Epilog
Am nächsten Tag stellte sich Genesis wieder seinem alten Feind – dem Filterkaffee. Lustlos seufzend stand er im Pausenraum vor der Maschine, durch die der Kaffee Tropfen für Tropfen quälend langsam durchlief. Wenn er da an die letzte Nacht zurückdachte, in der ohne Vorwarnung alles plötzlich unheimlich schnell gegangen war ...
Als hätten ihn diese Gedanken gerufen, erschien, wie Genesis aus den Augenwinkeln erkannte, Sephiroth im Türrahmen; doch beide verharrten in ihren Positionen. Genesis wollte sich nur nichts anmerken lassen, aber er hatte die Vermutung, dass Sephiroth aus Unsicherheit wie angewurzelt stehen geblieben war. Mit einem erneuten Seufzen wandte er sich halb in Richtung Tür. „Rein oder raus?“, fragte er Sephiroth, der, wenn auch kurz verschüchtert, der Einladung folgte und sich zu Genesis gesellte. Eine Weile standen sie schweigend nebeneinander, in der Genesis weiterhin den Kaffee beobachtete. Schließlich entschied er, subtil zu handeln; er wandte den Kopf ein wenig zur Seite und schaute Sephiroth so endlich direkt an. Der schien etwas aufzutauen und rückte einen Schritt näher; jedoch bestand zwischen ihnen, zumindest nach den Maßstäben der letzten Nacht, immer noch eine beträchtliche Entfernung.
Genervt seufzend packte Genesis Sephiroth, der damit offensichtlich nicht gerechnet hatte, unsanft an der Hand und zog ihn näher zu sich, sodass sie sich nun sehr nah waren. Und während Genesis so tat, als wäre überhaupt nichts geschehen, und sich wieder dem Kaffee zuwandte, legte Sephiroth, der sich bestärkt zu fühlen schien, nun von hinten liebevoll die Arme um Genesis. Das hatte er nun nicht beabsichtigt. Immerhin befanden sie sich in einem öffentlichen Raum, wo jeder vorbeigehen und sie sehen konnte. Als er sich allerdings umwandte, um Sephiroth zurechtzuweisen, konnte er nicht anders, als ihn doch gewähren zu lassen, als er den friedlichen Ausdruck auf dessen Gesicht sah. Er seufzte leise und legte eine Hand auf Sephiroths starken Arm über seiner Brust.
Im nächsten Moment jedoch schloss Sephiroth seinen Griff um Genesis‘ Oberkörper fester; zu fest. „Seph, du bist stark“, stieß er gepresst hervor.
„Oh.“ Sephiroth ließ locker, aber nicht los. Genesis schob ihn weg. Sephiroth schaute ihn beinahe erschüttert an.
„Seph“, entgegnete Genesis verständnislos, „dir ist doch wohl klar, dass niemand hiervon erfahren darf.“
Sephiroths Augen weiteten sich ungläubig. „Was?“
„Niemand. Niemand darf davon wissen.“ Sie starrten sich mehrere Momente lang sprachlos an. Genesis verstand nicht, was es daran nicht zu verstehen gab, dass absolut niemand von ihrer Beziehung auch nur etwas ahnen durfte. Er unterbrach den Blick erst, als der Kaffee endlich fertig war. „Auch?“, fragte er.
Sephiroth lehnte ab. „Nein.“
Genesis füllte Kaffee in eine Tasse und setzte sich auf eines der Sofas neben dem runden Tisch. Sephiroth, mit geistesabwesendem Blick, folgte ihm nur langsam und setzte sich gegenüber auf das andere Sofa. Ohne eine Idee, was er sagen konnte, um die gekippte Stimmung wieder zu retten, nahm Genesis einen Schluck Kaffee und schaute missmutig in die Tasse. Irgendwie schmeckte der Kaffee jetzt nicht mehr so gut, wie er erwartet hatte. Kaffee. Hatte er nichts als Kaffee im Kopf? Nun hatte Sephiroth endlich den Weg zu ihm gefunden und da saß er, Trübsal blasend, unglücklich. Wie konnte er ihn ablenken? Sein Blick fiel wieder in die Kaffeetasse. „Ich hab von deiner Arbeitsmoral gehört.“
Sephiroth schaute ihn interessiert aus seinen grünen Augen an.
„Und da trinkst du keinen Kaffee?“
„Nein“, antwortete Sephiroth immer noch verstimmt. „Es geht auch ohne. Kaffee sollte man sich gar nicht erst angewöhnen.“
„Hm“, machte Genesis anerkennend, „ganz Unrecht hast du da sicher nicht ...“
Dann fiel ein Schweigen zwischen sie wie ein dicker Vorhang. Es vergingen Minuten, in denen Genesis lustlos an seinem Kaffee nippte und Sephiroth beobachtete, wie sich sein Gesicht immer mehr verfinsterte. Sicherlich hätte man eine Stecknadel fallen hören können, als endlich Rettung nahte: Schritte auf dem Gang. Genesis war in seinem Leben bisher selten so dankbar gewesen, Angeal auftauchen zu sehen; der füllte sich ebenfalls eine Tasse mit dem Kaffee aus der Kanne und setzte sich neben Genesis aufs Sofa. Er schaute zwischen den beiden hin und her. „Hier herrscht ja Stimmung“, kommentierte er sarkastisch.
Genesis entschied, dass es das Beste war, mitzuspielen. „Ach, eben ging es noch.“
„Ich kann euch auch wieder allein lassen“, sagte Angeal mit einem wissenden Blitzen in den Augen. Nein, er weiß nichts, schoss es Genesis durch den Kopf. Er musterte Sephiroth. Es schien ihm aber nicht der richtige Moment zu sein, mit der Sprache herauszurücken. Er seufzte.
„Jetzt erklär mir doch noch mal, was genau du vorhin meintest.“ Sephiroth schien am Abend, als sie gemeinsam Genesis‘ Wohnung betraten, immer noch höchst verstimmt. Genesis ging auf die Küchenzeile zu, nahm zwei Gläser aus dem Schrank und befüllte sie mit Wasser. Etwas genervt wandte er sich anschließend Sephiroth zu, der ihm gefolgt war. Er verstand einfach nicht, was es da zu erklären gab.
„Seph, der Gedanke muss dir doch früher schon mal gekommen sein.“
Es verging eine Sekunde, in der Sephiroth offensichtlich ernsthaft darüber nachdachte. „Inwiefern das?“
Genesis sah ihn ungläubig an. Wie konnte ein Mensch sich so anstellen? Musste Sephiroth sich derart verweigern? Er war doch eigentlich ein ganz kluger Mann. Genesis seufzte ermattet und setzte gerade zu einer Antwort an, als ihm eine Idee kam. Ja – war es denn die Möglichkeit? Er schaute Sephiroth an. Nein, das konnte doch nicht sein. Oder doch? „Sag mal, Seph ...“ Er stockte. Wie sollte er seinen Verdacht aussprechen, ohne taktlos zu sein? Sephiroth sah ihn an und erweckte nicht den Eindruck, dass er ihm irgendwie entgegenkommen wollte. Genesis fiel schließlich keine elegantere Art ein, also vervollständigte er gezwungenermaßen seine begonnene Frage: „Wie lange genau weißt du eigentlich, dass du auf Männer stehst?“
Sephiroth war genauso vor der Kopf gestoßen, wie er es erwartet hatte. Er runzelte leicht die Stirn. „Ähm ...“
Genesis versuchte, der Situation die Spannung zu nehmen. „Also ungefähr seit gestern.“ Sephiroth schaute ihm nicht in die Augen, als er zustimmend nickte.
Genesis seufzte. „Ich glaube, ich muss dir da mal was erklären.“
Sie setzten sich mit den Gläsern gegenüber voneinander an den Tisch und redeten. Lange. Eigentlich war es größtenteils Genesis, der redete, während Sephiroth aufmerksam zuhörte. Als Genesis das Gefühl hatte, nicht mehr erzählen zu können, ohne ernsthaft Gefahr zu laufen, sein Mittagessen hochzuwürgen, seufzte er erschöpft und stützte das Gesicht in der Hand. Er registrierte am Rande, dass Sephiroth ihn immer noch neugierig taxierte, ignorierte ihn aber. Er fühlte sich angestrengt und fiebrig. Menschen konnten so schlecht sein. All diese Geschichten mit einem Mal zu erzählen erinnerte ihn wieder daran, dass man besser dran war, so wenigen Leuten wie möglich zu vertrauen.
In Gedanken versunken merkte er erst nicht, dass Sephiroth um den Tisch herum näher an ihn herangerückt war, bis er anfing, über seine Hand zu streichen. Genesis machte ein missbilligendes Geräusch, duldete Sephiroths Berührung dann aber augenrollend. Offenbar hatte ihr Gespräch auch Sephiroth angestrengt, denn er legte seinen Kopf an Genesis‘ Arm auf den Tisch und schloss halb die Augen. Genesis betrachtete Sephiroth und erkannte in ihm seinen Leidensgenossen. Armer Junge, bis vor Kurzem hatte er keine Ahnung ... War noch nie in einer Beziehung, nein?
Da erschlug Genesis die Erkenntnis nahezu. Fast wäre ihm der Mund offen stehen geblieben. Verständnisvoll fuhr er Sephiroth durchs Haar – dieses wunderbare lange Silberhaar, das sicher jeder in Midgar gerne einmal berührt hätte –, wie es vor ihm noch niemand getan hatte. Es machte ihn beinahe selbst traurig.
Denn gerade war ihm klar geworden, dass Sephiroth bis zu ihrem ersten Kuss – seinem ersten Kuss – in seinem ganzen Leben, das hieß in ganzen 20 Jahren, noch von niemandem auch nur die geringste liebevolle Berührung erfahren haben konnte.