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Katzenjammer

von

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Lektion 10 - Sei einfach nur glücklich

Ein kühler Wind trug den Geruch von Regen und würzigem Herbstlaub ins Zimmer. Kaoru brummte, als sich über seinen nackten Rücken eine dicke Gänsehaut ausbreitete, die ihn erschauern ließ. Schlaftrunken tastete er nach der Bettdecke, zog sie höher und über seine Schultern, bevor er sich stärker an den warmen Körper zu seiner Rechten schmiegte. Erneut war ein Brummen zu vernehmen, das nun allerdings nicht von ihm stammte. Lange Arme legten sich um ihn, dirigierten ihn so, dass eines seiner Beine zwischen die seines Bettpartners glitt und sein Kopf auf der nicht minder unbekleideten Brust zum Liegen kam. Er war immer wieder aufs Neue erstaunt darüber, wie bequem diese Position war. Als hätten die Konturen ihrer Körper beschlossen, sich perfekt einander anzupassen, um ihm keinen Grund zu geben, überhaupt ans Aufstehen zu denken.

 

„Guten Morgen“, murmelte Die mit vom Schlaf herrlich rauer Stimme, schob eine Hand in Kaorus Haare und begann, sanft hindurchzufahren.

Falls sein Körper bis eben noch so etwas wie Anspannung in sich hatte, verflüchtigte sich diese wie auf Knopfdruck. Kaoru atmete aus, die Augen noch immer geschlossen und lauschte dem starken, gleichmäßigen Herzschlag, der ihn auch als Kater immer beruhigt hatte. Er dachte nicht mehr oft an diese Zeit vor einigen Monaten zurück, aber in Momenten wie diesen fühlte er sich wieder genau wie damals.

Geliebt, beschützt, gehalten und gleichzeitig freier, als er es je zuvor gewesen war.

 

„Morgen“, erwiderte er mit einiger Verspätung und hätten ihn Dies Finger nicht noch immer gekrault, er hätte behauptet, sein Freund wäre wieder eingenickt.

„Hast du gut geschlafen?“

 

„Es ging. Die Nacht war ein bisschen unruhiger, als ich es mir gewünscht hätte.“

 

„Zu viel im Kopf?“

 

„Ja, aber dafür ist das Aufwachen gerade umso schöner.“

 

Kaoru summte zustimmend, presste einen Kuss auf Dies Brust, bevor er sich etwas hochdrückte, um nun gänzlich zwischen seine Beine zu rutschen.

„Ich weiß auch schon, wie ich es noch schöner machen kann.“

 

„Tust du das?“ Die grinste, von einer Sekunde auf die andere deutlich wacher, und schloss genießend die Augen, als Kaoru begann, langsam sein Becken kreisen zu lassen.

„Uhm, du hast morgens wirklich immer die besten Ideen.“

 

„Ich weiß.“

Kaoru beugte sich tiefer, suchte und fand diese eine Stelle am Hals seines Freundes knapp unter dem rechten Ohrläppchen, die ihn immer so herrlich erschauern ließ. Und auch diesmal brauchte es nur eine zarte Berührung seiner Lippen, einen kitzelnden Zungenschlag, um Die ein leises Keuchen zu entlocken. Ein zufriedenes Lächeln hob Kaorus Mundwinkel, während er kleine Küsse auf der gestreckten Haut verteilte. Er konnte die Gänsehaut spüren, die unter seinen Berührungen erblühte und das Beben, das ihr folgte. Die gluckste, was ihn automatisch lächeln ließ, als er sich etwas hochdrückte, um seinem Freund ins Gesicht sehen zu können.

„Was ist?“

 

„Dein Bart kitzelt.“ Dies Finger festigten den Griff in seinem Haar, dirigierten ihn höher, bis weiche Lippen seinen Mund für sich vereinnahmten. Nun war er es, dem ein genießendes Seufzen entkam, besonders als Die seine Beine aufstellte und die freie Hand vielsagend auf seinen Hintern schob.

 

„Soll ich mich nachher rasieren?“, raunte er fragend, während er es sich nicht nehmen ließ, kleine Küsse entlang Dies Kiefer zu verteilen. Kurz schloss er die Augen, als sich die Lust prickelnd in seinem Magen sammelte, er spüren konnte, wie sein Freund immer stärker auf ihn reagierte.

 

„Nein“, stöhnte Die, die Zähne ins Fleisch seiner Unterlippe gegraben und den Kopf in den Nacken gelegt. Wie magisch angezogen haschte Kaoru nach der entblößten Kehle, leckte über den Adamsapfel, der hüpfte, als Die schluckte.

„Ich mag deine Schnurrhaare.“

 

Für einen Moment verstand er nicht, was der andere meinte, dann verbarg er sein Lachen an Dies Halsbeuge.

„Du bist unglaublich.“

 

„Ja~, unglaublich scharf auf dich, also beweg dich schneller.“

 

„Dein Wunsch sei mir Befehl.“

Mit einem kleinen Biss in die weiche, duftende Haut vor seiner Nase untermalte er seine Worte, bevor er gierig nach Dies Lippen haschte. Sein Freund kam ihm nicht minder leidenschaftlich entgegen, obwohl ihm immer öfter ein heiseres Stöhnen entkam. Himmel, wie Kaoru diese kleinen Laute liebte.

 

Erneut fegte eine lebhafte Brise durch das Schlafzimmer, doch nun begrüßte er die leichte Abkühlung. Eine schnelle Handbewegung verbannte ihre Decke ans Fußende des Bettes und sorgte gleichzeitig für mehr Bewegungsfreiheit, die er natürlich für sich zu nutzen wusste. Sein Gewicht auf den rechten Ellenbogen verlagernd drängte er seine freie Hand zwischen ihre erhitzten Körper. Wo Die bis eben eher passiv alles genossen hatte, was er mit ihm anstellte, kam er ihm nun fordernd entgegen, verstärkte Reibung, Druck und Hitze, bis Kaoru ihren Kuss lösen musste, um ein genussvolles Knurren freizulassen.

 

„Hör bloß nicht auf“, keuchte Die, den Kopf ins Kissen gepresst und die Augen fest zusammengekniffen – ein Bild der absoluten Hingabe. Gott, wie schön er war.

 

„Hab ich nicht vor“, erwiderte Kaoru gepresst, als sich Lust und Verlangen zu einem Ball aus gleißender Hitze in seinen Lenden formten. Lange würde er nicht mehr durchhalten, viel zu weit lag es schon wieder zurück, dass sie auf diese Weise Zeit füreinander hatten.

 

„Kaoru, ha~!“

 

Die bäumte sich auf und stöhnte herrlich lang gezogen, ein Laut, der Kaorus Inneres in flüssige Lava verwandelte. Himmel, ihm war heiß. Sein Arm zitterte, sein Atem kam ihm in hektischen Stößen über die Lippen und Dies Fingernägel, die sich harsch in seine Schulterblätter drückten, raubten ihm auch noch die letzte Zurückhaltung. Seine Bewegungen wurden schneller, wilder und als Die unter ihm zuckte, sich klebrige Feuchtigkeit zwischen ihren Bäuchen ausbreitete, gab es nichts auf dieser Welt, das seinen Fall noch aufhalten konnte. Er erstickte sein Aufstöhnen an Dies Halsbeuge, hielt und ließ sich halten, bis das ärgste Zittern seiner Gliedmaßen nachgelassen hatte.

 

„Mmmh.“ Die schnurrte wie ein zufriedener Kater, drückte ihm einen langen Kuss auf die Schläfe und begann, sanft über seinen Rücken zu streicheln.

„Genau so möchte ich in Zukunft bitte immer aufwachen.“

 

„Hätte der Tag mehr als vierundzwanzig Stunden, wäre ich sofort dabei.“

 

„Musst du immer so rational sein?“

 

„Du wolltest es so.“

 

„Auch wieder war. Aber weißt du, was auch wahr ist?“

 

„Mh?“

 

„Wir haben eine ganze Woche Urlaub, was heißt, sieben Tage ohne Wecker und Zeitdruck, aber genau auf diese Weise hier aufwachen.“

 

„Haargenau so?“

 

„Na~, sei ruhig kreativ.“

 

Kaoru gluckste, bewegte sich ansonsten jedoch keinen Millimeter. Seine Glieder waren herrlich schwer und wenn es nach ihm gegangen wäre, würden sie das Bett heute überhaupt nicht mehr verlassen. Allerdings gab es in ihrem Appartement zwei gewisse haarige Mitbewohner, die dieses Vorhaben bestimmt weniger gutheißen würden. Wie aufs Stichwort ertönte ein klägliches Maunzen direkt vor der Schlafzimmertür; und das vertraute Geräusch von Pfoten, die am Türblatt scharrten, machten deutlich, wie dringend da jemand nach Aufmerksamkeit verlangte.

 

Die murrte unleidig, schob ihn sanft zur Seite und setzte sich auf.

„Ich kümmere mich um Diva und Red und du bleibst genau hier, hörst du?“

 

„Und weshalb sollte ich das tun?“

Kaoru rollte sich auf den Rücken, stellte ein Bein auf und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

 

„Weil ich noch nicht fertig mit dir bin, Mister.“

Die lächelte anzüglich, stand auf und beugte sich noch einmal zu ihm herunter, um ihm einen langen, leidenschaftlichen Kuss aufzudrücken.

 

„Mh, dann beeil dich.“

 

~*~

 

„Hey du. Es hat zu regnen aufgehört.“

 

„Schön.“

 

Kaoru sah nicht auf, als sein Freund das Arbeitszimmer betrat, sich hinter ihn stellte und begann, seine Schultern zu massieren. Er hatte sich wirklich auf das Dokument konzentrieren wollen, immerhin war er noch nicht fertig damit, aber Dies Finger taten Dinge mit ihm, die keinen weiteren logischen Denkprozess zuließen. Ein angetanes Brummen entkam ihm und unwillkürlich lehnte er sich in die angenehme Berührung. Mit geschlossenen Augen zog er sich die Lesebrille von der Nase, warf sie auf den Schreibtisch und konnte sich gerade so noch davon abhalten, die Arme auf der Tischplatte zu verschränken und den Kopf darauf abzulegen, um Die noch mehr Freiraum zur Eliminierung seiner Verspannungen zu geben. Himmel, was musste sein Freund auch so unverschämt talentierte Finger haben? Die blieb stumm, massierte ihn weiter und Kaoru war sich sicher, ein zufriedenes Lächeln auf seinen Lippen sehen zu können, würde er genau in diesem Moment die Augen öffnen. Wärme flutete seinen Brustkorb, wickelte sich wie ein Kokon um sein Herz und ließ ihn für einen langen Moment alles bis auf den Mann in seinem Rücken vergessen.

 

„Du solltest nicht immer so gekrümmt vor dem PC sitzen“, tadelte sein Freund und nun waren es Kaorus Mundwinkel, die sich zu einem kleinen Schmunzeln hoben. Er griff nach einer von Dies Händen, küsste die Innenfläche, bevor er einen schnellen Blick auf die Taskleiste besagten Computers riskierte.

 

‚Was? Schon nach drei Uhr nachmittags?‘

Kein Wunder, dass die gekommen war, um nach ihm zu sehen, wenn er sich schon wieder deutlich länger als nur die versprochene Stunde in seiner Arbeit vergraben hatte. Er legte den Kopf in den Nacken, um Die ansehen zu können, und schenkte ihm ein entschuldigendes Lächeln.

„Wollen wir etwas nach draußen gehen?“

 

„Genau deshalb bin ich hier.“

Die küsste seine Stirn, die Nasenspitze und das Kinn, bevor er einen Schritt zurücktrat.

„Ich zieh mich schon mal an.“

 

„Dann gehe ich davon aus, dass ich den Vertrag über unser neues Merch, den mir Fujida gerade geschickt hat, nicht schnell noch durchlesen darf?“

 

„So ist es. Für den Rest des Tages gehörst du nur mir.“

 

Dies Lächeln war breit, strahlend und so unwiderstehlich, dass Kaorus Herz beschloss, einfach einen Schlag auszusetzen, bevor es mit doppeltem Tempo weiterschlug. Er stand auf, packte seinen Freund um die Hüfte und stahl sich einen langen Kuss.

‚Danke, Die, manchmal weiß ich wirklich nicht, was ich richtig gemacht habe, um dich in meinem Leben zu verdienen‘, dachte er.

„Na schön, weil du es bist“, sprach er laut aus, doch sein Versuch nonchalant zu wirken, hatte lediglich zur Folge, dass sich eine von Dies fein gezupften Augenbrauen hob. Sein Freund wusste haargenau, was gerade in ihm vorging und badete regelrecht darin.

 

Geschlagen schüttelte er den Kopf, küsste im Vorbeigehen Dies Wange und schlüpfte im Flur in Schuhe und Jacke. Er konnte es nicht immer sagen, ja, vielleicht sogar nicht einmal zeigen, aber er war Die unendlich dankbar dafür, dass er auf der einen Seite nachsichtig mit ihm war und auf der anderen dafür sorgte, dass er sich nicht noch einmal so vollkommen in seiner Arbeit verlor.

 

~*~

 

Das Herbstlaub knisterte und raschelte unter ihren Sohlen und der Wind verfing sich in den Ästen der Ahornbäume, wirbelte noch mehr rote Blätter umher. Kaoru atmete die kühle Luft ein, die nach den Regenschauern der letzten Stunden herrlich frisch und sauber duftete.

 

„Es war eine gute Idee, nach draußen zu gehen“, murmelte er, die Finger zur Seite hin ausgestreckt, um kurz und verstohlen über Dies Handrücken zu streicheln.

 

„Es war ja auch meine.“

 

Kaoru schnaubte amüsiert, als sich im selben Moment neben ihm ein Rabe mit lautem Krächzen in die Lüfte erhob. Er folgte dem Vogel mit Blicken, sah zu, wie er sich immer höher und höher in den blassblauen Himmel schraubte. Der Park war um diese Uhrzeit nur spärlich besucht und Kaoru sah seine Chance gekommen, Dies Finger endlich richtig mit den seinen zu verschränken. Er würde Hand in Hand mit ihm weitergehen, wie er es schon seit einer halben Stunde tun wollte, doch da blieb der andere stehen und deutete nach rechts auf ein Gebäude, das sich halb hinter Büschen und den Ahornbäumen versteckte.

 

„Sieh mal, dort drüben.“

 

„Aha, und, was sehe ich da?“

 

„Dort hat ein neues Café eröffnet, ich hab gestern die Anzeige gelesen und glaub mir, solche Eisbecher hast du im Leben noch nicht gesehen.“

 

„Eisbecher …“

 

„Sie haben auch Cold Brew und Slow Coffee, alles, was dein schwarzes Herz begehrt.“

 

 „Mein schwarzes …“, begann er lachend, wurde jedoch von einer Bewegung unweit von ihnen abgelenkt. Automatisch schaute er in die Richtung, aus der er es rascheln gehört hatte und verstummte, als ihm nur allzu bekannte, grüne Katzenaugen Entgegenfunkelten.

 

„Kaoru? Alles okay?“ Die war seinem Blick gefolgt, musterte die Parkbank und das Unterholz aus fragend zusammengekniffenen Augen, schien jedoch nichts Ungewöhnliches zu erkennen.

„Was hast du?“

 

„Ehm, nichts. Ich … Weißt du was?“ Demonstrativ drehte er den Katzenaugen den Rücken zu und sah Die beschwichtigend an.

„Geh doch schon mal vor und sicher uns einen Platz. Ich rauch nur noch schnell eine und bin gleich bei dir.“

 

Kaoru wusste, dass er ein mieser Schauspieler war, daher wunderte ihn Dies skeptischer Blick nicht. Was ihn jedoch beinahe aus dem Konzept brachte, war der schnelle, flüchtige Kuss auf seinen Wangenknochen und die Dankbarkeit, die plötzlich in den schönen Augen lag.

 

„Du bist ein Schatz“, murmelte Die, rieb sich über den Oberarm, wo sich – Kaoru erinnerte sich wieder – seit ein paar Tagen ein Nikotinpflaster befand.

„Aber lass mich nicht zu lange warten.“

 

„Würde mir im Traum nicht einfallen.“

Einen langen Moment sah er seinem Freund hinterher und konnte nicht fassen, dass das Schicksal für einmal auf seiner Seite war. So lange zumindest, bis er sich wieder an die Katzenaugen zurückerinnerte und sich unwillkürlich fragte, ob selbst Dies Entschluss, das Rauchen aufzuhören, durch Magie bekräftigt worden war.

„Zauberkatze?‘“, fragte er halblaut und kam sich nur deswegen nicht wie der letzte Idiot vor, weil niemand in der Nähe war, der ihn hätte hören können. Langsam ging er auf die Bank zu, setzte sich und zündete sich eine Zigarette an.

 

„Dein Mensch sieht glücklich aus“, hörte er eine Mischung aus Maunzen und Sprache, leicht verzerrt für seine rein menschlichen Ohren, bevor die schwarze Katze ebenfalls auf die Bank sprang und ihn aus ihren unergründlichen Augen zu mustern begann.

„Und du erholter. Ihr scheint euch gegenseitig gutzutun.“

 

„Ja, er tut mir gut“, bestätigte Kaoru murmelnd, hob die Hand und erwiderte Dies kurzes Winken, bevor sein Freund im Café verschwand, ohne seinen pelzigen Besuch bemerkt zu haben.

„Warum bist du hier?“

 

„Höre ich da etwa Besorgnis aus deiner Stimme?“

Kaoru hob eine Augenbraue, zog erneut an seiner Zigarette, aber ließ sich nichts weiter anmerken. Oder zumindest dachte er das, bis die Zauberkatze erneut zu sprechen begann.

„Ich werde dich nicht noch einmal in einen Kater verwandeln, wenn du das denkst. Ich sagte dir doch schon, ich erfülle Herzenswünsche und dein Herz weiß gerade ganz genau, was es will. Dafür brauchst du mich also nicht.“

 

Kaoru fühlte, wie die Spitzen seiner Ohren heiß wurden und war froh um die Wollmütze, die sie vor viel zu wissenden Blicken verbarg. Die Zauberkatze kam näher, schien nicht bemerkt zu haben, was ihre Worte in ihm auslösten, und legte sich ungeniert auf seinen Schoß. Überrumpelt sah er auf das schwarze Fellbündel herab, unwissend, was er tun sollte, bis ihn die grünen Augen derart auffordernd fixierten, dass er nicht anders konnte, als den ihm hingestreckten Bauch zu kraulen. Beinahe hätte er laut aufgelacht, als ein tiefes und so normales Schnurren den kleinen Leib zum Vibrieren brachte, dass er sich für den Moment wie in einem schlechten Film fühlte. Sein Leben war zu einer Komödie verkommen, in der er die Hauptrolle spielte. Kopfschüttelnd schnippte er seine Zigarette davon und versuchte, dem warmen Gefühl in seinem Inneren einen Namen zu geben.

 

Dein Mensch sieht glücklich aus.

Und das tat er wirklich. Über die letzten Monate waren die Schatten unter Dies Augen verschwunden und die scharfen Linien seines Gesichts wieder weich geworden. Seine Rippen stachen nicht mehr hervor, wenn er sein Shirt auszog und Kaoru hatte sehr wohl bemerkt, dass der Gürtel seines Freundes nicht mehr bis zum letzten Loch zugezogen werden musste, um seine Jeans an Ort und Stelle zu halten.

 

‚Himmel, er will sogar zu rauchen aufhören‘, dachte er und konnte kaum fassen, was ihm gerade klarwurde. Er tat Die ebenso gut, wie Die ihm.

 

Dein Herz weiß gerade ganz genau, was es will.

Und auch diese Erkenntnis der Zauberkatze entsprach der Wahrheit. Kaoru hatte sich noch nie in seinem Leben so vollkommen und … zu Hause gefühlt.

 

„Dann wolltest du also nur nach mir sehen?“, fragte er verspätet.

 

„Ja und nein.“

 

„Kryptisch wie immer.“ Kaoru lächelte. Die Katze erhob sich, schüttelte sich heftig, um ihr Fell wieder in Ordnung zu bringen, und sprang von seinem Schoß.

„Ich glaube, ich bin dir noch einen Dank schuldig, ohne deinen Zauber wäre ich heute nicht da, wo ich bin.“

 

Erneut fixierten ihn die stechenden Augen, bevor sie ihm ein langes Blinzeln schenkte. Kaoru erkannte ein katzenhaftes Lächeln, wenn er es sah und spürte, wie sich der letzte Rest Skepsis der Zauberkatze gegenüber aufzulösen begann.

 

„Meine Verabredung ist hier. Alles Gute … Kao.“

 

Noch bevor Kaoru irgendetwas hätte sagen können, war sie auch schon im Dickicht verschwunden. Kopfschüttelnd erhob er sich und wollte den Weg zum Café einschlagen, als ihm am Ende des Parks eine Gestalt auffiel. Sie war ein ganzes Stück entfernt, trug schwarze, eng anliegende Jeans und einen weiten, ebenfalls schwarzen Hoody, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Irgendetwas an diesem Anblick kam ihm eigenartig bekannt vor …

Ja, ganz sicher. Er kannte diese Silhouette, diese Haltung, die so entspannt und gleichzeitig aufmerksam wirkte.

Der Fremde – ja, Kaoru war sich sicher, dass es sich um einen Mann handeln musste – bückte sich, als die Zauberkatze aus dem Unterholz auftauchte und auf ihn zulief. Ohne Weiteres nahm er das kleine Tier auf den Arm, streichelte über ihr Köpfchen und sagte etwas, was Kaoru aufgrund der Entfernung nur als leises Raunen wahrnehmen konnte. Er spürte, wie sein Mund aufklappte und ihm ein ungläubiger Laut entkam.

 

„Was zum …“

Die Gestalt sah auf, direkt in seine Richtung. Einen langen Moment passierte nichts, dann zog sie sich die Kapuze vom Kopf, enthüllte gelbblonde Haare und ein koboldhaftes Grinsen. Kaoru fühlte sich, als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen.

„Kyo?“

 

Er konnte nicht fassen, was er gerade mitangesehen hatte und noch viel weniger, was das alles zu bedeuten hatte. Er blinzelte einmal, zweimal, während er noch immer die Stimme der Zauberkatze im Ohr hatte.

Meine Verabredung ist hier …

Das … das … Was hatte das zu bedeuten?

Steckte Kyo mit der Zauberkatze unter einer Decke?

Hatte er, wie Kaoru selbst, einmal Bekanntschaft mit ihrem Zauber gemacht?

Oder – und diese Vorstellung ließ ihn endgültig an seinem Verstand zweifeln – hatte Kyo die Zauberkatze auf ihn angesetzt?

Kaoru wusste nicht, was er denken, geschweige denn tun sollte.

 

Jede Entscheidung diesbezüglich wurde ihm abgenommen, als Kyo spöttisch salutierte und ihm den Rücken zudrehte. Der Sänger ging, ohne ihm auch nur im Ansatz aus seiner Krise zu helfen oder wenigstens eine Erklärung für das alles zu liefern. Die Zauberkatze saß lässig auf einer von Kyos Schultern, wie eine moderne Neuinterpretation einer klassischen Hexenkatze, und sah noch einmal in seine Richtung, bevor beide hinter der nächsten Biegung verschwanden.

 

Wie lange er blicklos vor sich hin starrte und versuchte, einen logischen Gedanken zu fassen, hätte er hinterher nicht sagen können. Erst das anhaltende Klingeln seines Handys schaffte es, ihn ins Hier und Jetzt zurückzuholen. Dies Name leuchtete auf dem Display auf und mit Schrecken stellte er fest, dass er seinen Freund hatte warten lassen.

 

„Tut mir leid“, meldete er sich anstelle einer Begrüßung und beeilte sich, zum Café zu gelangen.

„Ich hab jemanden getroffen und mich verquatscht.“

Okay, diese Erklärung entsprach nicht ganz der Wahrheit, kam ihr aber wenigstens nahe genug, um Kaorus schlechtes Gewissen nur leicht anspringen zu lassen.

„Bin gleich bei dir.“

 

„Alles gut, ich wollte nur wissen, wo du bleibst. Soll ich dir schon mal einen Kaffee bestellen?“

 

Man musste Die einfach lieben, nicht?

Kaoru für seinen Teil fühlte erneut wohlige Wärme durch seine Adern rauschen, als er keine Spur des Vorwurfs aus der Stimme seines Freundes heraushören konnte.

„Sehr gern, du weißt ja, was ich mag“, erwiderte er mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen, das sich weitete, als er Dies Antwort hörte.

 

„Besser als du selbst.“

 

„Wo du recht hast … Aber sag mal, Die, weißt du, ob Kyo seit Neuestem eine Katze hat?“

 

„Kyo? Nicht dass ich wüsste, wieso?“

 

„Ach, nur so.“

 

Kaoru verabschiedete sich, während dessen er bereits beim Café angekommen war. Statt jedoch gleich hineinzugehen, blieb er vor der Tür stehen, die Stirn in nachdenkliche Falten gelegt.

Ob er sich das gerade alles nur eingebildet hatte?

Vielleicht war es doch nicht Kyo gewesen, nur ein Mann, der ihm wahnsinnig ähnlich gesehen hatte?

Aber … dieses Grinsen und dieses spöttische Salutieren.

Nein, Kaoru war sich verdammt sicher, dass es Kyo gewesen war.

Außerdem …

 

Er erinnerte sich an die Blicke zurück, die der Sänger Kao, dem Kater, immer zugeworfen hatte. Sie waren derart wissend gewesen und jetzt im Nachhinein war Kaoru sich sicher, dass Kyo sich die ganze Zeit über köstlich amüsiert hatte.

Kyo war es gewesen, der diese unsägliche Debatte, ob Kao nun kastriert werden musste oder nicht, beendet hatte, bevor Die auf dumme Ideen gekommen war.

Kyo hatte ihn aus dem Tierheim geholt und Kyo hatte als Erster bemerkt, dass sich zwischen ihm und Die etwas verändert hatte, nachdem er wieder zum Menschen geworden war.

 

„Manipulativer Mistkäfer“, knurrte er halblaut, als er die Tür zum Café aufdrückte und ihm sogleich warme, aromatisch duftende Luft entgegenschlug. Eine Kellnerin warf ihm einen irritierten Blick zu – sie musste gehört haben, was er gerade gesagt hatte – aber er ignorierte sie. Stattdessen gönnte er sich einen tiefen Atemzug, um sich zu sammeln. Er würde Kyo nach ihrem Urlaub zur Rede stellen und eine Erklärung fordern. Ja genau, das würde er tun. Er straffte die Schultern und sah sich nach Die um, der ihm von einem Tisch in der hinteren Ecke aus winkte und ihm ein umwerfendes Lächeln schenkte.

‚Ach, Die.‘

Hätte Kaoru es nicht besser gewusst, er hätte geschworen, gerade an Ort und Stelle geschmolzen zu sein. Vielleicht würde er das ganze Katzendebakel aber auch einfach auf sich beruhen lassen und dankbar dafür sein, dass alles so gekommen war, wie es gekommen war.

 

„Hey, Mister.“

 

„Hallo“, echote er, zog sich die Mütze vom Kopf und schälte sich aus der Jacke, bevor er sich neben Die auf die Bank schob. Als hätte sie schon immer dorthin gehört, legte er seine Hand auf den Oberschenkel seines Freundes, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Kurz huschte so etwas wie Erstaunen über Dies Gesicht, bevor sich lange Finger zwischen die seinen schoben und sie leicht drückten.

 

„Ich hab dir einen marokkanischen Kaffee bestellt. Mal etwas anderes, mh?“

 

„Ich vertrau darauf, dass du besser weißt als ich, was ich will.“ Kaoru lächelte verliebt, als er Dies Worte von gerade eben an ihn zurückgab und goss den tiefschwarzen Kaffee aus einer filigranen Silberkaraffe in ein kleines Glas. Dies blick noch immer haltend nahm er einen testenden Schluck und brummte zufrieden, als sich das würzig-bittere Aroma auf seiner Zunge ausbreitete.

„Perfekt.“

Erneut schenkte ihm Die ein wundervolles Lächeln, das er ganz automatisch erwiderte.

„Genauso perfekt, wie du für mich bist.“

 

 

 

 

~ The End ~



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  -Pharao-Atemu-
2024-04-27T22:02:53+00:00 28.04.2024 00:02
Das mag jetzt vermessen klingen, aber ich hab bei jedem Part mit Kyo nur darauf gewartet, dass er sagt, "Na Kaoru? WIe ist es bei Dai?"
oder so etwas in der Art XD



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