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Blood Holidays

Suicide Apartment
von

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Suicide Apartment

-Suicide Apartment-
 

8ter August
 

Der Wagen holperte noch ein paar Meter über die Landstraße. Dann gab der Motor den Geist auf. Regen klatschte gegen die Scheiben. Der Himmel war rabenschwarz und mit ein wenig Glück konnte man 2 Meter weit sehen.

„Scheiße!“

Darrin drehte den Schlüssel im Zündschloss. Drehte ihn wieder und wieder, trat die Kupplung fast durch den Boden, doch der Toyota gab kein noch so winziges Lebenszeichen von sich.

„Scheiße!“ fluchte Darrin wieder.

„Beruhig dich, Schatz“, sagte seine Freundin, Jana, vom Beifahrersitz und spähte in die Dunkelheit.

„Ich habe getankt, bevor wir losgefahren sind. Tony, ich habe getankt, stimmt’s?“

Tony beugte sich zu seinem Freund nach vorne und starrte stumm auf die Tankanzeige im Armaturenbrett. Die kleine matt leuchtende Nadel schien auf „voll“ zu stehen. Tony tastete über sich nach der Innenbeleuchtung und knippste sie an. Es funktionierte. An der Batterie lag es in jedem Fall nicht, aber woran dann, wenn der Tank doch voll war?

„Vielleicht ist die Anzeige kaputt“, sagte Jana unbekümmert und sah die beiden Jungs an.

„Die Anzeige ist nicht kaputt“, sagte Darrin mit säuerlichem Unterton. „Der Wagen ist so gut wie neu.“

Tony ließ sich zurück in den Sitz fallen. Die Dunkelheit machte ihn unendlich müde und sie waren jetzt seit 2 Stunden unterwegs ohne auch nur einmal angehalten zu haben. Jana hatte sich geweigert. Sie wollte unbedingt den ganzen Weg ohne Unterbrechung hinter sich bringen. Darrin hatte zwar gemurrt, dann aber nachgegeben. Tony hatte geschwiegen. Er hatte schnell gelernt sich nicht mit Jana anzulegen.

„Bei dem verdammten Wetter, können wir ja nicht mal sehen wo wir sind!“

Darrin stieß die Autotür auf und man hörte ein schmatzendes Geräusch, als seine Schuhe im Schlamm versanken. Tony meinte ihn fluchen zu hören. Wann hatte das Unwetter angefangen? Bestimmt vor gut einer halben Stunde und ab da war es immer schlimmer geworden.

„Ist ja fast gruselig“, sagte Jana, als die Autotür hinter Darrin zuflog. Ein paar Regentropfen hatten sich längst ihren Weg ins Auto gesucht und wurden von den Polstern des Fahrersitzes aufgesogen.

Jana wirkte belustigt. Tony war eher übel. Er konnte vor Hunger kaum noch Brötchen schreien und so wirklich lustig fand er das hier nicht. Wenn der Wagen nicht wieder ansprang, dann bedeutete das, dass er noch länger auf Nahrung warten müsste, es sei denn … er käme an den Kofferraum. Das war allerdings nicht so einfach wie es klang. Vor allem nicht bei diesem scheiß Unwetter. Was Darrin wohl grad machte? Tony hangelte sich nach vorn auf den Fahrersitz und starrte das Lenkrad misstrauisch an.

„Ach, komm schon“, Jana lachte, sie lachte ihn aus. „Du kannst das nicht!“

„Nein, aber ich kann es versuchen“, gab Tony zurück und drehte, wie vor ihm Darrin, den Schlüssel. Nichts passierte. Jana lachte wieder.

„Wenn Darrin das nicht hinkriegt, dann kannst du das erstrecht nicht.“

„Tolle Theorie, wirklich toll!“ sagte Tony, der langsam sauer wurde. Warum musste Jana ihn permanent so herunterwirtschaften? Tony beschwerte sich nicht und er würde es auch weiterhin nicht tun, denn immerhin war Jana die Verlobte seines langjährigen besten Freundes. Er ließ sich wieder zurücksinken und starrte auf die triefend nasse Scheibe. Hoffentlich ging es Darrin gut. Tony machte sich einfach zu viele Sorgen um Darrin. Er sah auf seine Uhr. Sein Freund war gerade mal 4 Minuten weg.

„Schau mal!“ sagte Jana plötzlich und Tony schreckte hoch. „Da ist Licht!“

„Wo denn?“ Tony sah nichts.

„Na da!“

Tony starrte in die Richtung in die Jana zeigte, als diese plötzlich laut auflachte.

„Verarscht! Man du fällst immer wieder drauf rein!“

Tony wollte sich gerade einem kleinen Ausraster ergeben, als er wirklich einen schwachen Lichtpunkt auf Janas Seite ausmachte. Er starrte in die Richtung. Da musste etwas sein. Der Lichtpunkt verschwand, tauchte wieder auf, verschwand wieder. Tony wurde mulmig.

„Was hast du denn? Mich legst du nicht rein!“

Tony hörte gar nicht zu. Der Lichtpunkt flackerte immer noch in unregelmäßigen Abständen und langsam realisierte Tony, dass dort etwas auf sie zukam.

„Tony!“ sagte Jana scharf und schubste ihn.

„Was denn?“ giftete er zurück, doch schon musste Jana wieder so ekelhaft lachen.

„Du benimmst dich manchmal so schwul!“

Kaum hatte sie das gesagt, da wurde auf ihrer Seite die Tür aufgerissen. Jana schrie auf. Regen preschte ihr ins Gesicht. Tony wäre beinahe in ihren Schrei eingefallen, doch im letzten Moment sah er, dass Darrin dort zur Tür hereinspähte.

„Ich hab da was gefunden!“ brüllte er fast über das laute Prasseln des Regens hinweg. „Scheint ne Villa zu sein! Vielleicht sollten wir einfach mal hingehen.“

„Könnt ihr nicht erstmal allein gehen?“ fragte Jana, nicht grad begeistert und beäugte ihren klatschnassen Freund. „Wenn wir nicht reinkommen nützt uns eine Villa auch nichts.“

Tonys Blick fiel auf Janas High Heels und er grinste schief.

„Och, wieso willst du denn nicht mitkommen? Angst das dir ein Hacken abbricht?“

Jana gab einen beleidigten Ton von sich und blickte schmollend zu Darrin hoch. Der sah sich das einen Moment an und blickte dann zu Tony herüber. Ein angenehmes Kribbeln machte sich in Tony breit, als er Kontakt mit Darrins Augen aufnahm.

„Kommst du mit?“

Tony dachte nicht eine Sekunde daran, nein zu sagen. Er wollte einfach weg von dieser dämlichen Zicke und da war ihm selbst der Regen draußen recht.

„Na klar!“

Als Tony, nach ein paar Sekunden nass bis auf die Knochen, Darrin erreichte, hatte der bereits die Beifahrertür wieder zugeschlagen und Jana wahrscheinlich gesagt, sie solle warten. Tony watete mit Darrin an seiner Seite in Richtung des Lichts.

„Meinst du, da ist jemand?“ rief er über das Rauschen des Wassers hinweg.

„Kein Plan!“ rief Darrin zurück. Er legte einen Arm um Tonys Schultern und zog ihn mit sich. Tony wurde warm und er senkte schnell den Blick.

„Da geht’s lang!“

Sie bewegten sich im Laufschritt durch den Schlamm, der neben ihnen ein paar gute Zentimeter hoch spritzte. Bald schon meinte Tony die Konturen eines großen Hauses zu erkennen. Ja, vielleicht eine Villa, wenn Darrin nicht falsch lag. Aber wie kam hier eine Villa hin? Sie erreichten eine hölzerne Veranda. Darrin hechtete drei Stufen hoch und Tony folgte ihm schnell. Augenblicklich stand er im Trockenen. Der Wind pfiff eisig um sie herum. Tony fror erbärmlich. Doch jetzt sah er die Quelle des Lichts: Eine kleine hübsche Laterne, die neben der Tür baumelte. Sie schaukelte verdächtig heftig im Wind. Er trat näher. Auf

der Tür fand er eine eingeritzte Botschaft, die nicht so einladend aussah, wie ihr Inhalt.

„Was ist das?“ fragte Darrin und trat neben Tony.

„Seid Willkommen, Besucher“, las Tony vor. „Fürchtet euch nicht, tretet nur ein. Fühlt euch wohl, denn es wird einzigartig sein.“

„Netter Reim“, sagte Darrin lachend und sah sich dann die Tür genauer an. „Ist nicht abgeschlossen.“

Darrin öffnete frank und frei die Tür. Tony sah ihn mit großen Augen an.

„Das ist ne Einladung!“ sagte Darrin achselzuckend und spähte hinein, dann verschwand er vollkommen in dem Haus. Tony folgte ihm langsam. Es blitze auf. Darrin hatte einen Lichtschalter gefunden.

„Wow“, sagten die beiden gleichzeitig und sahen sich mit großen Augen um.

„Der Hammer!“ staunte Darrin und Tony konnte ihm nur zustimmen.

Vor ihnen erhob sich ein weiter Raum, der größer war als drei normale Räume und doppelt so hoch. Direkt vor ihnen lag eine schneeweiße Treppe, die hinauf ins obere Stockwerk führte. Der Boden bestand aus einem wunderschönen Mosaik, dessen Farben zu leuchten schienen. Links und rechts waren zwei hohe dunkle Türen, die wohl in weitere Räume führten. Eine angenehme Wärme schlug ihnen entgegen. Tony meinte sogar etwas unheimlich Gutes zu riechen. Die Tür hinter ihnen klappte zu.

„Wie geil“, Darrin zog seine verdreckten Schuhe aus und ging hinüber zur Treppe. „Das nenn ich mal geile Semesterferien.“

Tony machte es ihm nach.

„Was steht denn dort auf den Messingplaketten?“ fragte er und deutete auf die Treppenbalken, auf denen zwei elegante Adler hockten.

„Suicide Apartment!“ sagte Darrin prompt und legte den Kopf schief. „Was heißt das Tony?“

Tony trat näher heran und begutachtete die Worte. Er studierte Anglistik und wusste, dass es um Darrins Englischkenntnisse ziemlich schlecht stand.

„Suicide heißt so viel wie Selbstmord“, sagte Tony.

„Wieso sollte sich jemand umbringen, der so viel Luxus hat? Ist doch geil!“ meinte Darrin und zuckte verständnislos mit den Schultern. „Hast du so was schon mal gesehen?“

Tony schüttelte vorsichtig den Kopf und durchmaß mit seinen Augen den Raum. So gigantisch … Er merkte, dass Darrin ihn ansah und erwiderte den Blick.

„Was ist denn?“ fragte er. In Darrins Blick lag dieser Ausdruck, der nur noch entstand, wenn Jana weit weg war. Das geschah bei weitem nicht oft.

„Du hast mir echt gefehlt“, sagte Darrin und starrte auf das Mosaik unter seinen Füßen.

„Ach, ich bin doch wieder da“, erwiderte Tony und schluckte. Das hatte er jetzt nicht erwartet, aber er konnte verstehen, warum Darrin gerade jetzt so etwas sagte. Dieser Raum strahlte so eine wohltuende Atmosphäre aus. Tony hatte nach dem Abitur ein Jahr in England verbracht. Mit Darrin war er seit der 1ten Klasse befreundet gewesen. Die Jungen waren durch dick und dünn gegangen. Für sein geplantes Studium hatte sich Tony für ein Auslandsjahr entschieden, während Darrin mit seinem Biologiestudium begonnen hatte. Tony erinnerte sich noch genau an den Abschied am Flughafen. Darrin hatte ihn damals gefahren, da seine Mutter hatte arbeiten müssen. Beinahe hätte Tony es damals nicht über sich gebracht Darrin loszulassen, als dieser ihn umarmt hatte. Keiner hatte etwas gesagt und Tony war nachher im Flugzeug in Tränen ausgebrochen. Wie peinlich … aber er hatte nicht mehr anders gekonnt. Als Tony dann zurückgekommen war und es kaum erwarten konnte Darrin endlich wieder zu sehen, war bereits Jana in sein Leben getreten. Jana … Darrins Freundin, kurz darauf seine Verlobte. Tony hatte es das Herz gebrochen, aber das war der Teil, den Darrin nicht kannte. Und was Jana anging …

„Wollen wir nicht noch …“ Tony deutete auf die Tür in die Richtung, in der er das Auto vermutete.

„Ja“, sagte Darrin abwesend und schüttelte irritiert den Kopf. Tony fragte sich unweigerlich, was ihm wohl gerade durch den Kopf gegangen war. Darrin machte Anstalten an ihm vorbei zur Tür zu gehen, blieb dann aber neben Tony noch einmal stehen.

„Nächstes Mal, machen wir mal wieder was allein, okay?“

Tony nickte nur und sah Darrin hinterher, wie er sich die Schuhe anzog und wieder hinaus in den kalten Regen lief, der mittlerweile schon abgenommen hatte.
 

Darrin blieb noch kurz auf der Veranda stehen. Es regnete kaum noch, doch der Boden war weiterhin aufgeweicht und schlammig. Seufzend sah Darrin hinunter auf seine dreckigen Schuhe. Sie waren kaum noch wieder zu erkennen. Vielleicht hätte er dem Wetterbericht vor ihrer Abreise mal Gehör schenken sollen, aber das war nicht wirklich Darrins Art. Er sah sich noch einmal um. Tony hatte sich auf einer der untersten Treppenstufen niedergelassen und den Kopf in die Hände gelegt. Darrin spielte mit dem Gedanken noch einmal zurück zu gehen. Jana würde sicher noch etwas warten können, aber er verwarf die Idee und stapfte hinaus in den Schlamm. Seine Füße wurden langsam nass, aber Darrin hatte eigentlich schon viel früher damit gerechnet. Er ignorierte das, zog seine feuchte Jacke dichter um sich und setzte tapfer einen Fuß vor den anderen. Der Wind war immer noch stürmisch und kalt. Besonders mit der nassen Jacke fror Darrin unangenehm doll.

Bald schon kam das Auto in Sicht und Darrin schritt etwas großzügiger aus. Jetzt, wo der Himmel sich langsam lichtete fragte er sich, welcher Esel ihn geritten hatte diesen Feldweg einzuschlagen. Es dämmerte. Nur noch ein paar Minuten und es wäre wieder einmal vollständig dunkel. Langsam hasste Darrin die Dunkelheit. Er dachte daran, wie sie geplant hatten Sommer und Sonne an der Ostsee zu genießen. Aber der Sommer hatte sich kurzzeitig dazu entschlossen doch lieber etwas Regen zu spendieren. Darrin hatte es bereits aufgegeben sich darüber aufzuregen. Er spähte neugierig in Richtung seines Toyotas und stellte erschrocken fest, dass Jana nicht mehr drin saß. Darrin stutzte und blieb stehen. Das unangenehme Halbdunkel musste ihm einen Streich spielen. Sie hatte das Licht ausgeschaltet, so viel war klar, aber wo konnte sie dann hingelaufen sein?

„Jana?“

Darrin ging jetzt schneller, immer weiter auf das Auto zu.

„Jana?!“

Vielleicht war sie eingenickt und lag jetzt auf dem Sitz ausgestreckt. Darrin begann zu rennen, erreichte die Autotür und riss sie auf ohne einen weiteren Blick zu verschwenden. Jana fiel ihm entgegen. Erschrocken fing Darrin sie auf. Er sah hinunter auf ihren braunen Haarschopf.

„Schatz?“

Sie war schwer in seinen Armen, obwohl sie nicht mehr als 56 Kilogramm auf die Waage brachte.

„Jana?“

Sie hatte niemals einen so festen Schlaf … niemals. Aber vielleicht legte sie ihn rein. Manchmal konnte sie einfach nicht damit aufhören andere reinzulegen.

„Jana, komm schon. Das reicht“, sagte Darrin geduldig, doch sie rührte sich nicht. Darrin setzte sie schräg auf den Sitz, wollte wieder etwas sagen, als es ihn eiskalt durchfuhr. Ihr Körper fiel nach hinten, wie der einer Stoffpuppe. Ihr Rücken krümmte sich in einem Bogen über dem Schalthebel. Das ganze weiße T-Shirt, dass sie getragen hatte war besudelt mit etwas rotem … etwas, dass verdammt nach Blut aussah und den Mittelpunkt des ganzen Bildeten drei Einstiche, die pervers genau ein gleichschenkliges Dreieck bildeten. Für Sekunden starrte Darrin seine Verlobte nur an. Ihre Arme hingen kraftlos an ihrer Seite. Die Augen waren weit aufgerissen und so verdammt leer.

Darrin stolperte ein paar Schritte rückwärts und bekam kein Wort mehr über die Lippen. Er drehte sich hastig um. Sein Blick fiel auf das kleine einladende Licht in der Ferne.

„TONY!!!!“
 

Langsam ließ sich Tony auf einer der untersten Treppenstufe nieder und sah sich noch einmal kurz um. Die Wärme kroch langsam in seine Glieder und ihm wurde viel wohler, obwohl sein Hunger bald nicht mehr auszuhalten war. Müde ließ er seinen Kopf auf die Hände sinken und schloss die Augen. Hoffentlich fanden sie hier einen Platz zum Schlafen. Es würde bald wirklich dunkel werden. Seine Gedanken schweiften ab verhedderten sich in einem Gewirr von Bildern und Tony glitt langsam in einen Traum, aus dem er kurz darauf jäh erwachte. Seine Arme hatten seinen Kopf nicht mehr halten können. Er wischte sich benommen über das Gesicht. Seine Glieder fühlten sich so schwer an. In seinem Kopf schien es zu dröhnen.

Plötzlich hörte er Schreie. Tony wurde blitzschnell wach und sprang auf. Da schrie jemand seinen Namen! Das musste Darrin sein. Tony wollte losrennen, doch sein Kreislauf machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Mit wackligen Beinen klammerte er sich an einen der Treppenpfosten, während vor seinen Augen kleine Sterne tanzten. Die Schreie kamen näher.

„Tony!“

Es klang panisch. Was war denn passiert? Tony blinzelte und der Schwindel legte sich langsam wieder. Er stolperte auf die Tür zu und sah schon Darrin auf sich zu rennen.

„Tony!“ Sein Freund erreichte ihn mit keuchendem Atem. „Tony! Jana …“

„Was ist denn passiert?“ Tony starrte Darrin hilflos an. „Was ist mit Jana? Wo ist sie? Mein Gott, beruhige dich doch!“

Tony blickte seinem Freund in die Augen. Langsam wurde ihm bewusst, was geschehen sein musste, aber glauben wollte er es nicht …
 

11ter August
 

Der Abend senkte sich langsam über Rostock. Tony stand am Balkonfenster seiner Wohnung in der Südstadt und starrte hinaus in den Himmel. Hier vom 11ten Stockwerk aus hatte er einen wunderbaren Ausblick über den Südring und nach Westen. Doch heute Abend war der Himmel wieder Wolken verhangen. Nur am Horizont brannte die Sonne noch und schickte ihre gelb leuchtenden Strahlen auf die Erde. Bald würden die Wolken sie ganz verdecken, noch bevor sie untergehen konnte. Kleine Wassertröpfchen glitzerten auf der Scheibe von Tonys Fenstern. Sie strahlten in demselben gelb wie die Sonne. Tony blinzelte, senkte den Kopf und ließ sich von den letzten wärmenden Strahlen streicheln. Bald war es wieder dunkel und Tony hatte gelernt die Dunkelheit zu fürchten.

Zugegeben, Jana hatte er nie wirklich gemocht, aber ihre Leiche dort in Darrins Auto liegen zu sehen, hatte in ihm ein unbeschreibliches Gefühl der Angst ausgelöst, die ihn jede Nacht wieder einzuholen drohte. Im Zimmer hinter ihm war es fast totenstill. Nur die Uhr an der Wand tickte leise. In der Nachbarwohnung lief sehr laut ein Fernseher. Tony entfernte sich vom Fenster, als die Wolken die Sonne erstickten und es langsam wieder anfing zu regnen. Seit ihrem kleinen Ausflug regnete es fast unentwegt. Langsam ließ sich Tony auf seinem Bett nieder und legte wieder den Kopf in die Hände.

Es klingelte an der Wohnungstür und Tony fuhr hoch. Wer konnte das sein? Mit klopfendem Herzen, weil er sich so erschrocken hatte, ging er hin und öffnete. Noch bevor er genau sah, wer dort vor ihm stand, umfingen ihn zwei zierliche und silberbehängte Arme und er hörte eine zarte Frauenstimme.

„Tony! Du bist wieder da!“

Tony reagierte reflexartig und erwiderte die Umarmung. Er roch ein bekanntes süßes Parfum und merkte endlich, wen er da vor sich hatte. Mit der rechten Hand berührte er das lange schwarze Haar, mit den weiß gefärbten Strähnen darin. Er schob sie leicht von sich weg und grinste.

„Mia!“

Mia grinste zurück. Ihre grünen Augen, die schwarz von Kajal umrahmt waren leuchteten ihn an. Ihre zierliche Gestalt stecke in einer schwarzen, sehr kuschelig anmutenden Strickjacke. Darunter trug sie ein schwarz weißes Top. Sie hatte einen schwarzen Mini an und trug abgelatschte schwarze Chucks. An ihren Handgelenken baumelten scheinbar hundert silbern glitzernde Kettchen und sie trug einen Pentagrammanhänger um den Hals. Ja … Mia. Genau so hatte Tony sie in Erinnerung und so stand sie nun vor ihm.

„Du hast dich gar nicht bei mir gemeldet!“

Ihre Arme hatten sich um seinen Nacken geschlungen und wollten ihn wohl gar nicht mehr loslassen. Tony wurde schmerzlich bewusst, wie Recht sie hatte. Kaum das er zu Hause angekommen war, hatte Darrin ihn zu diesem Ausflug an die Ostsee überredet und dann, als Jana getötet worden war, hatte er Mia ganz vergessen.

„Tut mir Leid“, sagte er und strich über ihre zarte glatte Wange. „Mir ist was sehr Übles dazwischen gekommen. Aber komm erst rein!“

Mia nickte, strahlte immer noch und ließ von ihm ab. Tony schloss die Tür und bemerkte dabei einen Mann, der schräg auf der anderen Seite des Ganges stand und zu ihm herüber sah. Er trug eine Kapuze, die er tief ins Gesicht gezogen hatte. Tony meinte ihn schon mal gesehen zu haben, konnte sich aber nicht erinnern wo und schloss einfach die Tür. Mia hatte inzwischen auf seinem Bett Platz genommen, das mit einer kleinen Couch die einzige Sitzgelegenheit bot.

„Es ist schön, wieder mal hier zu sein“, sagte Mia fröhlich und grinste Tony an.

„Ging mir nicht anders“, sagte er und setzte sich zu ihr.

„Ich hab dich vermisst!“

Es klang kindlich, aber nicht unangenehm naiv. Sie wirkte einfach nur so süß, wie sie spielerisch ihre weiblichen Reize einsetzte. Tony lächelte sie wieder an und Jana und Darrin waren für einen Moment vergessen. Er zog Mia zu sich ran und küsste sie.

„Wofür war der?“ fragte sie lachend und strich durch seine Haare.

„Dafür, dass du so unheimlich süß bist.“

„Schleimer.“

Jetzt musste Tony auch lachen. Er und Mia waren eine Sache für sich. Sie waren kein Paar, das auf keinen Fall, aber ihre Freundschaft ging weit über körperliche Grenzen.

„Du musst mir alles erzählen, Süßer“, sagte Mia eifrig. Ihre Augen glänzten im schönsten Grün, das Tony je gesehen hatte. Ihm wurde heftig bewusst, wie sehr er sie vermisst hatte.

„Kann das nicht warten?“, fragte er und rückte näher an sie heran. Sie lächelte einfach so unwiderstehlich und dieses süße Vergessen, das ihn überflutete war einfach zu schön. Ihre schlanken Beine die unter dem schwarzen Mini hervor lugten machten ihn fast etwas schwindelig.

„Ich möchte so gerne alles wissen“, sagte sie. Tony riss seinen Blick von ihrem aufreizenden Ausschnitt und sah wieder in ihre grünen Augen. Ihm ging etwas durch den Kopf, was er jetzt eigentlich fragen musste, denn ihr letztes Treffen lag mehr als ein Jahr zurück.

„Hast du jetzt ...?“

Er fand irgendwie nicht die richtigen Worte.

„Nein, ich habe immer noch keinen Freund“, beantwortete Mia seine unfertige Frage. Es schien sie nicht zu stören. Tony zog die rechte Augenbraue hoch und schubste sie rückwärts auf sein Bett.

„Warum nicht?“

„Warum sollte ich?“ kam die Gegenfrage. Ihr sonniges Gemüt schien unerschütterlich.

„Weil du …“, Tony stemmte sich über sie und sah auf sie hinunter. „Weil du wunderschön bist und jedem Mann den Kopf verdrehen könntest.“

„Das ist nicht immer ein Segen, Großer.“

Großer. Tony grinste schief. Er war genau ein Jahr älter als Mia, die in dem Jahr, als er in England war, ihr letztes Jahr an der Schule gehabt hatte. Vielleicht hätte er sie lieber fragen sollen, wie denn das ABI gelaufen war und ob diese Idioten, die Tony immer Prügel angedroht hatten, weil er Mia so nahe stand, es tatsächlich auch geschafft hatten. Aber irgendwie interessierten ihn im Moment ganz andere Sachen. In Gedanken war Tony schon weit weg von der Realität, als es wieder an der Tür klingelte. Tony fluchte leise, Mia lachte wieder. Während er sich mit gequälter Miene wieder der Tür näherte setzte Mia sich hin und strich ihr schwarzes Haar glatt. Diese Frau konnte einen Wahnsinnig machen.

Tony drückte die Klinke herunter und öffnete. Dieses Mal rannte ihn niemand um, aber beim Anblick der todtraurigen Mine seines Besuchers, erfasste ihn ein neuer Gefühlsschwall.

„Hast du kurz Zeit?“

Darrin sah an Tony vorbei und erblickte Mia im Türrahmen zu Tonys Allroundzimmer.

„Ich meine, wenn’s gar nicht geht …“

„Nein, nein, nein!“ Wehrte Tony ab und zog Darrin mit sanfter Gewalt in die Wohnung. „Es ist völlig okay, wenn du rein kommst. Überhaupt kein Problem.“

Darrin nickte Mia verlegen zu und zog seine Schuhe aus. Während Mia noch völlig trocken bei Tony angekommen war, glich Darrin mehr einer Wasserleiche, als einem lebenden Menschen. Tony nahm ihm die nasse Jacke ab und hing sie über seine kleine Badewanne, damit sie trocknen konnte. Er hörte Mia leise mit Darrin reden. Ach, sie hatte ja keine Ahnung. Weder Mia noch Tony hatten Jana wirklich leiden können, aber unter diesen Umständen würden sie das Darrin nicht gerade unter die Nase reiben. Er schien ihrer kleinen romantischen Liebesgeschichte sehr hinterher zuhängen und Tony verstand das nur zu gut. Warum auch immer. Darrin hatte Jana wirklich geliebt.

Tony trat aus dem Bad in den schmalen Flur und betrat den Wohnraum. Rechts von ihm befand sich seine kleine Küchenzeile. Links standen ein kleines Bücherregal und davor das Bett. Mia und Darrin hatten dort Platz genommen und Mia wirkte jetzt nicht mehr so unendlich fröhlich.

„Wo kommst du jetzt her?“ fragte Tony und reichte Darrin ein Handtuch, dass er aus seinem Bad mitgenommen hatte. Darrin nahm es an, hielt es aber nur fest ohne seine Haare abzutrocknen, oder wenigstens sein Gesicht. Tony war zum Heulen zumute.

„Ich war bei der Polizei“, sagte Darrin etwas tonlos und trocknete sich jetzt doch das Gesicht ab. „Sie haben keine Spuren, keine DNA Spuren, keine Fingerabdrücke, nichts. Sie haben lediglich herausgefunden, wem die Hütte dort gehört. Ist wohl nur ein stinkreicher Engländer, der von unserer Anwesenheit nichts mitbekommen haben will. Er sagt, dass er telefoniert hat, als der … Mord geschah. Leider gibt es dafür Beweise. Er war es nicht.“

„Keine Spuren“, Tony war ratlos. Wer hätte Jana umbringen sollen? Wer hätte dort gewesen sein können? Es war nichts gestohlen worden, das Auto war völlig unversehrt. Nur eine Leitung war kaputt gewesen, aber das diente höchstens als Ursache dafür, dass sie keinen Meter weiter hatten fahren können.

„Und die Autopsie?“ fragte Tony vorsichtig. Er streifte kurz Mias Blick. Sie schien ein wenig geschockt und hatte ihre Hand tröstend auf Darrins Arm gelegt.

„Ein einziger präziser Stich. Sofort tot …“, Darrin schluckte und ließ den Kopf hängen, doch dann sagte er noch etwas: „So präzise, dass es entweder perverses Glück oder ein geübter Stich gewesen sein kann. Die beiden anderen waren scheinbar nur Zierde.“

Tony schauderte. Ihm gingen so viele Sachen durch den Kopf, die er Darrin jetzt hätte sagen können. Aber die Sache war so aussichtslos, wie konnte er seinen Freund da mit leeren Phrasen belasten?

„Ich glaube so was … können nur Ärzte“, murmelte er. In England an der Uni hatte er viele Medizinstudenten kennen gelernt. „Vielleicht engt das den Täterkreis ein.“

„Oh ja“, sagte Darrin sarkastisch. „Und jetzt fragen wir mal alle Millionen Ärzte in Deutschland, ob nicht vielleicht jemand Jana erstochen hat. So ganz zufällig.“

„So war das doch nicht gemeint, Darrin“, sagte Mia sanft. „Tony wollte dir nur Mut machen. Das weißt du.“

Tony senkte den Blick und dachte nach. Die Lampe über ihnen sendete ihr weißes künstliches Licht auf sie herunter und Tony fühlte sich nicht ganz so panisch, wie die letzten Tage. Immerhin war er nicht allein. Die Sekunden verstrichen und keiner der drei sagte ein Wort. Niemandem fiel etwas ein und Darrins Gedanken schweiften immer wieder zur Landstraße, zu seinem Toyota und Janas Leiche, wie sich ihr Rücken über dem Schalthebel bog.

„Können wir irgendwas für dich tun?“ fragte Mia sehr einfühlsam, doch Darrin schüttelte nur mit dem Kopf.

„Vielleicht sollte ich einfach nur nach Hause gehen. Sie werden keinen Mörder finden.“

Klarer hätte er es nicht ausdrücken können, doch Tony tat es in der Seele weh, seinen langjährigen besten Freund so leiden zu sehen. Darrin erhob sich, gab Tony das Handtuch zurück und ging um seine Schuhe anzuziehen.

„Darrin!“ Tony stand hastig auf und folgte ihm. „Soll ich dich nicht lieber nach Hause bringen?“

Darrin schien einen Augenblick zu überlegen. Dann nickte er. Tony kehrte zu Mia zurück und sagte ihr, dass er Darrin nach Hause bringen müsse.

„Ich hab wirklich Angst, dass ihm was passiert, wenn er jetzt allein geht.“

Mia verstand das. Tony küsste sie dankbar und verließ dann mit Darrin die Wohnung im elften Stock. Es regnete immer noch in Strömen und die Ziolkowskistraße stand fast unter Wasser. Tony schüttelte mit dem Kopf. Das im August! Als würde der Himmel mit weinen.
 

Eine knappe Stunde später fuhr Tony sein Auto zurück auf den Parkplatz und kämpfte sich durch den Regen zur Haustür der Nummer 10. Durchnässt und mächtig niedergeschlagen betrat er den Fahrstuhl, drückte die Taste mit der 11 und ließ sich nach oben befördern. Es machte ihn nervös, dass Mia so lange auf ihn warten musste, aber sie war geduldig und würde sicher nicht böse sein.

„Elf!“ verkündete die Fahrstuhlstimme und Tony äffte sie genervt nach, als sie ihre knappe Aussage wiederholte. „Das Ding hat doch ’nen Sprung in der Platte“, murmelte er seufzend und zückte den Schlüssel für die Wohnungstür. „Mia? Ich bin wieder da!“

Er bekam keine Antwort. Tony machte ein dummes Gesicht und trat in die Wohnung. Sorgsam streifte er seine nassen Schuhe ab.

„Mia?“ flötete er, obwohl ihm schon irgendwie klar war, dass sie gegangen sein musste. Zugegeben, er konnte nicht erwarten, dass sie eine ganze Stunde lang auf ihn wartete. Tony seufzte und rieb sich die Stirn. Das alles machte ihm Kopfschmerzen. Er würde Mia anrufen und sie fragen, ob sie nicht Lust hatte den morgigen Tag mit ihm zu verbringen. Sicher würde ihr das gefallen. Er würde ihr versprechen, sich ganz ihr zu widmen. Frauen waren ja so kompliziert! Müde schlurfte Tony in sein Wohnzimmer und ließ sich wieder auf dem Bett nieder. Er spähte hinüber zu dem kleinen runden Tisch, der gegenüber von seinem Bett vor einer kleinen Couch stand und entdeckte einen Zettel.

„Bestimmt von Mia“, murmelte er und stand wieder auf. Er hatte richtig getippt. „Ruf mich bitte morgen an“, las Tony. Genau das, was er erwartet hatte.
 

12ter August
 

Tony rührte etwas gelangweilt mit seinem hübschen silbernen Löffel in seinem Kaffee. Mia saß ihm gegenüber und sah ihn gespannt an. Unsicher blickte Tony hoch und sah sie fragend an.

„Ist was?“ fragte er etwas unwirsch.

Heute war nicht gerade sein Tag. Von Janas Mörder war noch immer keine Spur und Darrin ging es zusehens dreckiger. Doch er hatte Mia versprochen, sich heute Zeit für sie zu nehmen, also konnte er sie wohl kaum wieder abwimmeln.

„Das mit Jana find ich wirklich schlimm“, sagte Mia vorsichtig und senkte den Blick. Das war eindeutig nicht das, was sie hatte sagen wollen, das sah Tony ihr an der Nasenspitze an.

„Ja“, meinte er trotzdem seufzend und rührte weiter in seinem Kaffee. Die schwarze Flüssigkeit schwappte leicht auf und ab. Er hatte Lust sie zum Überlaufen zu bringen, oder die Tasse einfach vom Tisch zu fegen, aber das durfte er nicht. Sie saßen in der Kröpeliner Straße in einem recht großen Café und heute strahlte die Sonne wieder vom Himmel, als wäre nie etwas gewesen. Tony war es eindeutig zu warm. Um sie herum bummelten Touristen und Shoppingfreunde durch die Straße und guckten ihnen neugierig beim Kaffeeschlürfen zu. Es war wie im Zoo. Aber Mia liebte dieses Café.

„Was wolltest du denn wirklich?“ Tony gab sich einen Ruck, ließ die Tasse, Tasse sein und sah Mia direkt an. Sie errötete leicht.

„Es ist dumm, so was jetzt zu fragen, wo du doch gerade so viele Probleme hast“, sagte sie, wirkte dabei irgendwie traurig und starrte nun ihrerseits auf ihre Eisschokolade.

„Mia, Süße, sag es einfach, du weißt, dass ich dir nichts übel nehme, außer du lügst mich an“, lenkte Tony ein und versuchte es mit einem aufmunternden Lächeln. Mia schien etwas Mut zu schöpfen.

„Es geht halt darum …“ genau in diesem Moment begann das Handy, das neben Tonys Kaffeetasse auf dem Tisch lag, zu vibrieren. „Darrin ruft an“, verkündete das Display und Tony zögerte keine Sekunde abzunehmen.
 

Darrin lag wach auf seinem Bett. Er fühlte sich schrecklich. Träge drehte er den Kopf zur Seite um nicht weiter auf die graue Decke starren zu müssen. Er hatte die Vorhänge seines Zimmers fest zugezogen, wollte die Sonne nicht hereinlassen. Er sperrte alle Geräusche von draußen aus, wollte nicht hören, wollte einfach nur allein sein. Und er war allein. Darrin war sich plötzlich nicht mehr so sicher, ob er das wirklich wollte. Jana war tot, jetzt war er allein. Ihm war zum heulen zumute. Schnell schloss er die Augen, um die Tränen zurückzudrängen. Darrin erinnerte sich noch so genau an damals, als er Jana kennen gelernt hatte. Wie noch einen Tag zuvor war der Himmel bedeckt gewesen und es hatte pausenlos geregnet …
 

Darrin ging geduckt und die Kapuze weit ins Gesicht gezogen, den Regenschirm wie einen Windschutz vor sich haltend, schnellen Schrittes durch den Rosengarten. Der Regen prasselte unaufhörlich und Darrin fluchte leise. Er lief schneller, seine Schuhe waren bereits durchgeweicht. Doch je schneller er zum Steintor kam, desto schneller würde er die erste Bahn nach Hause nehmen können. An der Kreuzung musste er stehen bleiben, denn die Fußgängerampel war auf rot umgesprungen. Darrin fluchte, als er sah, dass seine Bahn gerade an der Haltestelle zum stehen kam. Er blickte hektisch die Straße auf und ab. Nein, da war kein durchkommen. Die Autos zischten an ihm vorbei, von den Reifen spritzte Wasser. Darrin biss die Zähne zusammen. Dort zwischen den nächsten beiden kam er bestimmt durch, wenn er schnell genug war. Er wollte gerade ansetzten, war schon halb auf der Straße, als jemand ihn zurückzerrte. Darrin, nicht darauf vorbereitet, stolperte nach hinten und entging knapp einem LKW, der von der anderen Seite angerauscht kam. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, als er merkte, dass er nur knapp seinem sicheren Tod entgangen war. Rasch drehte er sich um und sah ein Mädchen mit ängstlichem Gesicht vor sich stehen. Ihre langen braunen Haare waren klitschnass, genau wie ihre Sachen. Sie war mindestens doppelt so durchgeweicht wie Darrin.

„Pass doch auf!“ sagte sie, wirkte etwas verlegen und wurde rot.

„Danke“, nuschelte Darrin, hielt seinen Regenschirm über sie und sah sie sich genauer an. „Ich hab den LKW wirklich nicht gesehen.“

„Das dachte ich mir“, antwortete sie, sah dann an ihm vorbei. „Es ist grün.“

Die Linie fünf, Darrins Bahn, war längst davongefahren, doch jetzt störte ihn das nicht weiter. Dieses Mädchen, das ihm das Leben gerettet hatte, löste in ihm mehr als Dankbarkeit aus. Er fühlte sich zu ihr hingezogen. Jetzt wo Tony weg war, wo er kaum jemanden hatte, an den er sich wenden konnte, hatte er das Gefühl sie zu brauchen … und er hatte das Gefühl verliebt zu sein.

„Wie heißt du?“ fragte er anscheinend lässig, doch innerlich aufgewühlt, als sie die Straße nun bei Grün überquerten.

„Jana“, sagte sie geradeheraus.

Darrin nickte. Er meinte sie schon gesehen zu haben. Ob das an der Schule gewesen war? In der Wallstraße? Möglich war es. Die Schule war so voll gewesen, dass man selbst in zwei Jahren Unterricht dort längst nicht alle Gesichter gesehen hatte.

„Ich bin Darrin“, sagte er und hielt weiterhin seinen Regenschirm über sie.

„Bist du nicht der beste Freund von diesem Tony gewesen, auf den alle Mädchen abgefahren sind? Und der Tony, den fast alle Jungs aus meinem Jahrgang verprügeln wollten, weil er mit Mia zusammen ist?“

Darrin lachte über die vielen Fragen. Aber Jana hatte Recht. Darrin hatte gar nicht mehr zählen können, wie viele Mädchen Tony verliebt angestarrt hatten.

„Ja, der bin ich. Du warst in Mias Jahrgang?“

Sie nickte und lächelte ihn an.

„Ich hab das alles nie verstanden. Ich glaube ja Tony ist schwul“, sagte sie offen und Darrin musste wieder lachen.

Während er auf seine Bahn wartete, kam er in ein angeregtes Gespräch mit Jana, sie tauschten ihre Handynummern und trafen sich nach diesem Tag noch öfter.
 

… Darrin begann abzuschweifen, zog Parallelen, die ihm so eindeutig und doch sinnlos erschienen. Der Regen, als Jana aufgetaucht war … Hatte es nicht gerade aufgehört in Strömen zu gießen als er sie fand? Und was war mit Tony? Nicht eine Woche nach seiner Abreise war Jana bei ihm gelandet. Jetzt war Tony

wieder da und Jana war unwiderruflich fort. Darrin drehte sich auf den Bauch und vergrub das Gesicht in den Kissen. Wollte er jetzt Tony für alles verantwortlich machen? So ein Unsinn. Er schluckte schwer, stützte sich dann auf die Ellenbogen und sah sich wieder in seinem Zimmer um. Vielleicht sollte er etwas Licht hereinlassen, vielleicht sollte er sich aufraffen und einfach leben, denn noch war ihm nicht alles genommen. Darrin ließ sich mit dem Gesicht nach unten zurück auf sein Kissen fallen. Wieso dachte er nur so viel an Tony? Das war Jana gegenüber einfach nicht fair! Er versuchte sich ihr Bild zurück ins

Gedächtnis zu rufen, wie ihr braunes Haar sanft ihr Gesicht umspielte, wie sie lachte und wie sie ihn immer angesehen hatte. Darrin fiel es schwer zu atmen. Er drehte sich zurück auf den Rücken, starrte wieder zur Decke hoch. Wenn er schon Parallelen ziehen musste, warum fing er nicht damit an, dass er sie damals gebraucht hatte, weil Tony nicht erreichbar war. Jetzt brauchte er Tony, weil sie nie wieder erreichbar sein würde. Müde und zittrig hievte er sich hoch, griff zu dem Handy auf seinem Schreibtisch und wählte Tonys Handynummer.

„Ja?“

„Hey Tony … stör ich?“

„Darrin? Nein, nie, was gibt’s denn?“

„Könntest du … eventuell vorbeikommen?“

Tony zögerte eine Sekunde, schien nachzudenken, ein paar Dinge abzuwägen. Wo er wohl gerade war?

„Ich bin in ein paar Minuten bei dir. Ich nehme die Bahn.“

Darrin warf einen Blick auf die Uhr.

„Wo bist du?“

„Uniplatz. Na ja, so gut wie.“

„Die Bahn fährt in 5 Minuten von der Langen Straße“, Darrin merkte das seine Stimme tonlos klang. Er hörte einen Stuhl am anderen Ende der Leitung scharren.

„Okay, alles klar. Ich werd versuchen die zu schaffen! Bis gleich.“

„Bis gleich“, Darrin legte wieder auf und starrte noch eine Weile auf das Display. Dann stand er träge auf und öffnete langsam die Jalousien an seinem Fenster.
 

„Tony, wo willst du hin?“ Als Tony auflegte sah er, wie Mia fassungslos zu ihm hoch starrte. Sie war wütend, aber nicht nur das, sie war auch enttäuscht.

„Ich muss zu Darrin“, Tony hatte ein schlechtes Gewissen, aber konnte er denn seinen besten Freund in diesem Zustand allein lassen? Hastig kramte Tony in seiner Geldbörse und legte den Betrag für den Kaffee auf seine Untertasse. Er hatte kaum etwas getrunken.

„Aber du hast doch versprochen, dass …“

Tony saß auf heißen Kohlen. Wie konnte er jetzt so schnell erklären, was Darrin ihm bedeutete, wie konnte er Mia in 2 Sekunden Dinge erzählen, von denen er selbst kaum etwas wusste und wie konnte er ihr begreiflich machen, dass er doch nur zu gern Zeit mit ihr verbracht hätte?

„Ich ruf dich an“, versprach er und verließ fast fluchtartig das Cafe.
 

Darrin blieb am Fenster stehen und sah hinunter auf den grauen Asphalt. Die Sonne hatte sich ein paar Streifen durch die Wälle von Stein gebahnt und blendete unangenehm auf den Frontscheiben der Autos. Er empfand es als schmerzhaft und hätte am liebsten die Jalousien gleich wieder herunter gezogen. Darrin wohnte noch bei seinen Eltern, hier am Hafen in dieser unangenehmen dunklen Gasse. Er hatte auch noch sein altes Kinderzimmer, das schon so einiges mitgemacht hatte. Angefangen bei der ersten Übernachtungsaktion mit Tony von vor gut 10 Jahren, bis hin zu kleinen Experimenten mit Drogen und reichlich Alkohol.

Darrin lehnte die Stirn gegen die kühle Scheibe und seufzte. Das Glas beschlug. Darrin hob seinen Finger und schrieb Janas Namen auf die Scheibe. Die Buchstaben verschwanden sehr schnell wieder, doch Darrin wischte die letzten Reste mit der Hand weg und hauchte noch einmal gegen das Glas. Diesmal zierte Tonys Name das Fenster. Wieder wischte Darrin alles weg, schrieb, wischte, schrieb und wischte. Was verband die beiden nur? Wieso schloss sich in seinem Kopf immer ein Kreis? War er jetzt völlig durchgedreht oder hatte er noch nicht verstanden, dass Tony jetzt wieder zurück war und ihn nicht verlassen würde? Oder doch? Er blieb am Fenster stehen und starrte weiter hinunter in die hohle Gasse. Sein Toyota stand fast genau unter dem Fenster, dort, wo er ihn zuletzt geparkt hatte. Ein Pappkartonschild wies nun darauf hin, dass der Wagen zum Verkauf stand. Die Polizei hatte ihre Proben entnommen, ans Labor geschickt und absolut nichts gefunden. Jetzt suchten sie noch immer an Janas Körper herum. Vergebens. Der Kerl musste unheimlich gut vorbereitet gewesen sein. Präzise wie ein Mediziner.

Darrin ballte die Hand zur Faust, als hätte er ein Messer in dieser und führte sie langsam in Richtung seines Herzens. So war es nicht schwer, aber … wie konnte man so gut treffen ohne an einer Rippe abzurutschen? War das wirklich einfach nur Glück gewesen? Dummes Glück. Darrin lehnte die Stirn wieder gegen die kühle Scheibe. Hoffentlich war Tony bald da. Er hastete bestimmt grad von der Haltestelle hinunter in die Eschenstraße. Während Darrin das dachte klingelte es bereits an der Tür. Er stieß sich vom Fenster ab und lief etwas hastig aus seinem Zimmer und zur Wohnungstür. Ungeduldig riss er die Tür auf und sah einen besorgten Tony vor sich stehen.

„Wer ist da, Darrin?“ Tony erkannte die Stimme von Darrins Mutter, die aus der Küche klang.

„Es ist Tony!“ rief Darrin zurück und schaffte ein kleines Lächeln.

Darrins Mutter kam mit einem Geschirrhandtuch aus der Küche und lächelte Tony freundlich an.

„Hallo“, sagte Tony, grinste und kratze sich hinterm Ohr.

„Hallo Tony, du warst ja schon lange nicht mehr hier. Schön, dass du da bist.“

Sie schien erleichtert, dass sich noch jemand um ihren Sohn kümmerte und der noch nicht völlig in seiner Trauer versunken war. Die Hilflosigkeit, die sie ob dieses schlimmen Falles verspürte machte sie fast noch unsicherer, als Darrin selbst. Sie lächelte die beiden noch einmal an und verschwand dann wieder in der Küche.

„Ist dein Vater noch arbeiten?“ fragte Tony beiläufig.

„Ja“, sagte Darrin und schloss die Tür hinter Tony. „Du kennst das doch.“

Schon eigenartig wie wenig sich doch geändert hatte. Tony sah sich im Flur um, nahm den altbekannten Geruch wahr, den jede Wohnung individuell für sich beanspruchte. Es war angenehm wieder hier zu sein, nach so langer Zeit.

„Kommst du?“

Tony sah zu Darrin herüber, der sich umdrehte und traurig schlurfend in sein Zimmer trottete. Schnell folgte Tony ihm. Er betrat das Zimmer und fühlte sich überfallen von alten Erinnerungen. Ihm kann es vor, als wäre er hundert Jahre nicht hier gewesen, dabei war es doch nur ein Jahr gewesen.

„Man, es sieht alles noch so gleich aus“, murmelte Tony.

„Ja, was soll ich auch verändern?“ fragte Darrin etwas betrübt.

„Du hast sogar die Fahne vom letzten Schultag noch hängen“, sagte Tony und starrte auf die große Fahne, die über Darrins Bett hing. Es war eine Regenbogenfahne, die Tony spaßeshalber vom Rostocker Christopher Street Day mitgenommen hatte. Lange hatte er sich dort nicht aufgehalten, aber für eine

Fahne hatte es gereicht. Am letzten Schultag hatten dann alle im feuchtfröhlichen Zustand darauf unterschrieben. Ein besonders weiser Mitschüler hatte den Schriftzug: „Alles gayt vorbei!“ hinterlassen. Tony betrachtete seine Unterschrift um die Darrin nach dem 5ten Bier ein Herzchen gemalt hatte. Er grinste schief, war aber irgendwie traurig.

„Wieso sollte ich sie abnehmen?“ fragte Darrin jetzt und weckte Tony aus seinen Erinnerungen. „Ich mag sie. Auch wenn sie irgendwie schwul ist.“

„Magst du keine Schwulen?“ fragte Tony in Gedanken und las alle Schriftzüge noch mal. „Ich meine, es war schon lustig da.“ Womit er den Christopher Street Day meinte.

„Ach was, ich hab nichts gegen Schwule, das weißt du doch. Jana mochte sie nicht, aber …“

„Jana hat mich gehasst“, rutschte es Tony heraus und als er merkte, was er gesagt hatte biss er sich schuldbewusst auf die Unterlippe und sah Darrin entschuldigend an.

„Ich weiß“, sagte der nur leise. „Sie hat dich eben für schwul gehalten.“

Tony erwiderte nichts, dachte sich nur seinen Teil. Auf Tote sollte man nicht schimpfen, dass hatte ihm seine Mutter schon früh beigebracht. Darrin ließ sich schwungvoll auf sein Bett fallen und sah Tony dann an. Die Anwesenheit seines besten Freundes beruhigte ihn unheimlich. Darrin hatte das Gefühl ihn nur anfassen zu müssen und alles wäre wie früher. Aber war diese Phantasie nicht völlig übereilt?

„Möchtest du … vielleicht reden?“ fragte Tony etwas hilflos und setzte sich vorsichtig neben seinen Freund.

„Ja“, sagte Darrin, stützte das Kinn auf seine Hände und sah zu seinem Computer auf dem Schreibtisch herüber. „Ja, ich möchte reden.“

Tony nickte, sichtlich hilflos, sichtlich ängstlich etwas Falsches zu sagen. Darrin wandte sich ihm zu und sah ihn einen Moment an, dann lehnte er sich zurück, schob sich ein Kissen unter den Kopf und lehnte sich so gegen die Wand.

„Erzähl mir von England.“

Tony verschluckte sich, hustete und sah Darrin dann verwirrt an.

„Was?“

„Erzähl mir von England. Bitte. Ich brauch einfach nur etwas Ablenkung, okay?“ Darrin schien es todernst zu meinen. Tony blinzelte verstört.

„Ja, also ich meine“, stammelte er. „Es ist nichts Spannendes, nur Uni, lernen, Partys und unheimlich viel … Alkohol.“

„Sex meinst du“, berichtigte Darrin ihn und klang irgendwie amüsiert.

„Auch“, gestand Tony. „Jedenfalls nichts, was dich irgendwie ablenken könnte.“

„Nichts lenkt mich mehr ab, als ne schöne Story voller Alkohol und Sex“,

Darrin lachte, als Tony das Gesicht in den Händen vergrub und ganz rot anlief um die Ohren.

„Ich sag dir, es war so unheimlich geil“, murmelte Tony durch die Hände und sah Darrin zwischen seinen Fingern hindurch an.

„Erzähl“, meinte Darrin nur. Er drängte jeden schlechten Gedanken zur Seite. Tony war wieder bei ihm und Tony würde es schon schaffen ihn aus diesem Loch ohne Boden herauszuziehen. Darrin war sich sicher, dass sein Freund dafür noch sein allerletztes Hemd hergeben würde.
 

„Na ja, wie beschreibe ich es am Besten? Irgendwann stand ich dort auf dem Flughafen, verzweifelt auf der Suche nach meiner Gastfamilie. Ich fühlte mich ziemlich beschissen, hatte fast den ganzen Flug lang nur geheult. Was sollten die nur von mir halten, wenn ich mit meinen geröteten Augen und bis zum Umfallen erschöpft vor ihnen stand? Verzweifelt fragte ich mich endlich bis zum Haupteingang durch und blieb dann einfach dort und sah mich um. So viele Leute, wie sollte ich jemals die finden, die ich suchte? Etwa eine halbe Stunde lief ich ziellos auf und ab. Meine Schultern schmerzten unter dem schweren Rucksack und der Reisetasche. Ich begann mir vorzustellen, wie es wäre, wenn niemand kam. Könnte ich dann einfach nach Hause zurück? Könnte ich dann wieder völlig entspannt mir dir ins LT gehen und mir keine Sorgen machen um fremde Familien, die mich vergaßen? Das war schon eine hübsche Vorstellung, denn ich hatte wirklich keine Lust mehr hier zu bleiben und hier ein Jahr, zwei Semester, lang zu lernen. Du hast mir gefehlt, Mia hat mir gefehlt. Sogar die ganze alte „Stadtschule“ mit ihren ätzenden Treppen, die einen dauernd aus der Puste brachten und den Klos, die Nachmittags abgeschlossen wurden und es manchmal morgens noch waren. Ich dachte daran, wie wir immer im Rosengarten gesessen hatten, als es uns die 11te Klasse endlich möglich gemacht hatte, bei den „Großen“ lernen zu dürfen. Ich erinnerte mich sogar noch an die tolle Lindenstraße, in der wir unsere ersten 6 Jahre verbracht hatten. Als man klein war, kam einem alles noch so groß und toll vor. Selbst wenn das Gebäude einem fast auf den Kopf gefallen wäre. Geschichten der, später mit uns fousionierten, Goetheschüler zufolge, ging es uns noch ganz gut. Jemand erzählte mir mal, im „Goethe“, wie man es nannte, seien schon die Heizungen von den Wänden abgebrochen und Fenster aus den Rahmen gefallen. So was fällt mir immer ein, wenn ich alleine irgendwo herumirre und absolut nicht weiß wohin. Nach einer ¾ Stunde dann, dachte ich langsam darüber nach, ob ich nicht vielleicht irgendetwas verplant hatte. Vielleicht glaubten sie ich käme erst eine Maschine später, oder ich würde mit dem Taxi zu ihnen fahren. Du glaubst gar nicht, wie schrecklich es ist, wenn einen ewig diese Fragen quälen.

Zu guter Letzt hatte ich natürlich nichts falsch gemacht. Mein Gastbruder hatte mich schlichtweg vergessen. Er kam eine knappe Stunde zu spät in die Flughafenhalle gesprintet, sichtete mich und nahm sicher als erstes meinen flehenden Blick wahr. Tyler war sein Name. Er war 21, lebte bei seinen Eltern, studierte und er sah dir unheimlich ähnlich. Am liebsten wäre ich schreiend weggelaufen, aber dazu hatte ich gar keine Kraft mehr. Er fragte mich in lockerem und sehr umgangssprachlichem Englisch wie mein Flug gewesen sei und wie es mir ginge. Ehrlich gesagt bekam er nicht sonderlich viel aus mir heraus. Aber wenigstens nahm er mir die verdammte Tasche ab. Eine weitere Stunde später (ich verschlief die Fahrt im Auto) erreichten wir endlich mein neues zu Hause. Es war unbestreitbar gut. Ich bekam mein eigenes Zimmer (nicht grad sehr klein), direkt neben Tyler. Sie erzählten mir, dass es ihrem ältesten Sohn Dylan gehört hatte, der aber mittlerweile weggezogen war. Ich sagte zu allem „Ja und Amen“ und hoffte nur, dass sie mich endlich in Ruhe ließen.

Nun ja, so verging eigentlich meine erste Woche in England. Dann musste ich zur Uni und es wurde wirklich lustig.“

Tony versank in Gedanken und merkte kaum, dass Darrin so an seiner Geschichte kaum noch teilhaben konnte. Er ließ einiges Revue passieren. Bilder flossen an ihm vorbei. Darrin sah ihn nachdenklich gespannt an.

„Willst du nicht weitererzählen?“ fragte er vorsichtig.

Tony schreckte aus seinen Gedanken hoch.

„Oh, oh doch, natürlich“, stammelte er und schenkte Darrin ein gewinnendes Lächeln, für das er sofort belohnt wurde.

„Der Kerl sah also aus wie ich?“

„Tyler? Ja, das war ganz schrecklich.“

„So schlimm findest du mich?“ Darrin lachte.

„Nein! Aber dadurch hatte ich noch mehr Heimweh als ohnehin schon. Du weißt doch. Klein Tony ist ohne seinen großen Darrin verloren.“

Darrin lachte laut auf.

„Komm schon, erzähl mal lieber was von den Partys! Und den Mädels!“

Tony starrte hinunter auf seine Finger und schien nachzudenken. Wo machte er am besten weiter? Wie brachte er Darrin seine einschlägigen Erfahrungen näher?

„Na ja, da waren mehrere Mädels. Alle Namen weiß ich nicht mehr. Die hatten alle Hoffnung auf eine Beziehung, aber ich wollte das nicht. Wäre doch dumm gewesen, oder? Für ein Jahr? Nein, danke.

Und dann lernte ich William kennen …“

„Wo kam der her?“ fragte Darrin prompt und Tony blickte verwirrt zu ihm auf. Die Frage war so unvermittelt gestellt worden.

„Eifersüchtig?“ Tony grinste leicht, senkte aber schnell wieder den Blick. Er wusste, die wahre Antwort war „Ja“, aber so würde Darrin es nicht sagen.

„William war bei mir an der Uni. Er studiert Medizin und er ist Bester in seinem Studiengang, aber wenn du mich fragst ein wenig … überdreht. Nicht das er von seiner Person her anstrengend wäre. Ich würde sagen William hatte ziemlich komische Ansichten über die Welt. Er … mochte tote Dinge.“

Darrin zog die Augenbrauen zusammen.

„Mit so was gibst du dich ab.“

„Nein, das würde ich so nicht sehen. Ich hab William halt auf der Uni kennen gelernt. Er war eigentlich ein recht netter Kerl, wenn man ihn nur oberflächlich betrachtete. Ich mochte ihn eigentlich auch, aber irgendwann hab ich doch die Flucht ergriffen.“

Tony schwieg einen Moment, dachte an William zurück. Er war nicht hässlich gewesen, ein hübscher blonder junger Mann mit eisblauen Augen. Immer mit weißem Hemd und hellblauen Jeans. Fast unauffällig und sehr speziell.

„Wieso hast du die Flucht ergriffen?“ fragte Darrin, stieß sich von der Wand ab und sah Tony unheimlich gespannt an.

„Er wollte was von mir“, sagte Tony.

„Was denn?“ fragte Darrin etwas dümmlich.

„Na, was wohl?“ stellte Tony die Gegenfrage.

„Bah? Der war heiß auf dich?“ fragte Darrin etwas perplex und seine Augen wurden ganz groß. Tony unterdrückte ein Grinsen.

„Ja, genau das.“

„Und du hast ihn abblitzen lassen? Warum?“

Darrin war nicht ganz klar, warum ihn von dieser Geschichte jede Einzelheit interessierte, aber er wollte auf keinen Fall auch nur ein Detail verpassen. Hatte Tony ihn gemocht, womöglich noch attraktiv gefunden? Wäre Tony auf ihn eingegangen? Was hatte ihn davon abgehalten?

„Ja, mein Gott, ich war mir nicht unbedingt sicher, dass ich so direkt auf Typen stehe. Ich meine … ausschließen würde ich es eventuell nicht, aber ich meine … ja also … ich fand halt nichts an William. Er war mir einfach zu … kalt. Und er war mir vielleicht etwas zu anders.“

Tony schwieg wieder. Darrin starrte ihn immer noch gespannt an. Es verging eine Sekunde. Die Stille knisterte fast. Nur von draußen hörte man das Geschirr in der Küche klappern. Wahrscheinlich wusch Darrins Mutter wieder per Hand ab.

„Sag mal“, unter brach Darrin die Stille. „War dieser William der Einzige?“

Die Frage klang fast ehrfürchtig, sogar einen Hauch erschrocken. Tony presste die Lippen zusammen und schluckte. Langsam, ganz langsam schüttelte er mit dem Kopf. Wieder Schweigen. Darrin sah seinen Freund immer noch unentwegt an. Versuchte sich vorzustellen, was da in England abgegangen war. Tony war ein unheimliches Sahneschnittchen, keine Frage. Er hatte braune Haare, die sanft sein Gesicht umspielten. Die ebenfalls braunen Augen sahen aus wie blank polierte Murmeln. Tonys Augenbrauen und seine Wimpern waren so unnatürlich dunkel, dass sie fast wie gefärbt wirkten. Nur Darrin wusste, dass sie das absolut nicht waren. Noch dazu waren Tonys Augenbrauen so schmal und dezent geschwungen, als wären sie gezupft. Auch das war nicht der Fall. Seine Lippen waren zart und passten perfekt in dieses subtile Bild, dass Tonys Gesicht bot. Wie geschaffen für ein Portrait, das hatte ihr alter Kunstlehrer immer wieder betont, bis Tony ihn gebeten hatte, es doch bitte zu unterlassen. Tonys ganzer Körper schien auf Zierlichkeit und Perfektion aufgebaut zu sein. So empfand Darrin es in diesem Moment jedenfalls. Es war ein fast überwältigendes Gefühl. Janas Unterstellung an Tonys sexuelle Orientierung verstand er nun nur allzu gut. Er selbst hatte Tonys Vorzüge so in und auswendig zu kennen geglaubt, dass er sie mit der Zeit einfach übersehen hatte. War das alles so selbstverständlich gewesen? Tony trug ein weißes Hemd, dass seine zarte Statur etwas kaschierte. Darüber eine dunkle Strickjacke, deren Ärmel über seine zierlichen Hände fielen und eine dunkle Hose, die etwas zu lang für ihn war. Darrin bemerkte, dass Tony ihn jetzt wieder ansah. Seine Augen waren fast elektrisierend. Hatte Darrin jetzt völlig den Verstand verloren? Ihn durchzuckte die Vorstellung von Tony mit einem gesichtslosen Typen. Etwas in Darrin krampfte sich zusammen. Jana war in die hintersten Ecken seiner Erinnerung gerückt. Es war fast, als wäre sie nur ein hübscher Traum gewesen.

„Aber du hast nicht irgendwas Unanständiges mit einem von denen angestellt, oder?“ fragte Darrin ruhig. So ruhig fühlte er sich in Wirklichkeit gar nicht. Statt zu Antworten drehte Tony den Kopf zur Seite und starrte aus dem Fenster. Unsicher strich er sich die Haare aus den Augen und sagte dann entschuldigend:

„Doch, habe ich, aber wirklich nur ein Mal.“
 

Tony war noch nicht lange wieder von Darrin zurück, als sein Telefon klingelte. Mit noch einem Schuh am Fuß stolperte er rüber zu seinem Schreibtisch und nahm ab.

„Jaaa?“ fragte er gedehnt, klemmte den Hörer zwischen Ohr und Schulter.

„Warum bist du einfach so abgehauen?“ Tony blinzelte verwirrt, kickte seinen Schuh zur Seite und bemerkte dann, dass es Mia war, die dort sprach.

„Ach Mia, Süße, bitte, es tut mir doch Leid, aber Darrin …“

„Ja toll, Darrin, immer höre ich nur Darrin, Darrin, Darrin!“

„Hey, komm das ist nicht fair!“

Mias Stimme klang aufgewühlt und hatte einen leicht hysterischen Unterton.

„Ich wollte mit dir reden! Merkst du das nicht? Darrin hätte sicher noch 10 Minuten warten können, meinst du nicht?“

„Mia, er hat seine Freundin verloren, es geht ihm …“ Tony stockte. Jetzt, wenn er so darüber nachdachte, war Darrin nicht wirklich depressiv oder Sonstiges gewesen. Etwas traurig und vielleicht war da dieser Melancholische Schimmer in seinen Augen, aber er hatte so viel Geredet, so viel gelacht, hatte alles über England wissen wollen.

„… es geht ihm einfach nicht gut!“

„Und? Hilft es, wenn ich dir sage, dass es mir auch nicht gut geht?“

„Mia bitte! Was wolltest du mir denn sagen?“

Sie schnaubte beleidigt.

„Jetzt muss ich das auch noch am Telefon mit dir abhandeln?“

„Du kannst auch noch vorbeikommen“, sagte Tony verbittert und wünschte sich eigentlich, sie würde nicht darauf eingehen. Musste sie ihm jetzt das Hochgefühl nehmen, das er von Darrin mitgenommen hatte? Er hatte nicht einmal gehofft Darrin so verständnisvoll zu finden, wie heute. Wie ruhig und sachlich er aufgenommen hatte, was Tony vermutete.

„Ich komme vorbei!“

Tony seufzte resignierend.

„Okay, wann bist du da?“

„In etwa 20 Minuten. Kommt drauf an, wie die Bahn kommt.“

Mia legte unvermittelt auf. Tony seufzte wieder und legte traurig den Hörer weg. Was war denn nur so wichtig, dass sie so einen Aufriss veranstaltete? Warum musste sie ihm jetzt alles versauen. Müde ließ er sich auf sein Bett fallen, streckte sich aus und starrte hoch an die Decke. Er schloss kurz die Augen und ließ einfach alles auf sich einströmen.

„Hey pretty boy.“

Ach dieser Satz, er hatte sich so fest gebrannt. Wieso hatte William ihn so angesprochen? Der Ton, dieser Hauch von Worten, so exakt artikuliert, als hätte er es darauf abgesehen ihn in Tonys Hirn zu brennen. Seine Aussprache war es gewesen, die Tony verabscheut hatte. Niemand den er kannte hatte je so deutlich jede Silbe betont, so exakt jeden Buchstaben klingen lassen.

Tony schlug die Augen wieder auf und ließ sich von seinem Bett hinunter auf den Boden rollen. Lustlos machte er seinen PC an. Seine prall gefüllten Musikordner sprangen ihm entgegen. Was hören? DHT? Cascada? Jan Wayne? Tony wusste es nicht. Vielleicht solle er alles in eine Playlist packen und einfach Random laufen lassen. Gesagt, getan. Seufzend lehnte er sich in seinen Schreibtischstuhl zurück und schloss wieder die Augen. Wenn er jetzt nur einfach schlafen gehen könnte! Es war kurz vor 11 Uhr. Mia kannte scheinbar keine Gnade. Tony ließ den Bass auf sich wirken und wünschte er könnte so weit aufdrehen, dass seine Schranktüren vibrierten, so wie er es am liebsten hatte. Aber wenn er das tat, würde sein Nachbar ihn lynchen und das hielt Tony für weniger gut. Gelangweilt ließ er seinen drehbaren Stuhl von links nach rechts trudeln und wollte gerade einnicken, als die Türklingel ihn wieder hochjagte.

Tony fuhr aus dem Halbschlaf hoch und rannte sofort zur Tür. Sein Körper protestierte, als er zur Türklinke griff und Tony wurde einen kleinen Moment fast schwarz vor den Augen. Er schüttelte den Kopf um den Schwindel zu verjagen und öffnete dann die Tür.

Mias Mine wirkte wie versteinert. Tony bemühte sich, nicht zu seufzen und trat zur Seite um sie rein zu lassen. Entmutigt schloss er die Tür hinter ihr und ging dann selbst, die Hände tief in den Taschen, zurück in sein Wohnzimmer.

„Was gibt es denn jetzt?“ fragte er und sah auf Mia hinab, die mit immer noch säuerlicher Miene auf seinem Bett saß.

„Du bist so ein Ochse!“ zischte sie. „Was glaubst du denn, was ist?“

Tony hatte keine Lust auf Ratespielchen und das machte er ihr mit einem Blick klar. In Mias Augen begannen Zornestränen zu schimmern.

„Wie lange kennen wir uns? Seit bestimmt 3 Jahren!“

Tony setzte sich wieder auf seinen Schreibtischstuhl und suchte den Titel des Tracks, den sie gerade hörten. Attention von Commander Tom.

„Und weiter?“ fragte er müde.

„Und weiter? Wie oft hast du mich mit hübschen Worten eingelullt. Ich hätte jeden Typen haben können an der Schule! Aber ich hab ja immer gedacht, dass du dich irgendwann mal dazu herab lassen würdest mich wirklich zu nehmen!“

„Was jetzt?“ Tony wurde wieder etwas klarer im Kopf. „Ich hab dir immer gesagt, dass du dir einen Freund suchen sollst. Ich hab dich nie an mich gebunden! Was willst du denn?“

„Raffst du das nicht? Ich will endlich eine Beziehung mit dir!“

Tony vergrub das Gesicht in den Händen und seufzte tief. Auch das noch. Wie hatte er glauben können, dass alles so weiterlaufen würde wie bisher?

„Man, Tony“, tränenerstickte Stimme, ein leichtes Zittern. „Ich liebe dich, ich will keinen anderen Typen. Du bist einfach der Beste. Du bist total hübsch, alle hätten dich gerne …“

„Ja, das ist aber auch alles!“ fiel Tony ihr ins Wort. „Du genießt die Aufmerksamkeit. Oh toll, du vögelst Tony, alle stehen auf Tony, aber du darfst ran oder was?“

Mia sah ihn einen Moment schweigend an. Eine lautlose Träne rollte über ihre Porzellanwange.

„Aber so sollte das doch gar nicht …“, fing sie an. Tony kannte diesen Ton. Es war der, den er immer zu hören bekam, wenn Mia merkte, dass sie sich völlig falsch benahm.

„Du bist doch so eine arrogante Frutte! Dir geht’s gar nicht um mich! Dir geht’s um mein Face und um den Sex, aber nicht um mich!“

Tony war aufgesprungen. Er redete sich in Rage, dabei musste er doch ruhig bleiben und aufhören zu herumzuschreien. Was sollten denn die Nachbarn denken?

„Das stimmt doch gar nicht!“

Mia hatte sich wieder gefasst. Sie war auch aufgestanden und heulte nun und presste ein Taschentuch, das sie irgendwo hervorgefischt hatte, gegen ihr Gesicht.

„Natürlich geht’s mir um dich! Aber du interessierst dich eigentlich gar nicht für mich. Dich interessiert nur Darrin! Tony, können wir nicht endlich zusammen sein?“

„Nein!“ sagte Tony prompt.

Mia wirkte geschockt ob dieser unbeugsamen Abfuhr. Sie heulte nur noch mehr.

„Und warum nicht?“

Tony verschränkte die Arme und starrte auf den Boden zu seinen Füßen.

„Es geht einfach nicht. Es war immer schön mit dir, aber nicht vollkommen. Ich habe einfach das Gefühl, dass ich … dass ich eben … auf Männer stehe! Ich bin schwul, okay? Ich bin einfach nicht dafür geschaffen mit einer Frau zusammen zu sein. Wenn du nicht gewesen wärst, dann hätte ich vielleicht nie eine angerührt.“

Tony kam gar nicht weiter in seinen Ausführungen. Mia begann haltlos zu schluchzen.

„Du mieser Scheißkerl!“ würgte sie hervor und wischte energisch mehr und mehr Tränen weg. „Du bist ne Tucke! Das ist also dein Problem. Du bist einfach nur ne scheiß Schwuchtel! Du bist so widerlich!“

Sie rannte hinaus in den kleinen Flur und riss die Tür auf. Tony zitterte vor Wut. Da lief sie, seine beste Freundin.

„Du kannst mich mal, du miese Schlampe!“ rief er ihr hinterher, kurz bevor die Tür zuklappte. Mia war fort. Und alle Nachbarn waren jetzt auf dem neuesten Stand der Dinge.
 

13ter August
 

„Das ist wirklich mies“, Darrins Stimme hatte immer noch diesen traurigen Unterton, den Tony sich sehnlich wegwünschte. Aber er wusste, dass die ganze Sache nicht spurlos an Darrin vorbei gehen konnte.

„Ja“, stimmte Tony einsilbig zu. Er hatte die Hände tief in den Taschen vergraben und stand mit gesenktem Kopf an der Straßenbahnhaltestelle in der Langen Straße. Am Vormittag hatte er sich selbst dazu überredet Darrin anzurufen und sich ein wenig bei ihm auszuheulen. Was auch immer das bringen sollte, denn schließlich ging es Darrin vergleichsweise schlechter. Darrin hatte daraufhin vorgeschlagen, dass sie sich vielleicht ein ruhiges Plätzchen suchen sollten und Tony war spontan auf den Zoo gekommen. Was für eine bescheuerte Idee, aber wenn es um eine gewisse Ruhe ging, dann würden sie die da sicher finden.

„Ach, das regt mich total auf!“ legte Tony los, als die Linie 6 vor ihnen hielt und die beiden Studenten einstiegen. „Wie kann sie so mit mir reden?! Sie tut gerade als wäre ich irgendwie total …“

„Psst“, machte Darrin und schubste Tony sanft auf einen der Doppelsitze.

„Ja, sie tut gerade so, als wärest du total abartig, aber schreie bitte nicht so laut, okay?“

„Ja“, brummte Tony schlecht gelaunt und starrte missmutig aus dem Fenster. So was nannte sich beste Freundin, pha!

„Sie ist einfach nur eifersüchtig“, sagte Darrin und betrachtete Tonys verfinstertes Gesicht.

„Das ist mir so scheißegal“, knurrte Tony.

„Ist es nicht“, sagte Darrin prompt. Tony wandte ihm das Gesicht zu und wollte gerade Luft holen um etwas zu sagen, als ihm die Worte einfach im Hals stecken blieben. Er wollte sich nicht mit Darrin streiten, da hielt er lieber die Klappe.

Keine 20 Minuten später standen sie vor dem kleinen Teich im Zoo und sahen den Enten und ihren Artgenossen beim plantschen zu. Darrin starrte etwas verträumt ins Wasser hinunter, Tony war ins Grübeln verfallen. Er wusste ja selbst nicht, was er wollte. Einerseits war er so wütend auf Mia, andererseits machte es ihn verdammt traurig, sie auf diese Art und Weise verlieren zu müssen.

„Oh man, was soll ich denn jetzt machen?“ murmelte Tony und fuhr sich durch die Haare. Darrin erwachte aus seinen Gedanken und sah seinen Freund von der Seite an.

„Vielleicht solltest du sie erst einmal ein wenig runter kommen lassen und dann einen neuen Versuch starten, mit ihr zu reden, oder nicht?“

Tony nickte und presste die Lippen zusammen. Darrin rückte etwas näher zu ihm herüber und stupste ihn leicht an.

„Hey, komm schon. Das wird wieder. Mia ist doch nicht … gestorben.“

„Schuldigung“, nuschelte Tony und ließ den Kopf hängen.

„Wofür?“

„Dir geht es so schlecht und ich nerve dich mit irgendwelchem belanglosen Scheiß. Du hast Recht. Ich sollte mich nicht so wichtig nehmen.“ Tony schluckte und kniff die Augen fest zusammen um seine Tränen zurückzuhalten. Seit er wieder hier war, lief einfach alles schief. Was machte er nur so grundlegend falsch?

„Das wird schon wieder“, sagte Darrin ruhig. „Ja, das Leben geht schließlich für uns weiter.“

Tony wischte sich übers Gesicht und nickte.

„Und nächste Woche redest du noch mal mit Mia. Sie wird das schon irgendwie verstehen, da bin ich mir ganz sicher.“

Tony nickte wieder und fühlte sich so dankbar. Was hätte er nur ohne Darrin gemacht? Schaudernd atmete er durch und sah auf das glitzernde Wasser des Teiches. Das Licht der Sonne verfing sich in den sanften Wellen. Wenn sogar Darrin daran glaubte, warum sollte die Sonne dann nicht irgendwann wieder für sie beide aufgehen?

Darrin und Tony schlenderten gemächlich durch den Zoo, beobachteten hier eine Mutter, dessen Kind sie systematisch in den Wahnsinn trieb und dort einen Opa, der seinen Enkel in die Geheimnisse der Eisbären einwies. Sie überfielen den Spielplatz und freuten sich bald mehr als kleine Kinder über Schaukeln und Klettergerüste.

„Oh man“, Tony ließ sich lachend auf eine Bank fallen. Das tat so gut. Darrin setzte sich neben ihn, auch er lachte.

„Geistiges Alter?“

„6 ½“, prustete Tony und rang nach Luft. Er ließ seinen Kopf auf Darrins Schoß fallen und legte sich rücklings auf die Bank. Glücklich sah er zu seinem besten Freund hoch und verfing sich in dessen Augen. Meerblau. „England war ne scheiß Idee, oder?“

„Ja, England war ne scheiß Idee, aber das kriegen wir wieder hin.“

Beruhigt schloss Tony die Augen und atmete die sanfte Brise ein, die durch seine Haare strich. Oder waren das Darrins Finger?

„Alles Tucken“, murmelte er schläfrig. „Meinst du wirklich ich bin auch eine?“

„Ich glaube, das musst du selbst wissen, aber ich denke, das musst du nicht so eng sehen. Es gibt zwar nicht ein bisschen schwanger, aber ein bisschen schwul schon.“

Tony drehte den Kopf zur Seite und öffnete die Augen einen Spalt weit. Er sah die kleinen Steinchen auf den abgetretenen Wegen.

„Du meinst, dass ich vielleicht Bi bin?“ fragte er leise.

„Ja, das mein ich“, stimmte Darrin zu.

„Aber ich will nicht mit Mia zusammen sein. Ficken würde ich sie schon.“

„Böser Junge“, Darrin schlug ihn sanft auf die Wange und Tony bemerkte, dass gerade eine Frau mit zwei kleinen Kindern an ihnen vorbeigegangen war. Er musste wieder lachen.

„Vergleich es doch mal“, meinte Darrin. Tony spürte an den Bewegungen seiner Beinmuskeln, dass er sich zurücklehnte. „Wie war es mit Mia und wie mit dem Kerl in England?“

Tony grinste schief.

„Mit Mia war es sehr aktiv. Mit dem Typen halbwegs passiv.“

„Gut das reicht“, sagte Darrin schnell, lachte aber. Tony liebte es ihn lachen zu hören. Er drehte den Kopf wieder und sah zu Darrin hoch. Wenn er jetzt … nein, der Zeitpunkt war nicht gut.

„Was magst du denn lieber?“ fragte Darrin noch immer grinsend. Er legte seine Hand auf Tonys Bauch ab und schaute ihn fragend von oben herab an.

„Läuft da grad wieder ne Mami mit ihren beiden Schätzchen?“ fragte Tony kichernd.

Darrin sah sich um und schüttelte dann mit dem Kopf.

„Ich mag es gefickt zu werden.“

„Du könntest die Betonung von dem Wort nehmen und kein Mensch würde das für einen bösen Satz halten“, Darrin lachte wieder. „Tony, du warst schon immer der passive Typ. Das dir das jetzt erst auffällt.“

„Das hättest du mir ruhig vorher sagen können!“

„Du hast nie danach gefragt“, behauptete Darrin. Seine Hand rutschte etwas tiefer. Tony wusste genau, dass es Absicht war.

„Jetzt bist du dir sicher?“ fragte er und stemmte sich etwas höher. Dabei rutschte Darrins Hand unerwartet tief weiter ab. Der Blick der beiden lief an Tonys Bauch herunter zu seinem Gürtel, an dem jetzt Darrins Hand ruhte.

„Mutig, mutig“, meinte Tony, versuchte seine Stimme nicht zittern zu lassen.

Sie sahen sich an. Grinsten beide. Tony drehte sich ein bisschen und war nun mit Darrins Gesicht auf einer Höhe.

„Weiß ich da was nicht?“ fragte er.

„Worum geht’s?“ fragte Darrin unschuldig. Tony sah sich noch einmal um, niemand in Sicht, und schwang sich dann breitbeinig auf Darrins Schoß.

„Oh Mann, bist du schwer!“ alberte Darrin. Er musste jetzt ein kleines Stück zu Tony aufblicken.

„Ich hab dich vermisst, Darrin“, sagte Tony und legte die Arme um den Nacken seines Freundes. Darrin sah etwas abwesend zu ihm hoch. Tonys Gewicht war nicht wirklich unangenehm, es war eher angenehm.

„Sag mal Tony, wie ist das so? Mit nem Typen?“

Auf Tonys Lippen erschien ein subtiles Lächeln.

„Es ist … anders, aber es ist auch irgendwie … gut.“

„Gut …“, murmelte Darrin und starrte auf Tonys T-Shirt.

„Mit wem hast du geschlafen. Du hast mir keinen Namen gesagt. War es dieser William?“

„Nein, Tyler“, sagte Tony langsam, irgendwie schuldbewusst.

„Wie jetzt?“ Darrin sah wieder hoch in Tonys Gesicht. „Dieser Typ, der so aussah wie ich?“

Tony antwortete nicht mehr. Er beugte sich runter und küsste Darrin auf den Mund, doch unerwartet zuckte er zurück und senkte den Blick. Darrin war verwirrt.

„Tut mir Leid“, nuschelte Tony und fuhr sich vorsichtig mit den Fingerspitzen über die Lippen. Sie schienen zu brennen, verlangten mehr. Tony wollte sich losreißen, aufstehen, von Darrin Abstand nehmen, doch er war unfähig sich zu rühren. Er fühlte einen kleinen Luftzug, eine Hand die sich in seinen Nacken legte und ihn an Darrin heranzog.

„Was ist, willst du warten bis die nächste Mami vorbeikommt?“

Tony brauchte nicht antworten. Natürlich wollte er das nicht. Er wollte nur hier sein, bei Darrin, so nah wie es nur möglich war. Ich liebe dich! Schrie er in Gedanken, brachte doch kein Wort über die Lippen, denn die waren von Darrins versiegelt.

„Ich bin ein Idiot, oder?“ fragte Tony. Darrins warme Hand lag immer noch in seinem Nacken. Sein Blick trübte sich.

„Kein Grund zu heulen. Du bist nicht der einzige Idiot hier, der sich erst ne Frau anlachen musste um festzustellen, dass der eigentliche Traumpartner seit Jahren vor ihm stand.“

„Wirklich?“ Tony wischte sich hastig über die Augen.

„Ja, und jetzt lass uns hier abhauen.“

Tony wollte immer noch heulen. Sollte jetzt alles wieder besser werden? Es war doch zu schön. Würde er Darrin jetzt für sich haben, diesen zerbrochenen Menschen, den er so liebte? Sicher musste doch irgendwas schief gehen. Doch der Moment zog sich hin. Darrin reichte Tony ein Taschentuch, denn er bekam den Tränenfluss nicht unter Kontrolle. Ja, jetzt würde alles besser werden. Mia würde das bestimmt irgendwie verstehen. Sie war doch nie wirklich verklemmt gewesen. Er und Darrin hatten viel falsch gemacht, aber sie würden ihr bestes tun, alles wieder in Ordnung zu bringen.

„Geht es wieder?“ fragte Darrin liebevoll, als Tony sich ein letztes Mal über die Augen tupfte. Die Parallelen, die er noch einen Tag zuvor unerklärlich gefunden hatte, lagen nun hübsch aufgereiht vor ihm. Er hatte Jana nur gefunden und behalten, weil ihm etwas anderes verloren gegangen war. Doch Darrin konnte nicht behaupten, dass er Jana nie geliebt hätte. Aber er hatte es gehasst, dass sie ewig hinterhältig zu Tony gewesen war. Und das, wo die beiden sich doch nur knapp 2 Wochen wirklich gekannt hatten.

„Ja, geht schon“, antwortete Tony. „Wo willst du jetzt hin?“

„Weg von den ganzen Tierchen“, Darrin lächelte und legte Tony einen Arm um die Schultern. „Und dann am besten zu dir, denn immerhin brauchst du eine kleine Pause.“

Tony nickte nur. Er fühlte sich ausgelaugt, doch mit Darrin an seiner Seite war es okay. Und dann klingelte das Telefon. Tony zuckte zusammen, als das Handy in seiner Hosentasche zu vibrieren begann. Darrin sah verwirrt auf ihn hinunter, als er merkte, was los war, begann er zu lachen. Tony grinste schief und fummelte das Handy aus seiner Tasche. Verwirrt blickte er aufs Display.

„Die Polizei?“

Darrin wurde sofort ernst.

„Geh ran!“

Tony gehorchte: „Ja?“

„Herr Wendelin?“

„Ja, ganz genau. Bin dran.“

„Goswin am Apparat. Wo sind Sie? Wir stehen gerade vor Ihrer Wohnung. Es ist wichtig, dass wir uns sofort sprechen. Wir haben ein paar Fragen an Sie.“

„Aber, Herr Goswin, ich habe ein Alibi, Sie und Ihre Kollegen haben doch bereits alles überprüft.“

„Nun ja, das mag im Fall von Frau Jana Harder der Fall sein, aber darum geht es nicht. Ich bitte Sie unverzüglich zum Präsidium zu kommen.“

Tony war verwirrt. Was wollten die nur? Worum ging es, wenn nicht um Jana?

„Meinetwegen kann ich kommen. In einer halben Stunde müsste ich es schaffen. Ist das okay?“

„Sicherlich“, Tony meinte ein leises Seufzen zu hören. „Ich erwarte Sie in einer halben Stunde.“

Tony bestätigte das noch einmal und der Polizist legte auf. Irritiert drückte Tony die kleine Taste, mit dem roten Hörer, auf seinem Handy und sah dann zu Darrin hoch.

„Was gibt es denn?“ fragte der, genauso verwirrt wie Tony.

„Ich habe keine Ahnung, aber es muss irgendetwas passiert sein.“
 

Die Nacht war klar und kühl. Lautlos schlich er über den säuberlich gestutzten Rasen der Nummer 66. Kein Licht brannte mehr. Selbst die Straßenlaternen liefen nur noch im Sparmodus. Jede Zweite brannte leise summend vor sich hin. Er blickte zwischen den Reihenhäusern hin und her. Die Gärten waren klein, sehr klein. Vorsicht war geboten, denn er durfte keine Spuren hinterlassen. War der Boden sehr weich? Würden sie seine Fußabdrücke finden?

Er betastete den Rasen mit seinen Gummihandschuhen. Die Erde war fest und trocken. So wie es sein musste, nach den letzten Tagen Sonne und Wind. Trotzdem würde er nicht unachtsam über den Rasen wandern. Er ließ sich auf alle Viere hinab und kroch vorsichtig Stück für Stück auf die Verandatüren zu. Mit angehaltenem Atem erreichte er diese und drückte leicht dagegen. Sie gab nach. Wunderbar. Sie hatten tatsächlich wieder nicht abgeschlossen. Genau wie er es beobachtet hatte. Unachtsame Idioten. Aber das konnte nur zu seinem Vorteil sein. Er erhob sich von den Knien und betrat leise das Wohnzimmer. Hübsch eingerichtet, sauber und deutsch. Doch sein Interesse daran war ziemlich gering.

War alles ruhig? Schliefen alle? Es sah ganz danach aus. Leise und sorgsam, einen Fuß vor den anderen setzend, schlich er durch das Wohnzimmer, verließ es und schlich die Treppe hinauf zu den Schlafzimmern. Eine knisternde Ruhe begleitete jede seiner Bewegungen. Da war sie, die Tür die er suchte. Noch einmal ging er im Geiste alles durch. Täuschte er sich auch nicht? Nein, kein Zweifel möglich. Er hatte alles genauestens geplant. Es würde nichts schief gehen und der Hieb würde sitzen. Er berührte die Klinke. Sie fühlte sich seltsam an unter den Gummihandschuhen. Er fühlte sich seltsam in seiner sterilen Kleidung, aber er wollte nicht auffliegen und dazu war ihm jedes Mittel recht. Die Tür knarrte nicht. Er seufzte erleichtert, trat in das Zimmer. Ein wenig Licht von der nächsten Straßenlaterne fiel in den Raum. Und dort lag sie, friedlich schlummernd. Stumm wie eine Statue betrachtete er sie einige

Sekunden lang. Hass brodelte in ihm, auch wenn er sie kaum kannte, aber er hatte seine Ohren überall, er wusste alles und sie würde bereuen und wenn es erst in der Hölle war! Vorsichtig griff er in seine Tasche und zog eine Spritze hervor. Sie war leer. Natürlich, denn das war seine Mordwaffe. Vorsichtig zog er das eingesetzte Plaste - Teil zurück. Füllte den Hohlraum mit Luft. Mehr brauchte er nicht, nur Luft um ihr Blut zum schäumen und ihr Herz zum versagen zu bringen. Er hatte gehört, dass das Opfer unheimliche schmerzen erlitt dabei. Wenn es so war, würde er es gutheißen. Falls nicht … wer konnte schon nachweisen was die Toten fühlten? Er trat näher, beugte sich über sie, bereit für einen eventuellen kleinen Todeskampf. Man musste auf alles gefasst sein. Ihr schwarzes Haar fiel in zarten Wellen über ihr Kissen. Um ihren Hals trug sie noch eine silberne Kette. Der Ansatz ihrer Brüste funkelte bezaubernd unter der Decke hervor. Doch ihm war es egal. Er machte sich nichts daraus. Er wollte sie nur in einem Stadium sehen: tot.

„Goodbye, Honey“, flüsterte er bevor er die Spritze in ihrem Arm rammte und

die Luft in ihre Adern pumpte.
 

„Das ist voll unheimlich“, murmelte Tony, als er mit Darrin auf den Fersen das Polizeirevier betrat. Wenn Goswin wenigstens gesagt hätte worum es ging, aber Tony tappte völlig im Dunkeln. Er hatte keine Ahnung was ihm blühte.

„Wird schon nicht so schlimm. Vielleicht … ist deine Mülltonne explodiert, oder so“, meinte Darrin grinsend und rückte etwas näher zu Tony auf. „Ich denk mal nicht, dass es allzu schlimm wird.“

„Ich hoffe du hast Recht.“ Unsicher blieb Tony vor dem Büro von Richard Goswin stehen. Er sah Darrin noch einmal Trost suchend an. „Bis gleich.“

„Bis gleich, ich warte hier.“

Tony hätte Darrin gern noch einmal geküsst, aber er wusste, dass er sich dann nicht würde trennen können. Hier war einfach nicht der richtige Ort. Er klopfte an die Bürotür und wurde hereingerufen. Richard Goswin saß hinter seinem Schreibtisch, hatte sich zurückgelehnt und starrte etwas missmutig auf

seinen Computermonitor.

„Hallo, da bin ich“, sagte Tony und schloss unsicher die Tür wieder hinter sich.

„20 Minuten“, sagte der Polizist zufrieden. „Guter Schnitt Wendelin. Setzen Sie sich doch bitte.“

Er war aufgestanden und schüttelte Tony die Hand bevor der sich setzte.

„Nun … gut kommen wir zur Sache.“ Unbehaglich setzte sich Richard Goswin zurück an seinen Schreibtisch und musterte Tony kritisch. „Es tut mir Leid Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihre Freundin Mia Eich heute früh tot aufgefunden wurde. Wir stehen vor der Tatsache, dass Sie unter dringendem Tatverdacht stehen, deshalb war es für mich unumgänglich Sie sofort hierher zu holen.“

Kurzes Schweigen. In Tonys Kopf begannen die Gedanken umherzuwirbeln wie tausend kleine Tornados. Was hatte er gesagt? Mia? Tot? Hatte er das wirklich gesagt, oder träumte Tony?

„Wie bitte?“ fragte er atemlos. Sein Herz kam merklich ins Rasen. Er konnte das alles noch nicht fassen. Nahm die Worte nur langsam wahr. „Dringender Tatverdacht?“

Der Polizist antwortete nicht. War das eine Bestätigung? Seufzend holte er ein kleines schwarzes Diktiergerät aus einer der unzähligen Schubladen seines Schreibtisches.

„Haben Sie etwas dagegen, wenn ich unser Gespräch aufzeichne? Das erspart uns eine Menge Zeit.“

Tony nickte wie betäubt. Noch hatte er seine Lage nicht ganz realisiert. Noch kam nicht bei ihm an, dass er Mia verloren hatte. Für immer. So endgültig, wie Darrin Jana verloren hatte.

„Ich muss sie als Tatverdächtig vernehmen, das heißt, Sie müssen nichts sagen, was Sie belasten könnte und Sie haben das Recht auf einen Anwalt.“

Diese monotonen Anweisungen. Tony begann zu zittern. Sein Körper schien zu flirren. Ihm wurde heiß, dann eiskalt, so dass die Härchen auf seinen Armen sich aufstellten. Das schwarze Ding lag jetzt zwischen Ihnen. Nahm jedes Wort auf und hielt es unwiderruflich fest.

„Nun, Ihre Lage ist nicht besonders gut. Die Nachbarn sagen, dass Sie sich gestern Abend mit Frau Eich gestritten haben. Stimmt das?“

Tony starrte wortlos auf das Diktiergerät. Kältewellen flossen über ihn hinweg.

„Ja“, sagte er heiser.

„Worum ging es in dem Streit?“

Tonys Mund war trocken. Er betrachtete in Trance, wie Richard Goswin eine Akte hervorholte und sie vor sich auf dem Schreibtisch ausbreitete. Die Akte war blau, aber auffällig dick. Irritiert starrte Tony sie an. So dick, war das seine Akte?

„Worum ging es in ihrem Streit, Wendelin?“

Tonys Blick huschte zu ihm hoch. Er wollte ja reden, wollte beteuern, dass er nichts getan hatte, aber er brachte keinen Laut hervor. „Reden Sie mit mir, das macht es um einiges leichter.“

Tony senkte den Blick, starrte auf seine Schuhe. Jetzt langsam drang die ganze Grausamkeit der Sache auf ihn ein. Tot. Mausetot. Einfach weg.

„Es ging um …“, begann er, seine Stimme war kratzig, immer noch heiser. Sein Blick ertrank in den ungeweinten Tränen. „Es ging um uns beide. Es ging darum, dass sie mit mir zusammen sein wollte.“

Richard Goswin nickte. Stutzte dann und blätterte in der Akte.

„Waren Sie und Frau Eich nicht schon ein Paar?“

Tony sah langsam wieder hoch und schüttelte mit dem Kopf. Dann brach es einfach so aus ihm heraus: „Ich bin schwul.“

Einen Moment saßen sie sich in erdrückendem Schweigen gegenüber. Dann fing sich der Polizist wieder, strich etwas in der Akte durch, fügte eine Notiz hinzu und unterschrieb das Ganze.

„So“, sagte er tonlos. „Wir haben Frau Eichs Tagebuch gefunden. Aus dem geht hervor, dass sie beide zusammen waren und das schon bevor Sie ihr Auslandsjahr in England verbracht haben. Genau wie aus ihrem Tagebuch hervorgeht, dass sie sich gestritten haben. Allerdings haben den Streit auch die Nachbarn gehört …“

Wieder zögerte er einen Moment. Schien nachzudenken.

„Sie waren also nicht zusammen?“

Tony schüttelte mit dem Kopf, seine Hände bebten.

„Nein, waren wir nicht. Gestern wollte sie mich … mich dazu bewegen, aber ich habe ihr gesagt, dass ich …“

„Schon klar“, seine Stimme war gefasst und ruhig, Tonys hingegen schien sich jeden Moment überschlagen zu wollen.

„Aber dann erklären Sie mir bitte folgendes: Ich habe hier eine Kopie aus dem Tagebuch von Frau Eich. Es ist das einzige Beweismaterial das wir haben. Hier steht eine … sagen wir sehr intime Nacht mit Ihnen beschrieben. Streiten Sie ab mit ihr Verkehr gehabt zu haben?“

Eine süße Wortwahl. Tony hätte gelächelt, wenn sein Gesicht nicht so versteinert gewesen wäre, als hätte er es längst verlernt.

„Wir hatten Sex. Ja, sehr viel sogar, aber nicht mehr nach meiner Rückkehr. Ich habe meine Neigungen erst in England entdeckt.“

Klang er wirklich plötzlich so kalt wie ein Stein? War seine Stimme wirklich plötzlich frei von allen Emotionen? Der Polizist seufzte, schüttelte verwirrt mit dem Kopf und blätterte dann weiter.

„Herr Goswin?“

„Ja?“

Er blickte über den Rand seiner Lesebrille zu Tony auf.

„Wie ist sie gestorben?“

„Nun“, wieder ein Zögern. „Ich dachte, das könnten Sie uns sagen. Die Ärzte vor Ort meinten jemand hätte ihr Luft injiziert.“

Tony nickte, verstand aber nicht wirklich, was ihm da gesagt wurde. Er beschloss Darrin danach zu fragen, Darrin würde wissen was das hieß.

„Noch eine Frage, Wendelin. Besteht eine tiefere Beziehung zwischen Ihnen und Herr Koblenz?“

Tony nickte.

„Seit etwa 40 Minuten.“

Richard Goswin war nur noch verwirrter. Tony kam sich vor wie eine leere Hülle. Seine Stimme kam von weit, als gehöre sie nicht zu ihm, hätte ihr eigenes Leben.

„Wo waren Sie gestern Nacht zwischen Mitternacht und 2 Uhr?“

Jetzt kamen die Standartfragen.

„Zu Hause, und nein, das kann dieses Mal niemand bestätigen. Ich habe geschlafen, habe gehofft, dass ich mich wieder mit Mia vertragen könnte, dass sie verstehen könnte, dass ich sie trotzdem gern hab. Sehr sogar …“ Die erste Träne rollte über Tonys Wangen. „Ich hätte Ihr nie etwas tun können.“
 

Beta Version 16.08.10

Loveless Home

-Loveless Home-
 

30ter Oktober ein Jahr zuvor, London
 

Die Welt stand ihm offen. Die Welt, diese blaue wunderbare Kugel. Es gab so viele Orte an denen er sein konnte, so viele Plätze, auf denen er sich inmitten unzähliger Menschen verstecken konnte. Er brauchte nur einen Schritt zu machen, er brauchte nur gehen. Aber konnte er denn einfach gehen? Er rannte gegen eine Tür an, eine Tür, die nicht nachgab.

„Lasst mich hier raus!! Lasst mich raus!“

Er schrie bis er nicht mehr schreien konnte, bis seine Stimme versagte, wollte einfach raus. Er warf sich auf den Boden, schlug mit seinen schmerzenden Fäusten auf ihn ein. „Ich will nicht mehr, ich will nicht so sein, wie ihr mich wollt! Ich will einfach nicht!“

Er wünschte sich zu sterben. Wenn er schon nicht wegkam, konnte er dann nicht wenigstens sterben? Aber dazu hatte er einfach nicht den Mut. Die Stille in seinem Kopf machte ihn Wahnsinnig. Er wälzte sich auf dem Boden hin und her. Wie konnte er die Stille vertreiben? Er schrie doch schon, schrie bis seine Lunge platzen wollte, aber die Stille in seinem Kopf war undurchdringlich.
 

Schwitzend und mit rasendem Herzen fuhr William aus dem Schlaf hoch. Ein Alptraum, nur ein Alptraum. Sein Atem ging zu schnell. Er musste sich beruhigen. Nur nicht wieder die Augen schließen, denn der Traum würde zurückkehren. Einfach wach bleiben, die Augen offen halten und die Stille nicht beachten. Ihr einfach nicht lauschen. Hektisch schlug William die Decke zurück, verließ sein Bett und torkelte hinüber zu dem großen Balkonfenster. Mit zittrigen Fingern öffnete er es. Kalte Herbstluft strich über ihn hinweg und er begann sofort zu frieren. Es regnete. Regnete es hier nicht immer? England war doch so bekannt für das ewig graue Wetter. William trat hinaus auf die nassen Fliesen und wandte das Gesicht gen Himmel. Der kalte Regen spülte den Schweiß fort und mit ihm die Angst und die Verzweiflung jedoch nicht das kleinste Stück der Einsamkeit. Müde lehnte er sich gegen das Geländer und sah hinunter in den dunklen Garten der elterlichen Villa. Wie gut man sich doch in der Dunkelheit verkriechen konnte. William liebte die Dunkelheit, verabscheute den helllichten Tag. Der Tag war sein Feind, denn nur am Tag war da die Universität und seine Eltern, seine Eltern die ihm nichts gaben, außer Geld und Wohnung, die nichts von ihm wollten, außer Leistung. William fühlte sich ausgelaugt und gehasst. Er wusste, dass die anderen Studenten ihn für verrückt hielten. Und das nicht nur, weil er so zurückgezogen war. Seine Bestnoten grenzten an Wahnsinn. William seufzte. War auch nur ein Mensch auf der Welt so einsam in mitten einer großen Gesellschaft? Der Regen prasselte auf seinen Rücken. William wünschte sich er wäre stärker und er würde ihm wehtun. Aber man tat William nicht weh. Zumindest nicht körperlich. Seine Seele war ein Wrack. Ein großes vergammeltes Wrack in den Tiefen eines sturmgepeitschten Ozeans. Manchmal fragte sich William, ob er nicht Glück haben könnte, ob nicht irgendwann eine Frau – oder ein Mann – kommen würde, der sich in ihn verliebte, der ihn nahm wie er war und der keinen Wert auf seine Leistung legte, sondern nur den Menschen William sah. Gab es so jemanden auf dieser Welt? Und würde William ihn finden? Durchnässt und vor Kälte zitternd trat William den Rückzug in sein Zimmer an. Er hoffte schon zu lange. Wartete schon zu lange. Wie lange sollte das noch so gehen? War sein Warten womöglich sinnlos? William tendierte dazu es zu glauben. Immer noch nass legte er sich ein Handtuch um die Schultern und zog es fest um sich. Noch niemand hatte ihn umarmt. Noch niemand hatte ihn je wirklich geliebt. Niemand sah, dass er es sich so sehnlich wünschte. Sein Blick wanderte müde zu der Uhr über seiner Tür. Das erinnerte ihn an die Uni. Dort hingen über den Türen auch die Uhren. Es war 5 Uhr morgens. Er hatte noch mindestens 2 Stunden Zeit zu schlafen.
 

„Hey Will!“ William blieb stehen, drehte sich um und sah von seiner Arbeit über die Anatomie des männlichen Körpers auf.

„Was kann ich für dich tun?“ fragte er und betrachtete den jungen Mann, der vor ihm stehen blieb und ein unechtes Lächeln aufgesetzt hatte.

„Du bist doch so ein Ass in Sachen … nun ja, in allem halt. Ich muss da eine Facharbeit über …“

„Ich schreibe keine Facharbeiten für andere“, sagte William, ohne den anderen ausreden zu lassen. „Es tut mir leid, aber so etwas tue ich nicht.“

Beleidigt wie er war ließ William den Schmarotzer stehen und setzte seinen Weg fort, die Haupttreppe hinunter und wieder vertieft in seine Arbeit. Vielleicht hätte er dort noch etwas einfügen können, aber nein, das hatte er ein paar Zeilen tiefer schon getan. William seufzte, rieb sich die Stirn und wandte den Blick resignierend von den vielen Seiten Papier. Sein Blick fiel auf einen Auflauf von Schülern. Was gab es denn da? William packte seine Arbeit ein und näherte sich der kleinen Masse.

„Mensch Leute! Nun lasst ihn doch!“

Die Stimme kannte William. Sie gehörte Tyler Brown, einem unheimlichen Wichtigtuer. Eigentlich gab es für ihn wirklich keinen Grund sich für wichtig zu halten. Im Grunde konnte er gar nichts. William näherte sich weiter und gelangte in den äußersten Kreis der Anwesenden.

„Was gibt es hier?“ fragte er ein Mädchen, das direkt neben ihm stand.

„Tyler hat einen Austauschstudenten aus Deutschland mit. Tony heißt er. Er scheint unheimlich süß zu sein.“

William seufzte. Nur ein Austauschstudent. Wenn das so war … Er wollte gerade wieder gehen, als er einen Blick auf diesen Tony erhaschte. William blieb wie versteinert stehen. Ohne zu merken was er tat stieß er ein paar andere zur Seite, die zu Murren begannen. Ein fieses Schimpfwort wurde ihm zugerufen, aber William ignorierte es. So etwas wie Tony hatte er noch nie gesehen. Zarte braune Haare umrundeten sein Gesicht, fielen glänzend wie Seide. Die Augen, klar und braun hatten einen unbestimmten Glanz. Er lächelte, lächelte unwiderstehlich mit einem so zarten Mund, dass William schwindelig wurde.

„Tony“, hauchte er und ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen. „Tony.“

Sein Blick musterte den jungen Deutschen von oben bis unten. Jede Bewegung subtil, wie die einer Katze. Jedes Stück Haut mehr wert als ein ganzer Sack voll Gold, jedes Lächeln so verschwenderisch wie ein Scheich. Der schönste Mann der Welt war er in Williams Augen. Er konnte sich kaum an Tony satt sehen, spürte wie sich jede seiner Zellen mit Glück füllte, je länger er ihn betrachtete. Und jetzt das Lachen, als Tyler ihm irgendetwas ins Ohr flüsterte. Nach diesem Lachen hätte es William nichts mehr abverlangt taub zu werden. Er hatte alles gehört, was es zu hören gab.

„So wir werden dann jetzt mal weiter. Der Chef wartet noch auf uns! Bis später Leute.“

Und mit dem widerlichen Tyler an seiner Seite verschwand auch der Engel um die nächste Ecke. William blieb wie angewurzelt stehen. Berauscht von dem was er zu sehen auserwählt gewesen war.

„Sieht wirklich heiß aus, oder?“ sagte ein Mädchen hinter ihm.

„Oh ja, den um den Finger zu wickeln ist bestimmt das Beste, was einem passieren kann“, die Stimme eines zweiten Mädchens.

„Ich bin ja der Meinung, dass wir Frauen mal wieder gestraft werden“, schaltete sich eine dritte ein. „Solche Männer sind immer schwul.“

Und Williams Herz machte einen entzückten Hüpfer. Komm zu mir, schöner Junge. Komm zu mir und ich werde jeden Wunsch von deinen majestätischen Augen ablesen. Lass es keinen verfliegenden Traum sein. Taumelnd vor Glück entfernte William sich von den drei Mädchen und blieb etwas abseits allein stehen. Er atmete tief durch. Vielleicht würde seine grausame Einsamkeit bald ein jähes Ende haben.
 

„William, was ist mit dir? Fühlst du dich krank?“

William sah zu seiner Mutter hoch, nein, nicht seine Mutter, seine Erzeugerin, seine Erzieherin und seine Peinigerin zweiten Grades.

„Ich fühle mich gut, Mutter“, sagte er ernst. Sie würde nie verstehen welches Feuer in ihm entfacht worden war. Sie würde nie verstehen, wie bedingungslos er im Moment liebte und das er dafür zum Äußersten bereit war.

„Du wirkst fiebrig, William.“

„Nein, Mutter, ich fühle mich gut. Kannst du mir bitte noch etwas von der Sauce reichen. Ich danke dir.“

William nahm die Schüssel entgegen und sah dann auf seinen Teller. Er war wie immer fein säuberlich mit Nahrung gefüllt und die Portion war genauso groß, wie schon die letzten 15 Jahre.

„Dein Vater hat mit Professor Kinney telefoniert, William.“

Die Stimme seiner Mutter war auch genauso unangenehm wie schon die letzten 23 Jahre. William stellte die Schüssel zurück auf den Tisch und sah sie fragend an.

„Professor Kinney ist sehr zufrieden mit deiner Anatomie Facharbeit. Er meint, wir sollten dich mehr fördern“, bemerkte sein Vater vom anderen Ende des Tisches. In Williams Kopf begann die Alarmglocke zu läuten. Er wollte nicht mehr gefördert werden. Er brauchte seine Zeit, brauchte sie für Tony. Professor Kinney war sein Professor für die Anatomie des Menschen und noch dazu ein alter Kollege seines Vaters, der als Chefarzt in einem der größten Londoner Krankenhäuser arbeitete. Williams Mutter war in einem der Tochterkrankenhäuser Oberschwester. Ja, die ganze Familie war in der medizinischen Branche tätig. Die Krankenhäuser rissen sich um diese widerlichen Leute. William hasste sie. Er selbst studierte Medizin und auch das hasste er. Er wollte nicht so werden wie sie, er wollte nicht auch noch den letzten Rest seiner Gefühlswelt unter dem Skalpell dieser Leute verlieren.

„Ich möchte das nicht“, sagte er schlicht und nahm Messer und Gabel in die Hand.

Er wusste, nun bemühten sich die Alarmglocken in den Köpfen seiner Eltern.

„Warum nicht, William?“

„Ich fühle mich wohl so, wie ich jetzt lerne und studiere. Es ist nahezu perfekt. Mehr brauche ich nicht und es interessiert mich auch nicht“, antwortete William. Eine einzige große Lüge. Nichts war perfekt. Er hasste Medizin. Er hasste die Vorstellung anderen Menschen das Leben zu bewahren, Menschen zu retten, die es gar nicht verdient hatten. Der Tod war es, der ihn faszinierte.

„William“, begann sein Vater mit ernster Miene und legte das Besteck beiseite. „Du solltest dich mit nichts zufrieden geben Du solltest immer nach dem höheren streben und nicht gleichmütig sein. Gehe an deine Grenzen, mein Sohn! Lehne dich nicht zurück!“

Wenn er auch nur ahnen würde, wie sehr William an seine Grenzen ging. Wenn er nur wüsste, wie lautlos und unentdeckt die 9 mm unter seinem Kopfkissen schlummerte und wie oft William sie nachts in der Hand hielt, an die Schläfe führte und darüber nachdachte einfach abzudrücken. Geladen war sie. 3 Schuss, nicht mehr.

„Ich bin an meinen Grenzen“, sagte William leise. Das Essen war ihm zuwider geworden.

„Professor Kinney sagt, dass du mehr aus dir herausholen könntest.“

Dieser Kinney hatte keine Ahnung. Er hatte absolut keine Ahnung. Dieser Dreckskerl schleimte seinen alten Kollegen ununterbrochen an, indem er ihm erzählte, wie toll er, William, doch war. Aber William war nicht toll. William hatte Potenzial und eine Menge Wissen, aber er war der unglücklichste Mensch auf der ganzen Welt.

„Bitte lasst das mich selbst entscheiden.“

Wütend und erschöpft stand William auf und verließ das Esszimmer. Er fühlte wie sich wieder die Leere durch seinen Kopf fraß. Schnell dachte er an Tony. Die Wut dämpfte sich. Ein leiser Hauch von Glück und Hoffnung durchstreifte ihn und er war sich jetzt sicher, dass es noch nicht zu spät war. Dieser junge Deutsche konnte ihn aus seinem Loch ohne Boden befreien. Er konnte William so viel zurückgeben, mit nur einem Lächeln.
 

15ter November
 

William verlangsamte seine Schritte und blieb am Geländer stehen. Unter sich, im Eingangsbereich der Uni, hatte er Tony entdeckt. Immer, wenn er seinen braunen Haarschopf irgendwo aufleuchten sah, fühlte William sich unfähig noch einen Schritt weiter zu machen. Seine Hand legte sich wie automatisch auf das hölzerne Geländer und sein Blick ging starr hinunter und folgte nur Tony. Er formte die Lippen zu diesem Namen, sagte ihn in Gedanken immer wieder. Hinter ihm drängten sich die anderen Studenten vorbei, niemand beachtete ihn. Freunde hatte William nicht. Worüber er im Moment fast froh war. Jetzt blieb Tony stehen, wandte sich um und ein blondes Mädchen kam vor ihm zum stehen. Sie schienen zu reden. Williams Blick verfinsterte sich. Seine Hand krallte sich um das Geländer. Tony begann in seiner Tasche zu wühlen, holte einen Stift hervor und schrieb etwas auf einen kleinen weißen Zettel. William widerstand mit verkrampftem Magen dem Drang hinunter zu rennen und den Zettel in tausend Stücke zu zerfetzen.

„Schlampe“, zischte er, als sie den Zettel triumphierend entgegennahm und sich dann davonmachte. Tony richtete seine Tasche wieder und William merkte, dass er den Weg direkt auf ihn zu einschlug. Schnell wandte er den Blick ab, huschte die Treppe hoch und blieb oben an der Galerie wieder stehen. Tony nahm gerade die ersten Stufen, er hatte den Kopf gesenkt und setzte unbekümmert einen Schritt vor den anderen. William starrte auf sein leicht geöffnetes weißes Hemd. Eine Stufe, eine weitere … er kam immer näher. William wappnete sich, bereit wenn nötig vor Tony auf den Boden zu fallen und ihm zu sagen, wie sehr er ihn anbetete, doch unvermittelt schoss jemand direkt hinter William vorbei.

„Hey! Tony!“

Tony sah hoch. Sein Blick glitt direkt an William vorbei. Er lächelte. Doch lag da nicht etwas Trauriges in diesem Lächeln? William vermochte es nicht zu sagen. War es vielleicht Heimweh? Noch während er das dachte ortete er den verdammten Störenfried. Tyler … wie hätte es auch anders sein sollen? Er erwartete Tony, mit einem königlichen Grinsen auf dem Gesicht, am oberen Absatz der Treppe.

„Wie war die Vorlesung?“

Nur knappe 2 Meter trennten William von Tyler, doch William konnte nicht fassen, dass dieser großkotzige Idiot seinen Hass nicht spürte.

„Es war okay“, sagte Tony und blieb direkt auf der Stufe vor Tyler stehen.

William beobachtete sie unverwandt, machte sich keine Mühe in Deckung zu gehen. Diese Stimme, wie eine Melodie, so schön, dass sie dich wahnsinnig werden lässt. Er bemerkte, dass sein Mund halb offen stand, dass er immer noch diesen Namen auf der Zunge schmeckte. Tony …

„Weißt du ich hab beschlossen, dass ich heute Abend mal ’ne kleine Party für dich schmeißen werde“, sagte Tyler, stemmte die Hände gegen die Hüften und sah auf Tony hinab als wäre er der Sonnenkönig höchstpersönlich. William umklammerte wieder das Geländer und kniff die Lippen zusammen.

„Warum?“ fragte Tony.

Dieser zarte Hauch eines deutschen Akzents. William schauderte. Er verstand selbst ein wenig Deutsch und sprach auch welches, seit er einige interessante deutsche Bücher über sein Lieblingsthema gefunden hatte.

„Na, du bist jetzt schon eine ganze Weile hier und da hab ich mir gedacht, so eine kleine Party wär’ doch mal was. Bei uns zu Hause. Mum und Dad sind ausgeflogen und sie kommen erst Montag wieder. Was meinst du?“

Tony strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Er lächelte immer noch.

„Okay“, meinte er. „Aber wenn was schief geht, dann kann ich nichts dafür.“

Tyler lachte.

„Außer du bist der Grund weshalb was schief geht!“

Tony hatte jetzt die Treppe verlassen und lief an Tylers Seite an William vorbei, der nun krampfhaft den Boden fixierte.

„Hey Blackworth! Du bist übrigens nicht eingeladen!“

Williams Blick schoss hoch und durchbohrte Tylers Gesicht. Doch als Reaktion erntete er nur ein schiefes niederträchtiges Grinsen … und einen fragenden Blick von Tony. Mit gesenktem Kopf, wie ein geschlagener Hund machte er sich davon und schlug die entgegengesetzte Richtung ein. Er wollte sich jetzt nicht anhören, wie Tyler jeden, den er kannte, zu seiner tollen Party einlud.

Du bist übrigens nicht eingeladen!

Das wirst du bereuen, Drecksack, dachte William und ballte die Hände zu Fäusten. Irgendwann wirst du das bereuen!
 

William saß über einem Block Papier. Der Professor leierte gelangweilt seine Reden und malte dabei eine verworrene Skizze an eine weiße Tafel hinter seinem Pult. Allerdings war er nicht der Einzige der gelangweilt dem Ende dieses ganzen Spieles entgegenfieberte. Nicht wenige Studenten hingen mehr als sie saßen auf ihren Plätzen. William starrte verbissen nach vorn an die weiße Tafel, doch die Skizze sah er gar nicht. Er war so von seiner Wut und seinem Hass erfüllt, dass er seine Umwelt kaum wahrnahm. Mit der verkrampften Rechten umklammerte er seinen Kugelschreiber. Wie konnte er Tyler Brown wehtun? William wollte ihn leiden sehen, wollte ihn um sein Leben betteln hören.

Will tu mir bitte, bitte nichts.

Doch William würde ihn nur anlächeln und ihm dann endgültig das Lebenslicht ausblasen. Ein lautes Knacken ließ alle Anwesenden zusammenfahren. Sogar diejenigen, die kurz vor dem Tiefschlaf gestanden hatten wandten nun blitzschnell die Köpfe. Alle starrten William an, der nunmehr zwei Stücke

seines einstigen Kugelschreibers in der Hand hielt.

„Entschuldigt“, sagte er, klang fast resignierend dabei und blickte nicht einmal hoch.

„Mister Blackworth, womit hat der Stift das verdient?“ fragte der Professor. Seine langweilige Leierstimme war wie weggewischt. Ein paar Mädchen kicherten.

Schlimmer als die Grundschule!

„Ich habe wohl etwas zu fest zugepackt“, erwiderte William gelassen, ließ den zweigeteilten Schreiber in seiner Tasche verschwinden und holte einen neuen hervor. Irgendwoher hörte er das Wort „aggressiv“ und wieder ein leises Lachen. Aggressiv ist gar kein Ausdruck! Wenn ich könnte würde ich euch alle …!

„Nun gut, wo war ich denn stehen geblieben, bevor uns Mister Blackworth seine Kräfte demonstriert hat?“

Ein unterdrücktes Stöhnen durchflutete die Vorlesung. Der Professor hörte nichts. Nein, er hörte nichts und wenn doch, dann war es ihm egal. William lauschte noch ein paar Sekunden, vielleicht auch ein paar Minuten, er wusste es nicht genau. Doch dann verfiel er zurück in seiner Abwesenheit. Er starrte nur vor sich hin, hatte den Kugelschreiber jetzt vor sich liegen. Das Blatt vor seiner Nase war unbeschrieben und sauber. Er fuhr mit dem Finger darüber und stellte sich vor, es wäre Tonys Wange.

Du wirst mich nicht verspotten, du wirst mich lieben, du wirst mir gehören.

Egal wie.

Bald würde sein Tag kommen und er konnte Tony ansprechen, er konnte ihm dann sagen, wie sehr er ihn mochte und Tony würde es verstehen, ganz bestimmt. Dann würde Tyler dumm aus der Wäsche schauen. Das konnte William sich blendend vorstellen. Alle würden dumm aus der Wäsche gucken, absolut alle. All die Mädchen, die Tony jeden Nachmittag nach Hause begleiteten, die würden blass werden vor Neid. Er bekam eine Gänsehaut, wenn er sich vorstellte, was im Haus der Browns zwischen Tony und den Mädchen geschah. Warum tat Tony so was? Aber am Ende war es egal, denn behalten würde er nur William, niemand anderen. Vielleicht waren die Mädchen eine Art Alibi, vielleicht auch nur ein Zeitvertreib. Vielleicht lief auch gar nichts zwischen ihnen und Tony, auch wenn er es ständig zu hören

bekam, wenn zwei dieser Schnäpfen sich hinter ihm darüber unterhielten. Natürlich dachten sie immer, er würde es nicht bemerken. Aber William hörte viel. Er war sich sicher, dass 5 von 10 Mädchen, die mit einer Nacht in Tonys Bett geprahlt hatten, verlogene Schlangen waren. William hörte es wenn jemand log. Er hörte es am Klang ihrer Stimmen, sah es im Zucken ihrer Gesichtsmuskeln und spürte es in jeder Faser seines Körpers. Ihn konnte man nicht anlügen.
 

24ter November
 

William sprach Tony nicht an. Aber William wachte und William sah alles. Fast alles. Er ließ sich keine Gelegenheit entgehen sich irgendwie in Tonys Nähe herumzudrücken und versuchte dabei möglichst unauffällig zu sein. Tyler jedoch schien Blut zu wittern. Die Blicke, die er William schenkte waren hasserfüllter denn je und er schien kurz davor zu sein, wie eine Atombombe hochzugehen. William kümmerte das nicht wirklich. Es war ihm nichts wichtiger als standhaft zu bleiben und seinen Posten auf der Aussichtsplattform nicht zu verlassen.

Er stellte seine Tasche auf dem Campus ab und lehnte sich leicht gegen einen vereinsamten und etwas krüppeligen Baum. Tony stand nicht weit entfernt mit einer Gruppe Jungs und Mädchen und erzählte scheinbar von zu Hause. William sah ihn auflachen und in ihm begann alles zu kribbeln. Auch Tyler lachte und schob sich dabei fast unmerklich an Tony heran. William kniff die Augen zusammen. Es war also wirklich so wie er es geahnt hatte. Dieser Brown Bengel war höchst interessiert an Tony.

Tony begann wieder wild gestikulierend zu erzählen. Eine heitere Gesellschaft und Tony war ihr unbestrittener Mittelpunkt. Dann fiel Tylers Blick auf William. Doch William würde nicht wieder ausweichen. In verkrampfter Anstrengung hielt William den Augenkontakt.

Komm doch, komm doch du widerwärtiges Stück Dreck. Komm und ich sprenge dein Hirn!

Tyler tippte Tony kurz auf die Schulter. Der wandte sich ihm fragend zu, dem Mund leicht geöffnet, fast kindlich … naiv erotisch. Sein Blick huschte hinüber zu William. Tyler redete mit gedämpfter Stimme auf ihn ein und William spürte förmlich, wie er eine Wand von Lügen zwischen ihn und Tony zog. Seine Beinmuskeln zuckten. Sollte er hingehen und dem ein Ende machen? Hastig warf er sich seine Tasche über und machte einige Schritte auf die Gruppe zu. Tyler ging sofort zum Gegenangriff über.

„Was willst du, Scheißer, hä? Was willst du?“

Er versetzte William einen noch relativ harmlosen Schubser mit beiden Händen.

„Ich weiß nicht, was es dich angeht“, erwiderte William ruhig. Er hatte wieder Standfestigkeit und ging nun in leichte Abwehrposition. Tylers Hand schoss vor, packte seinen Kragen und zog ihn an sich ran.

„Hör bloß auf Tony zu begaffen, du Wichser!“ zischte er und in William kochte Wut hoch.

„Ich werde ihn ansehen wann und wo ich will. Das kannst auch du nicht verhindern!“

Nein, das wirst du nicht verhindern, denn ich bin es, den er am Ende wählen wird! Ich bin es und niemand sonst! Merk es dir!

Tyler wollte ausholen und William schlagen doch ganz plötzlich stockte sein Arm in der Luft. William war nicht weniger irritiert als Tyler und beide sahen sich nach dem Grund für dieses plötzliche Ausbleiben der Schläge um.

„Was machst du denn?“

Williams Herz begann zu flattern, stolperte ein paar Mal und schlug dann in gleichmäßigem Takt, aber viel zu schnell weiter.

„Tony, du musst dich da wirklich nicht einmischen!“ sagte Tyler etwas ungeduldig und schüttelte noch merklich sanft Tonys Hand ab, die seinen Arm festgehalten hatte. William riss sich von seinem Gegner los und starrte Tony nun völlig unverblümt an.

Das ist das Zeichen. Ich bin der, den du lieben wirst, und zwar nur ich.

„Ich mische mich aber ein, weil ich Prügeleien hasse. Was gibt dir das? Wieso gehst du einfach auf ihn los?“

Hinter Tylers Stirn arbeitete es. Tony verschränkte die Arme und sah ihn fragend von unten herauf an.

„Ich hab da schon meine Gründe“, sagte Tyler dann. William hatte das Gefühl er würde sich unheimlich ertappt vorkommen, aber das konnte auch täuschen. Unsicher machte er einen winzigen Schritt zurück um einen besseren Überblick zu gewinnen.

„Es gibt keinen Grund jemanden zu schlagen!“ sagte Tony, fast etwas zickig.

Tyler ballte die Hände zu Fäusten. Sein Blick spießte erst Tony auf, dann William.

„An deiner Stelle“, sagte er durch die zusammengebissenen Zähne zu Tony gewandt, „würde ich die Klappe erst aufreißen, wenn für dich die Zeit sowieso abgelaufen ist!“

„Soll das etwa eine Drohung sein?“

William beobachtete mit geschärftem Voyeurblick, dass Tony einen kleinen inneren Kampf auszufechten schien. Einerseits hatte Tyler Recht. Er konnte Tony sein Jahr hier in London zur Hölle auf Erden machen. Andererseits baute Tony auf einen kleinen entscheidenden Trumpf, den William nur vermuten konnte. Und da war noch etwas. Etwas, dass William nicht deuten konnte.

„Ja, das soll eine Drohung sein!“

Tonys Arme lösten sich aus der Verschränkung. William bemerkte aus dem Augenwinkel, wie sich eine Gruppe von anderen Studenten um sie versammelte.

„Und, was willst du tun, wenn ich nicht kusche?“

William stellten sich die Nackenhaare auf. Tonys Ausstrahlung jagte ihm einen wohligen Schauer nach dem anderen über den Rücken. Die Luft schien zu vibrieren.

„Ich könnte dich vor die Tür setzten“, zischte Tyler, bemüht seine Wut, die eigentlich gar nicht Tony galt, zurückzuhalten.

„Dann“, sagte Tony gelassen und zu Williams Schreck ging er einen Schritt auf diesen zu. „Zieh ich eben bei ihm ein. Was sagst du dazu?“

William blinzelte etwas verstört. Ging im Kopf die Möglichkeiten durch. War das Realistisch? Theoretisch war es möglich, praktisch war das alles nur …Taktik. Fake. Tylers Gesichtsausdruck hatte sich beinahe dramatisch verändert. Er sah sich kurz um, als wolle er die Lage einschätzen und sah dann wieder Tony an.

„Hör auf mit dem Unsinn“, sagte er leise.

Tony seufzte leise und entfernte sich wieder von William. Beinahe hätte er nach Tonys Arm gegriffen um ihn bei sich zu behalten, doch im letzten Moment unterdrückte er diesen überwältigenden Drang. Sein Arm zuckte kurz. Tony griff sich dafür Tyler und zog ihn aus der Masse neugieriger Gaffer. William blieb mit rasendem Herzen zurück.
 

Es war spät. Eigentlich zu spät um noch lange an der Uni herumzuhängen, doch William hatte noch niemals so eine Abneigung gespürt, wenn es darum ging nach Hause zu fahren. Er hatte sich einsam und allein, wie immer, auf die Treppe gesetzt, auf der er Tage zuvor Tony beobachtet hatte. Kein Laut war mehr zu hören, als ein gelegentliches Schlüsselklappern eines Professors. Niemand schien ihn hier zu bemerken und William war ganz froh darüber. Er fühlte sich müde und unglücklich. Es war seine Berufung Tony zu erobern, Tony in seine Arme kommen zu lassen, aber langsam hatte er das Gefühl kläglich zu scheitern. Es ging alles zu langsam, er musste handeln, musste endlich den ersten Stein ins Rollen bringen, danach würde doch alles wie mechanisch laufen. Doch was war der erste Stein? Und wie stieß er ihn am besten an?

Es gab viele Möglichkeiten, doch nur eine würde auch zum Erfolg führen. William musste abwägen, musste spekulieren. Das hier war nervenaufreibender, als eine Bombe zu entschärfen. Die berühmten drei Hollywood Drähte lagen lang vor ihm ausgebreitet. Welchen kappte er? Den Roten? Den Blauen? Oder womöglich doch den Grünen? Williams Kopf war gefüllt von tausend Ängsten, Hoffnungen und Spekulationen. Wie sollte er je die perfekte finden? Oder war Geduld die Lösung? William hatte keine Geduld, jedenfalls nie für lange Zeit. Seine Geduld war restlos aufgebraucht. Williams Träume waren gefüllt mit Tonys Lächeln. Williams Träume waren gefüllt mit Tonys Stimme. Es machte ihn fast wahnsinnig. Sein ganzes Leben schien auf Tony reduziert worden zu sein. Er seufzte schloss die Augen und legte den Kopf an das Geländer der Treppe. Noch nie in seinem Leben hatte sich William so deprimiert gefühlt. Nicht einmal als seine Eltern zu Weihnachten beide Nachtschicht im Krankenhaus gehabt hatten. Weihnachten alleine zu verbringen, das konnte einem lange Zeit schwer auf der Seele liegen.

Oh Will, mein Junge, es tut mir ja wiiirklich leid, aber diese Weihnachten haben wir es ganz schlimm getroffen. Daddy und ich wir müssen beide arbeiten. Aber das wirst du doch verstehen, nicht war mein Junge? Irgendwann bist du auch ein großer Arzt und wirst sehen, wie schön es ist anderen Menschen zu helfen. Und das auch an Weihnachten. Wir sehen uns morgen. Bye bye.

William schauderte, fuhr sich wieder mit der Hand über die Stirn.

William? Hast du Kopfschmerzen? Du reibst dir ständig die Stirn. Vielleicht solltest du dich mal untersuchen lassen! Aber als angehender Mediziner müsstest du ja eigentlich …

„Oh Gott, halt den Mund!“ wisperte William. Sein Kopf wurde von einem leisen lähmenden Schmerz überfallen. Sehr unangenehm und sehr hartnäckig. Von irgendwo her hörte er Schritte, doch William war sich nicht sicher, ob er sich das nicht etwa einbildete. So klar, wie er die Stimme seiner Mutter in seinem Kopf hörte, konnte er vermutlich auch die hallenden Schritte seines Vaters aus der Kindheit heraufbeschwören. Doch langsam dämmerte es William, dass die Schritte viel zu wenig hallten, dass sie viel zu leicht waren, zu weich. Er kniff die Augen zusammen, öffnete sie dann wieder und starrte auf ein Paar Schuhe zu seinen Füßen.

„Ist alles okay mit dir?“

Alles fiel wie ein großer Stein von William ab. Die Kopfschmerzen verschwanden wie ein schlechtes Gespenst. Sein Kopf war frei. Verwundert sah er hoch in das Gesicht, dass er in diesem Augenblick nicht erwartet hätte. Tony …

„Ja, ja alles in Ordnung, danke.“

Tony lächelte beruhigt.

„Ich dachte schon du würdest gleich umfallen. Mein Gott, du sahst wirklich krank aus, aber jetzt“, er legte den Kopf etwas schräg, die Hände in den Hosentaschen, die Umhängetasche lässig an der Seite baumelnd, „scheinst du ja wieder putzmunter.“

„Natürlich, alles in Ordnung“, sagte William und versuchte das angebotene Lächeln würdig zu erwidern. Keine leichte Aufgabe.

„Was machst du jetzt noch hier?“ fragte Tony und setzte sich unvermittelt zu William auf die Stufe. William beobachtete ihn dabei. Tausend Gefühle rasten durch seine Nervenbahnen. Nervosität und Freude, waren nur ein kleiner Teil davon.

„Ich habe keine Lust nach Hause zu gehen“, gab er zu und versuchte den Blick von Tony zu reißen. Auch das entpuppte sich nicht unbedingt als Kinderspiel.

„Ich würde gerne nach Hause“, sagte Tony, sein Blick wurde leicht abwesend. Woran er wohl dachte?

Schütte mir dein Herz aus. Ich will es hören. Sag mir alles.

„Leider komme ich erst in 10 Monaten wieder dahin. Es ist gar nicht so einfach, das alles einfach stehen und liegen zu lassen.“

„Vermisst du deine Familie?“ fragte William und sah Tony von der Seite an.

„Nicht unbedingt. Ich habe nur noch meine Mutter. Ja, die vermisse ich schon irgendwie. Ich lebe ja schon lange in meiner eigenen Wohnung. Und meine Mutter hat mich dann immer jede Woche einmal angerufen.“ Tony blickte kurz zu William auf, lächelte. „Jetzt in dieser Familie zu leben. Mit ‚Mutter’, ‚Vater’ und sogar einem ‚Bruder’, du glaubst gar nicht wie komisch das für mich ist.“

Tony lachte leise und auch William musste unwillkürlich lächeln.

„Aber darf ich fragen, wo dein Vater ist?“

Einen Augenblick lang fragte sich William, ob er nicht lieber stillschweigen darüber hätte bewahren sollen, aber warum? Jeder hatte seine Geschichte.

„Er sitzt im Gefängnis“, sagte Tony und starrte an die Decke. „Er hat in seiner Firma Drogen geschmuggelt, sehr viele Drogen sogar, bis ihm irgendwann jemand auf die Schliche gekommen ist. Ein Kollege, glaube ich. Er wollte meinen Vater auflaufen lassen und der hat ihn dann kurzerhand erschlagen. Meine Mutter hatte keine Ahnung. Nachdem sie das erfahren hat, da war ich zehn, hat sie mich nur angesehen und geweint. Sie hat wohl gedacht, dass wir den Bach runtergehen würden, weil mein Vater ja immer so viel verdient hatte und sie so wenig. Es war eine ziemlich dumme Situation, aber wir haben das gepackt.“

„Wen vermisst du am Meisten?“ William gingen die Fragen nicht aus. Er hätte ewig so weitermachen können. Statt einer Antwort aber kramte Tony in seiner Tasche und zog sein Portemonnaie heraus. In dem Fach für die Geldscheine hatte er ein Foto stecken. Er reichte es William mit einem traurigen Grinsen. William nahm es entgegen, dachte erst ihn würde der Schlag treffen, bevor er merkte, dass der gut aussehende Typ auf diesem Bild nicht Tyler war. Aufmerksam betrachtete William ihn und sah Tony dann fragend an.

„Darrin“, seine Stimme klang belegt, als habe er einen kleinen Schnupfen.

„Warum macht er dich so traurig?“ William reichte das Lichtbild zurück.

„Oh nein, er macht mich nicht traurig. Ich war nur noch niemals so lange von ihm weg. Er ist mein bester Freund und das seit über 10 Jahren.“

Vorsichtig strich Tony mit einem Finger über das Foto. William beobachtete ihn wie ein Fuchs. Darrin also.

Was willst du mir sagen, mein Schöner, mein Liebster? Ist das mein Hindernis? Nichts Gutes bekommt man umsonst. Auch dich nicht? Muss ich ihn erst aus dem Weg räumen, oder ist er die Brücke zu dir?

Tony räumte das Foto sanft wieder zurück und sah dann William an.

„Komische Geschichten, nicht wahr?“

William schüttelte lächelnd mit dem Kopf.

„Nein, manchmal sind die verrücktesten Sachen das Normalste der Welt.“

Tony lachte leise.

„Ich glaube nicht, dass dein Vater im Knast sitzt, weil er einen Menschen ermordet hat.“

„Nein“, sagte William, dem Tonys Vater gar nicht unsympathisch war. „Nein, mein Vater ist Arzt. Er versucht Leben zu retten.“

„Und du möchtest in seine Fußstapfen treten?“ fragte Tony, nicht ganz ohne Ehrfurcht.

„Nein“, sagte William wieder. „Nein, es ekelt mich an ihm nacheifern zu müssen.“
 

27ter November
 

„William! Will!“

William blieb stehen und wandte sich um. Hinter ihm kämpfte sich Tony durch die Menge von Studenten.

„Hey“, er blieb vor William stehen und atmete kurz tief durch. „Ich hab dich gesucht.“

„Womit habe ich das verdient?“ fragte William.

Tony grinste überlegen, irgendwie so als hüte er ein köstliches Geheimnis, das William niemals ergründen würde. Fast wie ein junges Mädchen, das ihrem frisch gebackenen Ehemann offenbarte, dass es schwanger sei. Vorausgesetzt, der Wunsch nach dem Kind käme von beiden. William musste unwillkürlich auch grinsen.

„Tyler will wieder eine Party feiern.“

„Oh“, William fühlte einen Hauch von Missmut durch seinen Körper rauschen.

„Ich möchte, dass du kommst, Will.“

„Warum sollte ich?“ fragte William etwas nüchtern und wandte sich ab. Die nächste Vorlesung begann in etwa 10 Minuten. Doch eigentlich konnte er sie gut und gerne sausen lassen.

„Weil ich es möchte.“

William schüttelte leicht mit dem Kopf. Die Enttäuschung auf Tonys Gesicht war fast überwältigend.

„Das würde nur im Chaos enden“, sagte William entschuldigend und hätte sich selbst dafür ohrfeigen können, dass er sich diese immense Chance entgehen ließ, an Tonys Seite zu sein.

„Bitte Will“, sagte Tony und setzte einen flehenden Hundeblick auf, doch William blieb bei seiner Entscheidung. Nicht so, nicht unter Tylers Dach.

„Tut Mir Leid, mein Hübscher.“

Er beschloss die Vorlesung doch abzufassen und winkte Tony zu.

„Auf Wiedersehen.“

„Aber Will, wenn du es dir anders überlegst: heute Abend 22 Uhr!“

William überlegte es sich nicht anders.
 

An diesem Abend saß er nur in seinem Zimmer, im oberen Stockwerk seines Elternhauses. Er hatte sich an seinem Schreibtisch niedergelassen, den Kopf auf die Arme gelegt und manchmal seine Uhr angestarrt. 22 Uhr war längst vorbei, es ging auf Mitternacht zu, aber William hatte das Gefühl, wenn er sich bewegte, würde er tatsächlich den Weg zum Haus der Browns einschlagen. Das würde nur im Chaos enden. Er hörte seine Stimme ganz deutlich im Kopf.

Bitte Will!

Nein, nein, das kann ich nicht! Ich würde alles dafür geben bei dir zu sein, verstehst du? Ich würde für dich töten, ja und wenn ich komme, dann werde ich für dich töten, nur für dich.

William schloss die Augen. Er konnte sich nicht vorstellen das Haus von Tylers Eltern zu betreten. Er konnte Bilder heraufbeschwören, wie er es anzündete, aber nicht, wie er es ganz normal durch den Vordereingang betrat. Du musst deinen Feind studieren, so hieß es, aber William würde nicht soweit gehen auf feindlichem Territorium herumzuspazieren.

Einige Minuten später, als der große Zeiger seiner Uhr auf Mitternacht sprang, erhob William sich und holte aus einer Schublade seines Schreibtisches ein Tagebuch hervor. Und William begann zu schreiben.
 

Liebes Tagebuch,

dies ist mein nächster verzweifelter Ruf an dich. Du kannst mir nicht antworten, aber du kannst mir zuhören. Du kannst mir nicht widersprechen, aber ich spüre deine Zustimmung wie die eines guten Freundes. Nur habe ich keinen guten Freund. Ich habe niemanden, nur meine brennende Liebe für Tony. Diese Liebe die mich auffrisst. Ich möchte so gern alles dafür tun, dass endlich etwas ins Rollen kommt. Aber liebes Tagebuch, hätte ich es verantworten können dieses Haus zu betreten. Dieses Haus in dem mein größter Feind lauert? Mein größter HIESIGER Feind, wohlgemerkt. Ach weißt du, selbst wenn ich hier mit einfachsten Mitteln Tyler von der Bildfläche streichen könnte, dann käme sicherlich der nächste! Dieser Darrin, dieser Kerl, der meinem Tony Tränen in die Augen treibt. Meint er wirklich, ich würde nicht merken, dass er ihn liebt? Das ist mir unbegreiflich. Warum sieht er mich nicht? Warum fängt er nicht endlich an mich zu lieben? Was muss ich für Geschütze auffahren, dass er beginnt zu begreifen. Tony ist noch fast ein ganzes Jahr hier. Ich weiß, Ende Juli, Anfang August wird er wieder gehen. Zurück zu seinem „besten Freund“. Das glaubt er doch selbst nicht! Bester Freund, pha! Tagebuch wie kann das sein? Jeder unwürdige Idiot kann Tonys Gefährte sein und ich? Was ist mit mir? Ich versinke in Einsamkeit und Kummer, verzehre mich in meiner Liebe zu ihm, die er nicht einmal zu bemerken scheint. Ich muss ihm die Augen öffnen, egal was dafür auf mich zukommt. Am Ende muss Tony mich lieben. Ich bin zu allem bereit. Gott hat mich vor diese Aufgabe gestellt, wenn es ihn gibt. Und wer auch immer diese Aufgabe sonst gestellt haben mag, ich werde sie würdig zu Ende bringen. Ich werde Tony haben, lieben, besitzen, mit Haut und Haaren. Er ist für mich bestimmt. Nur für MICH. Tagebuch ich weiß, dass ich Recht habe. Ich weiß es und ich spüre, wie du mir zustimmst. Ich spüre dein Nicken, wie das Nicken eines wohlwollenden Freundes. Nur du verstehst mich. Und es ist eine Wonne. Papier ist geduldig und Geduld ist eine Tugend, die ich dringend brauche. Wenn ich mein Vorhaben zum Erfolg bringen will, dann brauche ich viel Geduld dafür. Mir darf keine staatliche Distanz dazwischenfunken. Ich muss sauber arbeiten.

Der perfekte Mord …
 

Beta Version 16.08.2010

Mental Prison

-Mental Prison-
 

14ter August laufende Zeit
 

„Das ist mir unbegreiflich“, sagte Darrin leise.

Er stand vor Tonys Balkontür und leuchtete wie ein Heiliger. Die Sonne war gerade im Begriff unterzugehen. Tony sah auf und hielt geblendet die rechte Hand über die Augen. Seine Augen brannten. Er musste den ganzen Tag und die ganze Nacht geheult haben, so kam es ihm vor. Und jetzt fühlte er sich so leer. Das war mit nichts zu vergleichen.

„Was meinst du?“ fragte Tony leise.

Darrin drehte sich zu ihm um. Tony, ein Schluck Wasser auf der Matratze seines Bettes. Ein Schluck Wasser im grellen Licht der Sonne, die ihn bald vollständig verschwinden lassen würde.

„Die Sache stinkt zum Himmel“, antwortete Darrin, setzte sich neben Tony und bot ihm an sich auf seinen Schoß zu legen. Tony tat es. Seine Augen waren leer und traurig. Darrin spürte einen leichten Stich und ordnete ihn die die Kategorie Eifersucht ein. Von so was musste er jetzt unbedingt Abstand nehmen. Tony durfte trauern, genau wie Darrin getrauert hatte.

„Es muss da eine Verbindung geben. Beide tot, in Sekundenschnelle einfach ausgelöscht, keine Tatwaffe, kein Mörder, keine Spuren, einfach nichts!“

Tony schloss die Augen, sein Kopf schmerzte. Darrin hatte Recht. Nichts. Absolut nichts. Wenn sie wenigstens eine kleine Spur gehabt hätten. Irgendetwas. Tony konnte die Leere, dieses Nichts, nur allzu gut spüren. Er hatte Mia einfach zu gern gehabt. Ob es wirklich so schwer gewesen wäre, sie als Freundin zu haben? Ja, gestand er sich, ja, denn Darrin war damit nicht aus der Welt geschafft. Er musste sich vorstellen, wie er Mia heiratete, mit ihr Kinder bekam und dann eines Tages, während er mit Darrin feiern war (der auf eigentümliche Weise eine gesichtslose Frau und ein ebensolches Kind besaß) würde es dann passieren. Sie würden beide im hohen Alter von 35 feststellen, dass es zu spät war und dass sie alles versaut hatten. Tony seufzte. Jetzt würde das auf jeden Fall nicht mehr passieren. Darrins Hand strich vorsichtig über seine Wange. Er schauderte leicht. Es war schon komisch, so neu Darrin so ungezwungen so nah sein zu können. Fast unerträglich angenehm. Jahrelang hatte er darauf gewartet. Diese feste Freundschaft die zu viel mehr bestimmt gewesen war. Zum Glück hatten sie das erkannt, auch wenn sie sonst im Dunklen tappten.

„Wir müssen irgendetwas herausfinden“, sagte Darrin mehr zu sich selbst, als zu Tony. „Wir müssen überlegen, was das sein kann. Beide Morde sind in unserem Umfeld passiert. Es muss irgendwas mit uns zu tun haben.“

Tony lachte leise.

„Das ist verrückt.“

„Vielleicht, aber was glaubst du? Soll das ein Zufall sein?“

Tony schüttelte den Kopf, so gut wie es ihm im Liegen eben möglich war. Er war so müde. Seine Gedanken folgten keinem Faden mehr, sie waren eher ungeordnet, wie ein herausgerissenes Büschel Gras. Ein leises Pfeifen in seinem Ohr sagte ihm, dass sein Kreislauf bei nächster Gelegenheit den Streik antreten würde.

„Du solltest schlafen“, beendete Darrin das Thema und streichelte jetzt Tonys Haar.

„Aber geh bitte nicht“, sagte Tony leise und mit schwerer Zunge. Er öffnete noch einmal die Augen und drehte sich auf den Rücken um zu Darrin hochsehen zu können.

„Warum nicht?“ fragte Darrin besorgt, aber auch so rührend liebevoll.

„Ich hab Angst“, gab Tony zu, sein Blick irrte jetzt über die Zimmerdecke. „Ich hab irgendwie Angst. Ich glaube, wir wissen früher als uns lieb ist, wer dieser Mensch ist. Und ich habe Angst, dass wir es dann keinem mehr sagen können.“

Jetzt sah Darrin nur noch besorgt aus. Vielleicht auch noch einen Hauch traurig. Aber diesen Zug würde er wohl nie wieder aus seinem Blick bekommen. Ein Denkmal für Jana.

„Mach dich nicht noch mehr verrückt“, sagte Darrin und klang fast wie eine Mutter. „Du musst schlafen, okay? Ich bleibe hier, versprochen, aber du musst schlafen.“

„Okay …“

Darrin versuchte zu lächeln, aber irgendwie wirkte es gekünstelt. Eine halbe Stunde später schlief Tony tief und fest. Darrin saß zusammengekauert auf dem Sessel gegenüber von Tonys Schlafstätte und sah seinen Freund fast die ganze Zeit an. Diese Geschichte stank zum Himmel. Darrin glaubte nicht, dass Tony etwas mit all dem zu tun hatte. Wann sollte er die Gelegenheit gehabt haben Jana umzubringen? Nein, das war unmöglich. Und sicherlich hätte er Mia nichts tun können. Nein, der Polizei das zu erklären, war fast unmöglich gewesen, aber Darrin traute Tony das nicht zu. Man konnte diesem braunäugigen Schönling ein Messer und eine 9mm in die Hand drücken, ihn damit vor seinen schlimmsten Feind stellen und Tony würde es nicht einfallen die Waffen zu benutzen. Außerdem war sich Darrin sicher, dass Tony nicht einmal wirklich gewusst hatte, dass man jemanden mit einer Luftinjektion töten konnte. Darrin wusste das sehr genau. Es war ihm nur zu bewusst, was dabei passierte und wie schmerzhaft das angeblich war. Außerdem, woher sollte Tony diese immensen Fähigkeiten haben zwei perfekte Morde zu begehen? Perfekte Morde … Keine Hinweise, nichts. Darrin wand sich in dem Sessel. Das war doch unmöglich! Irgendetwas musste doch übrig geblieben sein! Ein Haar! Irgendwelche DNA! Es blieb doch fast immer DNA übrig! Das war unbegreiflich. Der genetische Fingerabdruck. Wie konnte man das so einfach umgehen? Darrins wissenschaftliches Denken konnte da nicht mithalten. Der Kerl musste sich ein Ganzkörperkondom übergezogen haben! Das war krank, oder er war … Darrin stutzte. Hatte er da nicht mal etwas gelesen? Es gab Menschen, so genannte Nichtausscheider, die keine Spuren hinterließen. Oder war der Artikel nur totaler Müll gewesen? Das konnte er nicht beurteilen und es machte die Sache wirklich nicht leichter! Nervös stand er auf und lief ein paar Mal in dem kleinen Zimmer auf und ab. Alles Unsinn. Es musste Spuren geben! Er blickte auf die Bild Zeitung, die er mit zu Tony geschleppt hatte und auf den Artikel über Mia. Seite 3. Ein Bild von ihr, von dem Haus. Alle Welt sollte ihr Unglück teilen. Wilde Spekulationen und totaler Rufmord. Sie hatten Tony namentlich nicht genannt. Aber lächerlich hatten sie ihn gemacht. Der mutmaßliche Täter, der sich damit versuchte aus der Affäre zu ziehen, dass er behauptete schwul zu sein. Darrin schnappte sich die Zeitung und starrte Mias Bild an. Nicht unbedingt das Beste, was sie gefunden hatten. Aber Mia hatte doch immer gut ausgesehen. Darrin hätte sie bestimmt nicht von der Bettkante geschubst. Aber das hatte Tony auch nicht getan. Dummerweise.

„Wer war es?“ fragte er leise das Bild. Die Antwort blieb aus. Mia lächelte ihn immer noch an. Keine Antwort, nie wieder. Er setzte sich zurück an den kleinen runden Tisch und blätterte weiter in der Zeitung. Da war etwas, das er noch nicht bemerkt hatte. Der Artikel über Mia hatte ihn abgelenkt.

„Serie von mysteriösen Todesfällen“, las er leise, glaubte fast allein zu sein, aber Tony schlief immer noch nur einen Meter weiter. Die Zeitung hatte eine Liste erstellt. Darrin überflog den Artikel. „Drei Perfekte Morde …kein Täter gefunden … gefährlicher Killer nun in Rostock … erstes Opfer … London … Tyler Brown.“ Darrin stockte.

„Was?“ sagte er laut, sah sich nicht einmal zu Tony um. Ja, auch da in der Chronologie stand es. Drei Perfekte Morde. „Am 13ten Juli dieses Jahres kommt in der englischen Hauptstadt ein 23jähriger Student ums Leben. Tyler Brown wurde ermordet in der Nähe des elterlichen Hauses gefunden. Die Polizei fand keine Spuren. Es gibt keine Zeugen.

Am 8ten August finden zwei Stundenten die Leiche einer Freundin in ihrem Auto. Sie waren mit einem Motorschaden stehen geblieben und beide jungen Männer ließen die Frau zurück. Als sie wiederkamen, fanden sie diese mit 3 Messerstichen ermordet. Wieder keine Spuren.

In der Nacht vom 12ten zum 13ten August stirbt die junge Mia E. (Bericht Seite 3), wieder finden sich keine Spuren. Die Polizei steht vor einem Rätsel.“

Darrins Nackenhaare hatten sich aufgestellt. Er schauderte und rieb sich die kalten Arme. Tyler war auch tot. Am 13ten Juli gestorben. An diesem Tag hatte Tony London verlassen. Darrin hatte ihn noch am selben Abend aus Laage, vom Flughafen, abgeholt. Ob er davon wusste? Tony war nicht unbedingt ein Mensch, der viel Zeitung las. Vielleicht war das der entscheidende Hinweis. Darrin sprang auf und machte einen Satz zu Tonys Bett. Es tat ihm Leid seinen Freund mit so einer Meldung wecken zu müssen, aber er witterte die Spur.

„Tony! Tony wach auf!“

Tony fuhr hoch, als hätte Darrin ihn versucht zu erwürgen.

„Was denn, was?“

Die beiden sahen sich einen Moment lang an. Vor Tonys Augen flimmerte es. Er fühlte sich, als müsse er sich im nächsten Moment übergeben.

„Dein Tyler … er ist auch tot.“

Wieder schweigen. Tonys Augen wurden riesengroß. Tausend Gedanken wirbelten in seinem Kopf, setzten sich zusammen zu einem einzigen.

„William …“ hauchte er, bevor er Darrin zur Seite stieß und in sein kleines Badezimmer rannte, wo er sich übergab. Darrin sah ihm entsetzt nach.

William?
 

17ter August
 

Tony hockte vor seinem Computer und durchwühlte immer noch sämtliche Zeitungsarchive der englischen Zeitungen, die er online finden konnte. Das war unglaublich. Er verbrachte die letzten Tage damit. Darrin kam immer vorbei um ihn zum Essen zu überreden und versuchte ihn irgendwie von seiner Wahnsinnstheorie abzubringen. Tony ließ das geduldig über sich ergehen. Aber er wusste, dass er Recht hatte. William musste der Täter sein. William hatte sich für den Tod interessiert, William hatte Tyler gehasst … und, ja, was und? William hatte Tony geliebt. Vielleicht hatte Tony das ganze Ausmaß nur nicht erfasst. Was war in Williams Kopf abgegangen?

Mysteriöser Mord an Studenten noch immer nicht aufgeklärt

Das war absoluter Wahnsinn. Was hatte Jana damit zu tun? Warum Jana?

Polizei tappt im Dunklen – Grausamer Mord in London

Jana hatte überhaupt nicht viel mit Tony zu tun gehabt. Was war Williams Intension?

Eltern von getötetem Studenten fordern intensivere Nachforschungen

Und verdammt, wo war William? Wo war er, dass er gewusst hatte, dass Tony und Darrin an diesem Tag die Fahrt zum Strand nach Graal Müritz unternehmen würden?

„Verdammt!“ Tony schlug mit den geballten Händen auf seine Tastatur. Das konnte alles nicht sein. Ja, das war es was Darrin immer sagte. Tony das ist Irrsinn. Wieso sollte jemand so etwas tun. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Mia und Jana, vielleicht sogar zu Tyler, aber dein William kann doch keine 3 Menschen umbringen, ohne auch nur ein Haar zu hinterlassen. Und welchen Grund hätte er dazu?

Mehr Gründe als jeder andere. Soviel war klar. Tony lehnte sich zurück. Ihm war kalt. Die Jalousien hatte er zugezogen, hatte den langen Sommer ausgesperrt. Eine kribbelnde Angst saß die ganze Zeit in seinen Knochen. Eine kribbelnde Angst um Darrin. Was, wenn er der nächste war? Vielleicht näherte sich William systematisch. Erst Jana, die nur sein Umfeld tangierte und ihn etwas erschreckte, dann Mia, die er mochte, fast liebte und deren Tod ihm mächtig den Wind aus den Segeln nehmen würde. Als nächstes wäre Darrin an der Reihe. Darrin wäre der, mit dem er Tony in den Wahnsinn treiben würde und wer wusste schon was dann kam … Tony schauderte und vergrub das Gesicht in den Händen. Der Computer summte leise vor sich hin. Er hatte keine Musik an. Er wartete nur darauf, dass die Polizei sich meldete und ihm sagte Darrin wäre …

Hektisch griff Tony zu seinem Handy und wählte Darrins Nummer. Es klingelte. Einmal … zweimal … Tony begann ungewollt schneller zu atmen … dreimal … viermal.

„Scheiße, geh ran!“ Tonys Stimme klang verheult und ungesund. Ihm stiegen schon wieder Tränen in die Augen.

„Ja?“

Tony seufzte erleichtert.

„Hey Darrin, alles okay?“

„Ja, warum denn nicht? Bist du in Ordnung, Tony du klingst wirklich … Solltest du nicht lieber etwas schlafen?“

„Vielleicht“, sagte Tony leise und lauschte mit halb geschlossenen Augen Darrins Stimme. Er klang ziemlich lebendig. „Passt du auch auf dich auf?“

„Tony“, Darrin seufzte. „Ich pass auf mich auf. Und ich möchte, dass du aufhörst dich systematisch umzubringen. Ich werde nachher zu dir kommen und dann werden wir beide zum Arzt gehen. Du wirst dich untersuchen lassen, dann bekommst du irgendwas verschrieben, was dich wieder aufpäppelt und …“

„Und was?“ fragte Tony. Es war so gut seine Stimme zu hören.

„Und dich von dieser Wahnsinnsidee abbringt. Hör zu Tony … ich meine, es ist sicher nicht ganz so verrückt, wie es mir erscheint, aber du musst dich erst wieder beruhigen und dann sehen wir weiter, okay?“

„Ich bin mir aber ganz sicher und ich habe Angst“, Tony schluckte. „Ich möchte dass du auf dich aufpasst, versprichst du das?“

„Ich schwöre. Ich passe auf mich auf.“

„Gut …“

„Und ich komme nachher zu dir, ja?“

„Ja.“

„Okay, bis dann.“

„Darrin?“

„Ja?“

„Ich liebe dich.“

Einen Moment herrschte Stille am anderen Ende, dann: „Ich dich auch.“

Tony konnte beruhigt auflegen. Es ging ihm jetzt um einiges besser als noch vor 10 Minuten. Er wusste, dass mit Darrin alles okay war. Schläfrig lehnte er sich zurück und schloss einen Moment die Augen. Draußen vor seiner Tür hörte er Schritte. Er blieb ganz still und lauschte. Jemand ging ständig auf und ab. Er hörte es ganz deutlich. In der Nachbarwohnung spielte Musik, aber diese Schritte, die kamen von draußen. Er hörte wie sich jemand räusperte. Fast hätte Tony damit gerechnet, aber als seine Türklingel betätigt wurde zuckte er heftig zusammen. Tony stand zitternd auf. Es musste der Schreck sein. Vorsichtig näherte er sich der Tür, griff nach der Klinke und zögerte. Er atmete noch einmal tief durch, bevor er sie herunterdrückte und öffnete. Tony starrte ein paar Sekunden in ein fremdes und doch bekanntes Gesicht. Mit einem unterdrückten Aufschrei sprang er einen Schritt zurück.

„Oh mein …“

„Ganz ruhig!“

Der Mann vor der Tür hob die Hände als wolle er sich ergeben. Tony starrte ihn nur an. Hätte er das gewusst … aber ja, wenn er nicht so abgelenkt gewesen wäre. Die beiden sahen sich an, betrachteten sich, wie zwei Menschen, die noch nicht ganz verarbeiten konnten, was sie sahen. Der Mann war gut 1.80m groß, hatte braune Augen, Tonys Augen und braunes Haar. Ein Drei-Tage-Bart umrahmte sein Gesicht, ließ ihn etwas schmuddelig wirken und er hatte etwas Verschlagenes. Langsam ließ er die Hände wieder sinken.

„Ich dachte, ich sollte dich sehen, aber wenn du möchtest, dass ich gehe, dann bin ich sofort weg. Ich meine, vielleicht hätte ich mich anmelden sollen, aber … ja … es war nicht leicht deine Adresse herauszufinden.“

„Mama hat sich quergestellt“, sagte Tony etwas klanglos und starrte immer noch in dieses Gesicht.

„Genau.“

„Woher hast du sie?“ Doch Tony wollte eigentlich gar keine Antwort. „Mensch Papa, du hast dir wieder einen tollen Augenblick ausgesucht um hier aufzukreuzen, weiß du eigentlich was ich alles für Scheiße durchgemacht habe? Seit du …“

Tony brach ab und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. Ihm war schlecht, er war müde und jetzt auch noch das.

„Es tut mir leid, Tony. Wenn ich das alles rückgängig machen könnte …“

„Das kannst du nicht“, sagte Tony leise. „Aber komm bitte rein.“
 

Darrin stieg aus der Straßenbahn, schlängelte sich durch die vielen alten Leute, die schon lange die Südstadt von Rostock bevölkerten und überquerte mit schnellen Schritten die Schienen. An der Fußgängerampel blieb er stehen. Die Straßenbahn fuhr klingelnd wieder ab. Darrin schob scheinbar gelangweilt die Hände in die Taschen. Eine alte Frau mit weißen Haaren stellte sich neben ihn.

Sie hatte einen Stock in der Hand. Keine seltene Erscheinung hier. Einen Moment kreuzte sein Blick den der alten Dame, dann sah er wieder weg. Neben ihm stand ein junger Kerl. Er trug eine große Sonnenbrille, ein weißes Hemd und Bluejeans. Seine Haare waren Hellblond. Darrin betrachtete ihn von der Seite und die Sonnenbrille machte ihn direkt nervös. Er konnte die Augen des anderen nicht erkennen und trotzdem hatte er das ungute Gefühl beobachtet zu werden. Die Ampel sprang auf grün um. Darrin überquerte die Straße und versuchte sich hinter den Blonden zu bringen. Doch das war ziemlich aussichtslos, wenn er nicht mitten auf der Straße stehen bleiben wollte.

„Darrin, du wirst schon genauso verrückt wie Tony!“ sagte er sich und gab die Spielchen auf. Zügig, aber nicht zu schnell schlug er den kleinen Trampelpfad zur Ziolkowski Straße 10 ein und summte in Gedanken ein Lied vor sich her. Irgendein Song aus einer Werbung war es. Die Haustür der 10 stand offen. Man hatte es längst aufgegeben sie schließen zu wollen. In Tonys Block wohnte ein alter Spinner, der die Tür immer wieder öffnete und einhaken ließ, sobald jemand sie schloss. So benützte kaum noch jemand den komplizierten Aperrat, der zur Klingelanlage gehörte. Darrin betrat den Wohnblock und sah sich noch einmal um. Der Blonde war ihm bis hierhin gefolgt. Jetzt stand er nahe dem großen Container, der zur rechten Seite aufragte und schien Darrin nachzusehen.

„Ich hasse Sonnenbrillen“, murmelte Darrin und wartete auf den Fahrstuhl. Doch der ließ sich Zeit. Darrin seufzte genervt. Er blickte wieder über die Schulter und sah den Blonden jetzt direkt auf sich zukommen. Darrins Herz begann laut zu pochen. Was machte ihn so nervös?

Pass auf dich auf!

Darrin sah sich hektisch nach dem Fahrstuhl um. Immer noch kein Lebenszeichen. Der Typ kam immer näher.

Wie sah denn dieser William aus?

Na ja, schlank, durchschnittlich groß und hellblonde Haare … eisblaue Augen. Richtig kalt.

Jetzt hatte er die Haustür durchquert und griff nach seiner Sonnenbrille. Darrin starrte ihn bloß an.

„Hey, sag mal weißt du zufällig …?“

Darrin hörte gar nicht zu. Er atmete erleichtert auf und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Während des Sprechens hatte der Blonde seine Brille abgenommen und darunter waren graue Augen zum Vorschein gekommen. Außerdem war sein Deutsch absolut akzentfrei. Das war niemals ein Engländer. Und noch dazu kein wahllos mordender.

„Sorry, ich hab grad nicht zugehört“, sagte Darrin und hinter ihm gingen die Fahrstuhltüren auf. Er setzte einen Fuß auf den Übergang zwischen Kabine und Flur.

„Weißt du wo die 8a ist?“

„Da lang!“ sagte Darrin und deutete nach rechts.

„Danke.“

„Keine Ursache.“ Darrin trat in den Fahrstuhl, die Türen schlossen sich. Unsicher blickte er in den Spiegel, der die eine Seite der Kabine einnahm. Er wirkte etwas blass um die Nase. „Mein Gott, das grenzt ja an Verfolgungswahn.“

Der Fahrstuhl fuhr an und Darrin hatte das Gefühl als würden seine Organe einen Moment ins Schweben kommen.

„Elf!“ dröhnte die mechanische Stimme des Fahrstuhls einige Sekunde später.

„Leck mich“, antwortete Darrin und hüpfte in Richtung von Tonys Wohnungstür. Er wusste nicht, wo dieses Hochgefühl plötzlich herkam. Aber er schrieb es der Tatsache zu, dass er Tony gleich wieder sehen konnte und zugegeben, er hatte Sehnsucht. Mit einem abschließenden Hüpfer landete er vor

Tonys Tür und betätigte die Klingel. Drinnen hörte er Stimmen. Verwirrt starrte er auf die zartgrün gefärbte Tür und fragte sich wer wohl bei Tony sein konnte. Ihm wollte partout niemand einfallen. Dann hörte er das Schloss aufspringen und Tony sah ihn mit einer Mischung aus Verwunderung und Freude an.

„Darrin!“

Darrin grinste und umarmte seinen Freund etwas stürmisch. Ja, die gute Laune rührte nur daher, dass er ihn wieder bei sich hatte. Denn wer konnte schon wissen wann … schnell verdrängte Darrin den Gedanken und schob Tony um Armeslänge von sich.

„Na, mein kleiner heißer Feger. Wieder alles okay soweit?“

„Na klar, jetzt bist du ja wieder da“, sagte Tony und Darrin glaubte ihm nichts mehr als das. In einem weiteren kleinen Anfall krankhafter und irgendwie unpassender Freude nahm er Tonys Gesicht in die Hände und küsste ihn.

„Komm rein“, sagte Tony leise und Darrin meinte einen Hauch von Glück in seinem Blick aufblitzen zu sehen. Sie hatten sich und das war im Moment ihr einziger Halt. Tony trat zurück in sein Allround-Zimmer und Darrin schloss vorsichtig die Tür hinter sich. Hier lag eindeutig ein fremdes Aftershave in der Luft. Verwirrt verzog Darrin die Augenbrauen. Irgendwie war er gerade in Stimmung endlich wieder etwas Unanständiges zu tun und genau jetzt hatte Tony Besuch. Nicht zu fassen. Hastig zog er seine Schuhe aus und betrat ebenfalls den anliegenden Raum. Mit drei Leuten wirkte er fast überfüllt. In dem Sessel neben dem runden Tischchen hatte sich ein Mann niedergelassen, der auf unheimliche Art und Weise eine verheerende Ähnlichkeit mit Tony hatte. Er wirkte etwas verstört und beäugte Darrin misstrauisch. Dieser setzte sich neben Tony auf das Bett und rückte ein Stückchen hinter seinen Freund um ihm wenigstens etwas näher zu sein. Ob der Fremde auch ein Bulle war? Einer von diesen Lackaffen, die Tony als Mörder abstempeln wollten? Ohne es wirklich zu merken schlang Darrin seine Arme um Tonys Bauch und fühlte sich damit recht zufrieden. Der männliche Beschützerinstinkt war aktiviert. Es herrschte einen Moment lang schweigen. Tony biss sich etwas unbehaglich auf die Unterlippe und schien mehrmals Anlauf für ein Gespräch zu nehmen. Im Endeffekt sagte er aber nichts. Der Fremde räusperte sich.

„Ich muss sagen, mein Junge, jetzt bin ich schon etwas geschockt.“

Tony sah ihn interessiert an, als wüsste er nicht ganz worum es ginge.

„Warum genau?“

„Ich hätte nicht gedacht, dass ich irgendwann gänzlich ohne Enkel dastehe.“

Eine sehr niedliche Umschreibung der Tatsachen, doch jetzt fiel es Darrin wie Schuppen von den Augen. Dieser Mann war Tonys Vater, der Kerl, der wegen Mordes ewig gesessen hatte. Tony zuckte unbeteiligt mit den Schultern und streichelte über Darrins Arm.

„Und das es gerade Darrin sein muss. Ich hab damals gedacht, dass das Gymnasium euch irgendwie auseinander treiben würde. Aber da lag ich wohl etwas falsch.“

„Sieht ganz danach aus.“

Tony wirkte etwas gedankenverloren. Er starrte auf den Boden ohne ihn wirklich zu sehen und sein Finger kreise unablässig über Darrins Haut. Darrin warf einen weiteren Blick auf Simon Wendelin und stupste Tony dann mit der Nase in den Nacken. Tony erwachte aus seinen Gedanken und sah ihn fragend an.

„Nichts, ich wollte nur, dass du aufhörst dich zu quälen. Nein – sag nichts, wenn du diesen Blick drauf hast, dann weiß ich genau, dass du dich quälst.“

Tony lächelte entwaffnend. Absolut liebenswürdig, zum anbeißen und Darrin hätte ihn zu gerne vernascht. Der Drang danach war plötzlich so groß. Toll Darrin, dachte er sich, du suchst dir immer die blödesten Augenblicke für deine Extrawünsche. Jetzt würde definitiv gar nichts laufen. Darrin begnügte sich damit Tony etwas näher an sich heranzuziehen und die wohlige Wärme dabei auf sich wirken zu lassen.

„Ich hoffe mal, du erschießt mich jetzt nicht dafür?“ sagte Tony unvermittelt und erntete einen vorwurfsvollen Blick von seinem Vater.

„Nein, es war nur … unerwartet. Mehr nicht.“

Darrin versuchte sich in die Lage von Simon Wendelin herein zu versetzten, versuchte sich vorzustellen, wie er 10 Jahre im Knast verbracht hatte und dann ins normale Leben zurückkehrte um festzustellen, dass sein Sohn in dieser Zeit schwul geworden war. Er hatte wirklich eine Menge verpasst.
 

Währenddessen hatte sich Darrins vermeidlicher, oder auch absichtlicher Verfolger draußen vor dem Block immer noch nicht von der Stelle bewegt. Er sah sich in dem Flur um, die Sonnenbrille immer noch in der Hand. Die gefärbten Kontaktlinsen in seinen Augen begannen allmählich unangenehm zu werden. Er schloss die Augen und lehnte sich neben den Briefkästen an die Wand. Dieser Typ, dieser Darrin, er war eindeutig nervös gewesen. Ja und ohne diese Kontaktlinsen hätte er William bestimmt sofort erkannt. William massierte seine Stirn, sein Kopf schmerzte. Sie mussten also Verdacht geschöpft haben. Es wäre dumm gewesen, hätte er noch länger gebraucht. Doch das störte William nicht. Er wusste, dass man ihm absolut nichts nachweisen konnte. Die Polizei war kurz nach Janas Tod im Suicide Apartment gewesen. Nein, William stand absolut nicht in ihrer Liste der mutmaßlichen Täter. Vor ihm tat sich ein ganz anderes Problem auf. Wie konnte er diesen Darrin loswerden? Es hatte William sehr viel Überwindung gekostet Darrin nicht einfach hier mitten im Hausflur zu erwürgen. Das hatte er sich absolut nicht erlauben dürfen.

Ich will dich tot sehen, Bastard. Ich will mit deinem Blut meine Wände bemalen und mit deinen Zähnen Murmeln spielen.

Die Kopfschmerzen wurden immer stärker. Er musste diese Kontaktlinsen entfernen. Vorsichtig holte er sie aus seinen Augen und starrte die kleinen grauen Dinger auf seiner Handfläche an.

Glaubst du wirklich, dass du sicher bist? Ich bekomme dich und dann wirst du sterben, wie deine Freundin, wie seine Schlampe, wie dieser miese Dreckskerl Tyler.

William verließ den Hausflur und sah noch einmal an der Fassade des 12stöckigen Hauses hoch. Dort oben, in elften Stock saß Tony. Allein mit diesem Objekt Darrin. Ihm wurde übel bei diesem Gedanken und er musste unweigerlich an eine Szene aus seinem Leben denken, die er nie wieder vergessen würde. Tony und Tyler … zusammen in dem matt beleuchteten Keller von Tylers Eltern. Der Ekel wurde so groß, dass William mit schnellen Schritten das Haus hinter sich ließ und fluchtartig verschwand. Es kostete ihn viel Überwindung nicht die Hand vor den Mund zu pressen.
 

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Anm. v. A:
 

Das hier ist das vorletzte Kapitel, dass ich hochladen kann. Eins noch und dann steh ich auf dem Schlauch, weil ich einfach nicht weiter weiß. *schnief* Ich bemüh mich. Für Anregungen bin ich sehr sehr dankbar :)
 

Beta Version 16.08.2010

Deadly Passion

-Deadly Passion -
 

26ter Dezember ein Jahr zuvor, London
 

Hey Darrin,

ich hoffe du hast schöne Weihnachten gehabt. Meine waren jedenfalls ganz okay, wenn auch ein bisschen Englisch. *g* Ach ja, irgendwie kommt man sich doch bisschen doof vor, wenn man um diese Zeit bei einer fremden Familie hockt. Ich hab dir ja schon geschrieben, dass meine so genannten Gasteltern eigentlich kaum zu Hause sind. Ich bin fast immer mit Tyler allein. Und der Typ hat nur Mist im Kopf. So’n typischer Student, wenn du mich fragst. Und bald ist auch noch Silvester. Ich würde zu gern nach Rostock kommen um mit dir zu feiern, aber leider geht das ja nicht. Dabei haben wir bis jetzt immer Silvester zusammen verbracht. Ist das nicht zum kotzen? Ich hätte lieber gleich die UNI beehren sollen. Vermisst du mich eigentlich auch? Wehe nicht, dann bekommst du Ärger, falls ich das hier überlebe *g* Heimweh ist schon was Ekliges. Aber eigentlich könntest DU MICH ja mal besuchen. Mit deinen genialen Englischkenntnissen kann dir ja hier nichts passieren, oder? Du könntest mich schon wieder … was? ^^

Ich hoffe du schreibst bald wieder

Und guten Rutsch ^^

Und bevor ich’s vergesse: Trink nicht so viel wie letztes Jahr *g*

Tony
 

Tony betätigte den „Senden“ Button und lehnte sich zurück. Er streckte sich wie eine Katze und hörte kaum, dass seine Zimmertür aufging.

„Hey Honey!“ sagte Tyler und setzte sein breitestes Grinsen auf. Tony zuckte zusammen und drehte sich mit vorwurfsvoller Mine zu ihm um: „Du sollst mich gefälligst nicht immer erschrecken.“

„Tut mir leid“, sagte Tyler und sah gar nicht danach aus. „Aber ich muss ja sagen, es macht mich nervös, dass du immer noch die Türen hinter dir zumachst.“

Tony sah nun etwas schuldbewusst aus. Das vergaß er wirklich immer wieder.

„Sorry, alte Gewohnheit“, sagte er und sah Tyler dann fragend an. „Was wolltest du denn?“

„Ich wollt mal anfragen, was wir heute Abend machen wollen. In der Innenstadt läuft ne tolle Indie Party, na ja oder Club Night zwei Schuppen weiter. Oder vielleicht …“

„Wie wär’s mal mit einer Nacht Schlaf?“ fragte Tony etwas gequält. Jede Nacht feiern zu gehen und das kurz vor dem Jahreswechsel spielte ihn langsam etwas kaputt.

„Schlaf? Oder Beischlaf? Da hab ich auch nichts gegen!“

Tony verdrehte die Augen.

„Nicht schon wieder“, meinte er gähnend.

„Uhh hat Mandy dir die Lust aus den Knochen gesaugt?“

„Eher weniger“, murmelte Tony auf Deutsch.

An so was wollte er ja am liebsten gar nicht denken. Diese ganzen Mädchen immer, die alle immer mit ihm schlafen wollten. Wäre er jedes Mal darauf eingegangen, hätte er sich schon einen Ersatz für seinen kleinen Freund suchen müssen.

„Sag mal“, meinte Tyler hochinteressiert und schlich sich neben Tonys Schreibtischstuhl.

„Nix, sag mal“, konterte Tony und lehnte sich zurück. „Geht dich gar nichts an.“

„Och komm, du brauchst dich nicht zu schämen. Ich meine, bei deinem ausgewogenen Sexleben.“

„Geh wichsen, du nervst!“

Tyler lachte, rührte sich aber keinen Zentimeter vom Fleck.

„Woher du wohl wieder weißt, was ich grad brauche.“

Ein höchst schelmischer Ausdruck lag in seinen Augen. Tony betrachtete ihn misstrauisch. Was ging ihn das an, wenn Tyler grad etwas Notgeil war? Im Grunde nichts, aber dieser Blick sollte ihn wohl eines Besseren belehren. Tony schwenkte etwas mit dem drehbaren Stuhl und betrachtete seinen Gastbruder. Warum musste er Darrin nur so ähnlich sein? Zumindest war er ihm sehr ähnlich solange er die Klappe hielt. Tony grinste nun auch. Wie Tyler da am Boden hockte, das war echt verlockend. Er ließ sich von seinem Stuhl direkt auf Tylers Schoß fallen und drückte ihn rücklings auf den Boden.

„Hui!“ gab Tyler nur von sich und leckte sich unübersehbar angetan über die Lippen. Tony beugte sich soweit runter, dass er Tyler ins Ohr hätte beißen können, was er sich aber tunlichst verkniff.

„Wenn du es mal wieder brauchst, dann such dir jemanden der es dir macht oder mach es selber, okay?“

Tony erhob sich gelangweilt und verließ das Zimmer, wobei er die Tür hinter sich zumachte. Ja, immer schön die Tür zumachen, wenn man seine Ruhe brauchte, aber sonst nie. Und er vermutete, das Tyler im Moment ganz entschieden „Ruhe“ brauchte und auch ein wenig Eis in die Unterhose, wenn es sich einrichten ließ. Tony schüttelte genervt den Kopf. Es wurde langsam wirklich unheimlich. Auf der letzten Party im Nachtleben der englischen Hauptstadt war er mehrmals von Männern angebaggert worden. Trotzdem war es unheimlich, dass jetzt sogar schon Tyler in diese Kerbe schlug. (Abgesehen davon war Tony nicht wirklich abgeneigt. Das nächste Mal sollte er das Mädchen vielleicht wieder ranlassen. Das würde zumindest den Druck etwas aufheben.) Die Hände in den Hosentaschen vergraben lief er die Treppe hinunter und in die Küche. Noch bevor er die Treppe verlassen hatte hörte er oben seine Zimmertür wieder aufgehen. Aha, Tyler wollte also weiterspielen. Nur hatte Tony keine Lust zum Spielen, nein, gar keine Lust. Er bog in die Küche ab. Der sanfte Geruch des Weihnachtsbaumes im Wohnzimmer drang ihm in die Nase.

Silent night, holy night, all is calm, all is bright…

Er hörte Tylers schnelle Schritte auf der Treppe und verdrehte die Augen. Wäre er bloß zu Hause geblieben, oder wäre dieser unheimlich geile Hengst wenigstens wirklich …

„Komm schon, Tony“, Tyler stand mit ein paar Schritten hinter ihm und umschlang mit beiden Armen seine Taille. „Lass mich nicht hängen.“

Er schob Tonys Haare sanft etwas aus dem Nacken und Tony spürte seinen warmen Mund.

„Als wenn du hängen würdest!“ konterte Tony und wand sich aus Tylers Umklammerung.

„Du hast ja soooo recht“, Tyler grinste immer noch. Abscheulich, siegessicher. Er drückte Tony leicht gegen den Küchentisch und versuchte wieder an seinen Hals zu kommen.

„Vergiss es man! Ich geh nicht mit dir ins Bett.“

Meinst du wirklich?

Tyler lachte wieder.

„Macht nichts. Der Küchentisch tut’s auch.“

Tony schnappte empört nach Luft. Das war ja wohl die Höhe. Er schubste Tyler von sich weg und funkelte ihn böse an.

„Bist du irgendwie schwerhörig? Ich sagte nein! Klar? N-E-I-N!“

„Hey!“ Tyler hob die Arme auf Schulterhöhe. „Keine Panik, Honey. Ich hab’s kapiert.“

„Du bist so ein Idiot!“
 

31ter Dezember
 

Das Haus war voll und lärmerfüllt. Tony taumelte die Treppe herunter. Überall Farben, überall Lichter und Gestalten, die er vage als Menschen identifizieren konnte. Tony klammerte sich an das Geländer um nicht nach vorne zu fallen. Einen Moment lang hatte er das schreckliche Gefühl, dass seine Arme ihn nicht halten wollten, doch dann stand er wieder sicher auf der Treppe und starrte nach unten.

„Ich hasse Drogencocktails“, murmelte er und meinte damit Tylers hochprozentige Mixgetränke, die dieser als Drogencocktails bezeichnete. Nun ja, Alkohol war eben auch eine Droge. Tony hatte nur einen davon getrunken, aber der reichte ihm völlig.

„Honey, nicht schlapp machen!“

Tyler lief neben ihm die Treppe herunter. Tony wollte sich gerade umdrehen und ihn zum Teufel wünschen, als Tyler, schneller als Tony im Moment noch denken konnte, ihn an sich heranzog und ihn gierig auf den Mund küsste.

„Ich krieg dich heut noch. Ich schwöre.“

„Wichser!“ murmelte Tony, doch da war Tyler schon leichtfüßig die Treppe hinunter gesprungen und redete mindestens auf drei Leute gleichzeitig ein. Tony ließ sich auf einer Treppenstufe nieder und lehnte den Kopf gegen die hölzernen Geländerpfosten. In seinem Kopf drehte sich alles. Tylers Kuss hatte nach Alkohol geschmeckt.

Hey pretty boy …

Tony schauderte. Hatte da jemand was gesagt? Er sah sich um und erblickte ein Gesicht, das er kannte.

„Hey hübscher Junge, was machst du hier so einsam auf der Treppe?“

Tony grinste.

„Will, du bist ja doch gekommen.“

„Du hast mich jetzt so oft eingeladen und ich wollte dich dieses Mal nicht enttäuschen“, sagte William liebenswürdig und ließ sich neben Tony nieder. „Wo doch heute das alte Jahr zu Ende geht.“

„Schön, dass du da bist“, sagte Tony und lehnte sich jetzt an Williams Schulter. Die war eindeutig gemütlicher, als der doofe Pfosten.

„Möchtest du nicht irgendwo hin, wo es gemütlicher ist?“ fragte William.

„Fang du nicht auch noch an“, grummelte Tony. „Ich hasse es, wenn immer alle nur ficken wollen.“

William wirkte etwas geschockt. Er sagte einen Moment nichts, dann meinte er: „Davon rede ich gar nicht. Ich dachte nur, weil dir schlecht ist wäre ein Platz auf der Couch für dich schöner.“

„Das ist nett, ja“, sagte Tony und lächelte die Treppe an. Er fühlte sich nicht in der Lage noch einmal den Kopf zu heben. William zog ihn von der Treppe hoch und half ihm nach unten ins Wohnzimmer. Es stand fast vor Rauch, aber Tony merkte das kaum noch.

„Zigarette!“ sagte er und hielt die Hand auf. Als er sie wieder schloss lagen zirka 5 Zigaretten darin und Tony grinste zufrieden. „Auch eine?“ fragte er William, doch der lehnte dankend ab. Sie plumpsten auf die

Wohnzimmercouch und Tony sah sich missmutig um. Kein Feuer. Er erspähte ein Mädchen in extremen Minirock.

„Hey Baby! Hast du Feuer?“

Sie drehte sich zu ihm um, erkannte ihn und freute sich wie die Schneekönigin, dass sie ihm ihr Feuerzeug geben durfte.

„Danke“, sagte Tony mit einem anzüglichen Grinsen und wandte sich dann wieder zu William um. „Wirklich nicht?“

William schüttelte mit dem Kopf und betrachtete Tony wie er an seiner Zigarette zog und dann den Kopf zurücklegte. Jetzt begann der Alkohol endlich ordentlich zu wirken. Die Übelkeit war vorbei. Tony drehte den Kopf zur rechten Seite, wo William neben ihm saß und sah ihn seinerseits an.

„Magst du die Party?“ fragte er.

„Nein“, sagte William und sein Blick huschte durch den Raum. „Ich mag keinen von diesen Leuten und das Haus mag ich erstrecht nicht. Eigentlich hasse ich es. Ich bin nur für dich hier.“

Tony lächelte wieder, etwas verschwommen und eindeutig besäuselt.

„Wenn es zu schlimm werden sollte, Willy, dann kannst du gehen. Du musst dich nicht hier rumquälen, ja?“

„Werde ich nicht, jedenfalls nicht allzu sehr.“

William nahm Tony seine Zigarette aus der Hand, mit der er jetzt fast den Teppich in Brand gesteckt hätte und erstickte sie im Aschenbecher. Die anderen erschnorrten Glimmstengel lagen unberührt auf dem Tisch vor ihnen.

„Hey … warum …?“

William konnte sich einfach nicht mehr halten, wollte sich nicht mehr halten. Es wuchs ihm einfach über den Kopf, ohne dass er genau wusste, was er eigentlich gegen diese Gefühle tun konnte. Tony wollte protestieren, aber William hörte ihn gar nicht. Seine Augen hingen an Tonys Lippen, so zartrosa, so anziehend. Er hob die Hand, griff sanft nach Tonys Kinn und fuhr mit dem Daumen über seine Lippen. Weich, einladend. Und jetzt? William hatte nie jemanden umarmt, geküsst, geschweige denn in irgendeiner Form geliebt. Er war hilflos, fast verzweifelt. Doch Tony nahm ihm glücklicherweise die nächste Entscheidung ab. William spürte seine Lippen, spürte, wie sie sich für ihn öffneten.

Wenn es einen Himmel gibt, dann ist er hier. Wenn es einen Gott gibt, dann bist du es.

Der Kuss dauerte einige aufreizende Sekunden. William hatte schnell gelernt. Eigentlich war nichts dabei. Er spürte die Schauer durch seinen Körper rasen. Sie machten ihn fast besinnungslos.

„Was heißt hier Blackworth knutscht mit Honey rum?!“

Tylers Stimme durchriss alle anderen Geräusche. Das eintönige Gemurmel, die gleichförmige Musik, alles schien ins Stocken zu geraten und mehrere Stimmen erhoben sich jetzt. Man versuchte anscheinend Tylers kleinen alkoholisierten Wutanfall zurückzuhalten. William spürte, dass Tony sich von ihm löste, wollte protestieren, auch wenn er genau wusste, wie unklug das war. Er hatte Blut geleckt, jetzt wollte er mehr. Viel mehr.

„Tony … bitte.“

„Pst“, machte Tony und legte ihm einen Finger auf die Lippen. „Es ist nur besser, wenn er das in seinem Zustand nicht sieht.“

Behände stand Tony von der Couch auf und William sah kurz seine nackte Haut aufblitzen, als er sein T-Shirt zu Recht schob.

Du kannst mich mit einem Blick töten. Du gehörst mir, ich gehöre dir. Ich werde dir jeden Wunsch von den Lippen ablesen, den Boden anbeten auf dem du gehst, aber komm zurück. Lass mich nicht so hier sitzen.

William stand ebenfalls auf und sah gerade noch, wie sich Tony einen Weg aus dem Wohnzimmer bahnte. Dann Tylers Stimme.

„Wo ist er?!“

„Du führst dich auf, wie ein wilder Hornochse!“

William stieß ein paar Leute zur Seite und versuchte Tony wieder in sein Blickfeld zu bekommen. Und ja, da war er. Es hatte sich ein kleiner Kreis um Tyler und Tony gebildet. William blieb in vorsichtigem Abstand stehen. Seine Lippen brannten noch, schrien nach Tony, blieben unerhört.

„Ist das wahr?“ giftete Tyler Tony an. Er sah etwas irre aus, eindeutig voll bis obenhin.

„Selbst wenn, was geht es dich an? Komm runter, Mann!“

„Hat Blackworth dich angemacht? Hat er?“

William drängelte sich bis nach vorn. Alles was er jetzt noch fühlte war heiße Wut.

„Was glaubst du eigentlich, wer du bist?“ ging er auf Tyler los, der ihn jetzt erst registrierte. „Was erlaubst du dir eigentlich so mit ihm zu reden? Du bist so ein verdammter …“

Es wurde sehr ruhig im Haus. Man spürte, dass die Stimmung heikel wurde. Außerdem fragte man sich, ob William überhaupt ein Schimpfwort im Vokabular hatte.

„Du kleiner Scheißer misch dich bloß nicht ein. Deine Schläge ist schon völlig überfällig“, Tylers Stimme war ruhig, verdammt ruhig und das war kein gutes Zeichen.

„Man Leute, reißt euch bloß zusammen“, sagte jemand aus der zweiten Reihe.

„Ja echt, es wäre jetzt voll scheiße, wenn ihr euch die Köpfe einschlagt.“

Tyler schien einen Moment lang gewillt die Vorschläge in den Wind zu schießen, überlegte es sich dann aber anders.

„Beweg deinen Arsch hier raus, Blackworth“, sagte er und deutete in Richtung Tür. „Und zwar sofort!“

William sah ihn ein oder zwei sehr lange Sekunden an, wandte sich dann ab, griff seine Jacke von dem Stapel vieler Jacken und verschwand. Die Tür fiel krachend hinter ihm ins Schloss. Tony wirkte niedergeschlagen. Doch niemand wagte das irgendwie anzusprechen.
 

Eine gute halbe Stunde und 3 Bier weiter hatten fast alle den kleinen Zwischenfall irgendwo ziemlich weit hinten in ihrem Gehirn geparkt. William war auf dem nach Hause Weg noch etwas eingefallen und er drehte abrupt um, marschierte den ganzen kalten Weg zurück. Es schneite. Das neue Jahr war nur noch eine halbe Stunde entfernt. Er wollte nicht mit Tyler aneinander geraten, aber er wollte mit Tony reden, wollte ihm jetzt ganz klar auf den Tisch legen, wie sehr er ihn liebte. Ein Fußmarsch vom Haus der Browns bis zu sich nach Hause dauerte fast eine Stunde und auf der Hälfte der Strecke machte William jetzt kehrt. Er lief so zügig, wie er nur konnte und war auch bald wieder am Ziel. Die Haustür war nur angelehnt und so konnte er unbemerkt hereinschlüpfen. Die anderen waren alle total besoffen, niemand machte sich wirklich Gedanken um ihn. Wo Tony wohl war?

„Hey“, William tippte einem Typen auf die Schulter, der gelegentlich etwas mit Tony zu tun haben schien. Er vermutete, dass die beiden denselben Studiengang hatten.

„Was’n?“ Die Fahne stank zum Himmel, aber William blieb hart.

„Weißt du wo Tony ist?“

Der Kerl drehte sich mit einem hinterhältigen Grinsen um und winkte William etwas näher an sich heran. Widerwillig beugte sich William zu ihm vor, wobei er versuchte so gut es ging die Luft anzuhalten.

„Ich hab die beiden gesehen. Sie sind in den Keller verschwunden. Glaub mir, die sind grad ziemlich beschäftigt.“

Damit drehte er sich wieder um und torkelte davon. William blickte ihm angewidert nach. Die beiden? Meinte er etwa Tyler und Tony? Der Keller also. William sah sich hektisch um. Die Kellertür musste die sein, die unter der Treppe war. William drehte sich um, suchte, fand. Nervös griff er nach der Klinke und drückte sie sanft runter. Fast völlig unbemerkt schlüpfte er in den Keller. Dort drinnen war es stickig, kühl und überaus dämmrig. Die Treppe fiel rechts von ihm steil ab. William setzte vorsichtig einen Fuß vor den

anderen. Er hörte leise Stimmen. Langsam nahm er eine Stufe und lauschte dann. Die Stimme war atemlos, aber er erkannte sie.

„Los mach schon, das wolltest du doch vor Tagen schon, los doch.“

Eine Gänsehaut kroch über Williams Arme, obwohl er seine dicke Winterjacke noch immer trug.

„Mach dir da mal keine Sorgen, gleich winselst du um Gnade.“

Ein leises Auflachen, durchtränkt von Alkohol und Lust. Wieder nahm William eine Stufe. Er hoffte, dass ihn nicht ein unerwartetes Knarren des Holzes verraten würde. Er versuchte hinunter in den spärlich beleuchteten Keller zu sehen und bereute es bis zum letzten Tag, dass er an diesem Abend nicht einfach nach Hause gegangen war …

„Ich soll um Gnade winseln?“

Tony kicherte. Tylers Hände, die ihm sein T-Shirt über den Kopf zogen waren kalt. Fast als hätte er Angst davor das hier wirklich zu beenden. Tony fuhr sich kurz durch die Haare, bevor Tyler ihn wieder zu küssen begann. Seine Hände wanderten über Tonys Körper und begannen an dessen Hose rumzufummeln.

„Wag es ja nicht mich mit deinen verdammt kalten Händen DA anzufassen!“

„Was meinst du, was ich nicht alles wage!“ konterte Tyler und öffnete geschickt den Knopf an Tonys Hose. Tony kicherte wieder. Er war sternhagelvoll und langsam fragte Tyler sich, ob er sich hinterher noch an den ganzen Akt erinnern würde.

„Lass mal den Meister ran“, sagte Tony, dessen Akzent mit dem Alkoholpegel gestiegen war. Nicht unangenehm und nicht unverständlich, aber hörbar. Er schubste Tyler leicht weg und rutschte von den alten Kisten, auf denen Tyler ihn hatte flachlegen wollen. Mit einem vernebelten Grinsen ließ er sich vor Tyler auf die Knie fallen und öffnete dessen Hose als hätte er nie etwas anderes getan. Nicht wenige Sekunden später war der Moment gekommen, an dem William es absolut nicht mehr aushalten konnte. Einen Würgreiz unterdrückend zog er sich von der Treppe zurück und verließ am ganzen Körper zitternd den Keller. Keiner nahm Notiz von ihm, als er blass und eindeutig kränklich das Haus zum zweiten Mal verließ, nur um sich dann draußen zu übergeben.

Du wirst sterben, sterben, sterben.

Als Tony und Tyler aus dem Keller wiederkamen war das neue Jahr bereits angebrochen. Tony ging hinaus auf die Veranda und sah hoch in den Himmel. Es war klirrend kalt und bunte Farben erleuchteten die ganze Stadt.

„Happy New Year, Darrin“, murmelte er und wischte sich zitternd über die Wangen. Er war sich nicht sicher wie er diesen Wahnsinn hier überstehen sollte.

Alkohol ist wirklich nicht gut für dich! Darrins Lachen. Er hörte es so deutlich. Tony presste seine Hand gegen die Rippen, ihm war so übel. Ich gebe dir nie wieder was. Du stirbst mir noch daran. Gelächter. Tony wischte sich wieder über die Wangen. Seine Tränen waren fast gefroren.

„Honey, komm rein, du frierst dich tot!“ Tyler umfasste wieder seine Taille und zog ihn zurück ins Wohnzimmer.

„Ich will nach Hause“, murmelte Tony.

Sag mal, weinst du?

Ja, Darrin, ich weine, komm und tröste mich.

„Honey, ich versteh kein Wort.“

„Ich auch nicht“, dachte Tony und der schwarze Himmel, gefüllt von Lichtern verschwand vor seinen Augen. „Ich bring dich ins Bett.“

Tony nickte, aber dieses Mal wollte er alleine sein. In seinem Kopf ging alles so furchtbar durcheinander. Er meinte Darrins Hände zu fühlen, meinte seine Stimme zu hören.

Auf das neue Jahr und Prost! Lass uns ordentlich anstoßen, komm schon …

Ihre verschränkten Arme, der Geschmack von Wodka Cola. Und dann der trunkene Moment.

Ich liebe dich, Mann, du bist so einzigartig.

Und dann der Kuss, etwas unbeholfen, aber reizend. Ja, sehr sogar.

Wir bleiben für immer Freunde Darrin, versprichst du mir das?

Ja, ich verspreche es. Für immer. Lass uns schwören.

Und sie hatten geschworen. Tony lächelte zufrieden.

„Honey, alles okay?“

Er nickte wieder nur. War so froh, dass seine Erinnerungen nur ihm gehörten.

„Bring mich ins Bett, bitte. Ich will schlafen.“

Weiche Kissen, ein Hauch von Waschmittelgeruch. Tony starrte hoch zur Decke, er war so müde, so benebelt.

„Schlaf gut, Honey.“

Die Silhouette über ihm. Darrin, für immer.

Aber nein, das war Tyler. Ja, wie sollte Darrin denn hierher kommen? Unmöglich.

„Gute Nacht.“

Und Tony schlief ein, schloss die Augen und schwamm hinüber in einen neuen Traum. Einen Traum, der so lange nicht mehr da gewesen war, denn er war ein Spiegel der alten Realität.

Tony roch Chlor. Er war 16, hatte gerade die Prüfungen der 10ten Klasse hinter sich gebracht. Ja, alles bestanden, alles gut bestanden und Darrin auch. Sie waren glücklich. Natürlich, sie hatten einen Abschluss, selbst wenn das ABI ein Reinfall werden sollte. Sie feierten bei einem Klassenkameraden. Es war Sommer, ein sehr heißer Sommer. Alle waren betrunken, natürlich, lief es nicht immer wieder darauf hinaus? Feiern, Alkohol bis zum Umfallen. Nur Darrin hatte sich zusammengerissen. Seine Eltern würden ihm zwei Jahre Hausarrest geben, wenn er betrunken nach Hause kam. Nein, Darrin trank nur, wenn er nicht nach Hause musste, wenn er bei Tony blieb. Aber Tony selbst, hatte die dumme Angewohnheit bei solchen Anlässen – einer davon war die Jugendweihe gewesen– bis zur Besinnungslosigkeit zu trinken. Darrin hatte jetzt immerhin noch ein Auge auf ihn, denn sonst hätte Tony seinen Abschluss mit einem Streichholz abfackeln können, unter der Erde, 1.80m tief. Der Klassenkamerad hatte recht gut betuchte Eltern. Sie hatten einen Pool im Garten, der natürlich –wegen der Hitze – gefüllt und unabgedeckt war. Zu ebener Erde in den Boden gelassen. Tony taumelte etwas hilflos durch den Garten, Darrin immer einen Meter hinter ihm. Doch dann wurde Darrin abgelenkt. Tony näherte sich dem Pool. Sein Inneres schrie, dass er zurück musste, nicht dichter, nein! Aber sein Körper gehorchte nicht. Es war wie verhext. Tony taumelte weiter, dichter, bis er hinunter ins zartblaue Wasser starren konnte.

Du darfst jetzt nicht lachen Darrin, ich kann immer noch nicht schwimmen.

Wasser. Tony hatte schon einigen Respekt vor diesem Element, das er nie bezähmen konnte. Vorsichtig machte er einen Schritt zurück. Ah! Er konnte sich wieder besser steuern. Gut … gut gleich noch einen Schritt. Aber dazu kam er gar nicht mehr. Jemand stieß ihm von hinten kräftig in den Rücken. Tony schrie überrascht auf und fiel kopfüber ins Wasser. Die Luft wurde aus seinen Lungen gedrückt. Tony schluckte Wasser und versank wie ein Stein. Das Becken war höchstens 1.80m tief, aber Tony war nur 1.68m groß. Er ruderte hilflos mit den Armen und sein Denken begann verdammt scharf zu werden.

Ich sterbe, ich sterbe …

Welcher Idiot hatte ihn geschubst? Niemand außer Darrin wusste, dass Tony nicht schwimmen konnte. Er ruderte weiter, es passierte nichts. Seine Hände stießen gegen die Fliesen des Poolboden. Seine Wahrnehmung schwächte wieder ab. Er wurde ohnmächtig. Doch dann nahm er aus dem Augenwinkel etwas wahr. Jemand packte seinen Arm, zog ihn hoch, schlang die Arme um ihn und es ging aufwärts.

Kalte und doch so warme Luft brannte sich in seine Lunge. Tony hustete, klammerte sich an seinem Retter fest. Er brüllte etwas. Klang nach Befehlen. Tony wurde weiter hochgezogen, aus dem Wasser raus. Er hustete immer noch. Jemand anderes schrie auch etwas. So was wie: „Woher sollte ich denn wissen…“ Und Tony landete rücklings auf dem säuberlich gestutzten Rasen. Er hustete immer noch. Die Luft schmerzte und tat doch so gut.

„Tony, Tony hol tief Luft, nicht aufhören, ja immer weiter.“
 

1ter Januar
 

Tony fuhr aus dem Schlaf hoch, hustete und schnappte nach Luft. Dieser Traum, er war so verdammt realistisch. Dabei war es knapp 5 Jahre her, dass Tony fast ertrunken wäre. Seitdem machte ihn schon allein der Geruch von Chlor so nervös, dass er sich fast übergeben musste. Tonys Körper begann zu begreifen, dass nirgendwo Wasser war und sein Atem beruhigte sich langsam wieder. Er ließ sich auf den Rücken fallen, vergrub sich unter der Decke. Ihm war kalt. Er musste an die Silvesternacht denken, daran, was er mit Tyler getan hatte. Hätte er nur nichts getrunken. Das war pervers! Und doch … Was würde Darrin dazu sagen? Was würde er von Tony denken? Bestimmt fand er es abartig, aber Darrin war nicht hier, nein und Tony musste noch knappe 6 Monate bleiben.

Tony beschloss den Rest seiner Zeit mit lernen zu verbringen. Er musste endlich mit dem Feiern aufhören, sonst wäre das alles hier wirklich völlig umsonst. So begann er von früh bis spät in der Uni zu hocken, die Bibliothek durchzustöbern und gönnte sich höchst wenig Freizeit, was Tyler überhaupt nicht verstehen konnte. Lernen schien ein Fremdwort für ihn zu sein. Wie er es wohl bis an diese Uni geschafft hatte? Wahrscheinlich nur mit Mamas gutem Lohn.
 

4ter März
 

Die Bibliothek war voll mit Studenten. Tony zwängte sich durch die Reihen und stellte ein Buch zurück, nur um dann ein nächstes aus dem Regal zu fischen. Er schrieb einen Aufsatz. Das dicke Wörterbuch lag wie eine fette Kröte neben einigen zerknüllten Vorlagen.

„Hallo Tony.“

Tony drehte sich um und sah verwundert in Williams Gesicht. Er hatte ewig kein Wort mehr mit ihm gewechselt, seit dem Silvesterabend. Warum wusste er nicht genau, aber es war definitiv immer William gewesen, der die Flucht ergriffen hatte.

„Hallo William“, Tony lächelte ihn an.

„Was machst du?“

Tony seufzte und stellte den dicken Band über die englische Literatur im 19 Jahrhundert zurück ins Regal.

„Seit Januar nichts anderes als lernen. Ich glaube mir explodiert bald der Kopf.“

Tony lächelte etwas schief und William erwiderte das Lächeln tapfer.

„Kann ich dir vielleicht helfen?“ fragte er.

„Ich dachte, dass du niemandem hilfst?“

„Manchmal mache ich Ausnahmen“, sagte William und zog nun seinerseits den Schinken aus dem Regal und betrachtete ihn. „Ich habe auch eins von denen. Vielleicht hilft dir das. Ich würde es dir ausleihen.“

„Das wäre total lieb von dir.“

„Möchtest du mit zu mir kommen? Dann können wir zusammen noch schauen, ob ich vielleicht noch mehr davon finde. Ich habe mal eine Umfassende Arbeit über das Thema geschrieben. Die könnte ich auch heraussuchen. Was hältst du davon?“

Tony dachte einen Moment nach. Tyler durfte auf keinen Fall Wind von der Sache bekommen. Die Folge davon wäre nur ein erneuter Wutanfall. In den letzten Monaten hatte sich Tyler regelrecht wohl gefühlt und es stand ihm fast auf der Stirn geschrieben, was er mit Tony getan hatte. Der Mann war noch nie so siegessicher durch die Gegend stolziert wie jetzt.

„Ja, ich komme mit zu dir Will, aber ich kann nicht allzu lange bleiben, ja? Ich muss noch den ganzen Kram fertig machen.“

Tony deutete auf den Tisch, von dem seine Sachen aufragten.

„Kein Problem.“
 

Keine Stunde später betrat Tony hinter William die Blackworth Villa. Die Eingangshalle war warm und einladend, gegenüber dem kalten März draußen. Vor ihm ragte eine breite Treppe auf, die von zwei Pfeilern gesäumt war, auf dessen Spitzen zwei elegante Adler hockten.

„Das ist ja schön“, sagte Tony begeistert.

„Komm mit, wir gehen in die Bibliothek und suchen die Bücher für dich.“

Tony folgte William durch eine hohe Tür zur Rechten und dann eine Treppe hinunter. Tony bewunderte das alles mit großen Augen. Dieses Haus war so geräumig, hier hätten 5 Familien Platz gehabt.

„Hast du Geschwister?“ fragte Tony.

William sah ihn über die Schulter an.

„Nein“, sagte er, als wisse er nicht worüber Tony redete. Am Ende der Treppe war es dunkel, nur ein blauer Schimmer leuchtete in der Ferne. Tony fröstelte. Gab es hier kein Licht? Doch er beschwerte sich nicht und folgte William bis ganz nach unten, wo ihm ein bekannter und unheimlicher Geruch in die Nase stieg.

„Chlor“, flüsterte er und wandte sich nach rechts. William blieb stehen und sah ihn fragend an. Tony starrte auf eine spiegelglatte Oberfläche unter der gelbe Lampen ihr Licht aussandten. Es hätte genauso gut Glas gewesen sein können, so ruhig lag das Wasser dort. Tony wurde leicht schwindelig. Er machte einen Schritt zurück.

„Schöner Pool“, sagte er, aber man hörte genau, dass er das nicht wirklich meinte. William beobachtete ihn angespannt. Tonys Blick huschte nach oben. Ein steinernes Gewölbe überspannte die Szene, alles sehr schön, sehr romantisch und irgendwie beängstigend. Er zuckte zusammen, als William ihm eine Hand auf den Rücken legte.

„Was ist mit dir?“ fragte er, seine Stimme hallte ein wenig.

„Ich … ich bin fast mal in so was ertrunken“, Tony deutete auf das Schwimmbecken. „Es war etwas kleiner, aber … aber das beruhigt mich nicht unbedingt.“

Er hatte angefangen zu zittern, ohne dass es ihm wirklich bewusst wurde.

„Warum ist das passiert?“

„Ich wurde geschubst und ich … ich kann nicht schwimmen.“

William starrte einen Moment auf das Wasser und nickte dann.

„Keine Angst, dir passiert nichts, nicht hier und nicht bei mir. Komm weiter.“

Und mit der Hand auf Tonys Rücken führte er ihn etwas weiter um eine erneute Ecke und in eine unterirdische Bibliothek, die großzügig beleuchtet war. Tony atmete etwas auf. Der Chlorgeruch drang glücklicherweise nicht bis hierher.
 

12ter Juli
 

Tony wuselte in seinem Zimmer auf und ab. Alles zurück in die Taschen und Koffer. Oh Gott, was hatte er alles gekauft? Das war ja Wahnsinn! Wie sollte er alles mitbekommen? Tyler stand währenddessen in Türrahmen und hatte den finstersten Blick aufgesetzt, den man sich bei ihm denken konnte. Endlich war die siegessichere Miene verschwunden.

„Du kannst es nicht erwarten, was?“

Tony sah hoch und blickte Tyler fragend an.

„Was meinst du?“

„Du kannst es nicht erwarten nach Hause zu kommen, hab ich Recht?“

„Ja, schon, mir fehlen halt meine Freunde und so. Wieso sollte ich mich nicht freuen nach Hause zu kommen?“

Tyler zündete sich eine Zigarette an und zog daran.

„Hat es dir wenigstens gefallen hier?“

Tony, der schon wieder in seine Zusammenpackarbeiten vertieft war, tauchte wieder auf und zuckte mit den Schultern.

„Es war schon schön, doch.“

Eine ziemlich schlüpfrige Aussage. Das fand zumindest Tyler.

„Ich find’s ja schade, dass du schon wieder gehst. Du kannst ruhig noch ein Jahr bleiben.“

Gott bewahre, dachte Tony, sagte aber nichts. Klar, manch eine Nacht hier war sehr geil gewesen und manch ein Tag auch. Im Großen und Ganzen, okay, aber er musste einfach zurück … zurück zu, wem? Zu Darrin, ja zurück zu Darrin. Es klang albern. Immerhin hatte Darrin seit einiger Zeit von seiner neuen Freundin geschrieben. Sie schien wirklich toll zu sein, wenn Tony seinen Aussagen glauben konnte. Und Darrin klang so glücklich.

„Auf jeden Fall, war es recht lehrreich“, sagte Tony und grinste Tyler schief an.

„Inwiefern?“ fragte der und drückte die Zigarette in dem Aschenbecher auf Tonys Schreibtisch aus.

„Na ja, ich hätte nicht gedacht, dass Sex mit Männern so angenehm ist.“

„Alte Schwuchtel“, Tyler lachte und ließ sich lässig auf den drehbaren Stuhl fallen. „Du darfst gern noch mal, Honey. Ich bin allzeit bereit.“

„Das glaube ich dir“, sagte Tony und zeigte ihm einen Vogel. Nein, das würde er nicht noch mal tun. Nie wieder mit Tyler. Höchstens wenn er auf einem Herointrip war und das würde in den nächsten 24 Stunden nicht passieren. Er sah Tyler an und stellte sich Darrin an seiner Stelle vor. Ein wohliger Schauer durchfuhr ihn und Tony stellte die Vorstellung schnell wieder ab. Wenn dieser Typ Darrin wäre … nicht auszudenken.

„Aber Honey, eins muss man dir ja mit auf den Weg geben.“

„Was denn?“ fragte Tony und wurde leicht rot.

„Dein Freund da, dieser … Dennis? Ne, Darrin? Ja genau – der hat mit dir echt einen sauguten Fang gelandet. Richte ihm das mal von mir aus. Ich glaube, er und sein kleiner Freund werden dich vermisst haben.“ Ein anzügliches Grinsen breitete sich auf Tylers Gesicht aus.

„Ich ficke nicht mit Darrin“, sagte Tony und zog die Augenbrauen zusammen. Das klang sehr übel und er hoffte, dass Darrin nie auch nur zwei Worte mit Tyler wechseln würde.

„Ach komm Honey, du brauchst mir echt nichts verheimlichen.“

„Ich sag ja die Wahrheit. Darrin ist nicht mein Lover, er ist lediglich mein Freund. Ich kenne ihn seit … seit ich denken kann.“

Tyler grinste immer noch. So wirklich konnte er Tony nicht glauben.

„Wenn du ihn bis jetzt noch nicht auf die Matratze genagelt hast, dann wird es schon noch dazu kommen. Glaub’s mir.“

Und Tyler hatte Recht. Nur wusste Tony das noch nicht. Tyler stand wieder auf und sah sich noch einmal im Raum um. Dann ging er einen Schritt auf Tony zu und sah ihn unheimlich ernst an.

„Ich fahr dich morgen zum Flughafen, Honey. Pass auf, dass du nichts vergisst, denn ich werd’s dir nicht nachschicken. Ich behalte es als Wichsvorlage.“

„Arschloch“, sagte Tony gelangweilt und zog eine Augenbraue hoch.

„Ich weiß. Aber Honey, es war geil mit dir, ich werd’s in ewiger Erinnerung behalten. Ich schwöre.“

Tony musste unwillkürlich grinsen.

„Danke dir“, sagte er. Tyler grinste auch. Er hob die Hand und schob sie in Tonys Nacken.

„Und damit ich nicht in Verruf gerate, will ich jetzt meinen Abschiedskuss.“
 

Es war der letzte Kuss, der Abschiedskuss ans Leben für Tyler.
 

13ter Juli
 

Gelangweilt, ja sogar etwas deprimiert wanderte Tyler den Gehweg entlang. Es war spät abends. Er hatte sein Auto stehen lassen und war zu Fuß auf dem Weg zur Disco. Die Straße war matschig vom vielen Regen und kaum jemand ließ sich überhaupt blicken. Trotzdem hatte Tyler das ungute Gefühl, nicht allein zu sein. Er blieb stehen und drehte sich um. Ein Typ, groß und blond ging einige Meter hinter ihm. Tyler grinste, als er ihn erkannte.

„Blackworth, was machen wir denn hier?“ fragte er und etwas eindeutig Gemeines lag in seiner Stimme. William blieb vor ihm stehen, seine Mine war gefasst und fast ein wenig herablassend.

„Was vermutest du denn?“

„Ich weiß nicht. Vielleicht willst du dich ja erschießen, weil Honey nicht mehr da ist und du ihn nicht ficken durftest. Wirklich ein guter Gedanke, ich würde ihn verfolgen, Blackworth.“

William schwieg einen Moment. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht und das machte Tyler wütend.

„Ja, Tony ist ein gutes Stichwort. Ja und erschießen auch. Schön das wir uns so gut verstehen. Ich werde den Gedanken auch verfolgen, ganz bestimmt, nur werde ich nicht der sein, der stirbt.“

Tyler bekam eine Gänsehaut unter seinem Parka. Was waren denn das für Sprüche?

„Laber nicht“, knurrte er.

William sah ihn an, wieder musste er grinsen. Seine rechte Hand wanderte in seine Tasche und Tyler starrte sie an. Als sie wieder auftauchte lag eine 9mm sicher in Williams Hand.

„Was soll DAS denn?“

Tyler wich ein paar Schritte zurück.

„Bleib stehen, du Widerling oder ich schieße dich in viele kleine Stückchen.“

Tyler gehorchte und starrte William offen entsetzt an.

„Ich hab dich gesehen, wie du und Tony … wie ihr euren Spaß hattet“, begann William und seine Hand zitterte einen Moment lang. „Das hab ich dir nie verziehen und das werde ich dir nie verzeihen.“

„Hey, Kumpel, Honey wollte das. Er wollte …“

„TONY WOLLTE GAR NICHTS! Du verdammter … du hast ihn abgefüllt. Du hast eins nicht begriffen: Tony gehört mir. Und zwar nur mir.“

Tyler konnte ein Lachen kaum unterdrücken.

„Du bist doch völlig gestört. Nimm das Ding runter, Blackworth.“

„Ich sage es nur einmal. Und vergiss es nicht, Tyler Brown: Ich hasse dich!“

Mit diesen Worten drückte William ab. Die Kugel hinterließ ein schwarzes Loch auf Tylers Stirn. Ein irrer Ausdruck von Entsetzten machte sich auf seinem Gesicht breit. Er stand noch ein paar Sekunden, stolperte dann nach hinten und klatschte der Länge nach auf den Boden. William lächelte zufrieden. Er ließ die Waffe zurück in seine Tasche gleiten und zog ein paar Gummihandschuhe heraus. Damit suchte er den Boden ab, fischte das Projektil aus einer schleimigen Pfütze von Gehirnmasse und starrte sie einen Moment an.

„Tot“, murmelte er und warf einen Seitenblick auf Tylers Leiche. Er schloss die Hand fest um das Projektil. Es war warm und feucht.

Wie du es verdient hast.

Langsam stand er auf und trat ein paar Schritte zurück. Sein Mund stand halb offen. Ein großes Loch klaffte an Tylers Hinterkopf. Überall war Blut und eine glänzende Masse, die einmal sein Gehirn gewesen war. William fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen, lächelte, lachte, wandte sich ab und begann zu rennen.
 

Beta Version 16.08.2010

Snow White Death

-Snow white death-
 

18ter August
 

Tony zog seine Jacke enger um seinen Körper. Er fror, die Nacht war klirrend kalt. Noch vor ein paar Stunden war es sommerlich warm gewesen, wie schnell das vergehen konnte. Hastig kramte er nach seinem Haustürschlüssel. Er nahm den Seiteneingang der Nr. 10, steckte den Schlüssel in das automatische Schloss und die Tür öffnete sich ganz von allein. Tony trat in den dunklen Gang. Hier war es nicht mehr so kalt. Er entspannte sich ein wenig und setzte seinen Weg fort, als er die Gestalt eines Mannes erblickte, der sich nicht weit von ihm von der Wand löste. Tony schaute ihn etwas benommen an. Etwas wie Angst kribbelte in seiner Brust. Er musste aufhören so panisch zu sein. Das war bestimmt nur irgendein Nachbar, nichts weltbewegendes … Er kannte die Umrisse des Typen bestimmt und würde ihn gleich erkennen … klar alles halb so wild. Und tatsächlich erkannte Tony die Umrisse auch.

„Hallo Tony“, sagte der Mann und Tony war einen Augenblick völlig verwirrt. „Schön dich wieder zu sehen.“

Er kannte die Stimme, aber irgendetwas passte nicht, etwas passte überhaupt nicht. Hätte er nur das Gesicht erkannt, doch der Durchgang war dunkel und nur am Ende, im Hausflur, schimmerte Licht. Tony tastete nach einem Schalter. War hier einer? Er wusste es nicht, er wusste nur, dass er Licht brauchte. Seine Finger berührten nur die kühle Wand.

„Wer bist du?“ fragte er, kam sich dumm vor dabei. Eigentlich wusste er es, ja, aber trotzdem, irgendetwas war falsch.

„Du brauchst keine Angst haben. Ich bin es nur, William.“

Und es schoss Tony wie ein Pfeil durch den Kopf. Die Sprache! Er hatte keine Ahnung gehabt, dass William Deutsch konnte. Das hatte ihn irritiert.

„Was … was machst du hier?“ stammelte Tony und starrte weiterhin nur die Dunkelheit an.

„Ich wollte dich wieder sehen …“
 

Er ließ es klingeln. Noch einmal, noch einmal. Inzwischen musste es fast 10-mal geklingelt haben. Doch genau hatte Darrin nicht mitgezählt. Besorgt legte er auf, nur um dann noch einmal Tonys Handynummer einzugeben. Auch dort kein Lebenszeichen.

„Was machst du da?“

Seine Mutter stand im Türrahmen und betrachtete Darrins schneeweißes Gesicht besorgt. Darrin schluckte. Wo war Tony? Wieso ging er nicht ran? Sein Mund schien wie ausgetrocknet.

„Ich versuche Tony anzurufen“, sagte er und das Gesicht seiner Mutter wurde noch besorgter. Panik kroch durch seinen Körper, von den Händen, immer näher zum Herzen. Er ging in die Küche und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Seine Hände hatten zu zittern begonnen.

„Mein Gott“, seine Mutter sprang praktisch an seine Seite und legte die warme Hand auf sein Gesicht. „Aber Darrin, was ist denn? Du siehst krank aus. Soll ich einen Arzt holen …“

Darrin hörte nicht zu.

Er hat ihn …

Ja, es musste so sein.

Er hat ihn und ich sitze hier während er vielleicht …

Dieser Wahnsinnige hatte endlich sein Ziel erreicht, so musste es sein. Wie hatte er glauben können, dass Tony überreagieren würde? Er war so dumm! Nur wusste Darrin nicht, dass er nicht ganz richtig lag. Die Strecke bis zum Ziel war erst zur Hälfte zurückgelegt.
 

Tony kam langsam zu Bewusstsein. Es war als läge er unter einer weißen Decke, die langsam immer durchsichtiger wurde. Sein Kopf tat weh und seine Arme … er konnte sie nicht bewegen. Tony stöhnte vor Schmerzen. Er zog die Beine an. Seine Füße streiften über himmlisch weiche Laken. Ja, das war schön. Wenn nur diese Schmerzen nicht gewesen wären.

„Ganz ruhig, mein Schöner.“

Die Stimme fiel auf ihn herab, wie Federn. Weich und zärtlich. Ein Tuch, durchtränkt mit kaltem Wasser berührte seine Stirn. Das tat gut. Tony öffnete die Augen einen Spalt breit. Er wollte mehr von dem Wasser … er hatte Durst. Ja, schrecklichen Durst. Seine Augen fielen wieder zu. Der Kopfschmerz hämmerte, doch mit jeder liebevollen Berührung schwächte er etwas ab.

„Möchtest du trinken?“

„Ja …“

Ein Klicken hallte in seinem Kopf. Er versuchte die Arme zu Bewegen, es tat weh und er stöhnte wieder.

„Nicht so hastig.“

Jemand schob ihm einen Arm unter den Rücken und hob ihn erstaunlich leicht hoch, so dass Tony fast saß. Sein Kopf fiel gegen die Schulter des anderen. Ein angenehmer Duft ging von ihm aus. Glas streifte über seine Lippen, Wasser … Er trank, vielleicht etwas gierig, aber sein Durst verlangte es. Als kein Wasser mehr da war, versuchte er wieder die Augen zu öffnen. Ihm wurde schwindelig. Wieder der Kreislauf, sein Kreislauf war schon immer schwach gewesen.

„Trink noch ein wenig, nur ein wenig.“

Und wieder gab es Wasser. Tony meinte zu spüren, wie es sich in seinem Körper ausbreitete. Dann fiel er zurück in die Kissen, so weich und so frisch. Die Müdigkeit wollte einfach nicht weichen und so fiel er wieder in tiefen Schlaf.

William saß schon seit Stunden nur auf der Bettkante. Das Betäubungsmittel, dass er Tony verabreicht hatte, war wohl zu hoch dosiert gewesen. Wie konnte ihm nur so ein dummer Fehler unterlaufen? Was, wenn … aber nein, es war ja alles gut, Tony würde nur sehr lange, sehr benommen sein. Wie schön er war, wenn sein Gesicht so ruhig auf den weißen Kissen ruhte. Die Handschellen konnte er wohl vorerst vergessen. In seinem Zustand, würde Tony nicht einmal merken, wer hier neben ihm saß. William erhob sich und betrachtete die Einstichstelle an Tonys Arm. Sie war rot und etwas blau angelaufen. Er hatte Tony nicht wehtun wollen, aber was wäre ihm schon noch für eine andere Möglichkeit geblieben? Er hatte die Injektionsnadel einfach in Tonys Arm gerammt, wie er es bei dem Mädchen getan hatte, nur war es dieses Mal nicht sein Plan gewesen zu töten. William wandte sich dem Fenster zu, überprüfte die Schlösser und sah dann hinaus. Noch keine Spur von diesem Idioten Darrin. Ob er schlau genug war, auf die Idee zu kommen, dass sie hier waren? Und würde er allein kommen? William setzte darauf. Männlicher Beschützerinstinkt, gepaart mit einem gewissen Stolz und auch einem Hauch von … Eigentumsverteidigung. Der Plan würde aufgehen.

„Darrin …“

Es war kaum ein Wispern, aber William fuhr zusammen, wie vom Blitz geschlagen. Er drehte sich zu Tony um, der immer noch betäubt auf den Kissen lag. Fast nackt. Die Bettwäsche war so weiß wie Schnee.

„Darrin …“

William überkam die nackte Wut. Er hätte Tony schlagen mögen. Seine Hände zitterten, als er sie zu Fäusten ballte, doch die Wut versiegte langsam wieder, wenn er an seinen Plan dachte. Ja, bald würde dieser Name nur noch eine schattenhafte Erinnerung sein. Er umrundete Tonys wolkengleiches Lager und kniete sich auf den Boden.

Bald bist du mein! Auf immer, bis zum Ende.

Zärtlich strich er über Tonys Wange.

MEIN!
 

20ter August
 

Wieder brach der Abend an. William stand regungslos an demselben Fenster wie zwei Tage zuvor. Er hatte sich gegen die Wand gelehnt und sah wie zwei gelbe Scheinwerfer sich durch die Nacht schnitten. Sein Herz machte einen kleinen Hüpfer, aber er versuchte nicht das Gesicht zu verziehen.

„William! Was soll das? Was hast du denn vor?!“

William reagierte nicht.

„Rede doch endlich mit mir!!“

„Sei ruhig“, sagte William, eindeutig angespannt und Tony begann an seinen Fesseln zu ziehen. Was war da draußen, was William so erschreckte? William kniff die Augen zusammen. Die Tür des Toyotas ging auf. Ja, er war es tatsächlich. Ein fieses Grinsen legte sich auf seine Lippen. William stieß sich vom Fenster ab und ging auf Tony zu.

„Er ist da.“

Tony sah ihn verständnislos an, doch dann machte sich ängstliches Erkennen auf seinem Gesicht breit.

„Ich kann dir nicht versprechen, dass es schnell geht, aber … das Resultat wird dasselbe sein.“

William beobachtete angespannt, wie sich Tonys Augen mit Tränen füllten. Sein Gesicht wurde zu einem Spiegel von Panik. Draußen trommelte der Regen gegen die Fenster.

„Du wirst ihn nicht töten …“ beim letzten Wort begannen die Tränen zu fließen.

„Ich werde!“ erwiderte William und spürte wieder die Wut aufwallen. Er durfte jetzt nicht unruhig werden.

„Nein.“ Tony biss sich auf die Unterlippe, dass diese weiß wurde. „Nein, das wirst du nicht!“

„Ich werde es tun!“

„Ich werde dich hassen!“

Einen Moment herrschte schweigen. Man hörte einen dumpfen Knall von unten. Das Splittern von Glas. Eine Gänsehaut kroch über Tonys Arme. Williams Hände zitterten.
 

Darrin trat wütend gegen die Eingangstür des Suicide Apartment. Diese flog Widerstandslos auf und knallte gegen die anliegende Wand. Darrin war sich nicht ganz bewusst was er tat, aber seine Wut und seine Angst waren so groß, dass er sie kaum ertragen konnte. Er durchmaß mit großen Schritten die Eingangshalle und zertrat eine zarte Glasvitrine, die dem ganzen Raum ein glitzerndes Ambiente

verlieh. Die Scherben knackten unter seinen Füßen.

„William du verdammter Scheißkerl! Wo bist du?! Komm endlich raus du feiges Schwein!!“ schrie Darrin, so laut, wie es ihm seine Stimme erlaubte. „Komm raus Wichser! Komm raus!!“
 

Tony schluchzte nur noch mehr, als er Darrins Schreie hörte.

„Hör auf mit diesem Wahnsinn! Was gibt dir das, verdammt?“

„Du wirst mir gehören“, sagte William bestimmt und ruhig. Er löste Tonys Handschellen und lauschte Darrins Toben. Schnell und präzise knotete er Tonys Hände auf dessen Rücken zusammen. Die Fesseln waren aus weißen Stoffstreifen. Tony schauderte. Alles hier war weiß. Selbst er trug eine weiße Hose und ein weißes Hemd, dass er nie zuvor gesehen hatte. William musste es irgendwo für ihn erstanden haben. Während es unten ruhiger wurde schubste William Tony vor sich her in den Gang und bis zum oberen Absatz der großen Treppe zur Eingangshalle, die Tony und Darrin kurz vor Janas Tod zum ersten Mal betreten hatten. Beide, Tony und William starrten auf Darrin herunter. Darrin hob langsam den Kopf. Die Ruhe vor dem Sturm …
 

-Flash Back-
 

Tony und Darrin galten als unzertrennlich und das schon, zu Anfang der fünften Klasse. Es gab viele Leute, die darüber redeten, dass irgendwas an der Freundschaft der beiden Jungen unnormal sei. Sie stritten nicht, sie neckten sich nicht, sie tauschten viel sagende Blicke, die man keinem 10-jährigen zutraute. Ja, irgendetwas an ihnen war unnormal und niemals, niemals in der ganzen Zeit bemerkte ein Außenstehender einen Streit zwischen den beiden. Tony war ruhig und ein unheimlich hübscher Junge. Er ließ fast immer Darrin den Vortritt und der genoss seine Beschützerrolle. Sie hätten Brüder sein können, manchmal hielt man sie sogar dafür. Diese Tatsache wurde von den beiden Jungen stets belächelt. Und so wurden sie älter. So wuchsen sie heran und diese Beziehung wurde immer fragwürdiger. Allerdings kümmerte sich bald kaum noch jemand darum. Die Lehrer hatten sich daran gewöhnt, die Eltern genossen es fast. Es war nichts Unnormales an der Sache …

Tony stupste Darrin an. Nur einen Meter neben ihnen stand der Biologielehrer und erzählte unaufhörlich über Biomembranen. Darrin wandte sich Tony zu und sah ihn fragend an.

„Wie spät?“ flüsterte Tony und Darrin fischte sein Handy aus der Hosentasche.

„Noch fünf Minuten“, beantwortete er die eigentliche Frage und grinste. „Bald geschafft.“

„Hast du schon für die Chemie Klausur gelernt?“

Darrin nickte bedächtig und streifte den Lehrer mit einem prüfenden Blick.

„Ich auch!“, sagte Tony und lächelte.

„Wollen wir heute Abend …“ begannen sie beide gleichzeitig und krümmten sich vor unterdrücktem Lachen.

„Was hältst vom MAU?“ fragte Darrin.

„LT“, erwiderte Tony bittend.

„Komm schon, es ist mal wieder MAU oder ST dran!“

„LT, bitte, bitte …“

„Nein, MAU oder ST und da im ST heute Abend nichts läuft, ist das MAU am dransten.“

Tony tat einen Augenblick so als würde er dem Unterricht folgen und kaute dann auf seiner Unterlippe herum.

„Kein Techno heute?“ fragte er.

„Kein Techno, heute muss es rocken.“

Tony stemmte die Hände zwischen seine Beine auf den Stuhl und beugte sich zu Darrin vor.

„Bist du dir gaaaaaanz sicher?“

„Todsicher.“

„Ich denke, damit schließen wir die Stunde. Schaut euch eure Aufzeichnungen zur nächsten Stunde genau an!“

Darrin fluchte leise und schmutzig. Tony grinste.

„Schon wieder n scheiß Test“, brummte Darrin und machte eine Notiz in sein Hausaufgabenheft, während Tony begann einzupacken. „Jetzt brauch ich erstrecht guten handgemachten Rock.“

„Na gut“, sagte Tony und warf seine Tasche über die Schulter. Er ordnete die Kapuze an seinem Pullover und begann die Schnürsenkel an seinen Chucks neu zu binden.

„Ich versteh dich nicht“, sagte Darrin. „Trägt man als Tekke nicht neonfarbene Hosen und Shirts? Du siehst aus wie …“

„Ein Emo, ich weiß“, sagte Tony und grinste ebenfalls. „Ich bin halt vielseitig.“

„Worauf du deinen süßen, kleinen Arsch verwetten kannst!“ sagte Darrin laut und bekam einen verwirrten Blick von einem Mitschüler. Tony lachte. Sie verließen den Raum und Darrin wischte seine Haare zur Seite. Tony steckte die Hände in die Taschen seiner Hose und sah noch einmal den Gang auf und ab.

„Da ist Mia“, sagte Darrin und zog eine Zigarettenschachtel aus seiner anderen Hosentasche. Sie wirkte etwas gequält und platt, aber es befanden sich zwei intakte Zigaretten darin. Tony hielt die Hand auf und Darrin gab ihm eine. Gedankenverloren klemmte Tony sie hinter sein Ohr und ging betont lässig auf die hübsche Mia zu. Ein echtes Püppchen, sexy ohne Ende. Und doch keine von diesen Durchschnittsfrutten. Aber Darrin würde nicht behaupten, dass sie gar keine Frutte war.

„Hi, Süße“, hörte er Tony sagen und die beiden umarmten sich. Darrin spürte etwas hinter sich vorbeizischen und streckte sein Bein aus. Wie vermutet legte sich der Eilige auf die Fresse und Darrin klatschte Applaus.

„Och, das tut mir aber leid“, sagte er und musterte den Gefallenen genauer. Richtig getippt. Das war einer von diesen Notgeilen Spasties, die hinter Mia her waren und dafür Tony umgelegt hätten.

„Leck mich!“ bekam er als Antwort und Darrin grinste.

„Heute Abend bei dir, Süßer!“

Er ging mit langsamen Schritten auf Tony und Mia zu und stellte sich unauffällig daneben.

„Fein, dann bis Montag. Schönes Wochenende, Kleine“, sagte Tony und grinste einnehmend. „Komm Darrin. Wir wollten noch zocken. Ich will eine Revanche.“

„Laaaaaaangweilig“, gähnte Darrin, obwohl er es kaum erwarten konnte.

Tony zündete sich draußen vor der Schule seine Zigarette an.

„Bald ist Studienfahrt“, bemerkte Darrin beiläufig, während er sich, wie selbstverständlich, Tonys Feuerzeug schnorrte.

„Das ist die Gelegenheit sich mal wieder ordentlich voll laufen zu lassen.“

Darrin grinste wissend und strich sich über die Augenbrauen. Seine Zigarette schwebte gefährlich nah an seinen Haaren.

„Aber ertrink mir nicht wieder.“

Tony schüttelte bedächtig mit dem Kopf während sie die Straße zum Steintor überquerten. Ihre Bahn würde in etwa 5 Minuten kommen. Tony zog an seiner Zigarette und sah Darrin an. Sein bester Freund, aber was für einer! Tony konnte sich nicht vorstellen, dass Darrin nicht sein bester Freund sein sollte.

Wer sonst hätte seinen Platz belegen können? Niemand, wurde Tony klar und er lächelte. Darrin, der gerade nach einer Straßenbahn Ausschau gehalten hatte wandte sich wieder zu ihm um und erwiderte reflexartig das Lächeln.

„Was denn?“

„Nichts“, meinte Tony.

„Wie läuft es eigentlich mit Mia so?“ fragte Darrin unbekümmert weiter und trat jetzt endlich den Glimmstengel aus.

„Langsam wird’s heiß“, gab Tony zu und biss sich auf die Unterlippe. Eine Geste, die anzeigte, dass er über irgendetwas nachdachte. Manchmal machte er sich auch Sorgen. Darrin hatte es noch nicht hundertprozentig analysiert, aber er war kurz davor.

„Holla“, bemerkte Darrin und legte den Kopf schief. „Höre ich da etwa Selbstzweifel?“

Tony strich sich unbewusst die Haare aus den Augen und nickte, während er auf die zertretene Zigarette unter Darrins Schuh starrte.

„Warum denn? Ey man Tony, du bist der heißeste Feger der Oberstufe, wieso machst du dir n Kopf?“ Darrin war verständnislos.

„Ich hab doch noch nie n Mädchen angefasst“, sagte Tony und zuckte mit den Schultern. „Ich kann ja nicht mal küssen!“

„Reife Leistung“, sagte Darrin leise und betrachtete jetzt die Schienen. Tony sah ihn verstohlen an und begann wieder auf seiner Unterlippe zu kauen.

„Darrin?“

Darrin sah ihn mit fragend hochgezogenen Augenbrauen an.

„Könntest du …?“

„Was könnte ich?“

„Könntest du es mir vielleicht …“

„Beibringen?“

Einen Moment herrschte angespanntes Schweigen. Keiner sagte etwas. Die Straßenbahn fuhr klingelnd in die Haltestelle ein und ohne ein weiteres Wort stiegen sie ein. Erst drinnen, als sie nebeneinander saßen, brach Darrin das Schweigen.

„Das meinst du nicht ernst, oder?“ fragte er und klang höchst erheitert.

„Doch eigentlich schon“, sagte Tony. „Ich meine … hey es geht nur darum, dass ich Angst habe es zu vermasseln. Mehr ist das ja nicht.“

Tony spürte eine Welle des Widerstandes in sich aufkeimen, bezwang sie aber schnell wieder.

„Hast ja recht“, meinte Darrin nachdenklich. „Ist immerhin für einen guten Zweck. Aber hey, das bleibt unter uns, ja?“

Tony nickte zustimmend.

Keine 10 Minuten später betraten sie die Wohnung von Darrins Eltern.

„Keiner zu Hause“, bemerkte Darrin.

Sie zogen die Schuhe aus und verzogen sich in Darrins Zimmer. Tony sah sich zufrieden um und schaute dann Darrin dabei zu, wie er seine Play Station in Gang setzte. Sie spielten, eine Stunde, ja dann schon zwei und das Versprechen war fast schon vergessen. Nach drei Stunden gab Tony auf. Er legte den Joystick beiseite und ließ sich rücklings auf dem Boden nieder.

„Ich kann nicht mehr! Mir platzt gleich der Schädel!“

Darrin lachte. Ihm ging es auch nicht anders. Er ließ sich neben Tony nieder und sah ihn neugierig an.

„Ich glaub das immer noch nicht“, griff er das alte Thema wieder auf und stützte den Kopf auf seinen Arm um Tony besser ansehen zu können.

„Was denn?“ fragte Tony und sah zu ihm auf. Dieser Typ machte ihn wahnsinnig, aber so angenehm wahnsinnig. Irgendwie unheimlich.

„Du hast Mia noch nicht geküsst?“

„Nein.“

„Ganz ehrlich?“

„Ja.“

Darrin schien nachzudenken.

„Eigentlich ist es das einfachste auf der Welt“, sagte er und klang ein bisschen, wie ein Prophet dabei. Tony grinste.

„Wirklich?“

„Na klar.“

„Dann zeig’s mir!“ Tony setzte sich schwungvoll auf und blickte nun von seiner Position auf Darrin herunter.

„Bist du dir sicher, dass du es nicht bei Mia lernen willst?“

Dumme Frage. Tony schüttelte nur mit dem Kopf. Selbst wenn er Mia schon hundert Mal geküsst hätte … allein der Gedanke ließ seine Arme kribbeln.

„Du darfst aber nicht lachen!“ sagte Tony während Darrin sich auch erhob.

„Wieso sollte ich?“ Er schien einen Moment nachzudenken und sagte dann: „Also okay, es ist wirklich nichts dabei und ich mach das nur, weil du es bist. Okay?“

Sie sahen sich an, wie zwei Kinder, die etwas sehr Verbotenes vorhatten und Tony versuchte ein Grinsen zu unterdrücken. Hoffentlich vermasselte er es nicht.

„Du musst einfach auf sie zukommen … jaaa, so und jetzt … ich weiß auch nicht … tu es einfach.“

Tony presste seine Lippen vorsichtig auf Darrins. Soweit schon mal nicht schwer, aber jetzt? Tu es einfach, das war wirklich leichter gesagt als getan. Und Tony war so nervös, er hoffte, dass Darrin nicht spürte, wie heftig sein Herz klopfte. Atemlos wich Tony ein Stück zurück.

„Ich kann das nicht!“ sagte er und Darrin schüttelte als Antwort nur mit dem Kopf.

Er zog Tony an den Schultern wieder zu sich heran, Tony schauderte. Dieses Gefühl würde er nie vergessen. Sein Herz pochte wild gegen seine Rippen. Darrin musste es einfach merken. Gleich würde er ihn bestimmt auslachen, aber dieser Kuss … ganz davon abgesehen, dass er nicht enden wollte … Tony hatte das Gefühl, er wurde intensiver …Bevor er sich dessen aber sicher sein konnte hörten sie das Klicken der Wohnungstür. Darrins Mutter war im Anmarsch. Und mit einer Plötzlichkeit, dass Tony schreien wollte, war es einfach vorbei.

„Gar nicht so schlecht, für den Anfang …“
 

-Flash Back End-
 

Tony schoss so viel durch den Kopf. Er spürte kaum noch wie er weinte. Die Erinnerungen an ihren ersten Kuss, den Tony so frech eingefädelt hatte, stachen wie Messer in seine Brust. Darrin war schon immer der einzige gewesen, den Tony gewollt hatte. William konnte tun was auch immer ihm einfiel, aber Tonys Herz war schon seit langem vergeben.

„Da bist du ja endlich“, William war innerlich aufgewühlt, aber er hätte es sich nie anmerken lassen. Mit festem Griff hielt er Tonys linken Arm fest. Darrin zu ihren Füßen, schien vor Wut zu kochen.

„Wenn du ihm auch nur noch ein Haar krümmst …“, die Stimme bebte vor Zorn.

„Keine Angst“, sagte William ruhig. „Keine Angst, ihm wird nichts passieren, vielleicht solltest du dich um dich selbst sorgen.“

„Nein“, erwiderte Darrin. „Ich bin nicht so arrogant wie du! Nicht so von mir selbst eingenommen, dass ich mein Leben nicht für Tony aufs Spiel setzen würde!“

„Arrogant!?“ William wurde lauter und sein Griff um Tonys Arm fester. „Wieso arrogant? Meinst du ich habe nicht auch alles für Tony aufs Spiel gesetzt?! Ich habe für ihn getötet! Ja, nur für ihn!“

Darrin verengte die Augen.

„Du feige Ratte. Für ihn getötet hast du! Glaubst du etwa, dass er das wollte? Du hast wehrlose Menschen getötet!“

„Glaub ja nicht, dass deine Puppe sich nicht gewehrt hätte!“

Tony warf sich mit einem Ruck zurück um William ins Taumeln zu bringen. Würde er weiter so auf Darrins Nerven herumtrampeln, nicht auszudenken! William stolperte ein paar Schritte, fing Tony aber noch auf, der fast gefallen wäre. Doch bevor er noch wirklich auf den Füßen stand spürte er einen brennenden Schmerz im Gesicht. Tony schrie leise auf. William hatte ihn geschlagen. Darrin stürmte die Treppe hoch. Tony landete auf dem Boden, als die anderen beiden zusammenstießen. Er hörte einen dumpfen Schlag und betete, dass es nicht Darrin war, der den abbekommen hatte. Mühselig, die Hände noch immer auf den Rücken gebunden, rollte sich Tony auf den Rücken und fluchte leise bei dem Versuch sich aufzusetzen. Wenn er nur seine Hände frei gehabt hätte. Er begann an dem Stoff zu zerren. Konnte es nicht sein, dass die Streifen einfach rissen? Hastig warf er einen Blick über die Schulter. Darrin stand mit dem Rücken zur Treppe. William wischte sich über die blutende Lippe und starrte mit glasigem Blick seine rot besudelte Hand an. Es war das erste Mal, dass er in diesem Spiel etwas abbekommen hatte. Währenddessen hörte Tony nicht auf an seinen Fesseln zu zerren. Seine Hände schwitzten. Hatte der Knoten sich wirklich gelockert, oder bildete er sich das ein?

„Na was ist? Hast du gemerkt, dass du genauso bluten kannst, wie jeder andere auch?“

William belächelte Darrins Worte nur. Er trat einen Schritt zurück.

„Tony gehört mir.“

„Tut er nicht!“ – „Tu ich nicht!“

William wirkte für einen Moment irritiert und sein Blick huschte zwischen Darrin und Tony hin und her.

„Ihr werdet schon sehen.“

Er betrachtete Tony auf dem Boden. Tony schauderte unter dem scharfen Blick. Was William wohl gerade durch den Kopf ging? Es war unmöglich das zu erraten. William lächelte. Ob er Tonys Verwirrung erkannt hatte? Dann sah er wieder Darrin an, zuletzt die Treppe hinter Darrin. Tony begriff.

„Darrin!!“

Zu spät. Als wäre Tonys Ruf ein Signal gewesen stürzte sich William auf ihn und stieß ihn heftig rückwärts. Darrin verlor den Halt und stürzte. Stufe für Stufe … bis er unten liegen blieb. Tony fühlte sich wie vom Blitz getroffen. Seine Hände wurden eiskalt. Er begann zu frieren, gleichzeitig zu schwitzen. Nein, das war doch alles falsch, so war es nicht richtig …
 

-Flash Back-
 

Tony streckte sich. Freistunden alleine verbringen zu müssen war soo langweilig. Er sah auf seine Armbanduhr und seufzte. Darrin hatte noch gut 15 Minuten Musik. Wieso hatten die dummen Stundenplaner ihnen zwei unterschiedliche Musikkurse angedreht? Frechheit. Müde legte er den Kopf auf die Arme. Hier unten im Aufenthaltsraum (aka Keller) war es recht ruhig. Tony hatte sich in die hintere linke Eckte verzogen. Auf der rechten Seite saß ein Typ aus der 13ten, der ein Buch wälzte. Irgendeines von diesen Übergedrehten War Craft Dingern. Tony gähnte. Seine Hausaufgaben hatte er längst gemacht. Wieso hatte er denn verdammt noch mal nicht denselben Musikkurs wie Darrin? Das war doch echt zum … Tony setzte sich wieder gerade hin und sah sich um. 13 Minuten musste Darrin noch durchhalten, musste er selbst noch durchhalten. Er stand auf und verließ den Aufenthaltsraum. Der andere Kunde mit dem Buch registrierte das scheinbar überhaupt nicht. Tony ging an den Kunsträumen vorbei, die Treppe in Richtung Vertretungsplan hinauf und studierte diesen noch einmal kritisch. Wie immer. Alle hatten Ausfall, nur er nicht. (Moment, hatte er nicht gerade zwei völlig sinnlose Ausfallstunden?) So typisch. Warum waren seine Lehrer immer da? Er ging weiter hoch und spähte in den Gang an dem Darrins Musikraum lag. Grinsend ging er zur Tür und lauschte.

„Was meinen Sie Darrin? Was ist mit der Melodie? Wie würden sie die beschreiben?“

Tony verzog das Gesicht. Genau das gleiche Thema hatte er auch in seinem Kurs. Liedanalyse.

„Tss … was weiß ich. Das Lied ist halt scheiße und geht mir auf den Sack.“

Tony trat von der Tür zurück und verkniff sich das Lachen. Typisch Darrin. Ihn kotze es mindestens genauso an wie Tony, dass die Stundenplaner ihre Kurse verkackt hatten. Tony war zufrieden. Er schlenderte den Gang entlang und überlegte sich, was er nachher zu Darrin sagen würde, wenn der den Raum verließ. Darrin würde sicher dumm gucken und dann lachen, wenn Tony ihm erzählte, dass er gelauscht hatte. Tony lief den Gang noch einmal zurück, nachdem er ihn der Länge nach abgelaufen hatte und blieb vor der großen Informationstafel stehen. Bald war die Stunde vorbei. Er schob die Hände in die Taschen und horchte. Aus dem Musikraum drang die Stimme der Lehrerin. Tony hatte die vage Vermutung, dass Darrin sich gerade etwas mit ihr angelegt hatte, aber er konnte sich natürlich auch täuschen. Und dann hörte er Schritte auf der Treppe. Tony sah hoch. Den Besuch hatte er sich nicht unbedingt gewünscht.

„Wen haben wir denn da? Die Schwuchtel?“

Tony schenkte dem Neuankömmling einen finsteren Blick.

„Was kann ich denn dafür, wenn ihr Hopper so scheiße ausseht, dass ihr keine abbekommt?“

Der Typ, Tony kannte nur seinen Vornamen und der lautete Jakob, ließ die Finger knacken. Er hatte eine von diesen Hosen an, die zwei Meter unter dem Hintern ihren Schritt hatten. Sie schien drei Nummern zu groß für ihn zu sein. Seine Füße steckten in sportlichen Schuhen, das Ende der Hosenbeine hatte er in seine Socken gesteckt und es sah aus, als hätte er ziemlich perverse Geschwüre an den Fußgelenken. Tony grinste schief bei dem Gedanken. Obenrum trug er ein tolles Hemd, dass so schlecht aussah, das Tony zum würgen zumute war. Passte aber gut zu den Fußgelenkgeschwüren. Also daran sollte es nicht liegen. Über dem Hemd hatte er eine viel zu große, aber sehr „coole“ Jacke und ein Basecap auf dem Kopf.

„Mach das Maul mal nicht zu weit auf, du dumme scheiß Tucke.“

Und der Ausdruck. Ein Ohrenschmaus. Tony wartete nur noch auf den zarten Klang eines: „Alter Man!“ Aber leider, leider blieb ihm das verwehrt.

„Wenn du Mia haben willst, dann solltest du dir vielleicht mal Hosen in deiner Größe kaufen. Sie steht nicht so auf Schlabberlook.“

Warum auch immer. Das reichte Jakob als Provokation. Mit ein paar Schritten war er mit Tony auf einer Höhe und schlug zu. Das alles ging so schnell, dass Tony kaum Zeit hatte zu reagieren. Nur weil er schon mit dem Rücken zur Wand stand, konnte er nicht mehr zurückweichen. Tony schlug die Hände vors Gesicht. Etwas Warmes lief aus seiner Nase und tropfte auf den Fußboden.

„Geht’s dir jetzt wenigstens besser?!“ rief Tony.

„Noch lange nicht!“

In diesem Moment flog die Tür eines Raumes auf. Tony hielt seine Hand über die Nase und rutschte an der Wand hinunter. Jakob stand immer noch vor ihm, wollte eigentlich wieder zuschlagen, aber die Tür hatte ihn abgelenkt.

„Was machst du denn da?“ Das war die Musiklehrerin.

„Du Wichser!“ Und das war Darrin. Tonys Lautstärke hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Die Musiklehrerin gab einen empörten Laut von sich, bevor sie zu merken schien, dass Darrin sie nicht gemeint hatte. „Du kleine Dreckige Ratte. Du scheiß Spasti Hopper!!“

„Darrin!“

Noch bevor jemand dazwischen gehen konnte hatte sich Darrin auf Jakob gestürzt und riss ihn zu Boden.

„Ich bring dich um!“

„Darrin, nein! Lass das!“ Tony hievte sich hoch und zog Darrin von Jakob herunter, der sofort aufgab. Doch die Wut blitze praktisch in seinen Augen.

„Noch einmal so ein Ding und ich mach Vogelfutter aus dir!“

Mittlerweile war die Musikstunde wohl beendet worden. Und nicht nur die. Überall waren Türen aufgegangen und neugierige Schüler ebenso wie verwirrte Lehrer starrten sie an. Darrin wandte sich zu Tony um. Einen Moment lang hatte Tony das kribbelnde Gefühl, dass Darrin ihn umarmen würde oder vielleicht … irre.

„Alles okay? Du blutest …“

Tony wischte sich vorsichtig über die Oberlippe. Ja, Blut, aber es hatte schon aufgehört zu laufen.

„Oh Tony!“

Tony drehte sich um und im nächsten Moment geschah das, was er sich eigentlich heimlich von Darrin gewünscht hatte. Mia kam auf ihn zu gerannt und fiel ihm um den Hals. Sie hatte wohl wenige Räume weiter Chemie gehabt.

„Geht schon, alles okay“, nuschelte Tony und tätschelte vorsichtig ihren Rücken. Währenddessen tauchte der Schuleiter auf.
 

-Flash Back End-
 

„Darrin“, die halbversiegten Tränen flossen erneut. William kam auf ihn zu und löste die Fesseln. Jetzt schien er sich seiner Sache sehr sicher zu sein. Tony starrte hinunter auf Darrin. Wie er da lag. So ruhig. Tony schrie auf und stieß William heftig weg. Er flog fast die Treppe hinunter und landete neben Darrin schmerzhaft auf dem Boden. Aus dieser Position erkannte er, wie sich leise ein kleiner See aus Blut unter Darrins Blondschopf bildete. Er wurde größer. Tony streckte die Hand aus. Mit jeder Sekunde näherte sich das Blut seinen Fingern, bis es sie erreichte und sie rot färbte. Tony hob die blutverschmierte Hand und wischte sie an seiner weißen Kleidung ab. Die Tränen flossen in Strömen.

„Darrin … komm schon. Steh auf. Ich weiß, dass du nicht tot bist. Du bist nicht tot. Du kannst gar nicht tot sein …“

William betrachtete das alles mit gespannter Nervosität. Er fragte sich was jetzt passieren würde, was er in Tony kaputt gemacht hatte und wie er weiter vorgehen sollte. Nicht einfach, er musste herausfinden auf welche Weise er Macht über Tony bekommen konnte.

„Darrin, komm steh auf …“ Tony drehte ihn vorsichtig auf den Rücken und legte den Kopf auf Darrins Brust. Er lauschte und schloss die Augen. Ja, da war noch ein leises Pochen, aber so leise, so krank. „Du stirbst nicht Darrin, du musst doch bei mir bleiben … weißt du das nicht mehr? Wir sind doch verheiratet …“ Ein traurig nebliges Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus und während er immer noch um Darrins kläglichen Herzschlag betete erinnerte er sich, als wäre es gestern gewesen.
 

-Flash Back-
 

„Ne das ist jetzt nicht dein Ernst!“

Darrin lachte laut los, als er Tony sah. Nicht zu fassen. Er hatte alle Drohungen wahr gemacht und sich doch tatsächlich als Cowgril verkleidet. Tony lachte jetzt auch.

„Ich hab’s dir doch versprochen. Wenn du als Cowboy zum Letzten Schultag gehst, komm ich als dein Cowgirl.“

„So richtig mit Rock“, Darrin kicherte. „Ich fass es nicht. Erst gehst du zur Schwulenparade und jetzt kommst du im Rock. Muss ich mir Sorgen machen?“

Tony zuckte grinsend mit den Schultern. Vielleicht, vielleicht auch nicht.

„Übrigens nennt sich das Christopher Street Day! Ich hab auch die Regenbogenfahne mit.“

„Geil …“

Darrin hatte das Gefühl den ganzen Tag nur lachen zu müssen. Nicht das Tony wirklich dumm aussah in seinem Kostüm, aber irgendwie war diese ganze Situation so lächerlich.

„Ich bin ja gespannt was die anderen so sagen.“

„Die erkennen mich gar nicht mehr“, sagte Tony prompt. Ich hab eben noch Hannes in der Bahn gesehen, der hat mich nur angeguckt wie ein Auto.“

Tony deutete auf die Straßenbahnhaltestelle hinter sich. Sie sie machten sich auf den Weg zur Schule. Darrin trug ein Dauergrinsen vor sich her, während Tony seine Regenbogenfahne aus seinem Rucksack zog, der randvoll mit Bonbons war, und sie sich wie einen Batman Mantel um die Schultern warf. Schon von weitem hörten sie laute Musik von Schulhof. Die anderen waren längst da und es floss sicher auch schon reichlich Bier. Sie mischten sich munter in die bunte Menge und bahnten sich langsam ihren Weg zur Bühne vor um ein bisschen was sehen zu können. Ihre Mitschüler hatten sich die lustigsten Kostüme zugelegt, aber Tony war von Anfang an der Renner. Die Mädchen schienen hingerissen. Manche Jungs steckten sich an Darrins Lachflash an. Die Regenbogenfahne gab dem ganzen allerdings noch den besonderen Kick.

„Mein holdes Cowgirl, hier ein Drink vom Sheriff!“

Darrin reichte Tony eine Flasche Bier und schüttelte grinsend mit dem Kopf.

„Ich danke Euch Old Shatterhand. Sagt dem Sheriff liebe Grüße von mir.“

Sie stießen an und leeren das Bier recht schnell. Darrin holte Nachschub und als sie beim dritten angekommen waren trat der Schülersprecher Jan (übrigens als Sheriff bekleidet) auf die Bühne und griff zum Mikro.

„Na Leute? Stimmung gut?“

Ein eher gegröhltes, als gerufenes „Ja!“ schwappte ihm entgegen.

„Fein“, sagte er und blickte auf seinen Zettel. „Wie jedes Jahr wollen wir also jetzt wieder Mr. Und Mrs. Letzter Schultag küren! Ihr habt gewählt, die Stimmen wurden ausgezählt …“

„Wen hast du gewählt?“ fragte Darrin und stupste Tony an.

„Dich!“ sagte Tony und grinste.

„Ne! Mal im Ernst!“

„Ja im Ernst! Dich!“

„Lol …“ Darrin schlug sich mit der Hand gegen die Stirn.

„Wie dem auch sei. Wir haben dieses Jahr unseren alten Brauch ziemlich aufgepeppt. Mr. Und Mrs. Letzter Schultag gehen den Bund der Ehe ein und werden Handschellen als Eheringe bekommen und den ganzen Tag aneinander gekettet rumlaufen.“

„Sehr geil“, meinte Tony und nahm noch einen Schluck von seinem Bier. „Ich bin ja gespannt wer es wird.“

„Ich erst …“

„Nun, wo bleibt der Trommelwirbel? Unser diesjähriger Mr. Letzter Schultag iiiiiiiiiiiiiiiist! DARRIN KOBLENZ!“

Tony, der gerade wieder einen Schluck trinken wollte tauchte in der Menge ab und spuckte fast alles wieder aus. Schnell schluckte er und lachte dann laut. Darrin schlug ihm sanft auf den Hinterkopf und drängelte sich zur Bühne durch. Tony grinste immer noch und fragte sich wen sie wohl den ganzen Tag an Darrin ketten würden. Irgendwie gefiel ihm der Gedanke nicht ganz so gut, wie noch am Anfang.

„Herzlichen Glückwunsch Mr. Letzter Schultag.“ Darrin bekam eine Schärpe mit dem Aufdruck seines neu gewonnenen Titels und verbeugte sich.

„So und nun sehen wir mal wer denn Mrs. Letzter Schultag wird.“

Der Schülersprecher öffnete einen Briefumschlag. Tony hatte vorher gar nicht gemerkt, dass er auch Darrins Namen aus so einem gezogen hatte. Gespannt blickte er sich um. Welches Mädchen würde es wohl werden?

„Äääääähm …. Moment mal, das muss mir jetzt einer erklären.“

Alle sahen verwirrt zu Jan hoch. Ein Mädchen aus Tonys Klasse, er schätzte ihr Name war Anna, aber sicher war er sicht nicht mehr, lief auf die Bühne und redete leise mit dem Schülersprecher. Der grinste nun, nickte und trat wieder ans Mikro.

„Okay, okay, alle Klarheiten beseitigt. So … weiter im Takt. Unsere diesjährige Mrs. Letzter Schultag iiiiiiist … TONY WENDELIN!“

Darrin ließ sich auf die Bühne plumpsen und lachte so heftig, dass es fast aussah als würde er weinen. Tony starrte nur ungläubig nach vorn.

„Wie jetzt?“

Ein paar Mädchen, unter ihnen Anna, packten seine Arme und zogen ihn mit nach vorne.

„Ich bin doch aber kein Mädchen!“ Tony hatte irgendwie das Gefühl sich erklären zu müssen, aber das tat nicht not. Dass er kein Mädchen war wussten alle gut genug, aber trotzdem hatten sie für ihn als MRS. Letzter Schultag gestimmt. Eine Verschwörung der ganz gemeinen Art. Er wurde die Bühne hochgeschoben, man hängte ihm die Schärpe um. Niemand beschwerte sich. Alle waren einverstanden. Tony zog eine Augenbraue hoch.

„So ihr beiden. Jetzt wird geheiratet.“

Darrin raffte sich vom Boden hoch und wischte sich über die Augen. Tony grinste ihn an.

„Geht’s wieder?“

„Nicht wirklich“, Darrin kicherte.

Man hängte Jan einen weißen Umhang um, der entfernt an einen Priester erinnerte und drückte ihm ein dickes Mathebuch in die Hand.

„So nun frage ich dich, Darrin willst du Tony als deinen Ehemann nehmen? Scheidung ist später noch möglich.“

„Ja, ich denk mal ich nehme ihn.“

„Danke dir, Darrin.“

„Tony, möchtest du Darrin zu deinem Angetrauten nehmen, ihn lieben und ehren, ach du weißt schon … Ja, oder nein?“

„Aber doch liebend gerne!“

„Gut, damit erkläre ich euch zu Mann und äh … zu Mann und Mann … also Eheleuten.“

Darrin tat so als würde er sich den Schweiß von der Stirn wischen und grinste Tony an.

„Wenigstens ne Hübsche Braut hab ich bekommen, auch wenn es keine richtige Braut war sondern eher ein Bräutigam.“

„Tut mir wirklich leid. Aber die Zeit für ne OP war zu knapp.“

Der Schülersprecher kam mit den Handschellen und legte sie um Tonys rechtes Handgelenk und Darrins linkes.

„Das sind dann jetzt eure Eheringe. Ich hoffe ihr werdet glücklich.“

Tony grinste ihn schief an und aus der Menge erhob sich so etwas wie ein Schlachtruf. Es waren nicht viele Stimmen und vor allem waren es nur weibliche, aber sie wurden langsam mehr und einige betrunkene männliche mischten sich darunter.

„Küssen! Küssen! Küssen!“

„Mit Zunge!“ schrie jemand dazwischen. Andere lachten.

„Jetzt echt?“ fragte Tony und blickte hinunter auf die Handschellen.

„Küssen! Küssen! Küssen!“

„Ich glaube die meinen das Ernst“, sagte Darrin etwas unsicher.

„KÜSSEN!“

Tony grinste verlegen.

„Sollen wir wirklich?“

„Ja, was soll’s. Ist ja nicht so, dass ich mich vor dir ekel.“

Darrin grinste ihn frech an, Tony blickte gespielt vorwurfsvoll.

„Komm in meine Arme, mein Cowgril!“

Tony legte ihm den freien Arm um die Schultern. Wie gern er jede dieser Gelegenheiten nutzte. Wären sie nur nicht so selten gewesen. Er spürte Darrins freie Hand auf seinem Rücken. Nur noch ein paar Zentimeter und er hätte Tonys Hintern erwischt. Man spielte wieder Musik ein. Tony wünschte sich, dass es nie enden würde.
 

-Flash Back End-
 

„Bitte …“ Tony merkte nicht, dass er vor sich hin flüsterte. Er hörte nicht Williams leichte Schritte auf der Treppe. Darrins letzter schwacher Herzschlag war schon seit einigen Sekunden verklungen. Es war so schrecklich an seiner Brust zu liegen und sein Herz nicht mehr schlagen zu hören. Tony hätte nie geglaubt, dass Darrin jemals in seinen Armen sterben würde, aber hatte er je geglaubt, dass er und Darrin wirklich ein Paar werden würden? Nein. Tony schluchzte leise.

„Du bist nicht tot. Nein, ich weiß es ganz genau …“

William blieb vor Darrins Leiche stehen. So schnell war das gegangen. Der starke Blutverlust hatte ihn einfach dahinsiechen lassen. Wenn sie einen Krankenwagen gerufen hätten, wäre er sicher durchgekommen. Zum Glück wusste Tony das nicht. William hätte Darrin sicher retten können, aber wozu? Tony lernte gerade wie William sich die ganze Zeit über gefühlt hatte. Es gab kein Leiden, dass wirklich an seines herankam, aber Tony würde zur Hälfte verstehen wie es war. Wie es war allein zu sein, allein, einsam … verachtet und ungeliebt.

„Er ist tot“, sagte William ruhig. Beim Klang seiner Stimme lief Tony ein eiskalter Schauer über den Rücken. „Er wird nicht wieder aufstehen und dich retten. Es gibt jetzt nur noch dich und mich. So ist das Schicksal, Tony. Jetzt musst du endlich verstehen, dass du für mich geschaffen bist, nicht für ihn, oder sie oder irgendjemand anderen. Nur für mich, denn ich lebe noch. Er nicht mehr.“

Tony begann unkontrolliert zu zittern. Er redete sich so gut es ging ein, dass Darrin nicht tot war, aber Williams Stimme schritt sich in seinen Verstand, wie ein Dolch durch Butter.

„Komm endlich her, Tony. Komm zu mir. Dorthin wo du hingehörst.“

„NEIN, VERDAMMT! NEIN ICH HASSE DICH!“

Schweigen. Tonys Stimme verklang in dem großen Raum. In Williams Ohren schien es zu klingeln. Noch eine Sekunde lang geschah nichts. Dann riss William Tony vom Boden hoch und schlug ihm heftig mit der flachen Hand ins Gesicht. Einmal, zweimal … bis Tony fast bewusstlos war.

„Du wirst mich nicht hassen! Hörst du? Nein, das wirst du nicht, weil du mich lieben wirst!“

Ein paar Tropfen Blut von Tonys Lippe fielen auf das ohnehin blutverschmierte Hemd. Er hatte darauf gebissen als William ihn schlug. Tony zitterte. In seinem Kopf drehte sich alles.

„Ich will auch sterben …“ flüsterte er, während William ihn von Darrin wegzerrte, wieder die Treppe hinauf. „Ich will auch tot sein …“
 

22ter August
 

„Hören Sie mal zu, Herr Polizist …“

„Goswin …“

„Mir egal, wie Sie heißen. Ich will, dass Sie endlich meinen Sohn finden. Tony ist seit fast einer Woche verschwunden! Ist Ihnen überhaupt klar, was in dieser Zeit alles passiert sein kann?“

Richard Goswin lehnte sich in seinen Stuhl zurück und schüttelte müde mit dem Kopf. Er hätte Tony Wendelin gern gefunden, aber sie hatten keinerlei Anhaltspunkte. So langsam spielte er mit dem Gedanken seinen Job an den Nagel zu hängen. Das war doch nicht normal! Er wollte gar nicht darüber nachdenken, was geschehen würde, wenn alle Verbrecher so clever wären.

Die Tür zu seinem Büro ging auf. Simon Wendelin und er wandten sich ihr zu. Eine junge Polizistin trat ein.

„Chef, wir haben neue Informationen.“

„Na, das ist doch mal was!“ Richard raffte sich wieder auf und sah sie fragend an.

„Der junge Koblenz ist auch verschwunden. Seine Mutter hat ihn als vermisst gemeldet. Sie sagt er hätte versucht Tony Wendelin zu erreichen, Tony hätte aber nicht reagiert. Danach ist Darrin Koblenz mit seinem Toyota verschwunden. Wohin weiß Sie nicht, klar ist nur, dass er sich auch nicht mehr meldet.“

„So ein verdammter Mist!“ sagte Richard und fuhr sich mit der Hand über die Augen.

„Herzlichen Glückwunsch, Herr Oberkommissar!“ sagte Simon Wendelin wütend und erhob sich aus seinem Stuhl. „Der ganze Laden hier ist doch ein Haufen Dilettanten. Ich werde meinen Sohn allein finden!“

Damit drehte er sich auf dem Absatz um und marschierte aus dem Büro. Nicht zu fassen. Jetzt war Darrin auch noch verschwunden. Das roch verdammt nach einer üblen Geschichte.

Ihn allein zu finden, das war leider einfacher gesagt als getan. Simon war das klar, aber was sollte er tun? Auf die Polizei warten? Bestimmt nicht! Die brachten doch gar nichts fertig, außer, dass noch mehr Leute in dieser Geschichte den Löffel abgeben würden. Verrückt. Simon Wendelin hielt ohnehin nicht viel von der Polizei. Nicht nur, weil sie ihn eingelocht hatten, nachdem man seinen lieben Kollegen tot aufgefunden hatte, sondern auch, weil er bis dahin schon ständig schlechte Erfahrungen mit den grünen Männchen gemacht hatte.

Grüne Männchen. Der Witz hatte mindestens einen 2 Meter langen Bart, aber als Simon sich hinter das Steuer seines silbernen Hondas schwang, musste er trotzdem Grinsen. Er zögerte noch einen Moment, wühlte in seiner Jackentasche und fand den Schlüssel zu Tonys Wohnung. Bevor er dem nichtsnutzigen Polizisten einen Besuch abgestattet hatte, war er noch bei seiner Ex-Frau gewesen und hatte sie nach dem Schlüssel gefragt. Schon eigenartig, dass sie seiner Bitte nachgekommen war, aber darüber sollte er sich besser nicht beschweren. Nächste Haltestelle: Private Spurensuche.
 

Keine 20 Minuten später drehte Simon Wendelin den besagten Schlüssel in seinem Schloss und betrat die kleine Wohnung. Sie wirkte irgendwie tot und unwillkürlich wünschte er sich, dass es seinem Sohn nicht genauso ging. Vorsichtig streifte er die Schuhe ab und ging in Tonys „Allround“- Zimmer. Er erinnerte sich, den Ausdruck einmal gehört zu haben. Unsicher sah er sich um. Ein Bett, eine Couch, ein Sessel ein Schreibtisch mit PC und Telefon. Sogar ein CD- Player. Schlecht war es ihm hier nicht gegangen. Trotzdem überkam Simon ein ungutes Gefühl. Er hatte seinen Jungen 10 lange Jahre vernachlässigt. Dumm gelaufen … wirklich sehr dumm gelaufen.

Ungeduldig schüttelte er den Gedanken ab. Das Hier und Jetzt zählte! Nicht die alten Lappalien! Wer fragte schon noch nach dem Schnee von gestern? Simon war kein Mensch der sich gern an die Vergangenheit klammerte. Er trat an den Schreibtisch, ließ sich auf dem Stuhl nieder und startete den PC. Vielleicht fand er auch etwas Nützliches zwischen Musik und Pornos. Er betrachtete das Telefon und ließ seinen Blick dann wachsam über den ganzen Tisch schweifen. Da lag ein kleiner weißer, quadratischer Zettel. Direkt neben einem Stapel CD Rohlinge. Simon griff danach und starrte ihn verwirrt an. Es standen zwei Wörter darauf:

Suicide Apartment ???

„Was?“ murmelte er und zog die Stirn kraus. Er wusste nicht, ob die Schrift seinem Sohn gehörte, oder jemand anderem. Wieder fielen ihm die Defizite auf, die die letzten Jahre hatten aufkommen lassen. Simon kannte seinen Sohn kaum. Gerade mal, dass er schwul war und mit Darrin zusammen, wusste er noch. Was zur Hölle war das Suicide Apartment? Irgendeine Disco? Wohl kaum …
 

„Sag es, los. Sag es!“

Tony riss die Hände vors Gesicht. Niemals würde er es sagen. Es wäre eine Lüge. Nicht nur eine Lüge gegenüber William, sondern eine Lüge gegenüber sich selbst und ein Verrat an Darrin. William packte seine Schultern und schüttelte ihn grob. Tony wusste nicht mehr wann, aber irgendwann hatte er aufgehört zu weinen. Jetzt war da nur noch diese Leere und dieser Schmerz. Dieser Schmerz der sich mit jeder Stunde tiefer fraß. Tony hatte nur noch einen Wunsch. Er wollte einfach sterben, einfach die Augen schließen und sterben. Williams Flüche, Drohungen und sein Flehen prallten einfach an Tony ab. Und das machte ihn mit der Zeit immer rasender und ungeduldiger. Jetzt hätte der Zeitpunkt kommen müssen, an dem Tony begann ihn zu lieben. Aber er kam nicht. Tony war weit weg. William musste irgendetwas völlig falsch berechnet haben. Ein kleiner Fehler und alles war zunichte gemacht.

„Tony, ich weiß, dass du es fühlst. Hör endlich auf an diesen Darrin zu denken. Du hast ihn nicht geliebt. Ich bin der, den du liebst. Wir sind füreinander bestimmt!“

„Nein“, Tony flüsterte nur. Sein leerer Blick trieb William fast in den Wahnsinn. Er hatte zu viel kaputt gemacht. Wie konnte ihm so ein Fehler unterlaufen? Er atmete tief durch, ohne Tony loszulassen und ließ sich etwas bequemer auf die Knie nieder. Tonys Gesicht war so weiß wie Papier, seine Augen rot unterlaufen. Er bot absolut kein schönes Bild mehr. Nicht mehr das was William wollte. Ihm kamen Zweifel.

„Meinst du ich habe mich geirrt, Tony? Meinst du ich habe mich mit dir geirrt?“ fragte er leise. Tony atmete flach und sah ihn verstört an. In hastigen Stößen entwich die Luft seinem leicht geöffneten Mund. „Bist du womöglich doch nicht der Richtige?“

William schwieg und betrachtete Tony aufmerksam. Dieser Mensch war zerbrochen, zu nichts mehr nütze als dem Tod. Vielleicht sollte er ihm diesen letzten stummen Wunsch erfüllen und ihn einfach töten. William ließ Tonys Schultern los und erhob sich von den Knien. Tony hockte zusammengesunken vor seinen Füßen. Ein leises Geräusch durchtrennte die Stille. William hetzte zum Fenster. Das durfte nicht wahr sein! Nicht jetzt!
 

Mit dröhnendem Martinshorn bog Richard Goswin in die Einfahrt des Suicide Apartments ein. Schlitternd kam sein Wagen zum stehen, hinter ihm quietschten die Bremsen von Simon Wendelins Wagen. Zwei weitere Einsatzwagen folgten.

„Okay, Leute. Rein da, sucht alles durch! Findet Tony Wendelin und Darrin Koblenz und dann schnappt mir diesen William. Es reicht! Ich will endlich Klartext.“

Halsbrecherisch. Simon Wendelin sah den Polizisten prüfend an. Dieser Fall schien ihm wirklich den letzten Rest Nerven zu rauben.

„Wenn meinem Jungen was passiert …“, fing er an, doch Goswin war schon halb im Haus verschwunden. Wer rechnete denn damit, dass Tony und Darrin überhaupt noch lebten? Kaum jemand.

Die Polizisten stürmten die Villa. Simon Wendelin stand wie festgewachsen unten in Knöchel hohem Laub und starrte die Hauswand hoch. Dort oben war ein Balkon. Sein Blick ruhte unsicher auf dem Vorsprung. Ein Balkon. Nicht gut. Was, wenn dieser verrückte jetzt beschloss…

Glastüren flogen auf. Simon schreckte zusammen. Dort war jemand. Das musste dieser William sein, hellblond wie ein Engel. Der junge Mann hastete zum Geländer des Balkons und starrte verstört hinunter auf den älteren Mann, der Tony so verheerend ähnlich sah. Er musste Simon für eine optische Täuschung halten.

„Mich bekommt ihr nicht, klar? Niemand bekommt mich, denn niemand will mich! Ich wollte mein Leben lang nur ein bisschen Liebe. Aber nicht mal du wolltest sie mir geben! Du verdammter Verräter. Hätte ich dich nur gleich getötet. Stehst du irgendwann so vor meinem Grab, ja? So wie du jetzt dort unten stehst? Fein, dann will ich dich nicht länger warten lassen, Tony! Mich bekommt ihr nicht. Denn ich bin schneller!“

Bei den letzten Worten war der junge Engländer über das Geländer geklettert. Polizisten traten hinter ihm mit gezückten Waffen auf den Balkon. William verharrte dort oben, fast frei schwebend, einen Fuß an das Geländer geklemmt, eine Hand darum gelegt.

„Ihr wollt es nicht anders“, murmelte er.

Von drinnen hörte man jemanden Schreien. Entsetzt erkannte Simon in der Stimme seinen Sohn. Wo sollte das nur enden? Er war unfähig sich zu bewegen. Dafür begann alles um ihn herum sich zu bewegen.

„Darrin ist nicht tot!! Er ist nicht tot!! Holen sie doch endlich jemanden der ihm hilft!! Er ist nicht tot!!“

Auf Williams Gesicht breitete sich ein entschuldigendes Lächeln aus, als er nun wieder auf Simon hinunter blickte. Er führte die freie Hand zu seinen Lippen und warf Simon eine Kusshand hinunter.

„Ich hoffe du erstickst an deinen Schreien, Tony. Ich liebe dich.“

Dann ließ er los. Simon Wendelin schlug die Hände vors Gesicht. Unten flog die Eingangstür auf. Tony knallte der Länge nach auf den Boden, schwer atmend und kraftlos versuchte er sich wieder aufzurichten. In diesem Moment war Goswin schon wieder hinter ihm.
 

Wenn die Sonne unterging, dann spürte er noch immer, wie sich Gänsehaut auf seinen Armen ausbreitete. Wenn er Gelächter hörte, dann wusste er noch, dass er auch einmal dazu im Stande gewesen war. Hörte er jemanden Weinen schlug er nur die Hände vors Gesicht und weinte stumm mit dem Fremden mit.

„Name?“

„Tony Wendelin.“

Ach, alle Stimmen waren so verzerrt und es tat so weh ihnen zu lauschen. Er war in einer Welt, in der es keinen Schmerz mehr gab, aber diese Stimmen erinnerten ihn daran, dass dort, ganz nah an seiner Haut, schon die andere Welt begann.

„Alter?“

„Zweiundzwanzig.“

Er betrachtete den Raum um sich, betrachtete die verzerrten Fremden Gesichter. Betrachtete William dort, so nah und doch so fern. William, der Mörder.

„Familienstand.“

„Ledig.“

Tony wusste nicht, ob seine Stimme leise oder laut war. Er hörte sie unangenehm hallen, hörte alle Stimmen hallen, denn er gehörte nicht mehr zu ihnen. Er war längst ganz woanders. Tony löste den Blick. Etwas legte sich auf seine Schulter. Erschrocken sah er hoch. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.

„Ich bin bei dir, Schatz“, sagte der Besitzer der Hand und Tony nickte zufrieden. Er bemerkte nicht, dass aller Augen sich auf ihn gerichtet hatten. Auf ihn und seinen Besucher. Tony wandte sich wieder dem Richter zu.

„Was haben sie, Herr Wendelin?“

„Nichts“, sagte Tony und griff nach Darrins Hand auf seiner Schulter. Das fühlte sich so gut an. Der Richter räusperte sich unangenehm berührt.

„Gut … Herr Wendelin, Berichten Sie uns bitte, wie kam es zum Tod von Darrin Koblenz?“

Tony hob den Blick wieder.

„Darrin ist nicht tot, Herr Richter.“
 

Beta Version 16.08.2010

Fertiggestellt 22.04.2007



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Kommentare zu dieser Fanfic (24)
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Von:  Isilein12
2011-08-04T21:33:33+00:00 04.08.2011 23:33
Warum hast du das gemacht!!! du konntest ihn doch nicht töten!!! '____'
das wa mehr als gemein *heul*

mit Will konnte man eigentlich nur Mitleid haben bei sonen eltern und dann noch der arrogante pisser von Tyler der hatte es verdient!!!!!
die anderen beiden waren auch nicht so wild aber das mit darrin war ein schlag mit dem überdemensionalen holzhammer schrecklich ich musste echt heulen *schnief*

aber trotz dem ganzen depri du hast einen dehr schönen schreibstyle ~^_^~

Von:  Inan
2011-04-26T15:59:47+00:00 26.04.2011 17:59
Da sieht man mal, was Wahrnehmung und Realität wirklich gemeinsam haben...
Hoffentlich ist Darrin wirklich doch nicht tot und es wirkt nur so....allerdings ist sein Tod rein stilistisch gesehen ein echt guter Effekt der Geschichte, was ihn aber nicht weniger tragisch macht
However, wirklich tolle ff, ich liebe deinen Schreibstil <3
Von: abgemeldet
2010-09-05T00:07:19+00:00 05.09.2010 02:07
*losheul*
ich will nicht dass darrin tot is TT___________TT
is er wirklich tot?
wie fies >___<
du hast irgendwie voll real geschrieben *______*
schöne FF, aber das is so fieeees von dir.
Von:  Alexa_Sasako
2010-08-03T08:01:34+00:00 03.08.2010 10:01
Deine Fanfic ist super, aber das du Darrin einfach töten gehabt hast, ist nicht fair. Sie sollten glücklich werden und nicht einer sterben. Gemein!!!
Von: abgemeldet
2010-05-27T16:21:18+00:00 27.05.2010 18:21
Wow...
Wieder mal... geflasht ^^

Irgendwie mag ich deine Charaktere, die sind so... real. Als könnten sie direkt nebenan bei einem wohnen.
Und sie sind mir direkt irgendwie immer sympathisch, sogar William. Leider ging's mit ihm ja eher bergab.
Sehr spannend übrigens, wenn auch bergab, denn das Kapitel über ihn war... sehr gut. Zwar hatte ich immer ein wenig das Gefühl, dass William von sich in der dritten Person sprach, als würde er es... vortragen, wenn du verstehst, was ich meine, aber es ist super.
Vor allem, wie... sachlich er auch am Ende ist. Völlig trocken. Von wegen, dass dieser Mensch kaputt wäre... wie ein Kind, das mit Figuren spielt. Und wenn diese eine kaputt ist, sucht man sich eine nächste.
Die Story an sich fand ich sehr spannend, wie auch sonst sehr gut geschrieben und das Ende... wieder richtig heftig. Sehr interessant, William seinen letzten Akt da aufzuführen, wo er den ersten spielte. Der Wechsel zu der Villa kam überraschend, aber gut. Auch die Flashbacks im Finale waren gut gesetzt und zögerten den großen Moment heraus, ohne dass sie nervten, weil sie eben wirklich bombe waren ^^
Und das Ende an sich, die letzte Passage... sie reizt zum Nachdenken an. Ob Darrin jetzt lebt, nicht lebt und eine Einbildung ist... bleibt jeden wohl letztendlich selbst überlassen.
Ich denke ja auch eher, dass er tot ist... sonst würde der Richter ihn doch wohl bemerken, ganz neutral und sachlich betrachtet. Aber dennoch, stimmungsvolles Ende und einfach eine hammergeile Story ^^

lG,
silent_traitor
Von:  Laniechan
2009-09-05T17:33:30+00:00 05.09.2009 19:33
tja, abgeschlossen, anscheinend ist er doch tot...
Von:  Laniechan
2009-09-05T17:32:25+00:00 05.09.2009 19:32
ich glaube nicht, dass darrin tot ist...das wäre zu einfach

aber das will tony geschlagen hat, fand ich nicht gut.

und das mit der kussszene war echt fies. das hätte ruhig weitergehen können. tust mir aber auch nicht den klitzekliensten gefallen -.-

die letzter schultag szene war einfach nur genial, auf sowas wäre ich nie gekommen ^^


Von:  Laniechan
2009-09-05T17:25:30+00:00 05.09.2009 19:25
ich kann einfach kein mitleid mit tyler haben! ich mochte den kerl net...

warum hat willi die gunst der stunde nicht genutzt? warum war er nicht ein bisschen selbstsicherer? ich hab eindeutig einen faible für ihn *g*

meinetwegen hättest du ruhig noch eine szene mit den beiden einbauen können...william fällt über tony her oder sowas, weil er sich nicht mehr beherrschen kann. da war es ja noch nicht zu spät. gutherzig wie tony ist, hätte er bestimmt mitgemacht...
Von:  Laniechan
2009-09-05T17:17:20+00:00 05.09.2009 19:17
Jaa, dass war dann wohl doch willi...obwohl ich im ersten moment auch dachte, er wäre paranoid ^^

die sache mit dem vater kam unerwartet und so richtig begriffen, was er da soll hab ich auch nicht...

auf zu kapi 4
Von:  Laniechan
2009-09-05T17:11:07+00:00 05.09.2009 19:11
uh, ich mochte william so gerne. ihm hätte ich so einiges verziehen...tyler hingegen...nja, ganz schon arroganter knilch...

achja und ich bin überzeugt, dass willis eltern nicht unschuldig an seinem psychischen zusatnd sind. wenn man so unter druck gesetzt wird.

die szene mit dem kuli war sehr anschaulich

haha die erpressungszene war auch saukomisch. "dann zieh ich eben bei ihm ein" den gesichtsausdruck von tyler hätt ich zu gern gesehen

jaja der perfekte mord. tja wir ja sehen...

sehr sehr schönes kapi. so ziemlich das beste (immerhin kommt da ganz oft william ^^)

mir tut er leid. er möchte etwas, dass er nicht haben kann. ich weiß nicht, wenn er nich ganz so komisch gewesen wäre, vielleicht hätte ihm tony dann doch eine chance gegeben...

und weiter gehts zu kapi 3


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