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Nigredo

Der Schatten des Lebens
von

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Kazukis Entscheidung

Kazukis Entscheidung
 

Kazuki versuchte unauffällig, von dem Dämon abzurücken, bis ihn die Wand aufhielt. "Willst du damit sagen, der Meister hat dich zu mir geschickt?" er musste unbedingt Zeit herausschinden, bis er wusste, wie er aus dieser Situation herauskam. Er verspürte nicht direkt Angst vor dem Wesen - sie waren Besitz des gleichen Herrn und es wäre unklug, einander zu beschädigen - aber er mochte den offensichtlich einfältigen und überheblichen kleinen Dämon nicht. Mehr noch, er war Kazuki schlicht zuwider.

"Könnte man fast sagen." Ein böses, koboldhaftes Lächeln spaltete das Jungengesicht wie ein Messerschnitt.

Sein Kopf kreiselte dabei ziellos umher. Wütend zerrte der Dämon mit den Händen seines von ihm in Besitz genommenen Opfers an dessen Haaren. Dann warf er achtlos die Glasscherbe, mit der er sich gerade noch die Haut aufgeritzt hatte, über die Schulter. Ganz versunken und mit sich beschäftigt ließ das Doppelwesen die Hand über die eigene Gesichtshaut gleiten und murmelte etwas von: "So weich, so zart..."

Er hätte Kazuki glatt vergessen, wenn dieser nicht nachgehakt hätte.

"Was soll das heißen? Willst du mir drohen? Warum kommt Carrion dann nicht persönlich? Du lügst! Er weiß nicht, dass du hier bist!"

"Was macht das schon? Weil ich, solltest du es nicht schaffen, dieses kleine Miststück aus der Welt zu schaffen, das für dich erledigen werde - und dich gleich mit, wenn es sein muss! Glaubst du, es interessiert den Herrn, was mit einer seiner ungezählten Leichenmarionetten passiert?" er wischte sich den Speichel vom Mund. "Und ich erwische diesen kleinen Bastard, das kannst du mir glauben! Es gibt nicht viele Seher mehr unter den Menschen, ich brenne darauf, mich ihm in meiner wahren Gestalt zu zeigen...sein gesicht zu sehen, wenn er mich erkennt, das Letzte, was seine sterblichen Augen sehen werden..." er kicherte.

"Wer bist du, Dämon?" Kazuki war insgeheim erstaunt und erschrocken, wie schnell die Lakaien seines Herrn ihn aufgestöbert hatten.

"Ich bin Makkuro Yokubo, kalter Freund! Mein Name sät Furcht sogar unter Dämonen!" törichter Stolz schwang in der leiernden Stimme mit.

"Hast du dir den Namen selbst gegeben?" spöttelte Kazuki. Er hatte keine Angst von diesem niedrigrangigen Unhold, der jetzt wütend die Zähne fletschte. Die menschlichen Züge quälten sich zu einer Fratze, um dem Willen des Dämons zu entsprechen. "Du stirbst." sagte Kazuki ruhig. Er konnte sehen wie rot das Gesicht war, wie die Hände zitterten. Der Geist musste den Körper verlassen oder er würde ihn auf der Stelle umbringen. Makkuro presste die Fäuste gegen die Schläfen und heulte auf. "Dieses verfluchte Menschenblut fängt so schnell an zu kochen! Dieses schwachen Körper taugen nicht viel..." Schweiß perlte in Strömen von dem erhitzten jungen Gesicht.

"Wir sehen und wieder, Zombie! Und dann hast du hoffentlich besser Erfolge vorzuweisen! Falls nicht..." er ließ die letzte Drohung unausgesprochen. Kaum hatte der Mund seine letzten Worte hervorgebracht, da verließ die Wesenheit den geschwächten Körper wie schwarzer Rauch. Der junge Mann brach halb bewusstlos zusammen. Der ehemalige Musiker näherte sich der zusammengekauerten Gestalt auf dem schmutzigen Boden. Wenn er dem Jungen helfen wollte, brächte er ihn besser sofort um. Sollte das Böse in ihm von ihm Besitz ergreifen, wäre es sowieso um dieses Leben geschehen und der Dämon richtete ihn über kurz oder lang auf viel schlimmere Weise zugrunde. Es wäre eine Erlösung, er ist in jedem Fall verloren, dachte Kazuki, nichts kann ihn jetzt noch retten. Seine ausgestreckten Hände wollten sich just um die Kehle des Jungen legen, als dieser die Augen aufschlug. Sie waren sehr schön, vielleicht die schönsten Augen, die Kazuki je gesehen hatte. So voller Seele und jetzt voller Misstrauen. Intelligente Augen, die einen wachen geist verrieten. In ihrer natürlichen Farbe sahen sie bei de Kerzenschein fast schwarz aus in dem blassen Gesicht. Ein markantes Gesicht mit geschwungenen Brauen und einem vielleicht etwas zu breiten Mund und scharfgeschnittener Nase. Nicht eigentlich schön, aber es besaß eine gewisse... Hübschheit, belebt durch einen intensiven Charakter, wie es schien. Schwarze Haarfransen klebten ihm an der Stirn und am Hals. Kazukis Finger strichen sie beiseite. Der junge Mann blieb ruhig, als würde er nicht erkennen, was mit seinem Gegenüber nicht stimmte. Ja, er fürchtete nicht Kazuki, sondern die Anwesenheit des Anderen, den er nicht sehen konnte, der aber bis eben noch von ihm Besitz ergriffen hatte. Sein Blick irrlichterte zu den Schatten im Zimmer. "Er ist fort, du bist im Augenblick sicher." Kazuki wusste selbst nicht, warum er das sagte. Er hatte Mitleid mit diesem jungen, unschuldigen Leben. Doch das Schicksal des Jungen konnte er nicht beeinflussen.

"W-wie bin ich hierher gekommen?" stammelte der am Boden Liegende. "Schscht..."machte Kazuki, "wie ist dein Name, Junge?" "H-..." der Angesprochene schien sich konzentrieren zu müssen, um diese Frage zu beantworten. "Hibiki, ich heiße Hibiki. Was geschieht mit mir? Du musst es mir sagen. Bitte!" seine Stimme drohte, zu ersticken. Wäre er nur etwas jünger gewesen, hätte er geweint. Er hatte seltsamerweise überhaupt keine Angst vor Kazuki, ja, er war sich keineswegs bewusst, dass der Tod nur Zentimeter von ihm entfernt war. Es wäre so leicht, dieses Leben auszulöschen und Kazuki war so kurz davor... der Junge hatte keine Ahnung, was ihm noch alles bevorstehen mochte, bevor ihn der Tod endlich ereilte. Was machte diese eine Mord mehr oder weniger schon aus? Kazukis Seele war so oder so für alle Zeiten verloren. So könnte er zumindest die eines anderen retten. Dennoch hielt ihn etwas davon ab, er konnte es nicht tun. Fast wünschte er sich, das Böse in ihm möge in diesem Augenblick die Kontrolle übernehmen und mit Gier und Gewalt über diesen Menschen vor ihm herfallen wie ein Tier. Aber das würde nicht geschehen, nicht wahr? Dieser Körper war bereits mit dem schleichenden Gift der Hölle infiziert worden durch den Körperdieb, und eine Krähe hackte der anderen kein Auge aus.
 

Sachte berührten seine Fingerknöchel fast zärtlich die Wange Hibikis. Doch dieser zog angesichts der kalten Berührung die Brauen zusammen als blende ihn grelles Licht. Er versuchte, nicht zu offensichtlich zurück zu zucken, aber Kazuki nahm den Ausdruck nur zu deutlich wahr. Er nahm seine Hand weg und zog stattdessen den Knaben auf die Füße. Hibiki wankte und musste sich an der Wand abstützen. Er war in etwas so groß wie Kazuki.

"Was für ein blöder Name! Kein Mensch nennt sein Kind Hibiki." Kazuki musterte die Verletzung am Arm des Anderen, aber die Blutung hatte bereits aufgehört. Hibiki spürte offenbar keine Schmerzen, aber er sank langsam an der Wand hinunter in die Hocke vor Schwäche. Seine Hände fuhren unablässig durch sein Haar und er versuchte, seinen Kopf in den Armen zu verbergen, als müsse er Schutz suchen. Mit den Ärmeln seines besudelten Hemds rieb er sich das Gesicht, so als fühle er sich befleckt. "Nun," begann er zögerlich, "ich nenne mich so. Ich singe in einer Indie-Band, das ist der Grund." Kazuki spürte einen Stich in der Brust. Gegen seinen Willen mochte er den jungen Mann auf Anhieb, er fühlte sich auf seltsame Art mit ihm verbunden, weil er einst ebenso als hoffnungsvoller junger Musiker angefangen hatte. Ein Musiker, ausgerechnet. "Wir nennen uns Calmando Qual, hast du schon mal von uns gehört?" Kazuki hätte angesichts des namens beinahe laut gelacht. An Qualen wirst du dich sehr bald gewöhnen müssen, mein Junge. Der ehemalige Gitarrist schüttelte den Kopf. "Was geschieht mit mir? Ich erinnere mich an die letzten Stunden wie an einen Alptraum. Ich war da und doch wieder nicht... ich war nur Zuschauer in meinem eigenen Körper! Da war etwas so Fremdes in mir...in meinem Kopf..." Hibikis Stimme verebbte. Er klang mehr erstaunt als erschreckt, als er sich erst mal klar über seine Situation wurde. Sein Gesicht hingegen war von Verzweiflung gezeichnet. "Du weißt es doch längst. Ein anderes Wesen hat Besitz von dir ergriffen. Ein sehr bösartiges Exemplar eines Dämons. Du gehörst jetzt ihm. Deine lichten Momente werden seltener werden und du wirst dich mit jedem Mal schwächer fühlen. Du wirst bald sterben, vielleicht sogar durch deine eigene Hand. Und du wirst dir wünschen, es wäre schon früher geschehen." Kazuki hatte absichtlich schroff klingen wollen, und er war überrascht, wie wenig sich der junge Mann in seiner Reaktion geschockt zeigte. Er kann es noch gar nicht fassen, er begreift noch immer nicht, schoss es ihm durch den Kopf.

"Und wer bist du?" Hibiki nahm Kazuki zum ersten Mal richtig wahr und Kazuki konnte den aufflackernden Gedanken hinter den dunklen Augen fast lesen: kein Mensch. Nicht ganz menschlich. Es erschütterte ihn mehr, als er sich eingestehen mochte.

"Ich bin der böse Bruder des Dämons, der deinen Körper und deine Seele zerfrisst!" schleuderte er Hibiki im Zorn über sich selbst entgegen. Seine Verbitterung war schlagartig an die Oberfläche zurück gekommen. Er fühlte sich ganz und gar ausgestoßen von der Menschheit, ein Aussätziger, ein Mörder... eine plötzliche Wut über das eigene Schicksal brandete in Kazuki auf.

"Und jetzt verschwinde, sonst muss ich dich töten!" wie zum Beweis krallte sich eine seiner Hände um die Kehle des Jungen und zog ihn nah zu sich heran, noch ehe dieser wusste, wie ihm geschah. Sein Gesicht war jetzt nur noch zwei Fingerbreit von dem Kazukis entfernt und nun konnte Kazuki auch die Angst in den Augen des Anderen sehen. Der junge Mann war kräftiger gebaut als er selbst, aber Kazuki ließ keinen Zweifel daran, dass er ihm das Rückrat mit einer Hand brechen könnte. "Ja, ich bin das Böse, ein Mörder, es macht mir nichts aus, ein Leben auszulöschen, einfach so!" mit diesen Worten stieß er Hibiki heftig von sich, sein Schmerz schwappte dabei wie Galle in ihm hoch.

Hibiki trat eilig den Rückzug an und gelangte halb kriechend, halb laufend aus dem kahlen Zimmer. Am Türrahmen angekommen, gestattete er sich noch mal einen Blick aus sicherer Entfernung zurück. Aus Kazuki schien aller Zorn herausgeflossen zu sein. Er kniete mit gesenktem Kopf noch immer an der gleichen Stelle, doch jetzt waren nur noch Traurigkeit und Resignation in seiner Haltung. "Halte dich da auf, wo viele Menschen sind, suche Schutz an geheiligten Orten, ein Tempel oder eine Kirche. Trinke geweihtes Wasser, das hassen diese Kreaturen, oder bitte einen Priester, dir die Beichte abzunehmen. Vielleicht nutzt es alles nichts, aber du musst versuchen, Widerstand zu leisten, wenn der nächste Anfall kommt. Und Hibiki," der Angesprochene mühte sich, ein Zittern in der Stimme zu unterdrücken. Er wollte tapfer sein, so nutzlos es auch war. "Ja?" Kazuki machte eine vage Geste. "Du darfst dich auf keinen Fall einem Exorzismus unterziehen, das endet immer mit dem Tod des Opfers." Kazukis Stimme klang matt. "Danke..." flüsterte der Mann im Türrahmen. "...Kazuki. Du wirst es vermutlich nicht schaffen. Aber viel Glück." Eigentlich hatte Kazuki etwas anderes sagen wollen. Er wollte sagen, es tut mir leid. Aber wie konnte eine Kreatur wie er Mitleid empfinden? Genauso wenig, wie er welches verdiente. Wäre das zu sagen nicht blanker Hohn?

Der Andere nickte nur stumm und dann war er verschwunden. Kazuki blieb allein zurück. Die Spieluhr lag in der Zimmerecke, wo er sie fallen gelassen hatte, er betrachtete noch einmal das kleine Kästchen und steckte es dann in die Tasche einer alten Jeansjacke, die er auf den dreckigen Matratzen gefunden hatte. Jemand musste sie hier vergessen haben und nun war sie in Kazukis Besitz übergegangen. Ein Ruck lief durch seinen mageren Körper, als er sich schließlich aufraffte, sich seinem letzten Gefecht zu stellen. Er löschte die wenigen Kerzen und fand den Ausgang mühelos in völliger Dunkelheit, denn dies war seine Welt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  JohnnyMcAciD
2005-11-04T09:49:56+00:00 04.11.2005 10:49
^-^ wieder mal ein goiles Kapitel...
aber dieser Hibiki tut mir leid, ... naja so ist halt des Leben...
Von: abgemeldet
2005-10-12T22:47:54+00:00 13.10.2005 00:47
oh gott.... nein- ich fange jetzt nicht an zu weinen...aber...es ist kazuki und ich...naja.

danke. diese ff ist eine meiner liebsten geworden.
auch wenn ich mich vor dem zwangsläufig traurigem ende fürchte...


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