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Was im frühlingshaften Palastgarten nicht alles geschehen kann...

The Vessel and the Fallen Sidestory 1
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Kleine Info am Rande:
Dieses Kapitel spielt ungefähr zwei Wochen nach den Ereignissen in Kapitel 22 – „Fieber“ der Hauptstory „Was die Hitze des Sommers nicht alles bewirken kann…“ Für das Verständnis kann es also nicht schaden, sie bis dorthin gelesen zu haben.
Zum weiteren zeitlichen Überblick: Hakuyuu ist 22 Jahre alt, Hakuren ist 19, Koumei 16, und Hakuryuu sechs. Hakutoku und Gyokuen müssten 47 und 38 sein. Komplett anzeigen

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Verblichenes Weiß


 

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In der letzten Nacht seines Lebens sollte Hakuren Ren merken, wie klein und unbedeutend ein paar Menschenleben im Vergleich zu einem halb verblichenen Geist waren und dass selbst ein hochwohlgeborener Kaiser auf dem himmlischen Thron sich nicht von den bedauernswerten Bettlern im Straßenstaub der Hauptstadt unterschied. Der Tod schlug keinen Bogen um diejenigen, die in der Welt das höchste Ansehen oder die größte Macht besaßen. Nein, letztendlich waren sie im Angesicht ihres Endes alle gleich. Vor dieser verhängnisvollen, rauchgeschwängerten Herbstnacht hätte sich der zweite Prinz niemals träumen lassen, dass es so leicht sein könnte, die wichtigste Familie des Reiches zu zerschlagen. Erst als Angst und Schwäche ihn schleichend, aber doch unaufhaltsam übermannten, sah er den lästerlichen Verdacht gegen seine eigene Mutter auf schreckliche Weise bestätigt. Sobald vor seinen gebrochenen Augen nur noch die brüllenden Flammen tanzten, ahnte auch der Rest der Welt, dass in Kou bald eine neue Ära voll verborgener Schrecken beginnen sollte...
 

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Der Herbst erreichte das Kou Reich nicht mit der gewohnten Kälte und den wilden Winden, die fauchend über das weite Land fegten. Nein, zwischen Sommerende und Herbsteinbruch bemerkte niemand einen sonderlich großen Unterschied, ob Bettler, Bauer, Adliger oder Kaiser. Birnen und Äpfel reiften an den Bäumen und erfüllten die Luft mit dem süßlichen Duft von vergorenem Obstsaft. Zahlreiche Insekten kosteten die kaum abklingende Tageshitze gierig aus, lästige Wespen taumelten betrunken von ihrem süßen Mahl durch die Lüfte. Kaum eine Baumkrone verfärbte sich zu Herbstbeginn. Einzig die Nächte wurden langsam frischer und die noch sehr träge fallenden Blätter nahmen die laue Wärme der vorhergegangenen Jahreszeit behutsam mit sich. Die Menschen freuten sich über die letzten Sonnenstrahlen, das milde Wetter und die reiche Ernte. Kurzum: Dem Land ging es bestens.
 

Einzig Prinz Hakuren blieb der Gang in die freie Natur größtenteils verwehrt. Noch immer litt er unter dem auferlegten Hausarrest, welchen seine Mutter ihm nach dem unerlaubten Ausriss ins Hause seines Onkels erteilt hatte, und fühlte sich wie ein Gefangener in seinen eigenen Gemächern. Anfangs hatte er freiwillig einen Tag zwischen Decken und weichen Kissen verbracht, denn kaum war er in den kaiserlichen Palast zurückgekehrt, war es ihm nicht sonderlich gut gegangen. Diese schwache Sommergrippe steckte jedoch noch immer in seinen Gliedern und verstärkte sein Unwohlsein zusätzlich. Das Halskratzen konnte mehr als unangenehm sein. Nicht, dass er ermattet das Bett hüten musste, im Großen und Ganzen hatte sein Körper sich erholt. Nur ab und an ereilte ihn eine merkwürdige Schwäche, nichts im Vergleich zu dem Krankheitsverlauf seines geliebten Koumei, doch eben diese ärgerliche Erinnerung ermahnte ihn, dass der Gesundheitszustand seines Cousins kritisch genug war, um vielleicht lebensbedrohlich zu sein. Kouen hatte ihn Mal um Mal beruhigt, als er den kaiserlichen Palast besucht hatte und sie sich für eine kurze Zeit unterhalten hatten, doch Hakuren ahnte, wie es wirklich um Koumei stand: Schlecht. Genauso schlecht fühlte er sich selbst, wenn er hier in diesen weiten Räumen zur Untätigkeit verdammt war. Beinahe zwei Wochen vegetierte er bereits vor sich hin, sein Zeitgefühl verschwamm. Gesellschaft leistete ihm kaum jemand, seine Mutter Gyokuen hatte angeordnet, dass er für seinen Ungehorsam und die Befehlsverweigerung bestraft werden sollte. Verglichen mit seinem unwesentlichen Vergehen eine harte Maßnahme. Für den aktiven, kommunikationsfreudigen Prinzen stellte die Isolation eine regelrechte Folter dar. Lediglich abends durfte er ab und an gemeinsam mit der Familie speisen. In seltenen Fällen besuchten ihn sein kaiserlicher Vater, der wohl auch keinen Grund sah, seinen Sohn festzusetzen, sich aber nicht gegen seine Gattin stellte, oder sein Bruder Hakuyuu. Hakuei und Hakuryuu durften in letzter Zeit gar nicht mehr mit ihm in Kontakt treten. Aus welchem nichtigen Grund auch immer. Es war zum Verzweifeln.
 

Zusätzlich lastete die drohende, stetig herannahende Heirat auf seinen Schultern. Dienerinnen wirbelten überall im Palast umher, um ihn für das bevorstehende Fest herauszuputzen und alles Notwendige herzurichten. Ab und an hatten sie bei Hakuren vorbeigeschaut und seine Einsamkeit für kurze Momente durchbrochen. Schneider, Köche, Handwerker und allerlei andere Leute hatten um seine Meinung gebeten, die völlig untypischer Weise aus einem desinteressierten, manchmal gereizten Brummen bestanden hatte. Er hatte gemerkt, wie sehr die Leute von seinen abweisenden Reaktionen irritiert waren. Man hatte ihm die Hochzeitsgewänder auf den Leib geschneidert, die Zeremonie militärisch durchgeplant und ihn über sämtliche seiner Pflichten als Ehemann aufgeklärt, obwohl er diese längst kannte. Die Heirat rückte unausweichlich näher und näher. Bald würde seine zukünftige Ehefrau in Kou eintreffen und er würde sich wohlmöglich mit der Dienerschaft der jungen Prinzessin bekannt machen müssen. Dabei war der einzige Mensch, den er wirklich begehrte der zweite Sohn seines Onkels. Zum Glück würde ihm der Anblick seiner baldigen Frau bis zur Heirat erspart bleiben. Welch ein nützlicher Brauch. Er hätte keinen Nerv für ein Treffen mit einem Menschen, gegen den er aus völlig unrechten Gründen Abneigung und Desinteresse empfand. Sein Geist weilte momentan bei einer wichtigeren Person. Sobald er an den kranken Koumei dachte, überkam ihn die gewohnte Welle von Schuldgefühlen. Er hätte ihn in der Nacht nach seinem Geburtstag nicht einfach verlassen dürfen, nur weil ihm keine andere Wahl geblieben war. Und schon gar nicht hätte er ihn zum Beischlaf überreden sollen, nicht an diesem letzten Tag ihres engen Miteinanders. Er hätte sich denken können, dass seine Idee jämmerlich war und ebenso enden würde. Weshalb hatte er nur derart überstürzt handeln müssen? Koumei hätte so viel mehr Zeit gebraucht, um sich alleine an seine ständige Nähe zu gewöhnen. Er war empfindsam und schüchtern, liebte nichts mehr als die Ruhe, wohingegen der Prinz nie genug Aufregung bekommen konnte. Hakuren hatte etwas getan, was ihr langsam inniger werdendes Verhältnis mit Sicherheit empfindlich gestört hatte. Der arme Koumei. Was mochte der junge Mann nun von ihm denken? Noch immer hatte der Prinz keinerlei Antwort auf seine zahlreichen Nachrichten bekommen. War sein Cousin etwa bereits zu schwach, um ihm eine Brieftaube zu schicken? Hakuren hatte ihm so viele Tauben zufliegen lassen, dass doch wenigstens eine einzige Antwort auf seine verzweifelten Nachrichten angemessen gewesen wäre. Vermutlich hatte der Prinz die armen Vögel so sehr gequält, dass mindestens einer vor Überanstrengung tot vom Himmel gefallen war. Doch all seine Mühen waren erfolglos geblieben. Vielleicht lag es an ihrer abrupten Trennung oder Hakurens unbeabsichtigter Grobheit, weil er sich mehr auf seine impulsiven Gefühle als auf die angemessene Vorsicht verlassen hatte. Welch ein rücksichtsloser Idiot er doch war. Jeden Tag grübelte er über seinen besten Freund und Liebsten nach. Nie kam er zu einem befriedigenden Ergebnis.
 

So lag er auch an diesem Abend lange wach im Bett und beobachtete durch das Fenster die Bäume, deren herbstliche Färbung zum Teil sehr auf sich warten ließ. Seufzend fuhr er sich durch sein schwarzes Haar, welches von der ungewöhnlichen Wärme verschwitzt war. Die langen Strähnen an seinem Hinterkopf, die er tagsüber immer in einem hohen Knoten trug, kitzelten störend Hals und Schultern. Er wollte nur noch weg von hier. Weg aus diesem Gefängnis und weg von der Hochzeit mit einer machtlosen Prinzessin. Er wollte zu Koumei. Er liebte ihn immer noch so sehr, dass es wehtat. Er brauchte ihn so dringend. Tränen stiegen ihm in die Augen. Schon tagelang hatte ihn niemand mehr lächeln gesehen. Hakuren war fühlte sich vollkommen machtlos: Auch wenn er wusste, dass sie ihn nicht ewig festhalten würden, beruhigte ihn diese Gewissheit nicht. Denn dann konnte es längst zu spät sein. Er sorgte sich so sehr um Koumeis Leben, spürte regelrecht, wie übel es ihm gehen musste. Was, wenn er in diesem Moment seinen letzten Atemzug tat, während er selbst hier, am Boden zerstört aber lebendig, im Bett ruhte? Der Jüngere hatte nie eine gute Gesundheit besessen und der Anblick seiner kleinen, mageren Gestalt schmerzte Hakuren viel zu oft. Wenn Koumei ernstlich erkrankte, gab es nichts an seinem Körper, das dieser Krankheit Widerstand leisten konnte.
 

Ja, Hakuren ahnte Böses. Unglücklich ließ er den tiefen Schluchzern freien Lauf. Er hatte so lange nicht mehr geweint, ehe diese verfluchte Nacht ihn in eine Regenwolke verwandelt zu haben schien. Die salzigen Tropfen durchnässten sein Kissen und das Bettlaken, brannten auf seinem Gesicht und hielten ihm wieder und wieder seine aussichtslose Lage vor Augen. Wohlmöglich würde er seinen Geliebten nie mehr wieder sehen. Ein unerträglicher Gedanke. Das darf nicht geschehen. Ich bin an allem Schuld. Was soll denn aus mir werden, wenn er stirbt und das letzte, was ich von ihm gehört habe war ein gebrochenes Klagen?, dachte er niedergeschmettert, ehe der Schlaf ihn endlich in die Finger bekam.
 

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Wie so oft in letzter Zeit träumte er von Koumei. Es waren immer die gleichen Traumbilder, mehr verwaschene Erinnerungen, als Gespinste seiner sehnsüchtigen Fantasie: Er erblickte seinen Kindheitsfreund, der hinter Kouens Rücken hervorlugte und wie der größte Schauspieler im Reich dann in seinen Armen zusammengebrochen war. Hakuren sah, wie der Kleine sich schläfrig an ihn klammerte, ihn noch unzählige Male an der Nase herumführte, sich von ihm bedienen ließ und so herzhaft mit ihm lachte, wie er es mit anderen nur selten getan hatte. Er sehnte sich unvorstellbar nach diesem Lachen. Viel zu lange hatte er es nicht mehr gehört. Nach einer Weile wuchsen sie heran, spielten Verstecken und Schach, lasen und aßen gemeinsam. Koumei würgte an einer Trockenpflaume, die Hakuren ihm aufgezwungen hatte, und der Prinz konnte nicht anders, als im Schlaf zu lächeln. Er wusste genau, wann das alles passiert war. Er ließ herrliche Ausritte über sich hinweg rieseln, gemeinsame Taubenfütterungen, Spiele mit ihren Geschwistern und Familienfeste. Hakuren genoss jeden Augenblick dieser lange vergangenen Erinnerungen, als er Koumei noch hatte umarmen können, ohne sich etwas tiefgreifenderes dabei zu denken. Der Prinz schaute dem anderen lange hinterher und lauschte andächtig den behaglichen Geräuschen aus der Vergangenheit. Dann änderten sich die Bilder, wurden sinnlicher und plötzlich waren sie beide erwachsen. Da war der Tag, an dem sie beide einen Ausritt in den Wald gemacht hatten. Koumei wäre beim Anblick der zahlreichen Blutegel, welche nach einem Bad in einem winzigen Waldsee an ihnen geklebt hatten, beinahe in Ohnmacht gefallen. Eine erheiternde, wenn auch komplizierte Erinnerung: Hakuren starrte seinen Cousin kaum verholen an, als dieser sich unsicher entkleidete und zu ihm in den schlammigen Tümpel stieg. Doch dann zog dieser Moment fort: Sie standen unter einem tiefroten Ahornbaum und das Gesicht des Rothaarigen nahm eine ebensolche Farbe an, kurz bevor ihre Lippen sich das erste Mal trafen. Koumei, der ihn sanft in den Mundwinkel küsste, sich wohlig an ihn schmiegte, ihn auf sich hinab zog, sodass er beinahe erdrückt wurde, obwohl er behauptete Hakuren wäre nicht schwer, sondern angenehm warm. Koumei, der ihn trotz aller Nähe seltsam schüchtern betrachtete, als wäre er sich nicht sicher, ob er nicht doch lieber alleine in seinen Gemächern lesen würde. Sogleich änderte sich die entspannte Stimmung, schlug in etwas Erregtes, Unbehagliches um: Der angenehme Traum verwandelte sich in einem Albtraum, als der Rothaarige vollkommen zerschlagen und reglos vor Hakuren am Boden lag und Blut aus zahlreichen Platzwunden an seinem Körper rann. Mehr Hirngespinst als Wahrheit, aber nicht völlig weithergeholt. Meine Schuld. Er musste noch einmal mit ansehen, wie sich Koumei zitternd an seinen bloßen Schultern festkrallte und ängstlich wimmerte. Dann der Schrei und das haltlose Schluchzen, welches dem Prinzen Mal um Mal das Herz brach. Alles meine Schuld. Bald darauf das entsetzlichste: Sein Geist spielte ihm Streiche, gaukelte ihm Krankheit vor, Tod. Er wusste während er schlief, dass dies nicht länger wirklich war. Dennoch erfüllte es ihn immer noch mit machtlosem Entsetzen. Beim ersten Traum dieser Art, war er weinend erwacht, doch nun warf er sich lediglich von einer Seite auf die andere, als die schrecklichen Bilder über ihn hereinbrachen: Sein Cousin bebend und fiebernd im Bett, um Atem ringend. Nur ein Schatten seiner selbst, zerbrechlich und durchscheinend wie ein Geist. Daraufhin folgte immer der letzte Atemzug, viel zu leise und friedlich, um Hakurens Panik zu mildern. Endloses Grauen stieg in ihm auf, als er machtlos auf die blicklosen Augen und kalkweiße Haut herab schaute, ein viel zu brutaler Kontrast zu dem dunkelroten Haar. Die Hoffnungslosigkeit wurde zu alles verschlingender Trauer, sobald rote Flammen um den Körper seines Liebsten herum züngelten, an den zotteligen Haaren leckten wie Raubtiere und ihn schließlich fauchend mitsamt den schwächlichen Weihrauchschwaden verschlangen. Diese unglaubliche Hitze…
 

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Als er plötzlich erwachte, konnte er den Grund dafür nicht benennen. Irgendwann in dieser unheilbringenden Nacht schnellte er aus dem Schlaf hoch, blickte sich wild um, bis seine Sinne ihm die gewünschte Orientierung verschafften. Irgendetwas machte ihn hellwach und aus einem undefinierbaren Grund fluchtbereit. Der Alptraum verschwand vollends aus einem Unterbewusstsein. Schneller als je zuvor. Ein seltsames Glühen war das erste, was er wahrnahm. Verwirrt blinzelte er in das rötliche Zwielicht, bis sich seine Augen daran gewöhnt hatten. Dann bemerkte er, dass er seine gewöhnliche Kleidung trug und den Schweiß auf jedem Fleck seiner Haut. Merkwürdig, kurz vor dem Einschlafen war es beinahe kühl gewesen für diesen Herbstbeginn. Erstaunt rieb er sich über das Gesicht. Danach erst registrierte er die überwältigende Wärme, als hätte jemand hunderte Kohlepfannen in seinem Zimmer entfacht. Im angenehm milden Herbst? Nein, das konnte selbst in diesem merkwürdigen Jahr nicht sein. Und doch war dem so: Die Wärme wurde jäh zu unfassbarer Hitze. Hakuren keuchte erschrocken und schleuderte die zusammengeknüllte Bettdecke beiseite. Er kam sich vor, wie in seinem Traum, eine Vision von Flammen, fliegenden Funken und Asche. Das mulmige Gefühl, welches plötzlich in ihm aufstieg, hieß ihn, hektisch aufzuspringen. Ein unterschwelliger Hauch von Gefahr schwebte wie eine böse Vorahnung in diesem Raum. Entferntes Rumpeln und Krachen ließ ihn zusammenzucken. Der Atem des Prinzen stockte und für einen verstörenden Moment taumelte er unsicher. Dabei gab es nichts, was ihm ferner lag, als Schwäche zu zeigen. Ein beunruhigender Geruch hing drückend in der dicken Luft. Sofort stieg wieder das Kratzen in seinen Hals, welches einfach nicht verschwinden wollte. Er konnte nur mühsam atmen und der Hustenreiz erklärte ihm, warum er sich derart bedroht fühlte: Endlich erkannte er den beißenden Gestank nach Rauch. Er spürte ihn in den Atemwegen, die noch nicht vollkommen ausgestandene Krankheit hatte ihm eine anstrengende Kurzatmigkeit beschert. Der Schwarzhaarige schluckte mühsam. All die Zeichen… brannte der Palast? Wenn das stimmte… warum hatten die Wächter vor seinen Gemächern ihn nicht geweckt? Hakuren fühlte die aufsteigende Unsicherheit, der erste Schritt zur allesverschlingenden Furcht. Er musste nach draußen, seine Brüder, Vater und Mutter warnen, sonst würde etwas Schreckliches geschehen!
 

Ohne noch länger zu zögern oder gar einen Blick zurückzuwerfen, stürmte er zur Tür. Kaum hatte er ihre Flügel aufgestoßen, brach eine vernichtende Hitzewelle über ihn herein. Zu Tode erschrocken wich er zurück. Der Flur glich einem einzigen Inferno, er sah nur noch rot. Viel zu lange stand er stocksteif im Ausgang und starrte hilflos auf die grauenvolle Szene. Züngelnde Flammen leckten gierig an den wertvollen Teppichen, fraßen sich durch das Holz und verzehrten die verzierten Balken an der Decke. Schwerer Qualm vernebelte ihm die Sicht. Für gewöhnlich wäre er mutig losgeschnellt, um die anderen zu alarmieren, doch es schien, als hätten Krankheit und die düsteren Gedanken ihm seine Zuversicht ausgesogen. Er fühlte sich ungewöhnlich schwach und dieser Umstand verunsicherte den sonst vor Kraft strotzenden Prinzen. Entgeistert beobachtete er, wie das Feuer einen Teil der geschwärzten Deckenbalken soweit verschlang, bis einer von ihnen tosend von der Decke fiel. Heiße Glut stob auf und fachte eine weitere Ecke des roten Teppichs an. Das konnte nicht wirklich passieren! Unmöglich! Weshalb brannte der kaiserliche Palast und niemand hatte Alarm geschlagen? Die Wachen waren fort, keine Menschenseele befand sich in der Nähe! Zaudernd betrachtete er das grauenhafte Bild. Das durfte nicht wahr sein! Er musste träumen! Aber natürlich wusste er es besser. Die Hitze wurde immer schlimmer, aggressiver und er glaubte bereits, versengtes Haar zu riechen. Hustend wich er zurück in seine Gemächer, doch plötzlich stürzte unter betäubendem Lärm die rechte Wand ein und ein Schwall aus Flammen und Glut strömte unaufhaltsam in den Raum. Eine lodernde Schlange, die sich fauchend durch das Zimmer wand, ihm damit jeglichen Fluchtweg versperrte. Hakuren erstarrte angstvoll. Dann kam Leben in ihn. Keuchend sprang er einem weiteren knirschenden Deckenbalken aus dem Weg, ehe er auf den glühenden Flur jagte.
 

Wohin? Überall schossen die Feuerzungen hervor, wie bei einem mörderischen Rudel Raubtiere, sprangen in der sengenden Hitze einfach über. Röchelnd wich er einem Trümmerstück aus und suchte hektisch nach einem Fluchtweg. Er fand keinen. Panik kochte in ihm hoch. Der unbelebte Brand stellte eine völlig andere Bedrohung dar, als er sie vom Schlachtfeld her kannte. Gegen angreifende Krieger konnte er sich mit Schwert und Langbogen, wenn nötig auch mit bloßer Körperkraft verteidigen, doch gegen ein natürliches Phänomenen, welches keinerlei Mitgefühl oder Angst kannte, nutzen ihm seine kriegerischen Fähigkeiten nichts. Verzweifelt riss er den Kopf herum, erblickte nur loderndes Rot. Würde er hier sterben, weil man ihn hier vergessen hatte? Wo waren Yuu, Ryuu, Hakuei, Mutter und Vater? Befanden sie sich in ähnlicher Bedrängnis, aus der es keinen Ausweg gab? Er hoffte so sehr, dass ihnen nicht dasselbe widerfuhr wie ihm.

Da stoben auf einmal die hohen Flammenwände auseinander. Eine verschwommene Gestalt stürzte zwischen ihnen hervor und packte ihn fest am Arm.

„Yuu?“, krächzte der zweite Prinz, dann wurde er von seinem Bruder durch den Feuersturm hindurchgezogen. Hakuren schrie. Es brannte wie die Hölle selbst. Doch so unbarmherzig und schlagartig wie der Schmerz gekommen war, verschwand er auch wieder und sie waren nicht länger eingeschlossen.

„Lauf!“, brüllte Hakuyuu heftig.

Doch Hakuren konnte nicht. Er verstand nicht. Weshalb glich ihr zu Hause plötzlich einem prasselnden Scheiterhaufen?

„Renn endlich!“, schrie sein Bruder ihn an, riss sein Schwert aus der Scheide und stieß ihn grob in den Rücken, sodass der Jüngere nach vorne taumelte, dann hetzte er alleine voran.

Hakuren spürte die Flammen, die sich nach ihm ausstreckten. Rot, leuchtend und glühend. Plötzlich ging ein Ruck durch seinen starren Körper und er begriff, dass er tatsächlich rannte. Auf einmal befand er sich neben Hakuyuu und stürmte mit ihm gemeinsam fort von dem Flammenmeer. Seine Lunge drohte bei jedem Schritt zu kollabieren. Endlich blieb der Ältere stehen und Hakuren hätte sich am liebsten auf den Boden geworfen. Der Rauch von dem entfernten Lodern brannte in seiner angeschlagenen Lunge und der Schock machte ihn noch schwächer, als er es durch die Krankheit ohnehin schon war. Seine Brust hob und senkte sich ruckartig wie bei einem klapprigen Greis. Die unbarmherzige Hitze trug dazu bei, dass er schwarze Punkte vor seinen Augen tanzen sah. Bei Salomons Bart, wenn wir hier endlich draußen sind, werde ich mich zu Mei schleichen und mich bei ihm ausheulen, koste es, was es wolle!, dachte er röchelnd.

„Ren?“, fragte Hakuyuu besorgt, wobei seine eigene Erschöpfung und Panik offensichtlich wurden. Seine Haut war rußgeschwärzt, doch er wollte offenkundig weiter.

Hakuren begriff, dass sein Bruder nur seinetwegen diese Pause eingelegt hatte. „Geht… schon!“, keuchte er, obwohl es eine glatte Lüge war. Eigentlich sollte die Schwäche nach zwei Wochen nicht mehr von ihm Besitz ergreifen, aber bei dieser Anspannung und Anstrengung trat sie deutlicher hervor denn je. „Wo ist Vater?“, brachte er schließlich heraus.

Der Ältere schüttelte hilflos den Kopf. „Ich weiß es nicht. Vielleicht ist er bereits im Freien oder noch hier, wir sollten ihn suchen und dann nichts wie raus hier!“

Hakuren nickte zustimmend, in dieser Hölle hielt er es keinen Augenblick länger aus.
 

Plötzlich weiteten sich die Augen seines Bruders erschrocken. Im nächsten Moment lag Hakuren am Boden und Hakuyuu sprang mit entblößtem Schwert über ihn hinweg. Ein lautes Klirren ertönte. Erschrocken wälzte sich der zweite Prinz fort von dem kreischenden Geräusch. Schweratmend kam er wieder auf die Beine. Sein Bruder kämpfte gegen einen Mann in weißen Gewändern und hatte grade den Hieb abgewehrt, der Hakuren mit Sicherheit den Kopf von den Schultern getrennt hätte. Die vermummte Gestalt mit der Dornenkrone um den Kopf musste ein Priester aus der Gefolgschaft seiner Mutter sein. Warum? Wie gelähmt beobachtete Hakuren den Kampf. Beide Gestalten bewegten sich geschickt, doch niemand war einem Hakuyuu gewachsen, der jemanden verteidigte, der ihm lieb und teuer war. Sein Schwert fuhr durch die Schulter des Mannes, schlitzte den fremden Oberkörper der Länge nach auf. Doch anstatt als blutender Körper zu stürzen, schepperte es, als eine kleine Puppengestalt auf die Kacheln prallte. Die Figur rollte klackernd gegen die Wand.

Entsetzt riss Hakuren die Augen auf.

„Hier, nimm!“, befahl Hakuyuu und drückte ihm das mächtige, gebogene Schwert in die Hand, welches der jüngere Bruder stets führte. Seit seiner Heimkehr hatte er es nicht mehr gesehen. Man hatte es ihm abgenommen. Was war es nur für ein schönes, sicheres Gefühl, die vertraute Waffe wieder in der Hand zu halten! Doch die zaghafte Freude wurde sogleich von der Erkenntnis ausgelöscht, sich noch immer in Gefahr zu befinden. Außerdem… dieser Priester… was bei allen Rukh hatte ihn dazu getrieben, sie zu attackieren? Unsicher warf er einen Blick zu Hakuyuu. „Was ist los Yuu? Warum greifen uns diese Priester an?“, fragte er vollkommen verwirrt.

Der andere schüttelte kummervoll den Kopf. Kalte Wut schillerte in seinen blauen Augen. Und da war noch etwas: Verzweifelte Angst. „Es ist wie wir befürchtet haben! Mutter hat sich gegen uns verschworen! Das ist eine Intrige und ein Putsch am Kaiser!“, knurrte er beängstigend leise, halb erstickt durch das Knistern und Knacken der Flammen.
 

"Nein! Das kann nicht sein!“, flüsterte Hakuren. Der Schock saß zu tief in seinen Adern. Sie hatten es die ganze Zeit geahnt, doch die Erkenntnis, dass die eigene Mutter sich wirklich gegen sie und vor allem den Kaiser verschworen hatte traf ihn unvorstellbar schmerzhaft. Der schon lange schwärende Verdacht nahm nichts von der Heftigkeit des Schmerzes der Klarheit. Die Gewissheit, dass die eigene Mutter, die liebevolle, edle Gyokuen so etwas Hinterhältiges wahrscheinlich bereits von langer Hand geplant hatte, erfüllte ihn mit hilflosem Entsetzen. Wie gelähmt stand er da, sein Schwert nutzlos in der Hand, bis ihn jemand heftig an der Schulter rüttelte.

Der erste Prinz kniff entschlossen die Augen zusammen. „Komm! Wir müssen raus hier und Vater warnen!“, beschloss er.

Das erste Mal in seinem Leben war Hakuren unsagbar erleichtert, dass der Ältere einen Plan und das Sagen hatte. Bereitwillig überließ er die Führung seinem großen Bruder, den er immer um diesen Anspruch beneidet hatte. Nun allerdings war er froh, dass es jemanden gab, auf den er sich in diesem blinden Chaos verlassen konnte. Wie falsch er immer gelegen hatte! Welch vermessene Gedanken er gehegt hatte! Er war noch so jung und dumm! Viel zu erregbar, naiv und gutgläubig. Yuu eignete sich als einziger für das Erbe ihres Vaters. Egal was Hakuren anstellte, er würde immer nur zweitklassig sein. Als Unterstützer und Kämpfer großartig, aber niemand, der die Führung übernehmen konnte, ganz gleich wie sehr er sich dies wünschte. Diese Erkenntnis erfüllte ihn wider Erwarten nicht mit Verbitterung, sondern mit purer Erleichterung. Er würde Hakuyuu folgen und so würden sie diese Nacht überstehen. Nie wieder, das schwor er sich, würde er Yuus Position in Frage stellen.

„Träum nicht herum! Wir müssen laufen, Vater finden und uns irgendwie durch die Reihen der Priesterschaft hindurchkämpfen“, herrschte sein Bruder ihn an, klang so entschlossen und hart wie auf dem Schlachtfeld, wo er als Held gefeiert wurde.

Hakuren warf einen Blick nach hinten, sah die Feuerzungen in ihrem Rücken, die sie beinahe eingeholt hatten, nun aber auch neben ihnen aus den Wänden schlugen. Eile war geboten. Er nickte schicksalsergeben. Dieses Mal gehorchte er dem Älteren blind.
 

Sie stürmten durch die langen Gänge Richtung Eingangshalle, die Flammen schlugen aus den Zimmern, die sie nur mit einem hektischen Blick nach dem Kaiser absuchen konnten, loderten auf dem Boden, entfachten die Teppiche. Schweiß durchnässte ihre Gewänder und verdampfte sogleich auf ihrer Haut. Das Feuer griff mit unstillbarer Gier nach ihnen, doch Hakuyuu zog ihn einfach mit sich hindurch, sodass Hakuren die Flammen kaum stärker fühlte als die sengende Hitze, die ohnehin schon die Luft schwängerte. Wie Drachenatem. Plötzlich brüllte er erschrocken auf und zerrte an der Hand seines Bruders. „Was ist mit Ryuu?!“, schrie er angsterfüllt und blieb wie angewurzelt stehen.

Alarmiert erstarrte Hakuyuu. Seine Augen flackerten voller Schuldgefühlen und Furcht. Offenbar hatte er in aller Aufregung bei der Suche nach ihrem Vater den jüngsten Bruder vergessen! „Komm, wir müssen zurück!“, gebot er und Hakuren blieb nichts anders übrig, als ihm wieder in den Flammenstrudel zu folgen.
 

Die Brüder schossen durch den lodernden Korridor, da ertönte ein schmerzerfülltes Kreischen. In all dem Durcheinander verriet es ihnen, wo sie suchen mussten. Voller Sorge wollte Hakuren die Tür zu den Gemächern seines geliebten kleinen Bruders eintreten, doch Hakuyuu packte ihn und schleuderte ihn zurück.

„Pass du auf und warte hier, ich hole ihn! Lass niemanden in unsere Nähe kommen, wenn er dir boshaft erscheint, greif sofort an!“, bestimmte er.

„N-Nein, Yuu!“, rief der Jüngere noch, doch es war bereits zu spät. „Verdammt, Hakuyuu!“

Der erste Prinz warf sich mit aller Kraft, die ihm blieb, gegen die schwere Flügeltür und tatsächlich brach sie nach innen auf.

Schwitzend und bebend vor Anstrengung hielt Hakuren Wache. Die Hitze wurde unerträglich. Flammen loderten überall um sie herum, kamen näher und näher. Was sollte er tun? Lange konnte er hier nicht mehr ausharren, aber Yuu und Ryuu alleine lassen? Das kam noch weniger in Frage. Doch da ertönte ein Poltern, lauter als das Krachen und Knacken der Flammen. Seine Brüder stürzten hustend und rußbedeckt aus dem Zimmer, in dem das Feuer bereits wie eine Bestie gewütet hatte. Hakuryuus Augen waren weit aufgerissen vor Schock, doch darum mussten sie sich später kümmern. Erleichtert sog Hakuren die Luft ein, doch da war nur beißender Rauch, der ihn übel würgen ließ. Trotz der Krämpfe in seiner Brust rannte er voraus, mit Hakuyuu, der den kleinen Hakuryuu auf dem Arm hielt, im Schlepptau. Stürmte den Weg zurück, den sie gekommen waren. Dieses Mal war es noch gefährlicher. Die Hitze unbarmherzig, die herabstürzenden Trümmer tödlich. Es gab keine Luft zum Atmen, nur Ascheflocken und Qualm, der die Augen sturzbachartig tränen ließ. Außer dem Tosen des Brandes hörte man nur Hakuryuus hysterische Schreie, schrill und hoch vor Todesangst. Hakuren sprang über einen verkohlten Balken, duckte sich unter aufstiebender Glut weg und plötzlich wurde die Luft wieder klarer, sie eilten durch einen großen Saal, der von den Flammen noch weitgehend verschont geblieben war und in den nächsten Gang hinein. Der Flur teilte sich.

„Wohin, Hakuyuu?“, krächzte er, bekam als Antwort lediglich den kleinen Bruder in die Arme gedrückt.

„Folge mir!“, rief der Ältere und bog in Richtung der Kaisergemächer ab.
 

Doch weit sollten sie nicht kommen. Eine mächtige Hitzewelle schlug ihnen entgegen. Allerdings konnte sie dieses Hindernis schon lange nicht mehr abschrecken. Ihre Haut schälte sich bereits unter den unbarmherzigen Temperaturen, aber irgendetwas in Hakuren hatte sich bereits an dieses Lodern gewöhnt. Mit den plötzlich zurückgekehrten Flammen kam etwas viel schlimmeres: Die rußige Luft. Röchelnd vor Atemnot torkelte Hakuren seinem älteren Bruder hinterher, während sich Hakuryuu wimmernd an seinen Hals klammerte. Er versuchte vollkommen vergeblich, den Atem anzuhalten, doch so konnte er nicht laufen. Krampfhaft sog er die flirrende Luft ein. Die Schmerzen pochten unerträglich in seinem Leib, seine Lunge wollte schier bersten, so sehr war sie bereits mit Rauch angefüllt. Ohnehin hatte sich Hakuren aufgrund der verschleppten Krankheit schon lange nicht mehr richtig agil und stark gefühlt, nun machte sich seine Schwäche noch vehementer als zuvor bemerkbar: Seine Belastbarkeit war verschwunden, ein paar hastige Schritte laugten ihn vollkommen aus, sodass er immer weiter hinter Hakuyuu zurückblieb. Das Gewicht des kleinen Hakuryuu behinderte seinen aufgebenden Körper zusätzlich, dabei musste er doch bei dem ersten Prinzen bleiben und ihm beistehen! Sie durften sich nicht verlieren, ansonsten würden sie in dieser Flammenhölle elendig zu Grunde gehen! Hustend spie er den schmutzigen Schleim aus, der sich wie von Zauberhand immer wieder in seinem Rachen ansammelte. Hakuyuu verschwand hinter der nächsten Biegung.

„Yuu, warte!“, hauchte er, viel zu leise, nur um einen erneuten Hustenanfall zu erleiden. Sein heftiges Würgen verstärkte Hakuryuus Angst.

„Ich will hier weg! Ich will zu Mutter!“, heulte der Junge, schnappte nach frischer Luft, und krallte sich derart panisch in Hakurens Gewand, dass dieser die kleinen Nägel bis auf die Haut spüren konnte.

Dieser ironische Wunsch hätte ihm die Tränen in die Augen getrieben, wären sie dank dem beißenden Qualm nicht ohnehin dauergereizt. Nur mit Mühe konnte er ein hysterisches Auflachen unterdrücken. Nein, er durfte jetzt nicht die Kontrolle verlieren, seine Brüder brauchten ihn, er musste stark bleiben! „Beruhige dich mein kleiner Drache“, krächzte er, „keine Sorge, ich bringe dich hier raus, in Sicherheit.“
 

Mühsam kämpfte er sich voran, doch plötzlich ließ ihn ein ohrenbetäubender Schrei zusammenfahren. Um die Ecke, auf die er sich grade noch hinzugeschleppt hatte, schoss sein Bruder, nun auch mit unbeschreiblicher Furcht in den Augen. Sobald er diesen Blick an Hakuyuu sah, der immer auf alles eine Lösung wusste und stets besonnen blieb, wusste er, dass ihre Chancen, diese Nacht lebendig zu überstehen mit jedem Herzschlag schrumpften. Nein, sie waren bereits auf Erbsengröße zusammengeschrumpft.

„Renn!“, brüllte Hakuyuu und riss ihn so hart mit sich, dass er beinahe Hakuryuu fallengelassen hätte. Keinen Moment zu früh. Eine gewaltige Feuerwalze drängte aus dem Gang hervor, schwappte um die Ecke und lechzte nach den Waden der flüchtenden Kaisersöhne, die um ihr Leben rannten. Hakuren wich nicht von Yuus Seite. Vergessen war die Schwäche, die Krankheit, in diesem Moment gab es nur das Adrenalin, welches von nackter Todesangst durch ihre Adern getrieben wurde. Flammenzungen leckten an seinem Haar, versengten seinen Körper und die seiner Brüder, trieben die Seidenfasern seiner Kleidung dazu, mit seiner Haut zu verschmelzen. Doch in diesem Augenblick bemerkte er den Schmerz nicht mehr.

„Zurück in den Saal!“, befahl Hakuyuu und er hielt sich an diesem winzigen Ziel fest, mit aller Macht, obwohl seine Lunge ein ersterbendes Pfeifen von sich gab.
 

Und dann warfen sie sich endlich aus dem hinter ihnen einstürzenden Gang, fielen keuchend und ächzend auf die aufgeheizten Bodenfliesen. Hakurens Griff um den Kleinen löste sich in der Wucht des Aufpralls und Hakuryuu weinte kläglich. Doch um ihn zu trösten blieb keine Zeit.

„Steht auf, ihr beiden“, drängte Hakuyuu, „wir müssen sofort hier raus!“

„Was ist mit Vater?“, stieß der zweite Prinz hervor, wohlwissend, dass es keinerlei Durchkommen zu den kaiserlichen Gemächern mehr gab. Der Gang existierte nicht länger und sein Vater wohlmöglich auch nicht. Der Schock, welcher ihn eben noch davor bewahrt hatte von den Flammen verschlungen zu werden, ließ nun seine Knie zittern und seine Lunge zusammenschrumpfen, bis er zu ersticken glaubte. Schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen, obwohl er bereits am Boden lag. Sein Herzschlag hämmerte betäubend in seinen Ohren. „Yuu… warte…“, brachte er hervor.

Doch der Ältere antwortete nicht.

„Bruder Ren, was ist mit dir?“, fiepte Hakuryuu, der bebend zu ihm gekrochen kam, die Augen vor Furcht weitaufgerissen, sodass sie schier aus ihren Höhlen zu springen schienen.

„Keine Sorge, Ryu… es geht schon… ich brauch nur eine… kurze Pause.“ Ob das wohl reichen würde? „Yuu…!“, presste er hervor, wollte endlich seine Aufmerksamkeit auf sich und den Jüngeren ziehen, ehe dieser verfluchte Husten ihm den Atem raubte.
 

„Kommt nicht näher! Ich warne euch!“, zerriss mit einem Mal die Stimme des ersten Prinzen das allgegenwärtige Knacken und Knistern des einbrechenden Palastes und der Flammen. Die unerschütterliche Härte in diesen Worten brachte Hakuren in die Wirklichkeit zurück. Hakuryuu drückte sich zitternd an ihn. Durch seinen Tränenschleier hindurch erkannte Hakuren den älteren Bruder, der sich schützend vor sie gestellt hatte. Sein blankes Schwert schillerte im Feuerschein und zuckte zwischen zahllosen Feinden hin und her: Die Priester ihrer Mutter! Wie konnte er sie nur übersehen haben? Es war also nicht bei einem dieser widerwärtigen Speichellecker geblieben, nein, vor ihnen stand eine ganze Horde dieses dreckigen Abschaumes und versperrte ihnen den einzigen Weg ins Freie! Das durfte nicht sein! Sie mussten sich aus dieser Falle herauskämpfen, koste es was es wolle! Hechelnd vor Anstrengung wälzte er sich auf die Seite, stemmte die Hände gegen den viel zu warmen Boden und ignorierte das protestierende Stechen in seiner Brust, als er die verbrannte Luft einsog. Schwankend richtete er sich auf, riss sein Schwert aus dem Gürtel und drängte den vor Schreck erstarrten Hakuryuu zwischen sich und Hakuyuu.

„Hier!“, rief der Ältere und zerrte einen winzigen Dolch zwischen seinen Gewändern hervor, welchen er dem unbeweglichen Jungen in die Hand drückte, ehe seine Klinge den ersten ihrer Feinde in der Mitte zerteilte. Sogleich brach ein unbeschreibliches Chaos aus. Aus allen Himmelsrichtungen stürmten die Schergen der Kaiserin heran, hieben mit ihren Stäben, mit Messern, Schwertern und sonstigen Waffen auf die Brüder ein, wandten sich sogar gegen Hakuryuu, den Yuu und er mit aller Macht verteidigten, gleichgültig, ob sie dabei einen tiefen Schnitt riskierten. Ohne den Kleinen würden sie niemals gehen, auch wenn das bedeutete, dass sie selbst den letzten dieser heidnischen Priester zerstückeln mussten.
 

Der Kampf, welcher viel mehr einer blutrünstigen Schlacht entsprach, zog sich in die Länge. Die Kampfkünste ihrer Feinde wirkten nahezu lächerlich, ihre Wirkung entsprang allein deren verstörender Zahl. Ganz gleich wie viele der vermummten Krieger unter den Schwertern der Kaisersöhne fielen und klackernd als Puppen über den Boden rollten, für jeden getöteten Feind schienen mindestens zwei neue auf der Bildfläche zu erscheinen. Irgendwann hoben sich Hakurens Schultern so heftig, dass er seine schwere Waffe nicht mehr grade halten konnte. Ernüchternde Hilflosigkeit erfüllte sein Denken. Sie waren dieser Übermacht hoffnungslos unterlegen. Mittlerweile war das Feuer selbst bis in den riesigen Saal vorgedrungen. Die Trümmer der zerborstenen Holzbalken, welche ebenfalls einige ihrer Feinde erschlagen und unter sich begraben hatten, verrieten, dass auch dieser Teil ihres einst so sicheren zu Hauses bald in sich zusammenfallen würde wie ein verwehter Laubhaufen. Die beiden Älteren tauschten einen grimmigen Blick. Erneut schnitt Hakurens Säbel einen der Priester. Ein Ausfallschritt und ein weiterer fiel in sich zusammen wie ein ungefüllter Reissack. Und noch einer und noch einer. Täuschte er sich, oder dünnten die Reihen ihrer Feinde doch langsam aus?
 

Doch plötzlich ertönte ein spitzes, hohes Winseln.

Hakuryuu!, durchfuhr es ihn wie ein vernichtender Blitzeinschlag. Er war nicht mehr hinter ihm! Zwei der Priester hielten seinen Bruder mit ihren widerwärtigen Klauen gepackt, wie ein Stück Beute, um welches sie sich stritten, bis es zerfetzt wäre. Der Prinz sah rot. Mit einem zornerfüllten Brüllen schnellte er herum, warf sich den Feinden entgegen und stieß sie von dem kleinen Jungen weg. Er hatte erwartet, dass seine Klinge durch ihr morsches Fleisch fahren würde, wie bei ihren Vorgängern, umso überraschter war er, als sein Schwert auf einen vorgestreckten Stock traf und unsanft daran abprallte. Wütend schlug er auf die beiden ein, doch gemeinsam gelang es ihnen immer wieder seine von Mal zu Mal schwächeren Hiebe abzuwehren. In ihrem Rücken erblickte er Hakuyuu, welcher offenkundig zur Hilfe eilen wollte, doch anstatt einen Kampfesschrei auszustoßen, brüllte er:

„Hinter dir!“

Der entsetzte Ausdruck im blutüberströmten Gesicht seines Bruders brannte sich in seinen Geist, ehe er begriff, dass er herumschnellen, sich verteidigen sollte, nein musste! Doch ein abartiger Laut, den er schon unvorstellbar oft vernommen hatte und ein grausamer Ruck, der durch seinen ganzen Körper ging, verrieten ihm, dass es zu spät war. Nie hätte er vermutet, dass ihn die Kälte der Klinge, die sich in seine Brust bohrte, derartig überwältigen würde. Er fühlte wie das eisige Metall seinen brennenden Körper durchstieß, sich seinen Weg durch endlos dicke Hautschichten bahnte, die doch so verschwindend dünn erschienen, und wieder aus ihm verschwand. Hörte sich um Atem ringen, als das Blut in seine verletzte Lunge strömte, den tierischen Laut, den Hakuyuu von sich gab, ehe er die letzten Priester in blindem Hass ins Jenseits beförderte. Bemerkte kaum, wie er am Boden aufschlug. Doch dann kam der Schmerz. Seltsam eindringlich, verzehrend, während er an seinem eigenen Blut würgte und röchelte. Die Todesqualen nahmen ihn gefangen, vereinnahmten sein ganzes Fühlen, es gab keinen Platz für etwas anderes als das entsetzliche, niederringende Gefühl des Ertrinkens. Er spürte nicht einmal mehr die kleinen Finger, die panisch an seiner Seite rüttelten, nahm nicht einmal das gepeinigte Kreischen wahr.

„Bruder Ren! Bruder Ren!“

Vor ihm kniete Hakuryuu heulend und wimmernd, aber er sah ihn nicht mehr. Die blauen Augen seines Bruders verschwammen mit den aufstiebenden Flammen im Hintergrund, verwandelten sich in tiefrotes Haar und ein narbiges Gesicht, das er sein ganzes Leben lang geliebt hatte.

Mei… ach Mei… es tut mir so leid. Ich wollte dir noch so vieles sagen. Verzeih mir, dass ich zu schwach war, um bei dir zu bleiben.

Der Rothaarige lächelte schüchtern, so verständnisvoll, wie er immer schon gewesen war. Dabei hatte der Prinz dessen Freundlichkeit überhaupt nicht verdient… dennoch… es gab nichts, was ihn glücklicher machte, als dieses Lächeln. Eine wohltuende Wärme stieg in Hakuren auf, eine Wärme die nichts mit der Hitze des tödlichen Infernos gemein hatte. Mit letzter Kraft streckte er die verbrannte Hand nach ihm aus. Doch er griff ins Leere.
 

*-*.
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Fürs Erste wird dies das letzte Kapitel der Sidestory sein, auch wenn noch so viele Ideen darauf warten zu Papier gebracht zu werden und es großen Spaß gemacht hat, über Hakuren und Koumei zu schreiben, wird es erst einmal mit anderen Geschichten weitergehen.

Sollte jemand einen Fehler entdecken, darf er sich gerne melden.

Ich hoffe jedenfalls, dass euch der kleine Abstecher zu Hakurens Erlebnissen gefallen hat, trotz des abrupten Endes :) Komplett anzeigen

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