseph heraus. Ihr Blick verriet jedoch nichts Gutes. Sie schien wütend. Doch nicht wütend genug, um Joseph nicht zu bitten, kurz auf der Haustreppe zu warten.

Man sah die Anstrengung der Beherrschung in ihrem Gesicht, als sie direkt vor mir stehen blieb und, trotz dass sie ein Buch in der Hand hielt, die Arme vor ihrer Brust verschränkte. „Du hast noch keine Wohnung gefunden, nehme ich an.“

Damit hatte ich nicht gerechnet. „Nein... noch nicht. Warum...?“ Sie lächelte wissend, kalt.

„Der ‚Freund’, von dem du gesprochen hast, der bei dem du jetzt wohnst, der heißt nicht zufällig...“ Sie tat, als überlegte sie. „...Gakuto, oder doch?“

Ich musste reagieren, als wäre das das Normalste auf der Welt. „Ja, doch. Aber warum? Was spielt das für eine Rolle?“ Ihr Blick sagte mir, dass sie mir keinen Glauben schenkte. „Er ist einer meiner besten Freunde.“ Ich brauchte mehr Argumente, schnell. „Er hat mir angeboten, bei ihm zu wohnen, bis ich was Eigenes gefunden habe.“

„Bis du was Eigenes gefunden hast!“, wiederholte sie meine Worte spöttisch. „Du glaubst wirklich, das glaube ich dir?“

Ich musste es weiter versuchen. „Wie meinst du das? Was willst du damit sagen?“

„Ich habe das Gefühl, du glaubst, ich wäre völlig blind, oder?“ Ich konnte nicht mehr sprechen. „Die vielen Anrufe auf dem Anrufbeantworter, auch wenn er nie auf das Band gesprochen hat! Seine häufigen Besuche, sein schnelles Verschwinden, sobald ich kam! Das Telefonat an meinem freien Tag! Wie niedergeschlagen du warst, als du wieder zurückkamst! Wie du ihm, einen Tag bevor du mir gesagt hast, dass du dich trennen willst, nachgerannt bist, ohne Schuhe! Durch den Regen! Dass du erst am nächsten Tag zurückgekommen bist! Und das nur, um mir zu sagen, dass du die Scheidung einreichen willst! Und dieses wahrscheinlich Valentinstagsgeschenk...“ Sie schüttelte fassungslos den Kopf. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Mein Körper war nie zuvor dermaßen angespannt gewesen. „Außerdem glaube ich fast, dass du das noch nicht gesehen hast.“, sagte sie nahezu mitleidig und hielt mir das Buch hin, aufgeschlagen auf der ersten Seite, sodass ich die Widmung lesen konnte. Ich wusste sofort, wie der Titel des Buches lautete.
 

For my winged Angel

who will always be loved by me.

Camui Gackt
 

Was hatte er getan? Was um Himmels Willen hatte Gackt getan?! Es war zu spät.

Sie sah meinen entsetzten Blick, konnte alles darin lesen. Ich hätte sagen können, was ich gewollt hätte - wenn ich es gekonnt hätte -, sie hätte nicht mehr von ihrer Annahme abgebracht werden können. Ihre Theorie wurde allein durch meinen Blick bewiesen.

„Wie konnte ich nur so blind sein? Ich hätte es wissen müssen. Ich hätte es merken müssen, oder nicht?“ Ihre Augen flehten, dass ich ihre Frage verneinte. Doch ich konnte nicht sprechen. Ich war hypnotisiert von der Traurigkeit in ihrem Gesicht. „War ich eine schlechte Frau? Sag es mir. Sei ehrlich. War ich dir eine schlechte Frau?“

Ich schluckte. „Nein, Mei-chan... Nein... Gott, nein, das warst du auf keinen Fall. Das darfst du nicht einmal denken.“ Es tat weh zu wissen, dass sie das angenommen hatte. „Du bist eine gute Ehefrau, und eine wundervolle Mutter.“

„Warum also? Warum willst du mich dann nicht mehr?“ Ihre Stimme wurde immer dünner.

„Ich... will dir einfach nichts vormachen. Ich wollte, dass du weißt, dass ich dich nicht mehr so liebe, wie ich es als dein Ehemann sollte. Ich liebe dich nämlich noch immer so sehr, dass ich dich nicht belügen will. Aber ich liebe dich eher... wie meine beste Freundin, verstehst du?“

Sie schüttelte langsam ihren Kopf und somit Tränen aus ihren Augen. Ich musste sie einfach in meine Arme schließen. Sie hielt sich an mir fest, fast so sehr, dass es wehtat. Es tat weh.

Es herrschte eine längst vergessen geglaubte beruhigende Stille. Megumi brach sie, doch sie tat es sanft, zerstörte sie nicht. Ihre Worte zogen sich wie ein zarter Schleier durch die Lautlosigkeit. „Bin ich noch immer deine beste Freundin?“

Ich lächelte in ihre Haare hinein, erwiderte den Druck ihrer Arme. „Ja…“

Sie so im Arm halten zu dürfen, ließ alles von mir abfallen. Ich fühlte mich so leicht, befreit von der Last des Betrügens, unseren Schweigens und ihres Zornes. Es war ein unglaubliches Gefühl. Nie zuvor war ich dermaßen erleichtert gewesen. Ich wollte sie küssen.

Ich fragte mich, wie eng unsere Freundschaft in Zukunft sein würde. Ich hielt mich zurück.
 

~Kinderwochenende...~ Ich seufzte. Das Wort gefiel mir nicht. Aus irgendeinem Grund machte es mir Angst. Vielleicht, weil ich nicht wusste, was das für mich - und auch für Hyde - bedeutete. Würde er die Nächte lieber in einem Hotel verbringen als hier? Und wenn nicht, würde er hier im Gästezimmer schlafen, damit Joseph sich nicht wunderte? Würde er nie zu Hause sein, immer unterwegs? Würde er mich manches Mal in ihre Pläne miteinbeziehen? Würde Joseph mich mögen lernen? Irgendwann? Auch wenn ich bisher ein eher eigenartiges Verhältnis zu ihm hatte. Nie hatte ich gewusst, wie ich damit umgehen sollte, dass er das Ergebnis einer glücklichen Ehe war. Das Resultat einer Verbindung, die meinem Herzen nach niemals hätte eingegangen werden dürfen. Jetzt, da dieses Band zerbrochen war, musste ich versuchen, ein gutes Verhältnis zu dem Kleinen aufzubauen. Das war mein Ziel. Einerseits um meinetwillen, um es wieder gutzumachen, wie ich ihn behandelt hatte, obgleich er unschuldig war; andererseits Hyde zuliebe, um es ihm einfacher zu machen. Denn würden wir drei uns gut verstehen, würde ihm zumindest dieser Kummer erspart bleiben und wahrscheinlich ein großer Stein vom Herzen fallen. Zudem würde es uns, Hyde und mir, ermöglichen, dass wir uns auch an diesen Wochenenden, und an den anderen Tagen zwischendurch, die er mit seinem Sohn verbringen wollte, sehen konnten. Das war mein Ziel. Es war zu erreichen. So hoffte ich zumindest.

Es war Samstagabend. Ich fragte mich, was die beiden gerade taten. Sollte ich ihnen anrufen? Würde Hyde sich von alleine bei mir melden? Hatte er das überhaupt vor? Schon jetzt, am ersten Kinderwochenende? Hatte er Angst, dass Joseph etwas bemerken könnte? Konnte er das? Was würde er dann tun? Wie würde er reagieren? Würde er es Megumi erzählen? Wie würde sie reagieren? Würde das etwas ändern? Würde es unsere Beziehung in Gefahr bringen? War es ein Risiko, zu dritt etwas zu unternehmen? Ich wusste es nicht. Ich wollte es auch lieber nicht wissen. Es war einen Versuch wert. Es ist immer einen Versuch wert.

Mai richtete ihre Ohren auf. Ich hörte etwas an der Türe. Ich lächelte. ~Das sind sie...~ Ich ging in den Flur, als sich die Wohnungstür öffnete und - es war Hyde. Hyde allein.

„Hallo.“, sagte er mit einem schüchternen Lächeln und schloss die Tür hinter sich, steckte den Schlüssel wieder in seine Tasche, den ich ihm an dem Tag mitgegeben hatte, als er mich das erste Mal im Krankenhaus besucht hatte. Ich hatte gewollt, dass er bei mir übernachtete. Einerseits, weil er extra für mich wieder von seinem Elternhaus aufgebrochen war und ich nicht wollte, dass er sich wegen mir ein Hotel nehmen musste oder gar auf die mich beängstigende Idee kam, Megumi zu fragen, ob er bei ihr übernachten könne. Und andererseits - weil er sich weigerte, dieses Angebot anzunehmen - trug ich ihm noch auf, für mich nach Mai zu sehen, während ich im Krankenhaus lag. Dabei war meine Haushälterin längst informiert und kümmerte sich um alles. Aber ich wollte, dass er in meiner Nähe und das er mit mir verbunden war. Ob dadurch, dass er sich in meiner Wohnung aufhielt, oder durch den Schlüssel zu ihr. Außerdem hoffte ich, dass er wusste, dass der Schlüssel ein Zeichen dafür war, dass er jederzeit willkommen war. Ob mit oder ohne seinen Sohn.

„Hallo.“, entgegnete ich überrascht. „Wo ist Joseph?“

Nun blickte Hyde irritiert. „Zu Hause. Wieso?“

„Ich dachte nur, du würdest ihn vielleicht noch mitbringen.“ Meine Stimme wurde immer leiser.

„Wieso? Sollte ich?“, fragte Hyde, gleichzeitig überlegend, ob er mir etwas in der Art gesagt oder gar versprochen hatte.

„Ich hätte es schön gefunden.“, antwortete ich schlicht, und ehrlich.

„Das wusste ich nicht. Du hast nichts gesagt. Ich dachte eher, es wäre dir lieber, wenn du ihn nicht so oft sehen müsstest.“, erwiderte Hyde offen.

„Das... war vor eurer Trennung.“, gab ich leise zu.

„Oh... Ach so...“ Sein Gesicht hellte sich auf. „Dann bring ich ihn natürlich das nächste Mal mit.“

„Das wäre toll. Weißt du, ich würde ihn - jetzt - gerne besser kennen lernen.“

„Das finde ich schön.“ Er lächelte. „Er wird dich mögen.“ Als Dankeschön für diese ermutigenden Worte - denn ich fühlte mich, als stände mir nun der Tag bevor, an dem ich zum ersten Mal dem Sohn meines Partners vorgestellt werden würde und ich die Aufgabe hatte, mich als vorbildlicher Ersatzvater zu präsentieren -, und zur Begrüßung, legte ich die Arme um ihn und gab ihm einen Kuss. Er blickte mich daraufhin lange an. Ich spürte, dass er mir etwas sagen wollte. „Was willst du denn tun, wenn ich Jo-chan mitbringe?“

„Dinge unternehmen, in den Zoo gehen und so.“, antwortete ich etwas irritiert.

„Willst du ein Freund für ihn sein oder eine zweite Vaterfigur?“ stellte er die nächste seltsame Frage.

Ich zog erst beide, dann nur eine Augenbrauen nach oben. „Also alles, nur keine Mutterfigur.“

Hyde lächelte etwas schief und biss sich leicht auf die Unterlippe. Ich liebe es, wenn er das tut. „Wenn du die Mutter sein willst, kein Problem, dann übernehme ich die Vaterrolle.“ Nun lachte er. Es wirkte sorglos. Sein Lächeln war ungetrübt. „Wie war dein - halbes - Wochenende?“

„Es war schön. Wir waren zusammen auf dem Tai Festival in Toyohama.“, erzählte er.

„Warum hast du ihn dann heute schon zurückgebracht?“, wollte ich nun doch genauer wissen.

„Megumi wollte Morgen mit ihm noch zu irgendeiner Veranstaltung, die schon seit langem geplant war.“ Ich zuckte beinahe zusammen, als er ihren Namen aussprach. Zu lange hatte er das bereits nicht mehr getan, sodass ich es nicht gewohnt und nicht darauf gefasst gewesen war. Zu lange, und doch nicht lange genug. Wie konnte er das plötzlich? Gerade jetzt? Ich verstand es nicht.

„Was ist?“ Damit holte er mich wieder zurück.

„Nichts. Es ist nur... Wie war es, s- Megumi wiederzusehen? Habt ihr miteinander gesprochen?“ Er begann unerwarteterweise zu lächeln. Es war ein Lächeln, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte. Ein neuer Gesichtszug. Ein eigenartiges Gefühl.

„Viel besser noch!“, strahlte er. „Wir haben uns sozusagen versöhnt.“ Ich wusste nicht recht, was ich davon halten sollte. „Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir beste Freunde bleiben wollen.“ Auch hiervon nicht, doch es gab eine deutliche Tendenz. „Ist das nicht klasse?“ Seine Begeisterung spiegelte sich in meinem Gesicht nicht wider.

„Schön... Und das heißt?“ In meinem Kopf formten sich unschöne Gedanken. Bilder, zahllose Bilder strömten auf mich ein. Ihr Schöpfer: meine Fantasie.

„Wie ‚das heißt’?“ Hyde war eindeutig verwirrt ob meiner Nachfrage.

„Was bedeutet das dann für die Zukunft?“, machte ich mein Anliegen deutlicher.

Er stutzte. „Na, dass wir gut miteinander klarkommen, dass es keine Probleme geben wird, was Jo-chan angeht, dass wir normal miteinander reden und uns gemeinsam um Jo-chans Erziehung kümmern können.“

Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Es klang nicht so schrecklich, wie ich es mir im ersten Moment vorgestellt hatte. Er musste die Erleichterung in meinem Gesicht sehen, denn er nahm meine Hand, drückte sie leicht und sagte: „Zwischen uns wird sich nichts ändern.“ Ich schloss die Augen; seine Worte waren wie Balsam für mich.

Bei seinen nächsten Worten allerdings öffneten sie sich wieder schlagartig. „Und sie weiß jetzt auch von uns.“ Mein Atem blieb fort.

„Sie tut was?!“ Ich konnte es nicht fassen, was er eben gesagt hatte.

„Sie hat es sich zusammengereimt.“, meinte er lediglich.

„Aber... wie...? Macht es ihr denn nichts aus?“ Vollkommene Verwirrung.

„Ich weiß es nicht so wirklich, scheinbar aber nicht so sehr. Ihr schien es viel wichtiger, von mir zu erfahren, dass es nicht an ihr lag, dass ich sie nicht für eine schlechte Ehefrau und Mutter halte. Das war es wohl, das ihr solche Sorgen gemacht hatte. Jetzt, da sie weiß, dass es nicht so ist, ist sie erleichtert.“ Ich starrte ihn lange an, lächelnd.

„Das ist schön... Das ist... wirklich schön...“ Ich nahm ihn in den Arm. „Das freut mich für dich...“ Aufrichtiger hätte ich nicht sein können.

„Ich hätte nie gedacht, dass alles so gut gehen könnte.“ Er drückte mich an sich, glücklich. Es war pures Glück.

„Ja, das habe ich auch nicht gedacht. Und ich kann es auch noch nicht fassen.“

Er presste mich noch fester an sich. „Jetzt ist alles perfekt...“, hauchte er mir ins Ohr.

„Wir haben eine Glückssträhne...“, flüsterte ich zurück, als sollte es niemand hören, der sie uns wegnehmen könnte.

„So viel Glück kann einem Angst machen...“, lächelte er, kein Anzeichen von Furcht, doch ich wusste, dass es ihn ernsthaft beschäftigte. Mir selbst machte es auch Angst, doch ich versuchte, es einfach zu genießen. Zum ersten Mal in meinem Leben.

„Es gibt keinen Grund, Angst zu haben... Ich bin da.“, wisperte ich gegen seine Lippen.

Es würde nicht lange dauern und ich würde eines Besseren belehrt werden.

誇りと無口と - Hokori to mukuchi to - Pride and Taciturnity

„Ich habe etwas für dich...“, sagte er plötzlich und ließ mich los. Er ging aus dem Zimmer und kam nach ein paar Augenblicken wieder zurück, mit einem verpackten Geschenk in den Händen.

„Ich habe dir jetzt wirklich schon oft genug gesagt, dass du mir nichts schenken sollst.“, meinte ich, freute mich aber sehr darüber, jetzt, da ich seine Geschenke nicht mehr zu verstecken brauchte. Scheinbar hatte es jedoch nichts genützt, sie zu verheimlichen zu versuchen. Megumi hatte das Glasherz offensichtlich gefunden.

„Ich darf dir so viel schenken, wie ich will. Es war so groß sein, wie ich will, und es darf so teuer sein, wie ich will.“, legte er fest, lächelte, wusste, dass ich mich jedes Mal freute, wenn er mir etwas schenkte, auch wenn ich es nicht sagte.

Er legte das Geschenk in meine Hände. Ich wartete, bis er sich neben mich gesetzt hatte, dann sah ich ihm in die Augen und sprach ein aufrichtiges Dankeswort aus: „Danke, Ga-chan...“

„Du hast es doch noch gar nicht aufgemacht. Jetzt schau doch erst mal, was es ist, bevor du dich schon bedankst.“ Er lächelte sanft. Daraufhin begann ich, die Verpackung zu lösen. Und ich erkannte sofort, was es war. Ich hatte es erst zwei Tage zuvor in der Hand gehalten.

Er blickte zu mir auf, mit offenem Mund. Er war offenbar erstaunt. Doch seine Augen leuchteten nicht. Mein Grinsen verschwand. „Was ist?“

„Das habe ich schon wieder ganz vergessen...!“, hauchte er atemlos. Er starrte mich entsetzt an. „Wie konntest du nur, Ga-chan?“ Er schlug die erste Seite auf. „Was hast du dir dabei gedacht?“ Er hielt seinen Finger auf die Widmung. „Was hast du dir dabei gedacht?“, wiederholte er.

„Ich wollte dir den Roman widmen.“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Das ist alles.“

„Aber das...“ Ihm schienen die Worte zu fehlen. „Willst du, dass es jeder weiß?“ Ich war mir nicht sicher, worauf er sich mit dieser Frage bezog.

„Ich habe extra nicht deinen Namen verwendet.“, sagte ich deshalb einfach.

„Aber viele werden sich einen Reim daraus machen können! ‚Winged angel’! Also viele Menschen, auf die diese Beschreibung passt, würden mir auf Anhieb nicht einfallen.“ Er klang ungewohnt sarkastisch. „Und du musst bedenken, dass ich in dem Film dazu mitspielen werde - als Engel! Man wird mich auf jeden Fall damit in Verbindung bringen! Du kennst die Presse doch!“

„Jetzt beruhige dich mal. Selbst wenn. Ich darf meine Dinge widmen, wem ich will. Außerdem weiß die Presse, dass ich dich mag. Das heißt noch lange nicht, dass du das erwiderst.“

„Aber wenn man uns in nächster Zeit öfters zusammen sieht.“, meinte er fassungslos. Er konnte es scheinbar nicht verstehen, dass ich die ganze Sache als kein Problem ansah.

„Man wird uns ganz sicher in nächster Zeit öfters zusammen sehen. Wir werden bald zu drehen anfangen.“, entgegnete ich schlicht. Hyde seufzte. „Jetzt hör doch auf, dir solche Sorgen zu machen.“, versuchte ich ihn zu beruhigen, legte beide Arme um ihn. „Wenn man mich darauf anspricht, werde ich schon zu reagieren wissen. Und wenn man dich darauf anspricht, hast du einfach keine Ahnung, okay?“ Er nickte langsam. „Niemand wird sich wundern, dass ich dir den Roman gewidmet habe. Jeder weiß, wie stolz es mich macht, dass du wieder in meinem Film mitspielst.“ Er lächelte schief. „Die Widmung ist der Dank dafür. Das werde ich auch noch ausdrücklich betonen, in jedem einzelnen Interview.“ Seine Mundwinkel kamen wieder auf gleiche Höhe. Er lächelte erleichtert. Ich hatte ihn überzeugt. Nur mich selbst noch nicht ganz.

„Erinnerst du dich an das Bild, das ich dir bei mir gezeigt habe?“ Seine Frage kam unvermittelt. „Das Bild von uns beiden, worauf wir uns küssen.“ Ich musste lächeln.

„Natürlich erinnere ich mich daran. Es ist ein wunderschönes Bild.“ Ich nahm seine Hand, verschlang meine mit seinen Fingern. Er lehnte sich an meine Schulter, seufzte wohlig. „Ich kannte es allerdings schon, als du es mir gezeigt hast.“

„Wirklich?“, fragte er überrascht und drehte seinen Kopf, um zu mir aufblicken zu können.

„Ja. Ich glaube, ich kenne sie alle.“, gestand ich ihm.

Er lächelte mich frech an. „Das hätte ich echt nicht von dir gedacht...“

„Was meinst du?“, wollte ich wissen.

„Dass du... solche Dinge tust, eben. Dir im Internet solche Bilder anschauen. Ich dachte nicht, dass das deine Art wäre. Ich dachte, dazu bist du viel zu stolz oder so etwas.“, versuchte er es zu erklären.

„Ich war lange zu stolz, um es zu wagen, dir zu sagen, was ich für dich empfinde, weil ich Angst hatte, dass du nicht dasselbe empfinden würdest.“, gab ich zu.

„Ja... Mir ging es genau so...“, sagte er langsam. „Warum haben wir uns nur nicht früher getraut? Es hätte schon so viel früher so einfach sein können.“ Ich strich über seine Wange. „Und so schön...“ Er schloss seine Augen.

Mit einem Mal begann er zu grinsen. „Ich glaube, wir werden einen großen Teil unserer Fans mit deinem Film sehr glücklich machen.“

„Mit unserem Film.“, korrigierte ich ihn. Sein Lächeln wurde noch strahlender. „Immer dasselbe...“, neckte ich ihn. „Du bist unverbesserlich...“

„Na gut, dann machen wir unsere Fans eben mit unserem Film glücklich.“, nahm er meinen Verbesserungsvorschlag an. Ich lachte leise auf, sah ihn einen Moment stumm lächelnd an.

„Sie wären noch viel glücklicher, wüssten sie, wie die Realität aussieht.“, flüsterte ich.

„Ja... stimmt.“, hauchte er noch, bevor meine Lippen ihm die Möglichkeit nahmen, mehr zu sagen.
 

Es war Montag Abend, Gackt war auf einer Pressekonferenz wegen seines Romans und ich saß alleine in seiner Wohnung und wartete darauf, dass diese übertragen wurde. Ich wollte gerade aufstehen, um mir etwas zu trinken aus der Küche zu holen, da hörte ich die Nachrichtensprecherin sagen: „Vor nicht einmal eineinhalb Monaten war der Verkaufsstart von ‚Angel’s Tale - The Wasted Time of Our Lives’, Gakuto-sans ersten Fantasy-Romans, und nun ist er bereits unter den ersten zehn der momentan meist verkauftesten Bücher. In der heutigen Pressekonferenz in Tokyo wurden ihm ein paar Fragen zu seinem neuen Meisterwerk gestellt.“ Die Sprecherin verschwand, der kleine Bildschirm, der Gackt an einem Tisch mit einem Mikrofon vor sich gezeigt hatte, wurde auf die volle Größe des Fernsehbildschirms erweitert. Überall blitzen die Kameras der Fotografen. Gackt sah in diesem Licht wieder kränker aus. Er hatte sich zwar bereits etwas erholt, doch noch nicht vollkommen. Er war noch immer sehr abgemagert, seine Wangen noch leicht eingefallen. Sein Teint wirkte dank der Schminke glücklicherweise nicht so ungesund wie er in Wirklichkeit aussah, doch trotzdem war er dergestalt noch nie im Fernsehen zu sehen gewesen. Ich fragte mich, wie gut das andere sehen konnten, ungeachtet der Schminke. Für mich war es ein grausamer Anblick.

„Gakuto-san, warum haben Sie dieses Mal einen Roman aus ihrem Drehbuch gemacht?“, stellte die junge Interviewerin ihre erste gezielte Frage.

„Weil man mir geraten hat, es einfach zu versuchen. Ich habe daran gezweifelt, dass es gut genug dafür ist, ein Roman zu werden. Aber es gab jemanden, der mir Mut gemacht hat.“

„Handelt es sich hierbei um dieselbe Person wie die, der Sie Ihren Roman gewidmet haben?“

„Ja.“, war Gackts geradlinige Antwort.

„Verraten Sie uns, wer diese Person ist?“

Er grinste. „Nein.“

Die Menge schien nicht überrascht, lediglich enttäuscht über diese dürftige Auskunft. Die Interviewerin ließ sich davon ebenfalls nicht irritieren, sondern stellte ihre nächste Frage: „Der Titel ‚Angel’s Tale’ entspricht genau dem Songtitel Vamps no Haido-sans Single von 2001 - hat das etwas zu bedeuten? Steht das irgendwie in Zusammenhang?“

„Nein, der Titel hat nur einfach wahnsinnig gut zu der Story gepasst. Beim Schreiben war er die ganze Zeit in meinem Kopf und ich konnte ihn nicht mehr wegdenken. Dann habe ich Haido-san gefragt, ob es in Ordnung ist, wenn mein Roman genau so heißen wird wie eine seiner Singles. Und er war einverstanden.“

„Sie haben es wieder einmal geschafft, Haido-san dazu zu bewegen, in Ihrem Film die Hauptrolle zu spielen. Wie haben Sie das ein zweites Mal bewerkstelligt?“

„Genau so wie beim ersten Mal. Ich habe ihn gefragt und er hat mir zugesagt.“, war die schlichte Erwiderung, doch ich konnte nicht mehr gelassen bleiben. Ich starrte aufmerksam auf den Bildschirm, versuchte die Reaktionen der Interviewer zu deuten, erwog, wie glaubwürdig Gackts Antworten erschienen.

„Freuen Sie sich darauf, wieder mit denselben Leuten arbeiten zu können?“, fragte eine andere weibliche Stimme.

„Sehr sogar, da ich ja weiß, dass es schon einmal gut funktioniert hat und ich bestens mit ihnen arbeiten kann. Es ist einfacher so, als mit völlig fremden Menschen zu arbeiten.“

„Wird es wieder einen Song geben, der für den Film eine große Rolle spielt, wie damals ‚Orange no Taiyou’ für ‚Moon Child’?“

„Ja, das wird es. Dieses Mal wahrscheinlich sogar zwei.“ Ich dachte mit einem Lächeln zurück an die Songtexte, die ich aus dem Drehbuch kannte. Sie waren wunderschön.

„Wird es wieder eine Duettversion von den Songs geben?“

„Das steht bis jetzt noch nicht fest.“

„Können Sie noch etwas zu dem Untertitel des Films sagen? Warum „The Wasted Time of our Lives“? Gibt es da eine Verbindung zu Ihrem realen Leben?“

„Ich würde sagen, wir warten erst einmal den Film ab. Damit wird sich vieles klären. Aber wenn es dann immer noch Fragen geben sollte, werde ich sie gerne beantworten.“

„Wann genau wird mit dem Dreh begonnen?“

„In drei Wochen.“ Ich musste lächeln. Erst jetzt wurde ich mir bewusst, dass er sich tatsächlich an die Abmachung, dass wir nicht vor September zu drehen beginnen würden, gehalten hatte. Dabei wollte ich damals, als er mich danach gefragt hatte, nur zeigen, dass ich Ansprüche stellte und ihm nicht so einfach zusagen würde, bedingungslos. Obgleich ich das doch getan hatte.

Der Abreisetermin fiel - ob durch Zufall oder nicht, konnte ich nicht sicher sagen - auf den dreizehnten September: unser fünfter Monatstag. Ich konnte es kaum fassen, dass bereits so viel Zeit vergangen sein sollte.

„Schon in drei Wochen? Na dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg.“

„Danke.“

„Also dann, vielen Dank, Gakuto-san!“, bedankte sich die Leiterin der Pressekonferenz mit einer Verbeugung und das Bild wechselte, zeigte wieder die Nachrichtensprecherin. Ich atmete auf. Es war vorbei. Es war nichts Schlimmes passiert. Erleichterung.

Eine halbe Stunde später hörte ich einen Schlüssel sich im Schloss drehen. Gackt war zurück.

„Ich bin wieder da!“, frohlockte ich, überglücklich über den Umstand, dass Hyde zu Hause auf mich wartete.

„Willkommen zurück...“, entgegnete er schüchtern und stand zögernd vom Sofa auf. Ich legte meinen Mantel ab und ging zu ihm. Wir küssten uns.

„Na? Hast du dir den Bericht angesehen?“, fragte ich ihn.

„Natürlich. Das hast du gut gemacht.“, lobte er mich.

„Ich habe dir doch gesagt, dass das kein Problem sein wird.“, meinte ich stolz.

„Aber...“, begann er und wandte seinen Blick ab.

„Was?“, wollte ich von ihm wissen.

„Ich finde es keine gute Idee, wenn ich diese drei Wochen vor Drehbeginn noch hier bleibe.“

„Warum?“ Ich verstand ihn nicht.

„Wenn wir doch ohnehin in den nächsten Monaten zusammenarbeiten werden, brauchen wir mit diesen paar Wochen doch nicht noch unnötig riskieren, dass man herausfindet, dass ich nicht mehr bei Mei-chan wohne.“

Einerseits hatte er sicher recht, doch ich wollte es nicht einsehen. Ich wollte ihn nicht schon wieder gehen lassen - und warten müssen. „Haido... Das kann jetzt nicht dein Ernst sein.“ Ich war ratlos.

„Aber Ga-chan, überleg doch mal. Wenn man sieht, wie ich hier ein und aus gehe, wird man sich in kürzester Zeit den Rest denken können.“ Er hatte so recht. „Man wird Mei-chan interviewen und schon...“ Er schüttelte hoffnungslos den Kopf. „Sie werden es herausfinden, glaub es mir.“

„Diese drei Wochen werden jetzt auch nichts mehr ändern.“, versuchte ich ihm einzureden, doch ich wusste, es war nicht richtig. Und ich konnte sehen, dass es nichts nützte.

„Doch, Ga-chan, und das weißt du auch.“

Ich seufzte. „Und wo willst du in diesen drei Wochen hin? In ein Hotel?“

„Ich habe mir überlegt, zu Mei-chan zurückzugehen.“ Ungläubigkeit überflutete mein Gesicht. „Ich werde im Arbeitszimmer auf der Couch schlafen, ich kann vieles mit Mei-chan klären und noch ein bisschen Zeit mit Jo-chan verbringen, bevor ich längere Zeit weg bin.“

Ich legte meinen Kopf in den Nacken, blickte mit geschlossenen Augen an die Decke.

„Ich kann dich wie immer nicht aufhalten, Hai-chan...“, sagte ich niedergeschlagen. „Ich weiß, dass es - zum Großteil - vernünftig ist, was du sagst, aber ich... will dich einfach nicht schon wieder hergeben. Und erst recht nicht ihr.“ Er wusste, was ich damit sagen wollte.

„Es ist aber der beste Weg.“ Er blickte mich mit seinen unschuldigen Augen an. „Und wir sehen uns zwischendurch ja auch. Wie früher.“ Ich sagte nichts dazu, wie ich die Häufigkeit unserer Treffen in dieser Zeit, von der er sprach, empfand. Und ich versuchte, nicht daran zu denken, dass er wollen könnte, dass alles wieder wie früher wäre.

Doch was sollte ich tun? Ich gab mich geschlagen. „Na gut... Wir sehen uns ja zum Glück nach diesen drei Wochen täglich. Das ist immerhin ein Trost.“ Ich zog ihn an mich. „Aber diese Nacht bleibst du noch, oder?“ Hoffnung.

„Ja...“ Er nahm sie mir nicht.

交代の庭 - Koutai no niwa - Garden of Change

Und wieder war es seltsam, mein eigenes Haus zu betreten. Ich hatte mit Megumi telefoniert. Sie freute sich, dass ich mir drei Wochen Zeit für Joseph nahm. Doch in meinen Augen war es das Mindeste. Ich fragte mich, wie die Atmosphäre sein würde, was Joseph dazu sagen würde. Megumi hatte ihm noch nichts davon erzählt, dass ich kommen würde; sie wollte eine Überraschung für ihn daraus machen. Sie hatte mir erzählt, dass er mich schrecklich vermisste. Es löste ein schönes Gefühl aus, das zu hören, doch es hinterließ eine traurige Spur.

Durch meinen Beruf war ich - sowohl vor als auch nach Josephs Geburt - sehr viel unterwegs und somit mehr als oft nicht für ihn da gewesen. Und jetzt, jetzt ging ich nicht nur für mehrere Monate fort, um einen Film zu drehen, nein, ich würde sogar ausziehen. Das würde zur Folge haben, dass ich ihn noch viel weniger sehen würde. Nicht einmal mehr, wenn ich ungewöhnlich früh nach Hause kommen würde, könnte ich ihm dann Gute Nacht sagen. Außer, ich beschloss, noch zeitweise bei Megumi und Joseph zu wohnen.

Ich schaute mich im Flur um, warf einen Blick in das Wohnzimmer und zog meine Schuhe aus. Ich hörte nichts. War sie etwa nicht da? Wir hatten uns aber für eine genaue Uhrzeit verabredet.

Nach einem Kontrollgang durch die mir vertrauten Räumlichkeiten - es war noch immer alles so, wie ich es gewohnt war, nur der Wohnzimmerteppich war verschwunden - bemerkte ich, dass die Terrassentür offen stand, schaute zum Fenster hinaus in den Garten und entdeckte sie. Sie pflanzte gerade ein paar neue Blumen ein. Ich blieb in der Tür stehen, beobachtete sie. Sie summte ein Lied, schien bester Laune zu sein. Es war ein schöner Anblick, sie so zu sehen. So ausgelassen, so frei, so glücklich. Unweigerlich tauchte jedoch ein unschöner Gedanke in meinem Kopf auf: ~Stört es mich, dass sie - ohne mich - glücklich ist? ~ War sie vorher - mit mir - auch glücklich gewesen oder war sie es jetzt, da ich nicht mehr hier war? Ich wusste es nicht. Doch ich wusste, dass es sinnlose Gedanken waren, denn ich hatte sie verlassen und sollte heilfroh sein, wenn es ihr gut ging, und Gott dafür danken, wenn sie sogar glücklich war.

Sie drehte sich zur Seite, um nach der nächsten und letzten noch nicht liebevoll eingebetteten Pflanze zu greifen und entdeckte mich. „Ah, Hai-chan!“ Sie stand sogleich auf und versuchte, ihre Hände etwas sauber zu machen. „Du bist ja ungewöhnlich pünktlich.“, scherzte sie und kam auf mich zu.

„Du kannst ruhig auch noch die letzte einpflanzen.“, sagte ich schnell. „So lange kann ich warten.“

„Meinst du wirklich?“, fragte sie und blickte auf ihr fast vollendetes Werk. „Na gut. Wenn es dir wirklich nichts ausmacht.“

„Nein, gar nicht.“, meinte ich und kam näher, stellte mich neben ihre bereits wieder kniende Gestalt.

„Ich bin auch gleich fertig.“, sagte sie noch, während sie die Pflanze an ihren Platz setzte und ihr mit Erde Halt gab.

Ich blickte mich im Garten um. Im Haus hatte sich fast nichts geändert, doch hier hatte sich bereits eine Menge getan. Sie musste viel Zeit im Garten verbracht haben in den letzten Wochen.

„Schön.“, ließ ich sie wissen und war mir im ersten Moment nicht sicher, ob ich den Garten meinte, da ich bereits wieder sie betrachtete. Sie trug ihre Haare so, wie ich es am liebsten hatte. War es Absicht oder Zufall?

„Danke. Es hat auch eine Menge Arbeit gemacht, aber ich wollte mal wieder neue Farben hier einbringen.“ Ich liebte es, wenn sie so etwas sagte, wenn sie von Farben sprach und von frischem Wind. Sie veränderte Dinge unglaublich gerne, konnte nichts einen Monat lange so lassen, wie es war, brachte regelmäßig überall neuen Wind hinein. Das würde etwas sein, das ich vermissen würde, dachte ich mit einem schwachen, traurigen Lächeln.

Es verblasste einen Gedanken später. Sie liebte Veränderung, liebte sie dann auch die Veränderung unserer Beziehung? Liebte sie mich denn auch schon lange nicht mehr so wie früher? Hatte sie sich gewünscht, dass sich unser Verhältnis änderte? Dass wir getrennte Wege gingen? Dass ich ging?

„So. Das hätten wir.“ Sie klopfte nochmals die Erde von ihren Hände ab. „Wollen wir einen Tee trinken?“, fragte sie dann und nahm die kleine Schaufel, die sie dazu benutzt hatte, Löcher für die Hyazinthen zu graben, um sie an ihren Platz zurückzubringen.

„Ja, gerne.“, antwortete ich und folgte ihr ins Haus. In unser Haus.

Sie wusch sich die Hände, zog sich die Schürze aus, die sie immer für Gartenarbeiten anzog und ein paar Minuten später saßen wir am Gartentisch und tranken Tee. „Wollen wir nicht hinaus sitzen? Es ist so schönes Wetter heute.“, hatte sie gesagt.

„Doch, natürlich. Eine gute Idee.“, hatte ich erwidert. Alles schien wie immer. Wie es all die Jahre zuvor gewesen war: Sie machte Vorschläge und ich stimmte ihnen zu, weil es gute Vorschläge waren. Warum kam es mir nicht so vor, als wäre es in der Zeit, in der ich mich heimlich mit Gackt getroffen und sie noch nichts von uns gewusst hatte, genau so gewesen? Warum hatte ich das Gefühl, dass in dieser Zeit, in der ich versucht hatte, mich zu entscheiden, mit wem ich mein weiteres Leben verbringen wollte, alles anders und von abgrundtiefer Verwirrung geprägt war? Warum nur zweifelte ich meine Entscheidung jetzt an?

„Also wirst du in drei Wochen zu drehen anfangen.“, begann sie ein Gespräch.

„Ja, Montag in drei Wochen. Aber wir fliegen schon Donnerstag Morgen.“

„Wo genau werdet ihr noch mal drehen?“

„In New York, hauptsächlich Manhatten.“

„Ach, stimmt ja. Was schätzt du, wie lange ihr drehen werdet?“

„Ich habe keine Ahnung, ehrlich gesagt.“, lächelte ich entschuldigend.

„Aber das steht doch bestimmt in deinem Vertrag.“ Sie schaute etwas verständnislos.

„Ja, aber... ich habe es vergessen.“ In Wirklichkeit wusste ich es nie. Ich hatte nicht nachgesehen, Gackt hatte mir aber versprochen, dass ich für meine bereits feststehenden Termine rechtzeitig zurück sein würde.

„Zu Josephs Geburtstag wirst du aber wieder hier sein, oder?“, wollte sie leicht beunruhigt wissen.

„Also...“, machte ich zunächst, um Zeit zu gewinnen. Würden wir bis zum elften November mit dem Dreh von ‚Angel’s Tale’ fertig sein? Wenn ja, hatte Gackt vor, noch länger in den USA zu bleiben? „Doch, ich denke schon.“, meinte ich zuversichtlich, obgleich ich das nicht war.

„Es ist sein elfter Geburtstag... Und das, wo er doch am elften Elften geboren ist. Es ist sogar wieder ein Sonntag, wie bei seiner Geburt. Es ist einfach etwas Besonderes. Bitte mach es ihm nicht kaputt. Versuche dein Bestes, um hier zu sein.“

„Natürlich, werde ich machen.“, versicherte ich ihr, hatte jedoch bereits ein ungutes Gefühl. Tetsus Geburtstag würde ich wohl auf jeden Fall verpassen.

„Gut.“, meinte sie abschließend zu diesem Thema.

„Weiß er es eigentlich?“, nutzte ich die Gelegenheit, eine mir wichtige Frage zu äußern.

„Was meinst du?“, fragte sie verwirrt zurück. Sie wusste es wirklich nicht.

„Wegen mir und...“ Ich wollte es nicht aussprechen. „...Ga-kun.“

„Oh, nein, nein. Das werde ich ihm auch nicht sagen. Wenn du willst, darfst du es ihm sagen. Das ist deine Sache. Aber ich werde es nicht tun.“, stellte sie klar.

„Gut.“, meinte ich dazu nur. Es war das, was ich hören wollte.

„Du wirst es ihm nicht sagen, oder?“, fragte sie, nachdem eine Weile Stille geherrscht hatte.

„Nein.“ Es war eine eindeutige Antwort.

„Willst du eigentlich wirklich die Scheidung einreichen?“, fragte sie plötzlich.

Ich war irritiert ob dieser Frage. Wollte sie gerade von mir wissen, ob ich mir bei meiner Entscheidung sicher war oder nicht doch noch einmal revidieren wollte? Ich war verunsichert.

„Wie meinst du das?“

„Na, ob du wirklich den Medientrubel riskieren möchtest oder wir lieber einfach nur unsere Eheringe behalten, aber getrennt leben.“ Ich war auf seltsame Art und Weise enttäuscht.

„Ja - also, nein - ich meine... Wir sollten uns nicht scheiden lassen. Das ist nicht nötig.“

„Gut. So ist es auch viel besser für Jo-chan. Wem wirst du davon erzählen, dass wir getrennt leben?“

„Ich... Ich denke... Tetsu, Sakura, Ken, Yuki und so, nur meinen engsten Freunden eben.“

„Gut.“, sagte sie nochmals. „Dann wäre das ja geklärt.“ Ich war verwirrt.

Es klingelte an der Tür. „Oh, das wird Jo-chan sein.“, meinte sie im Aufstehen. Sie verschwand im Haus, ließ mich verwirrt in einem wunderschönen Garten zurück, den ich am liebsten jeden Tag betrachten wollte.
 

Mir gefiel der Gedanke nicht, dass Hyde wieder - auch wenn es nur für ein paar Wochen war - bei Megumi wohnen würde. Ich konnte es ja verstehen, dass er noch vieles mit ihr zu klären hatte und auch noch etwas Zeit mit seinem Sohn verbringen wollte, bevor ich ihn für ein paar Monate auf einen anderen Kontinenten verschleppen würde. Doch musste er das mit Übernachtungen verbinden? In der Hinsicht konnte ich ihn nicht verstehen. Natürlich, es bestand schon lange die Gefahr, dass irgendwelche Gerüchte aufkamen, doch die besteht immer.

Wie es ihm wohl gerade erging? Was er wohl tat? Wie war die Stimmung zwischen ihm und Megumi, und auch Joseph? Was wusste er eigentlich? Hyde rief nicht an. So wusste zumindest ich nichts.
 

Es war beinahe ebenso wie bei dem ersten Mal, als ich Joseph von hier abholte. Ich war total verunsichert, doch Joseph begrüßte mich überschwenglich. Ich glaubte, Kinder beherrschten die Kunst des Vergessens.

Wir spielten bis in die Nacht hinein mit ihm Karten und sonstige Spiele, die ihm gefielen. Als er schließlich hundemüde war, schickte Megumi ihn ins Bett. Nachdem er sich seinen Pyjama angezogen hatte und im Bad gewesen war, um sich die Zähne zu putzen, kam ich in sein Zimmer, um ihm Gute Nacht zu sagen. Er lächelte mich von seinem Bett aus an. Ich setzte mich an den Bettrand und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. „Gute Nacht...“, sagte ich leise.

„Gute Nacht, Papa.“, erwiderte er. Daraufhin stand ich auf und wollte sein Zimmer wieder verlassen, als seine helle Kinderstimme noch einmal erklang: „Papa?“

„Ja, Jo-chan?“

„Bleibst du jetzt wieder für immer hier?“

Ich schluckte. Ich wollte meinen Sohn eigentlich um keinen Preis enttäuschen. Doch mir blieb nichts anderes übrig. Ich antwortete ihm, auf die Gefahr hin, dass seine Augen von einem traurigen Schleier umhüllt wurden, aufrichtig: „Ich weiß es nicht.“

待ち惚け - Machibouke - Waiting in vain

„Ihr lasst euch nicht scheiden?“ Gackt hatte offensichtlich nicht sehr viel Verständnis dafür.

„Es ist besser so. Die Medien werden nicht auf uns aufmerksam und Joseph hat keine geschiedenen Eltern. Es ist besser so.“, wiederholte ich, als würde das etwas ändern.

„Aber... heißt das nicht auch, du versuchst den Anschein aufrechtzuerhalten, dass ihr noch immer glücklich verheiratet seid und auch zusammenlebt?“

„Ja, natürlich.“, antwortete ich unüberlegt.

„Was heißt hier ‚natürlich’? Ich dachte, das würdest du nicht tun! Ich dachte, du würdest damit abschließen und mit mir zusammenziehen!“

„Ga-chan, wie stellst du dir das vor? Wie willst du das geheim halten?“

„Vielleicht will ich das gar nicht!“ Ich war entsetzt.

„Du willst damit an die Öffentlichkeit gehen?!“ Ich konnte es nicht glauben, was ich hörte.

„Ja, das will ich und wollte ich von Anfang an. Ich hatte gehofft, du würdest dich an den Gedanken gewöhnen und bräuchtest nur etwas Zeit, aber scheinbar hattest du davon mal wieder nicht genug.“

„Ga-chan!“, versuchte ich ihn zur Vernunft zu rufen. „Das hat mit Zeit überhaupt nichts zu tun. Du kannst doch nicht von mir verlangen, dass ich mit unserem Privatleben an die Öffentlichkeit gehe! Ich habe es Jahrzehnte lang geschafft, meine Familie da weitgehend herauszuhalten - die Medien wissen nicht einmal wie mein Sohn heißt! Da werde ich doch nicht hingehen und stattdessen bekannt geben, dass ich jetzt mit dir zusammen bin, der auch noch allseits bekannt und dazu noch ein Mann ist!“

„Megumi ist auch bekannt!“

„Aber nicht so sehr wie du und sie ist kein Mann!“

„Du schämst dich also für mich?“

„Ooch, nur weil du ein Mann bist!“, gab ich verzweifelt zurück.

„Ich fass es nicht... Du schämst dich auch noch für mich.“

„Das tue ich doch gar nicht, aber... dass wir beide Männer sind, macht es eben noch komplizierter. Aber auch wenn du eine Frau wärst, würde ich nicht öffentlich bekannt geben, dass ich jetzt mit dir und nicht mehr mit meiner Frau, mit der ich ein Kind habe, zusammen bin, verstehst du?“

„Einerseits ja, andererseits überhaupt nicht!“ Er war ebenfalls verzweifelt. „Du hast dich doch für mich entschieden, oder nicht?“ Das war keine gute Frage. Zu viel hatte ich bereits an meinen Entscheidungen zu zweifeln begonnen.

Ich seufzte. „Ga-chan...“

„Sag es.“, unterbrach er mich. „Sag, dass du dich für mich entschieden hast.“

„Ich habe mich für dich entschieden, Ga-chan.“ Es war die Wahrheit. Doch war es die richtige Entscheidung?

„Also, warum kannst du das dann nicht offen zeigen?“, fragte er und ich schüttelte den Kopf.

„Weil es nicht normal ist. Weil wir ewig nicht mehr aus den Medien wegzudenken sein werden. Weil wir keine ruhige Minute mehr haben werden. Weil wir unser Leben nicht mehr genießen werden können vor lauter Interviewanfragen, Durch-den-Dreck-Ziehungen in allen möglichen Shows, Nachrichten, Zeitschriften, R-“

„Kannst du es denn jetzt genießen?“, unterbrach er mich wieder. Ich wollte ihm nicht antworten. „Kannst du dein Leben jetzt genießen, obwohl du dich verstecken musst?“ Ich schloss die Augen. „Nein, das kannst du nicht, Hai-chan...“

Plötzlich öffnete sich die Wohnungstüre. Das Hausmädchen, das scheinbar die ganze Zeit über irgendwo still und heimlich sauber gemacht hatte, verließ die Wohnung.

Ich keuchte fassungslos auf. Meine Hand zeigte zur Tür, als ich sagte: „Und sie hat das jetzt alles mitangehört oder wie?“ Gackt verdrehte die Augen. „Warum sagst du es mir nicht, wenn jemand hier ist?!“

„Sie ist nur meine Haushälterin und sie versteht kein Wort, von dem, was wir sagen. Ich habe sie aus Madagaskar mitgebracht, das weißt du doch. Sie versteht höchstens ein bisschen Englisch.“

„Aber sie hat mich in letzter Zeit bestimmt öfters hier gesehen - wer weiß, was sie alles gesehen oder gehört hat! Sie könnte damit an die Presse gehen, Ga-chan!“

„Hai-chan, jetzt mach mal halblang!“, wies Gackt mich zurecht. „Sie könnte der Presse gar nichts sagen - außer, sie kann plötzlich Japanisch - und selbst wenn, dann würde man ihr nicht glauben. Außerdem habe ich sie immer zu bestimmten Zeiten bestellt, sodass sie dich überhaupt nicht oft gesehen haben kann. Ich selbst sehe sie nicht oft, weil sie meist hier ist, wenn ich fort bin.“ Ich atmete hörbar ein und aus. „Jetzt beruhige dich...“ Er kam zwei Schritte auf mich zu, nahm mich in den Arm. „Du machst dir zu viele Sorgen, glaub mir...“ Ich hatte das Gefühl, er wollte als Nächstes sagen „Man wird es nicht erfahren“, doch er tat es nicht, weil er wusste, dass er das nicht sicher sagen konnte. Er wusste genau wie ich, dass es jederzeit geschehen konnte, dass ein Kamerateam vor der Tür stand. Jederzeit.

„Jetzt werden wir ohnehin erst einmal ein paar Monate weg sein und völlig legitim zusammen Zeit verbringen.“, meinte er nach einer kurzen Stille. „Und dann sehen wir weiter...“ Ich hoffte, er glaubte nicht, dass sich bis nach dem Dreh alles geregelt haben, da diese Zeit gekommen sein würde, in der ich mich an den Gedanken gewöhnt hatte, an die Öffentlichkeit zu gehen. Darauf würde er vergebens warten.
 

„Hast du schon etwas gegessen?“, fragte ich ihn, nach einem Blick auf die Uhr. Es war nach sechs und er war bereits über eine Stunde hier gewesen.

„Sorry...“, entschuldigte er sich und blickte mich, Nachsicht erbittend, an.

„Kein Problem. Ich habe auch schon gegessen. Ich wollte nur fragen.“, meinte ich schnell. Daraufhin blickte er mich skeptisch an. „Was?“

„Bist du sicher, dass du schon etwas gegessen hast?“, fragte er mit leichter Besorgnis in der Stimme.

„Ja, natürlich.“, gab ich zurück. Er wusste, dass es gelogen war.

„Ga-chan, bitte iss wieder richtig...“, bat er mich. „Es ist noch nicht lange her, dass du deswegen im Krankenhaus lagst.“ Seine besorgten Augen zwangen mich, etwas zu seiner Beruhigung zu sagen.

„Ich esse auf jeden Fall wieder mehr.“ Er blickte mich, halb überzeugt, halb besorgt, an. „Aber am liebsten habe ich es, wenn du mit mir zusammen isst...“ Er lächelte sein schiefes Lächeln. Ich wusste, dass es ihn einerseits freute, das zu hören, doch auf der anderen Seite bedeutete es auch eine gewisse Verantwortung für ihn. Ich war erleichtert, als er mit beiden Mundwinkeln zu grinsen begann.

„In New York sorge ich dafür, dass du zehn Kilo zunimmst.“

„Soll das eine Drohung sein?“, fragte ich, scherzend. „Oder stehst du einfach auf dick?“ Ich hätte mich selbst für diesen Satz ohrfeigen können, der einen unerwünschten Gedanken in mir hervorrief: ~Megumi ist auch wahnsinnig dürr...~

„Du könntest zwanzig Kilo zunehmen und würdest noch nicht dick aussehen.“, meinte er dann und legte seine Arme um mich, befühlte meinen Bauch, maß seinen Umfang. „Oder dreißig?“, überlegte er laut, grinste.

„Ja, klar.“, meinte ich ironisch und legte meine Arme ebenfalls um ihn, doch nicht, um ihn zu messen, sondern um ihn zu spüren. Ich zog ihn an mich, legte meinen Kopf auf seinen und schloss die Augen. Ich atmete tief den Geruch seiner Haare ein. Sie mussten frisch gewaschen worden sein. Der Gedanke an sein Verhalten - jetzt, da er sozusagen wieder ‚zu Hause’ lebte - quälte mich.

„Ach ja, ich wollte dir einmal die Idee für eine Melodie zu dem Titelsong zu ‚Angel’s Tale’ zeigen.“, begann ich plötzlich. Es war reine Ablenkung - für mich.

„Hast du denn schon eine konkrete Vorstellung von dem Song?“, wollte Hyde wissen.

„Ziemlich, ja.“, antwortete ich und ließ ihn los, ging zum Klavier, setzte mich.

„Ach, davon sind die Noten.“, warf Hyde ein, als er sah, wie ich das Notenheft an den Anfang zurückblätterte. „Ich habe mich schon gefragt, was das sein könnte.“

„Hast du mal wieder herumspioniert?“, fragte er spaßend und brachte seine Hände in Position. Ich stellte mich neben ihn und schaute wie gebannt auf seine Hände. Er begann zu spielen. Es war eine wunderschöne Melodie. Sie gefiel mir vom ersten Augenblick an. Ich hätte ihr stundenlang lauschen können. Doch sie machte mich auch irgendwie traurig. Sie war melancholisch schön.

Vor dem Hintergrund dieser Musik tauchten Gedanken auf, die ebenso traurig waren, doch eigentlich nicht schön. Ich dachte an meine Zukunft.

„Und? Was sagst du dazu?“ Gackt hatte mich aus meinem Tagtraum geholt. Ich hatte die Augen nicht geschlossen, doch jetzt öffnete ich sie und erblickte die Realität. Sie war beinahe ebenso melancholisch schön wie diese Melodie.

„Wirklich schön...“, sagte ich leise, als wollte ich die längst verklungenen Klänge nicht unterbrechen.

„Schön, dass du sie schön findest...“, entgegnete er lächelnd und stand auf, legte einen Arm um meine Taille, eine Hand in meinen Nacken und küsste mich. Auch wenn sein Körper noch geschwächt wirkte, seine Leidenschaft war stärker denn je. Langsam aber bestimmt drängte er mich zurück in Richtung Sofa. Es war von Anfang an eindeutig, worauf es hinauslaufen würde. Doch ich wollte es nicht. Nicht jetzt, nicht hier, nicht mit den Gedanken in meinem Kopf, die um Megumi kreisten.

„Warte, Ga-chan.“, kam es über meine Lippen. Er hielt inne. „Ich kann nicht.“

„Was kannst du nicht?“, fragte er zurück.

„Das hier.“, erwiderte ich.

„Was meinst du?“, fragte er wiederum zurück.

„Was du gerade mit mir tust.“, erklärte ich.

„Was tue ich mit dir?“, fragte er abermals zurück.

„Du... verführst mich.“, sagte ich zögerlich.

„Habe ich nicht das Recht dazu?“, fragte er weiter.

„Doch, schon, aber...“

„Aber?“ Er wartete auf eine Antwort.

„Aber ich sollte jetzt wieder zurück.“ Es war erstaunlich, wie er mit einem Satz die ganze Stimmung ruinieren konnte. Es fiel ihm so unsagbar leicht. Es war schrecklich.

„Ich verstehe.“, sagten meine Lippen, doch nicht mein Verstand. „Wann sehe ich dich wieder?“

„Ich rufe dich Morgen an.“, sagten seine Lippen, doch nicht unser Schicksal.

罪を償う - Tsumi wo tsugunau - Atone for One's Sins

Es klopfte an die Tür. Ich drehte instinktiv das Blatt Papier auf die andere, unbeschriebene Seite. „Ja?“ Megumi trat ins Zimmer. Sie schaute mich an, als hoffte sie, sie störte nicht.

„Das Essen ist gleich fertig. Ich wollte dich nur fragen, ob du mitessen willst.“

„Ja. Gerne.“ Ich hatte - bis auf die eine Woche bei meinen Eltern - Megumis Kochkunst vermisst.

„Schreibst du wieder einen Song?“, fragte sie mit dem Blick auf dem leeren Blatt vor mir.

„Ja.“, antwortete ich ihr.

„Wenn du erst noch daran arbeiten willst, ist das auch kein Problem. Wir können auch erst spät-“ „Nein. Er ist sowieso fertig.“, meinte ich im Aufstehen und bereute es sofort. Einerseits, weil ein scheinbar leeres Blatt vor mir lag, und andererseits, weil ich ahnen musste, dass sie danach fragen würde.

„Darf ich ihn lesen?“ Was sollte ich ihr sagen?

„Wenn du gerne möchtest.“, stellte ich es ihr frei. Ich wusste nicht, warum ich das tat. Ich wusste nur, dass ich es bei Gackt nicht getan hätte.

„Sehr gerne sogar.“, lächelte sie und kam zum Schreibtisch, griff nach dem Blatt, und für einen Augenblick überlegte ich, mein Angebot doch wieder zurückzuziehen. Doch ich ließ es, ließ sie sie lesen. Meine tiefsten Gedanken.
 

Koutai no Niwa
 

I am sitting in this garden of change

Waiting for me - to change
 

I sit and wait, day after day

Hoping that you will look my way

But nothing changes
 

You were gone long ago

You spread your wings and flew

Into another world, for you -

Had changed

~You had completely changed~
 

I watch the flowers bloom - My past

Will stay the same - at last

Nothing will ever change
 

I stay the same, stay colourfast

The flowers change their colours fast

I envy them
 

Why does nothing change for me?

Why do I stay the same although I try?

Although I want to see another me

Another one that does not cry
 

Birds singing, butterflies passing by

I wait for you - time is passing by

~So slowly, so slowly~

You would not come back
 

Everything around me is changing

Changing all the time, further and further

It would not stop changing

I would not start -
 

I am sitting in this garden of change

Trying to, waiting for me to - leave

Just as you did - one second
 

Why does everything change except for me?

Why do I stay the same although I try?

Although I want to see another me

I hate to ask myself why
 

Die Idee hierfür kam mir gleich am ersten Tag dieser drei Wochen, die ich in meinem Zuhause verbringen würde. Sie war seit dem Teetrinken im Garten in meinem Kopf gewesen und jetzt hatte ich sie endlich auf Papier gebracht, nachdem ich zuerst versucht hatte, mich dagegen aufzulehnen. Doch es war aussichtslos. Ich musste diesen Text schreiben. Ich hätte es gleich am ersten Tag tun sollen.

Würde sie ihn verstehen? Würde sie wissen, von welcher Person ich sprach? Würde sie mich darauf ansprechen? Würde ich es ihr anvertrauen? Wie würde sie reagieren?

„Wirklich schön...“, war ihr erster Kommentar, der mich lächeln ließ. „Ich glaube, ich habe nicht alles verstanden - du weißt ja, dass mein Englisch nicht so gut ist... Aber, was ich verstanden habe, ist schön. Der Text gefällt mir wirklich.“ Sie legte ihn wieder zurück auf den Tisch, dieses Mal mit der Schrift nach oben.

„Schön, dass du ihn schön findest...“, entgegnete ich und plötzlich wurde ich mir bewusst, dass ich dieselben Worte am Tag zuvor bereits gehört hatte. Ihre Worte aus meinem eigenen Mund, und meine aus dem Gackts.
 

Während dem Essen sprachen wir über unwichtige Dinge. Smalltalk. Es war der einfachste Weg.

Nach dem Essen hatte sie sich riesig gefreut, dass ich ihr half, die Küche aufzuräumen. Doch es war das Mindeste. In meinen Augen.

Danach ging ich zurück in mein Arbeitszimmer, legte mich auf das Sofa, das für die nächsten Wochen auch mein Bett sein würde, und las ‚Angel’s Tale’. Nach nicht viel mehr als einer halben Stunde klopfte es an der Tür.

„Ja.“, bat ich sie herein. Megumi öffnete die Tür

„Ah, du bist beschäftigt. Ich wollte dich nur fragen, ob du zum Abendessen zu Hause sein wirst.“ Ich fragte mich, ob sie damit wissen wollte, ob sie für mich würde mitkochen müssen oder ob ich im Weg sein würde oder nicht. Ein grausamer Gedanke schoss mir durch den Kopf: Hatte sie bereits einen anderen? Wollte sie ihn heute Abend hierher einladen? - Nein, das konnte nicht sein.

„Also... Ich weiß es nicht.“, antwortete ich ihr ehrlich. Es war der Moment, indem ich mir bewusst wurde, dass ich Gackt längst hätte anrufen sollen. Ich hatte es ihm versprochen. Vorgestern.

„Ich gehe jetzt auf jeden Fall einkaufen.“, ließ sie mich wissen. Es hörte sich an, als wollte sie sicher gehen, dass ich es wusste, und als hoffte sie, dass ich mitkommen würde.

„Willst du, dass ich mitkomme?“, fragte ich mehr oder minder direkt. Ich konnte Gackt auch später noch anrufen. Jederzeit.

„Ich will dich nicht von irgendetwas abhalten.“ , sagte sie schnell. Ich fragte mich, ob sie das nur aus Höflichkeit sagte.

„Nein, nein, tust du nicht. Ich kann mitkommen. Ich kann ja jederzeit weiterlesen.“ Ich legte das Lesezeichen hinein und das Buch beiseite. Dann stand ich auf und folgte ihr aus dem Raum.

„Wie findest du den Roman?“, fragte sie mich plötzlich, als wir mit Schuheanziehen beschäftigt waren. Ich spürte eine eigenartige Stimmung.

„Also... Ich finde ihn ganz gut. Vor allem dafür, dass er eigentlich Sänger und nicht Schriftsteller ist.“ Mein Blick erstarrte kurzweilig. Ich sparte, Megumi gegenüber, Gackts Namen ebenso aus, wie ich es damals, Gackt gegenüber, mit Megumis Namen getan hatte. Kein gutes Zeichen.

„Ich habe noch gar nicht zu lesen angefangen.“, sagte sie mit entschuldigendem Unterton.

„Warum hast du ihn dir überhaupt gekauft?“, fragte ich sie, als ich wieder in der Realität war.

„Es hat mich interessiert, ob er auch das noch kann, schätze ich.“ Ich war mir nicht ganz sicher, ob nicht ein großer Funken Neid in ihrer Stimme glühte.

Sie öffnete die Haustür, ging hindurch, wartete nicht auf mich. Ich trat ebenfalls hinaus, schloss die Tür hinter mir. Vor der Garage wartete sie dann. Doch nicht auf mich, sondern darauf, dass sich das Garagentor öffnete. Ich ging zu ihr und sie fragte mich: „Willst du fahren? Ich fahre doch so selten.“ Und ich fragte mich, ob sie mich nur deshalb mitnehmen wollte.
 

„Mei-chan?“, sprach ich sie an, während ich Auto fuhr. Wir waren auf dem Weg nach Hause.

„Ja?“ Ich dachte im ersten Moment, sie würde meinen Namen sagen. Ohne „chan“ anzuhängen.

„Hättest du Lust, mit mir demnächst einen neuen Teppich für das Wohnzimmer aussuchen zu gehen?“ Sie blickte mich überrascht an. „Ich würde dir gerne einen neuen schenken.“ Seit ihrem Sturz war mir dieser Gedanke nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Und jetzt ging ich jeden Tag über diesen kahlen Wohnzimmerboden und musste ihr endlich dieses Angebot unterbreiten, bevor mich der ständige Gedanke daran wahnsinnig machte. Ich hatte ohnehin ein schlechtes Gewissen, dass ich ohne Blumen zu ihr ins Krankenhaus gekommen war. Und dass ich sie mehrere Tage hatte warten lassen auf meine Entscheidung. Und dass Joseph unseren Streit mitanhören konnte. Und dass sie wegen des Streits überhaupt im Krankenhaus gelandet war. Und dass ich sie betrogen hatte. Ich wollte es wieder gutmachen. Ich wollte alles wieder gutmachen. Ich wusste nur nicht, wie.

„Klar, das hatte ich sowieso demnächst vor.“, meinte sie beschwingt. „Gut, dass du mich daran erinnerst. Das wollte ich schon letzte Woche machen, aber... du kennst mich ja.“ Sie lächelte.

Ich lächelte zurück. Ja, ich kannte sie. Besser als jeder andere. Und doch war sie mir nun fremd.

Es tat weh.

罪悪感 - Zaiakukan - Feelings of Guilt

Heute war der Tag, an dem wir den neuen Teppich aussuchen gehen wollten. Einerseits freute ich mich darauf, etwas mit Megumi zu unternehmen, andererseits war es ein seltsames Gefühl, eben das zu tun. Ich war schier aufgeregt. Ich konnte nicht sagen, warum es so war. Doch es war auf seltsame Art und Weise aufregend. Als wäre es etwas, das ich noch nie zuvor getan hatte. Und das war es auch. Ich unternahm etwas mit einer Frau, die ich nicht kannte. Nicht mehr.

Nervös trat ich aus der Dusche und trocknete mich ab. Ich wusste, ich hatte noch genügend Zeit, und doch drängte ich mich selbst zur Eile. Ich band mir das Handtuch um die Hüfte, wie ich es immer tat, und ging ins Schlafzimmer, um mir Kleider zu besorgen. Ich erschrak fürchterlich.

Ich hatte die Tür geöffnet und da stand sie, fast unbekleidet, vor unserem Kleiderschrank, vor der Spiegelwand. „Oh, entschuldige!“, sagte ich schnell und zog die Tür sofort wieder zu.

„Ist schon in Ordnung.“, rief sie durch die geschlossene Tür hindurch. „Du kannst ruhig reinkommen.“ Meine Augenbrauen hoben sich, meine Brust hob und senkte sich rasch. „Es ist ja nicht so, als hättest du mich noch nie leicht bekleidet gesehen.“

„Trotzdem.“, murmelte ich und ging zurück ins Badezimmer. Mit stark pochendem Herzen.

~Was ist los mit mir? Sie ist sozusagen schon meine Exfrau. Ich liebe sie nicht mehr. Ich darf sie nicht mehr lieben...~ Ich blickte lange in den Spiegel über dem Waschbecken. „Liebst du sie noch?“

Es klopfte an die Badezimmertür. Ich erschrak erneut. „Das Schlafzimmer ist jetzt frei.“

„Ja. Danke.“, sagte ich, versucht beschäftigt klingend. Ich hörte, wie sich ihre Schritte entfernten. Dann öffnete ich die Tür und verließ das Badezimmer, betrat das Schlafzimmer. Nachdem ich umgezogen war, hatte ich noch eine halbe Stunde, um nachzudenken, bevor wir in den Wagen stiegen und zu einem über eine Stunde entfernten Möbelgeschäft fuhren. Die Zeit reichte mir nicht.
 

Das Telefon klingelte. Das Geschäftstelefon. Ich seufzte, stand von der Couch auf, die zugleich mein Bett war. Ich nahm den Hörer ab. „Ja?“

„Ich bin es. Ich bin gerade von meinem Termin zurückgekommen und dachte, du könntest vielleicht noch vorbeikommen...“, fragte er in direkt an. Es war acht Uhr.

„Also...“ Ich wusste, es sprach nichts dagegen. Ich wusste, dass er das auch wusste, und doch... „Können wir das auf Morgen verschieben?“

„Ooh... Warum?“ Seine Stimme klang traurig, aber noch hoffnungsvoll.

„Ich weiß nicht... Ich fühle mich nicht gut.“

„Gerade deshalb sollst du ja zu mir kommen.“, meinte er schlicht.

„Glaubst du, dann geht es mir besser?“, wollte ich fragen. „Das wird es nicht...“, wollte ich sagen. „Ich bin verwirrt“, wollte ich zugeben. „Ich weiß nicht mehr, was ich fühle“, wollte ich mir eingestehen. „Ich weiß nicht...“, antwortete ich ihm unentschlossen.

„Na, komm schon... Wir haben uns seit vier Tagen nicht mehr gesehen.“, warf er mir milde vor.

„Na gut.“, ließ ich mich überreden. „Also dann, bis später.“ Ich fühlte mich nicht wohl dabei.
 

Ich lächelte die erste Zeit lang fast ununterbrochen, während ich auf Hyde wartete, auch wenn die Tatsache, dass es ihm nicht gut zu gehen schien, meine Vorfreude dämpfte. Nach einer Weile war mein Lächeln verschwunden. Hyde ließ sich Zeit. Wie immer.

Als es dann endlich an der Türe klingelte, wunderte ich mich, denn Hyde hatte einen Wohnungsschlüssel. Ich öffnete die Tür und erblickte ihn. „Warum benutzt du deinen Schlüssel nicht?“

Er blickte mich fragend an. „Also... Ich habe nicht daran gedacht.“

„Ah...“, machte ich nur, fragte mich, was mit ihm los sein könnte. Er wirkte anders.

„Na ja. Komm erst mal rein.“, sagte ich und schloss die Tür hinter ihm. Er zog sich seine Schuhe aus und hängte seinen Mantel an die Garderobe. Ich beobachtete ihn dabei, trat dann auf ihn zu, küsste ihn. Etwas war anders.

„Wie geht es dir? Warum fühlst du dich nicht gut?“

Schon bevor er zu sprechen begann, konnte ich sehen, dass es eine Lüge werden würde. „Ich habe wahrscheinlich etwas Falsches gegessen oder so.“

„Hast du denn Magenschmerzen?“, fragte ich, spielte sein Spiel mit.

„Ja.“, log er weiter. „Mein Magen fühlt sich insgesamt ganz seltsam an. Ich weiß auch nicht, was das ist.“

„Vielleicht solltest du mal zum Arzt gehen.“

„So schlimm ist es eigentlich nicht. Ich denke, es geht von alleine wieder weg.“

„Ah...“, machte ich wieder. Ich hasste es, wenn ich das tun musste. „Also, was ist wirklich los?“

„Ara?“ Er hatte wie immer keine Ahnung, wie durchschaubar er war. Er hatte noch immer nicht begriffen, dass er mir nichts vormachen konnte. „Aber... das habe ich doch gerade g-“

„Hai-chan.“, unterbrach ich ihn und fragte nochmals: „Was ist los mit dir?“

Er sah zur Seite, konnte mir nicht ins Gesicht sehen. Dieses Mal allerdings nicht, weil er lügen wollte. „Ich will nicht darüber sprechen.“

„So geht das nicht, Hai-chan.“, stellte ich klar. „Sollte nicht gerade ich die Person sein, der du dich anvertrauen kannst?“ Er schaute unsicher zu mir auf, schwieg jedoch. „Du kannst mir doch alles sagen, Hai-chan. Oder nicht?“

Er sah mich eine Weile an, allerdings so sehr in Gedanken, dass ich nicht sicher sein, ob er mich wirklich sehen konnte. „Nein.“, antwortete er dann. „Ich kann es dir nicht sagen.“

Es war hart. „Warum?“ Ich verstand ihn nicht. „Warum vertraust du mir nicht?“

„Es hat nichts mit Vertrauen zu tun.“, stellte er in den Raum. Ohne Begründung.

„Mit was dann?“, fragte ich nach, da er mir von sich aus anscheinend keine Antwort geben würde.

„Genau deshalb wollte ich nicht herkommen.“, sprach er gen Boden, ohne mir zu antworten.

„Das ist wohl auch keine Lösung, oder?“ Ich seufzte. „Was ist dein Problem? Hat es mit mir zu tun? Habe ich etwas falsch gemacht?“

„Nein.“, antwortete er hastig. „Nein.“, wiederholte er sich. „Es liegt nicht an dir.“

„An wem dann?“, fragte ich weiter. „An Megumi?“ An seiner Reaktion erkannte ich, dass ich ins Schwarze getroffen hatte. „Was ist mit ihr?“ Er schwieg. „Tut sie dir leid?“ Seine Augen waren dem Boden gewidmet. „Will sie dich zurück?“ Sein Blick dem Nichts.

~Das wüsste ich auch gern...~ Ich bereute es, hergekommen zu sein. Gackt blickte mich traurig an.

„Kannst du sie nicht loslassen?“ Es fiel ihm sichtlich schwer, diese Vermutung zu äußern.

Zu antworten, fiel mir allerdings noch schwerer. „Ich fürchte...“

Gackts Augen verloren ihren Glanz. Es war, als würde ich ihn sterben sehen.

„Aber ich denke, das sind nur die Schuldgefühle ihr gegenüber...“, fügte ich hinzu. Es war die Wahrheit. Ich hoffte es zumindest. „Ich denke, wenn ich das Gefühl habe, dass ich es wieder halbwegs gut gemacht habe, was ich ihr angetan habe, dann ist alles in Ordnung...“

Er sah auf. „Und wann, glaubst du, wird das sein?“

Ich versuchte, aufmunternd zu lächeln. „Ich denke, bald.“

„Und wie willst du das tun?“, fragte er weiter. Er war noch nicht von einem guten Resultat dieses Planes überzeugt.

„Genau das ist mein Problem.“, gab ich zu. „Ich weiß es nicht...“

自白 - Jihaku - Confessions

„Ja. Bis später!“, verabschiedete ich mich und legte den Hörer auf. Ich war einerseits glücklich, dass Tetsu mich zu sich kommen ließ und mir zuhören würde, andererseits jedoch war ich schrecklich nervös. Was sollte ich sagen? Wie sollte ich es sagen? Und was würde Tetsu sagen?

Ich konnte sofort vorbeikommen, hatte er gemeint. Er war wirklich immer für mich da, wenn ich ihn brauchte. Ich hoffte, dass dies auch anders herum der Fall war.

Hastig richtete ich mich und hielt inne, als ich im Schlafzimmer neben der Kommode stand und einen Ring darauf entdeckte. Einen Ehering.

Sie trug ihn also nicht mehr. Warum löste das ein so seltsames Gefühl in mir aus? Warum war es mir nicht gleich? Oder warum war ich nicht glücklich darüber, dass sie nicht versuchte, festzuhalten, an dem was war und nie wieder sein würde? Warum tat ich das?

Ich nahm meinen Ring - den ich wie so oft in meiner Hosentasche mit mir herumtrug, weil ich nicht wusste, wohin ich ihn sonst tun sollte - heraus und legte ihn zu dem ihren. Es war ein schönes Bild, sie wieder vereint zu sehen.

Plötzlich verspürte ich den Drang, ihn wieder an mich zu nehmen und an meinen Ringfinger zu stecken. Doch weshalb sollte ich das tun? Was würde Megumi von mir denken, wenn sie das sah? Und wie viel Sinn würde das machen, wenn ich auf dem Weg zu Tetsu war und danach vielleicht sogar noch zu Gackt ging?

„Was tust du denn da?“ Megumis Stimme ließ mich herumfahren.

„Was? Ich? Nichts.“ Ich versteckte den Ring vor ihren neugierigen Blicken.

„Aha.“, meinte sie nur, lächelnd. „Das Mittagessen ist fertig, willst du auch?“

„Nein. Ich bin jetzt mit Tetsu verabredet.“, antwortete ich ihr und steckte meinen Ring wieder unauffällig in meine Hosentasche.

„Schade. Ich habe sowieso viel zu viel gekocht...“, sagte sie verlegen, bevor sie in die Hände klatschte und hinzufügte: „Na ja. Vielleicht isst du ja später noch etwas davon.“

Ich sagte ihr nicht, dass ich noch nicht sicher wusste, ob ich heute hier übernachten würde.

„Also dann, sag Tetsu-kun einen Gruß von mir, okay?“

„Ja, mach ich.“, versprach ich ihr. Ich würde es jedoch bestimmt vergessen.
 

Es klingelte. Ich öffnete die Tür und erblickte den erwarteten Besuch.

„Hallo.“, meinte er schüchtern und trat ein. Ich schloss die Tür hinter ihm und folgte ihm. Allerdings blieb er bereits mitten im Flur wieder stehen, statt ins Wohnzimmer zu gehen.

„Setzen wir uns. Willst du was trinken?“, fragte ich ihn, auf dem Weg in die Küche.

„Hast du Sake da?“, wollte er vorsichtig wissen. Ich schaute ihn überrascht an.

„Ist es so schlimm, worüber du mit mir sprechen willst, dass du Alkohol dazu brauchst?“

Er bewegte seinen Kopf vage in verschiedene Richtungen. Ich deutete es als ein Ja.

„Dann bin ich aber mal gespannt.“, entgegnete ich und holte eine Flasche Sake und zwei Gläser aus der Küche. Als ich zurückkam, hatte Hyde angefangen, mit seiner rechten Hand nervös auf seinem Schenkel herumzuklopfen. Die Finger seiner Linken waren an seinem Mund, sein Blick war weit entfernt. Er biss sich leicht auf die Unterlippe. Er stoppte all das, als er mich bemerkte.

„Hier. Den trinkst du doch gerne.“ Ich reichte ihm die Flasche und stellte die Gläser auf dem Tisch ab. „Aber übertreib es jetzt nicht. Zuerst will ich hören, was los ist, bevor du dich so dermaßen betrinkst, dass ich nachher kein Wort mehr verstehe.“ Es sollte ein Scherz sein, aber Hyde schien es nicht als solchen wahrzunehmen. Ich hatte das Gefühl, er wollte sich wirklich betrinken.

Ich setzte mich neben ihn aufs Sofa und wartete. Ich wusste, ich musste nur warten und er würde von sich aus zu sprechen anfangen. Und das tat er auch: „Also... Es ist so... Ich fange von ganz vorne an.“ Er holte tief Luft. „Alles begann mit dem Dreh zu ‚Moon Child’...“

Ich runzelte die Stirn, war irritiert über diesen Anfang. Das war zehn Jahre her. Wieso sprach er erst jetzt mit mir darüber? Und worauf wollte er eigentlich hinaus? Ich hatte angenommen, es würde in diesem Gespräch um Megumi gehen.

„Ich... Na ja... Nach den Monaten, in denen wir ‚Moon Child’ gedreht hatten, glaubte ich, festgestellt zu haben, dass... Ga-chan... mehr für mich geworden war... als nur ein Freund...“

Tetsu sah mich aufmerksam an. Er war nicht erstaunt, sein Blick war jedoch auch nicht wissend. Er schien zu versuchen, sich nicht selbst auszudenken, wie meine Erklärung wohl weitergehen würde. Er wartete ab, was ich wirklich sagen würde, und würde sich erst dann ein Bild davon machen. Und wie ich ihn kannte, würde er mich niemals für etwas verurteilen.

„Ich mochte ihn sehr. Und ich wollte irgendwie, dass mehr als nur Freundschaft zwischen uns war.“

Tetsus Reaktion fiel noch milder aus, als ich erwartet hatte. Er nickte lediglich.

„Damals wusste ich es noch nicht so sicher, aber im Laufe der Jahre wusste ich es. Doch ich war längst verheiratet. Ich-“ „Du bist verheiratet.“, korrigierte er mich.

„Ja, stimmt. Ich bin verheiratet, ich habe ein Kind und ich... liebe Mei-chan.“ Ich wusste sicher, dass dies die Wahrheit war, doch ich wusste nicht, um welche Art von Liebe es sich hierbei handelte.

„Aber Ga-chan war etwas anderes.“, erläuterte ich weiter.

„Er ‚war’?“, hakte Tetsu nach.

„Nein, er ist es.“, korrigierte ich mich. „Mit ihm zusammen zu sein, ist etwas ganz anderes. Aber ich dachte, das konnte ich nicht haben. Und ich dachte ohnehin, dass ich keinerlei Grund hatte, nach mehr zu verlangen. Schließlich hatte ich schon alles, was sich ein Mann nur wünschen kann. Doch ich konnte mich nicht überzeugen. Aber ich konnte auch nichts unternehmen. Ich wartete, ohne mir dessen wirklich bewusst zu sein. Ich lebte, ohne es wirklich zu genießen. Jahre vergingen, Ga-chan war mein Freund, ein guter Freund, doch mehr nicht. Doch dann, eines Tages - oder besser eines Nachts - war es passiert. Wir hatten uns geküsst. Nein. Er hatte mich geküsst. Und ich war völlig durch den Wind. Ich wusste nicht mehr, was ich denken sollte. Ich konnte mein Glück nicht fassen. Ich... musste das ganze erst einmal verarbeiten. Damit wären wir bei dem Tag angelangt, an dem du mich von der Single-Aufnahme nach Hause geschickt hast.“ Tetsu schüttelte den Kopf.

„Jetzt wird mir alles klar...“, meinte er nur und ließ mich weitererzählen.

„An diesem Tag kam ich aus dem Studio und wollte, wie du gesagt hast, nach Hause gehen, aber das tat ich letztendlich nicht. Ich ging zu Ga-chan. Es dauerte zwar ein paar Stunden, aber dann kam auch er nach Hause. Und wir redeten und wir... waren zusammen. An diesem Tag war ich endlich sicher, dass ich mit ihm zusammen sein wollte. Doch das ‚Problem Megumi und Joseph’ blieb.“ Ich bemerkte, wie hart es klang, meine Frau und mein Kind als Problem zu bezeichnen. „Es war ein ewiges Hin und Her. Ich führte ein Doppelleben, wie Ga-chan es nannte, und eines Tages wollte er, dass ich mich entscheide. Es war unser Zweimonatiges. Und das tat ich auch, doch ich brauchte Bedenkzeit. Und dann gab es noch ein blödes Missverständnis...“ Ich musste lachen. „Aber das ist jetzt egal. Irgendwann kam der Tag, an dem ich es wagte und Mei-chan sagte, dass ich mich von ihr scheiden lassen wollte. Es war ein grausamer Tag. Ich habe noch nie einen so schrecklichen Tag erlebt. Und ich hoffe, dass es der schlimmste bleibt.“ Tetsus Miene zeigte Besorgnis.

„Was ist denn passiert?“, fragte er, schon jetzt entsetzt.

„Megumi ist... fast durchgedreht. Sie hat an mir herumgezerrt, geschrieen, geweint. Es war schrecklich. Du dann... habe ich sie in den Arm genommen und sie hat mich von sich gestoßen, oder eher sich von mir weggestoßen.“ Ich erinnerte mich, wie ich Gackt versucht hatte, dieselbe Szene zu schildern. Vollkommen anders. „Sie ist auf den Glastisch gestürzt, hat dabei die Petroliumlampe, die ich ihr zum Valentinstag geschenkt hatte, auf den Teppich geworfen. Er brannte. Sie war bewusstlos. Ich habe sie in den Flur getragen, das Feuer erstickt - und dann stand Jo-chan hinter mir. Ich weiß bis heute nicht, wie viel er gehört oder gesehen hat.“ Mein Blick schweifte in die Ferne und kam erst wieder zurück, als Tetsu aufmunternd sagte: „Er wirkt nicht, als hätte er Schaden davon genommen. Jo-chan geht es gut. Aber wie sieht es jetzt aus? Habt ihr euch bereits getrennt?“

„Ja. - Nein - Also, ja, getrennt schon, aber ich wohne noch bei ihr, Jo-chan zuliebe, und wir werden uns auch nicht scheiden lassen. Aber jetzt bin ich in der seltsamen Situation, dass ich nicht mehr wirklich weiß... was ich eigentlich will.“ Tetsu runzelte wieder leicht die Stirn. „Ich bin mit Ga-chan zusammen, aber ich wohne bei Megumi. Und ich... liebe Megumi auch noch. Auf eine Art.“

Tetsu dachte angestrengt nach. Er versuchte, mich zu verstehen. „Ich weiß, es ist nicht so einfach nachzuvollziehen, aber... ich könnte weder ohne Ga-chan noch ohne Mei-chan leben.“

Tetsus Erwiderung überraschte mich. „Das ist doch verständlich.“ Ich schaute ihn perplex an. „Ga-chan liebst du und mit Mei-chan warst du so viele Jahre verheiratet, da dürfte es für dich kaum vorstellbar sein, dass sie plötzlich nicht mehr da sein könnte.“

Ich war Tetsu so unendlich dankbar für diese Worte. „Ja?“, fragte ich hoffnungsvoll nach.

„Natürlich. An deinen Gefühlen ist nichts seltsam. Und du hast alles richtig gemacht.“ Er gab mir Antworten, zu denen ich noch überhaupt keine Fragen gestellt hatte - zumindest nicht laut.

„Danke, Tet-chan... Wirklich vielen Dank.“, bedankte ich mich bei ihm. Ich war so unsagbar erleichtert. Ich umarmte ihn. Er legte eine Hand auf meinen Rücken und strich ein paar Mal freundschaftlich darüber.

„Danke...“, sagte er abermals und löste die Umarmung. Es waren Tränen in seinen Augen. Seinem glücklichen Lächeln nach zu schließen, mussten es Tränen der Erleichterung sein.

„Das nächste Mal kommst du mit so etwas sofort zu mir, verstanden?“, befahl ich ihm. „Nicht dass du dich wieder monatelang alleine damit rumschlägst und dich nur unglücklich machst!“

„Du hast ja recht...“, gab er kleinlaut zu. „Das nächste Mal höre ich auf dich...“

„Wie, glaubst du, wird es jetzt weitergehen?“, fragte ich ihn, selbst nicht fähig, mir seine Zukunft auszumalen.

„Wie meinst du das?“, fragte er zurück, unschuldig.

„Na, was ihr jetzt vorhabt. Du, Mei-chan und Ga-kun. Wollt ihr der Öffentlichkeit gegenüber den Anschein aufrechterhalten, dass du und Mei-chan glücklich verheiratet und Ga-kun und du nur Freunde seid?“ Meine Frage schien ihn zu überfordern. Es hatte den Anschein, als hätte er sich diese Frage noch gar nicht gestellt. Ich konnte sie jedoch leider nicht mehr zurücknehmen.

„Ich habe keine Ahnung... Aber ich denke schon. Was gibt es für eine andere Möglichkeit?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Viele Möglichkeiten habt ihr nicht. Entweder ihr macht alles öffentlich oder nichts.“

„Dann wohl besser nichts.“, lächelte er schwach. Ich versuchte sein Lächeln zu erwidern, aber ich machte mir Sorgen. Ich hatte das Gefühl, dass ihn diese Frage noch schwer beschäftigen würde. Wenn noch nicht jetzt, dann gewiss irgendwann. Vielleicht wenn es bereits zu spät war.

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Mein Gesicht lebte auf. Ich freute mich wahnsinnig, Hyde vor meiner Wohnungstür stehen zu sehen. Ich ließ ihn nicht einmal eintreten, sondern nahm ihn sofort in die Arme. „Ist das eine tolle Überraschung! Das ist das erste Mal, dass du unangekündigt zu mir kommst!“, freute ich mich offenkundig.

„Na ja, bis auf das eine Mal, wo ich - wie viel? - vier Stunden vor deiner Tür stand.“, meinte er lächelnd. „Das sollten wir nicht vergessen.“

„Na gut, dann ist es eben das zweite Mal. Aber jetzt ist es noch viel schöner! Ich habe gerade überlegt, dich anzurufen, aber das ist ja jetzt gar nicht mehr nötig!“ Ich wusste nicht mehr, was ich redete, doch es war mir egal. Ich war einfach überglücklich, dass Hyde zu mir gekommen war.

Ich küsste ihn. Nach kurzer Zeit brach Hyde jedoch ab und meinte: „Sollten wir nicht erst einmal reingehen?“ Ich seufzte. Doch nichts konnte mir meine gute Laune gerade verderben.

„Na gut. Bitte.“ Ich machte eine einladende Bewegung. Er trat ein und entledigte sich seines Mantels und seiner Schuhe. Ich sah ihm, wie so oft, dabei zu und wartete nur darauf, dass er damit fertig war, um ihn erneut an mich zu drücken und wild zu küssen. Ich war außer Kontrolle.

„Ganz ruhig...“, keuchte Hyde. „Lass mich auch mal wieder atmen.“

„Nicht jetzt.“, hauchte ich nur und versuchte weiter, meinen Hunger nach ihm zu stillen. Ich zerrte ihn mit mir zum Sofa, legte mich auf ihn und begann nach kurzer Zeit auch schon, ihn auszuziehen.

„Ga-chan...“, beschwerte er sich. „Jetzt sei doch nicht so stürmisch!“

„Ich versuch es ja...“, log ich und küsste ihn wieder, solange, bis ich mich einen Augenblick gedulden, als ich ihm das Shirt über den Kopf ziehen musste. Ich musste es.

„Ga-chan!“, ermahnte er mich. „Ich wollte eigentlich zuerst mit dir reden.“ Ich hielt inne, das Shirt noch nicht ganz über seinen Kopf gezogen habend.

„Reden? Worüber?“, wollte ich wissen. Ich versuchte, kein ungutes Gefühl einer schlechten Vorahnung aufkommen zu lassen.

„Ich war heute bei Tetsu...“, begann er, sein Gesicht von dem Kragen seines Shirts eingerahmt. Ich horchte auf. „Und habe ihm alles erzählt.“

„Und? Was hat er gesagt?“, fragte ich nach. Ich konnte mir keine schlimme Reaktion von Tetsu vorstellen, deshalb blieb ich gelassen.

„Er findet es in Ordnung... Ich habe auch nichts anderes erwartet.“

„Und jetzt?“

„Was?“

„War das alles, was du mir unbedingt erzählen wolltest?“

„Ja.“, antwortete er etwas perplex. „Ich wollte eben, dass du es weißt. Oder hältst du es für unwichtig?“

„Nein, natürlich nicht, aber es sind ja nicht wirklich interessante Neuigkeiten. Die hättest du mir auch noch später erzählen können.“

„Na gut, dann behalte ich solche Dinge eben in Zukunft für mich.“, empörte er sich und verschränkte seine Arme vor der nackten Brust.

„Das meine ich damit doch gar nicht...“, entschuldigte ich mich indirekt mit meinem Blick. „Aber ich freue mich einfach zu sehr, dich zu sehen, sodass alles andere gerade unwichtig für mich ist. Ich will nichts wissen. Ich will jetzt einfach nur dich...“

Sein Blick wurde wieder weich. Eine seiner Hände hob sich und strich eine Haarsträhne von mir zurück. „Dann hol mich doch...“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen.

Ich küsste ihn wieder leidenschaftlich, riss das Shirt endlich endgültig fort und warf es zu Boden. Als ich bereits jede Stelle seines Oberkörpers berührt zu haben glaubte, fing ich an, seine Hose zu öffnen. Jetzt begann auch er mich auszuziehen, versuchte schwach, mich von meinem Hemd zu befreien. Der Hosenknopf und der Reißverschluss waren offen, doch ihn von dem Stoff zu befreien, auf dem er lag, war kein leichtes Unterfangen. Ich fummelte verzweifelt an dem Leder herum, das sich nicht von seinen Beinen lösen wollte, da spürte ich etwas Hartes an seinem Schenkel. Etwas sehr kleines.

Irritiert betastete ich die Stelle genauer, hörte dabei jedoch nicht auf, ihn zu küssen. Als ich es endlich geschafft hatte, ihm die Hose auszuziehen, war der unbekannte Gegenstand vergessen, doch er tauchte wieder auf, sobald ich die Hose zu Boden warf. Denn ein leises Klirren folgte.

Ich löste mich von Hyde für einen kleinen Moment, um nachzusehen, was es war. Doch ich fand es nicht, konnte es nicht auf dem Boden liegen sehen. Vielleicht war es unter die Couch gefallen. Aber es war auch ziemlich unwichtig in dieser Situation. Ich wollte Hyde nicht warten lassen. Und auch mich erlösen.
 

„Ich hätte wahnsinnig Lust, mal wieder in ein Onsen zu gehen.“, meinte Gackt plötzlich. Wir saßen zusammen auf der Couch, noch immer nackt, doch Gackt hatte eine Decke um uns gelegt.

„Wie kommst du denn jetzt darauf?“, wollte ich wissen.

„Na, mir ist noch ziemlich heiß und ich könnte eine Dusche vertragen.“, erklärte er amüsiert.

„Ich war auch schon eine ganze Weile nicht mehr in einem Onsen.“, meinte ich. „Ist ja für uns auch ziemlich... ‚gefährlich’ sag ich mal.“

„Wie meinst du das?“, fragte er nach.

„Na, wenn uns jemand erkennt.“, sagte ich in einem selbstverständlichen Tonfall.

„Was, wenn ich jemanden kenne, der ein Onsen besitzt und es mir für ein Wochenende vermieten würde?“, fragte er dann, frech grinsend.

„Das hört sich schon besser an.“, meinte ich und ließ meinen Handrücken über Gackts zarte Haut streichen.

„Würdest du das mit mir dieses Wochenende machen?“

Ich musste daran denken, dass ich Megumi versprochen hatte, mit ihr und Joseph etwas zu unternehmen. „Gerne... Sehr gerne sogar...“
 

Die Sonne ging langsam unter. Ich saß noch immer auf der Couch, wollte ohne meine Kleider auch nicht unter der Decke hervorkommen - im Gegensatz zu Gackt. Er war bereits aufgestanden, völlig unbekleidet, um uns die warme Decke zu beschaffen, und gerade wieder, um uns etwas zu trinken holen zu gehen. Ich sah ihm verstohlen nach, lächelte dabei zufrieden.

Mein Blick wanderte unbemerkt zurück, vor mich, gen Boden gerichtet. Dort sah ich meine Lederhose liegen, vollkommen verdreht, und schreckte auf. Ich sprang zu ihr, mir nicht mehr bewusst, dass ich nackt war, durchsuchte panisch die Taschen und stellte entsetzt fest, dass der Ring verschwunden war. Die Hose mit der einen Hand nicht loslassend, war sie doch der einzige Anhaltspunkt, suchte ich den Parkettboden ab, unter dem Wohnzimmertisch, unter der Couch; er war nirgends aufzufinden.

„Was suchst du?“, fragte Gackt mit einer Flasche Volvic in der Hand im Türrahmen stehend.

„Ich- Nichts!“, sagte ich hastig.

„Ah. So sieht es eigentlich gar nicht aus. Willst du dich wieder anziehen?“

Ich bemerkte die Hose in meiner Hand. „Nein - also - Ja, doch, ich...“

„Suchst du zufällig das hier?“ Mein Mund öffnete sich vor Freude und Erleichterung. Im nächsten Moment verblasste das alles jedoch. Ich biss mir auf die Unterlippe. Gackt war nicht einmal halb so glücklich über seinen Fund.

„Warum trägst du ihn mit dir herum?“ Gackt war auf eine Art wütend, auf eine andere enttäuscht. Und dazwischen lag Unsicherheit.

„Ich weiß nicht, wohin ich ihn tun soll.“, antwortete ich schlichtweg. Es war die Wahrheit.

„Soll ich ihn für dich wohin tun?“, fragte er hilfsbereit. Er wartete meine Antwort nicht ab. „Dann kommt er in den Müll.“, sagte er kurzerhand und drehte sich zum Kücheneingang um.

„Ga-chan!“ Ich wollte ihm nacheilen, hielt mich jedoch zurück. Mein Mund war vor Fassungslosigkeit geöffnet. „Das ist nicht dein Ernst! Du kannst diesen Ring doch nicht in den Müll werfen! Es ist mein Ring!“

„Ist er dir denn so wichtig?“ Ich zögerte.

„Ich mag diesen Ring! Ganz abgesehen von seiner ursprünglichen Bedeutung.“

„Aber es ist dein Ehering! Er hat nun mal Bedeutung!“

„Aber doch nicht mehr nach der Trennung!“, versuchte ich ihm etwas verzweifelt klarzumachen.

„Natürlich bedeutet er auch nach der Trennung noch etwas! Du glaubst ja wohl nicht wirklich, dass er jetzt bedeutungslos geworden ist! Er steht noch immer für eure Ehe! Und wenn du ihn nicht loslassen kannst, bedeutet das, dass du auch an eurer Ehe noch hängst!“

Ich seufzte. „Aber nein, Ga-chan...“ Nun kam ich auf ihn zu. „Ich sehe ihn höchstens als Erinnerungsstück. Ich werde meine Ehe nie vergessen können. Dazu war sie ein zu großer Teil meines Lebens, verstehst du?“ Ich blickte ihn, nach Verständnis suchend, an; er schaute zur Seite. Es dauerte eine Weile, bis er sprach.

„Kannst du deine Erinnerungsstücke dann bitte woanders aufbewahren als in deinen Hosentaschen?“

„Ja. Werde ich.“, versprach ich ihm mit einem Lächeln und hielt mein Versprechen. Ich nahm ihm den Ring aus der Hand und ihn in den Arm. Später würde ich den Ring in die Innentasche meines Mantels tun. Und zu Hause würde er seinen zukünftigen Platz in einer Klarsichtfolie in einem großen Ordner im Regal meines Arbeitszimmers finden - an einem sicheren Ort.
 

Man hörte nichts, absolut nichts. Es war eine so tiefe Stille, dass es faszinierend war. Man getraute sich kaum, sie zu brechen. Ich tat es trotzdem: „Na? Wie gefällt es dir hier?“

Hyde blickte sich erstaunt um. „Es ist wunderschön...“

„Ja...“, stimmte ich ihm zu und stellte mich hinter ihn, legte meine Arme um seinen schmächtigen Körper. So genossen wir den Anblick und die Atmosphäre des gewaltigen Onsens.

„Wollen wir reingehen?“, fragte ich nach einer Weile, als ich das Gefühl hatte, Hyde konnte nicht mehr still dastehen und genießen. Er drehte sein Gesicht meinem zu und nickte.

„Es war wirklich eine fabelhafte Idee von dir.“, sagte er, als wir uns für eine gewisse Zeit von der Hitze des Wassers hatten verwöhnen lassen. „Und ich bin froh, dass du solche guten Beziehungen hast.“, lächelte er.

„Wohl eher Geld als Beziehungen.“, meinte ich vielsagend.

„Aber ich dachte, er ist ein guter Freund von dir?“, fragte ich leicht verwirrt nach.

„Das ist er auch, aber was glaubst du, wie viel Verluste er machen würde, wenn er uns zwei Tage kostenlos sein Onsen überlassen hätte? Außerdem, wie du siehst, mussten wir unter der Woche hier herkommen. Am Wochenende wäre der Ansturm viel zu groß gewesen.“ Ich war froh, dass ich deswegen den Plan mit Megumi nicht durchkreuzen musste. Ich schob den Gedanken beiseite.

„Wie viel kosten die zwei Tage denn dann?“, wollte ich von ihm wissen.

„Das ist doch jetzt egal.“, wich er meiner Frage nur aus und kam näher.

„Sag...“, forderte ich, doch er schlang nur seine Arme um meinen Körper und presste mich an sich.

„Ich liebe dich...“, flüsterte er und küsste mich.
 

Er ließ sich auf das Bett fallen. Seine Nase glänzte, wie auch der Rest seiner Haut, was ihn noch einen Tick unschuldiger wirken ließ. „Das ist ja ganz weich. Fühl mal.“, meinte er begeistert.

Ich kam zu ihm, befühlte allerdings nicht das weiche Bett, sondern strich über seine glänzende Wange. „Du hast recht, ganz weich...“, stimmte ich ihm zu. Er lächelte nachsichtig. Ich fuhr seinen Hals hinab. „Hier auch...“ Ich fuhr unter seinen Bademantel. „Und hier auch...“ Ich küsste seinen Hals. „Und hier...“ Ich drückte ihn nach hinten, zwang ihn sanft, sich niederzulegen. Meine Hände hatten längst seinen Bademantel geöffnet und liebkosten alles, was sie darunter fanden. „Und hier...“, murmelte ich zwischen unseren Küssen. „Nur...“ Ich hielt inne. „...hier nicht...“ Ich grinste ihn frech an; er schaute peinlich berührt zurück.

„Mensch, Ga-chan...“

„Das muss dir doch nicht peinlich sein.“, sagte ich zu ihm. „Das war doch mein Ziel.“ Ich grinste wieder keck. „Und ich finde es schön, dass ich es so schnell erreiche... Das ist ein gutes Zeichen...“

„Jetzt hör auf, solches Zeug zu reden, und mach weiter!“, empörte er sich. Ich lächelte nur und kam seiner Bitte willig nach.

世論 - Seron - Public Opinion

Ich seufzte leise. Nach ein paar Sekunden öffnete ich die Augen wieder und sah mich abermals um, konnte jedoch nichts Neues entdecken. Ich blickte aus dem Fenster. Die Wolkendecke sah himmlisch aus. Ich saß im Flugzeug auf dem Weg in die Vereinigten Staaten und Gackt saß neben mir.

Eine Decke hüllte mich ein, schützte mich vor der Kälte. Gackt war ebenfalls von einer Decke verhüllt, die meine überlagerte. Ich starrte auf die Decken. Es war, als verbanden sie uns miteinander.

Plötzlich bewegten sie sich und etwas berührte meine Hand. Es war Gackts. Ich blickte zu ihm auf. Er lächelte mich an. Und ich fühlte mich wohl. Zwar hätte ich mich am liebsten gegen ihn gelehnt, mich an ihn herangekuschelt und ihn geküsst, doch ich gab mich zufrieden damit, dass er meine Hand hielt. Ich hätte es nicht zugelassen, wenn die Decken nicht gewesen wären.
 

Ich öffnete die Tür, betrat den edlen Raum. Meine Koffer standen bereits neben dem Schrank. Ich drehte wieder um, um den Schlüssel aus dem Schloss zu ziehen und die Tür zu schließen. Ich steckte ihn in meine Hosentasche. Ich hatte das Gefühl, ich würde ihn noch brauchen.

Nach einem kurzen Blick in die Räumlichkeiten, trat ich ans Fenster, blickte hinaus auf die lebendigen Straßen Manhattans. ~Es würde nicht einfach sein.~

Es klopfte. Ich wandte mich automatisch der Tür zu. „Ja.“ Es passierte nichts. Niemand trat ein. Ich legte meinen Kopf leicht schräg und ging zur Tür, öffnete sie. Gackt stand vor ihr und lächelte mich an. „Diese Türen kann man ohne Schlüssel nicht von außen aufmachen, du Dussel.“, sagte er und wuschelte mir durch die Haare. „Wie gefällt dir dein Zimmer?“

Ich warf nun einen gründlicheren Blick als zuvor hinein und meinte: „Gut. Es ist schön. Geräumig.“

„Ich habe das Gefühl, es ist dir zu groß.“, äußerte sich Gackt. Vielleicht hatte er recht. „So ein Zimmer reicht doch locker für uns beide.“ Als ich in sein Gesicht sah, erblickte ich ein freches Grinsen. „Welches nehmen wir, deins oder meins?“

„Was?“, fragte ich nur nach, wollte nicht verstehen, was er meinte. Doch ich tat es.

„Na, du wirst doch nicht all die Monate alleine schlafen wollen, oder?“, lächelte er und kam näher.

„Aber wir können uns doch nicht einfach ein Zimmer teilen. Das wird auffallen.“, sagte ich, immer leiser werdend, je näher er kam. Letztendlich legte er seine Arme um mich, brachte mich damit ganz zum Schweigen.

„Glaubst du, jemand achtet darauf, in welchen Zimmern wir verschwinden? Außerdem könnten wir auch noch eine Weile reden wollen, bevor wir ins Bett gehen. Es wird schon niemand vor der Tür lauern, um zu sehen, ob ich wieder herauskomme.“

„Es ist trotzdem total auffällig. Was willst du sagen, wenn wir morgens beide aus dem gleichen Zimmer kommen?“

„’Guten Morgen’, vielleicht?“, meinte er schlicht. „Jetzt mach dir deswegen doch keine Gedanken. Jeder hier weiß, wie eng wir befreundet sind. Da wird niemand etwas anderes hineininterpretieren, wenn wir uns viel zusammen in einem Zimmer aufhalten.“

„Ich weiß nicht...“, zögerte ich meine Erwiderung hinaus. „Wir sollten es nicht übertreiben.“

„Wir übertreiben doch nichts, wenn wir im gleichen Zimmer schlafen.“, empörte er sich milde, bevor sein Gesicht einen traurigen Zug annahm. „Du hast mich drei Wochen alleine gelassen.“ Es war kein Vorwurf. Es war eine Bitte. „Lass mich jetzt nicht noch länger allein.“ Es war ein Flehen. „Wenn du nicht bei mir schläfst, bekomme ich Alpträume...“

„Schon gut. Du hast ja recht. Wir sollten es erst einmal ausprobieren. Und ich will ja auch nicht ohne dich schlafen. Ich mache mir eben nur Gedanken weg-“ Er legte seine Finger an meine Lippen.

„Du machst dir zu viele Gedanken, Hai-chan. Genieße es einfach. Wie den ‚Moon Child’-Dreh damals...“ Er sah mir tief in die Augen. Ich wusste, dass er in mich hineinsehen konnte und sah, dass ich mir nicht nur wegen der Sache des Zimmerteilens, sondern bereits wegen den bevorstehenden Wochen Sorgen machte.

„Ich versuche es...“ Irgendetwas sagte mir, dass ich es jedoch trotzdem nicht würde genießen können.
 

Er wälzte sich hin und her, stöhnte. Ich starrte gebannt auf die Gestalt im Halbdunkel. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich konnte sie nur anstarren. Es hatte den Anschein, als hätte er schreckliche Schmerzen im Schlaf. Es tat weh, das mitanzusehen. Es tat wirklich weh.

„Selifer.“ Ich wagte nicht mehr als ein Flüstern. „Selifer.“ Ich berührte ihn sanft an der Schulter und er schlug sofort die Augen auf. Sie bargen Tränen.

„Was ist los? Was ist passiert?“, wisperte ich, meinen Blick nicht von dem Schillern in seinen Augen abwenden könnend. Er fuhr sich einmal mit geschlossenen Augen durch die Haare, verwehrte mir den Anblick auf das Glitzern in ihnen.

„Ich... hatte nur einen Alptraum.“ Es war eine zögerliche Antwort.

„Was meinst du damit?“, fragte ich zurück, meine Stirn in leichte Falten gelegt. „Was ist ein Alptraum?“ Er war nicht überrascht, dass ich sagte, dass ich es nicht wusste. Im Gegenteil, er schien es gewusst zu haben, dass ich das fragen würde. Er hatte es ganz sicher gewusst.

„Ein Alptraum ist...“ Er brach ab. „Vielleicht ist es besser, wenn du es nicht weißt.“ Er schien hin und her gerissen zwischen seinen Möglichkeiten. Doch er wusste auch, dass ich mich mit dieser Antwort nicht begnügen würde. Nicht mehr.

„Aber ich will wissen, was es ist, das dich zum Weinen gebracht hat.“, sagte ich, unschuldig.

„Es ist dasselbe wie mit den Erinnerungen. Alpträume sind Erinnerungen. Oder Erfundenes.“

„Das begreife ich nicht.“ Meine Stimme klang aufrichtig.

„Du siehst Bilder im Schlaf.“, versuchte er es erneut zu erklären. „Entweder Bilder aus deiner Vergangenheit oder Bilder, die du dir selbst ausgedacht hast. Bilder, vor denen du Angst hast oder auch Bilder, von denen du dir wünschst, dass sie Realität werden.“

„Und was hast du gerade gesehen?“, fragte ich weiter.

„Bilder aus meiner Vergangenheit.“, antwortete er knapp. Als ich zu einer Frage ansetzte, sprach er weiter, wissend, dass er ansonsten gleich dazu aufgefordert worden wäre. „Ich habe gesehen... wie ich mich umgebracht habe.“

„Cut!“ Ich zuckte etwas zusammen. „Große Klasse! Das war echt spitze! Das müssen wir auf keinen Fall noch mal drehen - besser wird es nicht mehr!“ Ich lächelte dem Regisseur zu, hörte noch etwas wie: „Ihr lebt die Rolle!“, bevor er den Feierabend verkündete.

Ich blickte zu Gackt. „Wollen wir noch etwas trinken gehen?“ Sein Vorschlag kam mir entgegen. Ich nickte und folgte ihm zu den Umkleiden.

Es waren bereits zwei Wochen vergangen, seit wir in den USA waren. Und es waren zwei sehr anstrengende Wochen gewesen. Den Dreh zu ‚Moon Child’ hatte ich anders in Erinnerung. Ich glaubte jedoch nicht, dass es an den Dreharbeiten an sich lag, auch nicht an der fremden Umgebung. Es war die Tatsache, dass ich mich verstellen musste. Ich konnte nicht alles sagen, was ich sagen wollte, konnte nicht alles tun, was ich tun wollte. Ich arbeitete so viel und so nahe mit Gackt zusammen, und ich konnte mir nicht einmal eine Auszeit nehmen.

Auf dem Weg in die Innenstadt kamen wir an einem Park vorbei, woraufhin ich Gackt fragen wollte, ob wir diesen Weg nehmen wollten statt der Gehwege neben den dunklen Straßen.

„Sollen wir nicht durch den Park gehen?“ Schließlich war er es, der die Frage stellte.

Eine Weile liefen wir schweigend unter den schwarzen Bäumen hindurch, die nur hier und da dank einer Straßenlaterne ein bisschen Grün zeigten.

„Ga-chan?“, fragte ich in die Stille. Zur Antwort nahm er meine Hand. Mit einem Mal war mir die Frage in meinem Kopf peinlich.

„Ja?“ Das hatte ich kommen sehen. Ich überwand mich.

„Hast du... schon einmal über Selbstmord nachgedacht?“

Seine Schritte wurden langsamer.

„Warum fragst du so etwas?“, fragte er zurück. Meine Frage wurde mir immer unangenehmer.

„Ich weiß nicht... Es kam mir einfach in den Sinn... bei der letzten Szene.“

„Was sollte ich für einen Grund haben?“, fragte Gackt weiter, als versuchte er, unsere Rollen zu vertauschen. Es gelang ihm mühelos.

„Keine Ahnung. Es gibt bestimmt vieles, das ich nicht weiß.“, erwiderte ich.

„Egal, wie viel ich dir verschweigen würde, egal, wie schrecklich diese Dinge wären...“ Er blieb endgültig stehen, sah mich an. „Mein Leben wollte ich nicht wegwerfen. Nicht, solange du darin bist.“

Er blickte mir in die Augen. Ich sah nur zwei schwarze glänzende Kugeln. Sie wurden verdeckt und seine Lippen berührten mich. Er küsste mich sanft.

Ein Geräusch ließ mich zusammenschrecken. Ich sah mich um. „Was war das?“

„Keine Ahnung. Ein Tier wahrscheinlich.“, meinte Gackt nur und wollte mich wieder an sich ziehen. Ich hielt ihn zurück.

„Lass uns lieber weitergehen.“, sagte ich, auf eine Art ängstlich.

„Hai-chan... Glaubst du, wir werden verfolgt, oder wie?“, scherzte er.

„Wir sollten einfach nicht hier, in aller Öffentlichkeit...“, begann ich und wusste, dass das die falschen Worte waren.

„Haido...“ Es war bereits ein Vorwurf. „Hier ist niemand. Wo sollen wir denn dann das tun, was wir wollen, wenn nicht hier, wo keine Menschenseele ist?“

„In unseren Hotelzimmern sind wir auch allein.“, sagte ich schlicht, mich umschauend.

„Ja, du in deinem und ich in meinem.“, beklagte sich Gackt indirekt. „Das nützt uns viel.“

„Die ersten Tage waren wir beide in meinem Zimmer.“, gab ich zurück.

„Und was ist mit den Tagen danach?“, wollte Gackt wissen.

„Es ist einfach zu auffällig, wenn wir beide aus dem gleichen Zimmer kommen.“, verteidigte ich mich abermals mit denselben Worten.

„Und hier?“

„Hier kann uns jeder sehen, der vorbeikommt.“

Gackt seufzte. „Ich habe das Gefühl, du gehst mir aus dem Weg, Hai-chan.“

Ich schluckte.

„Ist es so?“ Er hielt seinen Kopf gesenkt. „Warum?“ Er blickte unsicher auf.

„Ich... Ich weiß auch nicht. Ich bin... Ich weiß es nicht.“ Er klang verwirrt.

„Worüber denkst du nach? Was beschäftigt dich?“ Er senkte seinen Blick wieder. Ich war überrascht, als er plötzlich zu sprechen ansetzte.

„Wie es mit uns weitergehen soll.“

Meine Augen weiteten sich. Ich glaubte nicht, dass er das gerade von sich gegeben hatte. Er war schon so seltsam gewesen, bevor wir überhaupt in den USA angekommen waren. Ich dachte, er wusste nur nicht recht, was auf ihn zukam, doch langsam machte es mir Angst, welche Ausmaße diese Eigenartigkeit seines Verhaltens annahm.

„Wie meinst du das? Wo liegt dein Problem?“ Ich wusste gar nicht, wie ich meine Fragen formulieren sollte. Und er wusste scheinbar die Antworten darauf nicht.

„Ich weiß auch nicht. Ich überlege einfach, wie unsere Zukunft aussieht.“

„Warum lässt du sie nicht einfach auf dich zukommen?“, fragte ich, ohne Verständnis für seine Weitsicht.

„Ich weiß es nicht. Ich kann nicht.“, antwortete er. „Ich kann nicht so wenig darüber nachdenken, wie du das kannst.“

„Ich mache mir auch meine Gedanken. Aber nicht den ganzen Tag lang, verstehst du? Ich versuche nämlich, unsere gemeinsame Zeit zu genießen. Aus irgendeinem Grund scheinst du das gar nicht zu können.“

Er wusste es. Er wusste alles. Nur nicht den Grund. Wusste ich ihn denn?

„Ist es immer noch Megumi?“

„Nein, das glaube ich nicht.“

„Was ist es dann?“

„Ich...“ Ich musste ihm die Gründe nennen, die ich kannte. „Wenn es jemand herausfindet... Wenn es an die Öffentlichkeit gelangt...“ Sein Blick wurde ungläubig.

„Das ist dein einziges Problem? Du hast Angst, dass es herauskommt?“

Ich nickte. „Und wir werden es nie offen zeigen können.“ Er wollte etwas einwerfen. „Ich kann es nicht.“, korrigierte ich mich. „Und trotzdem besteht immer die Gefahr, dass solche Gerüchte aufkommen. Und irgendwann werden wir durch irgendeine Kleinigkeit bestätigen, dass die Gerüchte wahr sind. Es ist nur eine Frage der Zeit. Und davor habe ich Angst.“

違った見解 - Chigatta kenkai - Different Opinions

„Selifer?“ Meine Stimme war sehr leise. „Was sind es für Bilder, die du im Schlaf sehen kannst, von denen du dir wünschst, dass sie Realität werden?“

„Du bist immer noch so neugierig wie damals.“, sagte er mit einem verträumt wirkenden Lächeln.

„Was meinst du mit ‚damals’?“, fragte ich ihn stirnrunzelnd. Und dann kam der krasse Moment der Erkennung. „Kannten wir uns etwa... schon in unserem früheren Leben?“ Er blickte mich lange stumm an. Sein Lächeln war längst verblasst. Dann nickte er resignierend. „Das ist jetzt nicht dein Ernst!? Warum hast du das die ganze Zeit für dich behalten?!“ Meine Stimme zeigte Wut.

„Du bist nicht dazu bestimmt, es zu wissen.“, erwiderte er. „Es würde dich nur quälen. Du bist eines gewöhnlichen Todes gestorben. Diese Last ist nur für diejenigen bestimmt, die sich... selbst das Leben genommen haben.“ Es herrschte Totenstille. „Es ist unsere Strafe.“

„Aber-“ Fassungslosigkeit. „Aber ich will es wissen! Ich will wissen, wie mein Leben als Mensch war! Ich will alles wissen! Ich habe ein Recht dazu! Es ist mein Leben!“

„Ich darf und kann es dir nicht erzählen.“, sagte Gackt ruhig, mit einem Hauch Verzweiflung in der Stimme. Man merkte, dass da etwas sein musste, worüber er nicht sprechen wollte.

„Wer sagt, dass du es nicht darfst?“ Meine Vernunft schien dem Zorn gewichen zu sein.

„Gott.“, war seine schlichte Antwort.

„Spricht Gott in deinen Alpträumen zu dir, oder woher weißt du das?“ Mein Verstand ebenfalls.

„Adriel. Beruhige dich. Du weißt ja gar nicht, was du sagst.“

„Warst du ein Freund von mir?“, fragte ich, obgleich ich die Antwort wusste. Ich zeigte es nicht.

„Ja.“ Er würde von selbst keine weiteren Auskünfte geben.

„Standen wir uns nahe?“, wollte ich wissen. Er nickte nur. „Wie nahe?“ Sein Schweigen sagte viel. Doch nicht alles. Ich wollte es hören. „Wie nahe?“

„So nahe... wie man sich nur stehen kann.“ Er blickte in mein Gesicht, als wollte er sehen, wie ich auf diese Antwort reagierte. Mein Mund stand einen Spalt breit offen. Ich schwieg lange.

„Was ist passiert?“, hauchte ich dann, versuchte mir wieder einmal vorzustellen, wie es wohl war, seine Vergangenheit nicht zu kennen.

„Du... hattest einen Unfall... Du wurdest angefahren...“ Gackt schluckte sichtbar. „Du bist... in meinen Armen verblutet...“ Mein Mund öffnete sich weiter, konnte das Entsetzen, dass man fühlen musste, wenn man so etwas erfährt, nicht ausdrücken. Schweigen.

„Also war ich der Grund, weshalb du... dir das Leben genommen hast?“ Ich bekam tatsächlich eine Gänsehaut bei diesen Worten. Gackt nickte nur schwach. Eine nasse Spur leuchtete auf.

„Cut! Hey, Leute, ich bin mit euch beiden echt wahnsinnig zufrieden. Glaubt mir, ich sage so etwas sehr, sehr, sehr selten.“ Er wandte sich an Gackt. „Die Tränen waren eigentlich gar nicht geplant gewesen, aber es hat unwahrscheinlich gut gepasst!“ Er wandte sich an mich. „Es war richtig klasse, wie unglaublich lange du geschwiegen hast! Das war sehr überzeugend! Solche Neuigkeiten muss man schließlich erst einmal verarbeiten! Wenn man mir plötzlich sagen würde, dass ich einmal schwul war... da wäre ich auch entsetzt.“ Mein Lächeln verblasste nahezu unmerklich. Ich spürte Gackts Blick auf mir.
 

Langsam ging ich auf Hyde zu. Er stand auf dem Balkon, den Blick in die Ferne gerichtet, ganz in seine Gedanken vertieft. Ich wusste, dass er an die Worte des Regisseurs dachte. Ich sah es an seinen Augen. Er schien mich erst zu bemerken, als ich neben ihm zum Stehen kam. Er blickte kurz zu mir, dann wieder dem Horizont entgegen, schweigend.

„Beschäftigt es dich, was er gesagt hat?“, fragte ich in die Stille hinein.

„Was meinst du?“ Er spielte den Unwissenden.

„Du weißt, was ich meine.“, sagte ich nur und er seufzte.

„Ja...“, antwortete er dann auf meine Frage. „Ja, es beschäftigt mich. Warum musste er das sagen?“ Er blickte mich etwas verzweifelt an. Er wollte eine Antwort darauf.

„Es war nur ein Scherz, Hai-chan... Mehr nicht.“, beruhigte ich ihn. Er ließ es zu.

„Vielleicht hast du recht...“ Er wandte seinen Blick wieder dem Mond zu. Es vergingen einige Sekunden, bis er wieder sprach. „Die letzte Szene heute...“, begann er langsam. „...hat mich echt berührt...“ Ich nahm seine Hand in meine.

„Mich auch...“, flüsterte ich und küsste sie. „Ich glaube, das liegt daran, dass vieles davon wahr ist.“ Er blickte mich fragend an. „Ich würde wirklich für dich sterben...“
 

Wie konnte er so etwas sagen? Wie konnte er mir das antun? Es war wie eine Form von Erpressung.

Es war, als wollte er ausschließen, dass ich in Erwägung zog, mich von ihm zu trennen. Wollte ich das denn? Ich war verwirrt.

Ich liebte ihn. Doch ich hatte auch noch immer Gefühle für Megumi. Welcher Art wusste ich noch nicht. Und ich hatte Angst. Angst vor der Öffentlichkeit. Angst vor der Meinung anderer. Auch vor der meiner Freunde.

Tetsu hatte zwar positiv reagiert, doch was, wenn er der Einzige sein würde?
 

Ich verstand Hyde nicht mehr. Sagte er mir wirklich die Wahrheit? War nicht doch Megumi der überwiegendere Grund für sein Verhalten? Konnte es wirklich nur unsere ungewisse Zukunft sein? Und seine Angst, dass zu viel an die Öffentlichkeit dringen könnte? Warum ließ ihn dieser Gedanke nicht los? Was interessierten ihn Gerüchte, die noch nicht einmal in Umlauf waren?

„Wie es mit uns weitergehen soll...“ Dieser Satz hallte in meiner Erinnerung endlos nach. Es klang, als gäbe es keine Hoffnung mehr. Es klang, grausamer noch, als suchte er einen Ausweg.

Wollte er fliehen? Vor was? Vor der Verantwortung seines Handelns? Vor der Herausforderung dieser Situation? Vor der Öffentlichkeit? Oder vor mir?

Sprach er deshalb nicht mit mir darüber? Hatte er es nur Tetsu erzählt? War er allein deswegen bei ihm? Ich wollte Antworten.

„Haido-san, würden Sie bitte ein Stück weiter nach rechts gehen. Das Licht ist an der Stelle besser.“, meinte der Fotograf. „Genau da. So bleiben.“ Es blitzte. „Oh!“ Der Fotograf schaute in den Himmel. „Es sieht nach einem Gewitter aus... Ich fürchte wir müssen Morgen weitermachen.“, sagte er entschuldigend. „Außer natürlich, Sie wollen ein paar Fotos im Regen. Das wäre auch einmal etwas!“

Hyde öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, doch noch wusste er keine Antwort. „Vielleicht, wenn wir erst zum Hotel zurückgehen, damit Sie danach gleich im Warmen sind. Es würde auch nicht allzu lange dauern. Wir wollen ja nicht, dass Sie sich erkälten.“ Der Fotograf zögerte aufgrund Hydes Zögern. „Aber Sie müssen nicht, wenn Sie nicht wollen, es war nur ein Vorschlag!“, setzte er hastig nach, um Missverständnisse vorzubeugen.

„Nein, nein, schon in Ordnung. Ich finde es... eine gute Idee. Fahren wir zum Hotel und schauen mal, ob wir einen geeigneten Platz finden. Schließlich muss die Kamera im Trockenen sein, oder?“

„Ja, genau!“, erwiderte der Fotograf begeistert und voller Vorfreude. Er schien nicht mehr damit gerechnet zu haben, dass Hyde seinen Vorschlag noch annehmen würde, und war daher überglücklich.

Wir stiegen gerade in den Wagen, als die ersten Regentropfen fielen. In wenigen Minuten waren wir bei unserem Hotel angelangt. Als Erstes sah ich den Fotografen aus dem Wagen springen und sofort nach einem geeigneten Ort suchen. Hyde, mit einer Regenjacke ausgestattet, folgte ihm gemächlich. Ich tat es ihm gleich.

„Gakuto-san, wollen Sie nicht hineingehen? Sie werden sich erkälten.“, sagte jemand.

„Ich komme gleich. Ich will nur noch eine Zigarette rauchen.“, entgegnete ich, obgleich ich, bevor wir losgefahren waren, schon eine geraucht hatte, während das Team mit Zusammenräumen beschäftigt gewesen war, und ging um die Ecke, hinter der auch Hyde und der Fotograf verschwunden waren. Ich rauchte wirklich eine Zigarette, doch hauptsächlich wollte ich bei dem Rest des Photoshootings zusehen und danach Hyde abfangen, um mit ihm zu reden.

„Sie können sich zuerst unter dieses Dach stellen, damit Sie noch nicht nass werden, aber ich Sie trotzdem so fotografieren kann, als sähe es so aus, Sie ständen im Regen.“, hörte ich den Fotografen sagen. Es klickte und klickte und klickte immer wieder. Ich hätte gerne gewusst, wie viele Bilder er bereits von Hyde geschossen hatte. Ich glaubte nämlich, er war insgeheim ein großer Fan von ihm. Mich hatte er bestimmt nicht so oft fotografiert.

„Nun können Sie in den Regen treten.“ Hyde tat wie ihm geheißen. „Genau! Schauen Sie noch mal gen Himmel, genau so! Perfekt!“ Ein Mensch, der seinen Beruf liebt. Vielleicht auch nur gerade jetzt, weil er die Ehre hat, sein Lieblingsmotiv zu fotografieren.

„Nicht wegwischen! Einen Moment!“, warf er eindringlich ein. „Grandios!“

Ich hustete, hatte zu lange den Rauch eingeatmet, ohne ihn wieder auszuatmen. Das lenkte Hydes Aufmerksamkeit auf mich. „Was machst du hier?“ Die Kamera klickte fast ununterbrochen.

„Ich schaue euch zu.“ Er lächelte. Seine Hand machte eine herbeiwinkende Geste.

„Komm.“, forderte er mich auf. „Dann können wir auch gleich ‚Gruppenfotos’ im Regen machen.“

Ich schnaubte, schnippte jedoch meine Zigarette fort und kam auf ihn zu. Am liebsten hätte ich ihn geküsst. Ich vermied es, mich zu nahe zu ihm zu stellen. Ich wollte es nicht ausreizen.

„Ich denke, das reicht.“, wollte ich die Sache nach einer Weile beenden. „Du erkältest dich sonst.“

„Du nicht?“, fragte Hyde neckend zurück.

„Nicht so leicht wie du.“, konterte ich.

„Haido-san.“, sprach der Fotograf ihn abermals an, verbeugte sich. „Vielen herzlichen Dank.“

„Gern geschehen.“, gab Hyde verlegen zurück und verneigte sich ebenfalls flüchtig.

Unter Verbeugungen entfernte sich der Fotograf und verschwand, höchstwahrscheinlich, um sich sogleich die Bilder anzusehen, die er in den letzten Stunden gemacht hatte.

Wir schwiegen. Keiner dachte mehr daran, sich irgendwo unterzustellen. Der Regen war nebensächlich geworden.

„Wir sollten reingehen, die anderen warten bestimmt mit dem Essen auf uns.“, war das erste, das Hyde laut aussprach. Alle anderen Gedanken behielt er für sich.

„Hör auf, mir aus dem Weg zu gehen.“, bat ich ihn direkt.

„Das tue ich doch gar nicht.“, stritt er zögernd ab.

„Das ist schwer zu glauben. Vor allem, nachdem du es desletzt nicht verneint, sondern nur beschämt zu Boden geschaut hast.“ Ich fühlte mich gekränkt. Warum versuchte er noch immer, mich anzulügen, obgleich er genau wusste, dass er das nicht konnte?

„Na gut, vielleicht ein bisschen. Ich will einfach nur nicht in eine Situation kommen, die... zu Gerüchten über uns führt.“ Er blickte in mein Gesicht, suchte vergeblich nach Verständnis.

„Hier in unserem Team werden wohl kaum Gerüchte aufkommen. Höchstens vermutet man, wir haben uns gestritten, so wenig, wie wir zusammen unternehmen.“

Wieder senkte er den Kopf. „Da hast du auch wieder Recht...“, gab er zu. „Ich werde versuchen...“ Er blickte auf. „...wieder ‚normal’ zu sein.“ Er lächelte entschuldigend.

„Dann lass mich heute Nacht bei dir schlafen.“, schlug ich zur Versöhnung vor. Er zögerte.

„Na gut.“, nahm er den Vorschlag an. „Aber jetzt lass uns was essen gehen, ich sterbe vor Hunger.“

„Okay.“, meinte ich fröhlich. Der Tag war gerettet. Die Nacht noch viel mehr.

雲上に - Unjou ni - Above the Clouds

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

自由でない - Jiyuu de nai - Unliberated

Wir traten auf den roten Teppich. Es blitzte, überall. Wir lächelten, nickten und winkten, ab und zu. Der ausgerollte Teppich führte uns an hunderten von Fotografen vorbei in den Vorstellungssaal. Wir setzten uns, seufzten. Es würde noch eine Weile dauern, bis der Film beginnen würde.

„Freust du dich auf das Ergebnis?“, fragte Gackt neben mir.

„Ja.“, antwortete ich ehrlich. Unser zweites Kind war geboren. Selbstverständlich war ich glücklich - und vor allem stolz. Und genau deshalb würde ich es der ganzen Welt präsentieren. Wie ein überstolzer Vater sein Neugeborenes.

Mein Lächeln verschwand, als ich an Joseph denken musste. Ihn hatte ich immer versteckt. Wo war da der Vaterstolz? War ich denn nicht stolz darauf, was ich geschaffen hatte? Wollte ich nicht, dass die ganze Welt sah, was für ein wundervoller Sohn mir geboren wurde? Bereute ich es?

~Nein. Ich darf keinen solchen Vergleich ziehen.~ Ich hatte Joseph nur beschützen wollen. Ich hatte ihn nicht verheimlicht, oder mich gar seinetwegen geschämt, ich wollte ihn nur schützen vor den gierigen Blicken, den Fragen, den Verfolgungen. Er sollte das Recht haben zu leben, wie jeder andere kleine Junge auch. Es war die beste Entscheidung, die ich für ihn hatte treffen können.

„Hai-chan?“ Ich blickte fragend zu Gackt auf. „Wo bist du schon wieder mit deinen Gedanken?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nichts Wichtiges.“ Ich wollte von mir ablenken. „Freust du dich denn?“

„Ja, sehr sogar.“, antwortete er. „Ich finde es aufregend. Vor allem, weil wir es so selbst noch nicht gesehen haben, als Ganzes. Und ich bin gespannt auf die Reaktionen der Zuschauer.“

„Ja, ich auch.“, teilte ich seine Meinung. Wir würden diese zwei Stunden genießen. Zusammen.
 

Der Applaus ertönte. Wir klatschten mit. Ich schaute lächelnd zu Hyde, er lächelte ebenso zurück. Nachdem der Beifall verklungen war, begann die Moderatorin, die unterdessen auf die Bühne getreten war, ins Mikrofon zu sprechen: „Wir bitten nun die Hauptdarsteller des Filmes auf die Bühne: Haido-san und Gakuto-san!“ Erneuter Applaus erhob sich, wie wir uns von unseren Sitzen. Er begleitete uns bis auf die Bühne, trug uns förmlich hinauf. Hyde überließ das Reden - wie meistens - mir, sagte nur etwas, wenn er direkt dazu aufgefordert wurde. Es war ihm - wie immer - unangenehm, vor so vielen Menschen zu stehen, ohne zu singen. Ich hielt eine kleine Dankesrede, bat noch ein paar wichtige Leute unseres Filmteams zu uns auf die Bühne und zum Schluss verbeugten wir uns vor unserem Publikum. Der darauffolgende Beifall richtete uns wieder auf, geleitete uns die Treppe hinunter und hinaus aus dem Saal. Zurück in der Limousine, die uns hergebracht hatte, lehnte ich mich zufrieden zurück. Hyde dagegen schaute mich an, als wollte er etwas sagen. „Was?“

„Ich... Man hat schon wieder meinen Namen beim Abspann an die oberste Stelle gesetzt.“

Ich lachte leise. „Na und?“, fragte ich amüsiert. „Das ist doch toll.“

„Nein, ist es nicht. Du solltest ganz oben stehen. Wer macht immer diesen Abspann?“

„Ach, Hai-chan...“, seufzte ich nur und nahm seine Hand.

„Hast etwa du die Reihenfolge festgelegt?“, kam es Hyde in den Sinn.

Ich legte meinen Kopf schief. „Also... Wenn ich mich recht entsinne... Ja.“

Entrüstet öffnete er den Mund, brachte jedoch kein Wort heraus. „Ich dachte, das wäre dir klar, nachdem wir es bereits wegen ‚Moon Child’ davon hatten.“, ließ ich ihn wissen.

„Du hast nie gesagt, dass du dafür verantwortlich bist. Ich dachte, du findest es einfach nur in Ordnung so, wie es ist...“, gab er kleinlaut zu. Ich lächelte. Unschuld ist etwas Wunderschönes.

„Es ist mehr als in Ordnung so...“, sagte ich ruhig und wollte ihn küssen. Ich tat es.

„Ga-chan... Nicht hier...“, wehrte er sich leise, schaute ängstlich zum Fahrer, der durch eine kleine Glasscheibe von uns getrennt war. Dieser konzentrierte sich jedoch auf das Fahren und schenkte uns keinerlei Beachtung.

„Bleibst du dann mindestens über Nacht bei mir?“, war meine Gegenbitte.

Er zögerte. Lange. „Besser nicht.“, antwortete er schließlich. „Morgen vielleicht.“

„Na gut. Rufst du mich dann an?“ Er nickte. Ich hoffte, er würde es wirklich tun.
 

„Gakuto-san und Haido-san!“ Das Publikum begrüßte uns überschwenglich mit einem lauten Beifallssturm. Es war wie immer ein etwas seltsames Gefühl; ich würde mich wohl nie ganz daran gewöhnen. Wir waren wieder einmal zu einer Show eingeladen worden. Seit der Premiere von ‚Angel’s Tale’ hatten Gackt und ich viele solcher Termine und eine Menge Interviews noch dazu.

Gackt genoss dies in vollen Zügen; das war nicht zu übersehen. Ich wusste nicht, woran genau das lag. War es die Tatsache, dass er so mehr Zeit mit mir verbringen konnte, oder war es die Medienpräsenz, die er brauchte? Vermutlich war es beides.

„Der Film zeigt deutlich eins meiner Laster: Ungeduld.“, legte Gackt gerade dar. Er war mehr als offensichtlich in seinem Element. „Hätte Selifer gewartet, bis er seinen Wunsch aussprechen durfte, hätte er sich problemlos seinen Wunsch erfüllen können, solange Adriel sich nichts Widersprüchliches gewunschen hätte. Und das hätte er nicht, oder?“, fragte er lächelnd an mich gewandt und ich war im ersten Moment perplex, weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass er - und nicht der Interviewer - mir eine Frage stellen würde.

„Nein, natürlich nicht.“, antwortete ich, dementsprechend verwirrt klingend. Er lächelte mich an.

„Das ist eine interessante Frage.“, begann der Interviewer. „Was hätte sich Adriel denn gewünscht, wenn Selifer nichts von seinem Wunsch verraten hätte?“ Er sah Gackt und mich abwechselnd an; Gackt schaute erwartungsvoll zu mir.

„Ich?“, fragte ich unsicher nach. Warum wollte Gackt unbedingt, dass ich die Fragen beantwortete? „Ich denke...“ Ich warf Gackt einen flüchtigen Blick zu. „...er hätte sich dennoch dasselbe gewünscht.“

„Das war eine schöne Antwort.“, kommentierte Gackt meine Aussage und küsste mich.

„Nicht hier, Ga-chan...!“, drängte ich und ihn zurück. Wir waren in unserem Aufenthaltsraum, in den jeden Moment unsere Staffleute kommen konnten, um bekanntzugeben, dass der Wagen da war, der uns nach Hause fahren würde.

„Du hast ja Recht...“, gab er zu, dann, nachdenklicher, fügte er an: „Was glaubst du, wie die Reaktionen wären, wenn es herauskäme?“

„Sehr unterschiedlich wahrscheinlich.“, gab ich ihm zur Antwort.

„Glaubst du nicht, es wäre einfach großartig?“, meinte er begeistert. „So etwas hat die Welt doch noch nicht gesehen! Zwei Menschen wie du und ich - glücklich vereint! Willst du das all unseren Fans wirklich vorenthalten?“

„Ga-chan! Jetzt mach aber mal einen Punkt! Ich weiß, dass du kein Problem damit hast, auf jedem einzelnen Titelblatt jeder einzelnen Zeitschrift zu stehen - aber ich schon! Ich will das nicht, verstehst du das denn nicht?“ Wann würde er es endlich einsehen?

„Ja, aber... Verstehst du mich denn nicht?“, fragte er zurück. „Ich will, dass wir uns nicht verstecken müssen.“

„Aber wir sind Stars, Ga-chan! Wir müssen uns sowieso verstecken! Egal, was wir tun werden, wir werden uns verstecken müssen. Wir sind schon lange nicht mehr frei...“

„Es ist aber eine ganz andere Art von Verstecken, wenn man nur unerkannt bleiben will, um nicht von den Medien verfolgt oder von Fans belagert zu werden, als wenn man versucht, geheimzuhalten, wen man trifft, wen man liebt...“ In dem Punkt musste ich ihm Recht geben.

„Ich will nicht wieder den gleichen Fehler machen, Hai-chan...“ Ich blickte ihn fragend an. „Aber am liebsten würde ich dich vor die Entscheidung stellen: ganz oder gar nicht...“

„Das ist jetzt nicht dein Ernst!“ Ich sah ihn, eine Verneinung fordernd, an. Er nickte.

„Doch, Hai-chan...“

„Langsam habe ich das Gefühl, dass die Medien der einzige Grund für dich sind, warum wir zusammen sind!“, warf ich ihm vor. Ich wusste, es war nicht sehr nett von mir, so etwas zu äußern. Doch warum konnte er dieses Thema nicht lassen? Warum schien es ihm so wichtig? Warum wollte er meine Meinung nicht akzeptieren? Warum blieb er hierbei so hartnäckig? Warum?

„Gott, nein! Das denkst du nicht wirklich, Hai-chan, oder doch?“ Er sah mich ungläubig an.

„Ich bin mir da nicht mehr so sicher, Ga-chan...“ Ich blickte ratlos gen Boden. „Es war von Anfang an in deinem Kopf. Das hast du selbst gesagt.“

„Ja, das schon, aber es war doch nicht der Grund... Es ist nicht der Grund...“, betonte er ein zweites Mal. „Hai-chan... Das kannst du doch nicht wirklich von mir denken...“, flehte er beinahe.

„Dann lass uns die Sache mit der Öffentlichkeit abhaken.“ Es war, als stellte ich eine Bedingung.

Gackt zögerte, seufzte. „Na gut, Hai-chan...“, stimmte er widerwillig zu. „Wie du willst.“ Daraufhin herrschte eine Weile betretenes Schweigen. Dann lächelte Gackt traurig. „Hauptsache, du bleibst bei mir...“

Ich hatte ein schlechtes Gewissen wegen meinem Vorwurf. Der Gedanke war einfach in meinem Kopf aufgetaucht. Nie hatte ich auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht. Hätte ich es, dann hätte ich ihn nicht laut ausgesprochen, sondern sofort wieder verworfen.

„Natürlich tue ich das...“, erwiderte ich ihm und nahm ihn in den Arm. „Entschuldige, Ga-chan...“

Ein Klopfen an der Tür. Ich ließ ihn schlagartig los. Sein Blick war nicht zu deuten. „Ja!“

„Der Wagen ist da.“ Ich wollte aus diesem Raum.
 

„Hast du schon die neuste Ausgabe von ‚Josei Seven’ gesehen?“, war Gackts erste Frage, nachdem ich seine Wohnung betreten hatte.

„Nein, warum?“, fragte ich irritiert zurück. ‚Josei Seven’ ist eine Frauenzeitschrift - und ein Klatschblatt.

„Ich... Es wird dir nicht gefallen...“, meinte er nur und hielt mir die Zeitschrift hin. Ich nahm sie entgegen und betrachtete das Titelblatt. „Weltstar Hyde und Megumi Oishi gehen getrennte Wege“, lautete die Schlagzeile. Meine Augen weiteten sich. „Still und heimlich sollen sich die beiden getrennt haben, doch sie versuchen noch immer den Anschein zu wahren, dass alles in bester Ordnung ist. Vielleicht tun sie es auch ihrem gemeinsamen Sohn zuliebe. Der allerdings dürfte bereits gemerkt haben, dass nicht mehr alles so ist, wie es mal war. Hyde soll kaum noch zu Hause sein. Er soll die Nächte an anderen Orten als in der eigenen Villa verbringen. Und Megumi, die in letzter Zeit ihren sonst so stolz getragenen Ehering nicht mehr am Finger hat, wurde mit ... gesichtet. Gerüchten zufolge gehen sie zur Zeit auffällig häufig miteinander essen und verbringen viel Zeit miteinander, wie diese Bilder belegen...“ Ich schüttelte den Kopf. „Das kann nicht wahr sein...“, hauchte ich.

„Immerhin haben sie nur davon geschrieben, bei wem sie sich aufhält, und nicht wohin du gehst.“, wollte Gackt mich beruhigen.

„Das werden sie aber wohl als Nächstes tun.“, entgegnete ich. „Und sie werden es leicht herausfinden.“ Ich blickte zu Gackt auf. „Was sollen wir tun?“

„Wir werden gar nichts tun. Wir sind offiziell immer noch befreundet, eng befreundet. Wir dürfen uns so oft sehen, wie wir wollen.“

„Och, Ga-chan! Es geht hier nicht um unsere Rechte, sondern um den Stoff, den wir anderen damit liefern, indem wir die halbe Woche miteinander verbringen!“ Er schwieg einen Moment. Es war selten, dass er das tun musste, hatte er doch eigentlich immer eine schlagfertige Antwort.

„Verstehst du nicht? Als Nächstes wird es Gerüchte über uns geben.“

„Jetzt können wir eh nichts mehr ändern.“

Ich ließ meinen Kopf nach vorne fallen, seufzte. Meine Ängste hatten sich als berechtigt herausgestellt. Ich hatte all das geahnt. Doch es sollte nichts passieren, monatelang nicht.
 

„Hast du in den Nachrichten gesehen, wie erfolgreich unser Film ist?“, fragte mich Gackt.

„Nein, wieso? Was haben sie dazu gesagt?“, fragte ich zurück.

„Sie haben gesagt, wie viele Millionen Menschen wegen unserem Film ins Kino gegangen sind und wie viel Geld er eingespielt hat. Es ist unglaublich. Und die Hälfte davon gehört dir.“

„In meinem Vertrag steht da aber etwas anderes.“, tat ich seine Aussage als falsch ab.

„Was sind schon Verträge?“, tat er meine Sicherheit als Unkenntnis ab.

„Du meinst das jetzt nicht ernst, oder?“, fragte ich besser noch einmal nach.

„Doch, natürlich.“, meinte er schlicht. „Ohne dich hätte es diesen Film doch niemals gegeben.“

„Ohne dich auch nicht.“, gab ich zurück.

„Genau. Und deswegen steht die eine Hälfte mir und die andere dir zu.“

„Nein, Ga-chan! Ich bin nur einer der Schauspieler. Du bist der Drehbuchautor, der Hauptdarsteller, der Produzent und zum Teil auch Regisseur von diesem Film. Bis auf ein gewöhnliches Gehalt für alle Mitwirkenden steht alles, aber auch wirklich alles, dir zu.“

„Gerade weil ich das alles bin, was du gerade aufgezählt hast, darf ich entscheiden, wie groß deine Anteile sind. Und ich sage, deiner ist so groß wie meiner.“

„Nein.“, sagte ich einfach kopfschüttelnd. „Ich bekomme das, was in meinem Vertrag steht, und selbst das ist schon zu viel, das habe ich dir schon einmal gesagt.“

„Ich habe nur nicht das hingeschrieben, was du letztendlich bekommst, weil ich wusste, dass du den Vertrag dann nicht unterschreiben würdest. Deswegen habe ich weniger hingeschrieben, was nicht heißt, dass du nicht mehr bekommst.“

„Nein, Ga-chan. Ich meine es ernst. Das will ich nicht.“, sagte ich ihm klar und deutlich.

Er seufzte. „Na gut. Aber ich darf dir dafür etwas schenken.“, legte er fest.

Nun war es an mir zu seufzen. „Mach doch, was du willst.“, gab ich auf.

„Apropos Geschenk: Du musst noch deinen Gutschein einlösen. Du hattest jetzt fast ein ganzes Jahr Zeit. Weißt du mittlerweile wofür?“

Er überlegte einen Moment, dann sagte er: „Ich würde gerne... zusammen mit dir ‚The Wasted Time of our Lives’ und auch... Das klingt jetzt bestimmt dämlich, aber... Ich würde es gerne noch nachholen, ‚Orange no Taiyou’ mit dir live zu singen.“

Ich war überrascht, aber unsagbar glücklich. Dass ihm noch immer so viel daran lag, dies nachzuholen, war wirklich wundervoll. Es zeigte mir, dass er es damals doch eigentlich gewollt hatte, er es nur nicht konnte, aus welchen Gründen auch immer. Und es bedeutete auch, dass es dieses Mal anders sein würde als bei ‚Moon Child’. Dieses Mal würde kein Ersatz für ihn nötig sein. Es würde unser Song bleiben.

Dieses Mal würde ich mein Kind nicht so einfach fortgeben. Nicht, ohne es zu verabschieden.

„Das ist ein schöner Wunsch...“ Gackt lächelte sanft. „Und ich werde ihn dir gerne erfüllen.“ Seine warme Hand legte sich an meine Wange. „So oft du willst.“ Sein Mund legte sich auf meine Lippen.

予感 - Yokan - Premonition

Ich war aufgeregt. Vielleicht lag es daran, dass es etwas Besonderes für mich war, unser Kind zu verabschieden. Vielleicht war es auch die Tatsache, zum ersten Mal mit Gackt zusammen auf der Bühne zu stehen und zu singen. Vielleicht war es auch eine ungute Vorahnung.

„Warum bist du denn so nervös?“, fragte Gackt, am noch geschlossenen Eingang zur Showhalle. Wir konnten jeden Moment hineingebeten werden. „Weil es das erste Mal ist, dass wir „The Wasted Time of our Lives“ live performen?“ Ich nickte. Es war der einfachste Weg.

Als der Moderator uns zu ihm auf die Couch bat, wurde dieses ungute Gefühl stärker. Ich mochte diesen Mann nicht und sein Lächeln verhieß nichts Gutes.

Doch das Interview verlief wie jedes andere auch. Es wurden ein paar oberflächliche Fragen gestellt, Gackt und ich beantworteten sie auf mehr oder minder gekonnte Weise, womit wir das Publikum zum Staunen oder Lachen brachten.

„Gakuto-san, könnten Sie sich vorstellen noch einen dritten Film zu machen?“, fragte der Moderator bereits amüsiert.

„Ich habe ihn schon fast fertig.“, meinte Gackt ernst, konnte sich aber nur zwei Sekunden zurückhalten, bevor er selbst zu lachen begann, das Publikum mit ihm.

„Es gibt das Gerücht, ihr beide ständet euch tatsächlich näher als bisher angenommen. Fast so nahe wie im Film. Ist da etwas Wahres dran? Verbindet euch mehr als nur Freundschaft?“

„Ja.“, war Gackts klare Antwort, die mich zu Stein erstarren ließ. ~Nein... Tu es nicht...! ~

„Uns verbindet die Liebe zur Musik. Und natürlich meine beiden Filme.“ Ich atmete sichtlich auf.

„Haido-san, Sie wirken erleichtert. Dachten Sie, Gakuto-san würde uns zu viel über Ihr Privatleben anvertrauen?“ Ich schüttelte stumm den Kopf. Zu mehr war ich nicht imstande.

„Gibt es denn da etwas, das wir wissen sollten?“ Ich wiederholte mich. „Aber ihr seid mittlerweile schon enger verbunden als früher. Hat sich irgendetwas zwischen euch geändert?“

„Ja.“ Es war wiederum Gackt, der antwortete. „Wir kennen uns jetzt besser. Sogar so gut, dass wir nicht viele Worte brauchen, um einander zu verstehen. Und um Haido-chan in diesem Augenblick zu verstehen, braucht es überhaupt keine Worte. Ich weiß auch so, dass er jetzt am liebsten einfach singen und dann wieder nach Hause gehen würde.“

„Dann wollen wir euch nicht länger davon abhalten. Bitte geht zur Bühne.“ Ich war Gackt unendlich dankbar. Ich folgte ihm auf die noch dunkle Bühne. Der Moderator sprach noch ein paar Worte, doch ich hörte ihn nicht. Gackt hatte mir eine Hand auf die Schulter gelegt und flüsterte mir etwas ins Ohr. „Denk jetzt nicht zu viel. Denk einfach an mich, schließ die Augen und singe.“

Ich nickte, nicht wissend, ob er das überhaupt sehen konnte in dieser Dunkelheit, die im nächsten Moment verblasste. Die Scheinwerfer gingen an, stellten uns ins Rampenlicht. Mein Herz schlug schnell, doch ich versuchte mich zu beruhigen und Gackts Rat zu befolgen. Ich ließ mich von der Melodie forttragen, hinaus aus dem Studio, aus der Stadt, zurück nach Manhatten. Und ich sang.
 

For a long time I had wanted you

to be the one to want me

But you were silent all along

Although there would have been nothing wrong

in telling me how you feel
 

But there has always been this seal

shutting your mouth

shutting mine

“Everthing will be just fine“

I thought

for you were with me
 

What I had sought

all my life

was then so close

but’d got a wife

the easier way you chose
 

If only we had dared sooner

to tell the truth

to risk the pain

We would have not wasted our life away

waiting in the rain
 

Such a long time I had thought

“I should tell you

I should tell you

Aishiteru“

But I did not

I could not

tell you that I love you
 

If only I had told you sooner

that I love you

that I need you

Nani yori mo

Aishiteru - anata no nani mo kamo
 

If I could I would turn back time

Now there are pangs of remorse

Worse it can’t get

My hesitation I cannot endorse

Oh, how I regret

having wasted so much of our time
 

Die Musik verklang, der Applaus begann und das Licht verschwand. Ich folgte Hyde von der Bühne in den Backstagebereich. Dort warteten unsere Manager und unser Staffteam auf uns. Wir wollten sie nicht sehen. Wir wollten alleine sein. Wir wollten reden. „Später.“, meinte ich kurz zu ihm und ging in meine Umkleide. Und er in seine. Schon jetzt gingen wir getrennte Wege.

Es war ausgemacht, noch gemeinsam essen zu gehen, wir beide mit unseren Managern. Ich hoffte, Hyde würde das nun nicht absagen. Er tat es. Als ich aus meiner Umkleide kam, war er bereits verschwunden. Ich ließ mich nach Hause bringen und rief ihn an. Er nahm nicht ab. Ich versuchte es ein zweites Mal und hatte Erfolg. „Ja?“

„Warum läufst du davon? Wir wollten noch essen gehen. Und wir müssen reden.“ Er schwieg, seufzte nur. „Es ist nicht sonderlich gut gelaufen, ich weiß, aber... Du darfst dir einfach nicht alles so stark anmerken lassen. Es sind doch nur Vermutungen, sie haben doch keine Beweise.“

„Ich kann das nicht! Ich habe keine künstliche Fassade so wie du!“, rief er in den Hörer. Seine Worte trafen mich. „Genau das habe ich kommen sehen, Ga-chan! Jetzt ist das eingetroffen, wovor ich die ganze Zeit Angst hatte!“

„Komm zu mir und lass uns darüber reden.“, schlug ich vor.

„Ich komme jetzt ganz sicher nicht mehr zu dir, Ga-chan. Heute nicht mehr. Es tut mir leid.“

Ich schluckte. „Wann sehen wir uns dann?“, fragte ich schwach.

„Ich rufe dich an.“ Ein weiteres seiner leeren Versprechen. Ich ertrug es nicht.

„Kann ich Morgen zu dir kommen?“ Ich hatte eine nur sehr zarte Hoffnung.

„Na gut. Aber nicht vor drei, okay?“ Ich atmete erleichtert aus.

„Klar. Dann... Versuch dir nicht zu viele Gedanken zu machen. Warte damit bis Morgen. Du kannst jetzt eh nichts tun. Okay?“ Ich erwartete keine Antwort. „Also dann, bis Morgen...“

„Hn. Gute Nacht.“, meinte er noch und ich spürte, er wollte auflegen.

„Gute Nacht, Schatz. Ich liebe dich...“ Er schwieg. Er hatte noch nicht aufgelegt, doch er sagte nichts mehr.

膨大な影 - Boudai na kage - Tremendous Shadows

Ich stand um Punkt drei Uhr vor seiner Tür, wartete. Ich hörte Schritte, er öffnete. Seine Augen blickten hektisch hierhin, dorthin, hielten nicht still. Er war nervös. Er fühlte sich beobachtet.

„Hallo.“, meinte ich neutral. Er murmelte etwas als Antwort, schloss die Tür. Ich wartete darauf, dass er mich in einen Raum führen würde. Ich wusste nicht, ob sein Sohn hier war und daher auch nicht, wo er mit mir sprechen wollte - oder konnte.

Er sah mich flüchtig an, wahrscheinlich irritiert, dass ich nicht einfach ins Wohnzimmer ging wie gewöhnlich. Doch nichts an dieser Situation war gewöhnlich. Ich war seit Monaten nicht mehr in diesem Haus gewesen, hatte eigentlich auch nicht vorgehabt, jemals wieder hierher zurückzukehren. Doch es musste wohl sein. Hyde dazu zu bringen, zu mir zu fahren, hätte sich in jedem Fall als schwieriger herausgestellt.

Er lief voraus, ins Wohnzimmer, wurde langsamer, änderte dann die Richtung und ging in sein Arbeitszimmer. Er wartete, bis ich durch die Türe getreten war und schloss sie, drehte sich dann zu mir um und meinte angespannt: „Setz dich doch.“ Ich nahm auf dem Sofa Platz, das ihm, so hoffte ich doch inständig, noch immer als Bett diente. Er setzte sich neben mich und wartete darauf, dass ich zu sprechen beginnen würde, da er wusste, dass ich mir bewusst war, dass er es nicht tun würde.

Und so begann ich: „Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Wir verheimlichen es weiterhin - unsere Chancen, dass das funktioniert, stehen jetzt aber verdammt schlecht - oder wir geben es öffentlich zu.“

Hyde biss sich auf die Unterlippe. „Das willst du nicht wirklich tun, oder?“

„Haben wir eine andere Wahl? Und jetzt sieh doch endlich auch mal die Vorteile, Hai-chan. Das würde alles einfacher machen. Wir hätten zwar sehr, sehr viele Interviews in nächster Zeit, würden ohne Ende in die Presse gezogen, aber irgendwann wird das aufhören. Und dann ist alles in Ordnung. Und wir müssen uns nicht mehr verstecken.“

Er zögerte lange. Es schien, als klang es einleuchtend für ihn, was ich sagte. „Und was ist mit Megumi? Was, wenn sie das nicht will?“

„Ich dachte, sie kann mit der Wahrheit leben?“, fragte ich zurück.

„Ja, aber es ist doch noch einmal etwas anderes, wenn es die ganze Welt weiß.“

„Angenommen Megumi würde zustimmen, was würdest du wollen?“ Ich wartete geduldig auf seine Antwort.

Er seufzte, fuhr sich verzweifelt durch die Haare, schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht.“ Dann kam ihm ein anderer Gedanke. „Und ich muss auch an Joseph denken.“

„Glaubst du wirklich, für ihn wird sich etwas ändern?“

„Stell dir doch einmal vor, wie sich die Artikel anhören werden: ‚Haido-san lässt seine Familie im Stich. Man wusste ja nie, wie das Familienleben der Takarais tatsächlich aussieht, doch jetzt kann man es sich in ungefähr vorstellen. Hat Haido-san überhaupt Kinder gewollt? Oder haben sie vielleicht nur geheiratet, weil der Kleine schon unterwegs war. Wenn man bedenkt, wie kurz nach der Verlobung ihr Sohn bereits geboren war, ist das nicht auszuschließen.’“

„Aber solches Gerede gibt es immer, auch wenn es nichts gibt, das dafür spricht.“

„Deshalb wird es, wenn wir ihnen auch noch etwas vorwerfen, umso schlimmer sein!“

„Nein, im Gegenteil, wenn wir die ganze Wahrheit sagen, wird es nicht mehr viel zu interpretieren geben. Was glaubst du, wie langweilig es für Klatsch-Reporter ist, wenn es gar keine Gerüchte mehr sind, sondern Fakten, die sie auch noch aus unseren eigenen Mündern erfahren haben? Sie werden sogar ziemlich schnell ihr Interesse an dem Thema verlieren, schätze ich. Zumindest die Klatsch-Reporter. Und wenn die anständigen Journalisten über uns schreiben, ist das doch in Ordnung.“

„Es hört sich immer so wahnsinnig plausibel an, was du sagst!“, rief Hyde mit einem Mal verzweifelt aus. Ich lächelte.

„Dann glaube mir doch einfach. Glaube mir, dass alles gut werden wird, wenn wir ehrlich sind.“

Er seufzte. Ich hatte ihn überzeugt. „Ich würde es wirklich zu gerne, aber... ich kann nicht.“

Nun war ich derjenige, der seufzte. „Dann musst jetzt du über deinen Schatten springen.“ Er sah mich fragend an. „Wie ich damals, als ich dich das erste Mal geküsst habe.“
 

Er hatte Recht. Er hatte absolut Recht. Ich war an der Reihe. Er hatte schon so viel getan. Ich hatte ihm nur immer wehgetan. Das war meine Chance, alles wieder gutzumachen. Ich blickte zu ihm auf. Er sah mich überrascht an, hatte wahrscheinlich die Entschossenheit in meinen Augen entdeckt. „Ich werde es tun. Du hast Recht. Es ist das Beste. Und das bin ich dir schuldig.“

Seine Miene hellte sich unglaublich auf. Er fiel mir um den Hals. Alleine dafür hatte es sich bereits gelohnt, den Entschluss gefasst zu haben. Doch es würden noch andere, nicht so positive Gefühle hinzukommen. Angst vor dem, was folgen würde. Das grausame Gefühl der Endgültigkeit bei Entscheidungen, an denen man zu zweifeln neigt. Unfähigkeit, sie wieder rückgängig zu machen und erneut die Hoffnung eines geliebten Menschen zu zerstören.
 

„Ja, es stimmt. Die Gerüchte sind wahr. Wir sind ein Paar.“, hörte ich Gackt sagen und konnte es kaum glauben, dass er es tatsächlich gewagt hatte, es auzusprechen. Es war ein so unbegreiflich tiefes Gefühl, das ich in diesem Moment und den darauf folgenden empfand.

Die Lichter der Kameras blitzten. Die Mikrofone rückten näher. Gackt war der Einzige, der Antworten gab. Es war kein Teil meines Versprechens gewesen, doch die einzige Möglichkeit, es einzulösen.

„Seit wann?“, kam von rechts.

„Wir sind uns durch den Dreh zu ‚Angel’s Tale’ näher gekommen.“, war Gackts Antwort. Wir hatten uns für die halbe Wahrheit entschieden.

„Was ist mit Haido-sans Frau und deren Kind?“, fragte eine Reporterin.

„Es geht ihnen gut.“, antwortete Gackt schlicht, obwohl die Frage eher an mich gerichtet gewesen war. „Sie werden Haido-chan noch immer, so oft es geht, zu Gesicht bekommen. Doch wohnen wird er ab sofort bei mir.“ Er lächelte mir zu. Ich blickte unsicher zurück. Gackt befolgte zwar unseren Plan, doch ich konnte mit der Situation dennoch nicht umgehen. Es war alles so befremdend. Doch irgendwann, nach einer peinlich berührten kleinen Ewigkeit, kam der Zeitpunkt, da meinte Gackts Manager, wie besprochen, dass die Zeit um sei und so gingen wir aus der Pressekonferenzhalle, wurden zu unserem Wagen begleitet, der von Fotografen umstellt war. Als wir im Wageninneren saßen, lehnte ich mich zurück und atmete tief aus.

„Und? War doch gar nicht so schlimm, oder?“, fragte Gackt lächelnd. Er war überglücklich.

„Na ja...“, meinte ich nur und fügte hinzu: „Ich bin gerade völlig am Ende mit den Nerven...“

„Das legt sich wieder.“, sagte er zuversichtlich. Dann entfuhr ihm ein Geräusch der Freude, er nahm mich fest in den Arm und flüsterte mir ins Ohr: „Danke... Vielen Dank...“

„Ich hoffe, du weißt, dass ich das nur für dich getan habe.“, fragte ich indirekt.

„Was glaubst du, warum ich so glücklich bin?“, fragte er zurück und küsste mich. „Danke...“ Er küsste mich abermals und bedankte sich wieder: „Danke...“ Und wollte mich wieder küssen.

„Ganz ruhig, Ga-chan...“, versuchte ich ihn zu bremsen. „Du solltest nicht vergessen, dass wir nicht alleine sind.“ Sein Blick fiel auf unsere Manager, die uns, diskret zur Seite blickend, in der Limousine gegenüber saßen.

„Du hast Recht.“, meinte Gackt nur und zog von beiden Seiten die Vorhänge zu. Wir lächelten, den Blick auf die Augen des anderen gerichtet, in denen wir unsere Zukunft sehen konnten.
 

Wir wussten, es würde nicht leicht sein. Wir wussten, es würde sich vieles verändern. Wir wussten, dass uns eine schwierige Zeit bevorstand. Doch wir wussten auch, dass wir sie überstehen würden. Zusammen. Das war alles, was zählte. Zusammensein bedeutet Starksein. Wer Mut zur Aufrichtigkeit beweist, wird stark sein und alles meistern können.

Zusammen.
 

The End

Die fehlende Perle

Hyde streckte sich. Die Uhr sagte ihm, dass einige Stunden vergangen waren, seit er zu lesen begonnen hatte. Doch ohne Happy End hatte er nicht schlafen gehen können; zudem hatten sich dadurch die Chancen erhöht, dass er nicht alleine zu Bett gehen musste. Allerdings sah es nicht danach aus, als ob dieser Chancenanstieg auch tatsächlich Erfolg versprechend sein würde.

Er rieb sich seine müden Augen und schaltete den Laptop aus. Nochmals schaute er auf die Wanduhr und fragte sich, wie wahrscheinlich es war, dass sie noch kommen würde, die Person, auf die er wartete, bevor er selbst zu Bett ging, da hörte er ein Geräusch an der Haustür. Erwartungsvoll blickte er auf die geschlossene Türe des Schlafzimmers. Plötzlich ertönte ein Bellen, dass ihn zuerst ein wenig erschrecken, doch dann lächeln und von seinem Stuhl aufstehen ließ. Nun war er sicher, dass er sich das Geräusch des sich drehenden Schlüssels nicht eingebildet hatte. Freudig, wie auch Belles Begrüßung es gewesen war, wartete Hyde, mitten im Raum stehend, nicht wissend, was er tun sollte, auf ein weiteres Zeichen seiner Anwesenheit. Etwas nervös fuhr er sich durch die Haare und zog seine Kleidung zurecht. Prüfend wandte er sich dem großen Wandspiegel zu, als, wie er in diesem sehen konnte, sich die Schlafzimmertür leise hinter ihm öffnete.

Gackt streckte langsam den Kopf schräg durch den Türspalt und lächelte, als er Hyde erblickte.

„Ich bin wieder da.“, sagte er sanft, in einem leichten Singsang. Zur Antwort konnte Hyde nur Lächeln. Man konnte Gackt ansehen, dass er sich nicht weniger freute, Hyde zu dieser frühen Stunde noch wach anzutreffen, und überhaupt, ihn zu sehen.

Gackt trat nun vollends in den Raum, ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen und kam auf Hyde zu. Er sah ihm seine innere Aufgewühltheit an, und spürte sie ebenso in sich. Doch ihm konnte man sie nicht so leicht anmerken. Zu sehr war er noch gewohnt, seine Fassade unter allen Umständen aufrechtzuerhalten. Aber sein Lächeln war offener, aufrichtiger als zuvor, und vor allem ohne bitteren Nachgeschmack.

Dicht vor Hyde kam er zum Stehen und blickte ihm in die Augen. Er spürte deutlich, dass er dadurch die Spannung zwischen ihnen und die Aufgewühltheit beider verstärkte, doch er genoss es.

Hyde konnte nicht mehr stillhalten; seine innere Unruhe wirkte sich immer sichtbarer auf sein Äußeres aus. Etwas zu tun, wusste er jedoch noch immer nicht, was ihn in gewisser Weise von Gackt abhängig machte. Er war sich dessen allerdings längst bewusst, und auch der Tatsache, dass er sich kaum mehr an eine Zeit erinnern konnte, zu der es anders gewesen war.

Gackt brach endlich die Stille: „Bist du extra für mich so lange wach geblieben?“

Hyde öffnete den Mund, um zu antworten, doch kein Ton hatte seine Lippen verlassen, da wurden sie bereits von denen Gackts versiegelt.

Das Ende und der Anfang der Kette hatten zueinander gefunden.

Die seit langem fehlende Perle hatte sie verbunden. Die Perle des Mutes zur Aufrichtigkeit.



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Kommentare zu dieser Fanfic (38)
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Von:  Kimiko02
2009-02-23T20:09:31+00:00 23.02.2009 21:09
Wie es aussieht, hatte ich den Epilog glatt überlesen, der kam mir so unbekannt vor ^^;
Aber wunderschön ist er auf jeden Fall, genauso wunderschön wie die ganze FF! *___*
*nochmal großes Lob aussprech*
Und nochmal ein Danke für die Mühe, die Story weitestgehend Japanisch-frei zu machen ^__^
Bitte schreib mal wieder eine Gakuhai!! Muss ja nicht so lang sein wie diese ^_~
Von:  Earu
2009-02-22T22:23:46+00:00 22.02.2009 23:23
Hui, eine unerwartete Wendung °° Ich hab echt gedacht, dass Hyde Schluss macht, Gackt nich mehr sehen will und quasi versucht sein altes Leben wieder herzustellen. Aber gut, dass er ENDLICH mal auf Gackii gehört hat x3 Wenn das Problem aus dem Weg geräumt is, können sie ja jetz richtig glücklich werde *smilu* Bin deshalb auch schpon gespannt, was im Epilog kommen wird :3
Von:  Earu
2009-02-12T20:12:20+00:00 12.02.2009 21:12
Es zerbricht. Jedenfalls scheint es so. Mehr fällt mir zu diesem Schluss einfach nicht ein v_v Hyde hat sich so darauf versteift, dass sie 'auffliegen' werden, dass es ja gar nciht anders kommen konnte. Wenn er sich mal entspannt hätte, wie Gackt es ihm die ganze Zeit sagt, dann wäre das Interview anders gelaufen. Und er macht wieder dicht ><
Von:  Earu
2009-01-16T18:14:15+00:00 16.01.2009 19:14
Awww, Engelchen im Regen :3 Die Vorstellung is hübsch ^0^
Und ich hoffe, dass Hyde sich so langsam mal einkriegt. Wenn er sich denn schon dermaßen von gackt distanziert, dass andere denken könnten, sie hätten sich gestritten :/ Natürlich isses nich einfach, aber trotzdem ... v.v Und er brauch doch im grunde gar keine so große Angst haben.
Von:  Earu
2009-01-15T20:04:05+00:00 15.01.2009 21:04
*seufz* Wie verkrampft kann ein Mensch sein v.v
Okee, gackii mag es da auch ein wenig sehr locker sehen, aber Hyde macht sich dafür zu viele Gedanken. er solte sich wirklich mal entspannen. Er is ja schon fast paranoid ._.
Von:  Earu
2009-01-15T19:55:31+00:00 15.01.2009 20:55
Awwwww, Fluff ^~^
Echt supersüß dieses Kapitel <3
Und Hyde lässt sich endlich mal gehen ^0^
Von:  Earu
2009-01-14T17:53:44+00:00 14.01.2009 18:53
Hm ... ich weiß nich genau, ob die jetz wirklich weitergekommen sind .. also allesamt. Hyde wirkt zwar etwas erleichterter (Ein Hoch auf Tetsu *ihn knuddel* ^0^), aber diese blöde Frage nach dem Öffentlich oder nciht, steht immer noch an ><
Von:  Earu
2009-01-14T17:18:42+00:00 14.01.2009 18:18
Gut gerettet ò.ó Ich dachte Hyde fängt jetz wirklich davon an, dass er richtig zu Meg zurück will, quasi dass sie es nochma versuchen wollen >>
Aber ich trau dem frieden trotzdem nich. Hyde is so wankelmütig.
Und ich sollte auch endlich mal sagen, dass er einem Leid tun kann (ich meckere seit Ewigkeiten ja nur noch über ihn XD) Is wirklich nich besinders toll, wenn man nich weiß, was man fühlt und es eigentlich wissen sollte, weil sonst nichts weitergeht ._.
Von:  Earu
2009-01-11T20:37:00+00:00 11.01.2009 21:37
=_= du quälst deine Leserschafft, weißt du das?
Hyde wird mir in diesem Kapitel leicht unsympathisch, weißt du das? Kann sein, dass ich gakuhai-vertsockt bin, aber dieser Satz, dass er gackt auch später noch anrufen könne, nachdem er ihn schon seit zwei tagen warten lässt, find ich extrem fies von ihm. Als ob Megumi jetz der Dreh- und Angelpunkt seines Lebens wäre ... ich seh es schon kommen, sie nutzt das aus v.v
Von: abgemeldet
2009-01-11T20:13:02+00:00 11.01.2009 21:13
Noch mal sorry, Earu... ^^' *insgeheim fies grins* *muhahahahaha...*


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