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Vom selben Stern

Charlie und die Schokoloadenfabrik - Fanfiction
von

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Ein sahniges Missgeschick

Vom selben Stern
 

Du bist vom selben Stern

Ich kann deinen Herzschlag hör'n

Du bist vom selben Stern

Wie ich

Weil dich die gleiche Stimme lenkt

Und du am gleichen Faden hängst

Weil du das Selbe denkst

Wie ich
 

Charlie Bucket schwärmte für Willy Wonka, seit er denken konnte, und das konnte er seit seinem dritten Lebensjahr.

Bevor er durch Zufall an die letzte und heißbegehrte Goldene Eintrittskarte gekommen war, welche sein Leben auf dramatische Art und Weise verändert hatte, hatte er jede einzelne Verpackung von Wonkas Schokolade über sein Bett gehängt. Es waren nur fünf, aber sie waren das wichtigste, das er kannte. Als er fünf war, begann er, Willy Wonkas Schokoladenfabrik aus kaputten Zahnpastadeckeln nachzubauen.

Er hätte ihren Besitzer nur zu gerne einmal gesehen, aber es gab auf der ganzen weiten Welt nicht ein einziges Photo von ihm und er hatte seine Fabrik in den ganzen fünfzehn Jahren, die sie nun wieder geöffnet hatte, gerüchteweise nicht ein einziges Mal verlassen.

Nicht einmal sein Großvater George konnte genau sagen, wie er aussah.

Doch mit seinem neunten Geburtstag wurde alles anders.

Charlie Bucket wurde der Erbe Willy Wonkas. Und zwar nur, weil er unverschämt viel Glück gehabt hatte. Und gute Manieren, aber er glaubte, dass das nur ein unwesentlicher Zutrag zu seinem Schicksal gewesen war.

Zuerst erschien ihm alles wie in einem Traum. Nicht nur, dass seine Familie nicht mehr Hunger leiden musste, nein, er konnte auch das tun, was er schon immer gewollt hatte- Sich tagein, tagaus mit Süßigkeiten beschäftigen.

Er war glücklich. Selbst, wenn er von Zeit zu Zeit ein nagendes Gefühl in seiner Magengrube verspürte, das ihm sagte, dass noch irgendetwas fehlte, verlief der Rest seiner Kindheit mehr als märchenhaft und behütet, auch wenn er das zugige kleine Haus am Rande der Stadt nie vergaß.

Zu seinem dreizehnten Geburtstag weihten ein paar Jungen aus seiner Klasse Charlie in das große Mysterium der Bienen und Blumen ein, das gleichzeitig spektakuläre Ratschläge gegenüber den zierlichen zurückhaltenden Mädchen aus seiner Klasse beinhaltete.

In diesem Moment ging ihm auf, dass das, was ihm seit vier Jahren so unbekannt war, die Liebe war.

Natürlich liebte er seine Eltern.

Und die Schokoladenfabrik. Ja, sogar Willy Wonka ein bisschen, vielleicht auch ein bisschen mehr, dafür, dass er ihm so ein wundervolles Zuhause beschert hatte.

Aber er meinte eine Freundin. Jemand, mit dem man ‚knutschen’ konnte, wie es Maximillian so knapp auf den Punkt brachte.

Er fragte jenen, ob er wisse, wie man das anstellte, eine Freundin bekommen, und nachdem er noch mehr wohlwollende Lektionen erhalten hatte, lief Charlie nach Hause und fragte seine Eltern, ob sie ein wenig Geld für neue Kleider erübrigen konnten. Er begann, ein wenig auf sein Aussehen zu achten, sein Haar ordentlicher zu kämmen und seine Kleidung neuer erscheinen zu lassen als sie war oder so zu tun, als sei alles Absicht. ‚Cool’, nannten es die anderen. Und er gab dem Verlangen, einen der bunten Sakkos zu tragen, die Mister Wonka ihm manchmal schenkte, nur zu Hause nach (Und machte jenem damit eine Freude, das sah er am Glitzern in dessen Augen, wenn er ihn damit durch die bunte Landschaft des Schokoladenflussraums laufen sah). Doch schon bald merkte er, dass es vergebliche Liebesmüh war.

Nicht nur, dass viele seiner Klassenkameradinnen ihn für verrückt hielten, nein, ihm fiel einfach keine so ‚besonders’ auf, wie es anscheinend der Fall sein musste.

Resigniert gab Charlie auf und verarbeitete seinen ersten Liebeskummer in einer sehr unvollkommenen Serie von chemisch hochkonzentrierten Schokoladenherzen, die einem vorgaukeln sollten, man wäre perfekt. Nachdem ein Umpa- Lumpa versehentlich einem Fruchtgummipilz einen Heiratsantrag gemacht hatte, klagte er schließlich Willy Wonka höchstpersönlich sein Leid.

Ihr Verhältnis war mit den Jahren zwar enger geworden, allerdings waren die Gespräche zwischen dem Geschäftsführer und seinem Erben immer im Bereich ihrer Arbeit geblieben und niemals darüber hinausgegangen.

Doch an diesem Tag änderte es sich.

Mister Wonka zeigte erstaunlich viel Verständnis für Charlies prekäre Lage und erklärte ihm, Liebe könne man nicht erzwingen.- Sie fiele vom Himmel, wie Ideen für ein neues Vorhaben oder Süßigkeiten. Als Charlie ihn daraufhin leicht verständnislos anblickte, streckte Willy Wonka die Hand aus und hatte auf einmal eine Tafel Wonkas Wunderweichcremefüllung darin.

So musste Charlie ihm glauben- und abwarten.

Als er fünfzehn wurde, bemerkte er, dass irgendetwas sich verändert hatte. Da war etwas, im hintersten Eckchen seines Kopfes, im verborgendsten Winkel seines Magens, das ihn ab und zu ganz merkwürdig werden ließ. Zuerst machte er sich wenig Gedanken darüber, doch irgendwann drängte sich ihm die Gewissheit geradezu auf- er war verliebt.

Nur in wen hätte er um den besten Willen nicht sagen können.

Als er sechzehn wurde, realisierte er, dass es unmöglich ein Mädchen sein konnte, denn mit ihnen hatte er inzwischen einige wenige Erfahrungen sammeln können- genug um zu sagen, dass die Richtige zumindest in dieser Stadt nicht für ihn dabei sein würde. Schweigend akzeptierte er sein Los.

Als er siebzehn wurde, bemerkte er mit einiger Verspätung, dass es Willy Wonka war, der ihn dazu brachte, sich wie ein albernes Kleinkind zu fühlen. Er merkte es, wenn er unwillkürlich anfing, zu lächeln, wenn er Mister Wonkas Blick auf ihn ruhen spürte, er merkte es daran, wie sehr er darauf achtete, ihm in jeder Hinsicht zu gefallen und er merkte es daran dass sein Herz so oft höher schlug, wenn er an seinen Mentor dachte. Er schämte sich fürchterlich.

Und wenige Tage vor seinem achtzehnten Geburtstag ereignete sich Folgendes:

Charlie träumte, und es war kein gewöhnlicher Traum.

Vielmehr war es einer jener, die Jugendliche und ältere Kinder ab und zu besuchen, um ihnen zu signalisieren, dass sie jetzt erwachsen waren und dass da ein Instinkt war, der erfüllt werden musste.

Natürlich war daran nichts Besonderes oder Verwerfliches, außer der simplen Tatsache, dass es helllichter Tag war und Charlie sich nicht in seiner Privatsphäre befand, während er träumte, sonder im Erfindungsraum der wonkaschen Schokoladenfabrik.

Der Inhalt und die Bilder in seiner Phantasie, waren pikant, aber dessen war er sich nicht bewusst. Für ihn war das, was er sah, schon auf eine merkwürdige weise alltäglich geworden, auch wenn ihm jedes Mal, wenn er die Augen öffnete, wieder bewusst wurde, dass es nur ein Wunsch bleiben würde.

Auch war er sehr erregt, denn bei der Vorstellung, die sein inneres Auge ihm bot, waren Küsse und Hände, die zärtlich über sein Gesicht strichen, sehr stark beteiligt gewesen.

Als er erhitzt erwachte, seine Haare zerzaust, seine Stirn von Schweiß überströmt und seine Wangen rot, fühlte er sich beschämt aber auch außer Stande, diesen Zustand zu ignorieren.

In diesem Raum arbeiteten keine Umpa-Lumpas.

Mister Wonka war damit beschäftigt, einige wichtige Personen davon zu überzeugen, essbare Seifenblasen zu verkaufen, die nach Karamell, Erdbeeren, Waldmeister oder nach vielem anderen schmecken konnten und ihren Geschmack ab und an wechselten.

Er konnte… Für einen Moment wurde Charlie noch röter, doch dann schob er angesichts seines nicht gerade kleinen Problems alle Zweifel beiseite und führte sich seinen Traum zurück vor Augen.

Er spürte nicht, dass es seine Hände waren, die seinen eigenen Körper berührten, als er sich vorstellte, wie weich sich roter Stoff unter seiner Haut anfühlen könnte. Warmer Atem, der seinen Nacken ein wenig kitzelte, genau so, dass man noch ein wenig ahnen musste, um wirklich etwas zu spüren.

Wie sahen Augen aus,wenn sie nicht von breiten Hutkrempen überschattet wurden? Wie weiß waren Unterarme unter glänzenden Manschettenknöpfen? Brauchte man wirklich irgendwann einen Stock, um sich in der Schokoladenfabrik fortzubewegen? Dieser Frage widmete Charlie sich am längsten, vor allem, da er es bezweifelte und eher daran dachte, die Gerätschaft für anderes einzusetzen.

Er hätte weinen mögen, aber gleichzeitig erfüllte ihn seine Phantasie voll und ganz und die Realität schien merkwürdig fern und entrückt, als läge sie hinter einem Tor oder einem schweren Vorhang verborgen.

Was Charlie sich in diesem Moment aber mehr als alle andere herbeisehnte war die Gesellschaft einer Person, und dies ungeachtet der Tatsache, dass diese vielleicht verwundert oder von seinem Handeln abgeschreckt sein könnte. Er dachte nur daran, wie wunderbar es wäre, wenn der Besitzer der Fabrik, in der er sich augenblicklich befand, anwesend wäre.

Amüsiert funkelnde Augen. Eine sanfte Stimme. … Das Geräusch einer sich schließenden Tür… Charlie kam...

…das er sich nicht eingebildet hatte! Erschrocken öffnete Charlie die Augen, nur um zu sehen, dass sein Traum sich auf unheilvolle Weise erfüllte.

Es hätte ein Umpa-Lumpa sein können. Charlie wusste, dass er nichts von seinen Machenschaften verraten hätte. Selbst wenn, ein bisschen gutmütiger Spott konnte gewiss nicht schaden.

Wäre es doch nur so gewesen!

Doch so sehr er sich nun auch für sein vorschnelles Handeln verfluchte, Charlie konnte sich der Tatsache nicht erwehren, dass kein Anderer als Willy Wonka vor ihm stand. Die Hand noch immer um sein erhärtetes Glied geschlossen und mit weit aufgerissenen Augen starrte der Jüngere ihm entgegen.

„Ich störe wohl“, bemerkte dieser.

Als hätte er sich verbrannt, ließ Charlie sein intimstes Körperteil los und versuchte, sein T-Shirt so gut wie möglich über sich selbst zu ziehen, obwohl er wusste, dass er jetzt schon reichlich spät dafür war.

„Ähm, Sie stören doch nie-...Mister Wonka“, stammelte er, wusste nicht, ob er es ernst meinte und wurde so rot wie der Mantel, von dem er gerade eben noch geträumt hatte.

Eine Zeit lang sahen sich die Beiden Chocolatiers an, ohne dass irgendetwas geschah, nur das regelmäßige Atmen beider erfüllte den Raum.

Dann, als Charlie glaubte, er würde Wonkas prüfenden Blick keine Sekunde mehr länger standhalten, ohne schreiend aus dem Raum zu laufen und sich nicht mehr sicher war, ob er wollte, das Mister Wonka genau das tat, wovon er gerade noch geträumt hatte oder einfach ging, wandte jener sich ab und machte Anstalten, den Raum zu verlassen.

„Aber keine Sorge, mein lieber Junge“, sagte er und sah auch einmal merkwürdig verschwörerisch aus, „ ich werde deinen Eltern nichts von dieser Begegnung erzählen.“

Die Tür viel hinter ihm ins Schloss und Charlie bliebt allein mit seiner Scham zurück.

Ein Schritt aus dem Schrank

2. Ein Schritt aus dem Schrank
 

But it’s you I take, ’cause you’re the truth not I.
 

Der peinlichste Vorfall in Charlies bisherigem Leben war nun schon seit zwei Wochen Vergangenheit. Er hatte es seitdem zu seinem großen Beschämen weder geschafft, Mister Wonka in die Augen zu blicken, noch mehr als notwendig mit seinen Eltern zu sprechen, die sich daraufhin sehr um ihrem Sohn sorgten, ihn aber auch zu nichts drängen wollten und deswegen hofften, Chalies Schweigen sei nur eine ‚Schwierige Phase’ im Verlauf seiner Pubertät.

Nicht einmal die übrigen Bereiche seines Lebens konnte Charlie erfolgreich heißen. Kürzlich, vor genau drei Tagen, hatte er sich mit seinem bis dato engsten Freund John gestritten, der die ernsthafte Meinung vertrat, man solle Gemeinschaftskabinen für Homosexuelle errichten, 'Jungen-und Mädchenumkleiden seien ja auch getrennt’. Charlie fühlte sich durch diese Aussage unnatürlich ertappt, wurde rot und protestierte wild, was fast zu einer Keilerei und auf jeden Fall zu viel Zwietracht führte und ihn nur weiter betrübte.

Desweiteren hatte er sich eingestehen müssen, dass er in sportlicher Betätigung einfach nicht ausreichend war und dieses Jahr wohl eine mangelhafte Note auf seinem Zeugnis würde akzeptieren müssen. Außerdem kamen ihm schon seit Wochen keine guten Ideen für Süßigkeiten mehr, was ihn fürchten ließ, seinen Geschäftspartner früher oder später zu enttäuschen.

Und schlussendlich hatte er Zahnschmerzen.

Unangenehme, nervende quälende Zahnschmerzen, die ihm so peinlich waren, dass er nicht einmal vor sich selbst zugeben wollte, dass es seine Zähne waren, die ihm wehtaten.

Er hatte sie doch immer geputzt! Er hatte sogar Zahnseide benutzt! (obwohl Mister Wonka diese verabscheute, vielleicht hatte er doch einige unerfreuliche Kindertraumata….)

Und trotzdem war es jetzt dazu gekommen… wie konnte das nur passieren?

Er war verzweifelt.

Und er konnte mit niemandem darüber reden.

Aber eins stand außer Frage- er musste Linderung erfahren! So ging das nicht weiter, denn Charlie konnte nicht einmal mehr richtig schlafen.

Und so beschloss er an einem regnerischen Nachmittag, dass er wohl oder übel einen Zahnarzt besuchen würde.

Nachdem er eine Weile überlegt hatte, stellte er fest, dass er niemanden kannte, der diesen Beruf ausübte und nicht Willbur Wonka hieß und so borgte er sich an einem sonnigereren Nachmittag von dessen Sohn den hauseigenen Gläsernen Fahrstuhl und machte sich auf den Weg zur abgelegenen Klippe, auf dem das wonka’sche Haus derzeit stand.

Ein wenig merkwürdig war ihm schon zumute, er war schließlich erst einmal hier gewesen, und das auch noch in einer mehr als heiklen Situation ( die sich glücklicherweise zum guten gewendet hatte)… Er erinnerte sich noch gut an den autoritären, respekteinflößenden Mann, der ihn mit einer frostigen Stimme nach dem Grund seines Erscheinens gefragt hatte. Der weiße Kittel und die Latexhandschuhe, die auch sein Sohn trug, mit der Ausnahme, dass diese meist kreischend bunt waren, und nicht so klinisch weiß wie der Rest des Mannes.

Charlie verbot sich, an Willy Wonka zu denken, so lange er mit dessen Vater verkehren würde, um sich nicht durch unbedachte Aussprüche zu verraten oder verdächtig zu machen, schließlich hatte er sich vorgenommen, dass niemand jemals hinter seine erste und vermutlich größte Liebe kommen würde. Schon gar nicht sein Angebeteter selbst.

Und deshalb atmete Charlie vor dem Haus an dem von grauen Wolken verhangenen Himmel auf der einsamsten Insel der Welt tief ein, hob die Hand und klingelte, um zum ersten Mal ins einem Leben zum Zahnarzt zu gehen.

Er hätte weinen mögen und wäre wohl einfach wieder weggerannt, hätte sich nicht in just diesem Moment die Tür geöffnet und sich ein grauhaariger, streng aussehender Mann in den Spalt zwischen Tür und Angel geschoben.

„Brauchst du einen Termin?“ fragte er und schob seine Brille, die sein Gesicht noch härter erscheinen ließ, wieder zurecht auf seine Nase.

Diesmal hatte Charlie niemanden, hinter dem er sich verstecken konnte, also nahm, er seinen Mut zusammen (schließlich war er achtzehn! Das war ja nicht zu fassen!) und sagte mit der festesten Stimme zu der er sich fähig sah: „Ja, umgehend.“

„Dann hast du aber Glück“, knurrte Wilbur Wonka in einer Art, als würde die Ausübung seines Berufs ihn unglaublich viel Überwindung kosten und trat einen kleinen Schritt zur Seite, so dass Charlie eintreten konnte, bevor er die Tür hinter ihm schloss.

„Was plagt dich denn?“, fragte er weiter, während er Charlie eine Treppe hinaufführte, die sie zu einem grauen, klinisch sauber wirkenden Raum brachte, dessen Wände über und über mit Zeitungsartikeln und Fotos übersät waren.

Und genau über dem ebenfalls grauen, fast furchteinflößenden Zahnarztstuhl hing etwas, das zwar prinzipiell wahrscheinlich, für Charlie aber sehr überraschend war.

Ein kleines neueres Foto, auf dem Willy Wonka und er selbst nebeneinander saßen. Charlie sah darauf gedankenverloren auf das alte Haus zurück, in dem er und seine Familie immer noch lebten und neben ihm sah ihn Mister Wonka merkwürdig an. Der Blick war nicht gut zu erkennen, aber das, was er erkennen konnte, erinnerte ihn daran, wie Jonathan seine Freundin ansah, wenn diese gerade nicht in seine Richtung schaute (aber manchmal auch wenn sie es tat)- verlangend.

In winziges Bisschen Hoffnung keimte in Charlie auf, aber kurz darauf musste ihm klar werden, dass er sich irrte- niemals könnte Willy Wonka etwas anderes von ihm denken als an seine Hilfe in der Fabrik- er seufzte resigniert und ließ sich in den Stuhl sinken.

„Wo tut es denn weh?“, fragte der Zahnarzt und griff neben sich, um sein Werkzeug zu suchen.

Charlie zeigte auf die Stelle und verzog das Gesicht bei dem Anblick der befremdlich Weise daran, wie relevant die augenblickliche Situation für sein körperliches Wohlbefinden war.

All die Jahre der Zahnseide waren vergebens gewesen- und Charlie schwor sich, niemals wieder einem derartigen Schwindel zu vertrauen, besonders wenn er das lebende Beispiel dafür, dass man Zahnseide nicht brauchte, persönlich kannte.

Nach einigen erstaunlicherweise erfolgreich verbrachten Kunststücke seines eigenen Mundes, schüttete Mister Wonka Senior den Kopf.

„Da werde ich wohl bohren müssen“, sagte er, klang dabei aber nicht im geringsten bedauernd.

„Hat Willy etwa einen schlechten Einfluss auf dich?“

Charlie fuhr zurück. Wie konnte man so etwas nur behaupten! Willy Wonka war das beste, was ihm je in seinem Leben passiert war, wer weiß, wo er ohne ihn wäre. Und er wollte auf keinen Fall zu lassen, dass jemand schlecht über ihn sprach, nicht einmal sein eigener Vater.

Er öffnete den Mund, um eine bemerkenswert beleidigende Entgegnung in den Raum zu stellen, die ihn vermutlich seine Behandlung kosten würde, aber alles, was er letztendlich murmelte war: “Nein.“

Der ältere Mann zuckte angesichts Charlies aufrührerischer Miene den allseits gefürchteten Bohrer, und drückte den Jungen nicht grob, aber bestimmt zurück in den Zahnarztstuhl, bevor er das Gerät einschaltete und das einzige Geräusch im Raum das elektrische Brummen war, dass die Rotation der Spitze verursachte.

„Das will ich auch nicht gehofft haben,“, knurrte er, veranlasste Charlie dazu, seinen Mund weiter zu öffnen und setzte Den Bohrer an. Der Patient wappnete sich gegen den zu erwartenden Schmerz, als der Arzt plötzlich weitersprach.

„Ich sag es ja nicht gerne, Junge, aber ich habe dir eine Menge zu verdanken.“

Er konnte sich gerade noch besinnen, nicht den Kopf zu bewegen, deswegen ließ es Charlie bei einem erschrockenen Augenaufreißen bewenden, dass eine Gefühle aber auch schon zur Genüge widerspiegelte. Warum bedankte Wilbur Wonka sich bei ihm?

„Immerhin hast du Willy zu mir gebracht.“ Ja, das war zum Teil sein Verdienst gewesen, dachte Charlie bei sich und fürchtete sich gleichzeitig vor mangelnder Bescheidenheit, denn es war doch nur selbstverständlich gewesen.

Wie hätte er es unversucht lassen können, wo doch so offensichtlich geworden war, dass Willy Wonka und seine Fabrik dem Ruin bevorstanden, ginge es ihm nicht bald besser?

Außerdem hatte es Charlie schon damals fast das Herz zerrissen, seinen jetzigen Mentor niedergeschlagen zu erleben, so wie das auch nun noch der Fall war, wobei er sich aber der Tatsache bewusst war, dass er das früher schlicht und einfach nicht wahrhaben wollte.

„Überhaupt erkenne ich meinen Sohn kaum wieder, seit ich ihn wiedergesehen habe“, fuhr der andere fort, da Charlie aufgrund des Bohrers in seinem Zahn weder sprechen konnte noch wollte.

„Er scheint so…glücklich zu sein. Früher war er ganz selten so. Natürlich habe ich ihn lange nicht gesehen, aber ich hätte nie gedacht…dass…dass…“ Er brach kurz ab, um sich seinem Handwerk zu widmen und nachdem Charlie seine Kunstfertigkeit auf höchst unangenehme Weise selbst erfahren hatte, beendete er seine Arbeit und sah sehr zufrieden drein.

„Bevor wir zum Geschäftlichen kommen will ich nur sagen, dass ich glaube, dass du ihm unglaublich gut tust.“ Ein kleines Lächeln stahl sich auf sein sonst so hart wirkendes Gesicht und ließ den verbitterten alten Mann für einen kurzen Moment wie einen wirklichen glücklichen Vater aussehen.

Doch die Sekunden verflogen und schon einen Herzschlag später sah er mitnichten unprofessioneller aus als noch vor einer Viertelstunde, als er Charlie an seiner Praxistür empfangen hatte.

„So, Junge, woraus soll deine Füllung bestehen?“
 

Eigentlich hätte Charlie sein Herz nicht mehr in seiner Brust spüren müssen, so hoch schlug es ihm, doch mit jedem Schritt, dem er sich der riesigen Fabrik am Rande der Stadt näherte, hämmerte es schmerzhafter.

Er war gut für Mister Wonka, das hatte sein Vater gesagt.

Diese Worte erreichten sein Gehirn nur langsam. Die Bedeutung des Gesagten formte sich von einem Schemen zu einem deutlichen Abdruck in seinem Kopf.

Wily Wonka konnte etwas für ihn empfinden.

Natürlich nicht das gleiche wie Charlie für ihm empfand, aber das war zuerst nebensächlich. Er konnte ihm wichtig sein!

Gleichzeitig mit diesem fast euphorischen Gedanken in seinem Kopf bemerkte Charlie noch etwas.

Er musste es jemandem erzählen. Zumindest den Leuten, die ihm am nächsten standen, konnte er nicht mehr vormachen, dass er eines Tages ein nettes Mädchen mit nach Hause bringen würde, zumindest nicht so lange er noch mit dem anderen Chocolatier zusammenarbeitete.

Plötzlich steckte Charlie ein Kloß m Hals und dieser wurde mit jedem Atemzug, den er machte, größer, denn jedes Mal musste er sich die Gesichter seiner Familie vorstellen, die ihn ansahen, verletzt oder enttäuscht. Vielleicht sollte er es doch nicht…? Aber dann würde er ja lügen. Und lügen war das Schlimmste, was er tun konnte, das wusste Charlie schon lange.

Die gute Stimmung, die ihn bis gerade eben noch erfasst hatte, schien fast vollständig zu schwinden und um wenigstens noch das schwächste Echo von ihr spüren zu können, lehnte Charlie sich, wie als wolle er sich ausruhen, an einen Laternenpfahl und seufzte.

Auf einmal wurde ihm unglaublich kalt und es dauerte einige Sekunden, bis er die Lage erfasste. Ein Auto hatte ich nass gespritzt, in einer hohen Woge.

Vielleicht hätte er sich besser an den Stromkasten halten sollen.

Konnte dieser Tag noch merkwürdiger werden?
 

Seine Familie hatte mit dem Essen nicht auf ihn gewartet, weil es schon seit Monaten nicht mehr üblich war, dass er unangemeldet ihr Haus betrat. Es tat ihm ein wenig Leid, dass er sich so sehr mit Arbeit eingedeckt hatte, dass sie kaum noch sah, allerdings fühlte er sich so seltsam frei und viel besser als zuvor.

Als hätte er nicht mehr so viele Verpflichtungen, doch wie das wirklich aussah, das sah man ja heute.

Er würde es ihnen trotzdem sagen, nahm er sich vor und schluckte.

Seine Eltern blickten ihn erwartungsvoll, gleichzeitig aber erfreut an. „Charlie! Was für eine wunderbare Überraschung!“, rief seine Mutter und kam auf ihn zu, während sie ihre Hände an der etwas schmuddelig wirkenden Schürze abtrocknete.

„Setz dich doch!“

Das ließ Charlie sich nicht zweimal sagen und schob die Nervosität bestimmt zur Seite, die sich seiner zu bemächtigen drohte.

„Eigentlich bin ich nur hier, weil ich euch etwas sagen wollte“, begann er schließlich und endgültig, wobei er froh war, dass seine Großeltern gerade schliefen.

„Du siehst so ernst aus“, unterbrach sein Vater die darauf folgende Kunstpause, „ Ist irgendetwas passiert?“

Doch sein Sohn schüttelte den Kopf. „Nein, aber ich glaube, es ist trotzdem…. wichtig.“

Dann ließ er den Kopf hängen und starrte auf den Küchentisch, dessen adrette Tischdecke ihn daran erinnerte, dass es ihm nicht immer so gut gegangen war.

Er wollte seinen Eltern keinesfalls wehtun. Andererseits- was war schon so schlimm an seinem anliegen?

Seufzend fasste Charlie sich ein Herz, hob den Blick und sagte mit so fester Stimme wie ihm nur möglich war:

„Mom, Dad, ich mag keine Frauen.“

Für einen sehr, sehr langen Moment herrschte Stille in dem kleinen Haus, die nur von dem gelegentlichen leisen Schnarchen der Großeltern unterbrochen wurde.

Dann sagte jemand: „Ich verstehe dich nicht ganz.“

Jetzt war es Charlie unglaublich peinlich, hier zu sitzen und für einen Moment war er überzeugt, nicht einmal jenes Ereignis vor zwei Wochen hätte ein derartiges Schamgefühl in ihm auslösen können, doch als er sich der Umstände der Situation besann, revidierte er sein Urteil sogleich wieder.

Jetzt musste er sich erklären.

„Ich glaube, ich bin schwul.“

Dann war es heraus. Und diesmal erschien ihm das Schweigen nur noch unheimlicher.

Schließlich begann sein Vater zu sprechen: „Das hätte ich nicht erwartet.“

Neben ihm schüttelte Mrs. Bucket ihren Kopf. „In der Tat nicht, nein.“

„Wie kommst du überhaupt darauf? Ich meine, du hattest doch noch nie- Oh.“

Der leise Monolog beendete sich selbst. Charlie wollte aufatmen, er hatte sich das sehr viel schlimmer vorgestellt. Innerlich schämte er sich schon für die Visionen von Tränen und Schreien. Das hier waren seine Eltern- die ihn liebten, und zwar so, wie er war. Auch, wenn er niemals heiraten würde. Auch, wenn sie niemals Enkel bekommen würden- oder?

„Gut.“ Er erhob sich und sah in die fassungslosen und erschrockenen Gesichter seiner Eltern, was ihn dazu veranlasste, sich auf der Stelle unglaublich missverstanden zu fühlen.

Elend.

„Ich glaube, ich gehe jetzt.“ Seine Stimme klang belegt.

„Nein…doch… Charlie, du hast uns sehr überrascht.“ Die Stimme seiner Mutter klang zittrig und ihm selbst wurde schlecht.

„Das tut mir Leid.“

Es klang nicht einmal ansatzweise so neutral, wie er es gewollt hätte, doch das war augenscheinlich gar nicht nötig.

„Bitte gib uns Zeit, das zu verdauen!“, hörte er seinen Vater noch sagen, bevor er die wenigen Schritte zur Tür hinter sich brachte und sie mit einem lauten Knall ins Schloss fiel, während er fast über den künstlichen Rasen rannte und mit seinen Tränen rang.
 

Rast fand er erst irgendwo tief im inneren, unterirdischen Teil der Fabrik. Hier war es dunkel, da die Zutaten, die hier gelagert wurden, nur wenig Licht vertrugen.

Und jetzt war hier genau der richtige Ort, um sich vor der Welt zu verstecken. Die Umpa-Lumpas würden hoffentlich kein Wort darüber verlieren, wie er, weinend und schluchzend, durch das ganze Gebäude gerannt war, ohne auch nur einen von ihnen zu grüßen, wie es sonst seine Art war.

Und hierher würde Mister Wonka auch nicht kommen. Bestimmt nicht vor morgen.

Das war es, was ihn dazu veranlasste, sich neben einem großen blechernen Behälter fallen zu lassen und sein Gesicht in den Händen zu vergraben.

Warum fühlte er sich so schlecht?

Er hatte doch damit gerechnet, damit rechnen müssen, dass seine Eltern, die zugegebenermaßen nur begrenzt modern dachten, nicht in Freudenschreie ausbrechen würden. Aber er fühlte sich abgestoßen. Als hätte er mit zwei Sätzen eine Mauer zwischen sich und seine Familie gezogen, die er nie wieder einreißen konnte.

Wie gut, dass er ihnen nicht erzählt hatte, woher er wusste, dass er niemals eine Frau haben konnte.

Sie würden ihn nicht mehr ansehen. Oder sofort ausziehen, vielleicht würden sie Mister Wonka anzeigen wollen.

Nein, das würde für immer sein Geheimnis blieben.

Und vielleicht, in ein paar Tagen, Wochen oder Monaten konnte man erste Friedensverhandlungen treffen. Vielleicht würde alles gut werden, doch daran wagte Charlie, in diesem Moment und wirklich tief unten, nicht zu glauben.

Doch je mehr Zeit verstrich, desto froher war er, die Wahrheit gesagt zu haben. Es war, als hätte man ihm eine zweite Haut vom Leib gerissen. Es tat weh, aber jetzt konnte er endlich wieder atmen.

Und die Dunkelheit tat ihm gut. Es war, als wäre sie ein Pflaster, das sich langsam über ihn legte und versprach, dass das alles bald besser werden würde.

Deswegen wartete er und weinte und mit jeder Träne, die seine Wangen hinunterlief und auf den Boden tropfte, fühlte er sich trauriger, aber auch unglaublich viel leichter.

Doch das Schicksal, dass es gut mit den wenigsten Menschen auf der Erde meint, hatte auch heute wieder etwas außergewöhnliches mit Charlie vor.

Es schien ihm, als wären nur Minuten vergangen, obwohl es eigentlich auch hätten Tage sein können, da ging plötzlich das Licht an.

Es war nur schwach und tauchte den Raum in ein warmes Orange, aber es ging an. Und das bedeutete, dass jemand sich im Raum aufhalten musste, den Charlie nicht hatte hereinkommen hören.

Schritte erklangen. Sie waren laut , schwer, hallten von den Wänden wieder und Charlie wettete mit sich selbst, dass sie keinem Umpa-Lumpa gehörten.

Aber vielleicht würde Mister Wonka ihn nicht entdecken. Vielleicht war er nur hergekommen, weil er irgendetwas suchte oder vergessen hatte (obwohl das sehr, sehr selten vorkam )und er würde gleich wieder gehen.

Doch stattdessen kam er näher.

Schmetterlinge begannen sich in Charlies Bauch zu regen, als würden sie nach langem Schlaf wieder erwachen, verschlafen zuerst, aber mit jeder verstreichenden Sekunde wurden sie lebhafter, und ein Kloß verstopfte Charlies Kehle, er konnte kaum noch atmen. Er schloss die Augen.

Er wollte nicht gesehen werden-

Doch zu spät.

„Ah, da bist du!“ Die Stimme war ihm so vertraut, dass er sie unter tausenden erkannt hätte. Sie klang nur gespielt erfreut, und doch gleichzeitig wirklich fröhlich Und ein wenig besorgt.

Mangels Alternativen hob Charlie den Kopf und blickte genau in die violetten Augen seines Mentors.

„Du siehst aber gar nicht gut aus.“

Anstelle einer Antwort, murmelte Charlie: „Guten Tag, Mister Wonka“ und senkte den Kopf erneut, in der Hoffnung, der andere würde gehen, wenn er die offensichtliche Ablehnung spürte.

Doch der andere Chocolatier dachte gar nicht daran.

Mit einer graziösen Bewegung ließ er sich neben Charlie nieder und betrachtete diesen so lange schweigend, bis er sich erheblich gestört fühlte.

„Kann ich Ihnen helfen?“, versuchte er, freundlich zu sein und einen gereizten Unterton zu unterdrücken.

„Aber nicht doch. Ich bin hier, um dir zu helfen, mein lieber Junge.“

Das war allerdings das letzte was Charlie wollte, und nachdem die volle Bedeutung der Worte durch seinen Verstand gesickert war, schüttelte er den Kopf und lehnte ihn gegen den kühlen Behälter, versuchend, das störende Gefühl in seiner Magengrube zu ignorieren, das ihm sagte, er solle dem anderen sofort um den Hals fallen und dann werde alles gut werden.

„Sie können mir nicht helfen.“ Die Verzweiflung kam langsam aber sicher wieder und Charlie stiegen erneut Tränen in die Augen. Aber weinen? Jetzt? Niemals.

„Das ist schade.“

„Ja.“

Er wusste nicht, warum er das gesagt hatte, aber er hatte die leise Ahnung, dass die

Schmetterlinge irgendetwas damit zu tun hatten. Plötzlich spürte er, wie etwas ihn an der Schulter berührte, das er nicht erkennen konnte, er fuhr herum um fand sein Gesicht nur weniger Millimeter von dem seines Gegenübers entfernt.

Wann hatte er sich zu ihm herübergebeugt? Warum lag seine Hand auf Charlies Schulter?

So lange die beiden sich kannten, hatte er derartiges noch nie getan, und als er sich dessen bewusst wurde, wurde Charlie augenblicklich rot. „Du solltest eine heiße Schokolade trinken“, verordnete Willy Wonka, und beim sSrechen streifte sein Atem das Gesicht des kleineren Jungen.

Ein Schauer lief ihm über den Rücken.

Nicht einmal eine Hand trennte ihn von seinem großen Vorbild.

Und dann erhob sich der andere, ebenso elegant, wie er sich niedergesetzt hatte und streckte ihm seine Hand entgegen. „Komm! Wir haben Arbeit, und sie wird ganz abscheulich werden, wenn du so traurig bist.“

Vielleicht half er ihm ja doch, erwog Charlie, als er Willys Hand ergriff und sich auf die Beine ziehen ließ. Ihre Blicke trafen sich erneut, aber diesmal besserte sich Charlies Laune dadurch erheblich.

Denn der Blick und das glatte Latex, das immer noch in seiner Hand lag, sagten ihm, dass, egal was kommen würde, zumindest eine Sache noch lange so bleiben würde, wie sie jetzt war.

Schwarz- Weiß- Kariert

3. Schwarz-Weiß- Kariert
 

The piano keys are black and white, but they sound like a million colours in your mind...
 

„Heute haben wir etwas ganz besonderes vor“, begann Mister Wonka, sobald sie den Erfindungsraum betreten hatten. „…wir wollen karierte Schokolade herstellen.“

Für einen kurzen Moment glaubte Charlie, sich verhört zu haben, doch seinem Mentor schien es sehr ernst zu sein.

„Karierte Schokolade?“, fragte er deswegen ungläubig und sich dennoch gleichzeitig bewusst, dass diese Idee Willy Wonka eher langweilig erscheinen musste.

„Ja, kariert“, antwortete der andere, trat zu einem der vielen Tische und begann, zerstreut aussehend, verschiedenste Werkzeuge und Zettel um sich zu stapeln.

„Stell dir doch vor“, setzte er dann an, und Charlie wurde klar, dass hinter dem Vorhaben, das ihm gerade noch simpel vorgekommen war, viel mehr steckte. „Stell dir doch vor, was wir alles machen könnten! Schokolade wäre nicht mehr einfach nur braun oder weiß, sie wäre gestreift oder gepunktet… Man könnte ganze Bilder aus Mustern malen!“ Charlie

konnte es vor seinen Augen sehen, als der Ältere begann, es farbenprächtig auszumalen. Kleine Kunstwerke aus Schokolade, nicht einfach nur aufeinander platziert, sondern geformt, gemalt, als wäre es nichts zu essen, sondern etwas viel Überdauernderes.

Schokolade war durchaus etwas Wichtiges für Charlie, wenn nicht eines der wichtigsten Dinge überhaupt auf der Welt, doch er wusste schon lange, dass es Menschen gab, die das anders sahen.

Und das ärgerte ihn.

Selbstverständlich konnten Menschen, die diese Meinung vertraten noch nie eine Wonka- Schokoladentafel gekostet haben. Sonst würden sie ja anders denken.

Was für eine Idee, so etwas Ewiges wie Kunst und Süßigkeiten zusammenzubringen- doch das schien nicht ganz dem Plan seines Mentors zu entsprechen.

So weit schien dieser noch gar nicht gedacht zu haben, und Charlie ließ sich schnell anstecken von seinem Enthusiasmus. So einträchtig hatte man die beiden noch nie arbeiten sehen. Es war fast so, als wäre etwas gänzlich Neues zwischen ihnen entstanden, das sie ungleich mehr verband, als es der Gewinn der Schokoladenfabrik und ihre merkwürdige Freundschaft es zu tun vermocht hatten.

Und es war so leicht zu zerbrechen, aber davon wussten die beiden an diesem Abend noch nichts, als sie nebeneinander standen, und sich zwischen den komplizierten Handgriffen und Rezepten immer wieder verschwörerisch zublinzelten.

Über das peinlichste Geschehen in Charlies Leben verloren die beiden kein weiteres Wort.

Es war alles in Ordnung.
 

Es begann am nächsten Morgen.

Am nächsten Morgen, als Charlie erwachte und ihm alles wieder einfiel, was passiert war. Von jenem Abend an, bis zu dem Zahnarztbesuch und die Beichte vor seinen Eltern, zusammen mit der Arbeit danach, dem warmen Gefühl in seiner Magengrube und der Hand, die ihm aufgeholfen hatte.

Er fühlte sich kalt, als er sich daran erinnerte, so als wäre dies Teil einer lange vergangenen Zeit und er würde aufstehen und alles, was er sich erträumt hatte wäre zerplatzt wie eine Waldmeister- Erdbeerseifenblase.

Er erhob sich, nur um zu sehen, dass sein Zimmer immer noch dasselbe war und sich mitnichten etwas verändert hatte.

Er kleidete sich an und bereitete sich darauf vor, zur Schule zu gehen, in der es heute zweifellos auch wenig spannend sein würde.

Doch die Kälte ging nicht weg. Selbst, als er sein Frühstück zu sich nahm und eine Tasse heißen Kakao trank, verflüchtigte sie sich nicht, sondern blieb dort, wo sie war.

„Bist du gesund?“, fragte ihn ein Umpa-Lumpa, als er gerade auf dem Weg nach draußen war.

Er nickte. Ja, das war er. Er hatte keinen Schnupfen und keine Zahnschmerzen mehr, auch kein Bauchweh oder etwas Ähnliches. Er musste wohl oder übel gehen, obwohl ihm noch übler zu mute wurde, als er am Haus seiner Eltern vorbeiging, dessen Bewohner um diese Zeit gewöhnlich noch schliefen.
 

„Irgendwie siehst du heute anders aus“, bemerkte Lucas, als er ihn vor dem Schultor traf. „So richtig fertig.“

Charlie nickte. „Dankeschön.“

„Du weiß genau, wie ich das gemeint hab!“

„Ja. Ich hab nicht viel geschlafen“, erwiderte Charlie, obwohl es nicht stimmte. „Und die Sache mit John…“

Lucas aber winkte ab. „Der kriegt sich schon wieder ein.“ Dann erreichten sie ihr Klassenzimmer. „Sag mal hast du die Hausaufgaben? Ich hab es nämlich nicht verstanden.“

Doch sein Freund konnte nur den Kopf schütteln. „Ich hatte irgendwie keine Zeit.“

„Aber heute.“

Charlie sah seinen jetzigen Banknachbarn verdutzt an. „Aber heute?“

„Ja, wir waren verabredet, schon vergessen?“ Der heranwachsende Chocolatier musste schlucken. Ja, er hatte tatsächlich nicht mehr daran gedacht.

Und bescheid gesagt hatte er auch niemandem, er konnte nicht gehen! Andererseits- Seine Eltern waren vermutlich immer noch schockiert, ihnen würde es nicht einmal auffallen, wenn er heute später nach Hause käme. Und was Mister Wonka betraf- er war sicherlich beschäftigt. An der Schokolade konnten sie heute nicht arbeiten, dazu fehlten Zutaten, außerdem musste sie hart werden, ein bisschen noch, bevor man sehen konnte, was wirklich daraus geworden war.

„Nein“, sagte er deshalb, „natürlich nicht!“

„Dann ist ja gut“, grinste der andere und öffnete sein Mathematikbuch. „Dann schau’n wir mal, was wir so verpasst haben…“
 

Die Stunden vergingen, doch das klamme Gefühl in Charlies Magen wollte nicht verschwinden. Selbst als die Schulglocke läutete und er mit geschultertem Schulrucksack und Lucas wieder auf die Straßen der mittäglichen Stadt trat und die Sonne, nicht mit ganzer Kraft aber doch warm, auf ihr Bäuche schien, fühlte er sich, als hätte er ein wenig zu viel Schokoladeneis gegessen.

„Was wollen wir denn machen?“, fragte Charlie, als Lucas sich Richtung Innenstadt wandte und er immer noch nicht genau weiß, was er mit ihm anstellen würde.

„Wir gehen ins Kino. Du weißt schon… der neue Film mit Heather Runaway läuft heute an.“

Heather Runaway war eine Göttin für Lucas, das wusste Charlie schon lange. Er betete sie an, seit er dreizehn war und das lag höchstwahrscheinlich nicht nur an ihrer großen und gut geformten Oberweite, sondern weil sie, wenn man einmal hinsah, seiner Mutter ähnlich sah, die vor zehn Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen war.

Charlie hatte immer Mitleid mit ihm.

Weil er es niemandem wünschte, dass seine Eltern stürben. Und so schon gar nicht. Wenn er daran dachte, spürte er einen Kloß in seinem Hals und könnte anfangen zu weinen. Wenn es seine Eltern wären… Aber er wischte den Gedanken beiseite, zusammen mit einer energischen Handbewegung.

„Ja, lass ihn uns ansehen. Er soll gut sein!“

Eigentlich hasste Charlie Actionfilme. Doch er ging trotzdem mit, Lucas zuliebe und weil er sich Zuhause in der Fabrik nur allein fühlen würde. Es gäbe nicht einmal John, den er anrufen könnte.

Denn John hasste ihn ja. Oder er hasste Männer, die andere lieben. Und das war Charlie nun einmal, und heute, nach dem gestrigen Abend, war er das bewusster denn je.

Er wünschte, es gäbe jemanden, der ihn verstünde.

Vielleicht würde Mister Wonka es tun, aber ihm konnte Charlie es am allerwenigsten sagen.

Und Lucas? Was war mit ihm? Oder Maximillian? Er hatte Angst davor, dass sie so waren wie John, er hatte Angst davor, nicht gemocht zu werden, weil er das Gefühl hatte, wenn ihn hier draußen niemand mehr mochte, dann würde er dort drinnen ertrinken in der Schokolade und alles, was er von Willy Wonka kannte, würde ihn nie mehr loslassen.

Und dann wäre es sowieso zu spät, sein Geheimnis würde entdeckt werden und er wäre allein.

Völlig allein, weil Willy Wonka ihn dann bestimmt nicht mehr wollte.

Also folgte er Lucas ins Kino hinein, bezahlte mit dem Geld, um das er sich keine Sorgen mehr zu machen brauchte, seit er in der Schokoladenfabrik arbeitete. Und deswegen dachte er kaum noch daran, als er auch Lucas Karte einfach mitbezahlte.

„Ich hoffe, es stimmt, was alle über diese Badeanzugszene sagen“, grinste sein Freund, als sie sich auf den Weg zum Vorführraum machen, „das soll ganz schön heiß werden.“

Charlie nickte, abwesend, denn bei dem Wort ‚heiß’ konnte er nun mal nur an warme Schokolade denken.

Vielleicht verbrachte er einfach zu viel Zeit mir ihr.
 

Von dem Film selbst bekamen beide nicht besonders viel mit, obwohl die besagte Szene ihrem Ruf in nichts nachstand.

Doch neben Lucas saß ein Mädchen. Catherine wurde es von ihrer Freundin gerufen und von dem Moment an, als Lucas sie sah, war sein Blick an sie gebunden.

Charlie fragte sich, was er überhaupt hier verloren hatte, wenn sich sein Schulkamerad weder für ihn noch für ihr Vorhaben interessierte, doch eine Antwort fand er nicht.

Nicht einmal, als Lucas ein wenig ihrer Cola verschüttete, nur um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Tatsächlich kamen die beiden ins Gespräch, doch alles andere war vergessen. Zumindest war Charlie nicht allein, und das würde später zu einer Bemerkung seitens Lucas führen, es sei in diesem Fall ja nicht so schlimm gewesen, die wiederrum die eigentlich Katastrophe nach sich ziehen würde, denn die ebenfalls anwesende und sichtlich verzweifelte Freundin wurde immer gereizter angesichts der neuen Bekanntschaft ihrer Verabredung und warf Charlie über die Schultern der anderen beiden immer wieder flehende Blicke zu, die er zu beantworten versuchte, in dem er die beiden anderen kurzzeitig von ihrer Unterhaltung ablenkte, was allerdings nie lange anhielt. Und so waren sie froh, als der Abspann eingespielt wurde und sie sich von ihren Plätzen erheben konnten, um an die frische Luft zu gehen, von der Charlie glaubte, sie nun dringend nötig zu haben.

„Schrecklich“, flüsterte die Verzweifelte Freundin ihm zu und zusammen sahen sie den beiden Sprechenden hinterher, die ihre Telefonnummern austauschen und ohne sie zu bemerken das Kino verließen.

„Hey, Charlie!“, hörte er da auf einmal jemanden hinter sich rufen. Es war John, in seiner besten Ausgehuniform, mit einem T-Shirt eines bekannten Markenproduzenten und seinen neuen grünen Turnschuhen.

Das Mädchen, das bis gerade eben noch neben Charlie gestanden hatte, blickte von ihm zu John und zurück und entschied sich dann, ihrer Freundin hinaus zu folgen, um sie möglicherweise noch zu Gesicht zu bekommen.

„Hi, John“, entgegnete Charlie.

„Hör mal“, begann Charlies ehemals bester Freund, als das Mädchen außer Hörweite war, „es tut mir leid, dass ich so stur war.“

Das war eine höchst überraschende Entschuldigung, denn John war gemeinhin dafür bekannt, nicht besonders nachgiebig oder einsichtig zu sein.

Doch Charlie, dem sie galt, konnte sich nicht darüber freuen. „Das ist doch kein Problem“, erwiderte er trotz allem, nahm sich aber vor, niemals wieder jemandem seine Gefühle zu verbergen. Trotz der Aussicht darauf, vielleicht allein zu sein, wollte er das Risiko nicht eingehen, jemand könnte ihn falsch verstehen. Vor allem aber hatte er das Gefühl, John die Wahrheit sagen zu müssen.

Außer vielleicht Willy Wonka, aber daran würde er später bestimmt noch oft genug denken.

Egal, ob er sie hören wollte. „Willst du, wenn wir uns jetzt wieder verstehen, mitkommen… du weißt schon, tanzen? Heute Abend?“

Jetzt oder nie, nahm Charlie sich ein Herz, weil tanzen nur bedeutete, dass John vorhatte, mit Mädchen zu flirten, und davon hatte er heute schon mehr als genug gehabt.

„Ich glaube nicht. John…“ Er druckste ein wenig herum, war sich aber dadurch der ungeteilten Aufmerksamkeit des Anderen sicher. „Was ist denn los?“, fragte der, wirklich besorgt klingend.

„Nichts“, antwortete Charlie rasch, da er ihm keinen Kummer bereiten wollte. „Aber ich bin schwul.“

Für einen Moment schien John wie versteinert. Dann verzog er das Gesicht und drehte sich um. „Vergiss es“, sagte er und der Ekel in seiner Stimme war unüberhörbar.

Charlie war, als würde sich die Kälte, die bis gerade eben noch in seinem Magen residiert hatte, nun sein Herz umklammern.

Das hier war nichts, was man mit ein paar Worten bereinigen konnte. Es war viel zu endgültig und er fühlte, dass er sich gleich erbrechen würde.

Dann verließ er das Lichtspielhaus und hoffte, er könnte dies einfach vergessen.
 

Draußen wartete Lucas auf ihn.

„Was hast du da drin gemacht?“, fragte er verständnislos und sah demonstrativ auf seine Armbanduhr.

„Was hast du denn hier draußen gemacht?“, wurde ihm erwidert, während Charlie versuchte, seine rasenden Gedanken in geordnete Bahnen zu bringen. Schließlich war es das gewesen, was er gewollt hatte, oder? Die Wahrheit.

„Ich habe ein Date“, strahlte sein Freund, als hätte er nur auf die Frage gewartet, „Morgen!“

„Herzlichen Glückwunsch“, sagte Charlie und meinte es so. Er verstand nicht, warum es für die anderen so einfach sein sollte. Nur er musste verstecken, was er fühlte.

Und das trieb ihm die Tränen in die Augen, aber er verbot sich, zu weinen, blinzelte und lauschte Lucas, der ihm Details des vergangenen Nachmittags aufzählte.

„…hab ich dich ja ganz schön vernachlässigt. Willst du mit zu mir kommen? Dann trinken wir einen, so zur Feier des Tages.“

Obwohl Charlie nicht sagen konnte, was er zu feiern hatte, stimmte er zu. Dieser Tag war schlimmer gewesen als der gestrige, doch zumindest für seinen Freund hatte er sich gelohnt.

Außerdem würde ihm ein wenig mehr Abstand von zuhause wohl kaum noch schaden können. Im Gegenteil, als er aus der ferne die gewaltigen Schornsteine der Fabrik in den Himmel ragen sah, fühlte er sich wohl bei dem Gedanken, dass er nicht dorthin zurückgehen würde, zumindest jetzt noch nicht.

„Catherine spielt Geige“, erzählte Lucas Charlie. „Und morgen besuche ich eines ihrer Vorspielen. Sie ist bestimmt wunderbar.“ Charlie lächelte nur und dachte an John. Und an Mister Wonka. Und an seine Eltern. Und an all das, was noch passieren konnte.

Und er dachte daran, wie gerne er Willy Wonka küssen würde. Doch das war nur eine Phantasie, die er vergessen musste, wenn er wieder dort ankäme. Bei ihm und der Arbeit, die dort auf ihn wartete.

„Du hörst mir nicht zu!“, beschwerte sich der andere plötzlich und schaute ihn gespielt entrüstet an.

„Hat dein Chef dich heute Nacht nicht schlafen lassen?“ Der letzte Teil des Satzes klang ein bisschen provokant und Charlie verzog das Gesicht.

„Er schon. Meine Eltern nicht.“

„Warum das denn?“ Lucas Gesichtsausdruck machte deutlich, dass er an dieser Antwort ziemlich zu knabbern hatte.

„Meinungsverschiedenheiten.“ Charlie zuckte mit den Schultern. Schweigend erreichten sie das Haus, in dem die Familie seines Klassenkameraden wohnte.

„Niemand da“, bemerkte Lucas erleichtert, als er die Tür aufschloss. „Wir haben freie Bahn.“

Dann streifte er seine Schuhe ab, verschwand im Hausinneren und überließ es Charlie, hineinzufinden.

Als er seinen Freund fand, hatte dieser sich schon mit zwei Bierflaschen bewaffnet und war auf der Suche nach einem Flaschenöffner.

„Setz dich“, riet er, „Das Wohnzimmer ist zwei Türen weiter, es könnte noch dauern.“

Kurz darauf stieß er jedoch voll ausgerüstet zu ihm.

„Nun denn- Auf das Leben und die Liebe“, lobte er und Charlie hob die Hand, um mit ihm anzustoßen.

Er trank nicht oft Alkohol, eigentlich so gut wie nie, weil er zu den Parties und Veranstaltungen auf denen es möglich und nötig gewesen wäre, nie eingeladen wurde. Und allein, zuhause… was hatte das schon für einen Sinn?

Deshalb war er auch mehr als skeptisch, als er an seiner Flasche nippte, und zu Recht: angewidert verzog er das Gesicht und stellte die Flasche zurück auf den Tisch. „Ist das widerlich!“

„Du hast recht“, meinte auch Lucas, „Deutsches Bier ist halt das einzig wahre. Was für eine Plärre.“

Trotzdem trank er unverdrossen weiter, während er von Charlie beobachtete wurde, wie seine Bewegungen langsam fahrig wurden und seine Stimme immer undeutlich, sein Redefluss dafür üppiger.

„Man, das wir das mal machen würden“, nuschelte er irgendwann, obwohl er noch gar nicht richtig betrunken sein konnte, „das hätte ich ja nicht gedacht.“

Charlie lachte und streckte sich auf dem Sofa aus. Dann begann er, den langen Geschichten zuzuhören, die sein Freund erzählte und die Welt und die Zeit zu vergessen.
 

Am nächsten Morgen, der glücklicherweise ein Samstag war, erwachte er unsanft, weil er spürte, wie sein Körper sich im freien Fall zwischen Sofa und Boden befand.

Ächzend landete er auf dem gelben Teppich, der vor der Couch lag und gähnte, nicht bemerkend, dass dies nicht seine vertraute Umgebung war. „Guten Morgen!“, wünschte ihm plötzlich jemand und mit einem Schlag war der Junge ganz bei sich.

Dies war nicht die Stimme eines Umpa-Lumpas oder seiner Mutter oder auch sonst niemandes, der in der Fabrik lebte.

Erschrocken rappelte er sich hoch. „Wo bin ich?“, fragte er aufgeregt.

„Bei mir.“ Lucas lachte. „Wir wollten einen trinken, schon vergessen?“

Daraus war wohl nichts geworden und in einem letzten Anflug von Schlaf verstrubbelte Charlie sich die Haare.

Dann holte ihn die Wirklichkeit ein. „Ich habe niemandem Bescheid gesagt!“, rief er und machte Anstalten, vollständig aufzustehen. „Die ganze schöne Arbeit!“ Sie würde ruiniert sein, wenn sich niemand darum gekümmert hatte. Und das war doch seine Aufgabe…Er wollte gar nicht daran denken. Nur jetzt so schnell wie möglich zurück. Das kalte Gefühl, dass auch heute noch da war, ignorierte er einfach.

„Ich muss gehen“, sagte er zu Lucas und überhörte dessen Kommentar, das aussagte, dass er viel zu sehr nach der Pfeife seiner Arbeit und der Familie tanzte.

Dann hetzte er zur Tür.
 

Ein Umpa- Lumpa wartete direkt hinter dem Eingangstor, sobald er das Innere der Fabrik betreten hatte.

„Ich melde lieber, dass du da bist“, sagte er, „alle sind in heller Aufregung.“

Damit wusste Charlie alles, was er musste. Und er brauchte sein schuldbewusstes Gesicht nicht einmal aufsetzen, als er in den Schokoladenflussraum schritt, der ihn am schnellsten zu den Arbeitsräumen bringen würde.

Das erste, was er sah, war sein Vater, der, seine Mutter umarmend auf einem der großen Bruchschokoladenhügel stand. Es sah so aus als würde sie weinen oder lachen, aber was es auch war, Charlie beeilte sich, es herauszufinden.

„Wo warst du?“, fragten ihn seine Eltern.

„Bei Lucas“, antwortete er. „ich bin dort eingeschlafen. Tut mir leid.“ Zähneknirschend senkte er seinen Blick und widerstand nur mit Mühe der Versuchung, mit dem Fuß auf dem Boden zu scharren.

„Oh Charly!“, rief seine Mutter und es hallte durch den ganzen weiten Saal, „ich habe mir solche Sorgen gemacht!“

Dann umarmte sie ihn stürmisch, während sein Vater ihn misstrauisch musterte.

Auf einmal fühlte Charlie die Brücke wieder und die Kälte in seinem Bauch verwandelte sich in Eis.

„Es tut mir Leid“, sagte er und befeite sich aus den Armen seiner Mutter um sie auf die Wange zu küssen. „Es war nur ein dummes Missgeschick.“

Dann drehte er sich um, um die wichtigste Person zu finden, bei der er sich entschuldigen musste:

Willy Wonka.
 

Er musste drei Umpa- Lumpas fragen, bis man ihm sagte, dass Mister Wonka seit gestern Nachmittag nicht mehr aus dem Experimentierraum herausgekommen war und mit jedem Mal wurde ihm das Herz schwerer. Er hätte sich nie darauf einlassen dürfen. Er hätte anrufen sollen, mindestens. Es war einfach nicht richtig so. Und mit jedem Schritt den er auf den besagten Raum zumachte, verstärkten sich seine Schuldgefühle, bis er das Gefühl hatte, weinen zu wollen und das Eis seine Brust einfror, so dass er kaum atmen konnte.

Was würde Willy sagen? Würde er wütend sein, enttäuscht? Würde er darüber hinwegsehen, weil es vorher noch niemals vorgekommen war?

Sein Puls rauschte in seinen Ohren, als er heftig gegen die Tür pochte.

Er wartete einen Moment, doch alles, was er aus der Tür vernehmen konnte, war das Brummen der Arbeitsgeräte und ein kurzer Laut, der eindeutig von dem anderen Chocolatier kommen musste, aber weder als Zustimmung noch als Ablehnung gedeutet werden konnte.

Er öffnete.

An einem Tisch ungefähr in der Mitte des Raumes stand Willy Wonka, über eine Tafel Schokolade gebeugt, die Charlie allerdings nicht sehen konnte.

„Du solltest dich um deine Arbeit kümmern“, begann er, ohne aufzusehen. „Denn sonst geht sie ein, und das würde doch niemand wollen…“ Charlie setzte zu einer Antwort an, aber noch ehe er Luft holen konnte, fuhr sein Lehrer fort.

„Außerdem solltest du dir besser nicht angewöhnen einfach zu gehen, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Deine Eltern waren ganz krank vor Sorge.“

Seine Stimme klang ruhig, viel ruhiger als sonst, schon fast gefährlich. Es war ein unberechenbarer Tonfall, und weil Charlie nun wusste, dass sein gegenüber wütend war, wurde ihm schlagartig klar, dass er jenen noch niemals wirklich zornig gesehen hatte.

„Es tut mir leid“, murmelte er und traute sich nicht, noch ein einziges Wort auszusprechen, obwohl ihm tausende Möglichkeiten einer Erklärung eingefallen wären.

„Das ist gut“, stellte Mister Wonka fest und klang deutlich befriedigt. „das sollte es nämlich auch.“

Dann bedeutete er Charlie näher zu treten, so dass dieser die auf dem Tisch liegende Schokoladentafel betrachten konnte. Sie war kariert.

Und in diesem Moment begriff er, dass das Leben auch schwarz- weiß- kariert war, ebenso wie das Ergebnis ihrer Arbeit. Egal, wie düster es aussah, irgendwann würde ein weißer Streifen kommen und den schwarzen überschatten, so dass alles wieder gut sein würde.

„Es hat trotzdem funktioniert“, sagte Willy nun, „weil du phantastische Arbeit geleistet hast.“

Und dann tat er etwas, das Charlie niemals von ihm erwartet hätte-

Er drückte den roten Knopf, der alle Gerätschaften mit sofortiger Wirkung ausschaltete und klopfte sich die Hände an seinem Mantel ab.

„Aber jetzt ist Wochenende. Das kommt gerade Recht nach dem ganzen Trubel!“

Damit ging er einfach an Charlie vorbei, der erst nach ein paar Sekunden bemerkte, dass er dem Älteren folgen sollte.

Und als die Tür des Experimentierraums hinter ihnen zufiel, geschah noch etwas sehr merkwürdiges.

Mister Wonka, der einem Menschen normalerweise niemals zu nahe kam, legte eine Hand auf Charlies Schulter.

„Du weißt ja nicht, was ohne dich hier passiert“, sagte er, leiser als gewöhnlich und noch bevor Charlie sich versah, fand er sich näher an seinem Vorbild, als er jemals gedacht hatte.

„Es war ganz schrecklich. Bleib nie wieder weg.“

Und als Charlie die Arme spürte, die an seinem Rücken drückten, den Atem, der seinen Hals kitzelte, gerade so, dass man noch etwas ahnen musste, und die Kälte in ihm Schmolz wie nicht- wonka’sches Schokoladeneis in der Sonne, ja, als Willy Wonka an jenem Morgen vor lauter Erleichterung Charlie Bucket umarmte, wusste dieser, dass sein weißer Streifen begonnen hatte



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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Izumi-chan
2009-01-18T12:15:12+00:00 18.01.2009 13:15
Ärgerlich, wenn Kommentare nicht gespeichert werden...
Also:
Ich mag diese Geschichte ^^;
Ich mag sie wirklich.. Habe mich sehr gefreut, als ich eben (verspätet?o.O) gesehen habe, dass es ein drittes Kapitel gibt.
Was mir sehr gefällt ist, dass zwischen der Irrealität der Umpa-Lumpas (etc) doch so realistische Zustände herrschen.
Und ich leide mit Charlie.
Sehr erfreulich ist auch der grammatikalische Zustand dieser Geschichte.
Ich freue mich jedes Mal, soetwas zu finden ;D
Also, man.. liest sich
Izumi-chan :3
Von: abgemeldet
2008-12-05T21:13:10+00:00 05.12.2008 22:13
Noch kein Kommentar hier? Tss...
Na ja, ich hab das Kapitel ehrlich gesagt auch nur überflogen, hab grad nicht so viel Zeit...
aber irgendwie mag ich die Geschichte und ich find das total toll, wie du es schaffst, Willy Wonka einzufangen...
Ich kann mir richtig vorstellen, wie er sich verhält und das bekommt sicher nicht jeder so gut hin wie du :)
Oh, ach so, können die sich dann bitte mal schneller näher kommen? :D
Das ist immer so gemein an deinen FFs, da muss man ewig warten, bis mal richtig was läuft :P
Nein, mach ruhig langsam, dann wirds bestimmt besser, ich bin nur so ungeduldig... sorry :D
Von: abgemeldet
2008-07-20T17:56:29+00:00 20.07.2008 19:56
Hm.
Ein, ein wenig beruhigter, KOmmentar zu VOM SELBEN STERN.
Du weißt, ich steh nicht so auf dieses Fandom, es hat für mich nicht so viel Reiz. Aber du weißt genauso, ich liebe deine Stücke und DIE GRÜNE FEE hat es mir angetan, nicht nur, weil es um Sex ging (O.o?) oder weil es für mich war (:D), sondern weil dein literarisches KÖnnen wirklich sehr vieles Übersteigt. Nicht zu letzt meine eigenen Fähigkeiten (Ich weiß, dass es scheiße ist, jemanden zu Loben, in dem man seine eigenen Skills in den Boden Stampft. Aber ich tu's jetzt einfach trotzdem, weil's stimmt. Auch, wenn ich dazu sagen muss, dass das kompliment nicht sonderlich viel Wert hat, wenn du dir meinen Stil anschaust und feststellen musst, dass er grottig ist. Aber, das muss ich mir doch zugute halten, es ist ne große Leistung von mir, über meinen eigenen Schatten zu springen, meinen Egoismus zu f**ken und meine Intellektualität zu vermindern, bzw. auszulöschen.SO. Weiter im Text).
Die Enführung in dieses Fandom ist dir bei diesem Stück gut gelungen. Wir beobachten den kleinen Charlie Bucket, wie er ein bisschen erwachsener wird (Lustig, bei dem Satz fängt mein bruder, den ich durch die Tür hören kann, oben an zu kreischen. Dieses typische ich-ficke-einen-Sessel-kreischen. -.-), und auch noch, wie er gefallen an einer ganz bestimmen Vorstellung findet...Uhuh! Und dann - natürlich, so ist das bei Fanfiction-Autoren - kommt der Betreffende ins Zimmer. Am Ende, dieser Satz während er hinausgeht...raffiniert, raffiniert! Raffinade, sollte man also sagen. Aber es klingt wie Erdbeermarmelade, also, vergessen wir's.
Auch hier: Schreib doch mal weiter. Du schreibst so klasse.
la reine prochaine.
Von: abgemeldet
2008-05-11T18:46:38+00:00 11.05.2008 20:46
Ach... was soll ich schreiben? Mhh...
Also erstmal... ahhh, armer charlie, ziemlich dumm gelaufen... :D
Aber andererseits irgendwie ne lustige Situation, wenn man das so liest mit deiner schreibweise... (welche ich immer noch lieeeebe) xD
Und dann fällt mir noch ein, dass man schon ein bisschen ne Verbindung zum Film herstellen kann... hast es geschafft, das ganze teilweise oder auch immer so zu formulieren, wie der Erzähler im Film spricht...
Aaaach find ich allgemein jedenfalls wirklich schön und schreib bitte schnell weiter :)


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