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Muting a Heart's Language

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Liebe ChiaraAyumi, ich hoffe, ich konnte dir mit dieser Wichtelgeschichte ein klein wenig Fluff und Dramatik schenken. (: Komplett anzeigen

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Rumour has it

„Yuki kommst du nach der Schule mit, Dekoration für das Schulfest auszusuchen?“
 

Solche Fragen waren für Toya Kinomoto nie ein Problem gewesen. Es war eine Selbstverständlichkeit, dass er und Yukito miteinander rumhingen und beinahe alles miteinander unternahmen. Seien es alltägliche Dinge wie Einkaufen, Nebenjobs oder Besorgungen wie diese hier. Jahrelang war das Duo nur für sich gewesen.
 

Das Schöne an der Beschaffenheit von Selbstverständlichkeiten war, dass niemand sie zu hinterfragen versuchte. Jedoch schien sich diese Kausalität seit geraumer Zeit im Nichts aufzulösen. Irgendwann hatte irgendjemand das Bedürfnis verspürt, dem Yukito-Toya-Gespann einen Namen aufzudrücken und sie in eine Schublade einzusortieren. Das hatte vor allem Yukito nicht gepasst, der im Gegensatz zu Toya gerne ein chaotisches Leben ohne Titel und ohne Ordnung führte.
 

Immer wenn sie Gespräche überhörten, die ihren aktuellen Beziehungsstatus ansprachen, flüchtete Yuktio und blockte jegliche Gesprächsversuch Seitens Toya ab, bis dieser es aufgab. Irgendwann kehrten Sie wieder zu ihrem Status Quo zurück, bis der nächste ein unüberlegtes Wort darüber verlauten ließ und der Teufelskreis erneut begann.
 

Das erschwerte jegliche Konversation, die er mit Yukito führte erheblich. Was vorher als alltägliche Fragen und Worte in Toyas Mund gelegen hatten, entpuppten sich nun als riesige Ketten, die einfach nicht den Weg zwischen Zunge und Außenwelt überbrücken wollten. Fragen wie eben jene glitten Toya nicht mehr so einfach über die Lippen und Schuld daran war die ganze Welt. Nun, vielleicht nicht die ganze Welt. Aber eben jener Kosmos, der sich in und um ihr soziales Umfeld innerhalb der Schule drehte.
 

„Ich...kann heute nicht“, stieß Yukito zögerlich hervor. Das engelsgleiche Gesicht war dem seinen abgewandt, sodass er den Ausdruck seines besten Freundes nicht lesen konnte. Dafür verriet ihn die Tonlage und die verkrampfte Haltung. Toya seufzte innerlich. Wenn sie doch nur dieses alberne Gespräch zwischen ihren Klassenkameradinnen heute nicht mitbekommen hätten.
 

'Oh, da sind Toya und Yukito! Vielleicht frage ich Yuki, ob er mit mir zum Sommerfest geht', lautete das ungewollte Eröffnungsplädoyer einer ihrer Klassenkameradinnen, woraufhin ihre Freundin unbewusst die Rolle der Verteidigung übernahm: 'Sei nicht albern, du weißt doch, dass er mit Toya hingeht. Schließlich sind die beiden ein Liebespaar'. Daraufhin war eine erbitterte Debatte darüber entbrannt, ob es legitim war, Yukito nach einem Date zu fragen oder nicht. Es hatte damit geendet, dass die Mädchen sich uneinig waren und die beiden Subjekte des Gesprächs schweigend geflüchtet waren.
 

„Okay, kein Problem“, beschwichtigte Toya das Nervenbündel neben. Dabei ignorierte er den widerlichen Stich in seiner Brust, der ihm signalisierte, dass es sehr wohl ein Problem war. Dennoch beließ er es dabei, da er fürchtete, dass eine mögliche Konfrontation seinen Freund nur noch mehr unnötig beunruhigte. Stattdessen erhob er sich von der Bank, auf der sie ihr Mittagessen eingenommen hatten. Jetzt war es an ihm, die Flucht zu ergreifen.
 

Seitdem der Grauhaarige sich seiner zweiten Identität bewusst war und Yue als Teil seiner selbst akzeptierte, war viel von dessen naiver Persönlichkeit verloren gegangen. Yukito wirkte zu gleichen Teilen nachdenklicher und erleichterter. Nichtsdestotrotz brütete er ständig über Gedanken, die nicht einmal Toya voraussagen konnte. Befragt hatte er ihn dazu nicht. Wie auch, wenn sie über nichts mehr reden konnten oder wollten.
 

Daher beließ Toya es auch bei der Beschwichtigung und versuchte verzweifelt die Stille zu vertreiben, die sich wie ein ungeliebter Verwandter zwischen ihnen breit machte. Das angefangene Gespräch wurde zu einer unlösbaren Herausforderung und so stocherte Toya hilflos im Wortsumpf herum: „Gott sei Dank ist der Sommer fast vorbei, ich habe genug von dieser elenden Hitze.“ Als Antwort erhielt er lediglich ein zustimmendes Summen von seiner rechten Seite.
 

Toya gab es auf. Unruhig verlagerte er sein Gewicht von einem Bein aufs andere, während er die Arme abwehrend vor der Brust verschränkte. So verharrte er einige Minuten in erneutem Schweigen, ehe der Frust ihn so sehr zerfressen hatte, dass er seine Beine in Bewegung setzte. Ohne sich noch einmal umzudrehen, ließ er Yukito mit einem kurz angebundenen „Bis später“ auf der Bank sitzen und ignorierte den Blick, den er deutlich auf seinem Rücken spürte.
 

Während seine Beine ihn forttrugen, versuchte Toya sein Hirn mit allerlei organisatorischem Kram zu überschütten. Für eine Weile klappte diese Ablenkung gut. Er brauchte sich nicht einmal anstrengen, denn sobald er das Schulgelände betrat, begrüßte ihn eine Gruppe Schüler auf ihn zu, die alle zu demselben Dekorations-Komitee gehörten wie er selbst. Sie bombardierten ihn mit Fragen und Vorschlägen zu Beleuchtungen, Blumen und Bannern, die er Stück für Stück zu beantworten suchte.
 

Warum sie ihn zum unausgesprochenen Kopf des Deko-Teams ernannte hatten, war Toya schleierhaft. Vielleicht glaubten sie, dass er durch seine vielen Nebenjobs und sein Engagement im Sport und andersweitigen schulischen Aktivitäten mehr Ahnung von all dem hatte als sie. Dass diese Annahme vollkommen fehlgeleitet war, interessiert sie auch nach mehrmaligen Erklärungsversuchen nicht, weswegen Toya irgendwann beschlossen hatte, sich seiner Rolle zu fügen.
 

Der Leiter des Deko-Teams zu sein, war eine Aufgabe, der Toya sich gerne entzogen hätte. Allerdings hatte sich der eigentliche Deko-Leiter erst gestern eine fiese Sommergrippe eingefangen, weswegen Toya jetzt für ihn in die Bresche springen musste. Zu diesem Zeitpunkt hatte er noch fest mit Yukito gerechnet, der zumindest mit seinem sanften, zuversichtlichen Gemüt einen Ruhepol gebildet hätte. Da sein bebrillter Freund es aber vorzog, sich keinem Komitee anzuschließen und lieber überall da aushalf, wo Toya nicht war, stand der Braunhaarige nun allein in einem Meer aus ästhetischen Entscheidungen.
 

Unschlüssig schlenderte er über das Schulgelände ihres Gymnasiums, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Vielleicht sollte er einfach zum nächsten Blumenhändler fahren und dem seine unliebsame Aufgabe in die Hand drücken. Anderseits hatten sie ein sehr knapp bemessenes Budget zu berücksichtige, was jegliche Großeinkäufe inklusive Dekorateur unmöglich gestaltete.
 

Etwas abseits des Schulhofs blieb Toya am Zaun stehen, der das gesamte Gelände umschloss. Hier war er oftmals mit Yukito gewesen. Ähnlich wie jetzt spendeten die mächtigen Bäume genug Schatten, um hier zu zweit eine Schweiß-freie Mittagspause zu verbringen. Auch die dicht bewachsenen Büsche trugen zu der intimen Atmosphäre bei, die beinahe den Eindruck eines Geheimverstecks aus Kindertragen erweckte.
 

Hier hatte er Yukito mehr als einmal versucht zur Rede zu stellen. Zu gut erinnerte er sich an die Monate, in denen Yukito kaum aufrecht gehen konnte. Toya hatte ihn gedankenverloren bei diesen Bäumen gefunden und war entschlossen auf ihn zugegangen, hatte ihn mit seinem Körper an den Baum genagelt und ihm jeglichen Fluchtweg abgeschnitten.
 

Sein Herz war damals voller Entschlossenheit, Angst und Sorge gewesen. Dieser Gefühlscocktail war es auch gewesen, der die Worte in seinem Mund geformt hatten, die noch immer ihre Gültigkeit besaßen:
 

„Ich will nicht, dass du wegläufst.“
 

Damals hatte Toya vor allem Yue gemeint, der ohne Yuktios Wissen tief in ihm schlummerte. Er hatte Angst gehabt, dass Yuktios Bewusstwerden um diese Persona einen Fluchtreflex auslösen oder gar die bereits bestehende Amnesie verstärken würde. Ebenso hatte er befürchtet, dass wenn Yukito sich Yue nicht stellen würde, der Richter seine Scheinpersönlichkeit irgendwann auflösen würde.
 

Seitdem Toya seine Kräfte geopfert hatte, um Yue und Yukito am Leben zu erhalten, war diese Sorge kleiner geworden und für einen Augenblick hatte es sich sogar so angefühlt, als ob alles gut werden würde. Doch Glück war kein dauerhafter Zustand. Die Angst war zurückgekehrt und nahm lediglich eine andere Form an. Jetzt fürchtete er, Yukito würde nicht vor Yue, sondern vor ihm weglaufen. Aus der Angst heraus, er müsse sich irgendwelchen Begriffen wie 'fester Freund', 'Liebespaar', oder gar 'Beziehung' stellen.
 

Frustriert raufte Toya sich die Haare und stieß einen genervten Laut aus. Warum mussten seine Mitschüler auch anfangen, über sie zu reden? Immerhin ging das niemanden etwas an. Erst recht nicht die Menschen mit denen er lediglich eine Schulbank teilte.
 

„Du siehst so aus, als ob du jemanden zum Reden gebrauchen könntest“, die zaghafte Mädchenstimme ließ Toya ertappt zusammenfahren. Verwirrt wandte er den Blick zum Zaun. Dort stand Tomoyo mit einem leichten Lächeln auf den Lippen und in taktvollem Abstand, falls Toya sich entscheiden sollte, sich einfach umzudrehen und davonzugehen.
 

Die beste Freundin seiner Schwester sah aus wie aus einem Gemälde entsprungen. Ihr schwarzes Haar ergoss sich in langen Wellen und Kringeln über ihren Rücken, während das pastellfarbene Kleid keine einzige Falte aufwarf. Im Gegensatz zu Toya, der mit seinem zerknitterten, durchgeschwitzten Hemd und der schief hängenden Krawatte wirkte, als ob er gerade einen Marathon gelaufen war. Der gehetzte Ausdruck in seinem Gesicht tat vermutlich sein Übriges.
 

Gott sei Dank war Tomoyo dermaßen wohlerzogen, dass sie nicht mal den Blick von Toyas Gesicht abwandte, um all diese Makel in Augenschein zu nehmen. Argwöhnisch schaute er zu dem jungen Mädchen auf der anderen Seite des Zauns und runzelte die Stirn. Obwohl sie und Sakura schon jahrelang befreundet waren, hatte er nie viele Worte mit der Millionärstochter gewechselt. Worüber hätten sie auch schon reden sollen? Darüber, dass er wusste, wie sehr sie seine Schwester vergötterte? Über Mode? Wobei...
 

„Ich bin für die Dekoration unseres Schulfestes zuständig und überlege, wie ich das am besten Anstelle. Immerhin muss das Budget eingehalten werden und der Rest meines Komitees rennt lieber kopflos im Kreis, anstatt auf eigene Ideen zu kommen. Yukito zieht es ebenfalls vor, sich anderen Dingen zu widmen“, erklärte Toya, wobei der letzte Halbsatz ungewollt bitter klang.
 

In Tomoyos Augen begann es zu funkeln und ihr adrettes Lächeln intensivierte sich kaum merklich. Ob das jetzt daran lag, dass Toya auf ihre indirekte Frage eingegangen war oder an seiner Wortwahl konnte er nicht sagen. „Ich würde mich auf Lampions, Girlanden und einige wenige Sonnenblumen beschränken. Und du solltest weniger darauf achten, was andere über dich denken, als was du selbst von dir hältst“, riet ihm Tomoyo mit nachdenklichem Blick. Während die erste Satzhälfte noch vernünftig klang, katapultierte ihn die zweite vollkommen aus der Bahn.
 

Es war beinahe gruselig, wie Tomoyo derartig präzise seine Gedanken lesen konnte. Toya gab zu, dass er vermutlich mit der Aussage über Yukito etwas preisgegeben hatte, dass er lieber hätte für sich behalten wollen. Anscheinend hatte seine kleine Schwester Wind von Toyas Problemen bekommen, andernfalls wäre Tomoyo nicht in der Lage gewesen, dermaßen genau zu erraten, was ihn beschäftigte. Der Schrecken über diese Erkenntnis musste Toya buchstäblich im Gesicht gestanden haben, denn jetzt hob die Schwarzhaarige abwehrend die Hände.
 

„Ich möchte dir keinesfalls zu nahe treten. Ich dachte nur...nun ja, vielleicht kann ich dir auch diesbezüglich einen Rat geben“, Tomoyos Antwort wurde mit jeder Silbe leiser, sodass Toya am Ende des Satzes nur erahnen konnte, was sein Sinn beinhaltete. Es reichte dennoch aus, um ihm einen Stich des schlechten Gewissens zu verpassen. Tomoyo wusste, wovon sie sprach, schließlich war ihre Liebe zu Sakura ein unausgesprochenes Geheimnis. Vermutlich wurde sie auch schon mit den ein oder anderen Sprüchen oder Einschätzungen konfrontiert, die alles andere als angenehm waren.
 

Dies war der Grund, warum Toya Tomoyos Worten eine Chance gab und darüber nachdachte. Obwohl die Grundschülerin und den angehenden Absolventen in diesem Punkt einiges verband, so hegte Toya noch immer die Hoffnung, die Gerüchte und getuschelten Worte seiner Mitschüler hätten keinen dauerhaften Einfluss auf ihn und Yukito.
 

„Es interessiert mich nicht, was andere von mir denken“, antwortete er wahrheitsgemäß. Es war ihm egal, wie andere seine Freundschaft oder Beziehung - was auch immer es war - zu Yukito bewerteten. So lange der Teilzeitengel selber wusste, ob er mit ihm zusammen sein wollte. Anscheinend war er aber nicht in der Lage dazu, sich ihm gegenüber zu äußeren. Stattdessen ließ er sich von den Gerüchten beeinflussen.
 

„Dennoch scheinst du dich von ihnen zu Entscheidungen gedrängt zu fühlen. Sonst würdest du nicht so fieberhaft darüber nachdenken“, sagte Tomoyo noch immer in sanftem Ton und drehte Toyas mentalen Spieß um. Daher hätte Toya ihr gerne gesagt, dass es nicht an ihm, sondern an Yukito lag, der sich komisch verhielt, seitdem die Gerüchte lautstark ihre Runde machten.
 

„Ich entscheide gar nichts“, schloss er trotzig seinen eigenen Gedankengang, “und sogar dann ist es an Yuki klare Fronte zu schaffen.“ Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, verschränkte Toya die Arme vor der Brust. Die Geste wirkte in seinen Augen jedoch eher wie die eines trotzigen Kindes, weswegen er die Arme hastig wieder sinken lies. Die Jüngere kicherte erheitert ohne jeglichen Anflug von Hohn. „Das Herz ist ein schlaues Ding. Obwohl wir es nicht aussprechen, weiß es dennoch, wem wir es geschenkt haben“, ließ sie kryptisch verlauten.
 

Nun war es an Tomoyo für den Bruchteil einer Sekunde den Blick abzuwenden und den Boden zu ihrer linken zu inspizieren. Anscheinend konnte gute Erziehung nicht gegen tiefe Emotionen gewinnen. Toya fühlte, wie das Mitleid für das Mädchen auf der anderen Seite des Zauns in ihm aufstieg. Er brauchte keine hellseherischen Kräfte mehr, um zu wissen, was Tomoyo noch immer für Sakura empfand. Dass sie ihre Liebe aber für die Freundschaft zu seiner kleinen Schwester geopfert hatte, war für Toya immer noch ebenso unbegreiflich wie heldenhaft. Vielleicht war Tomoyo wesentlich erwachsener, als er es jemals sein würde.
 

„Aber was ist, wenn der andere es nicht haben will?“, fragte Toya leise die Person, die sich mit diesem Problem bereits auseinandersetzen musste. Er bezweifelte, dass er mit derselben Lösung leben konnte, wie Tomoyo es tat. Dafür war er zu schüchtern, zu feige und einfach nicht willensstark genug. Kaho hatte ihm einst sein Herz gebrochen und er sammelte bis heute die Scherben auf. Nochmal wollte er das nicht durchleben.
 

„Wenn es der Richtige ist, wird er es bewahren. Auch, wenn es für ihn nicht an erster Stelle stehen mag“, antwortete Tomoyo schlicht und als Toya endlich wieder den Mut gefunden hatte, ihr ins Gesicht zu sehen, fand er dort dasselbe aufmunternde Lächeln, was er schon bei seiner Mutter so geschätzt hatte. Unweigerlich lächelte er leicht zurück, ein unausgesprochener Dank.
 

Verlegen räusperte sich der Oberschüler und drückte den Rücken durch, um das unangenehme Thema endlich beiseite zu schaffen. „Ich verstehe nicht, wie das kleine Monster den Knirps dir vorziehen konnte“, murmelte er mehr zu sich selbst als zu Sakuras bester Freundin. Die hatte es entweder nicht gehört oder ignorierte das Gesagte gekonnt, indem sie sich zum Gehen umwandte.
 

„Wie gesagt: Sonnenblumen, Girlanden und Lampions. Damit kannst du nichts falsch machen“, sagte sie und setzte sich endlich in Bewegung. Toya blieb noch einen Moment stehen, sah der zierlichen Gestalt nachdenklich hinterher und schüttelte schlussendlich den Kopf. Es galt sich wieder auf die elementaren Dinge zu konzentrieren. Jetzt musste er sein nutzloses Komitee nur noch dazu überreden Girlanden zu basteln, während er sich um die Sonnenblumen kümmerte.
 

Der Weg in die Stadt entpuppte sich als einer der längsten und unangenehmsten, die er seit langer Zeit empfunden hatte. Lang war er gewesen, weil Toya niemanden hatte, der ihn von dem ablenkte, was ihm seit Tagen Bauchschmerzen bereitete. Unangenehm, weil seine eigenen Gedanken in seinem Kopf wie ein Wespennest summten, welches nur darauf wartete, ihm den ein oder anderen schmerzvollen Stich zu verpassen.
 

Da waren die Gedanken an vergangene Gespräche mit Yukito, die er immer wieder in seinem Kopf herum wälzte. Ständig malte er sich aus, was passiert wäre, hätte er Yuktio klar und deutlich zur Rede gestellt, anstatt ihn immer wieder davonkommen zu lassen. Dann war da die omnipräsente Angst, die ihn daran erinnerte, dass er Yukito nur temporär vor dem Verschwinden gerettet hatte. Irgendwann würden seine spärlichen Kräfte aufgebraucht sein und sie konnten nur hoffen, dass Sakura bis dahin stark genug war, Yue und Yukito am Leben zu halten.
 

Seine dunklen Gedanken mussten ihm geradewegs in Gesicht geschrieben gewesen sein, als er den Blumenladen betrat. Das freudige Gesicht der Verkäuferin verwandelte sich in Entsetzen, als Toya in den Laden gestapft kam und sich missmutig umsah. „Du meine Güte, Sie scheinen einen äußerst schlechten Tag gehabt zu haben“, begrüßte ihn die Frau und gesellte sich zu Toya, der alles andere als erpicht darauf war, seine Gedanken und Probleme mit einem Fremden zu teilen. Daher begnügte er sich mit einem „Kann man wohl so sagen.“
 

Suchend schaute der Oberschüler sich im Blumenladen um und entdeckte allerlei farbenfrohe Flora, jedoch keine Sonnenblumen. Daher deutete er auf einen Strauß gelber Narzissen. „Eigentlich suche ich Sonnenblumen für unser Sommerfest, die würden aber auch gehen, denke ich“, versuchte Toya die unangenehme Situation geschickt und zügig hinter sich zu bringen und löste direkt die nächste Katastrophe aus.
 

Die Blumenverkäuferin schnappte nach Luft, formte ihren Mund zu einem O und riss die Augen so weit auf, dass Toya befürchtete, sie würde gleich einem Schock anheimfallen. „Oh nein!, stieß sie hervor und schüttelte energisch den Kopf, „Das sind gelbe Narzissen. Die stehen in der Blumensprache für Eitelkeit und wären wohl keine gute Dekoration für ein Schulfest.“
 

Seufzend strich Toya damit seinen Plan eines einfachen Blumenkaufs von seiner Liste und ergab sich seinem Schicksal. „Und was würden Sie mir dann raten?“, fragte er die Flora-Expertin unter Aufbringung jeglicher noch vorhandener Freundlichkeit. Angesprochene schien nur auf diese Frage gewartet zu haben. Wie von der Honigbiene gestochen, sauste sie los und hielt Toya diverses Gestrüpp unter die Nase, von dem keines so aussah, als ob es sich gut zur Dekoration eignete.
 

Irgendwann hielt die Frau ihm jedoch einen ganzen Strauß großer Blumen unter die Nase, die wie zu groß geratene Gänseblümchen aussahen und in den Farben gelb, rot und orange vertreten waren.

„Das sind Gerbera. Die stehen für Schönheit. Sie sind sehr farbenfroh und man kann sie allerlei Menschen schenken, die man gern hat. Ob es der Partner oder nur ein Freund ist, ist egal“, erläuterte die Verkäuferin und drückte Toya den Strauß unter die Nase. Sie rochen gut, erinnerten den Schüler aber an seinen besten Freund. Wäre Yukito eine Blume, wäre er vermutlich auch eine Gerbera, dachte er trocken. Die konnten sich in der Blumensprache anscheinend auch nicht entscheiden, ob sie nur für Liebe oder für Freundschaft stehen.
 

Mit den Nerven am Ende, einem riesigen Haufen Gerbera im Gepäck, machte er sich endlich wieder auf den Rückweg zur Schule, um mit der eigentlichen Dekorationsaufgabe zu beginnen. Dabei fragte er sich unweigerlich, ob Yukito ihn auch erwarten würde.
 

Seine Hoffnungen wurden jedoch enttäuscht und Yukito war nirgends aufzufinden, als er das Schulgelände abermals betrat. Zufrieden stellte er fest, dass der Rest seines Komittees zumindest nicht untätig herumgesessen hatte. Zwar hatten sie keine Girlanden gebastelt, dafür aber eine ganze Wagenladung Himmelslaternen erstanden, die am Ende des Festes entzündet werden konnten. „Jede dieser Laternen steht für einen Wunsch, den derjenige, der sie anzündet, in den Himmel schicken kann“, erklärte ihm seine Klassenkameradin freudig.
 

Innerlich gab Toya zu, dass diese Idee durchaus etwas für sich hatte, war aber zu schüchtern, diese Gedanken auch äußerlich preiszugeben. Was Yukito sich wohl wünschen würde? In einer kleinen Ecke seines Wunschdenkens hoffte er, er würde sich auch eine gemeinsame Zukunft wünschen. Viel wahrscheinlicher war jedoch, dass sein bester Freund den Wunsch nach größeren Portionen in der Schulkantine gen Himmel schicken würde.
 

Der Rest des Nachmittags verschwand hinter einem bunten Strudel aus Gerbera, Himmelslaternen und selbstgebastelten Papiergirlanden. Toya hätte es niemals für möglich gehalten, dass sie am Ende des Tages wirklich fertig waren. Der Sportplatz der Schule, auf dem das Schulfest stattfinden würde, brummte nur vor fleißigen Schülern, die hier und da noch die letzten Vorbereitungen vornahmen. Alles war in buntes Papier oder Gerbera getaucht und durch die Lichterketten, bekam der Sportplatz beinahe eine magische Note.
 

Als die Sonne sich langsam auf die Welt hinabsenkte, intensivierte sich auch das geschäftige Treiben auf dem Sportplatz. Eltern kamen, um zusammen mit ihren Kindern den Sommer und das geschaffte Schuljahr zu verabschieden. Auch sein Vater und Sakura würden bald hier sein, um sich mit ihm an den Ständen und dem Essen zu erfreuen. Ob Yuktio zu ihn stoßen würde?
 

Als ob er ihn durch seine Gedanken heraufbeschworen hatte, entdeckte Toya Yukito endlich an einem Stand mit süßen Reisbällen. Bevor sein Hirn überhaupt fragen konnte, was zum Geier er hier tat, hatten ihn seine Füße bereits automatisch zu dem Brillenträger hinübergetragen. Dieser zuckte ertappt zusammen, als er das Wort an ihn richtete: „Yuki.“
 

Dann richteten sich die bernsteinfarbenen Augen auf sein Gesicht und die Zeit blieb für die Dauer eines Herzschlags stehen. Toya sah Angst und Zurückhaltung, aber auch Verlangen und Wärme hinter den geschliffenen Linsen. Letzte entfachten einen Hoffnungsschimmer in seinem Herzen, das jetzt wieder anfing, schneller zu schlagen.
 

Toya musste nicht einmal die Bitte äußern, dass Yukito ihm folgen möge. Sein bester Freund hatte bereits den ersten Schritt in seine Richtung getan. Gemeinsam gingen sie schweigend ins Schulgebäude und in eines der leeren Klassenzimmer. Lautlos schloss Toya die Tür hinter sich und drehte sich zu der Person um, die sein Herz in zwei spaltete.
 

„Wir müssen reden“, eröffnete Toya das Gespräch, was sie vermutlich schon längst hätten führen sollen. Unruhig verschränkte er die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen die geschlossene Tür, um Yukito jegliche Fluchtmöglichkeit zu nehmen. Angesprochener hatte den Blick auf den Boden gerichtet. „Ich weiß“, antwortete Yukito schließlich ohne den Blick zu heben.
 

„Yuki, vielleicht habe ich mich vorher nie klar genug ausgedrückt, aber du bedeutest mir viel. Viel mehr, als ich es vermutlich jemals in Worte fassen könnte“, begann Toya seine Ansprache, die er schon tausendmal in Gedanken geübt hatte. Sie jetzt allerdings laut auszusprechen, war eine ganz andere Mutprobe. Anstatt, dass er wie geplant erklärte, warum er Yukito jetzt zur Rede stellte und ihm genausten erläuterte, warum er so viel mehr war als ein bester Freund, purzelten lediglich drei kurze Worte aus seinem trockenen Mund: „Ich liebe dich.“
 

Da. Er hatte es gesagt. Klarer, einfacher und direkter als er es jemals zuvor getan hatte. Die auswendig gelernte Ansprache mit all den Argumenten verschwand und wurde niedergedrückt von diesen drei simplen Worten, die so viel mehr trugen, als es jedes geübte Skript jemals konnte. Was jetzt zurück blieb, war die Angst und die Erwartung auf eine ebenso simple Antwort.
 

Es waren vielleicht dreißig Sekunden, in denen Yukito regungslos verharrte und den Boden vor seinen Füßen anstarrte. Für Toya fühlte es sich wie eine Ewigkeit an. Dann hob der Grauhaarige jedoch seinen Kopf und schaute Toya mit einer Traurigkeit an, die er so nicht erwartet hatte. Sein Herz fühlte sich wie ein Stein in seiner Brust an. Ihm wurde kalt. Dann begann Yukito endlich zu sprechen: „Eriol sagte mir, dass Clow für immer ein Loch in Yues Herz gerissen hat. Es gibt nichts, was diese Lücke füllen kann. Ich habe Angst, dass dir dasselbe passiert, Toya.“
 

Am liebsten hätte Toya laut aufgelacht, hätte sich unter Lachkrämpfen gewunden wie ein Kind, bis er keine Luft mehr bekam. Yukito tat es wieder. Selbst jetzt in einer Situation ohne Ausweg, war der engelsgleiche Richter noch immer zu keinem klaren Urteil fähig. Yukitos Antwort war ein Ja und ein Nein zugleich, das ein großes Aber mit sich zog. Tränen der Frustration und Verzweiflung bildeten sich in Toyas Augenwinkeln.
 

„Yukito, kannst du dich nicht einmal entscheiden, wie jeder normale Mensch? Ich möchte doch nur eine Antwort auf die Frage, ob du mich so liebst wie ich dich“, sprudelten die Worte aus Toya heraus, der jetzt einen Schritt auf Yukito zutrat und ihn bei den Schultern packte. Am liebste hätte er die schmale Statur seines Problems geschüttelt. Als Yukito jedoch verschreckter als zuvor wirkte und er sich anfing, gegen Toyas Griff zu wehren, wich jegliche aufgebrachte Energie aus dem Körper des Größeren.
 

Toya stieß einen langen Seufzer aus und lehnte seine Stirn gegen den grauen Schopf. Sein Griff lockerte sich und er schloss die Augen, gewährte sich für einen Moment Yukitos Geruch, Wärme und Präsenz in sich aufzunehmen, ehe er wieder anfing zu sprechen. „Wir können das Unvermeidbare nicht ändern. So wie du eines Tages verschwinden wirst, werde ich alt werden und irgendwann sterben. Irgendwann gehen wir beide von dieser Welt. Deshalb ist die Zeit bis dahin so kostbar. Und ich möchte sie mit dir verbringen.“
 

„Toya“, hauchte Yukito beinahe mehr, als dass er seine Stimme nutzte. Dann überkam ihn eine Ruhe, die dem Braunhaarigen beinahe Angst einjagte. Für einen Herzschlag befürchtete er, dass Yukito endlich den Schlussstrich ziehen wollte und verfluchte sich dafür, diese Situation überhaupt heraufbeschworen zu haben. Dann spürte er jedoch die Arme des Anderen auf seinem Rücken und er wusste, dass für die Dauer eines Sommerrestes alles gut werden würde.
 

Vermutlich hatte auch Yukito eine ganze Reihe an Sätzen und Argumenten, die er gerne hervorgebracht hätte. Worte, die von seiner Angst erzählten oder seinen Bedenken Ausdruck verliehen. Doch ähnlich wie Toya kam nichts dergleichen über seine Lippen und so zog er ihn einfach nur enger an sich.
 

Es musste eine Ewigkeit vergangen sein, welche die beiden in eben jener eng umschlungenen Haltung verbracht hatten. Als sie schlussendlich Hand in Hand das Klassenzimmer verließen und auf das Fest zurückkehrten, sprang Sakura sie beinahe an und überhäufte sie mit einer Salve an Anschuldigungen, warum sie zu spät waren. Ein Eis und das Versprechen, morgen das Frühstück zu zubereiten, beschwichtigten seine kleine Schwester immerhin.
 

„Immerhin seid ihr rechtzeitig zum Entzünden der Himmelslaternen gekommen“, argumentierte Sakura noch immer leicht säuerlich. Ihr kindlichen Gemüt ließ sie ihren Groll jedoch vergessen, als Toya für sie zwei Laternen kaufte. Gemeinsam suchten sie sich eine freie Stelle auf dem Rasen, der von der Laufbahn des Sportplatzes eingekreist wurde. Während Sakura und ihr Vater noch mit ihrer Laterne zu kämpfen hatten, brannten Yukitos und Toyas Laterne bereits. Die zarte Flamme fand immer mehr Brennstoff und wuchs zu einem starken Feuer heran, dass der Laterne endlich Auftrieb verlieh.
 

Feierlich hielten Toya und Yukito die Himmelslaterne zwischen sich und schauten sich über den sanften Schein tief in die Augen. Zum ersten Mal seit Wochen fühlte Toyas Herz sich so leicht an wie die Laterne selbst. Ein seltenes, warmes Lächeln stahl sich auf seine Gesichtszüge. „Was wünschen wir uns?“, fragte er über die Laterne hinweg Yukito, dessen Brillengläser den Schein des Feuers reflektierten. „Dass wir so viel Zeit wie möglich miteinander verbringen können.“
 

Gemeinsam ließen sie die Laterne los, die träge gen Himmel stieg, ihren Wunsch mit sich tragend.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  ChiaraAyumi
2018-10-09T13:37:23+00:00 09.10.2018 15:37
Liebe Zaizen,

noch einmal herzlichen Dank für diese wunderbare Geschichte. Ich habe mich sehr über das Pairing gefreut. Du hast mir definitiv eine schöne fluffige und etwas dramatische Liebesgeschichte geschrieben. Ich finde du hast die Charaktere sehr gut getroffen. Gerade Toya und Tomoyo, deren Gespräch mein Highlight war, weil es wirklich so viele Parallelen zwischen den beiden gibt. Die beiden werden sowieso oft sträflich vernachlässigt, weswegen ich mich umso mehr gefreut habe, dass die beiden miteinander gesprochen haben und wer soll sonst Toya Tips für die Dekoration (und in Beziehungssachen) geben?
Aber auch die Unsicherheit von Yukito hast du gut eingefangen. Er hat sich nun mal durch seine zweite Identität verändert. Deswegen passt es so gut, dass er sich unsicher ist und seine Erfahrungen ihn nachdenklich werden lassen. Die Szene am Schluss mit den beiden spiegelt ihre Beziehung wunderbar wieder: Toya ist der direkte, der sich für alle anderen aufopfert und Yukito der Verunsicherte, der es allen Recht machen will. Du hast sie wie bereits erwähnt meiner Meinung nach wunderbar getroffen!
Und der kurze Gastauftritt von Sakura zum Schluss war ebenfalls sehr schön. Sie spielt eben eine wichtige Rolle im Leben von Toya und Yukito. Und auch die letzte Szene mit der Himmelslaterne war wunderschön und hat genau das richtige Mass an Fluff und Kitsch mit in die Geschichte gebracht.

Daher vielen lieben Dank für diese wunderbare Geschichte *~*
Antwort von:  Zaizen
09.10.2018 22:29
Es freut mich, dass sie dir so gut gefällt! Ich hatte anfangs etwas bedenken, was das Treffen von Toyas und Yukitos Persönlichkeit angeht, da sie im Manga nicht sehr umfangreich ausgearbeitet sind. Daher bin ich umso erleichterter, dass du sie realistisch getroffen findest. :)
Zu Tomoyo und Toya: Ich frage mich eh, warum die nicht mehr miteinander zu tun haben. Immerhin sehen sie sich beinahe täglich und schwirren beide um Sakura rum.

Ganz lieben Dank für dein Feedback - du hast mich mindestens genauso glücklich gemacht, wie ich dich. <3


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