Zum Inhalt der Seite

Nigredo

Der Schatten des Lebens
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Hides Erzählung

Hides Erzählung
 

Von den unheimlichen Geschehnissen auf jenem kleinen Friedhof ahnten hide und Kyo nichts. Der Mann in Schwarz und dem schulterlangen pinkfarbenen Haar wandte sich endlich von dem trüben Rechteck des Fensters ab. Sobald er das von einer Straßenlaterne schwach erleuchtete Fenster verließ und in die Schatten des Zimmers eintauchte, konnte Kyo ihn weder sehen noch hören. Kein Laut, kein Atem oder Schritte in der Dunkelheit. Sofort tastete er nach der Nachttischlampe, die hide vorhin ausgemacht haben musste, doch in diesem Moment flammte ein Streichholz so dicht neben seinem Gesicht auf, dass er das Zischen der Flamme hören konnte. hide saß auf dem Bettrand ganz nah und er hatte eine der großen Votivkerzen geholt, die Kyo auf den Boxen seiner Stereoanlage stehen hatte. Er zündetet sie an und stellte sie auf das kleine Tischchen.

"So...ist es doch gemütlicher, finde ich." Ein kleines entschuldigendes Lächeln huschte über seine glatten Züge. Kyo fiel auf, wie leblos hides Augen jetzt aussahen. Früher war er hingerissen davon, wie hides Augen vor Vergnügen sprühten, wenn er lachte. Jetzt erreichte das Lächeln seine Augen nicht. Wenn die Augen die Fenster zur Seele sind und die Seele das Licht einer Kerze ist, dann hatte etwas dieses Licht in hide gelöscht, seine Augen glichen tintigen Flecken in dem hellen Oval seines Gesichtes. Als hätte hide Kyos Gedanken gelesen, sagte er plötzlich:

"Ich liebe diesen warme Schein, weißt du. In mir... ist nur noch Dunkelheit. Aber du, was ist nur mit dir passiert, du hast dich so verändert. Ich mochte diese Unschuld in deinem Gesicht, du warst immer voller Staunen, hast alles mit großen seelenvollen Augen aufgesogen um dich herum. Und nun sehe ich nur noch Entsetzen in deinen Zügen. Bedeutet dir das Leben denn so wenig?" Anteilnahme färbte hides Stimme, machte sich rau und tief. Aus irgendeinem Grund verärgerte Kyo dieses Mitleid und er erwiderte trotzig:

"Ich bin halt älter geworden, dass ich ein Kind war ist lange her! Hör mit dem schwülstigen Gelaber auf, das haben schon andere versucht!" zornig drehte er sich fort.

"Es tut mir leid, ich wollte doch nur wissen, was dich so unglücklich macht..."

"Geht dich nicht an, ist mein Pech! Jetzt brauch ich dich auch nicht mehr! Von mir aus verpiss dich wieder in deine Urne oder wo immer du hergekommen bist!" schnappte er wütend. Kyo wusste selbst nicht genau, warum er plötzlich so verletzt war. Es war ein alter Schmerz, der wieder an die Oberfläche gespült wurde von den jüngsten Ereignissen.

hide ließ den Kopf hängen. Unvermittelt begann er mit tonloser Stimmer zu erzählen.

"Niemand kennt den Tod, niemand weiß, ob er nicht vielleicht das größte Glück für den Menschen ist...", rezitierte er mit geschlossenen Augen, und als Kyo in fragend musterte, kommentierte er mit dem Anflug eines entschuldigenden Lächelns:

"Das habe ich mal in einem Lied gehört. Aber es ist nicht war, ich kenne den Tod und es liegt zumindest für einen Großteil der Menschheit kein Heil darin. Wenn es einen Himmel gibt, dann mag er ein Paradies sein, aber das werden viele Seelen niemals erfahren." hides Blick hielt Kyos Augen einen Moment gefangen, dann schaute er weg.

"Wie ist das - tot zu sein?" Kyo fühlte, wie seine Kehle eng wurde bei dieser Frage.

"Es ist, als hättest du nie gelebt, du hast alles vergessen, wer du bist und was du warst, und du irrst an diesem furchtbaren Ort umher und versuchst, einen Sinn darin zu sehen. Und da sind diese anderen Seelen, manche sind verwirrt und geschockt wie du... und andere... sie quälen sich und andere, als könnten sie damit ihre Seele retten. Wahnsinn und Schmerz überall!" hide hatte seine Finger an die Schläfen gepresst und starrte mit weit aufgerissenen Augen vor sich hin, aber seine Augen sahen nichts von seiner Umgebung. Vor seinen Augen spielten sich grausame Bilder ab, die nur er sehen konnte. Immer schneller sprudelten jetzt die Worte aus ihm hervor, als müsse er sich beeilen, bevor die Vision in verschlingte.

"Es ist ein Albtraumland, sein Name ist Nigredo. Dorthin kommen alle verdammten Seelen, alle Mörder, Vergewaltiger, Kinderschänder, Sadisten, all jene, die im Leben die Chance auf ein friedvolles Jenseits vertan haben, müssen durch dieses Tal. Ich war nur kurz dort, denn zeit hat dort keine Bedeutung. Es heißt, an diesem Ort trennen sich die Wege der verschiedenen Verbrechen und die Seelen werden je nach Schwere ihres Vergehens in einen der neun Kreise der Hölle wandern. Ein Torwächter steht am Tor vom Leben zum Tod und er tut nichts eifriger als seinem Herren Seelen zuzuführen. Und ab und zu, flüstert man sich zu, verleibt er besonders interessante Exemplare seiner ganz persönlichen Sammlung ein...auch er spielt eine große Rolle im Großen Spiel..." hides Stimme war zu einem Flüstern geworden und dann verstummte er, gefangen in der bösen Vision der Dinge, die er dort gesehen hatte.

Kyo konnte sich kaum überwinden, die nächste Frage zu stellen. hide hatte offensichtlich Ungeheuerliches erlebt, das über jede menschliche Vorstellungskraft hinaus ging. Kein Wunder, dass er nicht mehr derselbe war.

"Du hattest keine Erinnerung mehr an dein Leben? Aber du weißt doch noch alles!"

"Ich erinnere mich wieder, weil du dich an alles erinnerst. Ich kam zurück und hatte nur wenige Erinnerungsbruchstücke, die mir zurückgegeben worden sind. Von der Kraft, die mich zurücksandte."

"Und wer ist das, der Torwächter? Was will er denn mit den Seelen anfangen?" Kyo versuchte, sich ein Monster vorzustellen, welches Seelen wie Nebelschlieren in Einmachgläsern in einer langen Regalreihe aufbewahrte.

"Es ist die Macht über andere. Je größer deine Macht ist, desto größeren Einfluss hast du im Spiel. Und er bedient sich seiner Sklaven sehr oft, sie tun alles, was er verlangt. Er lügt ihnen was vor, aber er lässt sie niemals frei. Und es wäre auch bloß eine weitere Hölle, die auf sie wartete..." hides Gedanken schweiften erneut ab und er verstummte.

"Wer hat dir das alles erzählt?"

"Die, die mir die Chance gaben, hier zu sein. Frag nicht weiter, ich kann dir nichts mehr sagen, ich weiß es selbst nicht." hides Augen hielten Kyos eigenen ruhig stand, er sagte die Wahrheit.

"Und was ist das für ein Spiel?"

"Das alte Spiel zwischen Gut und Böse, die Menschen waren von je her nur Schachfiguren. Hier ein geschickter Schachzug, da ein kleiner Gewinn, hier eine Schlacht, dort eine Niederlage. Und die Balance wird immer aufrecht gehalten. Ich spiele meine Rolle, so gut ich kann. Und du wirst deine spielen müssen, was bleibt uns übrig?" es schien, als sei hide noch etwas eingefallen.

"Ich muss dir noch erzählen, wie es ist, in Nigredo zu sein. Ich sagte ja schon, du lässt alles auf der Schwelle zurück, sobald du eintrittst. Ich hatte sogar keine Ahnung davon, dass ich gestorben war. Ich war überzeugt, dass ich noch immer einen realen Körper hatte. Und ich glaube, die Menschen sehen oft anders aus als im Leben. Und der Wahnsinn verformt sie weiter. Ich sah... ich sah Kreaturen, die sich selbst folterten und verstümmelten. Manche waren kaum noch menschlich zu nennen. Einmal ging ich in eine rauchende Ruine, um mich vor den...", hide suchte an dieser Stelle nach einem passenden Ausdruck für etwas, dass nicht in Worte zu kleiden war,

"den Anderen, den Dämonen, so nenne ich sie, zu verstecken. Und da sah ich einen Mann. Er saß in einer Ecke auf dem Boden gekauert und grinste. Während ich zusah, biss er sich genüsslich die Finger ab und kaute hingebungsvoll. An seinem Handstumpf lief das Blut hinab und vermischte sich mit jenem, welches von seinem Kinn troff. Seine Zunge hatte er schon lange nicht mehr, jedenfalls brachte er kein Wort heraus. Ich glaube, er nahm mich nicht einmal wahr, als ich ihn ansprach. Aber als die Schatten - Oh Gott, die Schatten! - die mich suchten, die Ruine streiften, begann er zu schreien. Er schrie und schrie und das Blut quoll aus seinem Mund und rann über seine Brust. Ich dachte, sie würden uns gleich haben, da sprang er auf und rannte hinaus. Ich hörte ihn draußen schreien und dann nur noch - Stille." Glasig starrte hide auf einen fernen Punkt. Kyo konnte Tränen in dessen Augen aufsteigen sehen und endlich brachen sie sich Bahn und flossen seine Wangen hinab. Er weinte lautlos. Schwarz. hides Tränen waren schwärzlich grau, es sah aus, als seien winzige Partikel darin aufgelöst. Kyo überkam ein seltsames, heftiges Gefühl von Mitleid und auch so etwas wie Scham für seine unfreundliche Gedanken. Es tat ihm sogar leid, hide jemals angegriffen zu haben. In seiner Hilflosigkeit wischte er hide mit den Fingerkuppen sanft die Tränen von den Wangen. hides Haut spannte sich straff über seine Wangenknochen und fühlte sich glatt wie Marmor an. Aber war sein Fleisch nicht etwas weniger kalt...?Kyo konnte seine Neugier nicht bezwingen und führte seine dunkel benetzten Fingerspitzen an die Lippen. Verstohlen ließ er die Zungenspitze hinausgleiten. Nein, es schmeckte ganz und gar nicht salzig, wie er erwartet hatte. hides Tränen schmeckten bitter wie verbrannt, wie nasse Asche. Sie haben dich verbrannt - vor 6 Jahren!

In Kyos Kehle saß ein Schmerz und schnürte ihm die Luft ab.

"Tut mir so leid..." würgte er gequält hervor.

"Es muss dir nichts leid tun, du trägst keinerlei Schuld daran." Wieder dieses kleine, traurige, schiefe Lächeln. Kyo musterte den Mann vor sich abermals und suchte nach dem Freund von früher in ihm. Hide hatte immer schon Gegensätze in sich vereint und er hatte immer schon eine dunkle Seite. Jetzt schien von allem anderen, was ihn einst ausmachte, nichts geblieben zu sein. Nur ein kleiner Funke hier und da in der tiefen, bodenlosen Dunkelheit seiner Seele. Die Erinnerungen des kleinen Sängers drifteten zurück in die Vergangenheit. Er dachte an den quirligen hide, den wilden, faxenmachenden hide, wie er mit quäkender Stimme meckernd lachte, Grimassen schnitt und den Menschen Kusshände zuwarf. Der hide, der auf bunten Lack und neofarbige Regenjacken stand und dessen Haare manchmal alle Regenbogenfarben hatten. Der mit staunenden Kinderaugen ein Feuerwerk verfolgte und über die kleinsten Dinge völlig aus dem Häuschen geraten konnte. Er vermisste den Gitarristen mehr denn je.

Kyo streifte die Haare des schlanken, schwarzgekleideten Mannes vor ihm. Sie waren so leuchtend pink wie er sie kannte, und nun wären sie es für alle Zeit. Nie wieder würden sie auch nur einen Millimeter wachsen oder jemals grau werden. Kyo fühlte eine Distanz zwischen ihnen beiden, eine Barriere aus Glas, und das betrübte ihn noch mehr.

hide beobachtete ihn schweigsam aus dunklen Augen, er ließ ihn gewähren. Seine Tränen waren nun versiegt, doch die schwarzen Spuren, die sie hinterlassen hatten, widersetzten sich Kyos erneutem Versuch, sie fortzuwischen. Wie ein trauriger Pierrot sah hide nun aus, so blass und dunkel bis auf seine himbeerroten Haarsträhnen, eine Studie in schwarz/weiß. Seine eigene Qual sah er in Kyos Gesicht gespiegelt.

"Ich weiß nicht, ich weiß gar nichts mehr. Was wirst du jetzt tun?" Kyo fühlte sich elend und todmüde, er wollte nur noch schlafen und nicht mehr über das Gehörte nachdenken.

"Ich werde dir jetzt etwas zeigen, dass dir nicht gefallen wird. Schlimmer noch, es wird dein Leben für immer verändern. Es geht leider nicht anders." antwortete hide ernst.

"Hat es auch mit den Träumen zu tun und mit diesem schrecklichen Ort? Oh bitte, ich will nichts mehr erfahren, ich verkrafte nicht noch mehr!" Kyo rieb sich erschöpft die Augen. Er hatte das Gefühl, als würde sein Leben wie es war in dieser Nacht zerstört werden.

"Komm", sagte hide sanft und fasste Kyo am Arm, um ihn vom Bett zu ziehen, "Zieh dir etwas an und wir gehen hinaus in die Nacht. Dort lauern Dinge, von denen kaum jemand etwas ahnt..." als hide den Kummer in Kyos Zügen bemerkte, fügte er hinzu:

"Du brauchst dich nicht zu fürchten. Ich bin bei dir, und wenn du erst verstehst, wirst du sicherer sein als jetzt."

Mit einem aufmunternden Lächeln zwinkerte er Kyo in alter hide-Manier zu.

"Hey - Gefahr erkannt, Gefahr gebannt! Vertrau mir!"

Der zierliche Sänger war nicht überzeugt. Schwerfällig stieg er in eine superenge Jeans, deren Hosenbeine breit hochgekrempelt waren, damit die Schnürstiefel gut zu sehen waren. Dann streifte er noch ein Kapuzen-Sweatshirt in nachtblau über. Tarnfarbe ist nicht verkehrt, dachte er. Hide erhaschte einen Blick auf Kyos nackte Brust, als dieser halbangezogen aus dem Bad kam und gerade das Shirt überzog. Kyos Brust war, wie oft in letzter Zeit, von schorfigen und frischen Kratzspuren überzogen. Er brachte sich diese Wunden regelmäßig selbst bei, wenn er auf der Bühne stand und von Emotionen und Autoaggression überwältigt wurde.

"Mein Gott, das sieht furchtbar aus! Hast du eine Hexe zur Freundin?" hide wollte nicht vorwurfsvoll klingen, aber der Anblick gab ihm im Innersten einen Stich. Er hätte nicht gedacht, noch einmal so fühlen zu können.

"Nein, das stammt von mir selber," Kyo streichelte sich abwesend selbst über Brust und Arme, als wolle er seinen Körper damit wieder versöhnen. Es war ihm unangenehm, dass hide ihn darauf ansprach.

Soviel Begabung und er hasst sich dafür, dachte hide erschrocken. Wenn er nur gewusst hätte, wie es in seinem kleinen Freund aussah, wäre er zutiefst bestürzt gewesen. Kyo war tatsächlich verzweifelt . Er sehnte sich so sehr danach, von einem Menschen getröstet zu werden, er wollte, dass hide ihn in den Arm nahm, wie er es früher so oft getan hatte. Aber diese Herzlichkeit war nicht mehr da und Kyo wagte es nicht, ihn darum zu bitten. Er war einfach nicht in der Lage, sich überhaupt jemanden anzuvertrauen , er konnte sich nicht erlauben, Schwäche zu zeigen, indem er seine Bedürfnisse offenbarte. Insgeheim wartete er stets darauf, dass jemand instinktiv ahnte, wonach er sich sehnte; hide konnte das manchmal, früher. So litt er stumm vor sich hin und fühlte sich einsamer denn je.

Nun stand er vor hide mit gesenktem Kopf. Er hatte sich die Kapuze übergezogen und schaute den anderen nicht an. Er wollte nicht, dass hide entdeckte, wie seine Augen schon wieder verräterisch glitzerten.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2005-06-23T16:56:32+00:00 23.06.2005 18:56
Ich tu was ich kann ;)
Ich bin auch gespannt, wo es hinführt, habe aber schon ne grobe Vorstellung.
Von: abgemeldet
2005-06-23T14:27:55+00:00 23.06.2005 16:27
ohoooo ^-^
so langsam erkennt man die richtung in der sich die story entwickelt ^.~
nach dem ersten kapitel konnte man das ja noch nicht ganz so genau sagen, aber jetzt klingt das wirklich sehr interessant ^-^
*nod*
bin wahnsinnig gespannt, was du da noch alles draus machst ^.~
sag mir wieda bescheid, wenn du wieder was on gestellt hast, sonst vergessich imma nachzuschaun T-T
[und das wär viel zu schade ><]
also.. beeil dich mit dem nächsten kapitel ^.~
es klingt wirklich total interessant ^-^
nup


Zurück