For You
You've got me surrounded
It feels like I'm drowning and I don't want to come up for air
Es war schon weit nach Mitternacht als Shikamaru den Schlüssel im Schloss drehte und seine Wohnungstür aufschob. Er bemühte sich leise zu sein und ließ die Wohnung im Dunkeln. Die einzige Lichtquelle waren die Straßenlaternen, die von draußen sein Wohnzimmer durch die große Fensterfront erhellten. Alles war ordentlich und sauber. Das war kein Wunder, wenn man bedachte, wie selten Shikamaru sich in der letzten Zeit in diesem Raum aufgehalten hatte.
Vorsichtig tastete er sich ins Badezimmer, in dem er das Licht einschaltete und die Tür hinter sich schloss. Es war so grell, dass er sich eine Hand vor die Augen hielt, bis diese sich an die Helligkeit gewöhnt hatten.
Sein Ziel war das Waschbecken, an dem er sich bloß schnell die Zähne putzen wollte. Als er dabei einen Blick in den Spiegel warf, hätte sich jeder andere wohl erschreckt. Tiefe Ringe zeichneten sich unter seinen Augen ab, seine Haut war blass und seine Wangen leicht eingefallen. Er selbst hatte sich scheinbar schon zu sehr an dieses Bild gewöhnt, als dass es ihm noch Sorgen bereitete.
Nachdem er sich den Mund ausgespült hatte, löschte er das Licht wieder und ertastete sich den Weg ins Schlafzimmer an der Wand entlang.
Möglichst leise drückte er die Klinke herunter und trat in den dunklen Raum. Sein Schlafzimmer wurde von keinen Laternen beleuchtete, bloß der Mond spendete ein wenig Licht.
„Ino? Bist du wach?“, flüsterte er in die Dunkelheit.
Es kam keine Erwiderung, weshalb er die wenigen Schritte zum Bett überwand und seine Klamotten dabei achtlos auf den Boden warf. Nur in Boxershorts und T-Shirt schob Shikamaru sich unter die Decke, um sich seinen wohlverdienten Schlaf zu holen.
Nur wenige Minuten nachdem er sich hingelegt hatte, erfüllte ein leises Schluchzen den Raum. Auf der Matratze spürte er das Zittern ihrer Schultern. Und schon schlug er seine Augen wieder auf. Sie war also doch noch wach. Und sie weinte.
Ohne ein Wort zu sagen drehte Shikamaru sich auf die andere Seite, in ihre Richtung. Ino lag mit dem Rücken zu ihm, während ihre Tränen vom Kissen aufgesogen wurden. Sein Arm schlang sich um ihre schmale Taille, zog sie so näher an sich heran.
„Schh~“, machte er beruhigend, strich sanft über ihren Unterarm.
Seit dem Krieg, seit dem Tod ihres Vaters, dem Verlust geliebter Menschen war sie gebrochen, in viele kleine Teile, und er war es, der versuchte diese Teile wieder zusammenzukleben, obwohl auch er längst nicht mehr er selbst war.
„Schh~ Ich bin hier, Ino“, flüsterte er gegen ihren Hinterkopf, küsste hauchfein das blonde Haar. Sie klammerte sich an seinen Arm, als wäre er ein Rettungsring, als könnte er sie vorm Ertrinken bewahren.
Es dauerte eine Stunde, bis Ino vor Erschöpfung endlich eingeschlafen war. Ein Blick auf die Uhr verriet Shikamaru, dass es fast halb drei Uhr Nacht war. Er seufzte leise – mit einem Hauch von Verzweiflung in der Stimme. Sein Herz wog schwer, seine Gedanken, seine Sorgen um Ino hörten nicht auf, das taten sie niemals.
I lost everything, I threw myself in and you took me where no one was there
Well you can take what you need, take the air that I breathe and I'll give away all that I own
Whatever I lose, is put back by you in a way that you'll never know
'Cause I can't be without you
In dieser Nacht schlief Shikamaru wieder nur vier Stunden, ehe sein nächster Arbeitstag begann. Er wachte neben Ino auf, die den Eindruck vermittelte, als schliefe sie noch immer tief und fest. Mit der Hand strich er über sein erschöpftes Gesicht und schleppte sich aus dem Bett, um kalt zu duschen.
In der Zwischenzeit brühte er eine Kanne Kaffee auf, den er in der letzten Zeit dringend benötigte.
Mit einem Handtuch über seinen Schultern füllte er eine Tasse mit der schwarzen Flüssigkeit. Er trank seinen Kaffee immer ohne Milch oder Zucker. Der bittere Geschmack schüttelte ihn zwar, ließ ihn dafür aber auch richtig wach werden.
Aus einer Schublade in der Küche holte Shikamaru eine Packung Zigaretten und das Feuerzeug, das sein verstorbener Mentor ihm hinterlassen hatte. Bevor er sich einen Glimmstängel anzündete, öffnete er das Fenster in der Küche, aus dem er hinaus starrte. Jeder Morgen lief routiniert ab, immer dasselbe Gefühl, dieselben Gedanken.
„Du solltest nicht rauchen“, hörte er eine Stimme hinter sich. Ino stand im Türrahmen, nur mit seinem Pullover bekleidet. Das lange, blonde Haar hing glanzlos über ihren Rücken und ebenso matt waren ihre meerblauen Augen.
„Es ist noch früh. Wieso bist du schon wach?“, fragte Shikamaru als sie sich neben ihn stellte.
„Wirst du heute wieder so spät nach Hause kommen?“, stellte Ino als Gegenfrage.
„Ich versuche früher zu kommen“, antwortete er. Das hatte er die letzten Male immer gesagt, doch fast nie eingehalten. Er wusste, dass ihre Frage ein stummer Vorwurf war. Sie wollte bei ihm sein, um nicht in den dunklen Tiefen ihrer Trauer zu versinken.
Shikamaru drückte die Zigarette am Fensterbrett aus und kippte den letzten bitteren Schluck Kaffee seine Kehle herunter. Sie sah noch immer mit leerem Blick aus dem Fenster. Er hob ihr Kinn sanft mit seinem Zeigefinger an und lächelte traurig.
„Ich komme bald wieder.“
I'll be there when you need me most
I'll be there if you're ever alone
Together, we can grow old
I can't leave you
I can't leave you, no
Als er das Haus verließ, hörte er noch, wie Ino sich ein Bad einließ. Sie würde auch an diesem Tag nicht rausgehen. Viel eher wird sie sich unter einer Decke in seiner Wohnung verkriechen und nichts tun. Und er wird sich wieder so viel Arbeit aufhalsen, dass er nicht nachdenken, sich keine Sorgen machen musste.
Deshalb kam er auch an diesem Tag erst nach Hause als die Sonne schon lange untergegangen war. Auch an diesem Abend brannte kein Licht in seiner Wohnung.
Als er ins Schlafzimmer kam, konnte er ihre Umrisse bereits erkennen. Sie saß auf dem Bett und sah aus dem Fenster, wandte ihren Blick jedoch zu ihm, als er herein kam.
Ihre nackten Füße tapsten auf den Holzdielen, als sie auf ihn zutrat.
„Du bist spät dran“, sprach sie leise. Doch er kam gar nicht dazu, ihr zu antworten, denn sie drückte sich bereits an ihn, presst ihre Lippen sehnsüchtig auf seine. Er ließ es zu, resignierte und schloss seine Augen.
Das war scheinbar einer ihrer besseren Tage, an denen sie aktiv auf ihn zuging – wenn auch nur, um mit ihm zu schlafen.
Seine Finger fuhren über ihre weiche Haut, ihren zarten Körper. Ihre Küsse lösten sie bloß, wenn Ino ihm seinen Pullover und sein T-Shirt über den Kopf zog. In diesem Moment flüchtete sie sich in das wundervolle Gefühl seiner Nähe – und wenn Shikamaru ehrlich war, tat er das ebenso.
Er wollte sie zusammenfügen, sie wieder ganz machen, ihr alles geben, das sie brauchte, auch wenn es ihn selbst innerlich langsam aufzufressen drohte.
There's no air around me, when we get this close but there's no where I want to go
You keep it a secret if you feel the same and leave me dying to know
Nackt und ausgelaugt fand Shikamaru sich mit Ino in seinem Bett wieder. Sie hatte ihren Kopf auf seiner Brust gebettet und er hatte seinen Arm um ihre zierliche Gestalt gelegt. Das erste Mal seit Tagen schlief sie nicht unter Tränen ein. Fast mechanisch strich er durch ihr langes Haar an ihrem Rücken, dabei in der Dunkelheit an die Zimmerdecke starrend. Sie fühlte sich besser so und für einen klitzekleinen Moment tat er das auch.
Doch konnte das auf Dauer funktionieren?
Es musste einfach.
'Cause I can't be without you
Am nächsten Morgen lagen sie nebeneinander im Bett. Shikamaru hatte sich auf die Seite gedreht und betrachtete den entspannten Zug auf dem Gesicht seiner Freundin, ehe sie ihre Augen aufschlug. Trotz ihrer Hochphase in der letzten Nacht waren sie noch immer glanzlos, was ihn traurig stimmte.
Während sie sich mit der Decke um ihren schlanken Körper geschlungen ins Badezimmer verzog, blieb er liegen und starrte erneut an die weiße Zimmerdecke.
„Du solltest mal wieder nach draußen gehen“, merkte Shikamaru bei seiner morgendlichen Tasse Kaffee an. Vielleicht war heute ein guter Tag, um sie davon zu überzeugen. Vielleicht wäre das ein erster Schritt in die richtige Richtung. Vielleicht lag er damit aber auch falsch.
„Und was sollte ich dort machen?“, murmelte Ino, ohne ihn dabei anzusehen.
„Du könntest Sakura besuchen.“
Mehr als ein Grummeln erhielt er auf diesen Vorschlag nicht und es ließ ihn seufzen. Damit zog er ihre Aufmerksamkeit viel eher auf sich, als mit diesem Gespräch.
„Warum gehst du nicht mit mir nach draußen, wenn es dir so wichtig ist?“, fragte sie mit bissigem Unterton.
„Ich muss arbeiten, Ino.“
„Ich weiß. Du musst immer arbeiten. Es gibt nichts Anderes mehr für dich als Arbeit.“
Shikamaru hatte keine Lust auf einen Streit oder eine Diskussion mit ihr. Scheinbar war doch noch nicht der richtige Tag, um sie dazu zu animieren, seine Wohnung für ein paar Stunden zu verlassen.
„Ich versuche, früher nach Hause zu kommen“, wiederholte er seine tägliche Phrase und erhob sich von seinem Stuhl.
Ino war dabei das Geschirr zu spülen als er die Wohnung verließ, so sah er nur noch ihren Rücken, bevor er zu einem weiteren harten Arbeitstag aufbrach.
I'll be there when you need me most
I'll be there if you're ever alone
Together, we can grow old
I can't leave you
I can't leave you
„Shikamaru, du solltest für heute Schluss machen“, merkte Kakashi an, als er die Papierberge entdeckte, die Shikamaru schon wieder auf seinem Schreibtisch angesammelt hatte.
„Aber es ist doch erst Mittag“, widersprach dieser bei einem Blick auf die Uhr.
„Ja, ich weiß. Du hast die letzten Tage bestimmt für drei gearbeitet und ziemlich viele Überstunden gemacht“, antwortete sein Chef, „außerdem siehst du schrecklich aus, wenn ich das anmerken darf. Nimm dir ein paar Tage Auszeit.“
Eher widerwillig verließ Shikamaru seinen Arbeitsplatz. Es war mittlerweile schon ziemlich lange her, dass er um diese Uhrzeit durch das Dorf spaziert war. Früher hatte er das viel öfter getan, auch gemeinsam mit Ino. Bei der Erinnerung an ihr ehrliches und strahlendes Lächeln blieb er einen Moment stehen. Er betrachtete die weißen Wolken am Himmel, wie sie langsam vorbei zogen.
Was war nur mit ihnen passiert? Wie konnten sie sich so verloren haben?
Shikamaru drehte den Schlüssel im Schloss und betrat langsam seine Wohnung, in der es vollkommen still war.
„Ino?“, rief er durch den Flur, in Erwartung, dass sie auf seine Stimme reagierte. Sie war weder im Wohnzimmer, noch in der Küche oder im Bad. Dann hatte sie sich vermutlich wieder im Schlafzimmer verkrochen.
Ebenso leise wie in den Nächten schob er die Zimmertür auf. Er ging auf das Bett zu, doch sie lag weder auf der einen noch auf der anderen Seite. Sein Puls beschleunigte sich unwiderruflich. Mittlerweile war er so daran gewöhnt, dass sie da war, wenn er nach Hause kam, dass er sich im Traum nicht vorstellen konnte, sie nicht vorzufinden.
Unbewusst stieg Panik in ihm auf. Ino war aktuell so fragil und anstatt sie in Sicherheit zu wiegen, hatte er es am Morgen auf einen Streit ankommen lassen und sie fortgeschickt.
Was wenn sie nicht mehr zu ihm zurückkehren würde – nicht wollte? Was wenn ihr etwas passiert war?
You're my way out
You're my way through
And I can't, I can't
Be without you
Wie von der Tarantel gestochen, verließ Shikamaru das Haus sofort wieder. All die Müdigkeit, all die Zweifel, ob er die Sache mit Ino richtig anging waren überlagert von der Angst um sie. Wie ein Besessener rannte er durch die Straßen von Konoha, hielt nach jeder Frau mit langen, blonden Haaren Ausschau. Er konnte sich nicht vorstellen, wo sie in ihrer derzeitigen Verfassung hätte hingehen können.
Vollkommen außer Atem kam er vor dem Konoha Krankenhaus zum Stehen.
„Shikamaru? Was machst du denn hier? Hat Kakashi dich nicht nach Hause geschickt?“
Eine ältere Frau mit kurzen, schwarzen Haaren kam durch die Glastüren am Eingang, als er das Gebäude betreten wollte.
„Shizune-san … Ja, ich war Zuhause … aber ich suche Ino. Ist sie vielleicht hier?“
„Ino? Hmm, nein ich erinnere mich nicht, sie gesehen zu haben.“
Diese Information reichte ihm bereits aus, um sich knapp bedankend wieder auf den Weg zu machen.
Mit pochendem Herzen lief er die Straßen weiter hoch und runter. Es gab nicht viele Orte an denen sie sein konnte, laut ihrer eigenen Aussage eigentlich gar keine.
Vor dem Blumenladen ihrer Familie blieb Shikamaru stehen. Der Mechanismus, dass die Türen sich automatisch öffneten, wenn man nahe genug dran stand, war deaktiviert und an ihnen klebte ein Schild, auf dem groß „Geschlossen“ stand.
In diesem Moment ging ihm ein Licht auf. Es gab nur einen Ort, an dem er sie jetzt noch vermuten würde, an dem sie sein musste.
Nur wenige Minuten später erreichte er den Friedhof von Konohagakure. Und dort war sie, vor dem Grab ihres Vaters und dem ihrer Mutter, die unmittelbar nebeneinander lagen. Sie stand direkt vor den Steinen, in die ihre Namen eingraviert waren und selbst aus dieser Entfernung konnte er das Beben ihrer Schultern genau erkennen.
Er überbrückte die Distanz zwischen ihnen mit wenigen, schnellen Schritten.
„Ino“, hauchte er atemlos und gleichzeitig erleichtert. Er stand dicht hinter ihr, legte seine Hände an ihre Oberarme und ließ sein Gesicht in ihre Halsbeuge sinken. Mit jedem Schluchzen zuckten ihre Schultern kurz nach oben.
„Du darfst mich nicht verlassen“, flüsterte er gegen ihre Haut, „Ich brauche dich.“
You're my way out
You're my way through
And I can't
Be without you
Dass er sie an diesem Tag nicht in seiner Wohnung vorgefunden hatte, machte ihm schmerzlich bewusst, dass nicht nur Ino ihn brauchte, um nicht zu ertrinken. Er war genauso abhängig von ihrer Nähe, um nicht zu zerbrechen. Ohne sie, ohne seine Gefühle für sie wäre er nichts weiter als eine leere Hülle.
Eine einsame Träne lief aus seinem Augenwinkel. Auch ihn hatten in den letzten Monaten geliebte Menschen verlassen, doch Ino zu verlieren könnte er nicht verkraften. Sie hielt ihn am Leben. Sie schütze ihn vorm Ertrinken. Sie war der Funke in der Dunkelheit.
So be there when I need you most
Be there, whenever I'm alone
Together, will we grow old
I can't leave you
I can't leave you
„Shikamaru“, flüsterte Ino mit heiserer Stimme. Sie drehte sich langsam zu ihm um. Er spürte ihre Hand an seiner Wange. „Ich könnte dich niemals verlassen.“
Sie waren abhängig voneinander, süchtig nacheinander, aber letztendlich immer füreinander da und in wenigen Momenten auch glücklich miteinander.
Sie drehen sich weiter im Kreis. Vielleicht brechen sie irgendwann aus, vielleicht auch nicht. Wenn sie es tun, dann nur gemeinsam oder gar nicht.
_________________________
SarahSunshine