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Fliegenfang

Womit Väter es so zu tun haben
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Und hiermit gibt es den OS, der direkt an Die Sache mit der Trauer anschließt. Diese Thematik ist insgesamt sehr wichtig für Sting und Rogue, was ich hoffentlich auch deutlich machen konnte.
(Übrigens wird es innerhalb dieser OS-Reihe eine eigene kleine Serie geben, die sich mit den wichtigsten Freunden aus Stings und Rogues Umkreis beschäftigt. Die Sache mit Yukino, Die Sache mit Minerva und Die Sache mit Orga wird es definitiv noch geben.)

Viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen

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Die Sache mit Lucy

Lucy saß bereits im Café, als Rogue durch die Tür trat. Sie hatte sich einen ruhigen Tisch in der Ecke gesucht und arbeitete auf ihrem Tablet. Es verwunderte Rogue nicht, dass sie überpünktlich war. Zwar hatte sie sich am Telefon sehr widerwillig gezeigt, als er ihr erklärt hatte, dass er mit ihr reden musste, aber er hatte dennoch darauf beharrt. Und Lucy war zwar früher die Abenteuerlust in Person gewesen, aber einen Hang zur Unpünktlichkeit hatte sie noch nie besessen. Eher ganz im Gegenteil.

Wie immer sah Lucy perfekt aus. Ihre Haare waren zu einer perfekten Banane frisiert, bei der jede Strähne makellos saß. Die weiße Bluse und der schwarze Nadelstreifenrock waren vollkommen frei von jedweden Fusseln oder Krümeln oder Falten. Die Füße steckten in Schuhen mit hohen Absätzen, die auf Hochglanz poliert waren. Das Gesicht war dezent geschminkt.

Früher hatte Lucy ihre Haare zumeist offen getragen, lockere, luftige Kleider bevorzugt und bequeme Sneakers, mit denen sie schnell rennen konnte. Make up hatte sie nur zu besonderen Anlässen aufgetragen.

Ein Unterschied wie Tag und Nacht.

Rogue wusste genau, welche Lucy er bevorzugte.

Vorsichtig schlängelte er sich durch die am Eingangsbereich dichter stehenden Tische und zog sich unterwegs bereits die Jacke aus, die er schon draußen geöffnet hatte. Für Mitte März war es bereits ungewöhnlich warm draußen. Regelmäßig musste Rogue deshalb aufpassen, dass sein Sohn sich nicht dazu hinreißen ließ, sich zu dünn anzuziehen.

Als er sich ihr gegenüber nieder ließ, blickte Lucy flüchtig von ihrem Tablet auf, nur um dann sofort weiter den Text zu studieren. Sie hob den Zeigefinger der linken Hand und markierte mit dem rechten Zeigefinger etwas am Text, tippte noch eine schnelle Notiz dazu und schloss erst dann das Dokument. Missbilligend, aber wortlos wartete Rogue ab.

Bevor Lucy das Wort erheben konnte, trat eine Kellnerin heran, um Rogues Bestellung aufzunehmen – vor Lucy stand bereits eine unberührte, erkaltete Tasse Cappuccino. Rogue bestellte einen normalen Kaffee und wandte sich dann der Cousine seines Mannes zu.

Aus der Nähe wirkte sie irgendwie alt auf ihn. Nicht wie Ende Zwanzig, sondern eher wie Ende Dreißig. In ihr Gesicht hatte sich eine Müdigkeit gegraben, die wenig mit Lucys körperlicher Konstitution zu tun hatte – obwohl Rogue sich sicher war, dass es um diese auch nicht gut bestellt war. Sie war blasser als früher. Und ihre großen, braunen Augen waren matt und kühl. Das Funkeln von früher war völlig daraus verschwunden.

„Also, warum mussten wir uns unbedingt treffen? Ich muss noch einiges erledigen, weißt du?“ Erklärend deutete Lucy auf ihr Tablet.

„Jeder von uns hat seinen Job“, erwiderte Rogue bewusst kühl.

Lucy blinzelte verblüfft, dann kräuselte sich ihre Stirn für ein verärgertes Runzeln. „Nicht jeder leitet ein eigenes Magazin.“

Das Auftauchen der Kellnerin hinderte Rogue daran, sofort zu antworten. Sie stellte ihm den Kaffee hin und schenkte ihm dabei ein ausgesucht charmantes Lächeln, das ihn wieder einmal mit dem Gedanken spielen ließ, seinen Ehering doch so langsam mal an der Hand zu tragen.

Erst als die Frau wieder außer Hörweite war, ergriff er das Wort: „Du leitest dieses Magazin vielleicht, aber die Wahrheit ist doch, dass du dich nur allzu gerne hinter diesem Vorwand versteckst.“

„Was soll das denn heißen?“, fragte Lucy und verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust.

Rogue war sich bewusst, wie sehr er Lucy damit provozierte, aber wenn er ehrlich war, war er allmählich an einem Punkt angekommen, an dem ihm das beinahe schon egal war. Seit Sting an diesem Tag in der Eishalle Lucys wegen in Tränen ausgebrochen war, stand für ihn fest, dass Lucy es nicht mehr verdient hatte, mit Samthandschuhen angefasst zu werden.

„Das soll heißen, dass du übertreibst. Du hattest fünf Jahre Zeit, um dich endlich mit deiner Situation auseinander zu setzen, und was hast du daraus gemacht? Du bist ein Workaholic, redest nicht mehr mit deinem Vater und schiebst deine Freunde auf die lange Bank.“

Lucy schnappte hörbar nach Luft und ihre braunen Augen weiteten sich. Für einen Moment entglitten ihr sogar die Gesichtszüge und die Verletztheit war ihr ganz deutlich anzusehen. Doch dann straffte sie gleich wieder die Schultern und hob die Nase an – eine Geste, die sie sich auch erst in den letzten fünf Jahren angewohnt hatte.

„Es ist meine Sache, wie ich damit umgehe.“

„Nicht, wenn du demjenigen, der sich so sehr für dich einsetzt, immer wieder derartig vor den Kopf stößt“, erwiderte Rogue schärfer als beabsichtigt.

Am Abend nach der Sache in der Eishalle hatte Sting keinerlei Appetit gehabt und sich sofort nach dem Essen schlafen gelegt. Bestürzt war Frosch ihm gefolgt und hatte versucht, ihren Vater zu trösten. Leider war Sting so emotional gewesen, dass er ob dieser Zuwendung erneut in Tränen ausgebrochen war, was wiederum Frosch zum Weinen gebracht hatte. Am Ende hatten Rogue und Lector sich gemeinschaftlich um ihre anderen beiden Familienmitglieder kümmern müssen. In dieser Nacht hatte Rogue eine Ausnahme gemacht und die Kinder seit Langem mal wieder bei ihm und Sting im Bett schlafen lassen.

Zwar hatte Sting sich mittlerweile wieder gefasst, aber er hatte Lucy seitdem mit keiner Silbe erwähnt, was schon genug darüber verriet, wie sehr die Sache noch immer an ihm nagte.

„Daher weht der Wind also“, stellte Lucy kühl fest. „Meinst du nicht, dass Sting alt genug ist, um selber zu mir zu kommen, wenn er ein Problem hat?“

„Du weißt genauso gut wie ich, dass er das niemals tun würde, weil er dich nicht verlieren will“, sagte Rogue und jetzt fiel es ihm tatsächlich schwer, ein Zähneknirschen zu unterdrücken. „Du gehörst auch zu meiner Familie, Lucy, aber ich kann nicht länger einfach nur zu sehen, wie du alle um dich herum unglücklich machst.“

„Ich soll alle unglücklich machen? Soll das ein Witz sein?“ Lucys Stimme war nun zum Zerreißen gespannt und ihre braunen Augen hatten sich verengt.

„Wenn es nur so wäre.“ Rogue griff nach seiner Tasse, um seine Hände ruhig zu halten, und beugte sich dabei vor. „Du bist nicht die Einzige, die leidet. Eine Menge Leute versuchen immer wieder, dir zu helfen. Und gerade Sting könnte dir wirklich helfen. Er weiß, was es heißt, die eigene Mutter zu verlieren.“

Als Lucys Hand auf den Tisch knallte, unterbrachen die Leute am nächsten Tisch irritiert ihr Gespräch und blickten zu ihnen herüber. Die Blonde stand ruckartig auf und raffte ihre Sachen zusammen. „Das höre ich mir nicht länger an!“

„Du willst also schon wieder davor weg laufen? Davon verschwinden deine Probleme aber nicht“, erklärte Rogue und stand ebenfalls auf, um Lucy den Weg zu versperren.

Mit ihrem Mantel unter einem und der Aktentasche unter dem anderen Arm blieb Lucy mit Zorn blitzenden und zugleich verzweifelt-ängstlichen Augen direkt vor ihm stehen. „Rede nicht so, als würdest du verstehen, was ich durch mache! Du hast nicht den Hauch einer Ahnung davon, was es bedeutet, eine Mutter zu verlieren!“

Schroff schob Lucy sich an ihm vorbei und Rogue ließ sie einfach ziehen, blickte ihr nicht einmal hinterher, als er sich auf seinen Platz zurück sinken ließ und in seinen allmählich erkaltenden Kaffee starrte.

Ob beabsichtigt oder nicht, mit ihren Worten hatte Lucy ihn wirklich hart getroffen. Sie mochte Recht haben, dass er ihre und Stings Gefühle nicht nachvollziehen konnte, weil er ohne Mutter aufgewachsen war, aber das hieß nicht, dass er den Verlust nicht spürte. Er war mit der Gewissheit aufgewachsen, niemals die Stimme der Frau auf diesem Bild zu hören, das im Wohnzimmer seines Vaters an der Wand gehangen hatte und von dem ein Abzug nun in seinem eigenen Wohnzimmer hing. Das war ein anderer Schmerz als der, den Sting durchgemacht hatte und auch immer noch durchmachte, aber er war nicht weniger real.

Schon allein, weil er die Trauer seines Vaters mit zunehmendem Alter immer besser erkannt hatte. Skiadrum war unsterblich in seine Frau verliebt gewesen, ihr Leben war geradezu perfekt verlaufen, gute Jobaussichten, gemeinsame Wohnung, Hochzeit, Schwangerschaft, die Geburt des gemeinsamen Sohnes… und dann war Sophia von einem Tag auf den anderen krank geworden. Die Ärzte hatten nichts unversucht gelassen und Skiadrum war Tage lang nicht von der Seite seiner zunehmend schwächer werdenden Frau gewichen. Ein Teil von ihm war damals zusammen mit Sophia gestorben, das hatte Rogue irgendwann begriffen und das schnitt ihm auch heute noch ins Herz.

„Stimmt etwas nicht mit dem Kaffee?“

Langsam hob Rogue den Blick zu der Kellnerin, die etwas verunsichert neben ihm stand. Ihm fiel auf, dass sie versuchte, auf ihre Armbanduhr zu schielen. Wie lange saß er hier schon? Er hatte völlig sein Zeitgefühl verloren…

„Alles in Ordnung“, murmelte Rogue und klaubte irgendeinen Schein aus seiner Tasche, um ihn der Kellnerin zu geben, ehe er aufstand und nach seiner Jacke griff. Als die Kellnerin nach dem Wechselgeld angeln wollte, winkte er ab.

„Wirklich?“

Er zuckte nur mit den Schultern und verließ das Café ohne irgendeinen Gruß.
 

Irgendwann mitten in der Nacht spürte Rogue, wie Sting die Arme um ihn schlang und ihm einen Kuss in den Nacken drückte. Er hatte extra versucht, still liegen zu bleiben, damit wenigstens sein Mann schlafen konnte, wenn ihm selbst schon der Schlaf verwehrt blieb, aber er hätte sich denken können, dass Sting etwas bemerkte.

Seufzend drehte er sich um und drückte sein Gesicht in Stings Schlaf-Shirt. Er sagte kein Wort und Sting fragte auch nicht nach. Er drückte ihm einfach nur einen Kuss in die Haare und hielt ihn fest – und dafür war Rogue ihm unendlich dankbar.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Oje, da hat sich keiner mit Ruhm bekleckert... Aber Rogue hat es letztendlich ja irgendwie nur gut gemeint und Lucy hat sich in die Ecke gedrängt gefühlt.
Was genau mit Layla ist, wird innerhalb dieser Serie hier allerdings nach wie vor nicht verraten. Das erfahrt ihr in Katzentapsen, das ich nächstes Jahr zu schreiben beabsichtige.

Leider, leider ist jetzt auch erst einmal eine Pause mit Fliegenfang. Ich war in den letzten Wochen zu sehr mit einem größeren OS für ein anderes 'verse beschäftigt, da wollte ich zwischendrin nicht einen anderen OS schreiben. Irgendwann im nächsten Jahr wird es hier aber sicher weiter gehen. Ich habe noch sehr, sehr viele Ideen hierfür!

Ich freue mich über jeden Kommentar!
LG
Yosephia Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: Arianrhod-
2016-12-11T11:26:06+00:00 11.12.2016 12:26
Oh Lucy. :( Das war wirklich hart. >.<

Klar hat sie sich einiges anhören anhören müssen, aber letzten Endes war das alles berechtigt und wahr, während sie nur zurückgeschlagen hat ohne Rücksicht auf Verluste. Zwar kann ich sie verstehen, warum sie sich emotional an einen so schlechten Ort befundet, aber Rogue hat Recht. Fünf Jahre sind eine lange Zeit, mit einer unveränderlichen Situation klarzukommen. Aber Lucy hat das anscheinend gar nicht richtig versucht. *seufz* (Ich glaube, das hab ich in meinem letzten Kommentar schon angesprochen, also belass ich es mal dabei.)

Ich fand den OS sehr gut aufgebaut und die angespannte Atmosphäre hat mir gut gefallen. Man hat die Spannungen zwischen den beiden richtig gespürt und auch, wie sehr Lucy tatsächlich unter Strom steht. Vermutlich hat sie sich deswegen zu diesem Schlag unter die Gürtellinie hinreißen lassen. Das war echt fies von ihr. >.>

Und dieser kleine Stingue-Moment am Ende... >////< Zum Glück haben die beiden einander, so können sie sich gegenseitig unterstützen.

Gruß
Arian


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