Schnee
Kalt.
Unendlich kalt war diese Nacht, die mit Schnee bedeckten Straßen, die nicht mal den Hauch eines Menschen in dieser toten Stadt erahnen ließen.
Einsam.
Kalt.
Ich wollte stehen bleiben, mich umsehen, doch etwas trieb mich voran. Ich konnte nicht mal sagen woher ich diese letzten Kraftreserven nahm. War es... der Wunsch am Leben zu bleiben? Was war hier passiert? In dieser verfluchten Stadt.
Dabei wollte ich doch nur einer alten Bekannten einen Besuch abstatten, und nun kämpfte ich ums Überleben. Was war nur geschehen?
Holy Town war nun wirklich kein gefährlicher Ort gewesen, und nun? Nun waren sie alle tot. Keiner hatte überlebt.
Niemand.
Außer mir.
Keiner hatte diesen alten Legend heute noch glauben geschenkt. Keiner hätte auch nur im Ansatz noch darüber nachgedacht, ob etwas Wahres an der Geschichte sein könnte. Und nun waren alle tot.
Meine Verwandten, meine Freunde und alle Kindheitserinnerungen an diesen Ort. Alle ausgelöscht von der Grausamkeit einer Legende.
Von der Grausamkeit der Vampire.
Und ich, als einzige Überlebende in diesem wahrgewordenem Albtraum. Womit hatte ich das verdient? Warum kämpfte ich noch weiter? Man hatte mir alles genommen. Ich hatte weder Bekannte, noch Familie oder ein Zuhause, kaum noch mein Leben.
Nur die Angst und diese unendlich stechende Kälte.
Und die schneebedeckten Straßen unter meinen Füßen.
Nicht mehr und nicht weniger.
Wohin sollte ich gehen? War es denn überhaupt möglich vor diesen Wesen zu fliehen? Wollte ich das überhaupt noch?
Ich war müde und Kraftlos. Die einzige Spur die ich hinterlassen sollte, wäre wohl die Blutspur hinter mir, die den weißen, unberührt reinen Schnee in ein tiefes Rot tränkte. Mit Mühe und Not schleppte ich mich den Hügel vor dem kleinen Dorf hinauf in die Kirche.
Nun war es vorbei, mein Leben endete. Meine letzten Kraftreserven verschwanden und ich brach im Schnee zusammen.
Es hatte keinen Sinn mehr.
Das letzte was ich vor meinen Tod vernahm, waren die Töne Gottes.
Ein letztes Orgellied.
Begierde
„Meine Güte! Was ist schon dabei?“ ein leises Gefühl von Ärger überkam mich. Wollte er nicht oder was war das Problem.
„Also komm schon. Das kann nun doch einfach nicht dein Ernst sein. Das ist etwas ganz Besonderes.“ In welcher Zeit lebte dieser Kerl eigentlich noch? Wie prüde war das denn?
„Du weißt, dass ich mir auch jemand anderen suchen kann?“ Allein schon an seinem Blick merkte ich, dass ich einen Sieg errungen hatte.
Langsam nahm er die unteren Knöpfe seines Hemdes in Bearbeitung. So beim betrachten seines, immer unbedeckter werdenden, Oberkörpers, merkte ich nun auch ein weiteres Mal, wie attraktiv er aussah. Dieser unglaublich trainierte, schlanke, anmutige Körper, gepaart mit diesen etwas längeren Haaren und dem femininen Gesicht.
So richtig unpassend zu diesem viel zu schüchternen Wesen. Langsam und mit einem Seufzen streifte er nun das lose Kleidungsstück von seinen Schultern.
„Na also, geht doch!“ warum zierte sich dieses Mädchen nur immer so… Neugierig betrachtete ich die Bissspuren an seinem Hals und die Narben an seinem Körper. „Und die sind wirklich von deinem Mentoren?“ das konnte man sich beim besten Willen nicht vorstellen. Nun ja, wenn man nun aber bedenkt, dass sich unser Kleiner hier so gewehrt hatte am „Leben“ zu bleiben.
„Von wem denn sonst? Ich bin schließlich nur einmal gebissen worden!“ Etwas zickig machte er sein Hemd nun wieder zu. Er mochte sein Leben als Vampir nicht sonderlich. Aber nun ja, ändern konnte er es jetzt ja wohl schlecht.
Ich setzte mich etwas auf Abstand, konnte aber nicht umhin, seinen Hals weiter anzustarren. „Mein Gott… Du bist schlimmer als ein Typ bei einer Frau mit großen….“
Ich grinste.
„Mit großen WAS?“ fragte ich noch mal nach und beugte mich nach vorn.
„M…mit großen Augen!“
Ahhhhhhh ja.
Hinter mir fiel die Tür ins Schloss. Unser Mentor betrat den Raum. Auch er sah zum anbeißen aus… Groß, grüne Augen, elegant. Lange schwarze Haare, ein Traum.
„Reika? Hast du schon wieder Joshua geärgert?“
Mein Blick verharrte auf ihm.
„Aber nein Yoel, so was würde ich doch niemals tun.“ Ich lachte. Aber als ärgern empfand ich das nun wirklich nicht.
Er war immer einer von der ruhigen Sorte gewesen. Jedoch wusste ich, dass man als Frau auch sein inneres Feuer entfachen konnte. Jedenfalls wenn man das wollte…
Auch mich quälten ab und an die Gelüste. Allerdings… nun ja.
„Könntet ihr euch mal zur Abwechslung etwas Erwachsener verhalten?“ Er leckte über seine Lippe. Sinnlich, aber sachlich. Denn ich wusste, was das zu bedeuten hatte. Ein neuer Auftrag. Eine neue Reise. Ein neues Ziel. „Wie lange denn diesmal?“
„Nun ja, wir reisen mit dem Zug, daher knapp zwei Tage.“
Zwei Tage? Das gab ihm genug Gelegenheit mich wieder einmal blasser aussehen zu lassen, als ich es schon von „Natur“ aus war.
Ja, ich begehrte ihn, wie so ziemlich jede Frau. Doch für mich war er unerreichbarer als jeder andere. Er war mein Mentor. Mein Meister, jemand, der sich nicht mit einem niederen Wesen einlassen würde. Außer dieses Wesen würde sich früher oder später als sein Futter oder einfach als Sklavin in gewissen Lebenslagen erweisen.
Nein, er war kein böser…. Vampir. Nur einer, der, wie jeder seiner Art, nach den schönen Dingen der Welt der Sterblichen strebte.
Außer vielleicht Joshua, er war noch nicht lange genug einer der unseren, um zu wissen, welche Vorteile man in diesem untoten Körper haben konnte. Und ich weigerte mich meine Lust an irgendeinen zu verschwenden.
„Wer war es denn diesmal?“
Man konnte ihn förmlich innerlich seufzen sehen. Das wäre eigentlich schon genug der Antwort gewesen, aber er konnte es nicht lassen, den Namen seines „liebsten“ Freundes mit einer solchen Trübsal-Stimmung rüberzubringen, dass man nicht anders konnte, als die Ironie rauszuhören.
„Remiel…“
Auch ich konnte mich nicht wirklich mit diesem Typen abfinden. Er war einfach das letzte. Selbst ein Vampir und doch bezeichnete er uns als Dämonen, die nötig waren, um das Himmelreich als das erscheinen zu lassen, das es nun für die Menschen ist.
Ich konnte es nicht leiden, wir waren immerhin nicht Jesus.
Diesmal war es Joshua, der sich zu Wort meldete.
„Wie viele Opfer…gab es?“
Ich hatte das Gefühl sein Erlebnis von damals lies ihn nicht los. Wie auch. Solche Bilder brannten sich auf ewig in das Gehirn ein. Niemals konnte man es vergessen. Das viele Blut. Die Schreie. Die Melodien und der Schnee…
„Zum Glück nur zwei. Zu mehr kam dieser Bastard nicht.“
Es schien, als wäre eigentlich ja schon alles im Reinen. Wieso also mussten wir dort überhaupt hin? Sie hatten ihn geschnappt, die Opfer schienen auch schon identifiziert gewesen zu sein und alles war bekannt. Also wieso wir?
Yoel musterte mich. Ich hasste es wenn er das tat. Es war, also würde er direkt durch mich hindurch sehen. Ich wurde rot, soweit die Blutreste in meinem Körper das zuließen.
„Hab ich was im Gesicht oder so?“
Ich blickte zu Boden und sorgte dafür, dass meine Haare weitestgehend mein Gesicht bedeckten. Ich begehrte ihn, vielleicht liebte ich ihn sogar, doch solche Gefühle durfte ich mir einfach nicht leisten.
„Nein, du bist so hübsch wie immer Reika. Aber du wolltest mich etwas fragen, oder?“
Mit eleganten und leisen Schritten kam er auf mich zu, und wendete mein Gesicht wieder dem seinen zu. Mir blieb nichts anderes übrig, als seinem Blick so gut es ging auszuweichen. Meine einzige Rettung war wieder einmal Joshuas Tollpatschigkeit.
Das arme Glas musste sein Leben für meine Rettung lassen. Was mich jedoch wirklich verwunderte war, dass Yoel nun seinen neusten Anhänger böse anblickte. Lief da was, dass ich nicht wusste?
Es konnte doch unmöglich deswegen gewesen sein… nein, niemals. Oder konnte es doch sein… konnte es sein das mein Mentor…. Das dass eben sein Lieblingsglas gewesen war?
„Nun ja, spart euch eure Fragen. Geht nun schon mal und packt. Wir sind lange genug unterwegs, da könnt ihr mich noch immer löchern.“
Ich hasste packen. Es war so nervtötend.
Aber da er es befahl, hatte ich nun mal keine Wahl.
Sein Wunsch war mein Wille.
