Remember I am human
»Ich habe ein neues Haustier aufgelesen, einen besonders bissigen Hund.«
Als Dazai eines Tages mit diesen Worten in Chuuyas Zimmer getreten war, hatte sein Freund ihn nur skeptisch gemustert, weil er sofort gewusst hatte, dass er nicht von einem Tier, sondern von einem Menschen sprechen musste. Er war damals gleichermaßen neugierig wie angewidert gewesen, obwohl er mit Menschenhandel vertraut war und damit prinzipiell genauso wenige Probleme hatte wie mit den anderen Schandtaten der Mafia. Diesmal betraf es jedoch Dazai persönlich, und das machte alles gleich viel realer und beklemmender.
Es dauerte nicht lange, bis Chuuya diesem besonderen Haustier Dazais begegnete. Akutagawa war ein magerer, kränklicher Junge nur wenige Jahre jünger als sie selbst, und nur ein Blick in seine nachtschwarzen Augen genügte ihm, um zu wissen, warum Dazai ihn aufgelesen hatte. Der Junge sah aus, als würde er außer Hass nichts empfinden können, und wenn Chuuya ganz ehrlich war, jagte er ihm ein wenig Angst ein, denn seine Augen erinnerten ihn an Dazai. Aber natürlich taten sie das; sonst hätte Dazai ihn gar nicht erst mitgenommen.
Akutagawa war wie ein wildes Tier, das jemanden brauchte, der es vollständig kontrollieren konnte. Dieser Jemand war selbstverständlich Dazai, der den Jungen in jeder freien Minute trainierte. Einmal hatte Chuuya versucht, ihm dabei zuzusehen, doch die herzlose Grausamkeit, mit der Dazai seinen Schüler trainierte, hatte ihn Galle auf der Zunge schmecken lassen.
Als er Akutagawa das nächste Mal nach vielen Tagen über den Weg lief, trug er bereits den schwarzen Mantel, den er auch viele Jahre später nicht ablegen würde – ein Mantel, den Chuuya einst für Dazai gekauft hatte, weil der Modegeschmack seines Freundes praktisch nicht existent war. Bei diesem Anblick hatte Chuuya sich wortlos umgedreht und war gegangen, zu überwältigt von der hässlichen Eifersucht, die mit klammen Fingern nach seinem Herzen griff.
Chuuya hatte Dazai irgendwann einmal gefragt, warum Akutagawa so auf ihn fixiert war.
»Weil ich der Grund dafür bin, dass er weiterleben kann«, hatte Dazai geantwortet, ein leeres Lächeln auf den Lippen, und in diesem Moment war die Eifersucht in Chuuya zu Mitleid geworden.
Dazai hatte Akutagawa nur aufgelesen, weil er ihm ähnlich war – und weil er selbst damals niemanden gehabt hatte, der ihm hätte helfen wollen und können. Akutagawa war ein Mensch, der es im Leben genauso hart gehabt hatte wie Dazai, und aus diesem simplen Grund hatte er ihm helfen wollen.
Nur war Dazai schon lange kein Mensch mehr, sondern bereits ein Dämon. Und irgendwann, als Akutagawa immer stärker und stärker wurde, wurde Dazai gewaltsam daran erinnert, dass ihm damals eben niemand geholfen hatte. Niemand hatte versucht ihn zu retten, also warum sollte er es anders machen?
Dann war Dazai gegangen, einfach so, und hatte nicht nur Chuuya, sondern auch Akutagawa zurückgelassen, der nun ohne jeden Grund zu überleben wieder von seinem Hass zerfressen wurde.
Einige Tage, nachdem Dazai aus den Schatten geflohen war, hatte Chuuya das erste Mal richtig mit Akutagawa gesprochen. Er hatte ihm Mut zusprechen wollen, von Mensch zu Mensch, auch wenn es gelogen gewesen wäre. Doch erneut hatte ein Blick in diese nachtschwarzen Augen genügt, um zu wissen, dass Akutagawa ebenfalls kein Mensch mehr war, sondern nur noch eine Bestie, deren Ketten Dazai gesprengt hatte, ehe er sie zurückgelassen hatte.