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Ein unverhofftes Familientreffen

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich hab’s endlich geschafft! ^^° Erneut kann ich mir nur für die lange Wartezeit entschuldigen, allerdings lag es dieses Mal zumindest teilweise außerhalb meiner Macht. Ich habe eine ganze Weile festgehangen und als ich endlich vorangekommen bin und es so langsam auf das Ende zuging, hat sich mein Laptop verabschiedet und ist nicht länger gestartet. q.q
Kurz zusammengefasst: Nach ewigen probieren, hat er zwar gestartet, aber alle Daten waren komplett weg und er hat sich jedes Mal aufgehangen. Glücklicherweise hatten wir noch einen alten Laptop, den keiner mehr nutzt, also konnte ich den so lange zum schreiben nehmen. Ich musste allerdings mein gesamtes Kapitel neu schreiben und meinen Laptop weggeben, aber glücklicherweise geht er wieder, ich muss ihn nur neu einrichten.
Ich bin zwar immer noch nicht 100% mit diesem Kapitel zufrieden, aber egal, es kann mich jetzt mal, ich hab echt genug, also update ich jetzt. XD Hoffe es gefällt euch trotzdem. :3 Komplett anzeigen

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Chaos

Der Seelenspiegel war schneller vorbereitet, als gedacht und noch dazu mit weitaus weniger Aufwand als es einem in Filmen, Serien oder dem Internet vorgegaukelt wurde. Zwar stimmte es, dass der Kontakt mit der Welt der Toten immer ein Risiko barg und noch dazu gewisse Schutzmaßnahmen getroffen werden mussten, damit man nichts in diese Welt einlud, allerdings zählte die Variante mit dem Spiegel wohl zu den sichersten Methoden. Ein einfacher Salzkreis reichte bereits aus, um unerwünschte Besucher fern zu halten und auch das Risiko, dass sich etwas an Rin anheftete, lag praktisch bei null. Schlussendlich musste er nur noch einige Worte sprechen, um den Seelenspiegel zu aktivieren, was gar nicht einfach war, da diese in Henochisch waren. Glücklicherweise sprachen seine Geschwister den Dialekt fließend und sagten ihm so lange die Worte vor, bis es endlich funktionierte. Von einem Augenblick auf den anderen stand er nicht länger in ihrem Zimmer, sondern schien sich im Nichts zu befinden. Ein seltsamer, weißer Nebel umgab ihn und raubte die Sicht auf seine Umgebung. Nervös sah er sich um und lauschte, doch hörte und entdeckte nichts. Sollte das so sein? War etwas schief gelaufen? Saß er fest oder war irgendwie falsch abgebogen? Ging so etwas überhaupt?! Er hielt inne und atmete kurz durch, um sich zu beruhigen. Sicherlich hatten sein Vater und seine Brüder gewusst, was sie taten, es würde schon alles gut gehen. Laut ihnen befand er sich nicht direkt im Totenreich, es war vielmehr eine weitere, wesentlich kleinere Dimension, die sich irgendwo zwischen Leben und Tod befand und “Limbo“ genannt wurde. Nach kurzem Zögern setzte er sich in Bewegung, auch wenn er nicht einmal den Boden sehen konnte. Je länger er ging, umso entspannter wurde er jedoch. Dieser Ort hatte etwas beruhigendes und friedliches an sich, als könnte niemals etwas schlechtes geschehen. „Hallo, Rin. Das hat ja lange genug gedauert, ich dachte schon, du hättest mich vergessen.“ Abrupt blieb der Nephilim stehen, als er diese vertraute Stimme hörte. Verschiedenste Emotionen machten sich bemerkbar, Hoffnung und Freude, aber auch Angst und Anspannung. Es hatte also tatsächlich funktioniert. Langsam drehte er sich um, befürchtend, dass es doch nur Einbildung war und er sich unnötige Hoffnungen machte, aber dem war nicht so. Tatsächlich stand dort Shiro Fujimoto, als wäre er nie weg gewesen und grinste ihn an. „P-Papa?“, entfuhr es Rin ungewollt, woraufhin der verstorbene Paladin eine Braue hob. „Na, das kommt unerwartet. So hast du mich nicht mehr genannt seit-” Bevor er den Satz vollenden konnte, war Rin bereits bei ihm und umarmte ihn. Er war mehr als froh, dass er ihn tatsächlich umarmen konnte und seine Arme nicht einfach durch ihn hindurch gingen wie bei einem Geist. Zunächst war der ältere verwundert, erwidere die Umarmung jedoch schnell. „Es tut mir leid!“, schluchzte der Halbdämon hervor. „Das ist alles meine Schuld! Wenn ich nur auf dich gehört hätte, wärst du noch am Leben! Ich hätte nie sowas zu dir sagen sollen, ich-“

 

„Hey, immer mit der Ruhe.“, unterbrach Shiroihn sanft. „Es ist in Ordnung, ich weiß, dass du es nicht ernst gemeint hast. Du hattest Angst, das ist ganz natürlich.“

 

„Aber ich konnte dich nicht retten!“, protestiere Rin. „Wenn ich schneller gewesen oder einfach zuhause geblieben wäre-” Erneut wurde er unterbrochen. „Hör auf, dir Vorwürfe zu machen, das bringt niemanden etwas.“, sagte der Weißhaarige ernst. „Selbst wenn du im Stift geblieben wärst, früher oder später hätten dich die Dämonen gefunden. Ich wusste, worauf ich mich einlasse, als ich dich und Yukio aufgenommen habe. Es war meine Entscheidung mich zu töten, also hör auf, dich deswegen schlecht zu fühlen. Davon abgesehen trage ich eine große Mitschuld. Ich hätte es nicht so lange vor dir geheim halten sollen, allerspätestens als mir klar wurde , dass du kurz vor deinem Erwachen standest, hätte ich es dir sagen müssen. Ich war diesbezüglich egoistisch und hätte nicht versuchen dürfen, deine wahre Natur zu unterdrücken. Es tut mir leid.“ Der Nephilim schwieg betreten, woraufhin Shiro seufzte. „Setzen wir uns erst mal, dann können wir alles in Ruhe bereden.“ Rin war zunächst verwirrt, nirgends war etwas zum sitzen, aber scheinbar aus dem Nichts war eine Bank wenige Meter hinter ihnen aufgetaucht, auf der sie sich nun niederließen. Dabei nutzte er die Gelegenheit und betrachtete seinen Adoptivvater genauer. Er sah genauso aus, wie er ihn in Erinnerung hatte und beinahe hätte er geglaubt, dass der ältere noch am Leben war und sich lediglich hier zurückgezogen hatte. „Es tut mir leid. Alles. Ich hab dir immer nur Probleme gemacht.“, murmelte er erneut und erhielt dafür einen strengen Blick. „Nun hör schon auf. Was geschehen ist, ist geschehen. Ich bin davon ausgegangen, dass Satan dir schaden will und ich bereue meine Entscheidung nicht. Allerdings wäre es wirklich nicht schlecht gewesen, wenn Mephisto mal erwähnt hätte, dass nicht Satan der böse ist.“ Letzteres fügte er ein wenig düster hinzu, nur um kurz darauf den Kopf zu schütteln. „Gut egal, ich sollte mich wohl nicht beschweren. Immerhin haben wir es ihm mit zu verdanken, dass wir miteinander reden können. Also...wie geht es dir?“ Automatisch wollte Rin mit „Gut.“ antworten, hielt sich allerdings auf. Es wäre eine Lüge gewesen und sein Ziehvater verdiente die Wahrheit. „...Nicht sehr gut. Ich bin zwar froh, dass meine Freunde zu mir halten und ich nicht gehasst werde, aber ich fühle mich schuldig. Ich kann nichts tun außer herumzusitzen und auf Neuigkeiten zu warten, dabei ist es Lilith nur wegen mir gelungen, Assiah zu erobern.“, murmelte er leise und hielt inne, da ihm einfiel, dass Shiro sie nicht kannte, doch dieser winkte ab. „Schon gut, ich weiß, wer Lilith ist. Man bekommt im Totenreich mehr mit als du denkst.“ Der Nephilim nickte und fuhr fort. „In den letzten Monaten hab ich so viel dazu gelernt und immer mehr Vertrauen in mich gewonnen, aber als es dann drauf ankam, hab ich alle im Stich gelassen. Und dann bist da noch du...auch wenn es deine Entscheidung war, ich hätte mehr tun können. Als Vater dich übernommen hat, konnte ich nichts tun, ich war wie erstarrt. Wenn ich wenigstens versucht hätte, dich irgendwie zu erreichen...ich wollte ihm dafür in den Arsch treten, aber jetzt...“, er brach ab und schaute beiseite, während sich Scham in ihm breit machte. Er wusste nicht, wie er alles, was er fühlte und dachte, in Worte fassen sollte, Shiro verstand ihn jedoch glücklicherweise beinahe sofort. „Du hast ein schlechtes Gewissen, weil du Satan und die Dämonenkönige als Familie ansiehst, obwohl Satan eine Mitschuld an meinem Tod hat.“, stellte er ruhig fest. Damit hatte er genau ins Schwarze getroffen und Rin nickte langsam. „Ich weiß, dass du dein ganzes Leben lang gegen Dämonen gekämpft hast, aber sie sind nicht so, wie alle denken.“, versuchte er, sich zu erklären. „In Gehenna habe ich mich willkommener gefühlt, als jemals in Assiah und nicht nur durch meine Familie, auch durch andere Dämonen. Ich habe so schnell Freunde gefunden und wurde nicht schief wegen meiner Herkunft angesehen. Meine Brüder und...Vater haben mir immer geholfen, mich getröstet, wenn es mir schlecht ging und haben sich um mich gekümmert. Ich...Sie sind mir wichtig geworden, aber es fühlt sich an, als würde ich dich damit verraten!“ Er wollte noch weiterreden, da nun er einmal darüber sprach, brachen die Emotionen hervor, allerdings kam Shiro ihm dieses Mal zuvor. „Bist du glücklich?“, fragte er und erwischte Rin damit vollkommen im kalten. „Was?“, hakte der Halbdämon nach, sicherlich hatte er sich verhört. „Ich habe gefragt, ob du glücklich bist.“, wiederholte Shiro ruhig und der jüngere musste nicht lange nachdenken. „Ja. Es klingt verrückt, aber ich fühle mich einfach wohl in ihrer Nähe. Als könnte nichts schlimmes mehr passieren...“ Er brach ab und wich erneut dem Blick des Paladins aus, sicher, dass dieser wütend werden würde. Zu seiner Überraschung geschah das Gegenteil: Shiro lachte. Verwundert und ein wenig entrüstet sah er ihn an. „Hey, was gibt‘s da zu lachen, alter Mann?!“, empörte er sich. Er hatte gerade all seine Unsicherheiten ausgeschüttet und dieser alte Knacker lachte?! Der hatte vielleicht Nerven! „Rin, es gibt keinen Grund dich schlecht zu fühlen!“, antwortete Shiro endlich, als er sich beruhigt hatte. „Ich mag dich aufgezogen haben, aber das bedeutet nicht, dass es dir verboten ist, deine Familie zu mögen.“

 

„Aber...du bist ein Exorzist! Du warst der Paladin!“

 

„Mag sein, aber ich war trotzdem kein blinder Dämonenhasser wie manch anderer. Gut, ich gebe zu, früher war ich einer, aber nachdem ich Yukio und dich aufgenommen habe, hat sich das geändert. Nachdem ich gestorben bin, habe ich außerdem Satan und die restlichen Baal getroffen und sie schienen mir nicht die schlechtesten Dämonen zu sein.“ Rin sah ihn überrascht an. „Warte, du bist ihnen begegnet?!” Azazel war logisch, er kümmerte sich um die Toten und er hatte es ihm gegenüber sogar erwähnt, der Rest war allerdings neu. „Oh ja und es war wohl eines der seltsamsten Treffen überhaupt. Natürlich war ich ziemlich überrascht, als ich zu mir kam und Azazel vor mir stand. Vielleicht hat er es nie erwähnt, aber wir sind uns einmal begegnet, als ich noch lebte, weswegen ich ihn sofort erkannt habe. Zuerst dachte ich, ich wäre wohl doch noch für meine Taten in die Hölle gefahren, aber dann fing er damit an, mich damit anzufahren, dass ich eigentlich noch viele Jahre vor mir hatte und ihm gerade extra Arbeit gemacht habe, vor allem da meine Akte so dick ist. Sicherlich nicht der Empfang mit dem ich gerechnet habe...“ Rin konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Ja, das klang ganz nach Azazel und er konnte es sich bildhaft vorstellen. Wahrscheinlich hielt er jeder Seele diesen Vortrag, wenn sie zu früh starb. Kaum dachte er dies, verdüsterte sich sein Gesicht wieder. Er hatte noch immer keine Ahnung, wie es mit seinem Bruder weitergehen würde, daher schob er schnell den Gedanken beiseite. Fall Shiro es bemerkt hatte, kommentierte er es nicht. „Jedenfalls kamen nur kurz darauf Satan und die restlichen Baal dazu. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass diese Situation äußert unangenehm war, nicht nur für mich, sondern auch für sie. Außerdem bestätige sich meine Vermutung, dass Mephisto eigentlich Samael war, was nochmal für einige Konflikte gesorgt hat.“

 

„Sie haben wir mir nie gesagt, dass sie sich alle nochmal getroffen haben.“, murmelte Rin, woraufhin der ehemalige Paladin mit den Schultern zuckte. „Ich nehme an, sie wollten dich nicht unnötig an meinen Tod erinnern. Schlechte Absichten hatten sie jedenfalls nicht. Wie auch immer, ich habe mich eine ganze Weile mit ihnen unterhalten. Astaroth war übrigens nicht gerade gut auf mich zu sprechen wie du dir sicher denken kannst. Erst dann erfuhr ich von ihren wahren Absichten und schlussendlich haben wir unsere Differenzen mehr oder weniger beglichen. Umso überraschter war ich, als Satan mir plötzlich den Vorschlag gemacht hat, dass ich ein letztes Mal mit dir reden könnte.“

 

„Was hast du von ihnen gedacht? Also Satan und den Baal. Mal alle Vorurteile außen vor gelassen.“, fragte Rin vorsichtig. Shiro überlegte kurz, bevor er antwortete. „Ich dachte, dass sie für die mächtigsten Dämonen Gehennas ein ziemlich verrückter Haufen sind...Egyn hat erst versucht Astaroth zu erwürgen und anschließend mit einem Speer aufzuspießen, weil er dich beinahe verletzt hat und Mephisto zusätzlich angegiftet, Azazel hat gejammert, dass er endlich schlafen gehen will, Amaimon hat sich mittendrin beschwert, dass keine Süßigkeiten da sind, Iblis hat Astaroth mit seinen fehlgeschlagenen Versuchen aufgezogen, Beelzebub hat plötzlich irgendetwas von Tumblr erzählt und Lucifer hat mit wachsender Verzweiflung versucht, sie dazu zu bringen, ernst zu bleiben. Satan hat das meiste einfach ignoriert, er hat mehr resigniert als alles andere gewirkt.“

 

‚Japp, das klingt ganz nach ihnen...’, dachte Rin. „Also...hast du kein Problem damit, dass ich sie als Familie ansehe?“, hakte er zögerlich nach. Shiro lächelte ihm aufmunternd zu. „Natürlich nicht, ich freue mich sogar sehr für dich. Es war sicher nicht einfach gewesen, aber dass du jetzt Leute hast, die sich um dich sorgen, ist mehr wert als alles andere.“

„Aber...ich weiß noch nicht wirklich was ich will.“, gab Rin zu. „Ich habe Freunde in Assiah gefunden, aber auch in Gehenna. Durch den momentanen Krieg mit Lilith arbeiten beide Seiten zusammen, aber ich habe Angst vor dem, was danach kommt. Sie werden wieder Feinde sein und ich bin in der Mitte von allem. Ich muss mich irgendwann entscheiden, ob ich mehr Mensch als Dämon sein will oder anders rum. Ich möchte niemanden enttäuschen, aber ich...ich weiß nicht, was ich tun soll. Was wenn ich mich falsch entscheide?“ Shiro legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Deine Angst ist nachvollziehbar, aber ich würde mir nicht zu viele Sorgen machen. Selbst wenn der Krieg vorbei ist, werden Menschen und Dämonen sich nicht sofort wieder bekämpfen, dafür sind dann beide Seiten zu angeschlagen. Es kann gut sein, dass sie sogar zum Teil zusammenarbeiten, um sich gegenseitig wieder aufzubauen. Vielleicht ist es fürs erste nur ein Waffenstillstand und kein Frieden, aber derartige Zusammenarbeiten können viele Türen öffnen und egal wie du dich schlussendlich entscheidest, deine Freunde und Familie werden es verstehen. Ich kann dir nicht groß helfen und die Entscheidung auch nicht abnehmen. Du musst sie alleine treffen, aber ich bin sicher, dass du es wissen wirst, wenn es so weit ist.“ Rin war sich nicht so sicher, aber die Worte seines Ziehvaters beruhigten ihn und er hatte immer mehr das Gefühl, als hätte man ihm eine schwere Last abgenommen. Es tat gut, sich alles von der Seele zu reden und endlich mit diesem Kapitel seines Lebens abzuschließen. „Gut, wenn das jetzt geklärt ist, reden wir über anderes, immerhin ist unsere Zeit begrenzt. Wie wäre es, wenn du mir erzählt, was ich in den letzten Monaten verpasst habe? Hast du ein hübsches Mädchen getroffen? Oder einen Jungen?~“ Sofort errötete Rin. „Wie kommst du jetzt darauf?! Frag doch sowas nicht!“, entrüstete er sich, woraufhin Shiro nur lachte. Sie redeten noch eine Weile weiter, immerhin hatte Rin viel zu berichten und Shiro war mehr als erpicht darauf, zu hören, was ihm widerfahren war. Dabei kamen sie unter anderem auch auf Yukio und Shura zu sprechen, wobei er Rin bat, den beiden einiges auszurichten, was er natürlich versprach. Auch Yukio war ein schwieriges Thema und Shiro bereute es, dass sie sich so oft deswegen gestritten hatten, doch war sicher, dass er sich wieder fangen würde. Viel zu schnell verging ihre gemeinsame Zeit bis der ehemalige Paladin plötzlich aufstand. „Unsere Zeit ist beinahe rum. Wir sollten uns verabschieden. “, seufzte er, woraufhin Rin traurig nickte und sich ebenfalls erhob. „Danke. Für alles.”, flüsterte er leise und umarmte den älteren erneut, welcher ihm aufmunternd zulächelte. „Gerne doch. Pass gut auf dich und Yukio auf, in Ordnung? Und natürlich auf Shura und Kuro.”

 

„Mach ich.”, versprach der Halbdämon und blinzelte einige Tränen weg. Er wollte nicht, dass es endete, er wollte nicht wieder Lebewohl sagen, doch er riss sich zusammen. Immerhin hatten sie ein letztes Mal miteinander sprechen können und das bedeutete ihm mehr, als ihm zunächst klar geworden war. „Gut. Denke daran, du wolltest mir noch etwas beweisen.”, erinnerte Shiro ihn zwinkernd. „Ich bin gespannt und werde die Augen spitzen.~”

 

„Ha ha.”, erwiderte der jüngere augenrollend. Der alte Knacker merkte sich aber auch alles! „Bis dann alter Mann.”

 

 

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Hustend kam Rin wieder zu sich und sah sich suchend um. Er war zurück in seinem Zimmer, aber befand sich nicht länger in der Mitte des Kreises sondern lag auf seinem Bett. Auf dem Bett neben ihm saß Amaimon, welcher Behemoth mit einigen Leckereien fütterte. Erwartungsvoll sah er den jüngeren Dämonen an. „Und hat alles geklappt?”, fragte er neugierig. Rin nickte und schaute zu dem Spiegel, dessen Glas zersprungen und daher unbrauchbar geworden war. „Ja, danke.” Der Erdkönig nickte und hakte glücklicherweise nicht nach. Kuro, der bis gerade eben neben ihm geschlafen hatte, streckte sich kurz, dann schmiegte er sich schnurrend an Rin. Gedankenverloren strich er dem Kater durchs Fell und lächelte ihm zu. Sobald er seinen Vater, Samael und Azazel sah, schuldete er ihnen auf jeden Fall ein weiteres Dankeschön.

 

 

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„Sie…haben was gemacht und ins Internet gestellt?”, fragte Satan und sah Beelzebub verständnislos an. Eigentlich hatte er nur kurz mit ihm einige Dinge durchgehen wollen, stattdessen hatte ihm der Insektendämon sein Handy vor die Nase gehalten. „Memes.”, kam die Antwort als wäre sie selbstverständlich. „Die Menschen haben offenbar des öfteren einige unserer Kämpfe gesehen und sie gefilmt und Bilder gemacht. Daraus sind dann Memes geworden…das scheint neuerdings ihre Art zu sein, mit Krisen und Katastrophen umzugehen. Na ja, ist wohl immer noch besser als Inquisition.” Aha. Satan hatte absolut keine Ahnung, worüber der jüngere sprach. Er beschloss, dass er es am besten nicht weiter hinterfragen würde, er war einfach zu alt für solchen Mist. Er verstand ja nicht mal, was dieser ganze Tumblr, Instragram und wie sie alle hießen Kram war, von diesem komischen Gesichtsbuch ganz abgesehen. „Mit anderen Worten, die Menschen sehen überall Bilder und Videos von Dämonen?”, hakte er schließlich nach, immerhin war es alles, was er verstanden hatte. „Japp und es wird dabei nicht bleiben. Laut den Kommentaren können noch nicht alle Dämonen sehen, aber es werden mit jedem Tag mehr und einige haben schon angefangen was Übernatürliches in Betracht zu ziehen. Ein paar Zweigstellenleiter drängen darauf, endlich eine Pressekonferenz abzuhalten, aber sie sind noch uneinig, wer das sprechen übernimmt. Manche haben Samael vorgeschlagen, da er zumindest in Japan relativ bekannt ist, auch wenn es ein falscher Name ist.”

 

„Wahrscheinlich werden wir wirklich nicht drum herum kommen.”, gab Satan grimmig zu. So sehr es ihm widerfiel, wenn sie den Sterblichen nicht bald eine Erklärung lieferten, würde es noch übel enden. „Übrigens ist Rin wieder wach. Laut Amaimon wirkt er wesentlich glücklicher.”, informierte Beelzebub ihn vorsichtig. „Anscheinend verlief sein Gespräch mit Fujimoto besser als erwartet.” Satan nickte nur, während er den kleinen Eifersuchtsfunken ignorierte. ‚Er hat Rin aufgezogen, da ist es verständlich, dass er an ihm hängt. Es gibt keinen Grund eifersüchtig zu sein.’, rief er sich in Erinnerung. Noch immer fiel es ihm schwer, ruhig zu bleiben, wenn Rin den verstorbenen Paladin als Vater bezeichnete, doch natürlich tat er sein bestes, es zu verbergen. Zwar hatte Fujimoto ihm jahrelang sein Kind vorenthalten, aber er hatte sich dafür gut um ihn gekümmert. Es wäre mehr als grausam, von dem Nephilim zu erwarten, dass er den Paladin vergaß. „Gut. Hoffen wir, dass es ihm hilft.” Der Insektenkönig nickte und schaute erneut auf sein Handy. „Lucifer schreibt, dass sie ein Treffen ansetzen wollen, es geht wohl um die Pressekonferenz. Wir sollten wohl besser hingehen.” Der Dämonenherrscher unterdrückte ein Aufstöhnen, doch stimmte zu. Je eher sie die Sache hinter sich hatten, desto besser.

 

 

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Bereits wenige Tage später saß Rin zusammen mit den Adepten vor einem Fernseher und sah sich die Pressekonferenz an. Es hatte einige Unstimmigkeiten gegeben, doch schlussendlich hatte man sich endlich darauf geeinigt, was genau in der Pressekonferenz verkündet werden sollte, wann sie stattfand und sonstige organisatorische Dinge. Die Veranstaltung lief unerwartet reibungslos und kaum war sie vorbei, hingen sie sich an ihre Handys und lasen die Kommentare und Nachrichten im Internet. Die Reaktionen waren verschieden: Einige glaubten nicht daran und suchten nach anderen Erklärungen und bei jenen, die es glaubten, gab es ebenfalls gespaltene Lager. Während einige beinahe schon begeistert davon waren, dass es wirklich Dämonen und andere Fabelwesen gab, waren einige verängstigst und andere waren nicht sicher, was sie denken sollten. Viele hinterfragten, ob man Dämonen wirklich trauen konnten, vor allem religiöse Menschen befanden sich in einem extremen Zwiespalt. Eine Handvoll sprach davon, dass Dämonen eine Bedrohung waren, die vernichtet gehörte, doch dies hielt sich glücklicherweise noch in Grenzen. Natürlich verbreiteten sich die Neuigkeiten wie ein Lauffeuer, auch die Länder unter Liliths Kontrolle bekamen schnell mit, was los war. Es dauerte nicht lange und die ersten hitzigen Diskussionen entbrannten. Zugegebenermaßen dauerte es nicht lange, bis es Rin zu blöd wurde und er sein Telefon beiseite legte. In der Konferenz war bei weitem nicht alles mitgeteilt, wie zum Beispiel, dass es acht Dämonenkönige gab, die sich die Herrschaft über Gehenna mit Satan teilten, stattdessen hatte man es darauf gekürzt, dass Satan und eine Dämonin namens Lilith sich in einem schon seit Jahrtausenden bestehenden Konflikt befanden. Er wollte Frieden, sie wollte alles und jeden unterjochen. Mehr wussten sie vorerst nicht wissen. So oder so las man die seltsamsten Vermutungen und Theorien in den Kommentaren, teilweise fand er sie sogar ziemlich beleidigend, was einiges heißen wollte, wenn man bedachte, dass er erst seit nicht mal einem Jahr von Dämonen wusste. Nun verstand er in jedem Fall die Frustration seiner Brüder. Manche stellten sich hin, als wären sie die größten Dämonenkenner und behaupteten dann, Knoblauch wäre ein effektives Verteidigungsmittel. Würde nicht so viel von der Meinung der Menschen abhängen, könnte es lustig sein. „Also, das sieht doch eigentlich gar nicht mal schlecht aus.”, hörte er Shima sagen. „Wegen den ganzen Zwischenfällen in den letzten Monaten sind sie ziemlich schnell bereit, diese Erklärung zu glauben und bisher sind nur wenige Kommentare feindlich.”

 

„Wir sollten uns nicht zu früh freuen, das kann sich ganz schnell ändern.”, antwortete Bon kopfschüttelnd. „Die Dämonenkönige und Satan waren nicht umsonst so zögerlich. Wenn wir Pech haben, bricht Panik aus und sie veranstalten irgendwelche Hexenjagden.” Rin schwieg, doch sein Schweif bewegte sich unruhig hin und her, was den anderen sofort auffiel. „Ich bin mir sicher, dass alles gut sein wird.”, sprach Konekomaru ihm gut zu. „Das denke ich auch!”, pflichtete Shiemi sofort bei. „Manche werden am Anfang vielleicht Angst haben, aber früher oder später wird ihnen bewusst werden, dass nicht alle Dämonen böse sind.”

 

„Abgesehen davon ist es doch immer das gleiche.”, warf nun Izumo ein. „Erst schieben alle Panik und nach einer Weile flaut alleswieder  ab. Dieses Mal wird es vielleicht etwas länger dauern, aber sie werden sich schon noch damit abfinden. Schlussendlich ist es nur wichtig, dass wir neue Verbündete bekommen.”

 

„Da hat sie recht.”, ertönte Shuras Stimme. Überrascht sahen sie zur Tür, wo die rothaarige Exorzistin zusammen mit Yukio stand. „Vorerst ist weniger wichtiger, was die allgemeine Bevölkerung denkt, die Reaktionen der Staatsoberhäupter sind entscheidend. Manche wissen nämlich nichts von Dämonen oder Gehenna, also werden sie ziemlich ins kalte Wasser geworfen.”

 

„Ich dachte immer, die Staatsoberhäupter wissen davon. Hier in Japan ist es doch so, oder? Sonst könnte die Ritterschaft ja gar nicht wirklich arbeiten.”, warf Shiemi zögerlich ein. Shura zuckte mit den Schultern. „Na ja, das ist so ne Sache. Ja, hier wissen sie von, allerdings nicht alle. In Japan wissen es beispielsweise der Premierminister und die Kaiserfamilie, glaube ich zumindest. In so gut wie allen Ländern, wo die Ritterschaft operiert, weiß die Regierung Bescheid, allerdings haben wir nicht in jedem Land eine Zweigstelle. Zwar sind dort dann meist andere Organisationen vertreten, aber viele von denen arbeiten komplett im Geheimen. Für manche wird es also einen schönen Schock geben.”

„Angeblich haben die ersten bereits Kontakt aufgenommen und wollen über eine Zusammenarbeit reden. Bisher läuft alles gut, aber es ist nicht sicher, dass es so bleibt.”, warf Yukio ein. „War eigentlich Satan auch dort? Ich habe ihn gar nicht gesehen.”, fragte Suguro. „Ja, war er, aber er hat sich still im Hintergrund gehalten. Einige haben ihn etwas seltsam wegen seiner Haarfarbe angesehen, aber das war‘s.”, erklärte Shura. „Wobei er in seinen momentanen Klamotten wirklich aussieht wie ein normaler Mensch, also wundert es mich nicht.” Rin konnte da nur zustimmen. Da er kaum Klamotten hier hatte und sich möglichst gut anpassen wollte, trug sein Vater inzwischen eine Jeans, ein dunkelblaues Oberteil mit einer schwarzen Lederjacke und schwarze Stiefel. Wirklich immer wieder erstaunlich, was Kleidung ausmachen konnte. „Haben sie eigentlich noch vor, was über die Dämonenkönige zu veröffentlichen?”, fragte unerwarteterweise Izumo, Shura schüttelte allerdings mit dem Kopf. „Soweit ich weiß, werden sie es erst mal so belassen, die Welt wird schon so genug daran zu knabbern haben. Wir haben ja auch die ganze Sache mit Rin und den blauen Flammen weggelassen, mehr müssen sie vorerst nicht wissen. Fürs erste bleiben wir ganz ruhig, Sorgen können wir uns machen, wenn es soweit ist. Warten wir jetzt mal ab und schauen, was passiert.”

 

 

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Wie sie bereits vermutet hatten, kamen die Probleme in den nächsten Tagen. Innerhalb kürzester Zeit bildeten sich radikale Gruppierungen, welche sich die Auslöschung  der Dämonen zu Ziel gesetzt hatten. Sie begannen auf den Straßen zu patrouillieren und überprüften zufällig Menschen, ob sie besessen oder gar selbst Dämonen waren. Dummerweise waren ihre Methoden mehr als zweifelhaft und sie wurden zunehmend aggressiver. Inzwischen hatte es bereits Todesopfer gegeben, in manchen Ländern hörte man sogar etwas von Dämonenjagden, öffentlichen Hinrichtungen und sogar Verbrennungen auf Scheiterhaufen, wobei vom letzteren bisher nur vier Fälle bekannt waren, doch das war schon zu viel. Die Regierungen reagierten ebenfalls schnell, aber zumindest nicht tödlich. Viele Länder hatten schon Ausgangssperren und die Grenzen dicht gemacht, der Rest folgte nun deren Beispiel. Schulen, Kindergärten und viele öffentliche Institutionen waren geschlossen worden, die meisten blieben ohnehin freiwillig in ihren Häusern und Wohnungen. Leider machten sich viele die Angst der Menschen zunutze und überall tauchte nun in verschiedensten Läden Ware auf, welche angeblich vor Dämonen und Besessenheit schützten. Es reichte von Amuletten und Talismanen bis hin zu Sprays. Es war einfach widerlich, wie sehr manche eine Situation ausnutzten, um Profit zu machen. Rin hoffte wirklich, dass sich alles mit der Zeit legen würde. Momentan war sein einziger Trost, dass es ihm mit jedem Tag ein wenig besser ging, nur Albträume hatten ihn hin und wieder aus dem Schlaf fahren lassen. So war es auch in dieser Nacht. Schweißgebadet wachte er auf und verfiel beinahe in Panik, als er nicht sofort erkannte, wo er war. Zwar wurde es ihm schnell bewusst, doch dadurch fühlte er sich keineswegs besser. Zitternd vergrub er das Gesicht in sein Kissen und schluchzte leise. Er war so darin vertieft, dass er nicht hörte, wie sich die Tür öffnete und daher erschrocken zusammenzuckte, als sich eine Hand auf seine Schulter legte. „Rin, was ist denn los?”, hörte er jemanden leise fragen, den er zu seiner Überraschung als Samael erkannte. Auch das noch. Warum musste ausgerechnet der Clown ihn beim weinen erwischen? Er schwieg und versuchte sein Schluchzen zu unterdrücken, in der Hoffnung, dass der Baal ihn in Ruhe lassen würde. Natürlich war es nicht so einfach. „Was genau erhoffst du dir dadurch, mich zu ignorieren und weiter in den Kissen zu weinen?”, fragte der Zeitkönig trocken. „Ich weine nicht, ich schlafe.”, antwortete der Nephilim trotzig, was den älteren Dämonen seufzen ließ. „Hattest du wieder einen Albtraum?” Zuerst wollte Rin es abstreiten, er wollte sich nicht die Blöße geben, vor allem gegenüber Samael. Natürlich wusste er, dass sich der Zeitdämon darüber nicht lustig machen würde, aber er schämte sich trotzdem. Ein leises Rascheln an seinem Fußende ließ ihn schlussendlich doch aufsehen. Wahrscheinlich sah sein Gesicht ziemlich verheult aus, aber Mephisto kommentierte es glücklicherweise nicht. Der Ursprung des Geräusches stellte sich als Kuro heraus. „Rin, ist alles gut? Warum sagst du es ihm denn nicht, er ist doch dein Bruder?”, maunzte er besorgt und stupste ihn mit seiner Nase an. „Mir geht's gut, kein Grund deswegen so eine Aufregung zu veranstalten.”, nuschelte er vor sich hin. Erneut seufzte Samael und beinahe rechnete er damit, dass doch ein Kommentar kommen würde, was dann folgte, hatte er allerdings nicht erwartet. „Also ja. Wie wäre es, wenn ich hier bleibe?”, bot er an. Sofort sah der Halbdämon den Baal misstrauisch an. „Warum solltest du das tun?”

 

„Na, warum wohl.”

 

„Du hast immer Hintergedanken.”

 

„Meistens, dieses Mal allerdings nicht. Nach dem halben Jahr in Gehenna solltest du das wissen.” Dagegen konnte er wohl nicht argumentieren. Der Zeitdämon zeigte selten Zuneigung oder seine wahren Gefühle, machte man sich jedoch die Mühe hinter die Maske zu sehen, wurde schnell klar, dass mehr dahinter steckte. „Du bist bestimmt selbst müde, du musst nicht auf mich aufpassen.”, versuchte er, sich herauszureden. „Ich brauche nur wenig Schlaf, meine Arbeit kann ich auch hier erledigen und ich kann dich im Auge behalten. Den Rest lass meine Sorge sein.” Rin beschloss, über seinen Schatten zu springen und nickte langsam. Wenn er nein sagte, würde der Baal wahrscheinlich weiter nachbohren oder gar Satan holen und darauf konnte er wirklich verzichten. „Ok, na gut...”, grummelte er resigniert, rückte sein Kissen zurecht und legte sich wieder hin. Wenn er dadurch schlafen konnte, war ihm so gut wie alles recht. Kuro machte es sich ebenfalls bequem und lag nun zusammengerollt neben ihm. Samael setzte sich derweil auf den Bettrand, was ihn seltsamerweise bei weitem nicht so störte, wie er es vermuten würde. Langsam schloss er die Augen und spürte nur am Rande wie eine Hand durch seine Haare fuhr. Nach einer Weile schlief er ein, dieses Mal ohne einen einzigen Traum. Folglich bekam er nicht mit, dass auch Samael eingeschlafen war und nun neben ihm lag, woraufhin sich der Nephilim unbewusst an ihn klammerte. Nur kurz darauf kamen Beelzebub und Astaroth herein, die bei dem Anblick stehen bleiben und sich kurz ansahen. Grinsend zog Astaroth sein Handy hervor und machte ein Foto. „Wäre doch schade drum, das nicht für die Nachwelt festzuhalten. Und ist 'ne gute Erpressung.~” Der Insektendämon stimmte natürlich sofort zu. Am nächsten Tagen staunten die Exorzisten und Dämonen nicht schlecht, als Samael Astaroth durch die Basis jagte und es dabei offenbar auf sein Handy abgesehen hatte. Klugerweise hinterfragte es keiner mehr.

 

 

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Zwei Tage später hatte Rin ging es beim schlafen schon wesentlich besser und auch seine Albträume hielten sich in Grenzen. Offenbar hatte Mephisto den Rest seiner Familie informiert, weswegen nun immer jemand bei ihm war, wenn er schlafen ging. Überraschenderweise war er nicht genervt davon, sondern froh, dass er jemanden hatte. Das Training fiel ihm ebenfalls leichter, auch wenn es nicht regelmäßig stattfand, da alle mit anderen Dingen beschäftigt waren. Aus diesem Grund beschloss der Nephilim, die Initiative zu ergreifen. Zwar war es Rin nicht erlaubt, sich am kommenden Kampf zu beteiligen, aber dafür bekam er zumindest die Gelegenheit, sich anderweitig nützlich zu machen. Es waren keine besonders aufregenden Aufgaben, doch zumindest war es hilfreich und er saß nicht sinnlos herum. Gerade trug er drei übereinander gestapelte Kisten, sodass er kaum sah, wo er hinging, als es kam, wie es kommen musste und er in jemanden reinrennte. Glücklicherweise hatte sein Gegenüber schnelle Reflexe und hielt die Kiste fest, die drohte, runterzufallen. „Puh, danke. Tut mir leid, ich hätte besser aufpassen sollen. Alles ok?“, fragte der Nephilim und stellte die Kisten kurz ab, damit er mit der Person vor ihm reden konnte, welche sich nun als Tap herausstellte. Er hatte die rechte Hand Amaimons lange nicht gesehen, doch überspielte seine Überraschung schnell. Der Erddämon zuckte zur Antwort kurz mit den Schultern. „Schon gut, ist ja nichts passiert.“ Danach folgte Stille, wie so oft, wenn er mit dem Dämonen sprach, was selten genug vorkam. Inzwischen wusste er, dass dies nicht zwangsläufig schlecht sein musste. Erddämonen waren generell distanzierter, verschlossen und stoisch. Es konnte schwer sein, sie zu lesen, weswegen sie oft als arrogant oder gefühlskalt abgestempelt wurden, obwohl es nicht ferner von der Wahrheit liegen konnte. Hatte man einmal die harte Schale durchdrungen und sie als Freund gewonnen, konnte man sich immer auf sie verlassen, zumindest im Normalfall. ‚Mit Amaimon komme ich inzwischen super klar...vielleicht sollte ich wirklich mal versuchen, auch Tap näher zu kommen.‘, überlegte Rin. Verzweifelt zermarterte er sich das Hirn über ein mögliches Gesprächsthema, vorzugsweise etwas, das nicht mit dem momentanen Krieg zu tun hatte, jedoch kam Tap ihm zuvor. „Brauchst du Hilfe mit den Kisten? Ich habe momentan nichts zu tun.“, bot er an und der Halbdämon willigte nur allzu gerne ein. Nachdem er ihm den Raum gezeigt hatte, kehrte der Grünhaarige bereits wenige Sekunden später zurück, nun ebenfalls mit Kisten bepackt. „Wollen wir?“ Rin nickte und gemeinsam machten sie sich auf den Weg. Dummerweise hatte er immer noch kein Gesprächsthema, allerdings ergriff heute ausnahmsweise Tap die Initiative. „Alles in Ordnung? Du siehst wesentlich besser aus, als am Anfang, aber wirklich gesund wirkst du nicht.“, kommentierte der Erddämon geradeheraus. Eine weitere Eigenschaft mit denen sie manchen vor den Kopf stießen: Sie waren brutal ehrlich und direkt. „Es geht schon. Ich habe hin und wieder Albträume, aber die werden immer seltener. Inzwischen darf ich zumindest ein wenig trainieren, also ist es nicht mehr ganz so langweilig.“ Tap nickte scheinbar gedankenverloren. Für einige Sekunden schien er zu zögern, dann gab er sich einen Ruck. „Wie ist das Leben als Nephilim so? Und wie war dein Leben in Assiah? Wenn du drüber reden willst.“ Ein wenig überrascht sah Rin ihn an. Das war das erste Mal, dass er ihn darüber sprechen hörte. Andererseits war er wohl nicht wirklich vielen Nephilim begegnet, abgesehen von Agares, die allerdings nur in Gehenna gelebt hatte, also war die Neugierde wohl verständlich. „Na ja, so viel gibt es da nicht zu sagen.“, erwiderte er zögerlich. „Ich habe erst letztes Jahr von Dämonen erfahren, davor hatte ich ein ganz normales Leben. Ich war schon immer ziemlich stark und Verletzungen sind sehr schnell geheilt, aber sonst war nichts ungewöhnliches an mir. Mal ganz abgesehen von meinen Wutanfällen. Ich bin immer wieder in Streitereien und Prügeleien geraten, in der Regel, weil ich anderen helfen wollte. Meist wusste ich selbst nicht, was passiert ist. Es war, als würde etwas anderes die Kontrolle übernehmen und wenn ich wieder zu mir gekommen bin, gab es meist mehrere Verletzte, ohne dass ich wusste, was zwischendurch passiert ist.“

 

„Das war zu erwarten. Du bist zwar ohne deine Kräfte aufgewachsen, aber die Instinkte waren schon immer da.“, kommentiere Tap. „Du konntest sie nur nicht kontrollieren, immerhin hattest du niemanden, der dir zeigt wie, also haben sie in solchen Situationen die Oberhand gewonnen. Ist aber nicht weiter schlimm, das machen viele durch.“ Ein wenig überrascht davon, dass der ältere ihn tröstete, nickte der Jugendliche. „Tja, ansonsten war ich recht gewöhnlich. Ich war nie 'ne große Leuchte und habe oft den Unterricht geschwänzt. Freunde hatte ich keine, die meisten hatten Angst vor mir und da ich so oft die Schule geschwänzt habe, habe ich auch viele Veranstaltungen verpasst, wo ich vielleicht welche hätte finden können.“

 

„Ging mir damals genauso.“, gab Tap unerwarteterweise zu. „Ich bin nicht dumm, aber ich hab die Schule immer gehasst und war nur da, um die Mindestanzahl an Stunden vollzubekommen. Freunde habe ich nie wirklich gefunden, alle haben mich meist gemieden. Ich habe mich dann irgendwo hin verzogen und gelesen oder hab mir die Beine vertreten.“

„Waren deine Eltern nicht wütend deswegen?“, hakte Rin nach. Bisher hatte der Dämon noch nie seine Vergangenheit erwähnt, daher war er umso interessierter. „Meinen Eltern wäre es sogar egal gewesen, wenn ich nicht mehr nach Hause gekommen wäre.“, kam die dumpfe Antwort, die Rin leicht zusammensacken ließ. „Wir haben in einem Slumviertel gelebt, sie leben immer noch dort. Mein Vater war so gut wie immer in einer Bar oder in Kasinos. Er hatte ständig Schulden, aber das hat ihn nie davon abgehalten, weiter zu machen. Ich bin mir nicht mal sicher, ob er wirklich mein Vater ist, um ehrlich zu sein. Meine Mutter war...ich glaube die Sterblichen nennen es Goldgräber? Zwar war sie mit meinem Vater zusammen, aber sie ist immer wieder Beziehungen mit irgendwelchen wohlhabenden Dämonen eingegangen. Hätte einer um ihre Hand angehalten, hätten sie ihn wahrscheinlich direkt verlassen, aber dazu ist es nie gekommen. Irgendwann ist nämlich herausgekommen, dass sie viele von ihnen bestohlen hat und damit war es vorbei. Sie findet hin und wieder immer noch Dämonen, die sie über den Tisch ziehen kann, hat den Rückschlag aber nie wirklich verkraftet. Jedenfalls hat sich keiner von beiden um mich gesorgt. Wenn meine Mutter nicht bei anderen Dämonen war, hat sie irgendwelches Zeug geraucht oder sich über ihr Leben beschwert. Als ich ungefähr in deinen Alter war, bin ich von zuhause abgehauen und habe eine Weile auf der Straße gelebt und jede Arbeit genommen, die ich kriegen konnte und sobald ich alt genug war, bin ich auf die Militärakademie, wo ich Amaimon und den Rest kennen gelernt hab. Ich konnte dort sogar meinen Abschluss nachholen.“

 

„Wow...tut mir leid, dass du das durchmachten musstest.“, sagte Rin leise. Im Vergleich zu Tap wirkte seine Geschichte lachhaft. Sicher, er hatte mit allerhand Problemen gekämpft, aber dafür hatte er immerhin Leute gehabt, die ihn unterstützen. Tap war dagegen auf sich allein gestellt gewesen. „Schon in Ordnung. Schlussendlich ist ja alles gut gegangen. Amaimon, deine anderen Brüder und die restlichen Stellvertreter sind inzwischen meine Familie geworden, also war nichts umsonst.“, erwiderte der grünhaarige gelassen. „Schätze das stimmt. Aber warum erzählst du mir das? Ich meine, es freut mich, dass ich mehr über dich erfahre, aber das wirkt echt persönlich und du kennst mich kaum.“, gab Rin zu bedenken, woraufhin der Erddämon mit den Schultern zuckte. „Ich mag dich, du bist ehrlich und du stehst zu deinen Freunden. Abgesehen davon weiß ich mehr über dich, als du denkst. Ich bin ein guter Beobachter.“, erklärte er. „Hab ich dich damit erschreckt?“

 

„Nein, nein!“, versicherte Rin schnell. „Ich freue mich, mehr zu erfahren.“

 

„Wir können jederzeit wieder reden. Momentan ist es relativ ruhig. Ich kann dir beim Training helfen, wenn die anderen nicht können.“, bot der Dämon an. „Klar gerne!“, stimmte Rin freudig zu. Vielleicht konnten er und Tap wirklich noch Freunde werden.

 

 

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„Rin, wärst du so nett und holst mein Handy? Ich erwarte einen wichtigen Anruf, aber ich habe es auf meinem Bett liegen lassen.”, hörte der Halbdämon Lucifer fragen. Ein wenig überrascht schaute er von den Papieren auf, die er sortieren sollte. „Wirklich? Sieht dir gar nicht ähnlich.”, kommentierte er, woraufhin der älteste Baal ein wenig peinlich berührt wirkte. „In letzter Zeit habe ich einfach andere Dinge Kopf. Gehst du nun bitte?”

 

„Ok, ist besser als Papier sortieren.”, stimmte Rin zu und Lucifer lächelte ihm dankbar zu. „Danke, das hilft mir sehr.” Der Halbdämon nickte und machte sich auf den Weg. Inzwischen kannte er sich gut aus, er verlief sich nur noch selten, zumindest in den Bereichen, wo er sich öfter aufhielt. Wie Lucifer gesagt hatte, lag das Telefon auf seinem Bett, sodass er glücklicherweise nicht suchen musste. Er steckte es ein und machte sich auf den Rückweg, traf dabei allerdings nur wenige Flure weiter auf Iblis und Beelzebub, welche offensichtlich miteinander zankten. „Jetzt hab dich nicht so, dann hab ich sie eben angezündet, na und?! Niemand wird die Arschgeigen vermissen!”, fuhr Iblis den Insektenkönig an, dieser war jedoch anderer Meinung war. „Wenn das irgendjemand gesehen hat, könnten sie es wieder so drehen, dass wir wie die bösen aussehen!”

 

„Die wollte einen Haufen Zivilisten umbringen, darunter auch Kinder und uns wollten sie ebenfalls angreifen! Was hätte ich denn tun sollen?! Sie auf ein Bier einladen und darüber reden?!”, kam die giftige Antwort. „Auf die Exorzisten, die bei mir waren, haben sie nicht gehört, es ging nicht anders! Wenn du mich fragst, habe ich beiden Welten einen Gefallen getan!”

 

„Erzähl das den sozialen Medien, die werden es ganz anders sehen!”

 

„Wen kümmert es überhaupt, was ein paar dumme Menschen denken?!”

 

„Momentan alle!”

 

„Was ist denn jetzt schon wieder los?”, unterbrach Rin die streitenden Dämonen. Beide zuckten zusammen, offenbar hatten sie seine Anwesenheit bis jetzt nicht bemerkt. Beelzebub erholte sich als erstes. „Iblis war mit einer Gruppe von Dämonen und Exorzisten unterwegs und ist auf eine Gruppe Dämonenhasse gestoßen, die einige Menschen umbringen wollten, weil sie angeblich besessenen waren oder für Dämonen gearbeitet haben. Sie haben angegriffen, er hat sie verbrannt und wenn wir Pech haben, hat das jemand gesehen und wir bekommen den Ärger.” Er wandte sich an Iblis. „Hast du es immerhin schon Vater erzählt?”

 

„Wann denn bitte? Er ist fast den ganzen Tag beschäftigt und seine Laune ist dank Ruhas Familie ohnehin im Keller.” Bei der Erwähnung dieses Zwischenfalls verzogen sowohl Rin als auch Beelzebub das Gesicht. Wie die Dämonenkönige schon erwähnt hatten, hielten nicht alle Kontakt zu ihren Verwandten mütterlicherseits. Ruha hatte eine Schwester und zwei Brüder, alle drei waren nach ihrem Tod in einen heftigen Streit mit Satan geraten und hatten ihm die Schuld an ihrem Tod gegeben. Schlussendlich hatten sie nichts mehr voneinander wissen wollen. Nur Azazel zuliebe kamen sie hin und wieder zu Besuch und mit ihren Kindern hatten sich sowohl Azazel als auch die restlichen Baal gut verstanden. Je älter er jedoch wurde, umso seltener wurde der Kontakt, bis er so gut wie abgebrochen war. Ausschließlich seine Cousins und Cousinen meldeten sich öfter und schienen kein Problem mit Satan zu haben, aber es hatte dennoch gewisse Spannungen gegeben. Vor einigen Tagen hatte Ruhas Schwester schließlich Satan konfrontiert und nur kurz darauf waren die restlichen Geschwister dazu gekommen. Der Streit verlief, wie viele es erwarteten: Sie gaben Satan die Schuld an Azazels Zustand, er hielt ihnen vor, dass sie sich die letzten Jahre nicht um ihn geschert hatten. Shax hatte versucht zu vermitteln, nicht zuletzt, da er Ruhas Familie länger kannte als der Dämonenherrscher, doch es hatte nicht lange gedauert bis man ihr Geschrei bis ins nächste Stockwerk hören konnte. Schlussendlich wurde der Streit recht abrupt von Alastor unterbrochen und Satan hatte die Dämonen einfach stehen lassen. Für den Rest des Tages gingen alle auf Abstand, sogar die Baal und das war ein Zeichen, dass der Dämonenherrscher wirklich sauer war. Inzwischen hatte sich seine Wut ein wenig gelegt, doch er war noch immer gereizt. „Du solltest es ihm trotzdem sagen. Die Exorzisten haben sicherlich schon berichtet, was passiert ist und besser er erfährt es von dir als von den Grigori.”, redete der Insektenkönig auf den Feuerdämonen ein und endlich gab dieser nach. „Ok, ok, ich sage es ihm. Aber falls er dann noch angepisster ist, bist du schuld.”, grummelte er missmutig und setzte sich in Bewegung. Rin beschloss, mit ihnen zu kommen, immerhin lag es auf seinem Weg und er konnte bei der Gelegenheit gleich nachfragen, ob es irgendwelche Neuigkeiten zu Lilith gab. Bereits auf dem Gang hörten sie ihren Vater und es wurde stetig lauter. Als sie vor der Tür standen, verstanden sie jedes Wort. Der Dämonenherrscher war wieder damit beschäftigt, einige Dämonen rund zu erneuern, daher warteten sie lieber. „Ich find’s immer wieder befriedigend, wenn Vater mal jemand anderen anschreit. Das ist so ein erhabenes Gefühl.~”, grinste Iblis und lehnte sich lässig an eine Wand. „Hoffen wir lieber, dass er danach nicht noch mieser gelaunt ist.”, antwortete Beelzebub knapp. Nur wenige Minuten später ging die Tür auf und einige Dämonen huschten hinaus, sichtlich eingeschüchtert. Iblis verzog kurz das Gesicht, dann betrat er das Zimmer. Beelzebub und Rin folgten in kurzem Abstand. Satan saß am Tisch und rieb sich die Schläfen, dann sah er auf. „Erzählt mir jetzt bitte nicht, dass es noch mehr Probleme gibt.”, sprach er sie beinahe schon resigniert an. Iblis rieb sich nervös den Nacken. „Na ja, nicht direkt. IchhabeinpaarDämonenhasserabgefackelt,aberdiehabendafürunsundmehrereMenschen bedroht,eswaralsodereSchuldundichhabdenanderendamitdenHinterngerettet!”, ratterte er in Höchstgeschwindigkeit hervor. Satan verdrehte die Augen. „Ich habe heute wirklich keine Nerven, sprich langsam und mach vor allem die Zähne auseinander.” Der Feuerdämon schluckte, dann wiederholte er sich, dieses Mal wesentlich verständlicher. „Ich hab ein paar Dämonenhasser abgefackelt, aber die haben dafür uns und mehrere Menschen bedroht, es war also deren Schuld und ich hab den anderen damit den Hintern gerettet!” Kaum war er fertig, schien er sich darauf vorzubereiten, in Deckung zu gehen und auch Rin und Beelzebub gingen auf Abstand. Zu ihrer Überraschung seufzte Satan und schüttelte erschöpft den Kopf. „Das ist jetzt egal, wir kümmern uns später darum. Unsere Späher haben Lilith gefunden.” Sofort horchten alle auf. „Wo?”, fragte Beelzebub. „Schloss Versailles.”, kam die unerwartete Antwort. „Oh, toll. Frankreich. Mein Lieblingsland.”, knurrte Iblis und bekam einen fragenden Blick von dem Halbdämonen. „Was hast du gegen Frankreich?”

 

„Ich saß dort schon mehrmals im Knast, war öfter in Untersuchungshaft als ich zählen kann und ein paar Mal wollten sie mich verhaften, aber ich konnte abhauen. Allein drei Mal im Louvre, dabei wollte ich nur beim zweiten Mal was klauen.”, grummelte der Feuerdämon. „Und es war Egyns Schuld, dass wir erwischt worden sind, aber ihn haben sie natürlich nicht verhaftet!”

 

„Du kannst nicht immer alles auf andere schieben.”, seufzte Beelzebub, woraufhin Iblis schnaubte. „Fast immer, wenn was passiert, bin angeblich ich Schuld.”

 

„Nicht immer, aber oft genug.”, merkte Satan an. „Muss ich dich an London 1666 erinnern? Oder Pompeji?”

„Und dann wäre da noch der Zwischenfall mit der Kanone während der französischen Revolution. Und das mit der Guillotine-”, ergänzte Beelzebub, doch wurde von Iblis unterbrochen. „Ja, ja, ich hab’s kapiert. Aber das mit der Kanone war auch Amaimon…”, grummelte er genervt. Erneut verdrehte Satan die Augen, ließ es jedoch auf sich beruhen. „Wir werden heute Abend ein Treffen einberufen, um unseren Angriff zu planen, also sagt den anderen Bescheid. Je eher wir Lilith los werden oder sie zumindest aus Assiah vertreiben, umso schneller können wir uns um den Rest kümmern.”

 

 

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„Ganz ehrlich Rin, wie um alles in der Welt hast du es geschafft, so sehr dein Fell zu verknoten? Das bekommt ja nicht mal ein Kleinkind hin.”, seufzte Lucifer ein wenig irritiert, während er erneut versuchte einen großen Knoten zu lösen. Rin zuckte zusammen, als ein ziehender Schmerz seine Wirbelsäule hinaufwanderte, verkniff sich jedoch jeglichen Schmerzenslaut. Noch immer war ihm die ganze Situation mehr als peinlich. Da seine Geschwister zu dem Treffen gegangen waren und er nicht durfte, war er kurzerhand trainieren gegangen und hatte sich dabei das Fell an seinem Schleif ruiniert, als er auf einige Fässer gefallen war. Er wusste nicht, was da drin gewesen war, es war irgendetwas schleimiges gewesen und er wollte wirklich nicht näher darüber nachdenken. Zwar hatte er das gröbste herauswaschen können und Iblis hatte ihm schon vor Monaten gezeigt, wie er mit solch widerspenstigen Knoten umging, aber er hatte teilweise immer noch Schwierigkeiten bei der Schweifpflege, weswegen er sich oft von seinen Brüdern helfen ließ. An sich war es nicht ungewöhnlich, dass die älteren den jüngeren bei der Schweifpflege und bei Verletzungen halfen, aber in der Regel waren sie dann noch Kinder und nicht schon so alt wie Rin. Zwar konnte er nichts dafür, immerhin wusste er es nicht besser, aber ein wenig peinlich war es ihm schon, dass er immer Hilfe brauchte. Nach einigem Zögern hatte er also in einem Anflug von Größenwahn beschlossen, sich selbst darum zu kümmern und nun hatte er den Salat. „Es war ja keine Absicht…das ist dieser blöder Schleim. Ich konnte ja nicht wissen, dass es nicht reicht, ihn normal zu waschen.”, murmelte er. Zwar hatte er genau getan, was Iblis ihm damals gezeigt hatte, doch nun hatte sich herausgestellt, dass diese Methode nicht immer funktionierte. Je nachdem wie dreckig und verknotet der Schweif war, musste man ihn auf bestimmte Weisen reinigen, was jedes Dämonenkind von klein auf lernte. Als in Assiah lebender Nephilim hatte er damit natürlich mal wieder den schwarzen Peter gezogen. „Hätte Sammy es dir damals gezeigt, anstatt nur zuzusehen, hätten wir das Problem nicht.”, grummelte Iblis von der anderen Seite des Raumes. „Und hättest du ihm damals gesagt, dass diese eine Methode nicht für alles geeignet ist, hätte er es nicht falsch gemacht.”, kam die giftige Antwort des Zeitkönigs. Iblis wollte zur Antwort ansetzen, wurde jedoch von einem lauten Wimmern seitens Rin unterbrochen. „Tut mir leid, aber ich komme hier kaum durch.”, entschuldigte sich Lucifer schnell. „Dann sei vorsichtiger!”, empörte sich Egyn sofort. „Als ob du es besser hinbekommen würdest. Du hast nicht mal Fell an deinem Schweif.”, antwortete Astaroth und verdrehte die Augen. „Was ist denn jetzt schon wieder los?”, wurden sie von der Stimme ihres Vaters unterbrochen, bevor eine größere Zankerei ausbrechen konnte. Auch das noch. Als ob es nicht schon reichte, dass seine Brüder sich das Elend ansahen. „Rin ist beim Trainieren in irgendwelche Schleimfässer gefallen und hat dann seinen Schweif falsch gewaschen. Jetzt versuche ich die Knoten rauszubekommen, aber es ist, als hätte jemand Beton ins Fell geschmiert.”, seufzte Lucifer, woraufhin Rin sofort errötete. Musste er das so direkt sagen? Für einige Sekunden sah sich Satan die Misere an, dann schüttelte er den Kopf. „Lass mich mal ran. Wenn das in Ordnung ist, Rin?” Der Nephilim zögerte, bisher hatte er immer nur seine Geschwister an seinen Schweif gelassen, doch nickte schließlich. Sein Vater würde schon wissen, was er tat, er hatte immerhin schon dem Rest geholfen, als sie noch Kinder waren. „Also…was kam nun bei der Versammlung raus?”, fragte er, während sein Vater damit begann, vorsichtig die Knoten zu lösen und dabei eine geruchslose Flüssigkeit aus einer Flasche auf sein Fell kippte. „Was soll’s da zu sagen geben?”, fragte Amaimon schulterzuckend. „Wir greifen an, bevor sie angreifen können, versuchen Lilith zu töten und Azazels Seelenteil zurückzuholen.”

 

„Und bevor du fragst: Nein, du kannst nicht mit.”, fügte Samael zu, bevor Rin überhaupt den Mund öffnen konnte. „Ich soll hier rumsitzen und abwarten, während ihr euer Leben riskiert?”, fragte der Nephilim bitter. „Du kannst nicht wirklich kämpfen und deine Flammen darfst du nicht benutzen, weil dein Schwert zerbrechen würde. Abgesehen davon bist du zu jung.”, erklärte Satan ruhig und ohne aufzusehen. „Wenn ich zu jung bin, warum dürfen dann Yukio und die anderen mitgehen?”, fragte er bissig und war mehr als überrascht von der Antwort seines Vaters. „Sie bleiben ebenfalls hier. Wir brauchen Leute, die die Stellung halten und sich um die Verletzten kümmern, auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass Lilith direkt angreifen wird, aber nach allem, was passiert ist, sollten wir mit allem rechnen.” Das erschien logisch und zumindest würde er dann nicht vollkommen allein sein. „Keine Sorge, es wird immer irgendwelche Arschlöcher geben, die uns umbringen wollen, allerspätestens dann kannst du kämpfen.”, warf Astaroth ein und bekam dafür einen bösen Blick seitens Egyn. „Soll ihn das etwa trösten?!”

 

„Was denn? Ist doch wahr. Die werden nicht so schlimm wie Lilith sein, aber trotzdem, warum lügen?”, verteidigte sich der jüngere Baal. „Du hast wirklich das Taktgefühl eines Holzklotzes…”, murmelte Lucifer kopfschüttelnd. „Er hat aber schon recht…”, kam Amaimon Astaroth unerwartet zur Hilfe. „Ach, haltet doch die Klappe.”, murrte Iblis. „Ich bin müde…”

 

„Du klingt wie Azazel.”, warf Amaimon ein und bekam dafür einen bösen Blick. Nicht mal Sekunden später waren sie ihren üblichen Zankereien vertieft, doch sowohl Satan als auch Rin schenkten dem kaum Beachtung. Lucifer und Samael ließen sich ebenfalls nicht stören, sie waren beide in Büchern vertieft. Der Nephilim war dagegen zu müde, um sich darauf zu konzentrieren und musste sich zusammenreißen, damit ihm nicht die Augen zufielen. Inzwischen hatte sein Vater die schlimmsten Knoten gelöst und auch die Schmerzen waren verschwunden. Ohne dass er es selbst bemerkte, begann Rin ein leises Schnurren von sich zu geben, welches nur lauter wurde als sein Vater sich langsam zum Fellansatz vorarbeitete. „Schon gut, schlaf ruhig. Ich bin sowieso fast fertig und da hattest einen langen Tag.”, redete der Weißhaarige sanft auf ihn ein. Zunächst wollte der Halbdämon protestieren, immerhin hatte er im Gegensatz zum Rest seiner Familie keine Verpflichtungen gehabt, stattdessen gähnte er und verkroch sich unter seiner Decke. Satan wurde kurz darauf endlich mit seinem Schweif fertig und strich ihm stattdessen durchs Haar. Am Rande bemerkte er, wie Kuro auf das Bett sprang und sich neben ihm zusammenrollte, was ein Grummeln seitens Iblis zur Folge hatte, da er ungern mit Katzen mit einem Zimmer schlief, doch bevor er etwas dazu sagen konnte, war er bereits eingeschlafen.

 

 

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Vier Tage später war der Abend vor dem Angriff auf Versailles gekommen und Rin saß zusammen mit Amaimon und Beelzebub auf einer Bank in einem leeren Gang, wo sie versuchten, sich von der Nervosität abzulenken. Sie waren gerade vom Training mit ihren Vater gekommen, wo die Baal zu siebt versucht hatten, den Dämonenherrscher zu besiegen, doch wie immer erfolglos. Rin hatte natürlich zugesehen und hatte wie so oft festgestellt, wie viel er noch zu lernen hatte. Es war wohl wirklich besser, dass er zurückblieb. Normalerweise würden jetzt alle Baal in ihr Zimmer zurückziehen und sich dort gegenseitig verarzten, denn auch wenn sie über Selbstheilung verfügten, war es immer empfehlenswert sich nochmal mit seinen Verletzungen zu beschäftigen. Oft hatte man nach größeren Verletzungen mit Steifheit, muskelkaterartige Schmerzen und anderen Unannehmlichkeiten zu kämpfen, was tagelang anhalten konnte, wenn man nichts dagegen tat. Allerdings war der Rest anderweitig beschäftigt und Satan ging mit den Exorzisten ein letztes Mal die Strategie durch. Überall war die Stimmung entsprechend angespannt, weswegen die beiden Baal umso froher waren, eine ruhige Minute mit Rin zu haben. Sie spielten Karten und redeten dabei über verschiedenste, teilweise belanglose Dinge, doch es war eine gute Ablenkung. Zwar sah man es ihnen absolut nicht an, aber Rin wusste, wie nervös sie waren. Von dem Ausgang dieses Kampfes hing nichts weniger als das Schicksal ihrer Welten ab, was natürlich jede Menge Druck bedeutete. Gerade hatten sie eine weitere Runde beendet, als Schritte zu hören waren. Rin sah kurz von ihrem Spiel auf und entdeckte dabei zwei Wachen und Lucifer, welche eine Dämonin begleiteten, die er sofort als Jahi erkannte. Natürlich hatten ihm seine Geschwister bereits von der Anwesenheit der Feuerdämonin sowie ihrem Hilfsangebot berichtet, doch sie nach ihrem Verrat wiederzusehen, versetzte ihm einen Stich. Zwar hatte sie ihn und ganz Gehenna verraten, aber er hatte sie zuvor dennoch als Freundin gesehen. Keine besonders enge, doch zumindest jemanden, dem man vertrauen konnte. Er hatte sich bisher wenige Gedanken um sie gemacht, immerhin gab es momentan ganz andere Probleme, doch in diesem Moment kam alles zu ihm zurück. Eigentlich sollte es ihm egal sein, was mit der Dämonin passieren würde, immerhin hatte sie nicht nur ihn sondern auch seine Familie jahrelang hintergangen, aber so einfach war es nicht. Die beiden Wachen sprachen kurz mit Lucifer, dann gingen sie und ließen ihn allein mit der Feuerdämonin zurück. Es wäre wohl das Beste gewesen, sie einfach zu ignorieren und sich umzudrehen, aber Rin starrte weiterhin in ihre Richtung, bis er schließlich wortlos aufstand, wobei er Amaimons und Beelzebubs Fragen ignorierten. Entschlossen ging er auf Jahi und Lucifer zu, die ihn scheinbar noch nicht bemerkt hatten. Amaimon und Beelzebub waren ihm dicht auf den Fersen, nun da sie erkannt hatten, weswegen er aufgestanden war. „Hallo, Jahi. Lange nicht gesehen.”, sprach er die Dämonin giftiger an, als er es eigentlich wollte. Diese zuckte zusammen und fuhr herum. „Oh…Hi…”, erwiderte sie langsam und wich beschämt seinem Blick aus. „Wirklich? Das ist alles was du ihm zu sagen hast?”, knurrte Beelzebub sie an, woraufhin sie rot wurde, doch schließlich seufzte sie und sah Rin an. „Ich weiß, dass das, was ich getan habe, nicht verzeihlich ist, aber es tut mir leid. Lilith hat mich hereingelegt, aber ich war zu dumm, um es zu bemerken und dann habe ich dich auch noch mit rein gezogen.”

 

„Du hat ganz Gehenna und Assiah in Gefahr gebracht, nur weil du wütend warst.”, antworte Rin und auch wenn er versuchte, ruhig zu klingen, war der Vorwurf in seiner Stimme deutlich herauszuhören. Jahi sackte beschämt zusammen. „Ich hab Mist gebaut und ich verstehe, wenn du mich dafür hasst. Aber ich möchte es wirklich wieder in Ordnung bringen.”, murmelte sie zerknirscht. Der Nephilim antwortete nicht sofort und sah sie stumm an. Ein wenig erinnerte die ganze Situation an den Zwischenfall mit Neuhaus. Er hatte Rin gehasst, weil er den Sohn Satans war, versucht ihn zu töten und hat dabei noch seine Freunde und seinen Bruder in Gefahr gebracht. Dennoch hatte Rin es irgendwie geschafft, ihm zu vergeben, denn auch wenn er mit seinen Taten nicht einverstanden war, konnte er seine Beweggründe verstehen. Trauer und Hass waren starke Emotionen, die einen schnell zu Dingen trieben, die man sonst nie tun würde und später bereute. Schlussendlich waren sie immerhin friedlich auseinander gegangen und erst vor wenigen Tagen hatte er den älteren Exorzisten wiedergesehen. Sie hatten keine Worte gewechselt und sich nur vom weiten gesehen, jedoch hatte der Mann ihm zumindest kurz zugenickt. Bei Jahi verstand er ihre Beweggründe ebenfalls, zumindest bis zu einem gewissen Maße. Ihr Leben lang hatte sie seinem Vater und seinen Brüdern die Schuld am Tod ihrer Mutter und ihrem zerstörten Leben gegeben und sich dabei ganz einfach von Lilith manipulieren lassen. Zudem waren ihre beiden Geschwister durch die Hand seines Vaters gestorben und waren zuvor von ihm und Iblis gefoltert wurden. Allerdings hatte sie dafür so viele Menschen und Dämonen in Gefahr gebracht, daher konnte er ihr nicht vergeben, jedenfalls noch nicht. Er holte kurz Luft, dann begann er, zu sprechen. „Ich vergebe dir nicht, was du getan hast, aber ich verstehe es teilweise und wenn du es wirklich wieder gut machen willst, dann tu es. Vielleicht kann ich dir irgendwann verzeihen, aber jetzt geht es nicht.” Die Feuerdämonin nickte. „Das ist fair. Danke.” Rin antwortete nicht, sie schien es ohnehin nicht zu erwarten. Kaum waren sie und Lucifer außer Sichtweite, begann Amaimon zu sprechen. „Du bist zu vergebungsvoll. Das könnte dich eines Tages töten.”, kommentierte er. „Er hat recht.”, pflichtete Beelzebub ihm bei. „Du bist zu gutgläubig Rin. Man kann nicht alles und jeden retten.”

 

„Mag sein.”, gab Rin zu. „Aber wenn ich nicht vergeben könnte, würden wir hier nicht zusammen sitzen, oder?” Darauf wussten weder Amaimon noch Beelzebub eine Antwort. „Kommt schon, spielen wir weiter. Ob ihr es heute noch schafft, mich zu besiegen?”, grinste er, was sofort Amaimons Ehrgeiz weckte. „Dieses Mal verlierst du!”, verkündete er und setzte sich ebenfalls an den Tisch. Beelzebub zögerte kurz, offenbar überlegte er, ihn auf das gerade geschehene anzusprechen, doch ließ es glücklicherweise auf sich beruhen. „Gut, Herausforderung angenommen.”

 

 

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Lilith trommelte ungeduldig mit ihren Fingern auf dem Schreibtisch und starrte dabei aus dem Fenster, welches einen guten Blick auf den schönen Garten bot, doch ihre Gedanken waren momentan ganz woanders. Immer wieder hatte sie sich im Laufe der letzten Wochen den Kampf im Vatikan durch den Kopf gehen lassen und versucht, ihre Fehler zu finden. Rückblickend betrachtet, musste sie einsehen, dass sie zu leichtsinnig geworden und zu vorschnell gehandelt hatte. Sie hätte die Baal töten sollen, als sich die Gelegenheit geboten hatte und nicht alles den Aveira überlassen sollen. Von der Aktion mit den Sirenen einmal ganz abgesehen, die hatte wirklich nichts gebracht. Dennoch war sie sicher, dass sie noch immer gewinnen konnte, vorausgesetzt ihre nutzlosen Spione erfuhren endlich mehr über das weitere Vorgehen Satans. Ein Klopfen ließ sie aufsehen. ‚Wurde auch Zeit.’

 

„Herein.”, rief sie und die Tür öffnete sich langsam. Gula huschte sichtlich nervös ins Zimmer und wich ihrem Blick aus. „Ihr wolltet mich sehen, Gebieterin?”, fragte die Todsünde angespannt, woraufhin die Dämoningöttin nickte. „In der Tat und ich vermute, du weißt bereits, worum es geht?”, bohrte sie und wie erwartet, zuckte die jüngste Aveira zusammen. „Weil ich in letzter Zeit nutzlos war?”

 

„Ganz genau. Bis jetzt habe ich darüber hinweggesehen, doch damit ist jetzt Schluss. Ich will Ergebnisse, der letzte Kampf hat uns übel mitgenommen und demnach, was deine Schwestern mir erzählt haben, hast du so ziemlich gar nichts beigetragen. Inzwischen spiele ich ehrlich gesagt mit dem Gedanken, dich einfach wieder zu absorbieren, immerhin würde mich das stärken und ich habe keine Verwendung für Versager.“, erkläre Lilith kalt und beobachtete mit verengten Augen die Reaktion der jüngeren. Wie erwartet erblasste sie, Gula war schon immer viel zu vorhersehbar gewesen. „B-Bitte tut das nicht!“, flehte sie schließlich. „Gebt mir nur die Gelegenheit mich zu beweisen und ich werde-“

 

„Du hattest bereits jede Menge Chancen und doch ist es immer das gleiche mit dir. Sogar Acedia hat mehr Nutzen.“ Gula sackte zusammen, nun noch blasser und mit einem Ausdruck der Angst im Gesicht. Die Dämoningöttin lächelte grausam. Sie war so leicht einzuschüchtern. „Allerdings habe ich mich trotz allem dazu entschieden, dir eine allerletzte Chance zu geben.“ Hoffnungsvoll hob die Sünde den Kopf, sodass Lilith weitersprach. „Hast du Erfolg, gibt es nichts zu befürchten, doch solltest du versagen, wirst du sterben und das Seelenteil in dir wird zu mir zurückkehren und dieses Mal bleibt es dort. Haben wir uns verstanden?“ Gula zögerte, doch nickte schlussendlich. Was blieb ihr auch anderes übrig? Entweder sie schaffte es oder sie würde sterben. Lilith glaubte nicht wirklich an ihren Erfolg, doch immerhin würde diese Sache etwas Chaos stiften und im Idealfall vielen Exorzisten und Dämonen auf Satans Seite das Leben kosten. ‚Und da behauptet man, ich wäre nicht gnädig.~‘, dachte sie und grinste. „Also, ich will, dass du folgendes tust...“

 

 

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Am nächsten Morgen wachte Rin für seine Verhältnisse relativ früh auf und sah sich gähnend in dem Zimmer auf. Wie erwartet, waren die restlichen Betten leer, nur Kuro war da. „Morgen, Rin!”, begrüßter dieser ihn. „Dein Vater und deine Brüder haben dir einen Zettel da gelassen. Er liegt auf dem Tisch dort.”, informierte er den Nephilim, welcher gähnend nickte, sich den Zettel griff und begann zu lesen.

 

 

Guten Morgen Rin,

ich hoffe, du hast gut geschlafen. Es tut mir leid, dass wir uns nicht nochmal verabschiedet haben, aber du hast so fest geschlafen, also wollten wir dich nicht wecken. Wie schon erwähnt, wissen wir noch nicht, wann wir zurückkommen, aber wir versuchen, euch auf dem Laufenden zu halten und uns schnell zu melden.

Wir sehen uns hoffentlich bald, passe gut auf dich auf und halte dich aus Ärger heraus.

 

Dein Vater

 

 

Wieso gingen sie immer direkt davon aus, dass er in Ärger geraten würde, wenn sie nicht in der Nähe waren? In den letzten Wochen hatte er nicht ein einziges Mal Schwierigkeiten bekommen! Am Ende zuckte er nur mit den Schultern, legte den Zettel beiseite und zog sich an. Während seines Weges zum Frühstück begegnete er kaum jemanden, mit der Ausnahme einiger Wachen und Exorzisten, die ihn allerdings nicht weiter beachteten. Er bog um eine Ecke und blieb plötzlich wie angewurzelt stehen. Der gesamte Gang wirkte seltsam kalt und ihn beschlich das bedrückende Gefühl, beobachtet zu werden. „Hallo?”, fragte er angespannt und sah sich um, doch nichts regte sich. War er einfach nur paranoid? Wahrscheinlich, immerhin konnte man sich nirgends verstecken und sein Ôcrio, welches er inzwischen stets bei sich trug, leuchtete nicht. Zögerlich ging er weiter und zuckte erschrocken zusammen, als kalte Finger über seinen Rücken strichen, aber da war niemand. Nun hörte er zudem ein leises Geflüster, allerdings war es zu undeutlich, um etwas zu verstehen. Ohne nachzudenken rannte er los und hielt erst an, als er den Korridor weit hinter sich gelassen hatte. Zitternd ließ er sich gegen die Wand sacken und schloss die Augen. Was auch immer das gewesen war, er hatte es sich eindeutig nicht eingebildet. „Rin, ist alles in Ordnung?”, hörte er eine Stimme und sah überrascht auf. Er zwang sich zu einem Lächeln, in der Hoffnung seine Unruhe zu verbergen. „Hallo, Christina. Ja, es ist alles ok.”, log er schnell, aber die Hexe verzog sofort den Mund. „Du solltest nicht lügen, wenn man nach deiner Gesundheit fragt.”, rügte sie ihn. Warum war er scheinbar der einzige in der Familie, der absolut nicht lügen konnte? „Es ist nicht weiter schlimm.”, versicherte er schnell. „Ich war gerade in einem Gang und dachte, ich hätte Geflüster gehört. Es ist auch plötzlich alles kalt geworden, aber wahrscheinlich bin ich einfach nur paranoid.”

 

‚Oder ein Geist war in der Nähe.’, fügte er gedanklich hinzu. Dummerweise dachte die Hexe sofort daran. „Vielleicht war es ein Geist? Es kann gut sein, dass die zu Azazel wollen, sie fühlen sich immer sehr zu ihm hingezogen, aber wegen der ganzen Barrieren und Talismane kommen sie nicht an ihn heran.”, schlug sie vor. „Ja, kann sein.”, murmelte der Nephilim. Bisher wussten nur wenige, dass er Geister sehen konnte und er wollte wirklich, dass es so blieb. Schnell beschloss er das Thema zu wechseln. „Was tust du hier eigentlich? Ich dachte, du würdest mitkämpfen.”, fragte er, woraufhin die Blondine mit den Schultern zuckte. „Wollte ich eigentlich auch, aber Lord Samael meinte, dass ich hier besser aufgehoben bin. Da Adrijana und Akaya beide tot sind und es noch keinen Nachfolger als Hohepriester für sie gibt, habe ich das vorerst übernommen. Sollte also ein Angriff kommen, befehlige ich die Hexenzirkel.” Sofort zermarterte sich Rin das Gehirn, wer Adrijana und Akaya waren, dann fiel es ihm ein. Adrijana war die russische Hexe, welche zu Egyn gehörte und Akaya war japanisch und gehörte zu Azazel. Beide waren oft mit Christina unterwegs und sie waren auch mit in Gehennna gewesen. „Tut mir leid, ich wusste nicht, dass die beiden tot sind. Darf ich fragen, was passiert ist?”, fragte er vorsichtig. „Im Kampf um den Vatikan gefallen.”, antwortete Christina dumpf und seufzte. „Ich hätte ehrlich gesagt nie gedacht, dass es so mit den beiden enden würde…Adrijana war zur Zeiten der Romanow Familie in Russland Rasputins Schülerin und ist nach seiner Ermordung und dem Sturz der Zarenfamilie nach Frankreich geflohen und Akaya war Soldat im zweiten Weltkrieg, der in die Gefangenschaft der Russen geraten ist. Sie haben so viel überlebt und jetzt kommt ein scheiß Dämon an und tötet sie…” Kopfschüttelnd wandte sie sich ab. „Tut mir leid, wir reden später, ok? Ich sag auch Bescheid, dass wir eventuell einen oder mehrere Geister in der Basis haben, vielleicht können sich das ein paar Geisterdämonen mal mehr ansehen.” Rin nickte und sie wandte sich ohne ein weiteres Wort um und ging.

 

 

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„Riesenspinnen. Natürlich sind es vermaledeite Riesenspinnen. Ich kann sie echt nicht mehr sehen...“, grummelt Astaroth und wich einem der haarigen Beine aus, wobei er ungewollt erschauderte. Er war schon immer der Meinung gewesen, dass diese Viecher zu viele Beine hatten. Die kleinen waren ekelhaft genug, warum musste Beelzebub sie noch in größerer Variante züchten?! Und wo kamen sie überhaupt her?! Man sollte doch meinen, sie hätten die Viecher inzwischen ausgerottet, aber nein, sie krochen dann doch noch aus irgendwelchen Spalten hervor und wollten nicht verschwinden, als wären sie ein Haufen Kakerlaken. Wenn das alles vorbei war, mussten sie einmal ein ernstes Wörtchen mit dem Insektenkönig reden. Konnte er als Hobby nicht beim zeichnen und seinem Blog bleiben oder sich zumindest Beschäftigungen zulegen, die nichts mit Züchtungen tödlicher Tieren zu tun hatte?! Erneut wich er der Spinne aus, welche es sich offenbar in den Kopf gesetzt hatte, ihn zu ihrem nächsten Snack zu machen, doch so leicht machte er es diesem Vieh nicht. Wenige Sekunden später lag es bereits tot am Boden und der Verwesungsdämon erlaubte sich ein triumphierendes Grinsen, das jedoch schnell wieder verschwand, da er erneut dieses widerliche, unverkennbare Klicken hörte. Von hinten kamen zwei weitere, wesentliche kleinere Spinnen, die aber mindestens genauso hässlich waren. „Ach, komm schon! Das ist doch nicht euer Ernst!“, fauchte er frustriert und wollte zum Angriff ansetzen, aber einige Dämonen kamen ihm zuvor und brachten beide Spinnen schnell zu Fall. Einer von ihnen wandte sich an ihn und er erkannte Mammon, einen Zeitdämon und alten Freund von der Militärakademie mit dem er bis heute Kontakt hielt. „Na, das war wohl nichts, Rothy. Von zwei Spinnen überrumpelt? Was würde nur unser Lieblingsausbilder Neit dazu sagen?“, stichelte er grinsend. Warum musste eigentlich alle Zeitdämonen immer andere mit irgendwas aufziehen? Er beschloss, es einfach zu ignorieren, inklusive dem nervigen Spitznamen. „Auch Hallo. Hätte nicht gedacht, dich hier zu sehen.“, erwiderte er, die Frage, welche ohne rhetorisch gemeint war und ihn nur anstacheln sollte, ignorierend. Mammon seufzte übertrieben. „Das hast du meinen geliebten Herrn Vater zu verdanken. Er hat darauf bestanden, dass wir alle mitmachen, um "die Ehre unseres altehrwürdigen und ruhmvollen Hauses wieder herstellen". Liliths Sieg hat ihm so gar nicht gepasst und du weißt da wie er ist. Patriotismus und so weiter.“ Astaroth sah ihn zweifelnd an. Abbadon, Mammons Vater, Erzdämon und Führer eines der vier großen Häuser in Samales Reich, war zwar für seine Loyalität zum Königshaus bekannt, aber klang doch alles etwas zu theatralisch. Mammon verdrehte die Augen. „Gut, gut...eventuell habe ich seine Worte etwas ausgeschmückt.“, gab er zu. „Aber egal jetzt. Ich wette, wir kriegen gleich das Signal zum vorrücken, also sollten wir wohl bereit sein. Wirklich jammerschade ist, dass wir nicht die Zeit haben, uns umzusehen. Paris soll ja die Stadt der Mode sein...“

 

„Wir sind im Krieg, nicht bei 'ner Modenschau oder 'nem Einkaufsbummel.“, zischte Astaroth ein wenig gereizt. „Es ist immer Zeit, sich Gedanken um sein Aussehen zu machen.“, protestierte der Zeitdämon sofort und der Baal machte sich gar nicht die Mühe, ihm zu widersprechen. Zwar war Mammon ein mächtiger Dämon, doch Interesse am Kampf hatte er nie wirklich gehabt. Ihn interessierten Mode, Kunst, Feiern und Vergnügen. Er war ein Hedonist wie er im Buche stand und wirkte dadurch manchmal ein wenig arrogant und herablassend, doch in Wirklichkeit war er durchaus in Ordnung und man konnte sich auf ihn verlassen. Das plötzliche Auftauchen von Amaimons Aura ließ ihn zusammenzucken und er wandte seinen Blick in die entsprechende Richtung. „Amaimon? Was tust du hier? Wo bleibt das Signal?“

 

„Es gab ein paar Probleme. In dem Stadtteil wo Lu und Samael unterwegs sind, waren noch jede Menge Menschen in den Häusern, die haben bei den ganzen Kämpfen Panik bekommen und sind auf die Straßen gerannt. Sie sind dadurch ziemlich verlangsamt worden und Liliths Leute hatten mehr Zeit sich zu sammeln, sie sind also noch im Kampf verwickelt. Beim Rest sieht es allerdings ganz gut aus und es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis wir weiter können.“, erklärte der Erddämon. „Das sieht ihnen aber gar nicht ähnlich, so einen Fehler zu machen.“, warf Mammon ein, nun etwas ernster. „Haben sie nicht darauf geachtet, wo noch Zivilisten sind, als sie die Route geplant haben?“

 

„Natürlich haben sie das, aber entweder waren unsere Informationen falsch oder die Menschen wurden verlegt.“, antwortete Amaimon schulterzuckend. „Einige haben vorgeschlagen die ganze Stadt zu zerstören, aber Vater hat es leider abgelehnt.“, fügte er schmollend hinzu. „Wenn wir das machen, war’s das mit unserer Allianz mit den Exorzisten.“, warf Astaroth kopfschüttelnd ein. „Abgesehen davon will ich nicht einen Haufen Unschuldiger abschlachten, auch wenn ich kein großer Fan der Menschen bin.“

 

„Dort ist Lucifers Seraphim. Wir können vorrücken!“, unterbrach Mammon ihre kurze Diskussion und deutete gen Himmel, wo tatsächlich Lucifers magischer Diener zu sehen war. „Wurde auch Zeit.”, murmelte Astaroth und wandte sich an seine Truppen. „Los, wir haben Zeitdruck!”

 

 

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„Lord Satan, der Bezirk ist gesichert. Wir können weiter vorrücken, sobald das Signal kommt.”, berichtete der Bote. „Gut. Sollte es Änderungen geben, will ich es sofort wissen. Und schickt Späher voraus, wir können nicht noch eine Menschenmenge gebrauchen.”, wies der Dämonenherrscher an. „Natürlich, wir sind schon dabei die Gruppen zusammenzustellen.” Nachdem der Dämon verschwunden war, erlaubte sich Satan einen kurzen Moment der Ruhe. Dank seiner Flammen hatten sie den Widerstand relativ schnell beseitigen können, doch unvorhersehbare Umstände erschwerten einiges, unter anderem auch die Anwesenheit der Menschen. Laut den Exorzisten befanden sich momentan mehr Dämonen als Sterbliche in der Stadt, aber offensichtlich waren es immer noch mehr als erwartet und da die Welt ohnehin schon am durchdrehen war, wäre es mehr als problematisch, wenn sich dann noch herumsprach, dass haufenweise Zivilisten durch ihre Hand gestorben waren. Die wenigstens würden dann noch glauben, dass sie wirklich auf der Seite der Menschen standen oder zumindest einen gemeinsamen Feind hatten. Das konnte noch lustig werden. Seufzend ließ er seinen Blick umherschweifen, wobei seine Gedanken ungewollt zu Rin und Azazel wanderten. Es passte ihm absolut nicht, dass zwei seiner Kinder im Hauptquartier der Exorzisten hockten und noch dazu psychisch angeschlagen waren. Natürlich waren genug Leute da, die ein Auge auf sie haben würden und Rin hatte seine Freunde und Yukio, die ihn hoffentlich ebenfalls etwas im Zaun halten würden, aber nach all der Zeit in der Zelle und der daraus resultierenden Unsicherheit, war es nur verständlich, dass er nervös war. Azazel hatte erst vor zwei Tagen einen heftigen Hustenanfall bekommen und dabei noch mehr Blut als sonst hervorgewürgt und auch Rin bereitete ihm Kopfzerbrechen. Zwar zuckte er nicht mehr zusammen, wenn er mit ihm oder einer seiner Brüder und einem Raum war, aber die Erfahrungen als Liliths Gefangener waren nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Immer wieder wurde er von Albträumen geplagt, sodass sie es sich inzwischen angewöhnt hatten, dass immer mindestens einer von ihnen bei ihm blieb, wenn er schlafen ging. Teilweise reichte es dann schon, ihm kurz über den Kopf zu streicheln oder auf ihn einzureden, um ihn zu beruhigen, wenn er einen Albtraum hatte. Insgesamt war der Nephilim ohnehin anhänglicher geworden, auch wenn er selbst das sicher weniger merkte. Er suchte oft ihre Nähe und wurde unruhig sobald man ihn längere Zeit alleine ließ. Oft lehnte er sich gegen ihn oder einen seiner Brüder, wenn sie beispielsweise auf einem Bett nebeneinander saßen und er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, sich mit seinem Schweif an sie festzuklammern. All dies waren Dinge, die vor allem Dämonenkinder taten, wenn sie unruhig waren oder Trost brauchten. Bei Rin machte es sich umso stärker bemerkbar, da seine Dämonenseite immer stärker wurde und in gewisser Weise alles das nachholte, was er durch die Versieglung verpasst hatte. Kaum hatte er das gedacht, kam ihm eine beunruhigende Erkenntnis: Würde das nicht bedeuten, dass die Reifezeit für ihn noch kam? Falls ja, rechnete er jetzt schon mit dem schlimmsten. Hoffentlich würde es nicht ganz so anstrengend wie mit seinen restlichen Geschwistern werden. Er war so in Gedanken versunken, dass ihm zunächst nicht auffiel, dass er nicht länger allein war. „Ich kenne diesen Blick… ”, hörte er Shax sagen. „Was ist los? Denkst du wieder an Rin und Azazel?”

 

„Unter anderem.”, gab er zu. Es hatte keinen Sinn, es zu leugnen, der silberhaarige Dämon würde nicht locker lassen, bis er die Wahrheit sagte. „Ich fühle mich nicht wohl dabei, sie alleine zu lassen. Sie sind beide angeschlagen, ich sollte bei ihnen sein.” Shax seufzte, er war nicht überrascht von dieser Antwort. „Ich verstehe dich, aber sich jetzt deswegen Gedanken zu machen, bringt niemanden etwas und lenkt dich nur ab. Wir brauchen dich hier und Rin und Azazel sind in guten Händen. Wir haben die Barrieren selbst errichtet und mehrmals überprüft, dort kommt nicht mal eine Fliege rein, ohne dass wir es merken.”

 

„Du hast ja recht…vielleicht mache ich mir wirklich zu viele Gedanken, aber ich kann nicht anders.”

 

„Du bist ihr Vater, es ist dein Job, dir Gedanken zu machen.” Bevor Satan antworteten konnte, erschien Lucifers Seraphim am Himmel. „Und dort ist unser Stichwort…beeilen wir uns, sonst sind die guten Gegner schon weg.”, kommentierte Shax und Satan verdrehte die Augen. „Du klingst wie Alastor…”, wies er ihn hin, woraufhin der jüngere Dämon mit den Schultern zuckte. „Ich schätze, ich habe zu viel Zeit mit ihm verbracht. War er sehr sauer, dass er nicht mitkommen durfte?”

 

„Was denkst du?”

 

„…Gut, vergiss, dass ich gefragt hab.” Damit machten sie sich erneut auf den Weg.

 

 

 

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Der Tag verlief für Rin wie jeder andere. Er ging frühstücken, traf sich mit seinen Freunden, half auf der Krankenstation aus, aß Mittag, spielte mit Kuro, übernahm irgendwelche Aufgaben, um sich die Zeit zu vertreiben, trainierte ein wenig, ging Abendbrot essen und schließlich ins Bett, wo er noch eine Weile einige Bücher durchsah. Ein Bücherliebhaber würde er wohl nie werden, aber seine Geschwister hatten einige interessante Bücher herumliegen, in denen er gerne blätterte und einige Abschnitte laß. Heute fiel es ihm jedoch sehr schwer zur Ruhe zu kommen. In ihm herrschte eine seltsame Spannung, welche er sich nicht erklären konnte. Immer wieder starrte er auf seinen Nachttisch, wo das Ôcrio lag, aber es leuchtete nie. Kuro schien davon nichts mitzubekommen, er schlief friedlich an seinem Bettende. Vielleicht war er nur nervös, weil er heute alleine schlief? Es mochte lächerlich klingen, aber in den letzten Wochen hatte er sich daran gewöhnt, dass immer jemand bei ihm war. ‚Ok, das ist einfach nur albern.’, dachte er frustriert. ‚Ich bin 16 Jahre alt, da werde ich es doch wohl schaffen, alleine zu schlafen!’ Sein Körper war offenbar anderer Meinung, denn 15 Minuten später lag er immer noch da und starrte die Decke an. So musste sich Astaroth mit seiner Insomnie fühlen. Seufzend setzte er sich auf und schaltete seine Nachttischlampe an. Wenn er nicht schlafen konnte, vertrat er sich eben die Beine. Leise, um nicht Kuro zu wecken, zog er sich an, griff das Ôcrio und schlich aus dem Zimmer. Wie erwartet war der Flur leer und kein Laut war zu hören. Er entschied sich für den rechten Gang und lief für einige Minuten umher, ohne auf jemanden zu treffen, von einer Patrouille einmal abgesehen. Nichts ungewöhnliches passierte, bis er einen Korridor in der Nähe der Hauptkrankenstation erreichte, dort spürte er erneut diese seltsame Kälte. Gleichzeitig begannen die Lichter zu flackern, was sein ungutes Gefühl nur verstärkte. Sollte er es einfach ignorieren oder doch lieber versuchen, Kontakt mit dem Geist aufzunehmen, wenn es denn wirklich einer war? In einem der Bücher, welches er abends gelesen hatte, stand viel über sie, sodass er zwar kein Experte war, aber zumindest halbwegs wusste, wie er mit ihnen umgehen sollte. Es schien kein bösartiger Geist oder eine Entität zu sein, also sollte er relativ sicher sein. Schließlich beschloss er, es zu riskieren. „Ähm…Hallo. Mein Name ist Rin.”, sagte er laut. „Bist du ein Geist? Wenn ja, zeige dich bitte oder mach dich bemerkbar.” Letzteres sagte er eher zögerlich, denn er meinte, gelesen zu haben, das man sie niemals darum sollte, sich irgendwie bemerkbar zu machen, da man sie sonst zu sich einlud, doch da dieser Geist offensichtlich bereits in Assiah war und diese Regel meist nur bei Beschwörungen (was beispielsweise schon beim verwenden eines Hexenbrettes der Fall sein konnte) galt. Für einige Sekunden geschah nichts, dann flackerten die Lichter erneut und vor ihm stand einige Meter entfernt eine Frau. Er unterdrückte ein Schaudern. Warum musste er direkt an einen Horrorfilm denken? Schnell schob er den Gedanken beiseite und sah die Frau näher an, wobei ihm auffiel, dass sie eine Dämonin war. Ihre Haut und ihre Augen waren ein reines Weiß, ihre schwarzen Haare waren teilweise mit einer schön verzierten Haarnadel hochgesteckt, der Rest ging offen ihren Rücken herunter. Offensichtlich gehörte sie nicht zur einfachen Bevölkerung, denn sie trug ein elegantes, schwarz-silbernes Kleid mit einem dazu passenden silbernen Stirnreif. Sie kam ihm bekannt vor, doch er konnte sich nicht erinnern, wo er sie gesehen hatte. „Gut…kannst du mir sagen, warum du hier bist? Hast du noch irgendetwas zu erledigen oder bist du aus dem einfach aus dem Geisterreich entkommen?”, bohrte er vorsichtig nach. Die Dämonin antwortete nicht, sie sah ihn nur mit einem traurigen Lächeln an und nickte mit dem Kopf. „Ok, und was von beiden?”, fragte der Nephilim unsicher. Wieder blieb sie stumm und sah ihn betrübt an. Großartig, natürlich geriet er ausgerechnet an einen stummen Geist. Fieberhaft überlegte er, was in dem Buch darüber stand, warum manche Geister nicht sprechen konnten, aber ihm fiel es nicht ein. Gerade spielte er mit dem Gedanken, einfach einen Geisterdämonen zu suchen, der sich der Sache annahm, als sich die Frau unerwartet umdrehte und langsam in die entgegensetzte Richtung ging. Dann verschwand sie für ein paar Sekunden, tauchte einige Meter weiter weg wieder auf, drehte sich zu ihm und sah ihn erwartungsvoll an. Dieses Mal verstand Rin wesentlich schneller, was sie von ihm wollte. „Ich soll dir folgen?” Sie nickte und setzte sich erneut in Bewegung. Zunächst war er nicht sicher, ob er ihr wirklich folgen sollte, doch das Ôcrio leuchtete nicht und er hatte das Gefühl, dass er ihr vertrauen konnte. Wenn es ihm doch zu seltsam wurde, konnte er immer noch abhauen. Er folgte der noch namenlosen Frau, welche immer wieder verschwand, nur um kurz danach wieder aufzutauchen. War das normal oder hatte sie Probleme, in der materiellen Welt zu sein? Vielleicht hätte er sich diese Geister Bücher genauer durchlesen sollen, wenn man bedachte, dass er sie sehen konnte. Schließlich standen sie in einem Gang, den er noch nie gesehen hatte, seine Aufmerksamkeit galt allerdings der Frau, welcher vor einer Tür stehen geblieben war und diese anstarrte. Der Nephilim war verwirrt. Warum ging sie nicht einfach hindurch, wie sie es bei den vorherigen getan hatte? Die Antwort fand sich schnell, als er näher herantrat. Er spürte, dass Barrieren auf der Tür lagen und er sah mehrere Talismane am Türrand kleben. War das der Raum, wo sie Azazel untergebracht hatten? Es würde zumindest erklären, warum der Geist dorthin wollte. „Tut mir leid, aber ich kann die Tür nicht öffnen. Ich habe keine Ahnung, wie Azazel reagiert.”, erklärte er widerwillig. Zwar wäre er gerne zu dem Baal gegangen, doch die anderen hatten ihm eingeschärft, dass er auf keinen Fall in den Raum gehen sollte, da sich der Geisterdämon in einer kritischen Phase befand. Der Blutentzug setzte ihm immer mehr zu und er verfiel wesentlich schneller in Rage, weswegen es zu gefährlich wäre, dort ohne Begleitung hinein zu gehen. Selbst die Heiler, welche regelmäßig bei ihm vorbeischauten, gingen nie allein. Vielleicht sollte er einen von ihnen holen? Die Dämonin sah ihn durchdringend an, Verzweiflung stand ihr im Gesicht. Warum wollte sie unbedingt zu ihm? Zwar fühlten sich Geister generell zu ihm hingezogen, doch in ihrem Fall wirkte es anders. Wer war sie nur? ‚Im ganzen Raum sind Bannkreise und laut den anderen ist Azazel angekettet, also sollte doch eigentlich nichts passieren, wenn ich die Tür öffne. Ich weiß nicht warum, aber ich habe das Gefühl, dass sie wirklich zu ihm sollte.’ Ein wenig nervös kaute der Nephilim auf seiner Unterlippe und starrte auf die Talismane, dann streckte er die Hand aus und riss sie ab. Er spürte ein kribbelndes Gefühl auf seiner Haut, mehr jedoch nicht. Anschließend suchte er den Schlüssel, welchen er in einem Raum nebenan fand. Mit einem unruhigen Gefühl steckte er ihn in das Schloss und dreht ihn herum. Das Klicken des Riegels wirkte wie ein Kanonenschuss in dem stillen Korridor und er hielt inne, in der Erwartung, dass jemand kam, doch nichts geschah. Er holte kurz Luft, dann stieß er die Tür auf. Er war stockfinster in dem Raum und er tastete vorsichtig nach dem Lichtschalter. „Azazel, bist du wach?”, fragte er unsicher und fand im selben Moment den Lichtschalter. Im ersten Moment wirkte das Licht viel zu grell, aber seine Augen gewöhnten sich schnell an die neuen Lichtverhältnisse. Er entdeckte Azazel, welchen er offenbar gerade aus dem Schlaf gerissen hatte. Blinzelnd sah er Rin, offenbar nicht sicher, ob er träumte oder nicht. „Rin? Was tust du hier?”, fragte er sichtlich verwirrt. Der Nephilim hielt inne, nicht sicher, was er antworten sollte. Die Sache erledigte sich jedoch schnell von selbst, als die Dämonin neben ihm auftauchte. Azazel klappte der Mund auf und er starrte die Frau geschockt für einige Sekunden an, dann fand er zitternd seine Stimme wieder. „Mutter?”



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Kasumi18
2020-05-18T10:54:12+00:00 18.05.2020 12:54
Genau wo es jetzt richtig spanned wir hört du auf 😂 aber die scene mit samael und rin fand ich mega süss wie sagt man so schön harte schale weicher kern bin echt gespannt wie es weiter geht

bleib auf jedenfall gesund ^-^

Antwort von:  Himikko
18.05.2020 13:38
Man hat mir auf einer anderen auch schon den Titel „Königin der Cliffhanger“ verpasst. Es soll ja spannend bleiben XD
Oh ja, Sammy ist eigentlich voll der Softie. Tieeeef, tieeeeeeeeef in seinem innersten Inneren. XD
Danke, du ebenfalls ^^
Von:  Yuna_musume_satan
2020-05-18T08:04:22+00:00 18.05.2020 10:04
OMG ich bin so neugierig wie es weiter geht.

Astarot (verwesungskönig) ist mir sehr somatisch vor allem wegen seiner Meinung über diese 8beinigen ungeteilte.
Satan ist wirklich ein echter Vater und macht sich sorgen um seine Kids obwohl er ein Büschen Bammel vor rins reifezeit (Teenager?) Zeit hat hihi.
Die stelle mit Fujimoto war so berürend einfach genial.
OMG azazels mom ist als Geist da was will sie machen ihrem Sohn helfen?

Was hat lilif vor ich kann die absolut nicht leiden.

Ich kann es nicht erwarten bis meine Lieblings Blue Exorist FF weiter geht Ich liebe die Story.

Ps. Hast dich wohl von der aktuellen Lage inspirieren lassen. Kaffee und Kuchen da lass
Antwort von:  Himikko
18.05.2020 11:16
Das freut mich zu hören ^^

Ich hasse Spinnen, warum gibt es sie? Die einzige die ich jemals mochte, war die aus Charlottes Web. XD
Japp, Satan kann nicht anders, immer wenn eins der Kinder allein ist, zerbricht er sich sofort den Kopf. Und ja, die Reifezeit ist die Pubertät/Teenagerzeit. Da hat er noch was vor sich. XD
Die Stelle mit Shiro hat auch gedauert als ich sie zum ersten Mal geschrieben habe, also umso besser. ^^
Wird sich zeigen ^^

Das mit der Massenpanik, den Ausgangssperren usw. wollte ich schon von Anfang an machen, aber die momentane Situation hat auch nochmal ein paar Ideen geliefert.

Bleib gesund und bis zum nächsten Mal. ^^
Antwort von:  Yuna_musume_satan
18.05.2020 11:27
Bleib du auch gesund und wir lesen uns


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