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My Love Is Your Love

- Blind Date -
von

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Als ich dich sah

Der Warteraum des Krankenhauses war beinahe leer. Gegenüber von ihm saß eine Frau im mittleren Alter, die ihre Tochter im Arm hielt. Das kleine Mädchen schlief behütet an der Seite ihrer Mutter, die trotz ihrer eigenen Müdigkeit konsequent wach blieb. In ihrer unmittelbaren Nähe saß ein älterer Mann, der in einem Sportmagazin blätterte. Jeder wartete darauf, aufgerufen zu werde. So auch Iji, der mit Hitomis Eltern darauf wartete, bis Hitomis Operation beendet wurde und sie zu ihr gehen konnten.

Am Tag der Operation traf Iji das erste Mal auf Hitomi. Er erfuhr ihre Adresse von Ryoske und fuhr früh morgens dahin. In der Schule musste er sich krank melden, da die OP mitten in der Woche stattfand. Er war selten krank, weswegen es kein Problem darstellte, wenn er einmal fehlte. Er war sogar ein wenig froh darüber, heute die Schule zu schwänzen, da er wenigstens diesem ständigen Schulstress entgehen und sich eine Pause gönnen konnte. Natürlich stellte er sich unter Erholung etwas anderes vor, als die Rolle seines Bruders zu übernehmen.

An der Tür begrüßte ihn Hitomis Vater, Takeru Higashino. Er war ein breitschultriger, großer Mann, der einem Angst einjagen konnte, wenn man ihm in einer dunkeln Gasse begegnete, wären da nicht seine freundlichen Augen, die einen Kontrast zu seiner sonstigen Erscheinung bildeten.

Iji stellte sich als Ryoske Kagawa vor und verneigte sich höflich.

„Ich freue mich, dich endlich kennenzulernen, Junge!“

Iji wurde in das gemütliche Wohnzimmer geführt, wo er auf Herrn Higashinos Frau, Sato Higashino, traf. Ihre Begrüßung fiel nicht so herzlich aus wie die ihres Mannes. In ihrem Blick lag Misstrauen, was er unter Umständen verstehen konnte. Besonders die Bemerkung über seine Haarfarbe brachte ihn für einen Moment ins Schwitzen.

„Hattest du nicht braune Haare?“

Ryoske hatte Iji erzählt, dass er ihre Eltern kein einziges Mal persönlich getroffen hatte. Woher konnte sie es dann wissen? Doch bevor Iji zur Antwort ausholen konnte, kam ihm Hitomis Vater zur Hilfe.

„Bring den Jungen doch nicht in Verlegenheit, Sato!“ Herr Higashino legte seine Hände sanft auf die Schultern seiner Frau. „Die Jugend von heute färbt sich doch dauernd die Haare. Ohne Veränderungen wäre das Leben doch langweilig und öde.“ Zum Glück schien diese Begründung auszureichen. „Hitomi kommt gleich, setz dich ruhig.“

Die beiden ließen ihn allein im Wohnzimmer warten. Die Eltern des Mädchens waren gar nicht so schlimm, sie waren sogar äußerst freundlich. Frau Higashino war etwas missmutig, wahrscheinlich machte sie sich aber nur Sorgen um ihre Tochter. Ryoskes Angst war unbegründet.

Iji betrachtete die Fotos an der Wand. Sie stellten die Familie dar, die er grade kennengelernt hatte. Das Mädchen in der Mitte musste Hitomi sein. Ihre Augen waren meistens geschlossen, aber ihr strahlendes Gesicht zeigte keinerlei Regung davon, dass sie in irgendeiner Weise unglücklich sei. Ryoske hatte ihm erzählt, dass Hitomi bei einer Pflegefamilie aufwuchs. Das wäre ihm spätestens jetzt aufgefallen. Er wusste, dass Fotos nicht immer die echte Gefühlswelt darstellten, aber auch beim näheren Hinsehen konnte er kein einziges Foto entdecken, auf dem Hitomi traurig aussah.

„Ryoske?“

Als der Name seines Bruders ausgesprochen wurde, realisierte Iji nicht direkt, dass er damit gemeint war, da er so in Gedanken vertieft war. Erst beim zweiten Mal wandte er sich zu Hitomi um. Er musste sich erst an diese Umstellung gewöhnen.

Hitomi stand in der Tür, eine Hand am Türrahmen.

„Bist du hier?“

Iji erhob sich und trat zu ihr.

„Ja, hier bin ich.“ Ob sie anhand seiner Stimme feststellen konnte, dass er nicht Ryoske war? Die Zwillinge hatten beinahe identische Stimmen, aber es gab natürlich minimale Unterschiede. Davon mal abgesehen, hatten sie unterschiedliche Ausdrucksweisen. Iji musste nicht nur aufpassen, was er sagte, sondern auch wie er es sagte. Das würde eine Höllenarbeit.

„Ich bin so froh, dass du da bist.“

Sie hatte eine sanfte Stimme, die zu ihrer äußeren Erscheinung passte. Ihre Locken erweckten den Eindruck eines verspielten, kleinen Mädchens, doch laut Ryoske musste sie bereits 17 Jahre alt sein. Sie hatte weiche Gesichtszüge und einen sinnlichen Mund. Sie war schlank, aber nicht zu dünn. Sie war perfekt. Ja, anders konnte er ihr Äußeres nicht beschreiben. Kein Wunder, dass sein Bruder sich in dieses Mädchen verguckt hatte.

„Ich hab's ja versprochen“, meinte Iji. Für einen kurzen Augenblick meldete sich sein schlechtes Gewissen. Das war nicht richtig, sie anzulügen. Er belog ja nicht nur sie, sondern führte auch ihre Eltern hinters Licht. Zwangsläufig musste er sich fragen, wie lange er sich für seinen Bruder ausgeben konnte, ohne durchschaut zu werden.

Sie fuhren mit dem Auto von Herrn Higashino ins Krankenhaus, das eine halbe Stunde von dem Zuhause der Familie Higashino entfernt lag. Iji saß auf der Rückbank neben Hitomi und blickte gedankenverloren aus dem Fenster, während aus dem Radio ein melancholischer Song von Mika Nakashima spielte. Iji kannte die Sängerin nur, weil seine Mutter gerne ihre Lieder hörte. Als er und Ryoske noch klein waren, hatte sie die beiden sogar zu einem Konzert von ihr mitgeschleift. Vater hatte sich nicht überreden lassen, also nahm sie die beiden wehrlosen Kinder mit. Iji würde es niemandem gestehen und wenn es jemand herausfand, dann würde er es leugnen, aber manche Songs von Mika konnte er sogar mitsingen.

Plötzlich spürte er Hitomis kleine Hand auf der seinen. Iji sah überrascht zu ihr rüber. Die unerwartete Berührung kam ihm fremd vor, sie fühlte sich falsch an. Sie sollte ihn nicht berühren, er war nicht der, für den sie ihn hielt. Was tue ich überhaupt hier?, schoss es ihm plötzlich durch den Kopf. Das war doch eine vollkommen bescheuerte Idee, als wäre er in einem falschen Film.

„Ich hab Angst“, flüsterte sie, sodass nur er es hören konnte. Iji konnte ihre Sorge in ihrem Gesicht ablesen. Er machte sich verrückt, weil er die Rolle seines Bruders spielen sollte. Dabei hatte er ganz vergessen, dass für sie eine viel größere Herausforderung bevorstand.

Bevor Iji seine nächste Handlung genau überlegen konnte, zog er seine Hand unter ihrer Hand hervor, nur um sie stattdessen auf die ihre zu legen.

„Kann ich verstehen. Ich hätte auch Angst. Aber du bist wirklich mutig. Nicht jeder würde sich für diesen Schritt entscheiden.“ Iji drückte leicht ihre zierliche Hand, die sich so sanft anfühlte. „Außerdem bist du nicht allein. Deine Eltern sind bei dir und stehen dir bei.“

Hitomi wandte ihren Kopf ein wenig in seine Richtung und schenkte ihm ein dankbares Lächeln.

„Und du bist auch da. Danke noch mal, dass du mich begleitest. Jetzt fürchte ich mich nicht mehr so sehr.“

 

Iji sah auf die Uhr, die an der Wand des Warteraumes hing. Die Operation dauerte bereits seit einigen Stunden an. Sein Hintern tat schon weh vom Sitzen. Am Anfang hatte er sich ein wenig mit Hitomis Vater unterhalten. Sie hatten festgestellt, dass sie ihre Liebe für Sport teilten. Besonders für Baseball. Hitomis Vater hatte früher einmal in der Schulmannschaft gespielt und später mit seinen Kollegen von der Arbeit. Iji spielte nach der Schule ab und zu mit seinen Freunden. Als er jünger war, hatte er mit seinem Vater gespielt. Ryoske ließ sich für Baseball oder generell für Sport nicht sonderlich begeistern. Er steckte seine Nase lieber in Bücher.

Nachdem das Gespräch beendet war, wurde Iji jedoch bewusst, dass er in der Rolle seines Bruders kläglich versagt hatte. Wenn sie später die Rollen wieder tauschten, würde Herrn Higashino sicherlich das Täuschungsmanöver auffallen. Spätestens dann, wenn er mit Ryoske über Baseball sprach. So zu tun als wäre er sein Bruder war gar nicht so einfach.

Wie lange das heute wohl noch dauern würde? Dieses Warten war ganz schön anstrengend. Iji stand auf, um sich ein wenig die Beine zu vertreten, doch bevor er das Wartezimmer verlassen konnte, wurde die Familie Higashino aufgerufen. Iji folgte Hitomis angespannten Eltern, während er sich wieder die Frage stellte, wieso er sich auf dieses Theaterspiel eingelassen hatte. Am liebsten wollte er nach Hause oder noch besser zu Maki, die allerdings immer noch sauer auf ihn war, weil er sie letztens im wahrsten Sinne des Wortes liegen gelassen hatte. Er konnte es ihr nicht verübeln, aber mehr als entschuldigen konnte er sich auch nicht. Dennoch wäre ihm eine zickende Maki jetzt lieber als ein fremdes, blindes Mädchen, für das er nichts empfand außer vielleicht Mitleid.

Das Zimmer, in dem Hitomi untergebracht war, war zum Teil abgedunkelt. Die Jalousien ließen nur wenig Licht hinein. Wahrscheinlich um ihre Augen nicht zu belasten. Hitomis Eltern traten an das Bett ihrer Tochter, wohingegen Iji ein wenig abseits stehen blieb. Er fühlte sich in diesem Moment wie ein Eindringling. Ryoske sollte an seiner Stelle hier sein und Hitomi beistehen, nicht er.

„Die Operation ist problemlos verlaufen. Allerdings können wir erst von einem Erfolg sprechen, wenn die Sehfähigkeit Ihrer Tochter über die nächsten Tage stabil bleibt. Hitomi sieht im Moment etwas verschwommen, aber das ist ganz normal. Die Sehstärke sollte sich innerhalb weniger Stunden stabilisieren.“

Während der Arzt den Eltern erklärte, was alles zu beachten war, spähte Iji zu Hitomi. Von hier aus konnte er wenig erkennen. Ob er zu ihr gehen sollte? Als hätte sie seine Gedanken gelesen, wandte sie ihren Kopf in seine Richtung.

„Ryoske...“

Iji zuckte zusammen. Konnte sie ihn jetzt tatsächlich sehen? Er trat zu ihr ans Bett. Obwohl sie ziemlich müde aussah, strahlte ihr Gesicht förmlich vor Freude. Ihre graublauen Augen waren direkt auf ihn gerichtet. Wow. Eine ungewöhnliche Augenfarbe für eine Japanerin. Aber dann erinnerte er sich wieder daran, dass sie ja nur Halbjapanerin war. Heute Morgen gab es noch kein Leuchten in ihren Augen und jetzt strahlten sie vor Lebensfreude.

„Ich kann dich sehen...“, murmelte Hitomi fassungslos und lächelte glücklich.

Iji kam nicht umhin ihr Lächeln zu erwidern.

„Ich kann dich auch sehen.“

Hitomi lachte leise und streckte ihre Hand nach ihm aus, die er nach einem kurzen Zögern ergriff.

„Schade nur, dass du etwas verschwommen bist.“

Iji setzte sich auf die Bettkante und versuchte sie zu ermuntern: „Das wird schon. Ich glaube, der Arzt ist ganz zuversichtlich.“

„Danke, Ryoske.“ Ihr herzzerreißendes Lächeln ging ihm unter die Haut.

„Ich hätte nicht gedacht, dass du blond bist“, meinte sie dann unvermittelt und brachte Iji somit zum lachen. Irgendwie hatten alle was mit seiner Haarfarbe.

„Ach nein?“ Iji fuhr sich mit der freien Hand durchs Haar. „Aber steht mir, oder?“, fragte er grinsend und Hitomi nickte zustimmend.

Er blieb noch eine ganze Weile bei ihr, bis der Arzt Hitomi Ruhe verordnete. Sie sollte heute noch über Nacht hier bleiben, damit die Ärzte ihren Zustand beobachten konnten. Morgen durfte sie dann nach Hause, wenn es zu keinen unvorhersehbaren Komplikationen kam.

„Sehen wir uns morgen, Ryoske?“

Iji hatte eigentlich noch keine Pläne für morgen, aber er wollte vielleicht Maki treffen. Er hatte nicht gedacht, dass Hitomi ihn morgen schon wiedersehen wollte.

„Hitomi, Schätzchen, gönne Ryoske doch ein wenig Ruhe. Er war heute die ganze Zeit bei dir und muss ziemlich erschöpft sein“, sagte Frau Higashino. In diesem Moment war Iji ihr verdammt dankbar.

„Ja, natürlich“, erwiderte Hitomi, „ich wollte nicht egoistisch sein.“

Iji hätte mit Protest gerechnet oder wenigstens mit einer unzufriedenen Gesichtsmiene seitens Hitomi, so wie er es von Maki gewöhnt war. Doch dieses Mädchen zeigte Einsicht. Selbst wenn sie unzufrieden war, ließ sie es sich nicht anmerken.

„Ich rufe dich dann an“, meinte Iji, verabschiedete sich von den dreien und verließ das Krankenzimmer. Hitomis Vater hatte angeboten ihn nach Hause zu fahren, doch Iji hatte höflich abgelehnt, weil er sich noch etwas die Beine vertreten wollte.

Als er nach draußen an die frische Luft trat, fühlte es sich wie Freiheit an. Jetzt musste er wenigstens keine Rolle mehr spielen, musste nicht aufpassen, was oder wie er etwas sagte. Aber wenn er es sich recht überlegte, dann hatte er kaum etwas vorgespielt. Er hatte sich zwar für Ryoske ausgegeben, aber letztendlich war er die ganze Zeit er selbst.

Iji atmete die kühle Luft ein und streckte sich kurz, bevor er sich auf den Weg nach Hause machte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallöchen!

Das war nun das erste Treffen zwischen Hitomi und Iji :D
Das Drama kann also beginnen *haha*

Was die OP angeht... das ist ein bisschen zu weit hergeholt, ich weiß >_<
Die Medizin ist da gar nicht so weit, leider.
Ich hoffe, ich habs trotzdem einigermaßen "realistisch" beschrieben ^^"
Wenn nicht, bitte meckern :D

Danke an alle, die bis hierhin gelesen haben und sich auf die nächsten Kapitel freuen :D Komplett anzeigen

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