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undone

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Undone
 

Kapitel 30
 

Bei jedem Atemzug schmerzte seine Brust und seine Seite stach unangenehm. Trotzdem versuchte er seiner Lunge wieder Sauerstoff zuzuführen. Er war so unendlich dankbar dafür, dass seine Wohnung nicht weit entfernt lag. Die Distanz vom Park bis hierher hatte er in einem Tempo zurückgelegt, als wäre eine wilde Bestie hinter ihm her. Sie verfolgte nur ein Ziel: ihn zerfleischen. Vielleicht entsprach das auch halb der Wahrheit.

Total außer Atem versuchte der junge Japaner seinen Schlüssel in das kleine Loch zu stecken, verfehlte es jedoch mehrfach und kratzte mit der Spitze über das Metall drum herum. Dann rastete der Schlüssel endlich in das Schloss und genauso hektisch wie er nach wie vor nach Luft schnappte, entriegelte er seine Tür und schob sich in seine Wohnung. Routiniert patschte seine Hand auf den Lichtschalter. Fast zeitgleich knallte er die Tür zu und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Der Schlüssel flog ungeachtet auf den kleinen Beistelltisch. Takanori hatte sicheres Gebiet erreicht, auch wenn er am gesamten Körper zitterte.

Bebend hob und senkte sich seine Brust und er sah nach unten auf das Gewicht in seinem linken Arm. Es dauerte einen Moment, ehe er den kleinen Hund realisierte. Der gab allerdings keinen Laut von sich, wusste wohl nicht, wie ihm geschah.

„Sorry, Kleiner“, wisperte Taka und setzte den Vierbeiner vorsichtig auf seinen winzigen Pfoten ab. Er selbst richtete sich wieder auf, lehnte sich an die verschlossene Eingangstür vor der die grausame Welt lauerte. Trocken schluckte er, versuchte sich zu beruhigen, aber sein Körper produzierte gerade nicht den notwendigen Speichel. Sein Hals kratzte und er hustete, was ihm aber keine Linderung bescherte. Um sich zu beruhigen, schloss er seine Augen, lehnte seinen Kopf an das Holz hinter sich. Er brauchte einen Anhaltspunkt, an dem er sich orientieren konnte. Die Welt schien aus den Angeln gehoben worden zu sein, denn er hatte keine Ahnung, was in der letzten Stunde mit ihm geschehen war. Generell schien auch sein Körper total vergessen zu haben, welche Funktion gerade die notwendigste war. Seine Gliedmaßen fühlten sich taub an.

Takanori nahm sich Zeit, um konzentriert zu atmen. Nichts weiter. Nur Luft in die Lungen pumpen und wieder ausatmen. Dann aber bemerkte er, wie sehr er fröstelte. Das erste, was er überhaupt wieder wahrnahm, denn sein Kopf war wie leergefegt. Er kniff sich in den Handrücken auf der Suche nach einem Zeichen, dass dies die Realität war, vielleicht auch, um sich wieder in das Hier und Jetzt zurückzuholen. Er wiederholte diese Handlung, bis sein Gehirn den Reiz verarbeitet hatte. Und ja, es tat weh. Für einen Moment. Um ganz sicher zu gehen, schob er seine Hand in den Ärmel seiner Jacke, kratzte fest über seinen Unterarm. Aber auch das tat weh. Die Illusion, dass er nur träumte, zerplatzte augenblicklich wie eine Seifenblase. Seine Arme fielen schlaff nach unten, baumelten für einen kurzen Moment, dann gaben auch seine Beine nach. Kraftlos ließ er sich an der Tür zu Boden rutschen und die ersten heißen Tränen suchten sich ihren Weg.

„Nein! Nein! Nein!“, fluchte er, schlug seine Faust auf den Boden. Auch diese Handlung vermochte es nicht diesen Knoten in seiner Brust zu lösen. Daher schlug er seinen Hinterkopf mehrfach gegen die Tür. Es tat weh. Es tat nicht genug weh! Ein Impuls von Übelkeit ergriff ihn und er sah weiße Punkte vor seinen Augen. Genug. Er stellte sein sinnloses Handeln ein und die Stelle an seinem Hinterkopf pulsierte, schaffte jedoch keine Abhilfe. Jede Handlung nur ein Ausdruck seiner Hilflosigkeit gegenüber der vorherrschenden Situation. Jetzt, wo er augenscheinlich zur Ruhe kommen konnte, prasselten die verschiedensten Gedanken auf ihn ein.

„Warum?“, wisperte er leise, ehe ein regelrechter Sturzbach von Tränen aus seinen Augen quoll. Er schluchzte auf und wischte sich über die geröteten Augen. Doch die Bilder in seinem Kopf verebbten nicht. Jetzt wollte alles raus.

Akira! Akira, wie er ihn anlächelte. Akiras schwere Hand auf seinem Kopf, wie er ihn liebevoll durch die Haare streichelte. Akira, der ihn tröstete, als er traurig war. Akira beim Fußballspielen. Akiras aufrichtiges Lächeln. Akira und dieses Mädchen. Akira, der sich über irgendwelchen Scheiß bei ihm beschwerte. Akira, wie er in seinem Bett lag und noch friedlich schlief. Akiras Arm, wie er ihn an sich zog. Akiras warmer Atem kurz bevor er ihn küsste. Akiras verspielter Blick, wenn er ihn mal wieder aufzog. Akira, der über irgendwelchen Kram fachsimpelte und dabei wild gestikulierte. Akira, wie er routiniert an seiner Zigarette zog und langsam den Rauch wieder ausblies. Akiras warme Umarmung. Akira beim Eis essen. Akira am Strand. Akira im Wasser. Akiras lebloser Körper. Akiras Beerdigung. Akiras Foto umrahmt von einem schwarzen Bilderrahmen mit einer schwarzen Schleife. Eine Welt – ohne Akira.

Takanori zog seine Beine eng an seinen Körper, vergrub seine Finger in seinen Haaren, als könnte dies seine Gedanken freilassen. Aber, das einzige was passierte war, dass die Beklemmung in seiner Brust wuchs. Wieder und wieder schluchzte er auf, konnte dies gar nicht unterdrücken.

„Nein“, kam das Wort immer wieder über seine Lippen wie ein Mantra.

Die Zeit ohne Akira. Endlos viele Tränen. Verzweiflung. Trauer. Einsamkeit. Verlust. Sehnsucht. Zweifel. Der Wunsch zu sterben. Der Wunsch wieder bei ihm sein zu dürfen. Leere. Stille. Ziellosigkeit. Und dann kam Takeru - und die Abwärtsspirale ging weiter. Angst. Flucht. Isolierung. Wertverlust. Selbstzerstörung. Nur noch mehr Zweifel. Und immer wieder der Wunsch Akira bei sich zu haben. Hoffnungslos.

„Alles gelogen!“ Und alle hatten zugesehen.

Von einem Moment auf den anderen überschlugen sich seine Gedanken.

Der Mann in Lederjacke, der seinen Hund suchte. Ein erstes gemeinsames Treffen. Angenehme Gespräche. Geschichten aus einer anderen Welt. Aufmerksamkeit. Nette Gesten. Der erste Kuss. Hoffnungsvolle Nachrichten. Diese einlullenden Berührungen. Ein Stück vom Glück. Und dann der Todesstoß! Akira! Akira von damals! Heute!

War das alles nur ein dämliches Spiel? War er geisteskrank und konnte nicht mehr von Realität und Traum unterscheiden? Schizophrenie? Alles nur Einbildung und eigentlich war er wahnsinnig und seine Therapeutin hatte ihn einweisen lassen? Hatte er sich Akira als besten Freund nur vorgestellt und sich seine Welt nur zusammengesponnen, wie er sie haben wollte? Ein Paralleluniversum? Nur ein endlos langer Albtraum? Hatte er irgendwas nicht mitbekommen? Hätte er überhaupt irgendwas mitbekommen können? Das Wissen der letzten Jahre war wie weggefegt. Alles fühlte sich unwirklich an. Eben so, als wäre es nie passiert.

Er fühlte sich genau so wie damals, als er bis zu den Knien im Meer stand und seinen Schmerz hinausgeschrien hatte.

Nur, dass dieser Tag mehr als 5 Jahre zurücklag. Vergangenheit.

Kraftlos saß er auf dem Laminatboden und eine Träne folgte der nächsten. Was passierte hier mit ihm? Was machten sie mit ihm? Er konnte doch nicht verrückt geworden sein. Was war Wirklichkeit und was nur Spiel?

Krankenhaus. Verstorben. Kouyou, der ihn getröstet hatte. Die mitleidigen Blicke seiner Eltern. Weiße Lilien, um die sich seine kalten Finger geschlossen hatten, weil er die Trauerrede nicht ertrug. Heiße Tränen. Akiras Familie. Das ausgeräumte Zimmer. Er hatte doch gesehen, wie Kisten mit Akiras Kram weggebracht wurden. Kouyou war jedes Jahr mit ihm am Meer. Jedes verfickte Jahr. Und NIE hatte er geweint! Keine einzige Träne! Er war nicht stark, sondern einfach nur eingeweiht!

Takanori wischte sich mit dem Handrücken über seine feuchten Augen, versuchte sich wieder nur aufs Atmen zu konzentrieren. Sein Blick fixierte den Hund, der schwanzwedelnd durch seinen Flur tappte und alles anschnüffelte, sich gar nicht von ihm stören ließ. Nein, den bildete er sich ganz bestimmt nicht ein. Der Hund war wirklich da. Genau wie Akira auch wirklich da gewesen war, ihm offenbart hatte, dass… alles nicht so war, wie er glaubte?

„Verdammt, ey! Warum habt ihr es mir dann eingeredet?!“, fluchte er verzweifelt. Seine Brust zitterte bei seinen Worten. Unbeholfen drehte er sich auf seine Knie, krabbelte sogar ein Stück nach vorn, ehe er sich schwerfällig erhob. Geräuschvoll zog er seine Nase hoch. Sein Körper fühlte sich unwirklich an, als gehöre er ihm gar nicht. Auch seine Beine wollten ihm im ersten Moment ihren Dienst versagen und er wankte mehr schlecht als recht durch seinen kleinen Flur, weiter zum Wohnzimmer. Ihm war furchtbar kalt, dennoch öffnete er seine Jacke, schmiss sie auf die Couch, während der kleine Hund ihm auf der Spur war und neben ihm stehen blieb. Takanori schenkte ihm wenig Beachtung und nahm sich ein Taschentuch, um sich zu schnäuzen und die gröbsten Tränen zu trocknen.

Wenigstens seine Wohnung kam ihm vertraut vor. Wirklichkeit. Etwas, das blieb. Eben der sichere Rückzugsort. Dachte er zumindest, bis sein Blick zu seinem Bett fiel. Das Bett, in dem er sich hatte von Akira…

„Er wusste es die ganze Zeit und hat trotzdem…“ Der Satz blieb unbeendet, während sich sein Herz regelrecht schmerzlich verkrampfte. Hart biss sich Takanori auf die Unterlippe, setzte sich behutsam auf seine Couch. Vorsichtig strich er über den Bezug, nahm ihn wohl zum ersten Mal in seinem Leben bewusst wahr.

Akira - Diese neue Erkenntnis musste er erstmal sacken lassen. Er wusste, wer er war! E hatte sich trotzdem mit ihm getroffen! Er hatte sich mit ihm verabredet! Er erzählte ihm irgendwas von einer fiktiven Welt! Er spielte ihm vor, eine andere Person zu sein? Nur, um ihm dann heute zu eröffnen: ‚Hey, Taka, ich bin gar nicht der, für den du mich gehalten hast. Überraschung!‘ Das war kein Deut besser als Kloe. Wem sollte er noch vertrauen? Wem konnte er vertrauen?

Mit zittrigen Fingern öffnete Taka seinen Hoodie, als sein Blick an seinen Händen hängen blieb. Augenblicklich waren seine Tränen versiegt und es sammelten sich keine neuen in seinen Augen. Sie alle wussten es. Sie alle hatten kein Problem damit, ihn zu hintergehen. Unbändiger Hass stieg in ihm auf. Er war mal wieder nur benutzt worden. Wieder nur der Spielball, der von anderen getreten wurde und mit dem man seinen absurden Spaß haben konnte. Niemand fragte auch nur einmal, wie es ihm dabei ging, ob er daran kaputtging oder zerbrach. Das ‚warum‘ wollte er fast schon gar nicht mehr wissen.

Missmutig schnellte er nach vorn, grabschte sich Akiras Feuerzeug von seinem Wohnzimmertisch. Doch anders als sonst sah er es nicht liebevoll an. Er entflammte es und beobachtete die Flamme.

„Du elender Verräter! In der Hölle sollst du schmoren! Wer gibt dir das Recht so mit mir umzuspringen?“ Taka schnaubte und mit einem lauten Klacken schloss er das Zippo. Zeitgleich realisierte er das Vibrieren in seiner Jackentasche neben sich auf der Couch. Routiniert zog er sein Smartphone heraus, auf dessen Display unverkennbar Akiras Name aufleuchtete. Er zögerte keinen Augenblick.

„So nicht, Arschloch!“, fauchte er und wies den Anruf ab. „Was bildet der sich eigentlich ein? Er taucht auf und glaubt, ich fall ihm freudestrahlend um den Hals?“
 

~*~
 

Entnervt atmete Akira aus und raufte sich die Haare. Wieder hörte er nur ein nervtötendes Tuten aus seinem Smartphone. „Er geht nicht ran!“

„Was erwartest du auch? Freudensprünge sicherlich nicht“, moserte Kouyou herum. Missmutig verschränkte er seine Arme vor der Brust. Natürlich bedachte er seinen Kumpel mit einem dieser ‚Ich hab’s dir ja gesagt‘-Blicke.

„Spar‘ dir das!“, fuhr der Braunhaarige ihn wütend an und stopfte sein Smartphone in seine Arschtasche. Es brachte nichts hier weiter zu versuchen, Takanori telefonisch zu erreichen. Nicht, nach dessen Abgang. Aber er musste unbedingt mit ihm reden, alles erklären und ihm beteuern, dass er ihm nicht schaden wollte.

„Wo willst du jetzt hin?“, mischte sich das Model wieder ein.

„Zu Taka natürlich!“

Doch noch ehe sich Akira in Bewegung setzen konnte, wurde er erneut am Arm festgehalten und das nicht gerade sanft. Wieder nutzte Kouyou seine Körpergröße aus und baute sich vor ihm auf wie eine unüberwindbare Mauer.

„Hat dir eine Backpfeife nicht gereicht? Lass ihn erstmal.“

Eigentlich wollte Akira dem Impuls folgen und sich von seinem Kumpel losreißen. Es wäre ein Leichtes ihm eine zu zimmern und dann Takanori hinterher zustürmen. Doch war das zielführend? Wohl eher nicht. Daher ließ er es doch bleiben. Irgendwas sagte ihm, dass der andere recht hatte. Ob ihm das nun passte oder nicht. Innerlich war er wohl nicht minder aufgewühlt wie es Taka jetzt wohl sein müsste. Sein Auftritt war nicht gerade filmreif, um nicht zu sagen, dass er alles versaut hatte. Akira war nicht in der Lage gewesen ihm das mitzuteilen, was er ihm sagen wollte. Nicht annähernd. Doch jetzt noch eins nachzusetzen würde das alles nicht besser machen, eher noch verschlimmern. Und das wollte er definitiv nicht. War seine Ausgangssituation doch eh schon erdenklich schlecht gewesen.

„Fein. Dann geh ich eben nach Hause!“, presste Akira trotzig hervor. Niederlagen hatte er noch nie einfach so hinnehmen können.

„Die beste Idee des Tages.“ Das Model tauchte an der Seite des Kleineren auf, der ihm aber mit einem skeptischen Blick bedachte.

„Ich komm natürlich mit!“, folgte die Erklärung ad hoc.

„Nein. Ganz sicher nicht!“, entrüstete sich Akira sofort.

„Das kannst du aber wissen. Ich bin nur wegen dir und deiner hirnrissigen Idee hier. Daher werd ich auch bei dir pennen und ganz sicher kein Hotel nehmen. Mein Koffer ist an der Station eingeschlossen“, klärte Kouyou seinen Kumpel über den weiteren Ablauf auf. Immerhin brauchte er seine Sachen noch.

„Mir egal“, murrte der Braunhaarige und man konnte regelrecht hören, wie er mit den Zähnen knirschte. Das aber beeindruckte das Model keineswegs.

„Wenn du auf jemanden sauer sein willst, dann auf dich selbst. War klar, dass es so endet. Nun komm!“, setzte sich der Größere durch und zog seinen ehemals besten Freund einfach mit sich.

~*~

„Oh, du bringst Besuch mit?“, fragte Akira Mutter erstaunt, als hinter ihrem Sohn noch ein zweiter junger Mann das Haus der Familie betrat.

„Zwangsweise!“, zischte der Braunhaarige und kniete sich, um die Reißverschlüsse seiner Boots zu öffnen.

„Willst du uns denn nicht vorstellen?“

„Nicht nötig, Mum! Das ist Kouyou. Takashima. Du weißt schon!“, knirschte Akira weiter.

„Was? Takashima-kun! Meine Güte! Du hast dich aber verändert. Groß bist du geworden und so hübsch! Ich hab dich neulich in einer Zeitschrift gesehen, als ich beim Frisör war!“, redete die ältere Frau weiter. „Da kann ich immer vor meinen Freundinnen angeben, dass ich den hübschen Burschen ja kenne!“ Sie lachte kurz auf. „Akira hat gar nicht gesagt, dass du auch hier bist! Ist das schön, dich mal wiederzusehen! Kommt in die Küche! Ich mache euch Ramen. Ihr seid sicherlich hungrig!“, quasselte Akiras Mutter weiter, sodass Kouyou neben kleiner, gemurmelter Floskeln gar nicht mehr zu Wort kam, bis sie sich allein in dem Flur befanden. Akira schob missmutig den Koffer seines Kumpels in Richtung Treppe, damit er seine Lederjacke ordentlich aufhängen konnte.

„Siehst du, sie freut sich, mich zu sehen!“, konnte sich das Model einen Kommentar nicht verkneifen.

„Unter anderen Umständen hätte ich mich vielleicht auch gefreut, dich zu sehen! Aber nicht so!“ Immerhin hatte Kouyou ihm regelrecht die Pistole auf die Brust gesetzt. Anderenfalls hätte er Taka niemals auf diese Art reinen Wein eingeschenkt. Zwar wusste er auch keine elegante Art jemanden mitzuteilen, dass man nicht tot war, aber das ließ er einfach mal so stehen. Ihm wäre schon etwas eingefallen. Jedenfalls nicht auf diese Art mit der Tür ins Haus fallen!

„Egal! Genießen wir den schönen Abend! Sicherlich habt ihr auch noch ein oder zwei Bierchen da!“

Es machte Akira Angst, dass sich Kouyou hier aufführte, als war es sein zu Hause. Er hatte sich seiner Schuhe und Jacke in Windeseile entledigt und legte freundschaftlich seinen Arm um ihn, führte ihn zur Küche. Für einen kurzen Moment fühlte sich Akira wieder wie im Jahr ihrer Abschlussklasse. Zumindest Kouyou erinnerte ihn an den Jungen von damals. Vereinnahmende Art inklusive. Ausgelassen und immer ein aufrichtiges Lächeln auf den Lippen. So ganz anders als der abgehobene Snob von heute, den er nur zu gut kannte.

„Ein Wunder, dass du dich mit Bier zufriedengibst!“, konnte sich der Ältere jedoch einen zynischen Kommentar nicht verkneifen. Doch der traf nicht auf fruchtbaren Boden, denn Kouyou stürzte sich sofort in den Smalltalk mit seiner Mutter.

„Es sieht fast alles noch so aus wie damals! Da fühlt man sich gleich wieder wie zu Hause!“

„Das freut mich, Takashima-kun! Es ist schon so lange her, dass wir Besuch hatten. Das Haus war recht ruhig ganz ohne Kinder!“, gab Akiras Mutter einen kleinen Einblick in ihre Gedankenwelt, während der verlorene Sohn zwei Dosen Asahi aus dem Kühlschrank holte. Lieblos stellte er eine der Dosen vor Kouyous Nase.

„Danke!“, formte das Model mit seinen Lippen und wandte sich dann doch wieder zu seiner Gesprächspartnerin. „Ich wäre gern öfters mal vorbeigekommen, aber der Job lässt das alles nicht zu. Ich lebe in Amerika und bin dort viel unterwegs. In Japan war ich immer nur wegen kleineren Aufträgen. Aber es ist schön mal wieder hier zu sein. Es fühlt sich an, als wären wir nie weg gewesen.“

„Nur Matsumoto-kun fehlt, hn? Habt ihr euch denn nicht auch mit ihm getroffen?“

Akiras Blick sprach Bände. Direkt starrte er missmutig den Tisch an. Kommentarlos öffnete er seine Bierdose, die ein Zischen von sich gab.

„Taka-chan ist leider etwas unpässlich. Er hat zurzeit viel um die Ohren. Aber ich bin mir sicher, dass er irgendwann auch mal wieder vorbeikommen möchte“, übernahm Kouyou wie selbstverständlich die Führung des Gespräches. Akira war wieder einmal erstaunt, wie gut dieser Kerl lügen konnte. Kein Anzeichen von Reue in seinen Augen.

„Oh. Ihn habe ich auch komplett aus den Augen verloren seit damals. Was macht Matsumoto-kun denn?“

Das war die Frage, die sich Akira auch stellte. Sicherlich weinte er sich gerade die Augen aus. Oder er wünschte ihn zum Teufel. Egal was von beiden: Er wollte jetzt lieber bei ihm sein. Aber nein, er saß hier, wartete auf seine Nudeln und schlürfte ein gekühltes Bier. Und nebenbei wurde er Zeuge von Kouyous schauspielerischem Talent.

„Er arbeitet in einer Firma und designt Mode für Kinder. Also ja. Jedenfalls ist das der Stand, den ich habe.“

„Er will nach Amerika, um dort ein eigenes Modelabel aufzubauen!“, warf Akira kaltschnäuzig ein und ging nur zu gern auf das Blickduell mit Kouyou ein. Okay, es war vielleicht Wunschdenken, was er hier aussprach, aber er war doch auf einen guten Weg gewesen genau dieses Ziel zu erreichen.

Kouyou war es letztendlich, der den Blickkontakt mit Akira wieder abbrach und auch seine Dose öffnete.

„Davon hat er mir bei unserem Treffen nichts erzählt. Aber dann müssen wir ihn wohl einfach mal persönlich fragen, was seine Ziele sind“, zeigte sich das Model einigermaßen versöhnlich. Der argwöhnische Unterton, der in dieser Aussage mitschwang, ließ das Blut in Akiras Adern aber kochen. Gut, dass Akiras Mutter nichts von ihrer kleinen Meinungsverschiedenheit mitbekam. In dieser Sache war das letzte Wort noch lange nicht gesprochen.

„Wenn er auch nach Amerika geht, dann wärt ihr alle drei wieder zusammen. Fast so wie früher“, schwärmte Akiras Mutter. Sie drehte sich zu den beiden Jungen und lächelte sie lieb an. Akira aber rollte mit den Augen und stand auf. Früher – Pustekuchen! Er schnappte sich seine Bierdose und ging zur Tür.

„Aber wo willst du denn hin?“

„Ich muss kurz telefonieren, Mum“, antwortete der Braunhaarige relativ ruhig und setzte seinen Weg in die obere Etage fort.

„Aber nicht so lange“, rief sie ihm nach. „Die Ramen sind in ein paar Minuten fertig“, ermahnte sie ihren Sohn und wedelte in der Luft bedrohlich mit einem Pfannenwender.

„Er kommt bestimmt gleich wieder. Akira hatte einen schweren Tag.“

„Ach so. Hm, er redet nicht viel darüber, was er hier so treibt. Aber ich bin sicher, dass er alles schaffen kann, was er sich vorgenommen hat. Er ist so erwachsen geworden.“ Sie klang stolz, als sie über ihren Sohn redete und schenkte dem Besuch ein warmes Lächeln. „Da fällt mir ein: Wo hat er denn seinen kleinen Begleiter gelassen? Du musst wissen, Akira hat jetzt einen Hund!“

Kouyou guckte ertappt. „Nun ja, der Hund ist wohl heute bei Taka-chan zu Besuch. Uhm ja, da gibt es doch eine Menge zu klären. Allerdings würde ich mich freuen, wenn ich in ein paar Tagen mit Akira zurück nach Amerika fliegen kann!“, offenbarte der Schwarzhaarige seinen eigentlichen Plan.

„Ihr wollt bald schon wieder zurück? Das kommt überraschend. Aber wenn Akira seine Sachen hier erledigt hat, dann ist das wohl die beste Entscheidung“, sah es die ältere Dame auch ein.

„Manchmal muss man unverrichteter Dinge wieder abziehen. Allerdings gehört das nicht zu Akiras Stärken. Er wusste noch nie, wann er verloren hat!“, gab Kouyou zu bedenken und nahm einen großen Schluck aus seiner Dose.
 

~*~
 

Wütend drückte Akira die Bierdose in seiner Hand zusammen. Das dünne Material gab sofort unter lauten Knacken nach.

„Fuck, ey!“, fluchte der Braunhaarige und setzte sich angefressen auf sein Bett. Mittlerweile klingelte Takanoris Handy nicht einmal mehr. Stattdessen bekam er eine Ansage, dass der Teilnehmer nicht zu erreichen war. Definitiv hatte er sein Smartphone abgeschaltet. So konnte er ihn aber nicht mehr anrufen und die Chance schwand, mit ihm reden zu können. Diese Tatsache nagte an ihm. Er machte sich Sorgen. Takanori war unberechenbar, wenn er enttäuscht worden war. Und anders konnte er diese Sache von heute nicht betiteln. Trotzdem wusste er nicht, was er nun machen sollte. Kouyou hatte seinen Standpunkt klargemacht. Der war wie in Stein gemeißelt. Takashima wollte nicht, dass Taka und er wieder Kontakt hatten. Alles sollte so bleiben wie er es beendet hatte vor 5 Jahren. Kein zurück, keine zweite Chance.

Und er selbst wollte genau das Gegenteil. Er wollte Taka. Er brauchte seinen besten Freund wieder in seinem Leben. Es war nicht so, dass er nicht versucht hatte, Takanori zu vergessen, weiterzuleben, aber alles führte zwangsweise doch wieder zurück in seine Vergangenheit. Er hatte damals einen großen Fehler begangen. Das war ihm heute umso mehr bewusst. Trotzdem hatte er angenommen, dass dieser Weg für Takanori der Beste gewesen war.

Akira strich sich seine Haare zurück und versuchte einen kühlen Kopf zu bewahren, auch wenn er innerlich aufgewühlt war. Er musste ruhig bleiben. Wenn das alles noch zu einem guten Ende kommen sollte, dann durfte er nicht wieder in alte Verhaltensmuster verfallen. Er war schon immer ein Hitzkopf gewesen, aber das würde nichts bringen.

Akira entsperrte sein Smartphone und rief die Anruferliste auf, tippte dann auf die andere Nummer, die er eingespeichert hatte. Bei diesem Anruf musste er nicht so lange warten und jemand nahm ab.

„Was ist los, Akira? Du weißt, es ist…“

„…Ja, mitten in der Nacht!“, beendete Akira den Satz des anderen mit ruhiger Stimme. „Yuu, hör zu. Kou ist hier. Er… Ich habe… Musste…Taka…“ Akira schüttelte seinen Kopf.

„Wie jetzt? Müsste Kouyou nicht in New York bei einem Designer sein?“

„Ich weiß es nicht, Yuu. Alles, was ich weiß ist, dass Kou hier ist. Er hat anscheinend was geahnt oder gewusst. Jedenfalls hat er mich gezwungen Taka die Wahrheit zu sagen. Und dann…“

„Und dann?“

„Ich weiß nicht. Ich…“ Akira atmete tief durch, versuchte seine Fassung zu bewahren. Trotzdem sammelten sich Tränen in seinen Augen. „Ich hab alles verbockt. Er war so sauer. Ich hab Angst, dass er jetzt irgendwas Unüberlegtes tut. Eigentlich wollte ich nochmal zu ihm, aber Kouyou lässt mich nicht. Ich weiß echt nicht weiter“, gestand sich Akira seine Niederlage ein. Möglichst unbemerkt versuchte er seine Augen zu reiben. Diese Schwäche wollte er sich nicht auch noch eingestehen.

„Wow… Harter Tobak. Kouyou hinterlässt eben immer einen bleibenden Eindruck. Aber okay, wie ist der Stand der Dinge jetzt?“

„Taka hat mir eine gescheuert, hört mir nicht zu und ist weggerannt. Kouyou will, dass ich es sein lasse und nach Amerika zurückkomme. Und ich will nur mit Taka zusammen zurückkommen. Ich nehme nur an, dass er freiwillig nun nicht mehr mitkommt! Er scheint mich ja nicht mal mehr sehen zu wollen“, gab Akira seinem Kumpel einen groben Überblick über die Misere.

„Was ist mit seiner Bewerbung? Ich hab die Zusage und den Vertragsentwurf hier!“

„Das wird er nie unterschreiben!“, erwiderte Akira und ließ sich nach hinten auf sein Bett fallen. Hilflos starrte er die Zimmerdecke an.

„Also gehen wir über zu Plan B? Und du hältst Kouyou in Schach?“

„Hab ich ‘ne andere Wahl?“, murmelte Akira und schloss seine Augen. Er war so nah dran und Taka wäre freiwillig mitgekommen. So nah dran…



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Becci_heresy
2020-10-26T19:42:11+00:00 26.10.2020 20:42
Endlich geht's weiter.
Ich konnts grade fast nicht glauben, als ich die Benachrichtigung gesehen habe! ^^
Ich hoffe, dieses Mal müssen wir nicht erst Staub wischen, bevor wir lesen können :D

Ich freue mich auf jedenfall mega und die Idee, Taka einfach zu kidnappen, find ich garnicht so schlecht. Dann kann er wenigstens nicht weg und hört Aki zu.
Bin gespannt was du dir ausdenkt..
Lg
Antwort von:  Daisuke_Andou
26.10.2020 21:49
Also gegen jemanden, der Staub wischt, habe ich grundsätzlich nichts ^^°°
Ich hab mich noch nicht so ganz entschlossen, woran ich im November dann weiterschreiben will. Also mal gucken, wie das weiterläuft. Allerdings nehme ich an, dass so eine Entführung viel zu einfach wäre und Taka dafür viel zu kratzbürstig ist. Außerdem hat Akira doch Komplizen ^^°
Ich bemühe mich jedenfalls, die Story voranzutreiben! Und ich freue mich total, dass du die Story noch weiter verfolgst ^.~
Antwort von:  Becci_heresy
27.10.2020 11:58
Jaaa, glaub ich dir auf's Wort :D Ich glaube, wir sollten über einen Putzdienst nachdenken, damit wir uns alle abwechseln können..
Ich hoffe aber du hast ein einsehen, weil zuhause putzen, ist schon mühsam genug :D
Entführung wäre auch zu langweilig und würde defitniv nicht zu dieser ff passen.
Aber mal abwarten, bin ja schon froh das du die hier nicht vergessen hast ^_^
Von:  Goesha
2020-10-24T19:43:52+00:00 24.10.2020 21:43
SO lange mussten wir auf die Fortsetzung warten...
Das ging viel zu schnell vorbei das Kapitel! Wo bleibt der Nachschub? XD
Sollen sie das einfach wie beim A-Team machen, ihn betäuben, in den Privatjet setzen und nach Amerika fliegen. Optimal wacht er im Flugzeug auf, kann nicht entkommen und so muss er sich Akiras Geschichte anhören!
Antwort von:  Daisuke_Andou
25.10.2020 22:43
Jap, du hast mich eben nicht genug zu einer Fortsetzung gedrängt. Da ist die Motivation auf der Strecke geblieben ù.ú
Fraglich, wie es nun um den Nachschub steht. Ich hoffe mal, dass der nicht so lange auf sich warten lässt. Aber eine Entführung stand eigentlich nicht auf den Plan. (Warum hat Akira bitte keinen Privatjet?.... Das würde alles so viel einfacher machen...)
Antwort von:  Goesha
25.10.2020 22:49
Waaas ich sag doch immer, du sollst machen! Zack zack! XD
Ja... warum hat der keinen? Er hat doch sicher genug Kohle oder Einfluss? Keine Ahnung, wen er da drüben am anderen Ufer alles kennt! XD
Antwort von:  Daisuke_Andou
25.10.2020 22:58
Hahaha... ich glaube, das ist nicht nachdrücklich genug und kitzelt meine Muse auch nicht. Eher dreht die sich nochmal im Bett um ^^°°°
Meinst, er ruft mal ne Runde Yoshiki an und dann wird das schon o.O" aber nein, nein, nein... der hat in meinen Storys nix verloren >.<
Antwort von:  Goesha
25.10.2020 23:13
Schmeiß die raus ausm Bett! XD

Nee, da hat er nix drin verloren!
Aber zur Not einfach betäuben und ab in einen Koffer! Der kann sich doch klein machen! Also noch kleiner als eh schon! XD


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