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Hunger

von

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Fragen

Teil 1 – Fragen
 

Alles war so wie immer, und doch verhielt sich Zorro heute anders als sonst.

Er tat etwas, was er sonst nie tat und vor allem heftig geleugnet hätte, wenn ihn jemand darauf angesprochen hätte. Er beobachtete, und zwar nicht wahllos irgendwen, denn er hatte immer ein waches Auge auf seine Nakama, sondern jemand bestimmtes.

Während er einen Teil seiner Aufmerksamkeit darauf verwendete, seinen Teller und die ihm zugeteilte Portion vor den gierigen Klauen seines Kapitäns zu schützen, konzentrierte der andere Teil sich auf die Person, die ihm den Teller soeben vor die Nase gesetzt hatte.

Tiefgrüne Augen beobachteten, wie die blonde schlanke Gestalt jedem anderen am Tisch einen Teller reichte und, bei der Frauenquote der Besatzung angelangt, sich mal wieder vor Entzücken überschlug. Die Reaktion der Damen war die Übliche – ein amüsiertes Lächeln von Seite der Archäologin und ein genervtes Schnauben à la „Reg dich ab und sabber mir nicht die Schulter nass!“ aus dem Mund der Navigatorin.

‚Manche lernen es nie…’ zuckte es flüchtig durch Zorros Kopf. Der Koch gehörte definitiv dazu. Ein wenig enttäuscht – es hielt sich in Grenzen, war er die harschen Abfuhren seiner geliebten Nami doch längst gewohnt – lehnte der Blonde nun in der Tür, die aus der Kombüse hinaus an Deck führte und rauchte vor sich hin.

Zorro runzelte kaum merklich die Stirn, während er sich eine Gabel voll Nudelauflauf in den Mund schob. Und wieder machte ihm diese eine Frage zu schaffen, die er sich in letzte Zeit schon sooft gestellt hatte, auf die er aber nie eine Antwort gefunden hatte.
 

Warum aß Sanji so gut wie nie etwas?

Warum gab er jedem aus seiner Crew reichlich zu Essen, wann immer dieser auch nur das kleinste Anzeichen von Hunger zeigte, und schien dabei zu vergessen, sich selbst etwas zu nehmen? Egal ob Frühstück, Abendessen, Tee oder sonstigen Gelegenheiten, bei denen gegessen wurde – und das waren einige, immerhin hatten sie Ruffy als Kapitän – es lief jedes Mal nach dem gleichen Muster ab: Jeder bekam zu Essen, und Sanji stand dabei und sah zu.

Zorro konnte sich das nicht erklären. Irgendwann bekam jeder doch mal Hunger! Jeder – außer ihrem Koch. Die verschiedensten, teilweise abenteuerlichen Theorien hatte er schon aufgestellt, was diesem nicht existenten Bedürfnis nach Nahrung wohl zu Grunde liegen könnte, und alle hatte er sie wieder verworfen.

Und mit der Frage, warum der Smutje nie aß, kam zwangsläufig noch die nächste Frage, auf die Zorro ebenfalls keine Antwort hatte: Wie machte er das, oder besser: Wie konnte er das so lange aushalten? Es war nicht so, dass man dem Blonden nicht ansah, dass er kaum aß, schließlich war er mit Abstand der dünnste an Bord; eine Tatsache, die ihm jedes Mal aufs Neue auffiel, wenn sie irgendwo an einem Strand waren. Sanji war sogar zierlicher als Nami. Aber wer so wenig Nährstoffe zu sich nahm, musste doch früher oder später Probleme kriegen! Zorro war vielleicht kein Arzt, aber er wusste zumindest, dass er am Tag eine bestimmte Menge Essen benötigte, um überhaupt leben zu können. Und auch wenn Sanji deutlich weniger brauchte als er, weil er kleiner und zierlicher war – von Luft und Liebe war noch niemand satt geworden. So wenig, wie der aß, dürfte er doch gar nicht mehr aufrecht stehen können…

Langsam und möglichst unauffällig glitten Zorros Augen über die schmale Statur des Koches.

Wenn man ihrem Arzt glauben durfte, so war der Kochlöffel gesund und fit. Und Zorro glaubte Chopper, und er glaubte den Tritten, die ihm Sanji bei jedem ihrer kleinen ausgearteten Wortgefechte verpasste. Da steckte Power dahinter, die nur ein gesunder Körper aufbringen konnte.

Was also war des Rätsels Lösung? Wie war es möglich, so gut wie nichts zu essen und trotzdem körperlich auf der Höhe zu sein? Er wusste es einfach nicht.
 

Namis Stimme, in der Besorgnis mitschwang, riss Zorro aus seinen Gedanken in die Gegenwart zurück.

„Sanji, ist alles in Ordnung? Hast du Bauchschmerzen?“ fragte die rothaarige junge Frau gerade.

5 weitere Augenpaare wanderten schlagartig zu dem blonden Smutje hinüber, der so erschrocken zusammenzuckte, als wäre er bei irgendetwas Verbotenem erwischt worden und würde nun eine Strafe erwarten.

„N-nein…wie kommst du darauf? Mir geht es bestens, Namilein!“ wehrte er schnell ab, während eine leichte Röte über sein Gesicht zog. Eindeutig Verlegenheitsröte, die Nami und auch Zorro nicht entging.

„Und warum reibst du dir dann den Bauch und bist so blassgrün im Gesicht? Hast du dir den Magen verdorben?“ bohrte die Navigatorin weiter, woraufhin die Röte deutlich an Tiefe gewann. Eine kleine Schweißperle rann dem Blonden die Stirn hinab, über die Wange und tropfte schließlich auf das blaue Nadelstreifenhemd.

Fast hätte Zorro höhnisch gelacht. Um sich den Magen zu verderben musste man immerhin mal was essen, was der Koch ja nie tat. Und doch – so wie Sanji dreinschaute, hätte man es fast glauben können…

„So ein Blödsinn. Der sieht immer so käsig aus, schon vergessen? Wenn du so besorgt bist, schieb ihm mal ein anständiges Steak in den Schnabel Wetten, es geht ihm schlagartig besser?“ brummte der Schwertkämpfer. ‚Und wenn’s keiner von euch macht, stopf ich es ihm halt persönlich rein.’ fügte er im Stillen hinzu. Allein schon der Gedanke, wie er den Smutje zwangsernähren würde, malte ihm ein überaus fieses Grinsen ins Gesicht. Das könnte in der Tat unterhaltsam werden…

Aber soweit sollte es nicht kommen. Ruffy sprang noch fast im selben Moment auf, ein großes Stück Fleisch in der Hand, und streckte seinen Arm bis unter die Nase des Koches. „Na los, hau rein! Zorro hat recht, du musst nur was essen, dann bist du wieder gesund!“ krähte er vergnügt, wedelte dabei auffordernd mit dem leicht blutig gebratenen Steak herum.

Sanji wich angewidert einen Schritt zurück und wandte den Kopf ab. „Lass den Scheiß, ich hab keinen Hunger!“ murrte er und warf seinem Kapitän einen finsteren Blick zu.

Chopper stand auf, räusperte sich und trat auf Sanji zu, der den kleinen Elch unsicher ansah. So wie der ihn wieder anguckte, schwante dem Koch Böses.

„Am besten du kommst gleich mit, ich habe eine tolle Arznei gegen Bauchweh!“

Bingo! Sanji wurde schlagartig wieder blass und spürte allein beim Gedanken an die ach-so-tolle Arznei einen Würgereiz in der Kehle, gegen den auch ein tiefer Zug an seiner Zigarette nichts ausrichten konnte. Das Grauen stand ihm bevor, wenn er sich nicht schnell aus der Affäre ziehen konnte!

Doch aus seinen Fluchtplänen wurde nichts. Nami legte die Zeitung zusammen und besiegelte sein Schicksal mit den Worten: „Eine gute Idee, Chopper! Sanji, geh mit ihm mit, wir übernehmen das Geschirr. – Zorro, Lysopp, ans Spülbecken. Sofort.“ kommandierte sie, bevor sie Chopper noch ein strahlendes Lächeln schenkte. „Sorg dafür, dass Sanji die Medizin auch brav schluckt, hörst du?“ –

„Aye aye!“ Fröhlich packte der kleine Elch den Koch an der Hand und zerrte ihn aus der Kombüse hinaus. Sanjis Gesicht sprach ganze Bildbände – es stand ihm quasi auf die Stirn geschrieben, was er sich nicht getraute, auszusprechen: Dass Nami grausam war und er seine Seele verkauft hätte, wenn ihm diese Tortur doch erspart geblieben wäre.
 

„Zorro, du träumst ja schon wieder in der Gegend herum. Marsch ans Spülbecken, die Teller waschen sich nicht von alleine.“

Knurrend erhob sich der Schwertkämpfer, innerlich eine wahre Schimpftirade auf die Navigatorin loslassend. Wer war doch gleich ihr Kapitän??? Ein Blick in die eiskalten Augen, die nur dann leuchteten, wenn irgendwo die Aussicht auf Kohle bestand, und Zorro fiel es wieder ein. Nicht der Gummispinner, sondern die geldgeile Zicke. Wieso bloß verdrängte er das immer wieder?

Seufzend trat der Grünhaarige neben Lysopp und nahm den ersten gespülten Teller entgegen, um ihn abzutrocknen. Dabei drifteten seine Gedanken zum wiederholten Male an diesem Tag Sanjiwärts, was nicht gerade dazu beitrug, seine Laune zu heben.

Wieso machte er sich so viele Sorgen um den Blödmann? An und für sich konnte es ihm ja egal sein, ob und wann und wie viel oder wie wenig der Koch aß, solange er immer einsatzfähig war, wenn sie ihn brauchten. Davon abgesehen war er ein guter Ausgleich für ihren verfressenen Kapitän, der locker für ihn mitspachtelte.
 

„Du, Nami – warum muss ich nicht spülen?“ Große runde Augen schauten naiv zu der Navigatorin hinüber, die nur auf diese Frage gewartet zu haben schien.

„Weil ich mit dir noch ein Hühnchen zu rupfen habe, Ruffy!“ Zwei schnelle Schritte, und es machte laut und deutlich KLONK! Namis Eisenfaust hatte mal wieder unerbittlich zugeschlagen und ihr Ziel auch nicht verfehlt. Im Nu wuchs eine dicke Beule am Hinterhaupt des Gummijungen, der nun beleidigt die Unterlippe vorschob.

„Was hab ich denn jetzt wieder gemacht?!“ jammerte er verständnislos.

Nami funkelte ihn böse an. „Wegen dir müssen wir heute schon wieder einkaufen gehen! Du hast mal wieder unsere Vorräte leer gefressen, DAS hast du gemacht!“ –

„Hab ich nicht!“ verteidigte Ruffy sich schmollend. „Das ist nicht wahr, Nami!“ –

„Wie kommt es dann“, fauchte die Rothaarige, „dass wir gestern noch einen vollen Kühlschrank hatten und Sanji mir heute Morgen mitteilt, dass wir einkaufen müssen?! Kannst du mir das erklären?!“

Mit zusammengezogenen Brauen und vorgeschobener Unterlippe dachte Ruffy nach. „Vielleicht hatte jemand anderes Hunger. Ich war es jedenfalls nicht.“ murrte er sichtlich gekränkt.

Stöhnend griff Nami sich an die Stirn und schüttelte den Kopf. „Mit dir zu diskutieren bringt wirklich nichts. Aber denk mal drüber nach, ob es fair ist, dass wir hungern müssen, weil du dich nicht am Riemen reißen kannst!“ Mit dieser letzten Bemerkung ließ sie Ruffy mitten in der Kombüse stehen und trat hinaus an Deck, wo sie kurze Zeit darauf in ihrem Liegestuhl saß und sich in der Sonne räkelte.

„Ich war’s echt nicht!“ beschwerte Ruffy sich aufgebracht. „Warum glaubt sie mir denn nicht?“ –

„Na weil du es immer bist!“ antwortete Lysopp ihm, ohne sich umzudrehen, über die Schulter. „Außerdem geht ihr heißgeliebtes Geld fast komplett dafür drauf, dass wir Vorräte kaufen. Ich glaube, wenn du nicht der Kapitän wärst, hätte sie dich längst abgesägt.“

„Nami ist unfair und gemein!“ Grummelnd ließ sich der Kapitän auf einen der freien Sitze fallen und verschränkte die Arme vor der Brust.
 

Nachdenklich polierte Zorro den Teller, den ihm Lysopp gereicht hatte. Es stimmte schon, Ruffy war in 200% der Fälle dafür verantwortlich, wenn morgens ihre Vorräte geschrumpft waren – aber so hartnäckig leugnete er es nie. Und wenn Ruffy darauf schwor, dass er es nicht gewesen war, so glaubte er ihm das. Ihr Kapitän schwindelte zwar ab und zu, und das so lausig, dass ihn jeder durchschauen konnte, aber richtig dreist lügen tat er niemals. Dafür war Ruffy einfach ein viel zu anständiger Mensch…

„Wow, Zorro, in dem Teller kann man sich ja echt spiegeln!“ entfuhr es Lysopp angesichts des blank polierten Tellers in der Hand seines Spülkumpanen.

Zorro zuckte zusammen und schüttelte den Kopf. Wie er heute herumträumte war ja direkt eine Schande für jeden anständigen Schwertkämpfer! Erst der Koch, und jetzt die Sache mit den Vorräten… was kam als nächstes?

„Ich geh mich ne Runde aufs Ohr hauen.“ Zorro streckte sich, wobei sein Nacken ein lautes Knacken erzeugte, das Lysopp durch Mark und Bein ging, und schlenderte gemächlich hinaus. Ein kleines Nickerchen würde ihm gut tun und vor allem diese ganzen blöden Gedanken um einen gewissen Blondschopf ausblenden, über den er nur ungern nachgrübeln wollte.
 

Mit vor den Mund geschlagener Hand stolperte Sanji in Richtung Reling und lehnte sich dagegen. Er hatte ja schon einiges von Choppers Wundermitteln über sich ergehen lassen müssen, aber das Bauchwehzeugs war wirklich der Gipfel des wortwörtlich schlechten Geschmacks. Auch wenn er die Erfahrung noch nicht gemacht hatte, in etwa so stellte Sanji es sich vor, die Analdrüsen eines Stinktiers zu essen. Allein der Geruch hatte ihn schon fast umgehauen, und was danach gekommen war, war nicht viel besser gewesen.

Urgs… er brauchte jetzt ganz dringend eine Kippe.

Schnaufend blickte der Blonde dem Rauch nach, der sich in den wolkenlosen Himmel kringelte, während die Übelkeit langsam aber sicher den Pegel vor der Vergiftung durch Doktor Chopper erreichte. Blieb nur zu hoffen, dass die Arznei auch wirkte und er nicht umsonst gelitten hatte.

Mit einem leisen Stöhnen rieb Sanji sich über die Magengegend, die sich deutlich tastbar unter seinem Hemd vorwölbte. Hätte Chopper ihn untersucht, hätte er es mit Sicherheit bemerkt und unangenehme Fragen gestellt, die Sanji ihm nicht hätte beantworten können… oder wollen…

Vielleicht wäre es ja das Beste, wenn alles heraus käme. Sanji hatte die Erfahrung gemacht, dass viele Dinge, über die er sich den Kopf zerbrochen hatte, nur halb so schlimm waren, wenn seine Nakama erst einmal bescheid wussten. Wenn er nicht höllisch aufpasste, würden sie sowieso dahinter kommen, ob er es wollte oder nicht. Nami und sogar der Marimo hatten ihm ja ganz schön zugesetzt beim Essen. Und so wie er Robin kannte, hatte die auch schon was bemerkt.

Aber diese Sache… seufzend schüttelte der Koch den Kopf und schnippte seine Zigarette über Bord, nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand, vor allem Namilein, es nicht sah.

Er wusste, dass die anderen verständnisvoll waren – aber es gab Dinge, die einfach zu verrückt waren. Denn genau das würde passieren, sie würden ihn für verrückt halten. Und das wollte Sanji unter allen Umständen vermeiden.

Erleichtert stellte er fest, dass das unangenehme Spannungsgefühl in seinem Bauch nachließ. Das kam ihm gerade Recht, dann konnte er sich schon mal an die Vorbereitung fürs Abendessen machen, die immer etwas länger dauerten, ohne beim bloßen Anblick der Zutaten zu würgen. Man konnte ja über Choppers Medizin sagen, was man wollte, aber sie half manchmal wahre Wunder!
 

Als der Koch in Richtung Kombüse schlenderte, folgten ihm ein Paar halb geschlossene grüne Augen von unterhalb des Mastes.

‚So schlecht kann es dem Trottel ja nicht gehen, wenn der schon wieder munter am Paffen ist’, dachte Zorro und rieb sich den Nacken. Wie er diese lästigen Gedanken – Gedanken, nicht Sorgen, denn Zorro sorgte sich nicht um Sanji, schon allein aus Prinzip – doch hasste! Er hatte über Wichtigeres zu grübeln als über das seltsame Verhalten des Kochtopfes.

Irgendjemand hatte sich an ihren Vorräten zu schaffen gemacht, und das ohne, dass einer von ihnen etwas bemerkt hatte. ‚Ein blinder Passagier?’ dachte Zorro, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Der hätte nicht nur unsichtbar sein, sondern auch genau wissen müssen, wo die Riesenmausefalle lag und wie sie zu umgehen war. Außerdem gab es auf der Flying Lamb nicht gerade viele Plätze, wo sich eine Person lange verstecken konnte, ohne entdeckt zu werden. Sie hatten ja noch nicht mal Mäuse an Bord. Bis auf eine große, ziemlich verpeilte, die einen Strohhut trug.

‚Vielleicht war es ja doch Ruffy…könnte doch sein, dass er schlafwandelt und nicht mitkriegt, was er macht. Zuzutrauen wär es ihm ja.’ sinnierte der Schwertkämpfer weiter. ‚Und das müsste doch rauszukriegen sein.’

Zorro stand auf, streckte sich nochmals und ging zum vorderen Kanonendeck, wo er seine Gewichte verstaut hatte, damit Nami ihm nicht ständig vorhielt, er würde seinen „Kram“ überall herumliegen lassen. Er hatte soeben einen Plan geschmiedet, wie er Ruffy überwachen konnte, falls dieser tatsächlich nachts im Schlaf herumgeisterte – und das ganz ohne, dass ihr Kapitän etwas davon merkte.
 

Beim Abendessen war Zorro immer noch so auf sein Vorhaben konzentriert, dass ihm zunächst gar nicht auffiel, wie Sanji zum dritten Mal an diesem Tag seinen Nakama zu Essen vorsetzte, sich aber nicht an der Mahlzeit beteiligte.

Robin jedoch entging es nicht. Nachdenklich sah sie den Blonden an, während ihr Blick einen seltsamen Ausdruck annahm. Langsam ließ die dunkelhaarige Frau ihre Gabel sinken und stützte das Kinn auf die Hand, ohne Sanji dabei aus den Augen zu lassen.

Chopper, der neben ihr saß und bis eben mit Ruffy um seinen Fisch gekämpft (und verloren) hatte, bemerkte das und stieß sie vorsichtig an. „Robin, hast du keinen Hunger mehr?“ fragte er besorgt. „Ist dir auch schlecht? Vielleicht ist es ja ein Virus…“

Robin lächelte den kleinen Elch an, dem die Besorgnis deutlich im Gesicht stand, und entgegnete: „Mir geht es sehr gut, mach dir keine Sorgen, Herr Doktor. Ich melde mich schon, wenn mir etwa fehlt.“

Sanji stand, nachdem er dem Wortwechsel zugehört hatte, innerhalb von Sekunden neben Robin, um ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen. „Robinchen, meine Schöne, möchtest du etwas anderes? Egal was es ist, für dich würde ich alles tun! Ich liege dir zu Füßen…“ –

„Geht es deinem Magen immer noch nicht besser?“ unterbrach die Frau den Redefluss des Koches mit sanfter Stimme. Ihre Augen jedoch blickten Sanji so forschend an, dass dieser einen Schritt zurückwich und unter dem alles durchdringenden Blick förmlich in sich zusammensank.

„N-nein…ich meine…mir geht es gut…wie kommst du darauf?“ stotterte er, vermied es dabei jedoch, Robin direkt anzusehen.

Die Archäologin hob die Augenbrauen ein Stück an. „Ich dachte, dir wäre vielleicht noch übel, weil du wieder nichts gegessen hast.“

Sanji fuhr sich durch die Haare und gab sich Mühe, seiner Stimme einen festen und unbekümmerten Klang zu geben, als er antwortete: „Ich will nur noch nichts überstürzen, das ist alles. Mir geht es wirklich schon viel besser als heute Mittag! Mach dir also nicht zu viele Sorgen um mich, mein Engel!“
 

Zorro sah mit einem amüsierten Grinsen auf dem Gesicht zu den beiden hinüber. „Es würde dir doch sicher noch besser gehen, wenn Chopper dir noch mal von seiner Medizin geben würde, meinst du nicht?“ schlug er vor.

Sanji ballte die Hände zu Fäusten und fixierte den Schwertkämpfer mit finsterem Blick. So ein hinterhältiges Aas! Der ließ auch keine Gelegenheit aus, um ihm eine rein zu würgen! Aber nicht mit ihm!

„Seit wann haben Kugelalgen medizinische Fachkenntnisse? Zum letzten Mal, mir geht es bestens!“ zischte er in Richtung seines Nemesis.

Chopper sah in die Runde. „Am besten wäre, ich würde euch allen etwas geben, falls es doch ein Magen-Darm-Virus ist, dann wird keiner krank…“

Ein einheitliches „NICHT NÖTIG!!!“ schallte ihm aus 5 Kehlen entgegen, während Robin nur verschmitzt lächelte. „Ich glaube, du machst dir wirklich viel zu viele Sorgen.“ meinte sie und fuhr Chopper sanft durch das dichte Fell. Der kleine Elch räkelte sich wohlig unter dieser Berührung und vergaß darüber direkt, dass seine Arznei gerade schnöde verschmäht worden war. Robin hatte soooo zarte Hände…

Dankbar blickte Nami ihre Freundin an, bevor sie sich erhob. „Also schön, da Sanji wieder fit ist, kann er die Nachtwache übernehmen.“ –

„Für dich immer, Namilein!“ schwärmte der Koch wie auf Kommando. Das Strahlen auf seinem Gesicht verschwand jedoch sofort, als die Navigatorin hinzufügte: „Und pass auf, dass Ruffy nicht wieder unseren Kühlschrank leer räumt, verstanden?“

Der Angesprochene war nur noch zu einem schwachen Nicken fähig, sein Gesicht schon wieder von einem leuchtenden Rot überzogen.

„Wie oft muss ich es noch sagen! Ich war es nicht!“ fuhr Ruffy auf.

„Ja ja. Du bist dran mit Spülen, Chopper kann dir helfen. Und macht nicht so viele Teller kaputt. – Robin, kommst du mit raus?“ wandte sich Nami an die Archäologin.

Die Dunkelhaarige erhob sich ebenfalls von der Tafel und folgte der Navigatorin ein paar Schritte, nicht ohne Sanji ein letztes Mal nachdenklich zu mustern. Der Koch bekam davon allerdings nichts mit, da er Zorro gerade nötigte, seinen Brokkoli aufzuessen, wovon der Schwertkämpfer alles andere als begeistert war. Es würde nicht mehr lange dauern, bis eine hand- und fußfeste Klopperei ausbrach, bei der nichts und niemand in unmittelbarer Nähe sicher war.

„Komm schnell, bevor wir noch was abkriegen.“ Lysopp nahm Robin an der Hand und zerrte sie hektisch nach draußen. Der Schütze wusste, dass er im Gegensatz zu Ruffy und Chopper wohl die geringsten Chancen hatte, im Extremfall ungeschoren davon zu kommen. Da suchte er lieber sein Heil in der Flucht.

Gedankenverloren ließ Robin sich mitziehen, ohne einen Protest zu äußern. Irgendetwas stimmte da ganz und gar nicht, und so wie sie sich selbst einschätzte, würde es ihr keine Ruhe lassen, bis sie es herausgefunden hatte.
 

Geduldig lag Zorro in seiner Hängematte und wartete, bis er anhand der tiefen und gleichmäßigen Atemzüge seiner Nakama hörte, dass diese eingeschlafen waren. Nach nicht mal 10 Minuten war es soweit – nun war der Moment gekommen, seinen genialen Plan umzusetzen.

Lautlos glitt der Schwertkämpfer aus seiner Hängematte und schlich zu Ruffy hinüber.

Der Kapitän lag alle Viere von sich gestreckt da und schnarchte munter vor sich hin.

Zorro schüttelte den Kopf. Man hätte das Schiff rund um Ruffy abreißen und wegtragen können, und der hätte immer noch gepennt!

Ganz vorsichtig entnahm der Grünhaarige seiner Haramaki einen dünnen Faden, an dessen Ende sich eine Schlinge befand, und legte diese um den Zeh des Gummijungen. Dann kletterte er in seine Schlafgelegenheit zurück und befestigte das andere Ende des Fadens an seinem Finger.

Zufrieden schloss Zorro die Augen und entspannte sich. Wenn Ruffy tatsächlich schlafwandelte, würde er das nun auf jeden Fall mitkriegen. Wenn er es nicht tat, die Vorräte aber trotzdem weniger wurden, war ihr Kapitän entlastet und jemand anderes schuldig. Oder er musste seine Theorie vom blinden Passagier doch noch mal überdenken…
 

Sanji saß im Ausguck und rauchte vor sich hin. Er wollte die Augen nicht schließen; zu groß war die Angst vor dem, was er dann sehen und spüren würde, und vor allem vor dem, was nach dem Aufwachen passieren würde… Davon abgesehen war er überzeugt, heute Nacht auch gar keinen Schlaf finden zu können. Das schlechte Gewissen Ruffy gegenüber machte ihm schwer zu schaffen. Dazu kamen Robins Worte und ihre alles durchdringenden Augen, die ihm mehr und mehr zusetzten. Wusste Robin etwas? Und wenn ja, wie viel wusste sie? Oder vermutete sie nur, und er spielte sich ihr praktisch in die Hand…?

Erschöpft von so vielen Fragen schloss der Smutje die Augen und lehnte den Kopf zurück. Was sollte er bloß machen? So weitermachen wie bisher und seine Nakama belügen? Oder ihnen alles erklären und riskieren, dass sie ihn für total verrückt hielten?
 

Nami war schon lange eingeschlafen, doch Robin saß noch immer im schmalen Lichtkegel der Schreibtischlampe und las in ihrem Buch. Es war fast Mitternacht, und das ganze Schiff war still. Leise, um die Navigatorin nicht zu wecken, schlug Robin die nächste Seite auf. Sie hatte Zeit, sie konnte warten.

Mit einem Mal drangen Schritte an ihr Ohr – oder besser gesagt, an das Ohr, dass sie an der Außenwand der Kajüte angebracht hatte. Die Schritte waren leise, aber sehr hastig, als wäre die Person, zu der sie gehörten, in großer Eile.

Robin legte ihr Buch beiseite, schloss die Augen und konzentrierte sich. Zuerst ließ sie ein Auge am Mast wachsen, direkt oberhalb des Krähennestes, um zu sehen, ob Sanji wach war oder schlief. Dann, als ihr Verdacht bestätigt worden war, nahm sich die Archäologin die Kombüse vor. Auch dort wuchs ein Auge aus der Wand hinter dem Weinregal und beobachtete das Geschehen gut geschützt durch die Flaschen hindurch.

Eine ganze Weile sah Robin zu, was sich in der Küche abspielte. Dann öffnete sie die Augen. Fast hatte sie sich so etwas gedacht, und für diesen Fall auch einen Plan gemacht.

Ein letztes Mal konzentrierte sich die Frau, diesmal auf das Schlafgemach der Jungs.

Ihr Kapitän war für diese Aufgabe wahrscheinlich der Richtige. Was seine Crew betraf, wies Ruffy einfach das größte Einfühlungsvermögen auf, und Robin hoffte, dass er auch dieses Mal den richtigen Riecher beweisen würde. Doch dazu musste sie ihn erst einmal wach kriegen.
 

Aus der Wand oberhalb von Ruffys Hängematte wuchs eine Reihe langer schlanker Arme, von denen der letzte den Stoff der Unterlage packte und ihn mit einem Ruck zur Seite zog.

Es gab einen dumpfen Knall, als der Gummijunge auf dem Boden aufschlug, doch das gewünschte Ergebnis erzielte die Aktion nicht. Ruffy schlief tief und fest weiter und träumte von riesigen Fleischbergen, während ihm die Sabber aus dem Mundwinkel tropfte.

Dafür wurde allerdings jemand anderes wach.

Zorro hob ruckartig den Kopf, als er den Zug an seinem Finger spürte. Ein rascher Seitenblick, und der Schwertkämpfer verzog enttäuscht und sichtlich verschlafen das Gesicht. Der Spinner war nur aus der Hängematte geplumpst – da hatte er sich wohl zu früh gefreut.

Mit einem leisen Brummen fuhr Zorro mit der Hand durch seine grünen Haare, während sich ein nur allzu menschliches Bedürfnis bei ihm bemerkbar machte. Seufzend schwang der Schwertkämpfer sich zu Boden und stapfte Richtung Mast. Wenn er schon mal wach war, konnte er auch auf Klo gehen.

Die frische Nachtluft, die ihm entgegen schlug, als er die Luke öffnete, belebte Zorros noch schlaftrunkenen Verstand schlagartig. Für einen Moment ließ der Grünhaarige seine Augen über das Deck wandern, bevor er hinaus kletterte und ein paar Schritte tat.

Und dann hörte er es: Zwar nur leise und gedämpft durch Tür und Wände, aber für seine gute Ohren deutlich zu erkennen: Das Geklapper von Geschirr.

Jetzt war auch der letzte Rest Müdigkeit verflogen. Mit schnellen und möglichst leisen Schritten schlich der Schwertkämpfer die Treppe zur Kombüse hoch, ehe er auf halber Strecke in hielt. Und wenn es nur Sanji war, dem es im Ausguck zu langweilig geworden war, und der sich die zeit nun mit Kochen vertrieb? Wäre ja nicht das Erste mal gewesen, dass sowas passierte. Er selbst trainierte ja auch oft genug, wenn er Nachtwache hatte…

Zorro wollte sich gerade wieder abwenden, als ihm auffiel, dass in der Kombüse kein Licht brannte. Und der Koch machte immer Licht, wenn er nachts noch neue Rezepte ausprobierte!

Mit einem Satz drehte der Grünhaarige sich wieder um und legte die letzten Meter bis zur Kombüsentür zurück. Ein letzter tiefer Atemzug, eine letzte Vergewisserung, dass seine Schwerte griffbereit waren, und Zorro stieß die Tür auf.
 

Es dauerte einen Moment, bis sich seine Augen an die Dunkelheit in der Kombüse gewöhnt hatten. Doch was Zorro dann sah, ließ ihn erst einmal daran zweifeln, ob er nicht doch noch in seiner Koje lag und träumte.
 

Ende Teil 1

Antworten

Teil 2 - Antworten
 

Ruckartig riss Sanji die Augen auf und stellte erst nach einigen Sekunden der Panik fest, dass er im Krähennest saß. Die hastigen Atemzüge verebbten. Stöhnend sank der Koch in sich zusammen, schlug die Hände vors Gesicht und unterdrückte mühsam ein Schluchzen.

Wann würde das endlich aufhören? Wann würde er endlich damit abschließen können? Wann würde er die Augen schließen können, ohne Angst zu haben, dieses Grauen wieder und wieder erleben zu müssen?

Seit er das Baratie verlassen hatte, bekam Sanji in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen schreckliche Alpträume, die ihn in der Zeit zurück schickten bis zu dem Moment, in dem er und Zeff auf dem Felsen gestrandet waren.

Als wäre es erst gestern gewesen, zeigte seine Erinnerung ihm den kalten Stein, die Trockenheit, wenn kein Regen fiel, die Einsamkeit, die Angst – und den Hunger, der ihn so lange gequält hatte, bis er fast gestorben war.

Keuchend presste der Blonde beide Fäuste in seine Magengegend, die wie jedes Mal, wenn er aus seinen Träumen erwachte, höllisch wehtat. Er konnte nicht das Geringste dagegen machen; der Hunger war da, und er zerriss ihn förmlich von innen, zerrte an allen Eingeweiden und verursachte ihm unmenschliche Schmerzen. Fast hätte Sanji sich an Ort und Stelle übergeben, so schlecht war ihm innerhalb kürzester Zeit geworden. Doch nur ein heiseres Keuch entkam seiner Kehle, als er vorn übergebeugt im Ausguck kniete und um seine Beherrschung kämpfte.

„Bitte…nicht…“ stöhnte der Koch leise und gequält, die Hände so fest zu Fäusten geballt, dass sich seine Fingernägel in die Handflächen gruben.

Und doch wusste er, dass es nur eine Sache gab, die ihm jetzt helfen würde. Wie jedes Mal, wenn er geträumt hatte.

Schwankend richtete Sanji sich auf, kletterte den Mast hinab und war, als er unten angekommen war, dankbar darüber, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Mit großen und für seine Verhältnisse ungewohnt unsicheren Schritten lief er über das leergefegte Deck, die Treppe hinauf und in seine Kombüse hinein.

Er verzichtete darauf, Licht anzumachen. Schließlich wollte er unter keinen Umständen einen seiner Nakama wecken. Mit gezielten Griffen öffnete der Blonde Schubladen und Schranktüren, griff sich Messer, Schneebesen, Spatel, Töpfe und Pfannen, die er auf der Arbeitsfläche bzw. dem Herd platzierte, bevor er sich dem Kühlschrank zuwandte und die Tür aufriss. Hastig entnahm er den gekühlten Regalen die Lebensmittel und stapelte diese neben dem Herd.

Wie in Trance, nur um ein Vielfaches schneller lief jede Bewegung ab, als Sanji Gemüse und Fleisch klein schnitt, Nudelwasser aufsetzte und den Ofen erhitzte. Einzelne Schweißperlen rannen über die blasse Stirn nach unten und vermischten sich mit den stummen Tränen, die dem Koch über das Gesicht liefen und die er immer wieder wegzuwischen versuchte.

Ein weiteres Stöhnen entfuhr ihm, als sein Magen sich so schmerzhaft verkrampfte, dass ihm fast die Beine weggeknickt wären, hätte er sich nicht an der Arbeitsfläche festgehalten.

‚Zu langsam… das dauert zu lange…’ Mit einem Ruck stemmte Sanji sich hoch und öffnete abermals den Gefrierschrank. Im Tiefkühlfach fand er schließlich das, was er suchte.

Hastig zerrte der Blonde die Packung Eiscreme heraus und riss den Deckel ab, den er achtlos zu Boden fallen ließ, während er hinter sich nach einem Esslöffel tastete. Dass die braune Masse noch fast völlig gefroren war, störte ihn genauso wenig wie die Tatsache, dass der Kühlschrank sperrangelweit aufstand und Kondenswasser zu Boden tropfte. Löffel um Löffel schlang Sanji das Eis herunter, ohne zu kauen, ohne zu schmecken, nur um die riesengroße Leere in seinem Bauch zu füllen, die ihm in diesem Moment mehr Schmerzen bereitete als alles andere. Leise schluchzend fuhr er sich mit dem Hemdsärmel über die feuchten Augen, rutschte dabei an der Küchenzeile herunter, bis er auf den Planken saß, die Knie angewinkelt und die Hand fest um den Löffel geballt.

Hinter ihm fing das Wasser an zu kochen.
 

Das erste, was Zorro durch den Kopf ging, als er die Kombüse betrat, war: ‚Ich träume noch.’

Er traute seinen Augen kaum, weil das, was er sah, rational nicht erklärbar war.

In der Küche herrschte das reinste Chaos. Auf dem Tisch, neben dem Herd und sogar auf dem Boden standen Töpfe und Schalen, sowie Teller, die allesamt dreckig waren. Eine Mischung aus den unterschiedlichsten Gerüchen schlug dem Schwertkämpfer entgegen, die er zwar nicht alle zuordnen konnte, die ihm aber verrieten, dass schätzungsweise fünf verschiedene Dinge in der letzten halben Stunde gekocht worden waren.

Das allein war es aber nicht, was Zorro so schockierte. Fassungslos musste er mit ansehen, wie Sanji auf dem Fußboden saß und ein Reisbällchen nach dem anderen in sich hineinstopfte. Vier, fünf, sogar sechs Reisbällchen zählte der Grünhaarige, bevor der Teller leer war und lieblos beiseite geschoben wurde. Seit wann ging der Koch so rücksichtslos mit seinem Geschirr um? Und wieso…

Zorros Augen weiteten sich mit Entsetzten, als er Sanji dabei zusah, wie er einen Berg dampfender Nudeln mit Gemüse auf seinen Teller leerte und noch im Stehen anfing, ihn herunter zu schlingen. Schon allein vom Zusehen bekam der Schwertkämpfer Magenschmerzen – die Nudeln waren doch noch kochend heiß!

Das schien nun auch dem Blonden aufzufallen, der den Teller abstellte und sich die halbleere Eispackung griff, die daneben stand. Schnell schob er sich einen übervollen Löffel in den Mund und schluckte ihn runter, bevor er das Besteck erneut in der schon beinahe flüssigen Creme versenkte.

Und in diesem Augenblick fand Zorro seine Sprache wieder.
 

„Was zur Hölle tust du da?!“

Na großartig, etwas noch Dämlicheres war ihm nicht eingefallen? Was der Koch gerade tat, war ja nicht zu übersehen oder fehl zu interpretieren.

Immerhin – seine Worte erregten Sanjis Aufmerksamkeit und ließen ihn schlagartig herumfahren. Die Eiscreme glitt dem Blonden aus den Händen und kam mit einem dumpfen Knall auf den Planken auf, wo sich die letzten Reste in einer Lache breit machten.

Sanji war wie gelähmt durch den Anblick des Schwertkämpfers, er brachte keinen Laut heraus, nicht einmal mehr runterschlucken konnte er, dabei hatte er den Mund bis zum Überlaufen voll. Lediglich in den großen, weit aufgerissenen blauen Augen des Smutjes war Regung zu erkennen.

Zorro trat noch einen Schritt näher, und weil er keine Antwort bekam, deutete er auf all die leeren Teller und Schüsseln. „Sag mir nicht, dass du das alles gegessen hast… was da drin war…“ Es auszusprechen war schon so albern, dass Zorro fast gelacht hätte, auch wenn ihm gerade nicht wirklich danach zu Mute war. Wie bitteschön hätte ein so dünner Mensch, dessen Magen das geschätzte Fassungsvermögen eines Kindes hatte, soviel essen können? Mal von Ruffy abgesehen, denn der war so dehnbar wie ein Luftballon. Aber Sanji war nicht Ruffy!

Weil der Koch nach wie vor stumm blieb, packte ihr Zorro schließlich ein wenig unsanft an der Schulter und zog ihn ein Stück zu sich heran. „Ich warte auf eine Erklärung.“ meinte er, wesentlich barscher, als er es beabsichtigt hatte. Aber er war jetzt einfach zu verwirrt, um sich Mühe zu geben, sensibel zu sein. Er brauchte Antworten, und zwar sofort, bevor er anfing, an seinem Verstand zu zweifeln.
 

Schlagartig kam Leben in Sanji – auch wenn das bedeutete, dass er sich erst einmal an dem viel zu großen Eisklumpen in seinem Mund verschluckte und keuchend, weil nach Atem ringend, auf die Knie sank.

„Hey…alles okay?“ Zorro schlug, nun ebenfalls auf den Knien, dem Koch mit der flachen Hand ein paar Mal auf den Rücken, wie er es sich bei Lysopp abgeschaut hatte, der das immer machte, wenn Chopper sich verschluckte. Das schien immerhin eine effiziente Maßnahme zu sein…

Grüne Augen beobachteten, wie das Husten langsam aber sicher nachließ, der blonde Haarschopf sich aber nicht wieder hob.

„Aller klar, Koch?“ bohrte der Grünhaarige nach. „Jetzt sag gefälligst was, ich rede mit dir!“

Leichtes Kopfschütteln war alles, was ihm erwidert wurde, und langsam aber sicher reichte es Zorro. Mit seiner Geduld am Ende schob er seine rechte Hand unter Sanjis Kinn und zog das Gesicht des Blonden nach oben, um ihn direkt anzusehen.

Als er seinen Nakama musterte, versetzte es dem Schwertkämpfer einen tiefen Stich in die Magengrube. Ganze Sturzbäche von Tränen liefen über die blassen, mit Eiscreme verschmierten Wangen, während seine dunklen Augen so hilflos dreinschauten, wie er es noch nie gesehen hatte. Zorro biss sich auf die Lippen, brach den Augenkontakt aber nicht ab. Er hatte vielleicht keine Ahnung, was mit Sanji los war, aber dass er ganz dringend Hilfe brauchte stand außer Frage.

Ruhig sah Zorro den Kleineren an, legte ihm dabei die linke Hand auf die Schulter, die rechte immer noch unter dessen Kinn ruhend.

„Was ist los? Spuck es aus.“ forderte er eine ganze Spur sanfter.
 

Das nächste, was Zorro wusste, war, dass ein schluchzender Smutje an seiner Brust lehnte und ihm das weiße T-Shirt durchnässte. Leises, durch den Stoff ersticktes Schluchzen zog ihm alles zwischen Kehle und tiefster Magengrube zusammen, bis er sich nach einem Moment, der sich für ihn wie eine kleine Ewigkeit anfühlte, dazu durchrang, seine Arme um den Blonden zu legen.

Es war ein seltsames Gefühl, Sanji so nahe zu sein, jede seiner Bewegungen am eigenen Körper zu spüren, so wie die abgehackten Atemzüge, die kleine Schauer auf seiner Haut hinterließen, wenn sie hin streiften. Zorro schluckte, weil sein Hals mittlerweile so unangenehm eng geworden war, dass er kaum noch Luft bekam. Er fühlte großes Mitleid. Was auch immer die Ursache für dieses Verhalten war, es musste dem Koch schwer zu schaffen machen. Und Zorro wollte nicht, dass einer seiner Nakama sich so schrecklich fühlte, auch wenn es derjenige unter ihnen war, mit dem er jeden Tag stritt, als würden sie sich bis aufs Blut hassen. Sie war trotz allem Freunde. Gute Freunde.

Langsam tastete die rechte Hand des Schwertkämpfers sich übe den Nacken des Blonden in dessen Haare hinein und fing an, diese sanft zu kraulen. Kräftige Finger glitten durch feines, weiches Haar, das sich für den Schwertkämpfer wie Seide anfühlte.

Unterhalb seines Kinnes wurde das Schluchzen immer leiser, als Sanji sich mehr und mehr beruhigte, schließlich ganz still in den Armen des Mannes ruhte und sein Gesicht an dessen Oberkörper lehnte. Nur ein leises Zittern ging noch durch den zierlichen Körper, das aber, wie Zorro feststellte, nicht mehr vom Weinen kam, sondern von der Kälte. Die Gänsehaut auf den Armen des Koches verriet es ihm – Sanji fror erbärmlich.
 

Langsam, um den anderen nicht einfach fallen zu lassen, falls dieser sich komplett auf ihn stützte, löste Zorro sich aus der Umarmung und stand auf. Kurz wanderten seine Augen durch die Kombüse, bis er schließlich das gefunden hatte, wonach er gesucht hatte. Mit drei Schritten war er an der Sitzreihe hinter dem Tisch angelangt, wo auf einem der Hocker eine dicke flauschige Decke lag. Der Grünhaarige nahm den Stoff auf, ging mit etwas schnelleren Schritten zurück zu der Stelle, an der Sanji noch immer am Boden saß, bevor er sich zu ihm herunter beugte und die Decke um seine Schultern schlang. Verwirrt sah der Koch erst auf den weichen Wollstoff, der sich wärmend um ihn legte, dann hinauf in Zorros Gesicht.

„…“ Kein Wort kam über seine leicht geöffneten Lippen, als er den großen muskulösen Mann einfach nur anstarrte. Er wusste auch nicht, was er hätte sagen sollen. Nach dieser Tränenflut fühlte sich sein Kopf schrecklich leer an, einzig und allein der Gedanke, dass er sich vor Zorro erniedrigt hatte wie noch niemals zuvor, kreiste darin in einer Endlosschleife.

Der Schwertkämpfer blieb ebenfalls stumm, während er die Decke fester um Sanji wickelte. Erst als er sich sicher war, dass kein Luftzug mehr an den kälteempfindlichen Körper gelangen würde, setzte er sich dem Koch gegenüber und fixierte ihn aus seinen tiefgrünen Augen.
 

„Hast du dich beruhigt?“ fragte er.

Sanji nickte langsam, seinen eigenen Blick zu Boden gerichtet.

„Gut. Dann möchte ich jetzt ehrliche Antworten von dir.“

Der Blonde zuckte bei diesen Worten zusammen, zeugte aber sonst keine Reaktion, und Zorro fuhr fort: „Ich verstehe zwar nicht, wie du es gemacht hast, aber für mich sieht es so aus, als hättest du gerade den ganzen Kühlschrank leer gegessen. Wenn das mal reicht. Habe ich Recht?“

Wieder nickte Sanji, wenn auch wesentlich zögerlicher.

„Und gestern Nacht, warst du das auch?“ Als er nach 10 Sekunden immer noch keine erkennbare Antwort hatte, schon Zorro wie schon zuvor seine Hand unter das Gesicht des Koches und hob es diesmal mit mehr Nachdruck an. „Sieh mich an, Sanji. Warst du es?“ –

„…ja.“

Der Schwertkämpfer stieß die Luft aus den Lungen und schloss für einen Moment die Augen. „Du weißt, dass Nami und Lysopp Ruffy verdächtigen. Du hast daneben gestanden, als Nami ihm Vorwürfe gemacht hat, und nichts gesagt. Du lässt es unseren Kapitän ausbaden. Seit wann bist du so feige?“ murmelte er, die Enttäuschung in seiner Stimme nicht verbergend.

Sanji kam sich wie das letzte Stück Dreck vor, als die Schuldgefühle um ein Vielfaches gesteigert in ihm aufloderten. Erneut traten ihm Tränen in die Augen, und er biss sich fest auf die Unterlippe, um diese vom Zittern abzuhalten.

Zorro runzelte bei diesem Anblick missbilligend die Stirn. „Glaub nicht, dass Tränen noch einmal funktionieren.“ knurrte er. „Sag mir, warum du dich so schäbig verhältst.“
 

Sanji rang nach Worten. Worte, die gut genug waren, Zorro alles zu erklären, die einleuchtend waren, dass der Mann begriff, was mit ihm nicht stimmte, auch wenn es noch so hirnrissig klang.

„Ich…ich wollte nicht…ich wollte nicht, dass Ruffy verdächtigt wird. Aber ich wollte auch nicht, dass ihr wisst, dass…ich es war.“ brachte er schließlich stockend heraus.

Zorro widerstand nur schwer dem Impuls, die Augen zu verdrehen, konnte sich aber eine bissige Bemerkung nicht verkneifen: „Soweit war ich auch schon… ich möchte wissen, warum du geschwiegen hast, obwohl jemand anderes für dich geradestehen musste. Niemand hätte dir den Kopf abgerissen. Hättest du denn morgen, wenn wieder alles Essen weg gewesen wäre, auch zugelassen, dass Ruffy ausgeschimpft wird? Bist du so rücksichtslos geworden?“ –

„Nein!“ fuhr der Blonde verzweifelt auf. „Ich...ich hätte…“ –

„Schon klar. Du hättest dir irgendetwas ausgedacht.“ Zorro schüttelte den Kopf, sah an seinem Gegenüber vorbei. „Soll ich dir mal was sagen? Das ist genauso feige.“ murmelte er.

Sanjis Hände ballten sich um den flauschigen Stoff der Decke. „Es tut mir leid… ich will das alles nicht…“ –

„Und warum tust du es dann? WARUM?! Erklär es mir! Ich verstehe es beim besten Willen nicht!“ Müdigkeit und auch Verzweiflung ließen Zorro die Stimme heben. Er hatte keine Lust mehr auf dieses hin und her. Er wollte verdammt noch mal wissen, was mit dem Koch los war!

Doch Sanji schien es ihm nicht leicht machen zu wollen. „Das ist nicht so einfach, wie du dir das vorstellst!“ fuhr er auf, ebenfalls wesentlich lauter als vorher.

Zorro schnaubte. „Kannst es ja mal versuchen, noch schlechter werden deine Karten bestimmt nicht!“ –

„Das könnte dauern.“ –

„Ich habe Zeit.“

Sanji spürte, wie ihm richtiggehend das Herz in die Hose rutschte. „Es…klingt verrückt…“ murmelte er hilflos, wusste er doch, dass er aus dieser Situation nur noch mit einem vollen Geständnis herauskommen würde. Ein Geständnis, das er ausgerechnet an Zorro machen musste, an den Menschen, der ihn wohl am schlechtesten überhaupt verstand.

Der Grünhaarige machte eine abwertende Handbewegung in Richtung des dreckigen Geschirrs, das fast jeden freien Raum in der Kombüse einnahm. „Glaub mir, noch verrückter als das, was ich vorhin gesehen habe, kann es nicht sein. Ich hab dich an einem Abend mehr essen sehen als in der gesamten Zeit, in der wir auf der Grand Line segeln. Und die Gründe dafür interessieren mich. Was ist mit dir los?“
 

Eine Weile war es still. Sanji musste einsehen, dass er verloren hatte.

„Ich habe Albträume, Zorro.“ –

„Und?“ Es klang nicht spöttisch oder ungeduldig, sondern auffordernd, was dem Koch ein wenig Mut machte.

„Von früher…von meinem Schiffbruch. Ich träume von den 80 Tagen auf diesem Felsen…mit Zeff. Ich…ich erlebe alles noch mal…und es sind keine schönen Träume…“

Sanji schluckte schwer, darum bemüht, halbwegs ruhig zu bleiben, obwohl es ihm immer mehr die Kehle zuschnürte. „Und wenn ich aufwache, fühle ich mich genau wie damals…als wäre ich…kurz vorm Verhungern…“

Langsam fing Zorro an zu begreifen, oder glaubte es zumindest. „Und dann isst du soviel wie vorhin? Oder wie gestern Nacht? Hattest du gestern Nacht auch diesen Traum?“ wollte er wissen.

„Ja.“

Und dann machte es endgültig klick. „Du hast diese Träume öfter?“ –

„Ja…“ –

„Wie oft?“

Sanji zuckte die Schultern. „Zwei mal die Woche…manchmal mehr, manchmal weniger.“ meinte er leise.
 

Das war also der Grund. Der Grund, für den unerklärlichen Lebensmittelschwund. Der Grund für Sanjis seltsames Verhalten. Der Grund, warum er scheinbar niemals aß und trotzdem keine Probleme bekam… Zorro wusste nicht was er sagen sollte, aber er verstand nun. Kein Wunder, dass der Koch kaum Hunger hatte, wenn er zwei Mal in der Woche solche Mengen zu sich nahm. Da wäre wohl jedem normalen Menschen der Appetit vergangen! Wie lange das wohl schon so ging? Hatte er diese Träume schon gehabt, als er noch auf dem Baratie gelebt hatte? War es dort auch niemandem aufgefallen?

Als ob Sanji die Gedanken des Schwertkämpfers gelesen hätte, murmelte er: „Ich träume das erst, seit wir auf der Grand Line sind. Und am Anfang…war es auch nicht so schlimm. Erst in den letzten Wochen…“ er brach ab.

Zorro wusste auch so, was er sagen wollte. Das war also der Grund dafür, dass ihnen erst jetzt auffiel, dass Vorräte fehlten. Vorher waren die Träume und die Fressanfälle nicht so extrem gewesen.

Sprachlos saß der Grünhaarige da und sah seinen Nakama einfach nur an. Niemals hätte er gedacht, dass der Koch so ein bedrückendes Geheimnis mit sich herumtrug. Nicht ohne einen Funken von schlechtem Gewissen dachte Zorro an die unzähligen Gelegenheiten zurück, in denen Sanji ihnen allen das Essen hingestellt und sich nicht beteiligt hatte. Immer waren seine Mahlzeiten so liebevoll zubereitet gewesen, obwohl es ihn doch innerlich angeekelt haben musste. Und trotzdem hatte er nie ein Wort darüber verloren. Warum bloß?!

„Ich bin nicht verrückt, Zorro…“ Leise und voller unausgesprochener Angst drang die Stimme des Blonden an sein Ohr, und Zorro hob die Augenbrauen.

„Habe ich das gesagt?“ brummte er irritiert.

„Nein.“ –

„Na also. Aber du hast ein Problem, das eindeutig da oben sitzt.“ Der Schwertkämpfer tippte seinem Gegenüber an die Stirn. „Und das wirst du nie überwinden, wenn du dich ihm nicht stellst. Du verdrängst deine Ängste, deshalb suchen sie dich nachts heim.“

Sanji wurde unter der Berührung des anderen schlagartig rot und schob dessen Hand mit einem Ruck zur Seite. „Seit wann hast du Ahnung von Psychologie, Marimo?“ murrte er.

Zorro stöhnte, und sein Gesicht verdüsterte sich. „Du bist ja so dämlich, Koch. Dafür braucht man keine Ahnung von Psychologie! Das weiß doch jedes Kind. Das hätte dir sogar unser Kapitän sagen können. Vor allen Dingen hättest du früher mit jemandem darüber reden sollen.“

„Das sagst du so einfach!“ Aufgebracht sah Sanji den Grünhaarigen an. „Ich komme mir wie ein Idiot vor...wie jemand Unnormales. Ich wollte nicht, dass ihr mich für geistesgestört haltet! Verstehst du das nicht?“ rief er.
 

Zorro packte ihn an beiden Schultern, sah ihm fest in die Augen, ein schmales Lächeln auf den Lippen. „Erstens BIST du ein Idiot, und zweitens sind wir alle nicht normal. Und wir hätten dich nicht für verrückt gehalten. Wir hätten dir geholfen. Aber du musstest ja mal wieder stur sein und deine Probleme in dich reinfressen…wortwörtlich. Wann begreifst du, dass wir deine Freunde sind, egal was mit dir los ist, egal was du tust, egal was für Sorgen und Geheimnisse du hast? Wir schmeißen dich nicht von Bord, nur weil du dein Kindheitstrauma nicht überwunden hast…“

Sanji hielt den Kopf gesenkt und weinte nun stumm vor sich hin. Noch nie war einer seiner Nakama so freundlich und besorgt um ihn gewesen, und dass ausgerechnet Zorro ihm diese tröstenden, liebevollen Worte, die ihm so viel Mut machten, sagte, überstieg einfach sein Fassungsvermögen. Er hätte dem Schwertkämpfer weder die Sensibilität, noch die Zuneigung zu ihm zugetraut, so mit ihm zu sprechen. Aber Zorros Worte lösten einen riesengroßen Stein von seinem Herzen, den er die ganze Zeit alleine herumgetragen hatte. Zorro hielt ihn nicht für verrückt. Er verstand ihn. Und…
 

„Damit das klar ist, Smutje – ich werde dafür sorgen, dass du dich halbwegs zusammenreißt. So wie bisher lasse ich dich nicht weiter machen.“

Der Blonde blickte den Größeren fragend an. „Und wie…?“ –

„Ich werde dich notfalls mit Gewalt dazu bringen, wenigstens eine anständige Mahlzeit am Tag zu essen. Denn ich bin felsenfest davon überzeugt, dass deine Träume deshalb so schlimm sind, weil du tagsüber nichts isst.“

Sanji hatte den Mund schon zu einem Protest geöffnet, doch Zorro ließ ihn gar nicht zu Wort kommen. „Lass mich ausreden. Es ist nicht nur so, dass du tagsüber nichts runterkriegst, weil du dich nachts überfrisst. Ich glaube, dass deine Träume so schlimm sind, weil du den ganzen Tag unfreiwillig hungerst. Verstehst du?“ –

„Das…ist total bescheuerte Logik.“ –

„Quatsch. Das ist total genial. Und mir ist relativ egal, was du davon hältst. Wie schon gesagt, notfalls wende ich Gewalt an.“ Zorro legte seine rechte Hand an die Wange des Koches. „Glaub nicht, dass ich dir einfach zusehen werde, wie du vor dich hin leidest, auch wenn du das richtig gut kannst. Ich werde dir helfen, ob es dir passt oder nicht. Du kannst es dir aussuchen: Entweder du machst mit, und gehst irgendwann von alleine zu Chopper, um dir bezüglich deines Traumas helfen zu lassen, oder ich schleife dich persönlich hin und sage allen die Wahrheit.“

Sanjis Miene verdüsterte sich schlagartig. „Das ist reine Erpressung, Schwertfuchtler!“ beschwerte er sich.

Zorro grinste überlegen. „Ich sehe das als fairen Deal. Du lässt dir helfen, und ich halte die Klappe. Chopper wird es auch nicht weiter erzählen. Am besten gehen wie gleich zu ihm. Wird sowieso nötig sein.“ –

„Wieso das denn?“ wollte Sanji wissen – ehe Zorro die Decke um seine Schulter zurück zog und an ihm herunter blickte.

„Weil du – falls du sie nicht längst hast – tierische Bauchschmerzen kriegen wirst. Dir müsste doch längst kotzübel sein.“ erklärte dieser und deutete auf den geschwollenen Bauch des Blonden. „Im Gegensatz zu Ruffys ist dein Magen nicht aus Gummi.“ –

Sanji gab ein leises Stöhnen von sich, als er schlagartig realisierte, wie Recht Zorro hatte. Ihm war wahnsinnig schlecht und er fühlte sich, als ob er jeden Moment platzen würde. Sogar mit dem Aufstehen hatte er Probleme, weshalb ihm der Schwertkämpfer mit einem spöttischen Grinsen auf dem Gesicht hoch helfen musste.

So sehr Sanji die Medizin ihres Arztes sonst auch verabscheute – in diesem Moment war er richtiggehend froh darüber, dass er gleich einen großen Löffel voll abbekommen würde.
 

Mit einem leisen Seufzen sank Robin in den Schreibtischstuhl zurück und öffnete die Augen. Was sie in der letzten Stunde gesehen und gehört hatte, wühlte sie mehr auf, als ihr lieb war. Niemals hätte sie gedacht, dass Sanji solche Probleme hatte. Robin rieb sich ein paar Schweißtropfen von der Stirn. Was für ein Glück, dass er sich endlich jemandem anvertraut hatte, wenn auch eher unfreiwillig.

Leise löschte die Frau das Licht und legte sich in ihr Bett. Trotz ihrer Sorge um Sanji war sie jetzt auf mehr als nur eine Art und Weise erleichtert. Sie war sich sicher, dass ihr Koch irgendwann den Mut aufbringen würde, seinen Nakama alles zu gestehen. Bis dahin würde sie schweigen und es dem Schwertkämpfer und Chopper überlassen, sich um den verirrten Smutje zu kümmern.
 

Das erste, was der Koch sah, als er am nächsten Tag die Augen öffnete, war ein rotgoldener Himmel und eine untergehende Sonne, die ihre letzten Lichtstrahlen in die Kajüte schickte und ihn an der Nase kitzelte.

Mit einem Satz wollte Sanji aus der Hängematte springen und stellte sich dabei so ungeschickt an, dass er mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden aufkam. Erst nach ein paar Sekunden gedämpfter Flucherei wurde ihm bewusst, dass er soeben von der Couch gestürzt war, und nicht aus seiner Hängematte. Was nichts an der Tatsache änderte, dass es schon Abend war und er es ganz offensichtlich versäumt hatte, seiner Crew Frühstück und Mittagessen zu machen.

Hektisch streifte der Blonde sich das nächstbeste Kleidungsstück über, das er von sich auf dem Boden fand, kletterte am Mast hoch und schlug die Luke zum Deck zurück.

„Na, ausgeschlafen?“ schallte ihm Namis Stimme ein wenig spöttisch entgegen. Mit schnellen Schritten war Sanji zu ihr gerannt und stammelte tausende von Entschuldigungen, warum er seiner Pflicht nicht Nachgekommen war. „Das werde ich mir NIE verzeihen! Wegen mir musstest du hungern! Wie kann ich das jemals wieder gutmachen, Schönste?!“ rief er leicht panisch, wurde von Nami aber effektvoll zum Schweigen gebracht, indem diese einen Finger auf seinen Mund legte.

„Wir haben nicht gehungert. Wir haben uns Brote gemacht. So schnell fallen wir allesamt nicht vom Fleisch, also reg dich bitte ab. Und wie Zorro es geschildert hat, ging es dir letzte Nacht ziemlich schlecht, da dachten wir, dass du mal einen Tag Ruhe brauchst.“

Schlagartig erinnerte Sanji sich an alles – dass Zorro ihn erwischt hatte, wie sie geredet hatten, sein Geständnis, Zorros ruhige, verständnisvolle Worte… Eine leichte Röte malte sich auf die blassen Wangen. Und jetzt verschaffte ihm der Schwertfuchtler auch noch einen freien Tag! Langsam wurde es unheimlich…

In diesem Moment trat Robin aus der Kombüse, eine Schürze um die Hüften gebunden. „Essen ist fertig!“ rief sie, bevor sie Sanji entdeckte. Der Koch starrte die Archäologin fassungslos an, stürmte die Treppe mit großen Schritten hinauf und bremste erst kurz bevor er in sie hinein krachte ab. „Robin…sag mir nicht…das DU gekocht hast?!“ stieß er hervor.

Die Frau lächelte sanft. „Doch habe ich. Natürlich wird es niemals so gut sein wie dein Essen, aber ich habe mein Bestes gegeben.“ –

„Das tut mir leid.“ murmelte Sanji betreten und ließ den Kopf hängen. Der Gedanke, dass Robin sich an den Herd hatte stellen müssen, während er geschlafen hatte, behagte ihm kein Bisschen, im Gegenteil: Er machte ihm ein schrecklich schlechtes Gewissen.

„Muss es nicht. – Wir hoffen nur, dass es dir wieder besser geht.“ entgegnete Robin, nun eine Spur leiser.

Sanjis Röte vertiefte sich. „Hast du dir etwa Sorgen gemacht?!“ –

„Ja…ein wenig.“ Die Frau strich mit einer Hand über die Wange des Blonden und sah ihm nachdenklich in die Augen. „Aber Zorro hat sich ja gut um dich gekümmert, nicht wahr? – Und jetzt lasst uns essen!“

Der Koch hatte nicht lange Zeit, sich darüber zu wundern, was Robin mit diesen Worten gemeint hatte, denn in diesem Moment wurde er von einem herannahenden Gummigeschoss geradezu in die Kombüse katapultiert, während der begeisterte Schrei „FUTTAAAAAAAAAAA!!!!“ in seinen Ohren dröhnte. Stöhnend richtete Sanji sich auf, nur um von Ruffy wieder zu Boden gerückt zu werden. „Hey! Bist du wieder fit?! Zorro hat gemeint, du wärst krank…stimmt doch, oder Zorro?“

Verwirrt hob Sanji den Blick und sah zu Zorro hinauf, der gerade zwei Teller voller Spaghetti auf den Tisch stellte. „Ich hab gesagt, dass der Blödmann sich die Nacht mit Bauchschmerzen um die Ohren geschlagen und so lange gejammert hat, bis ich ihn zu Chopper geschleift habe. Aber so wie es aussieht, ist er ja wieder auf dem Damm, wenn er hier so herumturnen kann.“ brummte der Schwertkämpfer, nicht ohne dem Blonden einen kurzen Blick aus den Augenwinkeln zuzuwerfen.

Nach und nach trudelten die restlichen Crewmitglieder ein, und Sanji löste, nachdem er sich zum zweiten Mal für diesen Abend vom Boden hochgerappelt hatte, Zorro am Herd ab, um die verblieben Teller zu füllen und zum Tisch zu bringen.

„Wow, Robin, das riecht lecker!“ Begeistert sah Lysopp von seinem Teller zu der Archäologin und zurück. „Ich wusste ja nicht, dass du auch so toll kochen kannst!“ -

„Hoffen wir, dass es so schmeckt, wie es riecht.“ lächelte diese amüsiert.

Vom anderen Ende des Tisches kam nur ein Schmatzen. „Hmmm – lecker!“ brachte Ruffy zwischen zwei riesigen Gabeln voller Nudeln heraus. Missmutig sah Nami ihn an. „Schling nicht so, du Gierhals!“ knurrte sie und zückte drohend die Faust.

Sanji sah zu seinen Nakama hinüber und seufzte leise und voller Erleichterung. Alles war wie immer. Keiner hatte was gemerkt. Nichts würde sich für ihn ändern…

„Hey, Smutje.“

Zorros Stimme ließ ihn aufhorchen. Der Grünhaarige deutete auf den Platz neben sich, der noch frei war, auf dem aber ein dampfender Teller voll Spaghetti stand.

„Hör auf, Löcher in die Luft zu starren und setz dich gefälligst. Dein Essen wird kalt, und das nachdem Robin sich so viel Mühe gemacht hat, nur weil du faul gepennt hast.“

Etwas zögerlich ließ Sanji sich neben Zorro auf den Schemel fallen. Fast hatte er es vergessen gehabt – aber der Marimo hatte ihn daran erinnert: Natürlich würde sich alles ändern. Nicht alles auf einmal, aber langsam, Stück für Stück. Er bekam Unterstützung und Hilfe, die er dringend brauchte.

Ein versonnenes Lächeln erhellte das Gesicht des Koches, als er auf die Nudeln hinab sah und begriff, dass er nicht mehr allein war. Zorro, Chopper, und auch die anderen waren für ihn da.

„Grins nicht so blöd, sondern iss.“ schnauzte der Schwertkämpfer ihn von der Seite an. Doch Sanji wusste, wie es gemeint war. Langsam wickelte er die Spaghetti um die Gabel und schob diese in seinen Mund, schmeckte dabei die Säure der Tomatensoße, sanfte Gewürze und die warmen Nudeln.

Es schien Monate her, dass ihm irgendein Essen so gut geschmeckt hatte. Robins liebevoll zubereitetes, simples Gericht war unglaublich lecker und fühlte sich richtig gut im Bauch an.

Und das lag in Sanjis Fall nicht zuletzt daran, dass er es inmitten seiner Freunde einnahm. So wie es sein sollte.
 

Ende



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Kommentare zu dieser Fanfic (9)

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Von:  Agust_D
2013-11-18T06:17:14+00:00 18.11.2013 07:17
Hammer! Was anderes kann ich dazu nicht sagen *schon wieder sprachlos*
Ich liebe deinen schreibstil ^^
Von:  AKIHIRO
2010-12-16T13:01:47+00:00 16.12.2010 14:01
Huch?
Warum hab ich das hier noch nicht gelesen? *-*
Na egal, ich hab es nachgeholt~

Aaalso.
Ich mag deinen Schreibstil, aber das weißt du ja ^^
Und die Idee war einfach top *_*
[Ist dir mal was aufgefallen? "Dein" Sanji hat ein Problem mit zuviel Essen, "meiner" mit zu wenig XD]
Und es war so lieb und süß, wie Zoro ihn getröstet hat *-*
Echt toll~

Rechtschreibung ung Grammatik war soweit ichs gesehen hab in Odrdnung, die paar kleinen Fehler kann man verschmerzen ^^
Ich musste nur einmal schmunzeln, als an einer Stelle von "dem Koch" die Rede war, Zoro aber "ihre Schulter" nahm ^^~

Ansonsten: Top!
Von:  Suzi82
2010-06-15T08:22:54+00:00 15.06.2010 10:22
*träum* das ist sooo schön *schmacht*
so einen bösen freund hätte ich auch gerne ^^
ok hab so nen mann, der mich ärgert aber dennoch für mich da ist ^^
*fähnchen schwenkt* hast du toll gemacht^^

kommt gleich auf die Favo liste ^^

lg
Suzi
Von:  HasiAnn
2008-03-29T13:10:16+00:00 29.03.2008 14:10
wow, sehr schön, sehr hübsch, vollendlich niedlich, zum knutschen süß!!!
Ich bin echt begeistert von deiner FF. Die hatte so viel Herz.
Erstmal natürlich, Syntaktik und Semantik: erste Sahne!!! Dein Schreibstil ist wundervoll. Dein Vokabular ist sehr ausgedehnt und leicht zu verstehen. Satzbau ist echt herrlich. Dein Stil liest sich total angenehm und flüssig. Keinerlei Augenkrebsgefahr ^-^ und, hey, Rechtschreibung, mann, selten so wenig Fehler in einer FF gesehen.
Und der Inhalt war super süß. Alles so herzlich und plastisch beschrieben. Ich musste direkt mitleiden. Vorallem der Höhepunkt in der Kombüse mit Zoro und Sanji hat mich vom Hocker gefegt. Das hatte so viel Feingefühl und Nachdruck, dass mir voll die Tränen gekommen sind.
Also, gä, zwei FFs in deiner Liste sind viiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiel zu wenig!!! Ich will mehr von dir lesen!!! Du schreibst soooooooooooo schnuckelig!!! An dir is ein genialer Autor verloren gegangen.

()_()
(oo )o
HasiAnn
Von:  Nyn
2007-12-12T17:37:28+00:00 12.12.2007 18:37
Ich muß sagen, ich war ja wirklich gespannt nach dem ersten Kaptitel, was des Smutje's Problem wohl war und ich bin nicht enttäuscht worden!
Ich fand Deine Erklärung sehr glaubwürdig. Man sieht ja immer nur in wenigen Folgen, was die einzelnen Strohhut-Mitglieder für Probleme in ihrer Vergangenheit hatten. Meistens werden sie dann von Luffy gerettet und alles sind glücklich. Das ist auch gut so, schließlich hat Luffy gerade diese Stärke. Trotzdem finde ich es sehr reizvoll und nachvollziehbar, wenn die krassen Erlebnisse der Vergangenheit nicht trotzdem immer mal wieder ihre Fühler in die Gegenwart strecken würden. Und gerade Sanjis Erlebenis beinahe verhungert zu sein kann durchaus als Stoff für Albträume dienen. Und dann sieht man wieder was passiert, wenn sie versuchen, ihre Probleme doch alleine zu lösen.
Soviel also zum Hintergrund.

Gut gefallen hat mir auch der zwischenmenschliche Aspekt zwischen Zoro und Sanji. Ich glaube es ist kein Geheimnis, daß die beiden mein Lieblingspairing sind, aber wenn eine platonische Männerfreundschaft so gut beschrieben wird, wie Du es getan hast, kann ich auch auf weitere Annäherung verzichten. Was ich damit sagen will: Der Ton war rauh und Zoro war zu Recht auch böse auf den Smutje, aber er hat die richtigen Schlüsse draus gezogen und sich wie ein Freund verhalten ohne zuviel Gefühlsduselei.

Mein Fazit also: Ein schöner Two-Shot! :)

Liebe Grüße

Nyn

Oh, ich hatte vergessen was zu Deinem Stil zu sagen. Aber wenn er nicht gut wäre, hätte ich das zweite Kapitel gar nicht erst gelesen ;) Also auch hierzu: Daumen hoch!
Von:  LittleTreeflower
2007-12-07T11:14:26+00:00 07.12.2007 12:14
Ich liebe dieses Kapi!
Besonders, da du wirklich ein wichtiges Thema ansprichst!
Und wie rührend sich Zorro um den Koch kümmert ^^
Auch hier wieder: Ein super, genialer Schreibstil! *Fähnchen schwenk*

Von:  Nyn
2007-12-04T09:06:54+00:00 04.12.2007 10:06
Oha, das ist ja wirklich mysteriös. Was wohl in Sanji vorgeht? Ich bin ehrlich gespannt, was des Rätsels Lösung ist!
Es gibt einige Dinge, die mir schon jetzt gut gefallen:
1. Du schaffst es, die Spannung aufrechtzuerhalten. Man ist wirklich interessiert daran, herauszufinden, was mit Sanji los ist.
2. Zoros Darstellung ist plausibel und realistisch. Er macht sich auf seine typische Art Gedanken um den Koch ohne dabei übertrieben darauf zu bestehen, daß es ihn eigentlich nicht interessiert. Das ist mir deshalb so wichtig, weil mir selber gerade diese Gratwanderung manchmal schwerfällt.
3. Du beziehst den Rest der Crew mit ein. Das ist zwar für einen One-(oder Two-)Shot nicht unbedingt nötig, aber trotzdem ein Bonus, der auch eine kurze Geschichte einfach runder macht.
4. Dein Schreibstil ist gut! Sehr wichtiges Kriterium :)

Kurz: Das erste Kapitel hat mir schon sehr gut gefallen und ich freue mich auf das nächste. Wenn Du mir eine kurze ENS schicken könntest, wenn's weitergeht, würde ich mich auch freuen.

Liebe Grüße

Nyn
Von:  LittleTreeflower
2007-12-01T19:14:54+00:00 01.12.2007 20:14
*lach*
Was da wohl jetzt kommt?! *_*
Hoffe, du lädst gaaaanz schnell das nächte Kapi hoch!
Aber das du auch immer bei den spannensten Momenten aufhören musst...
*zu den Favs pack*
Von:  Decken-Diebin
2007-11-30T21:02:45+00:00 30.11.2007 22:02
Wow. Wirklich interessant, wie ich finde. :3
Ich frage mich, was Sanjis Geheimnis ist...waah, ich hoffe du beeilst dich mit dem Schreiben. >_<
*freut sich auf's nächste Kapitel*
Du hast 'nen Schreibstil. ^^
LG, Decken-Diebin


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