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Spiel ohne Limit

von

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"Frau Yamamori, wie sehen Ihre nächsten Schritte aus-"

"Werden Sie das Erbe des weißen Drachen antreten-"

"Was sagen Ihre Eltern zu Ihren Spielmethoden-"

"Frau Yamamori, noch eine Frage-"

Rin knallte mit aller Wucht die Wohnungstür zu und starrte auf das modrige Holz. Ihr Herz war ihr bis in die Hose gerutscht. Am liebsten wäre sie zurück in ihre Wohnung gerannt, direkt auf die Toilette und hätte sich für den Rest des Tages dort eingeschlossen. Stattdessen bewegte sie sich kein Stück, konnte nicht aufhören auf die Tür zu starren, hinter welcher das irre Gewusel weiterlief. In was für einen Traum war sie jetzt schon wieder geraten?

"Und jetzt?", war neben ihr Lumina die erste, welche die Worte wieder fand.

"Keine Ahnung", entgegnete die Braunhaarige wie in Trance.

Diese Leute...woher wissen die, wo ich wohne?

"Komm", damit packte ihre beste Freundin sie am Unterarm und zog sie mit sich.

"Was hast du vor?", Rin wusste nicht, warum Lumina den Hinterhof ansteuerte. Na gut, dort würde noch keiner der Presseleute stehen, da nur wenige wussten, dass hinter der knapp ein Meter fünfzig Mauer der Wohnblock ihres Zuhauses lag und man nur durch den zweiten Hof huschen musste, um auf die Hauptstraße zu gelangen. Wenn Rin es eilig hatte, nutzte sie die kleine Abkürzung, die zumindest die zwei Minuten einsparte, mit denen man noch knapp den Bus schaffen konnte.

"Hier lang", damit schleppte Lumina sie in den Schuppen, dass Rin irritiert blinzelte.

"Dein Moped? Du meinst-?"

"Glaubst du, du entkommst denen einfach so, wenn wir bis zur Haltestelle rennen? Klar, du bist schnell, aber wer weiß, was vor der Kaiba Corporation abgeht."

"Und du willst, dass wir die Kiste über die Mauer tragen?", Rin beobachtete entsetzt wie die Schwarzhaarige ihr Gefährt nach draußen schob, bis an die Mauer und dort auf ihre Freundin wartete. Die junge Frau schüttelte den Kopf: "Du bist irre."

"Hilfst du mir jetzt oder was?, Lumina stemmte die Hände in die Hüften.

"Und was hast du dir gedacht? Dass wir das Ding über die Mauer werfen?"

"Die Gute hier", Lumina klopfte auf den Sitz, "hält mehr aus als sie den Anschein macht."

"Wie du willst", noch immer glaubte Rin, dass die Schwarzhaarige doch besser ausgeschlafen hätte - scheinbar zeigte der Schlafmangel gerade seine Entzugserscheinungen. Trotzdem half sie ihrer Freundin das Moped anzuheben.

Ein Glück, dass Lumina nicht das Geld für ein richtiges Motorrad hatte

Mit rutschigen Händen schafften sie es tatsächlich, die Maschine anzuheben. Trotz des Trainings der letzten Wochen zitterten ihre Beine, der Rücken bekam ein undefinierbares Stechen: "Wenn ich wegen dir im Krankenhaus lande und nicht in die Endrunde kann-"

"Jaja, nicht so viel reden….Noch ein Stück", schnaufte ihre kleinere Freundin. Nach einem letzten lauten Fluch, schafften sie das Moped über die Mauer. Es rumpelte, dass Rin das Herz in die Hose rutschte. Beide Frauen sahen sich mit aufgerissenen Augen an, bevor sie schnell über die Mauer sprangen.

"Und du sagst, ich bin die Wahnsinnige", musste Rin darüber lachen, dass die Maschine lediglich ein paar Schrammen abbekommen hatte. Sie hatten Glück. Seit einem Jahr wuchs entlang der Mauer Gras, dass seit dem Frühjahr gut fünfzig Zentimeter in die Höhe spross.

"Nicht wirklich", grinste Lumina zurück, "vor 'nem halben Jahr bin ich mal mit einem Bekannten von 'ner Party heimgekehrt und irgend so ein Idiot hatte die Haustür abgeriegelt. Da blieb uns nichts anderes übrig als die Kleine hier über die Mauer zu hieven."

"Und warum hast du mich nicht angerufen?"

"Du warst bei deinen Eltern und ich einfach nur total blau."

"Und geil."

"Damit solltest du dich ja am besten auskennen."

"Halt bloß die Klappe und fahr mich zur Kaiba Corp."

"Mit dem größten Vergnügen, Frau Yamamori", Lumina zwinkerte neckisch und startete den Motor. Sie nahmen die zwei Helme, die ihre Freundin gerne an das Hinterteil der Maschine befestigte, stülpten sie sich über und fuhren los.

Gerade aus den Hof gedüst, sahen sie schon ein dutzend Pressefotografen und Journalisten. Das Moped raste nach rechts, als die Gruppe zum ersten Mal die beiden bemerkte. Nach einem kurzen Versuch, der Maschine zu folgen, die anfangs etwas brauchte, bevor sie an Tempo gewann, hatten sie die kleine Meute abgewimmelt.

"Danke", rief Rin, die dem kleinen Menschenfleck hinterher blickte, bis sie ganz verschwunden waren.

"Na, was sagst du jetzt", lachte Lumina und konzentrierte sich auf den Wochenverkehr, "wenn du unter die Top drei kommst, schuldest du mir ein neues Moped."

"Du hast doch meinen Auszug gesehen: Ich kaufe dir eine verdammte Dukati!"

"Nur nicht übermütig werden", schrie ihre beste Freundin, bevor sie in das schallende Lachen einstimmte.
 

Es dauerte seine Zeit, bis sie das Hochhaus der Kaiba Corporation erreicht hatten. Innerhalb der Woche war es unmöglich, das Banken- und Geschäftsviertel ohne den üblichen Stau zu überstehen, der sich über Kilometer hinziehen konnte, dass die Wolkenkratzer kaum auszumachen waren. Vorbei an gestressten Arbeitern, angespannten Familienvätern, die ihre Jüngsten in die Schule beförderten und scheinbar nur darauf warteten, ihren Frust der Woche an ihren Fahrzeugen auszulassen, war die Fahrt zur Firma eine Mischung aus Geduldsprobe und Konzentrationsspiel. Lumina schien da ganz in ihrer Rolle der hektischen Mopedfahrerin aufzugehen. Sehr zum Frust der anderen, überholte sie einige Kleinwagen, zwängte sich an der Ampel bis ganz nach vorne und hängte sich an ein oder zwei Kombis, dass nicht viel fehlte und sie hätten das Hack an ihre Nasenspitzen gehabt. Jetzt erinnerte sich Rin auch wieder, warum sie nur selten mit der Schwarzhaarigen fuhr - sobald sie abstieg, begann der Kopf sich wie ein Kreisel zu drehen. Schnaufend riss sie den Helm vom Kopf und atmete die frische Hochsommerluft ein. Nur Lumina schien völlig gelassen, sie genoss geradezu ihre Fahrten, während Rin für den Rest der Woche damit abgespeist wäre.

"Bis später", winkte die Schwarzhaarige und startete wieder den Motor, "ich halt dich auf dem Laufenden, was die Meute vor unserer Wohnung macht."

"Die haben doch gesehen, dass ich nicht mehr dort bin", winkte Rin ab, "ich denke, bis zum Feierabend wird alles wieder beim Alten sein...Schau dich nur mal hier um", sie drehte den Kopf und zeigte auf die Fußgängerzone, "bis hierhin sind sie mir auch nicht nachgelaufen. Wer weiß, warum sich die Presse ausgerechnet unser Zuhause ausgesucht hat."

"Wollen wir es hoffen", entgegnete ihre beste Freundin trocken und winkte noch einmal zum Abschied, bevor sie im Eiltempo in den Straßen Domino Citys abtauchte.

Rin tat einen tiefen Seufzer. Sie hatte bereits damit gerechnet, vor dem Firmengebäude von lästigen Paparazzis attackiert zu werden. Noch hatte sie die Bilder des gestrigen Sieges nicht vollständig verarbeiten können. Besonders als die Presse wie Asgeier auf sie losgegangen war. Nur wegen einer Monsterkarte.

Na gut: nicht irgendeine, und eigentlich waren es drei.

So wirklich wollte sie nicht durch die Drehtür. Nicht, nachdem sie sich ein inoffizielles Tabu geleistet hatte, das noch niemand in der Geschichte von DuelMonsters gewagt hatte - Seto Kaibas Karten zu spielen. Im Eiltempo marschierte sie in die Vorhalle, wo sie bereits Blicken ausgesetzt wurde, die eindringlicher als beim letzten Mal waren. Schon da hatte Rin nicht gewusst, wie sie darauf reagieren sollte. Diese Augenpaare jedoch waren keine stummen Beobachter.

"Morgen, Yamamori", lächelte sie ein junger Mann an.

War das nicht der Kerl von neulich?

Zwei weitere Angestellte begrüßten die junge Frau, die lediglich an ihnen vorbeischritt als wäre der Teufel persönlich hinter ihr her. Am Empfang erreichte sie ein perfekt getimetes Lächeln. Die Empfangesdame zeigte ihre frisch gebleachten Zähne, die im grellen Neonlicht leuchteten: "Einen wunderschönen guten Morgen, Frau Yamamori, und herzlichen Glückwunsch zu Ihrem gelungenen Sieg. Ich soll Ihnen mitteilen, dass Sie für achtzehn Uhr in das Chefbüro zitiert worden sind. Außerdem wünscht Sie Herr Senjin zwölf Uhr zu sehen und weitere Themen Ihres Vertrages zu besprechen. Sollten Sie noch fragen haben, wenden Sie sich an die Personalabteilung oder kommen Sie einfach zu mir. Ich werde Ihnen gerne helfen."

Seit wann spricht Blondie mehr als zwei Worte mit mir?

"Ich werde es mir merken", entgegnete Rin mit einem Nicken. Dann setzte sie ihren Weg fort. Vorbei an der großen Digitaluhr, die ihr sagte, dass sie noch genug Zeit hatte.

Und nun?

Warum war sie nochmal so früh aufgestanden? Im stetigen Kampfschritt durchquerte sie die Schließfächer der Mitarbeiter. Als dann noch ihr Magen in krampfhaften Schüben zu rebellieren begann, war ihre Laune weit unterhalb des Erdgeschosses. Sie verstand nicht, was alle Welt von ihr wollte. Warum noch mehr Meetings, wieso diese sinnlosen Analysen und Besprechungen. Rin hatte gerade die erste Vorrunde bestanden, sie musste erst einmal wieder Kräfte sammeln, wieder zur Besinnung kommen und nicht in den nächsten Trubel gerissen werden. Und jetzt auch noch Kaiba persönlich, der sie zu sprechen wünschte. Sie biss sich auf die Lippen, ermahnte sich, nicht an ihren Traum zu denken und beschäftigte sich mit dem Inhalt ihres Spinds, in dem bereits ein neuer Gehaltszettel auf sie wartete.

Und das hier?

Ein weiterer, weitaus schmalerer Briefumschlag lag direkt darunter. Der Inhalt fühlte sich fester an, fast so…

Eine DuelMonster Karte?

Eindeutig war das lizensierte Hintergrund-Logo zu erkennen. Rin drehte die in Folie gelegte Karte um und erschrak ein weiteres Mal an diesem Tag. Ihr Kopf arbeitete, während ihr Herzschlag bereits schneller war und Luftsprünge vollführte. Ihre Augen verschlangen das Bild, fingen es mit einem aufspringenden Blitzen auf. Noch nie hatte sie diese Karte in den Händen gehalten.
 

Die Fallenkarte Kartenvernichtungsvirus war keine gewöhnliche Karte. Sie gehörte der Seltenheitsstufe eins an - eine Seltenheit, die nur Raritätenkarten der ersten Editionen besaßen. Diese Falle gab es damals nur in einem Boosterpack, in sehr geringer Stückzahl. Sie kannte nur einen Duellanten, der im Besitz dieser Karte war. Ein Schauer durchfuhr der Braunhaarigen, die noch nicht ganz fassen konnte, dass sie gerade ihre Lieblingskarte in den Händen hielt. Abgesehen von ihren Drache-Monstern gehörte diese Falle zu ihren absoluten Favoriten. Zusammen mit einer weiteren Karte aus ihrer Sammlung könnte sie nun ihre Lieblingskombi ausprobieren - die ultimative Vernichtungsstrategie.
 

Langsam kam sie zu sich. Vorsichtig griff sie nach ihrer Duellbox, die sie zuvor an einem ledernen Gürtel um ihre Hüften geschnallt hatte, öffnete diese und verstaute ihre neueste Errungenschaft in die Nähe ihres weißen Nachtdrachen.

Sie schloss behutsam die Box. Später würde sie das hübsche Ding genauer untersuchen. Wenn sie Zeit und Ruhe fände, vielleicht nach der Besprechung mit ihrem Vorgesetzten.
 

"Sie machen Scherze, Senjin", Rin schüttelte den Kopf (für einen einzigen Tag, der sich noch nicht einmal dem Ende geneigt hatte, hatte sie das heute schon sehr oft tun müssen). Doch diesmal grenzte es an puren Spott.

"Aber nicht doch", lächelte sie ihr Gesprächspartner an - ein falsches, nie dagewesenes Lächeln, das Rin innerlich schütteln ließ. Zwar kannte sie den verängstigten Ausdruck, den ihr Vorgesetzter gerne einsetzte, sobald sein Boss zugegen war; nur nicht, dass er Rin in einer ähnlichen Weise gegenüber saß. Fast schon freundlich, dass es einem die Kehle hochkam.

Langsam verstehe ich, warum Kaiba immer so dreinblickt. Wenn ich mir vorstelle, jeden Tag so angesehen zu werden, kann man ja nur noch eklig werden.

"Frau Yamamori", setzte Senjin erneut an, sichtlich bemüht seine Laune beizubehalten, "dieser neue Vertrag", er zeigte auf das Schriftstück, welches er näher zu ihr hinschob, "ist deutlich zu ihren Gunsten. Ein paar zusätzliche Klauseln bezüglich Geheimhaltung und Verpflichtungen, aber das versteht sich von selbst."

"Das sehe ich", nur zu deutlich sprang ihr die Gehaltssumme entgegen. Ganz so ähnlich hatte ihr Kontoauszug ausgesehen. Sämtliche Farbe wich aus der jungen Frau, dass sie ihm den Vertrag zurück schob: "Aber ich kann diesen Bedingungen nicht zustimmen." Senjin starrte sie perplex an: "Sie scheinen nicht zu verstehen, Frau Yamamori."

"Doch, das tue ich und ich lehne eine Gehaltserhöhung ab."

"Wa-? Ich verstehe nicht ganz."

"Ich habe bereits eine Verschwiegenheitsklausel unterschrieben...mehrmals, wenn ich mich recht entsinne. Meine derzeitigen Konditionen entsprechen eher meinen Wünschen. Ich sehe keinen Grund, meinen jetzigen Vertrag aufheben zu lassen."

Ihr Gegenüber schien die Informationen nur sehr langsam zu verarbeiten.

"Sie…", ein Schweißtropfen rann seine Schläfe hinab, "Sie können nicht ablehnen...Ich meine, es wäre ein Fehler, sich diese Chance entgehen zu lassen. Ich glaube nicht, dass Herr Kaiba", er schluckte schwer, "ein zweites Mal so großzügig sein wird."

"Sagen Sie Herrn Kaiba, dass ich die aufgeführten Aufgabenfelder gerne ausführen werde, ich jedoch keinen Grund sehe, einer neuen Vertragsordnung zuzustimmen." Senjin kämpfte mit dem letzten Funken Freundlichkeit, den er aufbringen konnte: "Ich habe noch nie erlebt, dass sich jemand wehement gegen eine Gehaltserhöhung sträubt", er betonte seinen Unglauben, indem er heftig mit dem Kopf schüttelte. Rin interessierte wenig, was ihr Gegenüber von ihr dachte. Noch vor wenigen Wochen war sie wie ein naives Mädchen behandelt worden. Jetzt schien man ihr die Füße lecken zu wollen. Bereits seit Rin das Büro betreten hatte, wirkte Senjin um hundertachtzig Grad gewandelt. Scheinbar schien die gesamte Belegschaft einen Wechsel erfahren zu haben, der für Rin nicht an Speichelleckerei zu überbieten war - zumindest in ihrer Welt, in der Leute wie sie zu den Arschkriechern zählten und nicht umgekehrt.

Gerade dieser abrupte Wandel ließ die junge Frau innerlich kochen. Sie wollte einfach nur normal und ihren Fähigkeiten entsprechend behandelt werden. Scheinbar war in der Welt von DuelMonsters nur das eine oder andere möglich.

"Ich bleibe bei meiner Entscheidung", dabei sah sie Senjin mit einem Blick des Endgültigen an, dass dieser sich auf die Lippen biss, bevor die Stimme der Resignation aus ihm sprach: "In Ordnung. Ich werde es so weiterleiten. Damit wäre alles gesagt worden."

"Gut", damit erhob sich Rin und wappnete sich bereits für die nächsten Heuchler, denen sie bis zum Feierabend über den Weg laufen würde.
 

Laut stieß sie die Luft aus, nachdem sie die letzten Besprechungen hinter sich gebracht hatte und sich auf einem der Plastikstühle niederließ, welche zum Standardequipment der Firmenkantine zählte. Bis auf ein paar Bilder der Hafencity, die wohl aus dem letzten Jahrhunderts geschossen worden sein mussten, wurde die Halle sehr kahl und trostlos gehalten. Dies war auch der Grund, warum Rin bisher keinen Fuß in diese düstere Halle gesetzt hatte - es spiegelte nur die Stimmung der Mitarbeiter wider; die leeren Gesichter und ausdruckslosen Mienen, dass Rin allein bei dem Gedanken der Appetit verging. Doch heute war sie dankbar, nicht das Kaiba Building verlassen zu müssen. Nachdem sie die letzte Nachricht von Lumina gelesen hatte, wollte sie nicht länger als nötig einen Fuß hinaussetzen. Zwar waren es nur ein paar Schritte bis zum Café, doch heute war ihr wenig nach Plaudereien zumute, dass sie keine gute Gesellschaft abgegeben hätte.
 

Nachdem sie eine Hühnersuppe bestellt hatte und an einem der rund hundert Tische Platz genommen hatte, zückte sie ihr Smartphone heraus und blätterte die Nachrichten durch. Nach einigen lästigen Mails und Kontaktversuchen Seitens alter Klassenkameraden, von denen sie seit Abschluss nichts mehr gehört hatte, las sie erneut Luminas Textfluss:
 

11:45Uhr "Schlechte Nachrichten: die Bekloppten belagern noch immer das Haus. Keine Ahnung, wo die alle herkommen, aber es scheinen nicht weniger zu werden."
 

13:30 Uhr: Okay, das wird hier scheinbar nichts. Ich musste mich in unserer Wohnung verschanzen. Sie haben mitbekommen, dass ich zu dir gehöre. Keine Ahnung, wann die verschwinden.
 

15:27 Uhr: Ganz im ernst: DAS WIRD NICHTS!!! Ich habe nächste Woche mündliche Prüfung verdammt!
 

15:29 Uhr: "Werde kurzfristig zu Hotaru ziehen. Du solltest dir auch eine Alternative suchen... wohnt nicht Yamato in der Nähe der Firma?
 

15:49 Uhr: Geh bloß nicht auf die Schlagzeilen des Tages!!! Auch wenn's dir schwer fällt: ruf Yamato an. An die Adresse deiner Eltern werden sie bestimmt auch schon gekommen sein.
 

16:03 Uhr: Auch wenn du eine Woche lang nicht mehr mit mir sprichst...ich hab Yamato geschrieben. Wenn er dir anbietet, bei sich zu wohnen (und wir wissen beide, dass er da tun wird), dann mach' es vedammt!
 

Geistesabwesend stocherte Rin in ihrer Suppe herum. So hatte sie sich den Ruhm nicht vorgestellt. Sie wusste, dass die Schwarzhaarige keineswegs zu Übertreibungen neigte, eher im Gegenteil. Es musste schon wild zugehen, dass Lumina bei ihrer Cousine Unterschlupf suchte. Für gewöhnlich pflegten die beiden einen distanzierten Kontakt zueinander, der lediglich an Geburts- und Feiertagen stattfand. Mies fühlte sich die junge Frau, die ihre Menschen scheue Freundin in einen derartigen Rummel verwickelt hatte. Sie schrieb ein paar Worte an den kleinen Wuschel, bevor sie sich Yamatos Nachrichten widmete. Wie Lumina bereits vorhergesagt hatte, bot er ihr ohne mit der Wimper zu zucken, einen Platz in seinem Zweizimmerapartment an. Die Nähe zur Kaiba Corporation und die Tatsache, dass sie nicht zu ihren Eltern konnte, selbst wenn sie gewollt hätte, ließ sie sämtliche Scham abwimmeln, die noch wie ein Rockzipfel an ihr hing und sie an die> alten Sitten< erinnerte. Ein einfaches ja und danke tippte die junge Frau ohne hinzusehen, bevor die Antwort auch schon versendet wurde. Langsam steckte sie ihr Telefon zurück in ihre Hosentasche, bevor sie sich dem einzigen Trost des Tages widmen konnte, der sie wenigstens wieder Lächeln ließ. In aller Stille - selbst die Dame hinter der Theke war bereits in ihren Feierabend gegangen - betrachtete sie ihr neues Geschenk. Noch immer durchzuckte sie ein Schaudern, noch immer verstand sie nicht, wie die Fallenkarte in ihrem Schließfach gelandet war. Ein Versehen konnte es unmöglich gewesen sein, wenn es auch nicht in ihren Kopf ging, wofür dieser Bonus gewesen sein sollte. Unheimlich war der Gedanke, dass jemand von ihrer Vorliebe gewusst haben könnte. Im Schein des künstlichen Lichts betrachtete sie die Reflektionen der Kartenhülle. Trotz des beinahe perfekten Zustandes war doch die ein oder andere Abnutzung zu sehen. An den Rändern, wenn man genau hinsah, ließ sich erahnen, in wie vielen Kämpfen diese Falle eingesetzt worden war.

Ich möchte zu gerne wissen, wer sie in mein Spind getan hat. Und nein, ich denke jetzt nicht an das Naheliegendste - noch bin ich nicht völlig verblödet.

"Na, du auch hier?" Ein dunkler Schatten stand direkt vor Rins Tisch, dass sie erschrocken die Karte umklappte und zu der Stimme hinauf sah. Mit einem breiten Grinsen, dass die braunen Augen zu funkeln begannen, sah der jüngere der Kaiba Brüder zu der jungen Frau herunter. In seiner rechten Hand hielt er zwei Colaflaschen, die er wohl aus dem Automaten am Seiteneingang besorgt hatte. Als die Braunhaarige zaghaft zurück lächelte, setzte sich der Schwarzhaarige einfach auf den gegenüberliegenden Stuhl, streckte die Beine lang und stellte eine der Flaschen neben Rins Suppenschale.

"Du siehst ganz schön geschafft aus", entgegnete der junge Kaiba und legte den Kopf schief, "etwa die Nacht durchgefeiert? Ich würde es dir nicht verübeln. Du hättest es dir echt verdient."

"Eher weniger", erwiderte die Braunhaarige und spießte ein paar der Udon-Nudeln aus der Brühe, "ich bin glaube nur etwas überfordert."

"Überfordert?", blinzelte der Wuschelkopf, "Wieso das denn?"

"Ach", sie schüttelte den Kopf und sah zur Decke, "ich weiß, dass ich nicht darüber jammern sollte...ich bin es einfach nur nicht gewohnt, so viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Dieser ganze Trubel wegen des Duells. Du hättest die Arschkriecher von Marketingexperten erleben müssen. Als wäre ich die Königin der Sammelkartenspiele."

Mokuba fing an zu kichern und öffnete den Schraubverschluss seiner Flasche: "Ich sehe es vor mir. Bestimmt haben sie dir erzählt, wie sie deine >Genialität< noch besser in Szene setzen können."

"So in der Art."

"So sind die immer, wenn sie frische Beute gewittert haben. Im Vergleich zur Presse werden sie aber harmlos gewesen sein."

"Presse…", Rin dachte an die Meute vor ihrer Wohnung. Ob sie immer noch dort Wache schoben?

"Meinst du", setzte Mokuba an, nachdem er einen kräftigen Schluck genommen hatte, "du hast die Nachrichten noch nicht gelesen?"

"Meine Freundin meinte, ich sollte es lieber lassen."

"Findet sie? Die schreiben aber nur Gutes über dich."

"Lass' mich raten", auch Rin schraubte den Deckel ab, " Duellmadness "

"Die meisten Leute würden es begrüßen, mit meinem Bruder verglichen zu werden."

"Sicher", knirschte Rin mit den Zähnen, "ich hätte wissen müssen, dass so etwas passieren würde. Nach all den Jahren hat sich nichts geändert. Es ist meine Schuld. Sobald ich in einem Duell stecke, schalte ich alles um mich herum aus. Dann zählt nur noch der Sieg."

"Das kann man in deinen Augen sehen", nickte Mokuba ernst, "ich verstehe nur nicht, warum dich die ganze Aufmerksamkeit so überfordert. Schließlich arbeitest du doch schon seit Wochen darauf hin. Schon in Battle-City hast du ziemlich viel Aufmerksamkeit auf dich gezogen."

"In Battle-City", Rin stellte ihre leere Schale beiseite, "ich habe da völlig ausgeblendet, dass die Kameras laufen. Ich habe einfach nur meinen Job getan. Deshalb bin ich doch hier. Um mich zu duellieren und um zu gewinnen. Der Rest ist völlig nebensächlich", sie musste schmunzeln, "es ist eher lästig. Ich hätte nie gedacht, dass ich so empfinden würde, aber mir war es lieber als mich alle unterschätzt und nicht beachtet haben."

Mokuba prustete: "Der Zug ist definitiv abgefahren. Aber nimm' es nicht so schwer. Nicht jeder geilt sich so an seiner Beliebtheit auf wie es ein paar "Experten" tun. Yugi zum Beispiel: Er war anfangs viel zu schüchtern, obwohl ihn alle Welt als König der Spiele bezeichnet. Er lebt noch heute sein bescheidenes Leben im Spieleladen seines Großvaters. Du siehst, auch diese Seite ist möglich."

"Der König der Spiele", murmelte Rin, die sich nicht vorstellen wollte, wie viel Trubel um ihn herrschte- auch nach seiner DuelMonsters-Karriere. Mehr zu sich selbst murmelte die junge Frau: "Der König der Spiele hat auch sicherlich nichts dagegen, wenn man seine Monsterkarten spielt."

"Ich kenne auf jeden Fall jemanden, der das weniger entspannt nimmt", Mokuba grinste schief, dass Rin zügig ein paar Schlücke nahm.

"Ich weiß, dass er mich noch köpfen wird."

"Das denke ich nicht."

Rin sah ihn mit aufgerissenen Augen an: "Ich habe in knapp einer Stunde einen Termin. Sicher wird er mich nicht sehen wollen, um mir zu gratulieren."

"In einer Stunde sagst du?", der Schwarzhaarige kratzte sich am Kopf, "bist du dir sicher?"

"Ich habe es mehrmals bestätigt bekommen."

"Hm", Mokuba verschränkte die Arme vor der Brust, "um diese Zeit bestellt er in der Regel niemandem zu sich. Er ist nach Feierabend nur noch mit seiner...Arbeit beschäftigt. Wenn er dich also wirklich sehen wollte, dann wird es nur etwas Geschäftliches sein, dass sich nicht aufschieben lässt." Mehrmals tippte sich der junge Kaiba ans Kinn, als könnte er noch nicht ganz glauben, dass Rin sich nicht vertan hatte: "Mach' dir keine Gedanken", damit bekam sein eher rundes Gesicht sein gewohntes Lächeln zurück, "Seto ist nicht sauer auf dich. Ich kenne meinen Bruder: wenn er wütend ist, sieht es ganz anders aus und er hätte es dich auch sofort wissen lassen. Sicher, er wird nicht begeistert gewesen sein, aber er respektiert Spieler mit Selbstbewusstsein und Mumm."

Respekt. Ist das wirklich möglich?

"Danke Mokuba", lächelte sie ihn an, "du hast mich daran erinnert, wieso ich überhaupt Duellant geworden bin."

Mokuba hob grinsend die halbleere Flasche hoch: "Ich danke dir. Es hat Spaß gemacht zu sehen, wie du die Ehre unserer Firma verteidigt hast. Ich glaube, nicht einmal Seto hätte es besser hinbekommen können. Ich bin froh, dass du zu unserem Team gehörst."

"Ich auch", erwiderte Rin, bevor sie mit dem schwarzhaarigen Wuschel anstieß.



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