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Drachenseele

Das Herz einer Priesterin
von

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*~Inbou~*

"Versuche nie durch Konspiration zu erklären, was auf Chaos oder Inkompetenz zurückgeführt werden muss." – Josef Joffe
 

Kapitel 40 – Inbou

-Verschwörung-
 

*Welchen Wert gilt es Regeln und Konventionen beizumessen, wenn nicht nur das eigene Leben auf dem Spiel steht?

Und wie soll man sich verhalten, wenn man sich dem Ausmaß der vermeintlichen Gefahr nicht einmal sicher sein kann? Ist es besser, abzuwarten und die Entwicklung der Gegebenheiten zu beobachten, als verfrüht Annahmen zu äußern?

Oder aber gestaltet sich dabei das Risiko zu hoch, das Kommende nicht mehr rechtzeitig aufhalten zu können?*
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

Obgleich die Sonne erst vor wenigen Stunden aufgegangen war und ihren alltäglichen Lauf über den wolkenlosen Himmel angetreten hatte, flimmerte die salzige Meeresluft bereits vor Hitze.

Einsam, gar verloren, wirkte die im Vergleich zu den Unweiten des Ozeans winzige Vulkankette, die inmitten des schieren Nirgendwo, rings umgeben von den Massen des zweiten Elementes, lag. Ein perfekter Gegensatz, Feuer und Wasser, der die beiden Erzfeinde rein äußerlich in harmonischem Einklang, auf engstem Raum miteinander vereinte.

Im Inneren jedoch rumorte es beständig…

Der eigenwilligen Stimme der Feuerberge, die nur wenige zu deuten vermochten, lauschend, versuchte Neisti sich die nagende Langeweile zu vertreiben, die ihn mittlerweile marterte. Es war nicht zu glauben, wie respektlos sich dieser Bundori seinem Bruder gegenüber verhielt.

Noch immer schläfrig strich sich der junge Eldursdreki durch das kupferfarbene Haar, gähnte ausgiebig, stets darum bemüht, seine Müdigkeit im Zaum zu halten und sich nicht überwältigen zu lassen; eine schwierigere Angelegenheit, als er angenommen hatte. Seit Tagesanbruch stand er nun hier und wartete, doch der Ranghöchste der Sonnenweberdrachen hatte wohl weder die Zeit noch den Anstand, seine Verspätung durch einen Boten zu entschuldigen.

Arrogante Blindschleiche…

Hoffentlich hatte sich Eldsvoði mit ihm nicht hochgradig verkalkuliert, das konnten sie sich nicht leisten.

„Was hat das Balg hier zu suchen?“

Das klang abwertend wie vorwurfsvoll zugleich; und die tiefe, signifikant unangenehme Stimmlage sorgte dafür, dass sich der degradierende Unterton, der jedwede Silbe begleitete, nachdrücklich im Gedächtnis festsetzte.

„Mein Name ist Neisti, und dem Befehl meines älteren Bruders nach soll ich mit Euch zusammenarbeiten.“

Nahezu geräuschlos näherte sich der Drachenfürst dem Feuerdrachen, erhöhte das Energieniveau seines Youki auf einen bemerkenswerten Pegel, demonstrierte ungeniert seine ungeheure Macht. Inmitten des heißem Brodems, das den bevorstehenden Mittag, den Zenit des Lichtbringers am Tage, ankündigte, schienen die Temperaturen plötzlich unter Null zu sinken, als würde es frieren.

„Er versprach mir einen Krieger, kein Gör, dafür bekam er meine Einwilligung. Verschwinde.“

Registriert hatte Neisti die Beleidigung aus Bundoris Munde, ließ sich jedoch nichts anmerken, denn mit Provokation war er bei ihm an den Falschen geraten. Darauf sollte er sich nicht zu viel erwarten, denn gegen Kriegsführung und Methodik im psychologischen Bereich war er gefeit – im Gegensatz zum Großteil seiner Artgenossen, die vor allem auf diesem Gebiet erhebliche Schwächen verzeichneten.

Zudem irrte er sich gewaltig.

Die Statur oder allgemeine Ausstrahlung eines Soldaten besaß er beileibe nicht, trotz dessen hatte er die Anerkennungsprüfung als Voraussetzung zur Aufnahme in die Kreise der Älteren mit Bravur bestanden, problemlos.

Für den Clan galt er als mündig, seine Qualifikation als Kämpfer war unbestritten, Eldursdrekar zweifelten prinzipiell nicht. Situationsbedingt, ob das nun als gute oder schlechte Eigenschaft zu deuten war…

Dem entgegen blieb Bundoris Einstellung ebenso bedenklich.

Voreingenommenheit und die Verurteilung von dem, was einem unbekannt war, eröffneten durchaus interessante Rückschlüsse auf den Intellekt eines Individuums. War Bundori ein solcher Narr?

Nein, mitnichten. Minderbemittelt war er mit Sicherheit nicht, dafür wohl ein wenig zu selbstgefällig, zu eingenommen von sich und seinen Wertvorstellungen, um etwas Neues eigenständig zu erkennen und Akzeptanz daran zu üben. Vertraute er lediglich auf seine Instinkte und Wahrnehmungen, glaubte ausschließlich das, was er mit eigenen Augen sah?

Neisti lächelte demütig.

Theorien in allen Ehren, zur Veranschaulichung eignete sich die Praxis aber grundsätzlich besser.

„Insofern Ihr es gestattet, erläutere ich Euch den Unterschied zwischen einer trivialen und einer echten Flamme, die nicht nur Materielles vertilgt, sondern vorrangig nach der Seele dessen trachtet, der sie zu bändigen versucht…“

Seine Miene wurde ernst, undurchsichtig und in gewissem Sinne fest.

In der rechten Hand des Jungdrachen leuchtete ein orangerotes Flämmchen auf, das rasch an Volumen gewann und begierig wuchs, dann plötzlich und vollkommen zusammenhangslos kleiner und unscheinbarer wurde, zu verlöschen schien.

Das spöttische Lächeln des Anderen erstarb in seinen Grundzügen, als er sich den enormen Hitzewallungen gewahr wurde, die von ihrem Ursprung, Neisti, ausströmten, sich wie Ringe auf einem Teich ausbreiteten, in den man einen Stein geworfen hatte.

Gegen die angenehme Wärme der Sonne, die Bundori aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Gattung der Sonnenweberdrachen über alles schätzte und zum Überleben brauchte, waren diese hitzigen Konditionen eine Feuerhölle sondergleichen auf Erden, bereits nach wenigen Momenten unerträglich.

Das wahre Wesen, die tatsächliche Macht des Feuers…

Ein Kind, das Fähigkeiten in diesem Format besaß?

„Möglicherweise taugst du zu mehr als Hundefutter. Wir werden sehen.“

Widerwillige Konzedierung nannte man das…

Die Blicke der beiden Drachen kreuzten sich für einen Augenblick, als Bundori einen Schritt an ihm vorbei trat, ihn vage aus den Augenwinkeln, von oben herab, betrachtete.

Doch darum kümmerte sich der junge Eldursdreki nicht weiter, musterte seinerseits unauffällig den Fürsten aus dem Osten.

Imposant war seine Erscheinung allemal, er war wesentlich größer als er, breiter im Körperbau und muskulöser. In seiner schwarzen Rüstung und den edlen japanischen Gewändern aus Seide, die er trug, das Schwert an der Hüfte, erinnerte er Neisti unheimlich stark an Hraunar, den er nicht bloß als älteren Bruder verehrt hatte, sondern auch als Revolutionär und Oberhaupt des Clans. Er hatte den Umbruch begründet, die Feuerdrachen unter sich geeint… durch seinen tragischen Tod in der Schlacht gegen die Allianz der Loftsdrekar und Vatnsdrekar war er zu einer Legende aufgestiegen, zu einem Symbol für Mut, Entschlossenheit und Freiheit, das den Eldursdrekar die Hoffnung und Kraft verlieh, alles noch einmal auf eine Karte zu setzen und zu kämpfen, bereit, Opfer für ihr Ziel darzubringen.

Neisti besann sich, fuhr prüfend über das grobe Gewebe der Leinenrobe, die ihm locker um die Schultern lag.

War seine Kleidung dem gegebenen Anlass entsprechend unpassend?

Neben der schwarzen Tunika bedeckte, ausgenommen dem kurzen Lederrock, der ihm als Schutz der Lendengegend diente, und den Kote als Protektoren seiner Unterarme, nichts seinen Leib.

„Besuchen wir ein Festival?“

Bundori schmunzelte daraufhin hintergründig.

„Ja, so könnte man es ausdrücken…“
 

Menschen und ihre nervtötenden Angewohnheiten…

Selbst hier, auf maximaler Entfernung, an der Kaimauer, der äußersten Abgrenzung der Residenz zum Meer, war das lästige Stimmgewirr noch zu manifest vernehmlich, als dass man es hätte ignorieren können.

Doch darauf sollte es sich heute nicht beruhen, denn zu dem Lärm ihrer verdammungswürdigen Redseligkeit addierte sich eine unvereinbare Mixtur an Gerüchen, die meine Nase zusehends derangierten.

Verstimmt kehrte ich dem vollkommen überflüssigen, idiotischen Szenario den Rücken; von Menschen Erdachtes brachte nur Unglück, ebenso wie sie selber.

Festlichkeiten radikalisierten rasch zu Gelagen, Orgien, und ihren Abarten verfallen, präsentierten sie sich als perfekte Beute für ihre Feinde, innere wie äußere.

Jene Stumpfsinnigkeit ohne Beschränkung, dazu die Offenbarung von Schwäche, wie konnte eine solch inferiore Rasse so lange bestehen?

Ein beträchtlicher Fehler der Evolution, den es zu beheben galt – mit etwas Geduld würde ich ihrem Verderben persönlich beiwohnen können; Zeit bezeugte keinen Stellenwert für einen Drachen, demnach war es bedeutungslos, wie viele Jahrzehnte oder Jahrhundert ihrer Rechnung bis dahin noch verrinnen sollten.

Die weichen Töne einer Shamisen begleiteten die abendliche Melodie des Windes, der in den Wellen des Meeres spielte.

Für gewöhnlich empfand ich diese so genannten 'menschlichen Künste' als ungemein leidig. Wozu sollte das gut sein? Warum opferten, verschwendeten sie regelrecht erbötig weitgreifende Abschnitte ihres verdammt limitierten Lebens, um sich einer solchen Art von Vergeudung zu widmen?

Mein Verständnis scheiterte bereits an dem Begriff der Kunst, den die Menschheit bevorzugt zu verwenden pflegte. In meiner Muttersprache existierte nicht einmal ein annähernd äquivalenter Ausdruck dafür.

Zudem interessierte es mich nicht, und der Zwang, sich trotz dessen damit zu beschäftigen und einige Aspekte zu vertiefen, hatte nur mein Widerstreben und meine Abneigung genährt.

Bis zum heutigen Tage war es mir nicht gelungen, die Schriftzeichen der Menschen wenigstens halbwegs zu erlernen, sie zu lesen war eine Qual, ganz zu schweigen von jeglichen Niederschriften, die nie den Ansprüchen des Lehrers entsprachen. Damals nicht, zum jetzigen Zeitpunkt nicht.

Es war frustrierend.

Während sich bei mir keinerlei Verbesserungen einstellen wollten, war Blævar seit seiner frühen Jugendlichkeit weit über meinen Stand hinaus. Ihm fiel es leicht, er fand Gefallen an Studien – gleich, welches Themengebiet man ihm vorsetzte. Ob hochkomplexe Ziffergewirre oder fremdländische Schriftstücke, er hatte es im Nu begriffen und schäumte vor Arbeitseifer förmlich über.

Súnnanvindur reagierte mit Stolz auf Blævars Wissbegierigkeit und das Können, dass er sich somit selbst aneignete; seine kriegerische Unfähigkeit in nahezu sämtlichen Disziplinen geriet unbeachtet in Vergessenheit, wurde ihm nicht mit einem Wort jemals vorgeworfen. Ich hingegen hatte stetig zu hören bekommen, mir gefälligst ein Beispiel an meinem jüngeren Bruder zu nehmen und mehr Fleiß zu zeigen.

Ich tat mich schwer mit Neuem, war im Vergleich immer spät in der Entwicklung gewesen.

Eineinhalb Dekaden hatte es mich allein gekostet, die Sprache der Menschen hier in ihren Grundzügen zu verinnerlichen – das Dreifache von dem, was die Mehrheit zur Perfektion ihrer Kenntnisse benötigte…

Deprimiert senkte ich den Blick, legte den Kohlestift beiseite.

Ich brachte es nicht auf die Reihe, es war sinnlos.

„Kveðja, leiðtogarsson.“

Etwas verwirrt von dieser Anrede schaute ich auf.

Gegen Formalitäten auf verbaler Ebene hegte ich eine unsägliche Aversion, in meinen Augen war sie bedeutungslos, bloße Fassade, hinter der sich zumeist eine gegensätzliche Meinung versteckte. Am Auftreten, dem Betragen seines Gegenübers erkannte man untrüglich, ob dieses einen akzeptierte, schätzte oder verachtete.

„Flúgar, nichts weiter, Kali.“

Der Loftsdreki grüßte mich erneut militärisch, verweilte in der einseitig knienden Stellung, die rechte Hand geschlossen über der linken Hälfte der Brust.

Ich schüttelte den Kopf, gebot ihm aufzustehen.

Kali war einer der wenigen, die meine Achtung genossen, obwohl ich ihre Einstellung in gewissen Aspekten absolut nicht teilte – sei es die Befürwortung der menschenfreundlichen Politik meines Vaters oder seine Gewalt ablehnende Persönlichkeit. Dennoch war er einer der besten Krieger im Clan, geprägt durch Selbstbeherrschung, Disziplin und Gehorsam, der sich im jugendlichen Alter mit Leichtigkeit einen der höchsten Ränge errungen hatte.

Hinter meinem Respekt für ihn verbarg sich vermutlich etwas wie Bewunderung, doch mit Sicherheit konnte ich nur die Sympathie benennen, die mir sein angenehmer Charakter vermittelte.

„Stört Euch meine Anwesenheit?“

Ich verneinte knapp, sog zischend die Luft ein, als mir durch die ruckartige Bewegung schmerzhaft gewahr wurde, dass die Striemen an meinem Hals noch immer sichtbar bezeugten, wie sich die gestrige Unterredung mit Súnnanvindur entwickelt hatte.

„Komm zur Sache.“

Der Aufforderung hätte es nicht bedurft, zum einen wusste Kali sehr genau, auf was er letztendlich hinaus wollte und zum anderen war er ein bedachter Redner, der sich selbst die Ansätze des Palaverns verbot, ausschließlich Gebrauch von präzisen Formulierungen machte, was den Kern seines Anliegens betraf.

„Ich habe ein schlechtes Gefühl, was die momentane Situation hier betrifft.

Mir gefällt nicht, was hier geschieht – da wäre zuerst einmal der Tennô, dessen astreines Wesen und Benehmen nicht zu einem Menschen passen. Dann der verblendete Schwertkämpfer, der sich bei jeder Gelegenheit, die sich ergibt, mit seinem Hass gegen uns brüstet und ununterbrochen die Nähe zum Tennô sucht. Die Bediensteten halten sich auf Abstand, viele fürchten sich, der Rest ist argwöhnisch. Mit den Gästen für das Fest ist es dasselbe.

All das sind keine Konditionen für eine ungestörte Verhandlung eines gleichberechtigten und lukrativen Bündnisses.

Ehrlich gesagt verstehe ich das nicht, worin besteht demnach der Sinn dieser Zusammenkunft?“

Interessant.

Kalis wacher Verstand beeindruckte mich, erstaunlich, welchen Informationsstand er sich ohne Hilfe angeeignet hatte.

Die geistige Besonnenheit, die er sich bewahrte, vergaß Súnnanvindur in seiner fanatischen Besessenheit, die Fehde zwischen den Rassen beenden zu müssen

„Das Vorhaben des Tennôs, seine Ziele haben mit den unsrigen nichts gemein. Er strebt einen Ausbau seiner Macht an, dazu kommen wir ihm gerade recht.“

Nachdenklichkeit zeichnete sich auf Kalis Miene ab, überrascht wirkte er weniger.

„Also lügt er, und Euer Vater glaubt Euch nicht; deshalb die Auseinandersetzung.

Was denkt Ihr, wie weit der Tennô gehen wird?“

Erwägend wiegte er den Kopf nach rechts, erwiderte meinen Blick offen – wohlwissend, dass ich es ihm nicht als Unhöflichkeit oder gar Respektlosigkeit anrechnete.

„Wenn wir ihm nicht zuvorkommen, tötet er uns.“

Das mochte ruhig und kühl klingen, aber es beunruhigt mich. Wie sollte das von Statten gehen?

„Wie will er das anstellen?

Gegen einen Drachen besteht der Schwertkämpfer nicht lange, der Tennô mag ein ausgezeichneter Lügner und Betrüger sein, ich bezweifle allerdings, dass er kämpfen kann.

Und was hat es mit der Priesterin auf sich?

Genau betrachtet gibt es keinen anderen Anlass für sie, hier zu sein…“

Nur hatte Midoriko ihren eigenen Willen und besaß ein Urteilsvermögen, das sogar meines übertrumpfte. Das hatte der törichte Mensch nicht bedacht, ein schwerwiegender Fehler, der ihm und seinem perfiden Konzept endgültig das Genick brechen würde.

„Die Priesterin hat sich entschieden, ihm nicht zu helfen. Seine Erfolgsquoten sind insofern niedrig.“

Mit einem mehrdeutigen Lächeln auf den Lippen lehnte er die Schulter gegen das Mauerwerk, tippte an seine Schläfe.

„Daher weht also der Wind der Erkenntnis.

Ein schlaues Mädchen mit auffallender Begleitung und einer noch auffälligeren Ausstrahlung. Sie ist gefährlicher, als der Anschein erweckt. Ich hätte sie ungern zum Feind.“

Bezüglich dieser Aussage stimmte ich ihm bedingungslos zu, in einem Zweikampf würde Kali, ebenso wie ich, in erhebliche Schwierigkeiten geraten. Midorikos Potenzial war enorm, und ehrlich gesagt reizte es mich, dessen Abhängigkeiten zu ergründen. Woher rührte diese unglaubliche Macht, die eines Menschen im Grunde unwürdig war?

„Wenn man vom Teufel spricht.

Ich werde morgen vor dem leiðtogi Bericht erstatten und ihm meine Bedenken unterbreiten, selbstverständlich ohne Euch explizit zu erwähnen.“

Was meinte mit der ersten Bemerkung?

In für ihn untypischer Manier verabschiedete er sich mit einer außerordentlich ehrerbietigen Verneigung, wandte sich um und hielt unvermittelt noch einmal inne.

„Lasst Euch zu nichts Anrüchigem hinreißen, der Begriff 'Schreinjungfrau' kommt nicht von ungefähr.“

Verschmitzt grinsend warf er mir einen letzten Schulterblick zu, nicht ein Hauch der vorherigen Ernsthaftigkeit schwang in seiner Stimme mit; Sprunghaftigkeit zählte zu den wenigen schlechten Eigenschaften, die ihm innewohnten und mir negativ ersichtlich geworden waren.

„Vergeht Euch nicht an der vermeintlich Süße des Sake, es zieht bittere Konsequenzen.“

Wie sollte ich das denn nun deuten?

Doch ehe ich dem in irgendeiner Form nachhaken konnte, verschwand Kali mit einem weiten Sprung gen Hafen in der Finsternis, ließ mich in der von ihm verursachten Ratlosigkeit alleine zurück.

Eingenommen von der daraus resultierenden Lethargie, schrak ich fürchterlich zusammen, als etwas Weiches meine Hand berührte, gleichzeitig einen gedämpften Laut direkt neben mir vernahm. Um ein Haar hätte ich aus einem simplen Reflex heraus Midorikos Dämonenkatze Kaneko aufgeschlitzt.

Entsprechend meiner abrupt einsetzenden Erwartung erkannte ich eine minimale Bewegung in der Dunkelheit, fing das Geräusch leichter Schritte auf.

Midoriko…
 

Hastig zog ich die Schiebetür meines Quartiers hinter mir zu, eilte den spärlich beleuchteten Gang und die sich anschließende Treppe hinab, erreichte alsbald die geräumige Eingangshalle, in der angekommen, ich rasch in meine Geta schlüpfte, ein letztes Mal den einwandfreien Sitz meines Yukata überprüfte.

Die Feierlichkeiten dieses Abends boten nicht nur diverse Annehmlichkeiten in Form von Speisen und musikalischer Unterhaltung, es war die perfekte Deckung für ein heimliches Gespräch mit Flúgar, und wenn ich Glück hatte, würde ich womöglich auch denjenigen ausfindig machen können, der mir das zitronengelbe Kleidungsstück hatte inkognito zukommen lassen. Zugegeben, ich trug ihn nicht einzig aus diesem Grund. Ich konnte nicht behaupten, dass der Yukata mir nicht gefiel, selten hatte ich etwas besessen, das meine Figur in gewissen Bereichen vorteilhaft betonte.

Seufzend sah ich an mir hinab.

Rief ich mir Soreiyu ins Gedächtnis, so hätte es bei mir oben herum ebenfalls etwas mehr sein können…

Kaneko unterbrach mit einem Miauen meine abwegigen Vorstellungen.

„Kaneko-chan, tust du mir einen Gefallen?“

Behutsam tippte ich ihr mit dem Zeigefinger an das schwarze Näschen, die ruhig pendelnden Schweife verrieten ihre Aufmerksamkeit.

„Könntest du für mich nach Flúgar suchen?

Ich habe noch etwas zu erledigen.“

Schwungvollen Schrittes verließ ich daraufhin das Gebäude, begab mich auf dem Weg zum Festplatz, der in der Lichterpracht der unzähligen bunten Lampions das dunkle Firmament über der Residenz erleuchtete.

Welch ein atemberaubender Anblick…

Doch die Ungemach senkte sich rasch über meine Begeisterung, meine Faszination schwand, denn das künstliche, jeder Natürlichkeit widerstrebende Dämmerlicht verschlang die Sterne, das Angesicht des Mondes restlos; die Nacht schien buchstäblich zum Tage zu werden. Konnte so etwas rechtens sein…?

Ich schüttelte den Kopf, sog begierig die frische Luft in meine Lungen.

Über die Entwicklung und Verfremdung der Menschheit konnte ich auch später noch philosophieren…

Erheitert darüber, dass ich mich selbst ermahnte, ja beinahe maßregelte, gelangte ich schlussendlich zum Haupthof, auf dem sich zu dieser späten Stunde ungewohnt viele Leute drängten, allesamt adelige Gäste des Tennô, die die Veranstaltung in vollen Zügen genossen.

Damit verwandelte sich die ansonsten übersichtliche, weitläufige Fläche in unüberschaubares Terrain, eine rege Masse aus Menschenleibern, fremden Gesichtern und farbenfroher Kleidung, die einem, zusammen mit den untereinander verworrenen Düften verschiedenster Herkunft und dem ohrenbetäubenden Lärm, den die große Menschenansammlung durch ihr ausgelassenes Feiern verursachte, jegliche Orientierung raubte.

Als ob ich weitere Hinderlichkeiten wie eben jene gebrauchen konnte…

Ich hatte keine Wahl. So schob ich mich zunächst an einer Gruppe älterer Herren – wohlgemerkt in Damenbegleitung - vorbei, die aufmerksam den Tanz mehrerer recht freizügig gekleideter Mädchen beobachtete, das Umfeld dabei vollends aus den Augen verloren.

Männer…

Ob dieses primitive Benehmen eine angeborene Veranlagung war?

Skeptisch zog ich die Brauen zusammen, verwarf die Frage, die ich mir in diesem Zusammenhang zu Dämonen, speziell Drachen, stellte. Grundlegende Unterschiede würde es dort nicht verzeichnen…

Verständnislos zuckte ich die Achseln, zwängte ich mich weiterhin Ausschau haltend abermals durch das Gewühl.

Nach einer Weile erfolglosen Suchens wurde meine Ausdauer letztendlich belohnt…
 

Die offenen, seitlichen Gartenareale und Hofkomplexe lagen schweigsam und unbeweglich in der finsteren Umarmung der Nacht, eingebettet in die Schatten ihrer nunmehr eigenen schwarzen Realität.

Unter dem Mond und dem Sternenhimmel schien sich die Wirklichkeit der Sonne zu verzerren, eine ganz andere zu werden. Oder war es eine Tatsache, dass mit der Sonne nahezu alles Vertraute, jeder Rückhalt bis zum nächsten Morgen am Horizont entschwand?

Furcht hegte ich vor der Dunkelheit nicht, jedoch bevorzugte ich zweifelsohne die hellen Tageszeiten, aus rein praktischen Gründen; wenn man geradewegs in sein Verderben lief, dann sah man es zumindest kommen.

Zurzeit jedoch konnte ich die Hand vor Augen nicht erkennen, stolperte blindlings hinter Kaneko her, die mich des Erachtens meiner notdürftigen Sinneseindrücke nach bestenfalls querfeldein durch die Pampa lotste, anstatt nach einem Weg oder etwas dergleichen Ausschau zu halten.

Dämonen…

Das bedurfte keiner Anmerkung mehr, in Gesellschaft von Youkai musste man sich mit solcher Resolution arrangieren, sture Widerworte oder gar Weigerung halfen da auch nicht aus.

Innerlich resignierend, die Züge in ergebener Entspannung, ließ meinen Blick durch die Düsternis schweifen. Nun hatte ich doch wahrhaftig den Katzenyoukai aus den Augen verloren.

„Kaneko-chan? Wo bist du? Kaneko!“

Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt wie diesem, verdammt… konnte es denn schlimmer kommen, als führerlos in der Walachei von einem Garten umherzuwandeln, alleine, auf fremdem Boden, und das nachts?

Eine Ölleuchte oder Laterne, selbst eine kleine Kerze hätte mir hier fabelhafte Dienste geleistet, wahre Wunder gewirkt; leider war ich nicht so geistesgegenwärtig gewesen, etwas Derartiges mitzunehmen. Ob die Schuld meiner schusseligen Gedankenlosigkeit oder aber einfach dem Pech zuzuschreiben war, verhielt sich gleich. Das Endergebnis änderte sich dadurch nicht im Geringsten.

Es war deprimierend, meine Motivation versank langsam aber sicher im Bodenlosen.

Demoralisiert blickte ich auf, fokussierte den abnehmenden Halbmond, der just in diesem Moment hinter den grauen Fetzen der Wolkenschleier zum Vorschein kam, die Umgebung mit fahlem Silberfirnis zu satinieren schien.

Nicht allzu weit von meinem Standpunkt entfernt zeichneten sich die Umrisse einer hohen Mauer ab, und während ich mich dieser, meinem einzigen Anhaltspunkt, vorsichtigen Schrittes näherte, vernahm ich das dumpfe Geräusch ferner Stimmen. Männerstimmen, um mich präziser auszudrücken, und je länger ich lauschte, desto überzeugter war ich davon, das eine der beiden niemand anderem als Flúgar gehören konnte.

Inhaltlich ging das Gespräch vollkommen an mir vorüber, ich verstand kein Wort – sicherlich sprach er mit einem Luftdrachen, denn die befremdlichen Silben und paradoxe Betonung waren unvereinbar mit dem Japanischen, beredte Indikatoren dafür, dass sie sich in ihrer eigenen Sprache unterhielten.

Dann wurde es plötzlich still.

Hatten sie etwa meine Anwesenheit erst jetzt bemerkt?

Ihrer Reaktion nach zu urteilen, kam ich ungelegen. Warum sonst hätten die beiden Drachen ihre Konversation abbrechen sollen?

Eine minimale Bewegung auf der Mauer veranlasste mich zum Innehalten, unbewusst drückte ich das Päckchen in meinen Händen fester gegen meine Brust.

Ich begann an meinem Vorhaben zu zweifeln. Ob es nicht doch besser war, zurückzugehen?

Immerhin hatte ich nicht beabsichtigt, jemanden zu stören.
 

ּ›~ • ~‹ּ
 

[Anm.]

kveðja - Gruß, sei gegrüßt

leiðtogi - Anführer
 

***>>>Kapitel 41:

>“In jener Nacht werden die Abgründe einer Seele enthüllt, freiwillig, denn er vertraut ihr bedingungslos. Dass das niemand gutheißen kann, ist ihm bewusst, solche Informationen sind nicht für Menschen gedacht. Eben deshalb gibt es einen Wächter, eine schattenhafte Bestie, die ein Auge auf Eindringlinge hat…“

Uppruni



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Von:  Mondvogel
2007-08-07T14:10:39+00:00 07.08.2007 16:10
Jetzt steigt die Spannung stetig an.
Offenbar trauen nicht alle diesem Tenno. Wenn Flúgars Vater auch endlich mal begreifen würde, dass da was faul ist! So leicht wird er das aber wohl nicht zugeben.
Das riecht alles geradezu nach Verschwörung und Ärger. Ich bin gespannt wie du all diese komplexen Handlungsstränge zusammenführen wirst.

Neisti gefällt mir, so nebenbei. ^.^
Ich könnte dich immer wieder für deine eigenen Figuren loben. Sie sind wirklich klasse.
Von:  Lizard
2007-07-25T16:54:49+00:00 25.07.2007 18:54
Auftritt von Feuer- und Sonnenweberdrachen?!? Das kann nichts Gutes bedeuten. Ich bin neugierig, was die unwilligen Bündnispartner jetzt genau vorhaben. Schaut ja fast so aus, als würden die sich auch noch in die Versammlung beim Tenno einmischen bzw. dort für Trouble sorgen wollen.
Immerhin bekommt Flugar Unterstützung, das finde ich schon mal sehr positiv. Kali ist mir sehr sympathisch, scheint ein sehr kluger und realistisch denkender Krieger zu sein.
Besonders schön in diesem Kapitel waren mal wieder die Beschreibungen. Dein Schreibstil ist stellenweise wirklich atemberaubend.
Freu mich auf die Fortsetzung.
Von:  Carcajou
2007-07-23T22:57:08+00:00 24.07.2007 00:57
Sorry für den späten Kommie...
*hüstel*
Wenigstens stehen Flugar und Midoriko mit ihrem Wissen nun nicht mehr alleine da- ob es etwas nützt?
Das steuert nicht wirklich auf eine friedliche Einigung hin.
Die Festlichkeiten sind schön beschrieben, die Reflexionen über Männer fand ich äußerst zutreffend- Kerle eben *Grins*
Auch die Anzüglichkeiten, die sich Flugar anhören musste, ließen meine Mundwinkel dezent in die Breite wandern...

Auch, wenn es kein Happy End gibt *seufz* tröstet es mich doch, das du es wohl noch etwas hinauszögern möchtest- du deutetest ja an, noch so viele Ideen zu haben- das Sad End kann für mich ruhig noch etwas warten.
Lange^^°

LG,
Carcajou

Von: abgemeldet
2007-07-22T14:49:44+00:00 22.07.2007 16:49
WoW! Irgendwie hast du mich ein bisschen verwirrt.....^^°

Ich kapier gerade den Inhalt nicht so richtig, am besten ich lese es mir nochmal durch. g*


24
Von:  Tigerin
2007-07-22T12:18:04+00:00 22.07.2007 14:18
Hallo^^ *verlegen um die Ecke schaut* Gomen, dass ich so lang keinen Kommi geschreiben hab...-.-' Es tut mir wirklich Leid...

Da waren es immerhin schon zwei Drachen, die dem Tenno nicht trauen. Sie müssen das 'nur noch' Flúgars Vater klarmachen.
Diese Textstelle finde ich super:
Männer…
Ob dieses primitive Benehmen eine angeborene Veranlagung war?
Muss eigentlich so sein... da ist nämlich kein männliches Wesen besser als ein Anderes...
Wie Hotep schon geschrieben hat, mir wäre auch ein Happyend lieber... aber wie gesagt... es war ja schon klar.. Leider.

So. Ich werde mich bemühen in Zukunft wieder regelmäßig die Kommis zu schreiben...^^ Danke, dass du mir trotzdem immer eine Ens geschrieben hast^^

Bye Tigerin
Von:  Hotepneith
2007-07-21T21:14:32+00:00 21.07.2007 23:14
.....
Immerhin hat noch ein Drache mitbekommen, dass der Tenno nicht mit offenen Karten spielt. Aber dennoch wird es Ärger geben. Erheblichen Ärger, denn keiner der Anwesenden ist im Endeffekt WIRKLICH an einer Gleichberechtgung der Arten interessiert, ( Man werfe nur die Frage auf, was freie Hochzeiten etc. angeht...)
Und die Ankündigung des nächsten Kapitels klingt auch ncht aufbauend.

Okay, ich wusste von vornherein, dass es kein happyend gibt, aber, ich hätte dennoch so gern eins...*seufz*

bye
hotep


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