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Alice Alice im Wunderland, Literatur, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Wie verquer doch heute alles geht! Und dabei war gestern noch alles wie gewöhnlich. Ob ich am Ende heute Nacht ausgewechselt worden bin? Also, wie steht es damit - war ich heute morgen beim Aufstehen noch dieselbe? Mir ist es doch fast, als wäre ich mir da ein wenig anders vorgekommen. Aber wenn ich nicht mehr dieselbe bin, muss ich mich doch fragen: Wer in aller Welt bin ich denn dann?

Lewis Caroll

Alice Alice im Wunderland, Literatur, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Wie verquer doch heute alles geht! Und dabei war gestern noch alles wie gewöhnlich. Ob ich am Ende heute Nacht ausgewechselt worden bin? Also, wie steht es damit - war ich heute morgen beim Aufstehen noch dieselbe? Mir ist es doch fast, als wäre ich mir da ein wenig anders vorgekommen. Aber wenn ich nicht mehr dieselbe bin, muss ich mich doch fragen: Wer in aller Welt bin ich denn dann?

Lewis Caroll

Lucifer - Träger des Lichts Literatur, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Chronos ist die Zeit. Die Zeit ist aller Dinge Herrscher. Chronos ist das unentrinnbare Schicksal, überall und immer. Chronos weiß, wie das Universum enden wird, sieht seinen eigenen Abgang. Deinen. Meinen. Und tut nichts, als die Uhren am Ticken zu halten.
Im Himmel, der Raum der Uhren. Ein Raum, erfüllt vom Ticken. Die Wände, die Decke, der riesige Boden sind bedeckt mit Uhren, Sonnenuhren, Stundengläsern, Kerzen jeder Art... Wenn diese Uhren stillstehen, wird Chronos tot sein. Wenn sie gegen den Uhrzeigersinn zu laufen beginnen...
Wenn sie gegen den Uhrzeigersinn zu laufen beginnen, wird Uranos König sein. Und wenn sie völlig aufhören zu gehen, dann deshalb, weil wir alle auf einen einzigen Punkt der Existenz zusammengedrängt sein werden. Nicht lebendig, nicht tot, nur da. In Uranos. Für alle Ewigkeit.
Spürst du meinen Puls?
Das ist ein Zeichen des Lebens. Mit jedem Herzschlag zehre ich die Existenz von Chronos ein wenig weiter auf, stehle ein wenig von seinem Leben. Doch jedermann tut das, und das Leben der Zeit ist Tausend, Millionen, Milliarden Mal größer als das Universum. Aber wenn Uranos sich der Zeit bemächtigen würde, gäbe es keinen Pulsschlag mehr. So wie wir vom Leben der Zeit zehren, wenn das Herz in vollkommenem Rhythmus mit dem Takt der Uhren schlägt, so zehrt Uranos von unserem Leben. Er wird uns reduzieren auf den winzigsten Gedanken, den kleinsten Funken, den unsere Seelen hervorbringen können. Uranos ist das einzige Wesen im Universum, das nicht von der Zeit zehrt, sondern von jenem Teil des Universums, der zeitlos ist. Er ist Nicht-Leben, Nicht-Tod, er ist eine sehr, sehr einfache Art von Existenz; auf einen einzigen Punkt konzentriert, geht er nirgendwohin, verändert sich nie.
Es gibt Dinge, die außerhalb der Zeit liegen. Ideen sind zeitlos. Der menschliche Hass vor tausend Jahren ist derselbe wie der menschliche Hass heute. Dasselbe gilt für die Liebe. Dasselbe für das Mitgefühl. Für den Neid. Erinnerungen sind zeitlos - entweder man hat sie oder nicht. Uranos zehrt von diesen Erinnerungen, bis ihre Besitzer zu nichts geschrumpft sind. Uranos zehrt von diesen Ideen, bis alles, was bleibt, die nackten Knochen desjenigen sind, der diese Dinge fühlt. Wo Chronos das Leben und die Zukunft gibt, nimmt Uranos die Seele und die Vergangenheit und friert alles in sich ein. Unter Uranos gäbe es keinen Tod. Aber auch kein Leben.

Catherine Webb

Die Leiden der Tugend Literatur, Philosophie, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Das sollte die Hauptaufgabe der Philosophie sein: die Mittel und Wege zu erforschen, deren sich das Schicksal zur Erreichung seiner Ziele bedient. Daraus müsste sie dann Verhaltensmaßregeln für den armseligen Zweifüßler, Mensch genannt, herleiten, dass er auf seinem dornenvollen Pfade nicht immer abhängig sei von den bizarren Launen jener dunklen Macht, die man nacheinander Bestimmung, Gott, Vorsehung, Zufall getauft hat.
Wenn wir nun bei solchen Studien finden, dass die Bösen für ihre Missetaten Lohn statt Strafe ernten, werden da nicht Menschen, die von vornherein, aus Anlage oder Temperament, zum Bösen neigen, mit Recht schließen, es sei besser, sich dem Laster offen zu weihen, als ihm zu widerstreben - entgegen unseren lächerlichen, abergläubischen, unnützen Moralgesetzen? Werden sie nicht mit einer gewissen Berechtigung sagen, dass die Tugend, wenn sie zu schwach ist, gegen das Laster anzukämpfen, gewiss nicht die Partei ist, zu der man sich schlagen soll, und dass man in einer so verderbten Zeit wie der unseren nichts Besseres tun kann, als so zu sein wie alle anderen?
Werden sie nicht aber vor allem sagen, dass, wenn Tugend und Laster gleichermaßen in den Absichten der Natur liegen und wir das Laster immer triumphieren, die Tugend immer unterliegen sehen, es klar zutage liegt, auf welcher Seite wir zu kämpfen haben?
Es wird Zeit, dass die Dummköpfe einmal aufhören, jenes Idol einer lächerlichen "Tugend" anzubeten, die ihnen nur mit Undank lohnt, und dass andererseits die Verständigen sich sicherer fühlen, wenn sie einmal deutlich sehen, wie Glück und Wohlfahrt dem Laster mit fast unumstößlicher Sicherheit folgt.

Marquis de Sade

Für Ihn Literatur

Autor:  halfJack

Tief versunken im eigenen Verlangen. Anonyme Köpfe zur Einheit verschmolzen. Wie auf See schiffbrüchig Treibenden. So erging es den brandenden Massen der Leiber, die dort in den seelisch aufbrechenden Wogen verweilten. Sie ergaben sich in ihre Schwäche, waren von einem innig durchdringenden Gefühl ergriffen zu einem Mann, der als einzige verlorene Planke in den Wellen zu treiben schien, belastet mit dem Wissen, nichts tun zu können, hilflos verirrt in ihren Gedanken. Es war wie ein Schluchzen, ein unterdrücktes Weinen, das sich als Schrei in der Kehle sammelt, darauf wartend, hervordringen zu können. Verdammt zu sein zum Schweigen und Ertragen, es suhlte sich in ihrer Verzweiflung. Die Menschen tropften aus ihrer Realität, waren aufgelöst in Verlorenheit. Ihr wild hämmerndes Herz pulsierte durch die Betroffenheit einzig und allein für diesen Mann.
Doch der Gekreuzigte wandte seinen Blick ab und starb.

Am Nullpunkt der Literatur Literatur, Philosophie, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Die Natur wird ein Nichtzusammenhängendes von Objekten, die einsam und furchtbar sind, weil sie nur mögliche Verbindungen besitzen; niemand wählt für sie einen bestimmten Sinn, einen vor anderen privilegierten Gebrauch oder Dienst, niemand reduziert sie auf das Bedeuten eines geistigen Verhaltens oder einer Absicht, das heißt letztlich einer Zärtlichkeit. Diese Objektworte ohne Verbindung, die mit der ganzen Gewalt ihres Zerspringens geschmückt sind, diese lyrischen Worte schließen die Menschen aus: es gibt keinen lyrischen Humanismus der Modernität; dieser Diskurs ist voller Schrecken, das heißt, dass er den Menschen nicht in Verbindung mit den anderen Menschen setzt, sondern mit den unmenschlichsten Bildern der Natur: dem Himmel, der Hölle, dem Heiligen, der Kindheit, dem Wahnsinn, der reinen Materie...

Roland Barthes

Der Widerstreit zwischen Freiheit und Glück Literatur, Philosophie, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Es gibt für den Menschen, wenn er frei bleibt, keine hartnäckigere und qualvollere Sorge als die, möglichst schnell jemanden zu finden, den er anbeten kann. Doch der Mensch strebt danach, etwas anzubeten, das über allen Zweifel erhaben ist, so hoch erhaben, dass alle Menschen zugleich bereit sind, es gemeinsam anzubeten. Denn die Sorge dieser jämmerlichen Geschöpfe besteht nicht nur darin, etwas zu finden, das ich oder ein anderer anbeten könnte, sondern etwas zu finden, woran alle glauben und was alle, unbedingt alle zusammen anbeten könnten. Gerade dieses Bedürfnis nach einer Gemeinsamkeit in der Anbetung war die größte Qual jedes einzelnen Menschen und der gesamten Menschheit seit dem Anfang der Zeiten. Um der gemeinsamen Anbetung willen rotteten sie einander mit dem Schwerte aus. Sie schufen Götter und forderten einander auf: "Verlasst eure Götter und kommt, die unsrigen anzubeten, oder ihr und eure Götter sollt des Todes sein!" Und so wird es bleiben bis zum Ende der Welt, selbst dann, wenn die Welt entgöttert sein wird: einerlei, sie werden sich vor Götzen niederwerfen.

Fjodor Dostojewskij

Die holde Naturwissenschaft Literatur, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Der Konstrukteur Trurl erbaute einmal eine Maschine, die alles herstellen konnte, was mit dem Buchstaben n begann... Da lud er den Kostrukteur Klapauzius zu sich ein, stellte ihm die Maschine vor und lobte überschwenglich ihre außerordentlichen Fähigkeiten - bis dieser schließlich wütend wurde und darum bat, ihr selber etwas aufzutragen.
"Bitte sehr", sagte Trurl, "aber es muss auf n sein."
"Auf n?", fragte Klapauzius, "Schön, dann soll sie Naturwissenschaften klopfen."
Die Maschine erzitterte, grunzte und alsbald füllte sich der Platz vor Trurls Domizil mit einer n-Zahl von Naturwissenschaftlern. Sie rauften sich die Haare, schrieben in dicke Bücher, einige griffen nach ihnen und rissen sie in Fetzen; in der Ferne loderten Scheiterhaufen, auf denen die naturwissenschaftlichen Märtyrer schmorten, hie und da explodierte etwas, entwickelten sich seltsame Dämpfe in Gestalt von Pilzen; alle redeten durcheinander, sodass niemand ein Wort verstand, manche verfassten hastig Denkschriften, Petitionen und Resolutionen; ein wenig abseits wiederum, vor den Füßen der Gestikulierer, hockten ein paar Greise und schrieben etwas mit winzigen Buchstaben auf Papierfetzen.
"Nicht schlecht, was?", rief Trurl entzückt aus, "Die holde Naturwissenschaft, wie sie leibt und lebt!"

Stanislaw Lems

Zwischen Dom und Blocksberg Literatur

Autor:  halfJack
Ich stellte mir vor, Faust hätte vor dem Dom gestanden und Margarete beobachtet, als diese von ihrem eigenen Gewissen gepeinigt wurde. Eben noch hatte Faust Valentin getötet und bald würde ihn Mephistopheles der Begierden des Blocksberges aussetzen...


Vor dem Dom

FAUST (Gretchen betrachtend).
So seh' ich unter vielen sie verweilen,
Meine Liebe, die so keiner andern gleicht
In ihrer Reinheit, vor der selbst die Sünde weicht,
Und dennoch mag sie ihre Wunden nicht zu heilen.
Da ich doch selbst wohl schuldig bin,
Muss ich mich hier vor ihrem Glanz verbergen?
Ihr holder Hain stirbt unter Leichensärgen,
Mutter und Bruder liegen schon darin.
Den Tod der ersten tat Grete nicht von eigner Hand,
Doch will sie trotzdem dafür Buße tun.
Der Tod des zweiten ließ den Dolch in meinen Händen ruhn,
Sodass sich dieser Liebe Kleid mit Blut verband.
Den unberührten Schoß, den ich ihr nahm,
Stahl ich mir wie ihr ganzes Leben.
Voll Ehrfurcht wollte sie mir alles geben,
Ich, ohne Skrupel, sie, ohne Scham,
So starb in ihren Armen auch mein Streben.
Sind nicht der böse Geist, der mich umgarnt
und der auch ihr den Sinn ließ dunkel sein,
Sowie der Herr, der uns vor keinem Unrecht hat gewarnt,
Die eigentlichen Täter unsrer Pein?

Neujahr Humor, Literatur

Autor:  halfJack
Und wieder ist ein Jahr vergangen, die Pforten zu neuen Vorsätzen sind geöffnet, alte Meinungen können abgestreift werden... kurz: ein neues Leben beginnt.
Wie haben Sie Ihren Jahreswechsel vollzogen? Doch hoffentlich auf angenehme Art und Weise, denn mich persönlich stimmt diese Wende immer traurig. Manche Leute sitzen jedes Jahr im Wohnzimmer und sehen sich 'the Dinner for one' an, wobei fast, ich betone fast, allen Zuschauern die allzu tragische Gegebenheit dahinter entgeht. Man trinkt, man plaudert mit Bekannten oder bleibt allein. Nun gut... man besäuft sich, streitet mit Bekannten und bleibt allein. Doch möchte ich nicht pedantisch erscheinen. Letztendlich sind das auch nur Bagatellen im Anbetracht der Wucht des alten Jahres, in diesem Fall des Jahres 2004, das sich unaufhaltsam in den Abgrund der Vergessenheit stürzt.
Meist steht zu dieser Stunde der Weihnachtsbaum noch im Wohnzimmer, direkt neben dem Fernseher, auf dessen Bildschirm eine der unzähligen Silvestersendungen läuft. Der geschmückte Baum sieht jetzt schon ziemlich lächerlich aus, da er entweder bereits nadelt oder, falls er unecht ist, sowieso nur dümmlich krumm im Wege steht. Sollte man keinen Baum besitzen, macht das die ganze Situation auch nicht weniger trostlos.
So bald sich alles dem Ende entgegen neigt, steht man gemeinschaftlich im Wohnzimmer, jeder ein Glas von dem billigen Sekt in der Hand, da man nicht das Geld hatte, sich Champagner zu leisten, und zählt den Countdown in der Flimmerkiste herunter.
...Drei ...Zwei ...Eins ...Null!
Alles jubelt. Jeder tut so, als würde er sich freuen. Man stößt extra lang mit den Sektgläsern an, um es noch ein wenig hinauszuzögern, sich das Gesöff in den Rachen gießen zu müssen. Viele nutzen dann die Methode, auf Freundschaft, wie es im Volksmund heißt, zu trinken, damit es hoffentlich nicht auffällt, dass man nur kurz am Glas nippt. Es sei denn, man war so klug, sich vorher zu betrinken, dann schmeckt das Zeug nur halb so schlimm.
Schließlich gehen alle nach draußen, man schaut dem Feuerwerk zu oder beteiligt sich sogar aktiv daran. Jeder Mensch hat dieses bestimmte Glitzern in den Augen. Sie wissen schon, was ich meine: die Tränen in den Augen, da man den Sekt gar nicht so widerlich in Erinnerung hatte. War das im letzten Jahr auch schon so gewesen?
Nun steht man auf der Straße, blickt sich um und erkennt viele neue und alte Gesichter. Dort ist der Nachbar, das ist der Enkel, den vorbeilaufenden Mann kennt man nicht... und plötzlich denkt man sich: Eigentlich... ja, eigentlich kennen wir uns alle gar nicht, diese Leute sind wie Fremde. Jeder einzelne.
Im nächsten Moment geht man noch einen Schritt weiter. Das Jahr ist vorbei. Wie war es überhaupt? Hat man irgendetwas erreicht? Sie wissen sicher, wovon ich spreche.
Wussten Sie, dass sich zu Neujahr unglaublich viele Selbstmorde ereignen? Es ist erstaunlich... es gibt tatsächlich noch kluge Menschen, denen eines klar ist: das letzte Jahr war beschissen, das nächste wird auch nicht besser sein. Auf ein Neues? Gute Frage...
Dazu kommt die Tatsache, dass man an jeder Ecke einer Uhr begegnet. Alles ist vergänglich - muss man daran auch noch jede Sekunde erinnert werden?
Also dachte ich mir in diesem Jahr, man könnte auf die Familie auch verzichten. Es hat hervorragend funktioniert, wie sich schnell für mich herausstellte.
Meine Partnerin und ich entschieden uns zu meinen Freunden zu gehen. Verstehen Sie mich nicht falsch. Freunde sind nicht nur Bekannte. So fremd man ihnen ist so nah steht man ihnen auch. Blut ist dicker als Wasser? Das ließe sich überdenken.
Natürlich ließen meine Partnerin und ich nicht davon ab, schon im Voraus ein wenig intus zu haben und nicht allzu früh auf der Feier zu erscheinen: Wir beide kommen lieber stilvoll zu spät.
Doch endlich dort angekommen, nur ein wenig angetrunken, starrten uns unbekannte Gesichter entgegen, ein paar Typen, die es schick fanden, sich mit einem Bier in der Hand auf der Treppe zu sammeln. Wortlos gingen wir an ihnen vorüber und wurden von der Gastgeberin mit den Worten begrüßt:
"Gott, ich bin schon so betrunken. Und ich habe mich mit Riki rumgeknutscht."
Zur näheren Erläuterung: Riki ist eine Freundin von meiner Seite, die auf Oldies steht, die dementsprechenden Klamotten trägt und ansonsten Tiere und Pflanzen mag. Desweiteren sagte sie mir einst, sie stehe nicht auf Titten... so viel dazu.
Wibke, die Gastgeberin, ließ es sich nicht nehmen, das Gesagte noch in der Tür zu demonstrierten. Das war also unser Einstieg.
Durch die Wohnung dröhnte Rammstein und an einigen Stellen saßen suspekte jugendliche Männer, die wirkten, als seien sie von der Straße aufgelesen worden. Wir betraten das Zimmer der Gastgeberin nicht ohne Schwierigkeiten, da einer der Jugendlichen direkt vor der Tür lag. Sein Mund war von etwas Rotem verschmiert, als er sich schwerfällig erhob und mit einem anderen Kerl aus dem Zimmer verschwand. Keine Sorge, das dient nicht zu Ihrer Beunruhigung. Mir schien es nur eben erwähnenswert.
Wibke lag mittlerweile auf dem Bett und war damit beschäftigt einem Mädchen die Zunge in den Hals zu schieben. Wie? Riki? Nein, das war Uli, die beste Freundin von Wibke. Sie sind halt sehr, sehr gut miteinander befreundet... wie auch immer.
Wir sahen uns um.
Das einzige Licht in dem vollständig weißen Zimmer ging von Kerzen aus, eine Menge Fotos von Bands und Leadsängern hingen in schwarzweiß an den Wänden und Decken, Poster von den Murderdolls, Bilder von Luis Royo, ein Seil hing von der Decke. Falls es Sie interessiert: Die Frage, ob sie schon einmal versucht hätte sich damit zu erhängen, verneinte Wibke.
Wir setzten uns auf das Bett, sodass Wibke und Uli ihr Spiel bald auf den Schoß meiner Partnerin verlegten. Nun gibt es erst einmal nur Belanglosigkeiten zu erzählen. An dem Bett waren übrigens auch Seile befestigt, an dem man bequem jemanden festbinden konnte. Meine Partnerin und ich... aber lassen wir das.
Interessant wurde es erst, als Wibke nach dem stumpfen Messer auf ihrer Kommode griff und es über ihren Arm zog. Die Schnitte waren normal, bluteten, sodass man damit auf ihrer weißen Haut malen konnte, was sich meine Partnerin und ich nicht entgehen ließen. Jedoch konnte man mit solch einem stumpfen Messer sowieso nicht mehr erwarten. Also gab ich ihr das meinige, welches sich zufälligerweise in meiner Tasche befand. Ein wirkungsvolleres Resultat stellte sich heraus. Der Abend schien nett zu werden, noch bevor es zehn Uhr wurde. Ich musste feststellen, dass sich das binnen kurzer Zeit verstärkt bestätigen würde.
Wibke kam auf die geniale Idee, gleich ihre Rasierklinge zu benutzen, damit es mehr brächte. Das hat es auch...
Meine Partnerin war im Nachhinein der Meinung, dass die Wunde, die sich unsere Gastgeberin am Oberarm zufügte, nicht breiter offen stand als ein bis zwei Zentimeter. Nun ja, für mich sah es bereits wie drei aus, aber ich denke, diese Täuschung stellte sich bei mir nur durch den Alkohol ein. Das Blut sippte noch nicht einmal heraus, nur das Fleisch wölbte sich nach oben, sodass die weisen Fettzellen die Wunde gänzlich ausfüllten. Lange würde der Körper nicht brauchen, bis er mitbekam, was passiert war. Jedenfalls sahen meine Partnerin und ich uns fragend an, während die Verletzte beteuerte, es sei nicht so schlimm, nur die Haut sei angekratzt. Ihre Stimme klang dabei sehr hysterisch. Dann wollte sie das Blut ablecken, woran ich sie natürlich hindert. Okay, so konnte die Sache nicht bleiben. Doch Wibke entschloss sich schon vor uns aufzustehen und ins Bad zu gehen, nicht ohne Blut auf der Kommode, dem Boden, dem Türrahmen und dem Albinohasen zu verteilen.
Riki, die als einzige andere Anwesende neben uns saß, sagte kurz, dass das Ganze widerlich sei, sie es aber nicht weiter interessierte. Damit war das auch erledigt und meine Partnerin und ich konnten der Verletzten ins Bad folgen.
Im Bad hatte Wibke bereits das Wasser aufgedreht, um ihren Arm darunter zu halten. Ich brauche die Gründe doch sicher nicht zu erklären, weshalb wir sie daran unbedingt hindern mussten: Die Wundverschließung würde nicht einsetzen, da Blut im Kontakt mit Wasser nicht gerinnt. Wollte Wibke sich umbringen, wäre das eine gute Methode gewesen.
Im nächsten Augenblick war sie wieder aus dem Bad in ihr Zimmer gerannt und fing an eine Mullbinde um ihren Arm zu wickeln. Ich nahm ihr die Arbeit ab, da sie sich nicht davon abbringen ließ. Eigentlich hätte man warten müssen. Vielleicht hätten meine Partnerin und ich es sogar in Erwägung gezogen, die Wunde mit einem Tacker zu schließen - das wäre am sichersten gewesen. Dann wäre ein Druckverband darüber gekommen und letztendlich die Mullbinde. Wir fingen also mit der Mullbinde an...
Den Druckverband holte meine Partnerin aus dem Verbandskasten im Zimmer, der übrigens nicht ohne Grund dort ist, und das Tackern ließen wir ganz. Nun war der Arm notdürftig abgeschnürt, auch wenn sich der Verband vom Blut bereits rot färbte.
"Irgendwie ist es lustig", sagte meine Partnerin zu mir, "dass ich Blut an den Händen habe, das weder von dir noch von mir stammt."
Als die anderen Anwesenden im Haus, darunter Wibkes Bruder, dies bemerkten, ging das Gehetze wirklich los. Irgendwelche Besserwisser meinten, dass eine Hauptschlagader getroffen worden sein könnte und dass Wibke ins Krankenhaus müsse. Diese wollte das allerdings nicht. Nichts lag ihr ferner. Verständlich.
Man schrie sie an, sie schrie zurück, einige Freundinnen von ihr weinten und meine Partnerin und ich tauschten amüsierte Blicke. Dann wurde sie ins Bad gezerrt und drei Männer, darunter ihr Bruder und der Bruder ihrer Freundin, redeten auf sie ein, um die Moralapostel zu spielen. Sie wusste sich nicht mehr zu helfen, kauerte sich zusammen und hörte irgendwann mit der Gegenwehr auf, um sich berieseln zu lassen, ohne Erfolg für die Apostel.
Während die weinenden Freundinnen in Wibkes Zimmer saßen und die Jungs sich mit Wibke im Bad eingeschlossen hatten, standen meine Partnerin und ich im Flur zwischen beiden Zimmern. Durch die Zimmer klang mittlerweile die Stimme von Ville Valo. Er sang 'Gone with the Sin', während wir an der Wand lehnten und belustigte Blicke austauschten. Lachen musste meinereiner jedoch erst, als ich auf das Schild an Wibkes Tür sah. Ein Bild hing dort von Samsas Traum, unter dem groß die Worte standen:
"Heute Nacht sterben wir!"
Wir? Nicht ganz...
Zeitsprung: Nach dem vielen Gerede, Geschrei und Blut saß man also wieder in Wibkes Zimmer. Noch immer dröhnte die Musik von HIM durch den Raum. Sehr passend.
Der Gastgeberin ging es soweit wieder gut und ich schloss kurzerhand die Wette ab, dass sie bis zum Jahreswechsel überleben würde. Das war auch der Fall. Sie überlebte.
Jedenfalls konnte sie mühelos und nur wenig schwankend von ihrem Bett aufstehen, als ich sie kurz nach Mitternacht mit einigen anderen in die Küche schleifte. Gut, wir hatten den Wechsel verpasst, aber was machte das schon? Alle standen halb betrunken in der Küche, wir hoben die Gläser und wünschten ohne Countdown, da das ein wenig zu spät gekommen wäre, ein schönes neues Jahr. Jeder goss sich das Billiggetränk in den Rachen und seltsamerweise schmeckte es gar nicht so schlecht... zumindest für mich. Der Alkohol in meinem Blut tat fleißig seine Arbeit.
Was gibt es sonst noch zu erzählen? Das Feuerwerk war schön von drinnen anzuhören, als wir uns kurz entschlossen zu fünft in Wibkes Bett legten, welches eigentlich selbst für zwei schon zu klein war. Die Handschellen in meinem Rucksack fanden in dieser Nacht leider keine Verwendung mehr, aber es war trotzdem nett.
Am nächsten Morgen war Wibkes Arm bereits ein wenig blau und eiskalt geworden, aber es ging, wie sie selbst versicherte. Das erfuhr ich jedoch nur per Telefon, da meine Partnerin und ich uns bereits vorher dazu entschlossen hatten, besser Zuhause zu übernachten. Was mittlerweile mit ihrem Arm ist, weiß ich nicht. Ihr Bruder wird sie verpfiffen haben und dann muss Wibke wahrscheinlich, wenn sie sich nicht zu wehren weiß, wieder ins Sanatorium. Das geht mich jetzt allerdings nichts mehr an. Ich hatte mein schönes Silvester und nun bereite ich mich auf die Wucht des Jahres 2005 vor, mit einem Start, den ich mir besser kaum hätte vorstellen können.
Auf ein Neues? Aber immer doch...