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Einen Versuch ist es wert

PP Adventskalendertürchen 15
von

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Einen Versuch ist es wert
 

Die Kälte kroch ihm durch die Nähte seiner Jacke, während David sich durch den Schnee, der ihm immer wieder ins Gesicht gepustet wurde, kämpfte. Mittlerweile hatte das Schneetreiben zugenommen und der Feuerwehrmann hatte den Schal bis über die Nase hoch gezogen.
Er hatte telefonisch versucht sie zu erreichen. Selbstverständlich war sie nicht ran gegangen. Bei den letzten Versuchen hatte die Computerstimme am anderen Ende ihm schlicht gesagt, dass der Teilnehmer nicht zu erreichen war. Vermutlich hatte sie einfach nicht mehr den Akku ihres veralteten Telefons aufgeladen. Oder hatte es ganz und gar versetzte. Wobei er ihr das nicht wirklich zutraute. Sie hatte ihm versprochen, dass sie das Telefon bei sich behielt. Für Notfälle. Nachdem sie ihn einen Softie genannt hatte, hatte sie zugesagt das Mobiltelefon regelmäßig aufzuladen. Eigentlich hielt sie sich an Abmachungen. Eigentlich.

Während die Umgebung langsam herunter gekommener wurde, wusste David, dass er in die richtige Richtung ging. Oft hatte er sie hier nicht besucht - eigentlich hatten sie sich das letzte Mal vor Monaten gesehen. Aber er wusste, dass er derjenige sein musste, der den Kontakt irgendwie aufrecht erhielt. Sie schaffte es momentan vermutlich einfach nicht. Schließlich stoppte er vor einem Hauseingang und kontrollierte die ausgeblichenen, überklebten oder schlicht nicht ausgefüllten Klingelschilder.

Mit etwas bibberndem Unterkiefer zog er die Hände aus den Taschen und hauchte sie kurz wärmend an, ehe er auf den passenden Klingelknopf drückte. Nichts.

Sollte es ihn wundern, dass er aus dem Inneren des Hauses nichts hörte? Vermutlich war der Strom abgestellt oder die gesamte Klingelanlage funktionierte schlicht seit einer Ewigkeit nicht mehr. Zuzutrauen wäre es diesem Viertel. Probeweise drückte der Feuerwehrmann die Tür, die sofort mit einem leisen Klicken ein Stück aufschwang. Kurz darauf hatte er die frierenden Hände wieder in den Jackentaschen versteckt und hatte mit dem Aufstieg der verdreckten Treppen begonnen. Drei Stockwerke später stoppte er vor einer unscheinbaren Tür und drückte erneut die Klingel. Wieder blieb sie stumm. Resigniert klopfte er.
 

Sie hatte keine Ahnung wie lange das Klopfen an der Tür schon andauerte, bis Bobby sich eingestand, das wer auch immer vor der Tür stand, definitiv nicht wieder gehen würde. Mit etwas Mühe hatte sie sich auf die Kante ihres Matratzenlagers gehievt und versuchte ihren Kreislauf in den Griff zu bekommen. Wieder klopfte es an der Tür.

Fuck. Ich bin ja da!“ Fluchtend richtete sich die hochgewachsene Frau auf und griff nach ihrem viel zu weitem Pullover um ihn sich über die knochigen Schultern zu werfen. Ohne sich die Mühe zu machen die schmutzige Kleidung aus dem Weg zu schieben, stapfte sie den kurzen Weg zur Tür. Wenn Nadia das war, würde sie sie sofort wieder zurück ins Heim schicken.

Auch wenn sie regelmäßig das Gegenteil behauptete: Bobby mochte das Mädchen. Sie mochte sie wirklich. Aber definitiv konnte sie sie gerade nicht gebrauchen. Nicht nur um Bobbys Willen… das hier war gerade noch weniger die richtige Umgebung für ein Kind als es sonst schon war.

Als Bobby schließlich die Tür etwas öffnete, war dort nicht Nadia. „Spielen wir den Geist der vergangenen Weihnacht, oder was?“ „Deinem Gesicht nach zu urteilen bin ich das tatsächlich, Ebenezer Scrooge.“ Es war eine Weile her seit sie David gesehen hatte. Zwar hatten sie sich in den letzten Jahren immer weniger gesehen, aber zumindest zu den Feiertagen trafen sie sich. Eigentlich. „Darf ich rein kommen?“

Schnaubend war die Mechanikerin zur Seite getreten und hatte dem Feuerwehrmann Platz gemacht. Sie konnte deutlich sehen, wie sein Blick durch die kleine Ein-Zimmer-Wohnung huschte. Wie er das ungemachtet Matratzenlager und die verschwitzten Bettlaken ansah… zu dem defekten schwarz-weiß-Fernseher und der Küchenzeile, die tatsächlich nicht sonderlich unordentlich war, was in erster Linie allerdings damit zusammen hing, dass Bobby momentan schlicht nicht wirklich etwas aß, wanderte. Schließlich sah er zu ihr. „Ich würd' dir ja ’n Kaffee anbieten, aber ich glaub du bleibst nich’ allzu lang“, murrte sie mit provozierenden Unterton, während sie die Arme um den Oberkörper schlang und unwillkürlich die Nase hoch zog. „Ich hab dich an Thanksgiving vermisst“, war Davids nüchterne Antwort darauf. „Hatte zu tun“, war Bobbys knappe Antwort. Keiner von ihnen machte Anstalten sich irgendwie setzen zu wollen. „Schade… Rebecca hat dich vermisst.“ „Da war sie auch die Einzige.“ Sie konnte sehen wie Davids Blick sich veränderte. Bobby wusste, dass David sie vermutlich ebenso vermisst hatte. Die beiden waren in jungen Jahren wie Bruder und Schwester geworden. Im Teenageralter war David der einzige gewesen, mit dem Bobby wirklich reden konnte. Vermutlich hätte ihr Cousin sie jetzt gerade zu gerne angeschrien. Vermutlich wollte ein Teil in ihr genau das. Aber David schrie nicht. Stattdessen musterte er sie wieder. Sofort führte die Mechanikerin sich unwohler als ohnehin schon. Sie brauchte ihn nicht um zu wissen, wie sie gerade aussah. Die tiefen Augenringe und die struppigen Haare waren nicht das, was ihm erzählte, was er wissen musste. Auch jetzt stand der Mechanikerin feiner Schweiß auf dem Gesicht. Dazu kam, dass sie zitterte und schlicht und ergreifend absolut unruhig und angespannt wirkte. Dazu noch ihre laufende Nase und das bleiche Gesicht…

Bobby war erkennbar pleite. Und was passierte mit einem Junkie, der keine Kohle mehr hatte? Jeder mit Verstand konnte sich das zusammen reimen. David machte sich nicht einmal die Mühe das Offensichtliche auszusprechen. Er ging direkt ans Eingemachte.

„Wann warst du das letzte Mal in der Klinik, Bobby?“ Man konnte sehen wie bei der Brünetten die mentalen Rollläden herunter schnellten. Ihr Blick verengte sich. „Mir gefällt nich’, wo dieses Gespräch hinführt…“ Fuck, sie kannten sich eindeutig viel zu lange. Jeden anderen hätte sie direkt vor die Tür gesetzt - vermutlich hätte sie sie nicht einmal für jemand anderen geöffnet. „Was denn? Du weißt, dass du Hilfe brauchst. Du packst das nicht alleine.“ „Vielleicht will ich das auch nich’. Schon mal daran gedacht? Vielleicht bin ich zufrieden mit diesem abgefuckten Leben?“ Okay, jetzt war sie es, die David zu gerne die Faust ins Gesicht geschlagen hätte.

„Aber ich nicht, okay? Ich hab keine Lust irgendwann zu einem Einsatz gerufen zu werden und zu merken, dass du die hilflose Person bist, die an einer Überdosis verreckt ist!“ Jetzt wurde auch er lauter. „Überraschung. Es geht verdammt noch mal nicht um dich, David! Und wenn du nur hier bist um mir Vorträge zu halten, kannst du dich direkt verpissen.“ Schwungvoll hatte sie auf die Tür gedeutet. Der Ärmel ihres Pullovers entblößte ein Stück ihres zerschundenen Unterarmes.

Es war fest gefahren. Sie waren einander einmal so unendlich nah gewesen, nahezu unzertrennbar. Und mittlerweile konnten sie nicht einmal ein Gespräch führen, ohne das es ausartete.
„Schön. Von mir aus. Vermutlich hast du dir ohnehin schon den letzten Rest gesunden Menschenverstand abgetötet!“ Nun ebenfalls sichtlich angestochen, hatte der Feuerwehrmann die Tür angesteuert.

Bobby wusste, dass sie gerade unfair war. David machte sich schlicht Sorgen um sie. Aber die Brünette hatte schon immer Probleme mit Konfrontationen gehabt. Besonders dieses Thema besprach sie schlicht nicht. Mit niemandem. Ohne Ausnahmen.

„Komm zumindest Weihnachten vorbei… wenigstens Weihnachten, Bobby.“ Die Mechanikerin deutete ein Schulterzucken an. „Weiß nich’ ob ich’s schaff’.“ Mit diesen Worten hatte sie schließlich die Tür hinter David geschlossen und sich mit beiden Händen durch die Locken gefahren.

Sie brauchte definitiv eine Zigarette. Oder was Stärkeres.
 

Als er nach ein paar Tagen am späten Vormittag von seiner 24-Stunden-Schicht nach Hause in seine Wohnung trat, war Davids Laune vollkommen im Keller. Die wenigen Einsätze hatten ihn körperlich mehr angestrengt als gewöhnlich, was sicherlich auch auf seine Ablenkung zurück zu führen war. Noch dazu hatte er sich irgendwie ungeschickt fest gehalten und seine Schulter schmerzte. Seine Jacke landete achtlos über seinem Küchenstuhl und der Rucksack direkt daneben. Gerade als er sich mit müdem Blick schmerzgeplagt die Schulter rieb, klingelte es an der Tür.

Schnaubend war er die wenigen zurück gelegten Meter zur Haustür zurück geschlurft und hatte sie geöffnet. In der nächsten Sekunde war die Erschöpfung Irritation gewichen.

Bobby Nicks hatte den Kragen ihrer Lederjacke aufgestellt. Die Hände hatte sie unter die Achseln geklemmt. David musste sie nicht sehen um zu wissen, dass sie das typische Zittern an den Tag legte. Bobbys ganze Erscheinung… die laufende Nase, das unruhige Zucken, ihre gesamte Körperhaltung. Das hier lag definitiv nicht an der Dezemberkälte, die mittlerweile so klirrend kalt war, dass es ein Wunder war noch keine Blizzardwarnung gehört zu haben. Bobby war auf Entzug. Zwar hatte er sie schon beim letzten Mal in dieser Verfassung gesehen, aber das hier war eindeutig noch mal eine Nummer härter. Sie hatte also nichts mehr gedrückt.

Einen Moment lang starrten sie sich einfach nur an. Dann war es Bobby, die kurz Nase hoch zog und die angeschlagene Stimme erhob. „Jetzt werd’ bloß nich’ sentimental. Wenn du anfängst zu heul’n verpass’ ich dir eine.“

David fing nicht an sentimental zu werden. Genau genommen sagte er gar nichts. Sein Blick war auf den abgenutzten Rucksack über Bobbys Schulter gefallen. Schweigend war er wieder im Haus verschwunden ohne die Tür zu schließen. Die Mechanikerin wartete bis ihr Cousin wieder auftauchte. Der Feuerwehrmann hatte sich seine Jacke wieder übergeworfen und den Autoschlüssel aus der Tasche gekramt. Auf dem Weg zu seinem Auto legte er ihr einen Arm um die Schultern und zog sie zu sich runter um ihr beim Gehen einen stummen Kuss auf den Kopf zur geben.

Selbst wenn das Ganze hier nur zwei Tage anhalten würde… das war besser als nichts.



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