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Fall into the Sky

Soukoku Short Story Collection
von

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I stare at the sun and it burns my heart

Dazai hatte mehr Angst vor dem Leben als vor dem Tod.

Leben bedeutete Leid, bedeutete eine Koexistenz mit menschlichen Gefühlen – er war ihnen tagtäglich ausgesetzt, musste sie interpretieren, einordnen, analysieren, und letzten Endes immer so tun, als wäre er ein vollständig funktionierender Mensch, der die Emotionen, die er vorspielte, auch tatsächlich fühlte. Das Leben und alle Emotionen, die mit ihm kamen, verwirrten ihn endlos.

Leben bedeutete ein Dasein in der Dunkelheit, der er nie entkommen konnte, weil sie in seinem Herzen lebte. Es bedeutete, seine unsichtbaren Verfolger in jedem Moment in seinem Rücken zu spüren und dennoch nur Schatten zu sehen, wenn er einen Blick über die Schulter warf.

Der Tod hingegen war wie der Preis, der am Ende eines Wettrennens auf ihn wartete.
 

Zumindest sah er das jetzt wieder so. Keinen Monat, nachdem er die Hafenmafia und Chuuya hinter sich gelassen hatte, hatten sich seine Gedanken wieder normalisiert und waren zu dem zurückgekehrt, was er bereits als kleiner Junge gedacht hatte. Bevor er Chuuya kennengelernt hatte.
 

In der Zeit, die er mit Chuuya hatte verbringen können, war Dazai manchmal in den Sinn gekommen, dass es vielleicht doch nicht so schrecklich war, am Leben zu sein. Eine Welt, in der Menschen wie Chuuya geboren worden – strahlend wie das Sonnenlicht, das alle Schatten verbannen konnte –, war es vielleicht sogar wert, dass er etwas mehr Hoffnung in sie setzte.

Und dann hatte er Chuuya lachen hören, als sie beide zusammen auf einer Mission im Ausland waren, fernab von der Dunkelheit Yokohamas. Es war das schönste Geräusch, das Dazai jemals gehört hatte – laut und klar und so unbefangen, wie sie eigentlich gar nicht sein durften –, und in diesem Moment hatte er sich so sehr wie nie gewünscht, dass er einfach sterben könnte.
 

Für einen Augenblick hatte Dazai etwas gesehen, das noch heller strahlte als die Sonne, und es hatte ihm bewusst gemacht, wie sehr er selbst von den Schatten zerfressen worden war.

Welch schöneres Ende konnte es geben, als noch höher zu steigen als Ikarus und sich von der Sonne verbrennen zu lassen, bis nichts mehr von ihm übrig war?



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  halfJack
2020-12-30T11:11:51+00:00 30.12.2020 12:11
Es gibt ein Sprichwort, basierend auf einem Zitat von Rochefoucauld, das lautet: "Weder der Sonne noch dem Tod kann man ins Gesicht blicken." Damit ist gemeint, dass die Vorstellung vom Tod für viele zu schrecklich ist, um sich damit auseinanderzusetzen, dem Tod also ins Antlitz zu blicken, wie man auch nicht direkt in die Sonne schauen kann. Es ist zu schmerzhaft. Dann gibt es aber auch das Sprichwort: "Wer Angst hat vor dem Tod, hat auch Angst vor dem Leben." An beides musste ich bei diesem Kapitel denken.
Auf der einen Seite steht da die Angst und Unsicherheit Dazais, die bereits im vorigen Kapitel angesprochen wurden. Ich habe mich oft gefragt, ob er seine Selbstmordversuche überhaupt ernst meint. Wenn er sich insgeheim davor fürchtet, dann wohl in erster Linie deshalb, weil ihm das Leben solche Schrecken bereitet, sogar noch größere als der Tod selbst. Auf der anderen Seite könnte der Tod die Erlösung von allem sein. Die Sonne, in der schließlich alles verbrennt und erlischt. Eine Befreiung von allen irdischen Qualen. Ich kann es gut nachvollziehen, sollte Dazai diesen Gedanken beruhigend finde. Sozusagen als letzten Ausweg, um den Schatten zu entkommen, aber auch als Vollendung im Moment des höchsten Glücks, wie in jenem Augenblick, in dem er Chuuyas Lachen hörte. Doch gestorben ist er damals nicht. Chuuya ist für ihn die alles verschlingende Sonne, aber genauso wenig, wie er sich ihm gestellt hat, genauso hat Dazai es nicht geschafft, dem Tod ins Auge zu blicken.
Antwort von:  Schangia
15.02.2021 14:59
Beide Sprichwörter kannte ich noch nicht, aber sie gefallen mir sehr gut – und sie passen gut zu dem Kapitel.
Ich konnte mir bei Dazai nie vorstellen, dass er seine Selbstmordversuche ernst meint. Jemand, der so geschickt darin ist, Leben zu beenden, würde bei sich selbst nicht versagen, wenn es ihm ernst wäre. (Ich frage mich auch immer noch, ob es nicht auch an seiner Fähigkeit liegen könnte: ningen shikkaku, nicht länger dazu imstande, ein vollständiger Mensch zu sein. Vielleicht kann Dazai gar keinen richtigen Tod mehr erfahren, weil er kein richtiger Mensch mehr ist?)
Letztlich hat Dazai es tatsächlich nicht geschafft, sich Chuuya oder dem Tod zu stellen, aber vielleicht wird ihm eines von beidem irgendwann möglich sein.


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