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Hajikami - die Berghexe

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Hajikami - die Berghexe

center]Hajikami – Die Berghexe
 

Am Fuße eines Berges lag eine Wiese, welche sich über den Rücken bis hin zu den steilen Abhängen auf den kleinen Gipfel zog. Auf diesem Gipfel lebte eine Berghexe mit ihrer einzigen Tochter, die auf den Namen Hajikami hörte. Sie lebten in einem schlichten, eher heruntergekommenen Haus. Dieses war nur von einer Strohdecke bedeckt und bei besonders schlechtem Wetter, regnete es manchmal in das Dach hinein. Vor allem dann, wenn der Gott des Sturmes im Herbst besonders verstimmt schien.

Hinter dem Haus bewirtschafteten die beiden Hexen ein kleines Feld mit Leinen und Flachs. Nur hin und wieder wurde ihre Ruhe durch einem Dorfbewohner gestört, der sich auf den Berg verirrt hatte. In der Regel, griffen Frauen sich den Fremden und fraßen ihn. Alles in allem konnte man wohl behaupten, dass die alte Berghexe und ihre Tochter ein ganz gewöhnliches Dasein fristeten und die Tage in Ruhe und Frieden verbrachten.

Es hatte seine Vorteile die Tochter einer Berghexe zu sein, denn Hajikami war so stark, dass sie einen Felsbrocken mit nur einem Schwung über mehrere Bergkämme werfen konnte. Einen Berg konnte sie in Handumdrehen ohne Erschöpfung erklimmen. Auf dem ersten Blick gewann man den Eindruck, dass das Mädchen nicht mehr als zehn Jahre alt war, aber in Wahrheit hatte sie dieses Jahr hundert Jahre auf dem Buckel. Für einen Menschen mochte sie das durchschnittliche Lebensalter bereits überschritten haben, aber für eine Berghexe steckte sie noch im Wachstum und wollte gut über zehntausend Jahre alt werden.

Im Augenblick machte sich das Mädchen auf den Weg über den kleinen Gipfel, um in den kleinen Garten zu gelangen. Ihre Mutter hatte Hajikami nämlich aufgetragen ein paar Heilkräuter zu ernten. Worüber sich die alte Berghexe, die meisten Sorgen machte war, dass Hajikami ziemlich gedankenlos an ihre Aufgaben heranging.

Wenn sie ihre Tochter zum Beerenpflücken losschickte, dann schlug sich Hajikami damit den Bauch voll um danach irgendwo zwischen den Büschen einzuschlafen. Sobald sie Hajikami beauftragte Kräuter sammeln zu gehen, kam es oft vor, dass sie irgendwo am Feld trödelte und mit Feldhasen spielte, anstatt der Bitte nachzukommen. An manchen Tagen endete der Tag damit, dass es nur ein karges Abendmahl gab. Doch die wirklich aller größte Frechheit, die Hajikami sich je erlaubt hatte war, die Dorfbewohner welche sich in den Wäldern der Berge verlaufen hatten einzuladen, damit sie sich im Hexenhaus ausruhen. Danach ließ das junge Hexenmädchen die potentielle Beute einfach wieder nach draußen und zu allem Übel erklärte sie ihnen den Weg zurück ins Dorf.

„Ich habe dir doch schon so oft gesagt, dass du sie einlullen und hierher bringen sollst, oder nicht?“, ermahnte die Berghexe ihre Tochter verärgert, wobei sie ihre Augenbrauen düster zusammenzog. Das Mädchen aber wich dem finsteren Blick aus und sah lieber zum Himmel hinauf, an dem ein paar Wolken vorbeizogen und meinte beiläufig: „Das ist mir aber zu blöd...“

Hajikami machte ihrem Namen als als Berghexe wirklich keine Ehre und brachte hre Mutter immer wieder zum Seufzen. Wenn sie nicht ab und zu – und das möglichst sehr bald – einen Menschen verzehrten, dann ließe ihre Stärke nach und sie würden vollkommen aus dieser Welt verschwinden.
 

In einer mondlosen Nacht, in der aber die Sterne am Himmel funkelten, befand sich die Berghexe draußen vor ihrem Haus. Plötzlich fing ihre Nase einen eigenartigen Geruch ein. Es war der brenzlige Geruch von Terpentin, der von weit herkam. Als eine Berghexe waren ihre Sinne sehr gut ausgeprägt und sie konnte aus vielen Gerüchen, die gleichzeitig in der Luft lagen einen einzigen herausfiltern. Der Geruch, der ihre Nase im Moment kitzelte, gehörte zu einer brennenden Fackel und nun auch drangen langsam die Schritte an ihr Ohr, die zweifelsohne von einem Menschen stammten, welcher gerade auf dem Weg nach oben, zum Gipfel, war.

Der Grund dafür war vermutlich, der große Fels, welcher sich auf dem höchsten Punkt des Berges befand. Man sagte, dass dieser Fels vor mehr als hunderttausend Jahren vom Himmel heruntergefallen war. Dies ward fortan der Thron der Berggottheit und die Menschen, die unten im Dorf lebten, begannen hierher zu pilgern um der Gottheit ein Opfer zu bringen. Zwar hieß es, dass die Gottheit schon lange nicht mehr auf dem Berg verweilte, herrschte dennoch eine Furcht bei den Menschen. Man erzählte sich nämlich leise, dass etwas Anderes sein Unwesen oben auf dem Berg triebe, und man nehme sich besser in Acht bevor man sich verirrte.

Zu dieser späten Stunde nun, kam ein Feudalherr zum Gipfel herauf, der in der einen Hand die brennende Fackel hielt während auf seinen breiten Schultern ein großes, totes Wildschwein lag. Er schritt auf den Felsen zu und legte das Opfer davor. Sein Gesicht sah ehrfürchtig auf das spitz zulaufende Ende des Felsbrockens hinauf und sprach mit klarer, lauter Stimme: „Oh große Berggottheit dieses kleinen Gipfels, erhöre meine Bitte! Nach all diesen Jahren in Angst und Schrecken, erbitte ich die Abschlachtung der Acht Banditen, damit wieder Ruhe und Frieden in diesem Reich herrscht. Gewähre mir die Kraft, damit ich dem Krieg ein Ende zu setzen vermag und die Ernte auf den Feldern erneut üppig wird. Ich bitte Euch, große Gottheit dieses Berges, Ihr müsst mir diese Kraft zukommen lassen. Sobald Ihr mir den Wunsch gewährt habt, werde ich im Morgengrauen desselben Tages beginnen zehn weitere Wildschweine zu erlegen und dann hierher bringen um für das ewige Leben des Berges zu beten.“

Der Kriegsherr verbeugte sich tief vor dem Stein und wandte sich wieder ab. Er bemerkte nicht, das gemeine paar Augen, welches ihn die ganze Zeit im Auge behalten hatte. Zwischen den Bäumen befand sich noch immer die Berghexe, die diese Szene im Stillen beobachtet hatte und nun wie zu sich selbst nickte. Es stimme, in den letzten Jahren war ein Krieg vom Osten her über die Ländereien des Westens gezogen. Der Krieg hatte dem Feudalherrn ziemlich zugesetzt und von Jahr zu Jahr wurde er mehr in die Enge getrieben. Die Berghexe interessierte sich nicht viel um die Belange der Menschen und aus diesem Grund vergaß sie oftmals, was für Kämpfe vor sich gingen.

„Hoho! Na so was, zehn Wildscheine, na auf die freue ich mich schon“, murmelte die Berghexe während sie zusah, wie der Krieger langsam wieder in der Dunkelheit verschwand. Opfergaben fielen meistens in ihre Hände, immerhin wäre es zu schade das gute Fleisch, oder was auch immer die Gabe darstellte, verderben zu lassen. Die Berghexe versuchte ein hämisches Kichern zu unterdrücken und kehrte in ihr eigenes Haus zurück. Dort angekommen sah sie, dass Hajikami tief und fest schlief, ohne auch nur etwas zu bemerken. Kein Wunder, denn sie verzehrte keine Seelen von Menschen und dies führte dazu, dass sie ihre übernatürlichen Sinne langsam verlor. Die Berghexe seufzte tief und erlaubte ihrem Ärger seinen Freilauf, der die alte Hexe dazu brachte ihre Tochter buchstäblich aus dem Bett zu schlagen: „Du stehst jetzt sofort auf, Hajikami! Langsam solltest du dir mal einen Menschen einverleiben! Wenn nicht, wirst du dich auflösen und aus dieser Welt verschwinden!!“

Hajikami, die aus dem Bett gescheucht wurde, verstand in diesem Augenblick zwar die Welt nicht mehr, doch folgte sie dem Befehl ihrer Mutter, sich umgehend auf den Weg zum Dorf am Fuße des Berges zu machen. Hajimkamis Geist schlief noch und auch ihre Haare waren immer noch zerzaust, als sie in den Wald hinein ging und sich irgendwo unter einen der Bäume legte, damit sie wenigstens bis zum Morgengrauen schlafen konnte.
 

Erst als die Sonne schon längst ein paar Stunden am Himmel gestanden hatte, und ein Fliegenschnäpper sich auf ihren wilden Haarschopf setzte, erwachte das Hexenmädchen wieder aus ihren gemütlichen Träumen. Neugierig stupste der kleine Vogel die Wange der jungen Hexe an. Als sie ihre Hand ausstreckte, flog das Vögelchen aber geschwind von dannen. Hajikami setzte sich müde auf, streckte sich genüsslich und gähnte herzhaft. Das Haar lockerte sie sich einfach mit der Hand auf, anstatt es vernünftig mit einem Kamm oder einer Bürste zu ordnen. Dieses Mal wirkte es so als ob auch ihre Hände nicht mehr viel mit ihren Haaren anfangen konnten, ansonsten sähen sie nicht mehr so wüst aus. Neugierig streckte Hajikami ihre Hand nach oben gegen das Sonnenlicht.

Da bemerkte sie es!

Die Sonne schien durch ihre Handfläche hindurch!

Normalerweise hatte sie immer das Sonnenlicht mit ihrer Hand abschirmen und die Wärme genießen können, doch in diesem Moment wurde nichts reflektiert oder aufgefangen.

Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung und kurz darauf erhob sie sich. Ihr Körper war noch immer vorhanden und ihre beiden Hände waren immer an ihrem Körper fest. Zwar war das sehr beruhigend, aber auf der anderen Seite musste Hajikami zugeben, dass ihre Mutter wohl damit Recht gehabt hatte; wenn sie nicht bald etwas unternahm, dann bestand die Gefahr zu verschwinden.

Für Hajikami war es das erste Mal seit ihrer Geburt, dass sie so etwas dachte: ganz egal wer, aber sie musste unbedingt einen Menschen verzehren. Die junge Berghexe fasste sich ein Herz und machte sich schnurstracks auf den Weg. Sie ging quer über das Feld bis hin zum Rand des kleinen Dorfes.

Langsam aber sicher erwachten auch die Zikaden und zirpten Laut über ihrem Kopf. Es war bereits gegen Morgen sehr heiß geworden und die Mittagssonne wurde umso feuriger. Der Himmel allerdings war weit und blau und doch flirrte die Luft. Auf den Feldern sah man nicht eine Menschenseele arbeiten und im Dorf herrschte eine merkwürdige Stille. Es war nicht eine bekannte Mittsommerhitze, bei der man sich am liebsten im Haus verkroch. In solchen Zeiten hörte man wenigstens fröhliche Kinder am Fluss herumtollen und sich gegenseitig nassspritzen. Es war eine düstere Stille, die der Krieg mit sich gebracht hatte und die Menschen dazu trieb sich aus Furcht ins Innere ihrer Behausungen zu verkriechen.

Zu guter Letzt entdeckte sie doch jemanden. Im Schatten eines Hauses war gerade eine Frau damit beschäftigt an einem Brunnen Wasser zu schöpfen. Sofort entschloss Hajikami sich dazu, dass sie diesen ersten Menschen, den sie zu sehen bekommen hatte, verspeisen wollte. Auf diese Weise warsie in der Lage ganz schnell wieder zurück zum Berg gehen zu können. Das Mädchen schlich sich heran, doch die Frau hatte sich gerade umgedreht um in ihr Haus zu gehen. Hajikami beobachtete sie dabei und sah dass das Wasser, welches die Frau bis zum Rand in einen Bottich gefüllt hatte, silbern funkelte und es erschien ihr irgendwie kühl zu sein.

„Oh na so was! Wenn du magst, dann trinke reichlich Wasser“, sagte die Frau, in dessen Nähe sich Hajikami geschlichen hatte. Sie hatte wohl die Anwesenheit einer zweiten Person gespürt und beugte sich leicht herunter um dem Mädchen den Bottich hinzuhalten, „Woher kommst du denn? Bist du vom Kriegsgebiet davongelaufen? Armes Ding, sogar deine Haare sind wild...“

Die Frau versuchte das Haar des Mädchens ein wenig zu ordnen, doch dies war völlig vergebens.

„Weißt du, die Soldaten dieses Dorfes und der Feudalherr sind alle samt in den Krieg gezogen. Ich hoffe von ganzem Herzen, dass sie wohlbehalten wieder zurückkehren.“

Das Wasser war wirklich angenehm erfrischend, und es spiegelte das grün des Laubes der umherstehenden Bäume wieder. Hajikami saß in der Falle, denn sobald jemand nett zu ihr war, wollte sie denjenigen eben auch nicht verspeisen. Dabei hatte sich sich doch fest vorgenommen den ersten Menschen zu fressen, dem sie begegnete. Immerhin würde sie verschwinden, wenn sie nicht bald etwas tat.

„Ich werde Ihnen helfen das Wasser zu tragen“, meinte sie, schnappte sich den großen Bottich, welchen sie beinahe bis zur Hälfte geleert hatte und schmiss ihn tief ihn in den Brunnen hinunter. Herauf holte sie den plumpen Holzeimer, der randvoll mit klarem Wasser gefüllt war. Die Frau beobachtete Hajikami mit Erstaunen. Man sah es dem Berghexenmädchen eben nicht an, dass sie über monströse Kräfte verfügte. Damit hatte Hajikami den Unannehmlichkeiten, die sie der Menschenfrau bereitet hatte beglichen. Somit gab es auch keine weiteren Probleme ihr Opfer zu erledigen, also brachte Hajikami ihre sonst versteckten Reißzähne zum Vorschein. Das dachte sie zumindest, doch um die Ecke herum kam ein kleiner Menschenjunge, welcher die Frau sofort umarmte.

„Mama!“, sagte er nur kurz, denn dann fiel sein Blick auf die Berghexe. Hajikami fühlte sich bedroht, denn Kinder hatten einen sechsten Sinn für Übernatürliches. Als ob die Hexe es nicht schon geahnt hätte, so begann der kleine Junge nach nur wenigen Momenten lauthals zu weinen.

„Was bist du? Was willst du mit meiner Mama machen?! Geh bloß weg, sonst hetze ich dir unseren Hund auf den Hals!“, keifte er das Hexenmädchen an. In der Nähe des Hauses lag ein großer weißer Hund, der nun freudig mit dem Schwanz wedelte und auf sie zukam. Hajikami zog die Augenbrauen nach oben, denn vor Hunden hatte sie wirklich überhaupt keine Furcht. Dennoch beschloss sie die Sache auf sich beruhen zu lassen und verließ das kleine Dorf.
 

Indem sie die Brücke überquerte, tat sich eine unendliche Weite voller Felder und Wiesen auf, die sie durch einige Trampelpfade hinter sich lassen konnte. Dennoch war vorerst keine Menschenseele zu sehen, nur das Grün der Pflanzen tanzte im leichten Wind.

In der sengenden Hitze, als sie schon mehrere Kilometer eines schmalen Weges hinter sich gebracht hatte, kam ihr jemand entgegen. Es war eine alte Frau, dessen Rücken mit einer kugeligen Rundung gebeugt war und sie schien nichts anderes zu sehen, als den Weg auf dem sie schritt. So eine konnte sie sich doch ruhig einverleiben. Sie hatte kein kleines Kind bei sich, welches Hajikami aufhalten konnte. Sie war einfach eine alte Frau, die zwar körperlich größer als das Berghexenmädchen war, aber ihr an Kraft nichts entgegenzubringen hatte.

Hajikami öffnete ihren Mund ein wenig und ließ ihre Reißzähne zum zweiten Mal zum Vorschein kommen. Der ganze Anblick des Hexenmädchens war nun vollkommen entstellt sobald sie ihr wahres Gesicht zeigte. Das Mädchen stürzte sich ohne noch einmal darüber nachzudenken auf die alte Frau um an ihren Hals zu gelangen, damit sie ihr die Kehle aufbeißen konnte. Im selben Moment aber begann die alte Frau zu leuchten. Die Alte erstrahlte in einer Säule gleißenden Lichts, welches Hajikami dazu zwang ihre Augen zuzukneifen und regelrecht starr stehen zu bleiben. Sie konnte nur noch spüren, wie die gebrechliche Frau ihren Arm packte und das Hexenmädchen zu Boden warf. Gleich darauf verzog sich das weiße Licht, welches die Frau umgeben hatte gänzlich, so als ob es nie da gewesen wäre.

„Ihr tut mir weh!“, japste Hajikami.

„Unterschätze bloß nicht die Alten, kleiner Wicht. Du siehst vielleicht aus wie ein Mensch, aber in Wirklichkeit bist du eine Berghexe, habe ich Recht?“, wollte die alte Frau wissen und hatte sich in der Zwischenzeit mit einem selbstzufriedenen Grinsen auf den Rücken des Mädchens gesetzt. Hajikami hätte normalerweise nur einen kleinen Ruck gebraucht, um die Andere davonzustoßen, doch aus irgendeinem Grunde schien sich ihr Körper überhaupt nicht bewegen zu wollen.

„Ihr seid zu schwer, geht runter von mir!“, fauchte das Hexenmädchen, „Wie kommt es, dass Ihr so stark seid, obwohl Ihr nur eine alte Frau seid? Und was war das eigentlich für ein blendendes Licht!?“

„Blendendes Licht? Das weiß ich leider auch nicht so genau“, entgegnete die Frau, „Es muss wohl mein Alter sein. Aber du, du bist eine Berghexe, aber du kletterst den Berg hinab. Wenn du eine Berghexe bist, dann bleib gefälligst auch auf deinem Berg.“

Hajikami seufzte tief und streckte ihre Hand aus um der Alten zu zeigen, dass sie langsam durchsichtig wurde und erklärte ihr, wie so eine Berghexe lebte. Irgendwann musste sie einen Menschen fressen, damit ihre eigene Lebensenergie sich erneuerte und sie weiter leben konnte. Die alte Frau nickte bedächtig, erhob sich langsam wieder, damit Hajikami aufstehen konnte.

„Ich verstehe. Also hat auch eine Berghexe viele Hürden zu überwinden, damit sie überleben kann. Ich würde dir mein Leben ja geben, aber ich habe selbst noch genügend Dinge zu erledigen, die ich nicht aufschieben sollte. Menschen wie Hexen, wie es aussieht“, stellte die Alte fest. Sie wandte sich dem Berg zu und sah in die Richtung des Dorfes.

„Wollt Ihr auf den Berg hinaufgehen, Mütterchen?“, fragte Hajikami schließlich.

„Ich gehe dorthin um meinem Sohn mit Rat zur Seite zu stehen. Er hat vor, wieder zum Gipfel des Berges zu gehen um die Gottheit aufzusuchen. Er möchte die Berggottheit um Beistand ersuchen und ihr noch weitere Opfer bringen“, antwortete die alte Frau, sah wieder auf den Weg hinab und begann mit krummen Rücken weiterzugehen.
 

Hajikami dachte kurz nach. Ihre Heimat auf dem Berg und das große Schlachtfeld wurden nur durch einige Felder und einen Fluss geteilt. Von ihrem jetzigen Standort aus konnte sie hinübersehen und schon erahnen was in etwa im Gange war. Im Moment schien der Feudalherr in der Gunst der Berggottheit zu stehen, denn sein Schlag zum Angriff schien absolut erfolgreich zu sein. Sicher freute sich der Kriegskünstler darüber.

Dem Berghexenmädchen kam die Idee, dass es vielleicht von großem Nutzen war zum Schlachtfeld zu gehen. Sollte sie sich dorthin begeben, war es sicher einfach jemanden zu finden, dessen Leben nicht mehr lange währte. Hajikami streckte ihre Hand zur Sonne empor und obwohl die Sonne darauf schien, fühlte sie die Sommerhitze nicht. Auch der Wind strich durch sie hindurch als sei sie gar nicht vorhanden. Dies machte ihr Angst. Sie musste unbedingt jemanden fressen.

Das Mädchen begann zu rennen. So schnell, dass man meinen konnte, dass sie gleich anfinge zu fliegen. Als Hajikami das momentan verlassene Schlachtfeld erreichte, über welches das Kriegsgeschwader bereits hinweggefegt war, stand sie einer einzigen Verwüstung gegenüber. Hier und da lagen abgebrochene Fahnenstangen, zerrissene Banner und ganze Körper waren bei Seite gerollt worden. Körper von mutigen Männern, die bereits aufgehört hatten zu bluten, denn alles Lebenselixier war bereits geronnen. Verstreut lagen auch abgetrennte Beine, Hände oder gar Köpfe aus denen zum Teil noch das Blut tropfte und in den braunen Boden sickerte.

Einen Krieg hatte sie noch nie erlebt und noch nie war ihr ein Schlachtfeld dieses Ausmaßes unter die Augen gekommen. Wenn die kleine Berghexe stark darüber nachdachte, dann war sie sich ziemlich sicher, dass sie noch nicht mal ein kleines gesehen hatte. Sprachlos schnappte sie nach Luft und ging auf das Feld.

Plötzlich hörte sie etwas unter ihren Füßen knacken.

Im ersten Moment glaubte sie, dass es eine Muschel oder ein kleiner Ast war, doch gleich darauf hörte sie eine krächzende Stimme leise flüstern: „Wasser...“ Hajikami sah an sich hinunter und musste feststellen, dass sie auf einen Beutel getreten war, dessen Inhalt wohl nur noch knackte, wenn man drauftrat. Gleich daneben erkannte sie den Träger der Stimme. Es war ein Soldat dessen Gesicht voller Blessen und tiefer Wunden war. Im Gesicht klebte ihm ein Gemisch von feuchter Erde und warmen, frischen Blut.

„Bitte...Wasser“, drang die müde Stimme noch einmal an ihr Ohr.

So.

Da lag nun ein junger Mann, dessen Schicksal bereits feststand. Es würde sicher nicht mehr lange dauern, bis er seinen letzten Atemzug tat. Also gab es doch auch keinen Grund mehr zu zögern. Hajikami wollte ihn fressen.

Sie hob den Soldaten leicht vom Boden auf und gerade als sie ihre Fangzähne in seinen Körper hauen wollte, holte sie tief Luft. Dieser arme Wicht war fast am Ende, es würde sicher nicht viel von ihrem Leben wiederherstellen, dachte sie bei sich. Was brachte ihr also dieser nur halblebendige Körper, während die andere Hälfte von ihm schon im Grabe lag. Sie entschloss sich ihn aufzuheben und zur Seite zu schaffen, so dass er nicht mehr inmitten der vielen Leichen lag. Aus der Brusttasche ihres Kleides zog sie eine Heilpflanze hervor, welche sie zur Sicherheit immer bei sich trug. Sie rieb den Beifuß in ihren Händen und rieb ihn über die verwundeten Stellen seines Gesichtes. Sofort bekam das bleiche Gesicht wieder ein bisschen Farbe zurück. Sie nahm mit einem Mal seinen zerbrochenen Helm zur Hand und lief zum Fluss um ein wenig Wasser zu holen. Zwar hatte der Soldat noch etwas geflüstert, doch Hajikami hatte nicht darauf geachtet, stattdessen war sie sofort aufgestanden. Jemand näherte sich.
 

Auf sie zu kam ein junger Soldat von etwa fünfzehn Jahren. Seinem Aussehen nach zu urteilen, hatte er wohl gerade erst die Zeremonie des Erwachsenwerdens hinter sich. Sein Haar war zu einem schwarzen Haarknoten zusammengebunden und die Kleidung, welche seinen Körper einhüllte, war von edler Qualität. Sowohl seine Gewänder als auch sein Haar wirkten neu und frisch frisiert, dennoch machte er rasche, selbstbewusste Schritte auf die beiden zu.

Als er Hajikami erblickte, ergriff er das Wort: „Ein Kind täte gut daran im Haus zu bleiben. Das Schlachtfeld ist gefährlich, also mach dich weg nach Hause und bleib dort hinter deiner fest verschlossenen Tür.“

„Was ist mit dir? Das hier ist nicht mehr das Schlachtfeld und das wäre der Ort an dem du sein solltest. Was machst du hier, bist du etwa davongelaufen?“, fragte Hajikami sofort, worauf der junge Soldat ein wenig errötete.

„Sei nicht so frech! Ich bin nicht im Begriff davonzulaufen. Ich werde bis hoch zum Gipfel des kleinen Berges gehen um die dortige Berggottheit aufzusuchen. Mein Vater war neulich Nacht dort um göttlichen Beistand zu ersuchen. Vielleicht wird die Berggottheit auch meine Bitte erhören“, erklärte der junge Soldat und Hajikami konnte in seinen Augen erkennen, dass ihm dieser Wunsch sehr am Herzen lag. Sie konnte sich nun einiges erklären. Dieser blutjunge Soldat war also der Sohn des Feudalherren, den ihre Mutter beobachtet hatte und deshalb sah er auch so vornehm aus.

„Und um was willst du bitten, Jungchen?“, wollte Hajikami wissen.

„Mein Name ist Saburoumaru!“, kam es ein wenig empört aus dem Munde des adligen Jungen, „Ich will darum bitten, dass der Berggott meinen älteren Bruder Jiroumaru das Leben rettet. Mein Bruder war im Heer meines Vaters und auch wenn ich als Pfand ein Opfer für die Gottheit werden muss, täte ich alles um meinen geliebten, weisen Bruder zu retten.“ Der junge Mann richtete seinen Blick fest auf den Berg, den man noch in der Ferne erkennen konnte, mit gestrecktem Rücken stand er da und fuhr kurz darauf fort: „Mein Bruder befindet sich nun im Schloss der Feinde, nicht sehr weit von hier. Vor einigen Tagen, als die letzte große Auseinandersetzung mit den Feinden stattfand, wurde er von ihnen gepackt und als Geisel genommen. Obwohl sein Leben in großer Gefahr ist, hat Vater abermals angeordnet zum Angriff zu gehen. Wenn nicht bald etwas geschieht, dann kommt jede Rettung für Jiroumaru zu spät. Wenn wir das Schloss nicht bald stürzen, dann wird der Feind an meinem Bruder ein Exempel statuieren. Egal wie viele Male ich es Vater erklärte, er will nicht aufhören das Schloss anzugreifen.“

Hajikami blickte in die entgegengesetzte Richtung ihres Heimatortes. Hinter den Feldern tat sich ein riesiges Plateau auf, auf dessen Grund ein gewaltiges Schloss thronte. Nun, dort saß der Feind und damit war das auch der Ort, wo der ältere Bruder dieses gutaussehenden Soldaten gefangen gehalten wurde. Bis zum Schloss selbst war es noch mindestens genauso weit, wie zu dem kleinen Berg auf dem sie lebte. Von den Anhöhen her konnte man die gewaltigen Truppen des Feindes sich versammeln sehen und die grölenden Kampfesschreie wurden mit dem Wind zu ihnen getragen. Wenn Hajikami es sich recht überlegte, dann musste man doch sagen, dass der Kriegsherr ziemlich dreist war. Einen Eber zu erlegen um für sein Territorium zu bitten, war eine lächerliche Gabe. Außerdem riskierte er mit dieser Bitte auch noch das Leben seines Sohnes und wollte allem Anschein nach nur den Krieg für sich entscheiden um neue Ländereien zu gewinnen.

„Aha, so ist das also“, murmelte Hajikami leise, worauf sich Saburoumarus Gesicht einen perplexen Ausdruck annahm. Warum war er so gewillt diesem kleinen Mädchen alles über das Liebste zu erzählen, das er besaß? Während er seinen Blick nicht von Hajikamis Augen hatte abwenden können, sprach er und sprach er immer weiter, so als habe sich sein Mund selbstständig gemacht hatte. Er hatte ein merkwürdiges Gefühl, wenn er daran dachte. Dennoch wagte er einen weiteren Blick zu dem Mädchen, welches breit grinsend neben ihm stand.

„Ich muss mich beeilen. Ich kann hier nicht einfach stehen bleiben während mein Bruder vielleicht hingerichtet wird“, meinte Saburoumaru, doch Hajikami stoppte ihn sofort: „Dann solltest du deinen guten, großen Bruder einfach retten gehen.“ Saburoumarus Miene entgleiste vor Überraschung. Obwohl Hajikami nur einen kleinen Teil seines Umhangs ergriffen hatte, hielt sie ihn mit aller Kraft fest, so dass er nicht in der Lage war auch nur einen Schritt zu tun.

„Ehrlich, wenn du jetzt extra zum Berg gehst und da auch noch hochkraxelst, dann schaffst du es niemals wieder rechtzeitig hier zu sein. Also, wenn es wahr ist was du eben gesagt hast und du wirklich dein Leben für deinen großen Bruder geben würdest, dann sag ich dir was, ich werde ihm das Leben retten. Du meintest es doch ernst, oder?“

„Ja natürlich! Aber...“

Er begutachtete Hajikamis Gestalt noch einmal gründlich von oben bis unten. Vor ihm stand ein Mädchen das gerade mal zehn Jahre alt sein dürfte, mit Haar das einem Straßenbesen aus kleinen zweigen glich und ihr plump auf die Schultern fiel. Die Kleidung war bis zu ihren Knien zerrissen, schmuddelig und ihre Arme und Beine sahen völlig dürr aus. Trotzdem hatten ihr gesunder, brauner Taint und ihre strahlenden Augen einen interessanten Charme an sich. Außerdem war ihre Kraft beeindruckend und erschreckend zu gleich.

„Bist du eine Gesandte der Berggottheit?“, fragte er kurz darauf.

„Hmm... es wäre sicher ganz gut für dich, das zu glauben“, antwortete sie keck.

Sie grinste, wobei allerdings ihre weißen Reißzähne in ihren Mundwinkeln aufblitzten und ihr einen ganz anderen Ausdruck verliehen. Als Saburoumaru dies sah, bekam er grausige Gänsehaut auf seinen Armen. Dieses Mädchen war zweifelsohne eine Berghexe. Als ihm dies klar wurde, schluckte er hart.

„Ich werde deinen großen Bruder retten. Im Gegenzug bekomme ich dein Leben, Saburoumaru. Vergiss dein Versprechen nicht.“

„Ich habe verstanden.“

Kurz nachdem Saburoumaru geantwortet hatte, wurde er auch schon in die Lüfte gehoben. Hajikami war hoch in den Himmel gesprungen während sie noch immer seine Kleidung, samt Innhalt, festhielt.
 


 

Das feindliche Schloss lag auf einem Plateau, umringt von mehreren schwarzen, spitz zulaufenden Felsen, auf denen sich die Truppen des übelgesinnten Gegners tummelten. Der Feind musste viel Vertrauen in die Fertigkeiten seiner Soldaten haben, denn es bedurfte viel Geschick um nicht von ihren Posten herunterzufallen und von einem weiter unterhalb liegenden Fels erstochen zu werden. Hajikami benötigte nur einen einzigen Sprung um hoch in den Himmel zu sausen und schaffte es somit unbemerkt an den Truppen vorbei zu kommen. Es gelang ihr auch mit diesem unermesslichen Schwung über die große, steinerne Schlossmauer zu gelangen ohne dabei unnötiges Aufsehen zu erregen. Saburoumaru sah nach unten, während in ihm ein Gefühl von Unsicherheit aufkam. Er war es überhaupt nicht gewöhnt in der Luft zu schweben und in der Lage zu sein, den Blick über das Gelände schweben zu lassen um sich jedes noch so kleine Detail einzuprägen. Trotzallem war er keine Sekunde lang in der Lage den Ausblick zu genießen.

„Ich lasse dich runter“, hörte er Hajikami sagen und innerhalb von nur wenigen Sekunden befanden sich beide wieder auf festem Steinboden. Saburoumaru war weder mit Helm noch Rüstung ausgestattet, so dass er noch wachsamer sein musste. So unbemerkt, wie er geglaubt hatte, waren sie anscheinend doch nicht gewesen, denn vom Inneren des Schlosses her, kamen einige Wachen auf sie zu gerannt. Hajikami reagierte schnell und machte sich ihre übernatürlichen Kräfte zu nutze. Mit einem einzigen Ruck stemmte sie einen Soldaten nach dem anderen hoch und schmiss sie in einem hohen Bogen dem nächsten entgegen. Saburoumaru hinter ihr, hatte sein langes Katana gezogen, bereit einem Angreifer den Gar aus zu machen.

Unüberlegt wie die das Berghexenmädchen war, ließ sie ihre schrille Stimme über den Platz hallen: „Saburoumarus großer Bruder! Wo bist du? Gib Antwort wenn du dich hier befindest, Saburoumarus Bruder!“

Der junge Krieger hätte ihr am liebsten das vorlaute Mundwerk zugehalten. Auf diese Rufe aufmerksam geworden, nahm die Anzahl der feindlichen Soldaten zu. Ein naheliegendes Tor des Schlosses öffnete sich wie von Geisterhand und gab den Blick auf einen jungen Mann frei, der Saburoumaru ziemlich ähnlich sah. Vermutlich hatte Hajikami die Tür mit ihrer Stimme geöffnet, denn man sagte, dass die Berghexen Mächte besaßen, die man sich kaum vorstellen konnte. Saburoumaru hatte allerdings nicht die Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.

„Bruder!“, rief Saburoumaru verblüfft aus und war schon drauf und dran auf seinen Bruder zu zulaufen, doch noch bevor er sich Hals über Kopf ins Innere bewegen konnte, stoppte ihn ein Pfeil, welcher direkt vor seinen Füßen zwischen die Ritze zweier Steine stecken blieb.

Im Inneren des Raumes, der sich aufgetan hatte, bemerkte nun auch der junge Mann, dass ihm jemand zu Hilfe kommen wollte. Er riss seine Augen weit auf vor Überraschung, es erschien ihm so unwirklich was gerade geschehen war.

„Bist du es, Saburou!?“, fragte er in seiner Verwunderung und spürte bereits wie Saburoumaru ihm aufhalf und auch Hajikami ihm zur Hilfe kam. Sie liefen zu dritt los, durch einen Hagelsturm aus Pfeilen hindurch, bis die rasenden Schwärme sich verdichteten.

„Haltet euch fest!“, hallte die Stimme der Berghexe über den Platz und wieder packte sie den jungen Krieger am Kragen. Saburoumaru wiederum hielt seinerseits seinen Bruder fest und im Nu befanden sie sich wieder in der Luft. Für Hajikami war es kein Problem den Pfeilen auszuweichen, welche noch immer von den Bergen her abgeschossen wurden.

Sie entfernten sich weiter vom Schloss und landeten in der Nähe eines Reisfeldes. Hajikami atmete einige Male tief durch. „Wir können von Glück sagen, dass wir sie überrascht haben. Ansonsten wäre das nicht so glatt abgelaufen.“
 

„Tja, wie es aussieht ist so ein Pfeilregen auch für eine Berghexe wie dich kein kräfteschonendes Erlebnis, hm?“, bemerkte Saburoumaru, der sich erschöpft niederließ. Hajikami aber antwortete ihm mit einem breiten Grinsen: „Hehe, normalerweise nicht, aber heute wollen meine Kräfte einfach nicht so, wie ich will. Sobald ich dich fresse, kehren meine Kräfte wieder vollkommen zurück.“

Saburoumaru nickte und sah nur kurz seinem älteren Bruder in die Augen, der ihm einen ungläubigen Blick zuwarf.

„Das Wichtigste ist, dass mein großer Bruder wieder frei und in Sicherheit ist“, stimmte er zu.

„Saburou! Was hat das zu bedeuten? Ich kann nicht glauben, dass das auf Vaters Befehl geschehen ist!“, sagte Jiroumaru und ließ seinen Blick zwischen seinem Bruder und Hajikami wandern.

„Das war meine eigene Entscheidung. Jirou, kehre nach Hause zurück! Vater und Mutter machen sich große Sorgen.“

Jiroumaru schüttelte aufgebracht seinen Kopf: „Nein, ich kann nicht zurückkehren. Weißt du denn nicht, was passiert ist, Saburou? Unser Vater hat mich als Beute ausgelegt um einen Grund zu haben einen Krieg zu führen! Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich an solch einen Ort zurückkehre nur um wieder in dieselbe Situation zu geraten.“

„Unser Vater hat... was...? Aber Jirou-...“, begann Saburoumaru, doch sein Bruder unterbrach ihn inmitten seines Satzes: „Saburou, versuch erst gar nicht Vaters Handeln zu rechtfertigen.“ Jiroumaru ging auf seinen Bruder zu und nahm ihn fest bei den Schultern: „Erinnere dich an unseren ältesten Bruder. Vater schickte Taroumaru ins östliche Nachbarland und nachdem er gefangengenommen wurde, hat Vater einen Krieg angefangen. Für ihn ist es nicht wichtig, ob einer von uns zu Tode kommt, Saburou. Für unseren Vater ist es wichtig durch einen Krieg die Nachbarsländer unter seine Herrschaft zu bekommen!“

„Aber Jirou-...“, Saburoumaru blieb standhaft um seinem Bruder zu signalisieren, dass er dabei blieb, wenn er auch nicht weiter seinen Vater unterstützen konnte, würde er sein Versprechen einlösen. Jirou dagegen ließ von den Schultern seines Bruders ab, er wirkte niedergeschlagen und enttäuscht: „Wie es scheint willst du die wahre Natur unseres Vaters nicht sehen und hältst immer noch zu ihm. Ich werde gehen, Saburou. Wenn ich nicht mehr da bin, dann kannst du der Heerführer seiner Armee werden.“ Mit diesen Worten ging Saburoumarus älterer Bruder davon und verschwand nach einer Weile in den Wäldern hinter den Bergen. Saburoumaru sah Jiroumaru nach bis dieser vollkommen aus der Sicht entschwunden war.

Hinter sich, von unten her meldete sich die Stimme Hajikamis wieder: „Wirst du auch wie dein Bruder einfach so davonlaufen?“

Saburoumaru wandte sich zu dem Berghexenmädchen um und in seinen Augen spiegelte sich Zorn wieder: „Nein! Ich werde mein Versprechen nicht brechen!“

„Aber... dein geliebter großer Bruder, den du mit allen Mitteln retten wolltest hat dich feige verraten und trotzdem willst du dich von mir fressen lassen?“, hakte Hajikami nach. Sie bedachte den ihr Gegenüberstehenden mit den großen, schwarzen Augen und musste sich über den Menschen wundern. Allerdings musste sie auch zugeben, dass sie auch über sich selbst staunte, denn im Augenblick war ihre eigene Einstellung zu dieser Situation zwiegespalten. Dieser Mensch vor ihr bot sich freiwillig an sich von ihr verspeisen zu lassen, also musste es doch in Ordnung sein. Es gab doch nun wirklich keinen Grund mehr zu zögern? Trotzdem sagte etwas tief in ihr, dass sie einen so ehrbaren Menschen zwischen all den schrecklichen Dingen, besser nicht einfach so verschlang.

„Ich bin kein Verräter, so wie mein Vater einer ist. Also los, friss mich!“, stimmte Saburoumaru erneut zu und breitete generös seine Arme aus. Er hatte das befürchtete, dass er unter Umständen tatsächlich das Weite suchte, wenn er sich nicht sofort dazu bereit erklärte. Es war schließlich für Menschen bekannt, dass sie gern das Weite suchten, sobald sie realisierten dass ihre Lebenslichter bald erloschen. Hajikami nahm einen seiner Arme und ihre Stimme erklang: „Dann lass uns gehen.“

Sie ging mit ihm an der Hand los. Die Abendsonne hatte sich bereits dem Horizont zugewandt und ihn in lichterlohes Feuer gesteckt. Das Violett des Abendhimmels bildete einen flimmernden Kontrast zu den Sonnenstrahlen, die das Haus auf dem Berg, wo Hajikami mit ihrer Mutter der Berghexe, zu Hause war, in gleißendes Licht tauchte.
 

Während die beiden den Berg erklommen, wurde es zunehmend dunkler, bis das Licht gänzlich verschwand. Hajikami führte Saburoumaru bis zum Gipfel, in dessen Nähe der große Felsen der Berggottheit in die Höhe ragte. Er wirkte nun wie ein gigantischer, pechschwarzer Fleck, der sich erbarmungslos in den Himmel bohrte. Aus dem Haus heraus kam Hajikamis Mutter und rieb sich voller Vorfreude die Hände, als sie sah was ihre Tochter ihr mitgebracht hatte. Diesmal jedoch bemühte sich nicht einmal ihre Freude zurückzuhalten.

„Da sieht man es mal wieder, meine Tochter ist und bleibt eben meine Tocher! Es braucht freilich ziemlich lange, bist du auf das hörst, was ich dir sage, aber wenn du meiner Bitte nachkommst, dann tust du es ganz ausgezeichnet. Das ist eben deine wunderbar süße Seite an dir“, sprach die Mutter während ihr Grinsen von einer Wange bis zur anderen breit wurde. Im Haus loderte ein Feuer in der dafür vorgesehenen Feuerstelle und darüber hing bereits ein Kochtopf. Saburoumaru bemerkte es nicht, aber er machte in der Tat ein paar kleine Schritte nach hinten. Der Anblick des Mauls der Mutter war mit einem Wort beschrieben widerlich. Es war ein großer, vernarbter Schlitz von einem Ohr zum anderen in dem messerscharfe Zähne saßen. So sehr Saburoumaru sich zusammenriss und die Zähne zusammenbiss, er konnte nicht verhindern, dass seine Beine zu zittern anfingen.

„Na so was, du bibberst ja wie Espenlaub. Du scheinst ja doch noch ganz schön an deinem Leben zu hängen“, meinte die Mutterhexe und um den jungen Mann ein wenig zu ärgern zeigte sie ihre langen, mit Krallen besetzten Finger.

„I-ich habe keine Angst!“, behauptetete Saburoumaru standhaft, wobei er versuchte seine Stimme so resolut zu halten wie er konnte „Ich zittere auch gar nicht!“

„Was für eine Einstellung! Der Kleine hier ist wirklich sehr aufgeweckt. Jetzt fragt sich nur noch wie lange er diese Haltung noch wahren kann. Hajikami, mit diesem Jungen hier hast du einen echt guten Fang gemacht. Wenn du den verschlingst, Hajikami, dann wirst du noch hundert, nein, zweihundert Jahre lang überleben können ohne noch einen zu verputzen! Also los, friss ihn ohne zu zögern!“

So sehr sich Saburoumaru auch bemühte das Zittern in den Griff zu bekommen, er schaffte es einfach nicht dem Ganzen ein Ende zu setzen. Obwohl er seine Hand zu einer Faust geballt hatte und auch seinen Rücken durchgestreckt hielt um sich selbst mehr Mut zu machen, es war vergebens. Der junge Soldat bereute seine Entscheidung. Warum hatte er sich nur darauf eingelassen bis hierhin zu gehen? Er fragte sich plötzlich, ob es wirklich sein Leben wert war, wo doch sein Vater so kaltherzig mit seinen eigenen Kindern umging und auch Jiroumaru seinen eigenen Weg ging. Saburoumarus Geist war erfüllt mit dunklen Gedanken. Sollte er vielleicht doch Hand an das Langschwert legen, welches am Gürtel hing und einfach die beiden Berghexen erledigen? Alles war besser, als sinnlos darauf zu warten von einer Hexe verschlungen zu werden.

Hajikami streckte sich, stellte sich auf die Zehenspitzen und legte ihre Hände auf die Schultern des jungen Mannes. Sie legte ihr Kinn auf die Schulter und ließ ihre spitzen Zähne hervorblitzen. Saburoumaru hingegen konnte den Geruch von sonnengetrocknetem Gras vernehmen, welcher von den Händen des Berghexenmädchens ausging. Es war ein betörender Duft, der Saburoumaru ziemlich betäubte. Dennoch ließ er seine Hand zum Griff seines Schwertes gleiten. Ganz langsam, obwohl er gleichzeitig den Tod erwartete.
 

„Weg von Saburoumaru!“, eine Stimme aus der Dunkelheit erweckte den jungen Mann aus seiner Trance. Hajikami wirbelte überrascht herum und konnte in der Ferne ein paar glimmernder Augen erkennen. Es war der Feudalherr, welcher vor ein paar Tagen schon auf den Berg gekommen war. Vermutlich wollte er seinen Sohn zurückverlangen.

„Ich werde Saburoumaru fressen!“, kam es flüsternd von Hajikami, die ihre angenehm warmen Hände nicht von ihrer Beute ließ.

Der Mond draußen schien als dünne Sichel am Himmel. Als er die Umgebung erhellte, so dass auch das menschliche Auge etwas erkennen konnte, schnappte Saburoumaru nach Luft. Die Mutter Berghexe ging auf seinen Vater zu, mit langsamen aber stetigen Schritten.

„Was sehen meine alten Augen denn da? Wenn das nicht eine dieser berühmt berüchtigten Schusswaffen ist. Was sagt man dazu, die Berggottheit scheint ihr Versprechen gehalten zu haben und hat Euch ein großes Geschenk gemacht. Damit habt Ihr die anderen Reiche des Landes schnell unter Eure Herrschaft gebracht. Doch was ist mit Eurem Versprechen? Wo sind die zehn Wildschweine, die Ihr der Berggottheit bringen wolltet?“, kicherte die Hexe, wobei sie immer näher auf den Feudalherrn zuging. Dieser verzerrte sein Gesicht zu einem breiten, schrecklichen Grinsen, welches noch unheimlicher aussah als das der Mutterhexe. Die raue Stimme des Vaters entgegnete: „Ja hier siehst du die Güte der Berggottheit in meinen Händen. Doch anstelle von zehn Wildschweinen werde ich ihr einen noch größeres Geschenk bereiten.“

Kaum hatte der Feudalherr die Worte ausgesprochen, zündete er die Lunte seines Gewehres an und ein Schuss löste sich mit einem lauten Knall, der weit in den Bergen widerhallte. Die Mutter Berghexe reagierte schnell und dank ihrer hervorragenden Fähigkeiten gelang es ihr sich in einen kleinen Uhu zu verwandeln und dem Schuss ohne Schwierigkeiten auszuweichen. Saburoumarus Vater schnalzte erbost mit der Zunge und schon flog die nächste Kugel in die Richtung des Uhus.

„Vater, besinnt Euch doch! Was tut Ihr nur hier oben in den Bergen!?“, wollte Saburoumaru schockiert wissen.

„Jiroumaru kam zu unserem Schloss zurück und berichtete mir was vor sich geht. Das du ihn mit dem Einsatz deines Lebens befreien ließest und nun als Hexenfutter dienen sollst. Jiroumaru ist zwar ohne ein weiteres Wort zu sagen gegangen um das Land für immer zu verlassen, aber das ist gleichgültig. Es gibt keinen Ort, zu dem er gehört oder gehen könnte, deshalb rechne ich fest damit dass er schon bald wieder zu Kreuze kriechen wird“, entgegnete er gelassen. Für Saburoumaru war es erschreckend wie beherrscht und ruhig sein Vater war. Nachdem er seine wilden Schüsse abgegeben hatte, richtete er sein Visier auf Hajikami, die ihre Hände noch immer auf den Schultern Saburoumarus liegen hatte.

„Vater, kommt doch zur Vernunft! Bringt der Berggottheit die zehn Wildschweine und dankt ihr für die Gnade, die sie Euch zuteilwerden ließ!“, flehte der junge Mann seinen Vater an, „War es nicht das, was Ihr tun wolltet!?“

„Ich werde diese Berghexen nicht mit Beute versorgen und schon gar nicht mit solch einer Reichen wie zehn Wildschweinen“, antwortete der Kriegskünstler, „Auf dem Platz steht nichts weiter als ein riesiger Felsbrocken. Es gibt keine Berggottheit hier. Im Allgemeinen gibt es nirgends Götter in diesem Land. Alles was dieses Land jetzt noch braucht bin ich, denn ich herrsche über das westliche und östliche Reich. Für mich gibt es nichts mehr, das ich ehren müsste, wo alle mir huldigen sollten!“

Seine Stimme wurde dunkler und aus seinem Munde drang ein unheimliches Lachen: „Also Kleine, nimm deine dreckigen Hände von ihm! Und du Saburoumaru, kehre ins Schloss zurück!“

Saburoumarus Hand, die vor kurzem noch auf dem Weg zum Schaft seines Schwertes gewesen war, ließ es los. Er hatte Zweifel gehabt ob es nicht besser war genauso zu werden wie sein Vater. Ein Verräter, dem man nicht glauben konnte, dass er seine Versprechen einhielt. Ein Mensch, der bereit dazu war, seine eigenen Kinder für Macht einzutauschen. Nein, es war nicht richtig ein solch schlechter Mensch zu werden.

„Es tut mir leid. Beinahe hätte ich mein Versprechen gebrochen“, sprach Saburoumaru mit fester Stimme, „Also los, verschlinge mich jetzt.“

Hajikami kam dem Hals ihres Opfers näher um ihre blitzend weißen Zähne endlich in die wohlgebräunte Haut zu stoßen. Doch als einer ihrer Reißzähne bereits die Haut berührte, begann der Hals des jungen Saburoumaru zu leuchten. Ein grelles, weißes Licht ging plötzlich von ihm aus, welches auf Hajikamis Hände überging und schließlich auch Saburoumarus Schultern und das Haar umschloss. Hajikami erschrak. Sie hatte dieses merkwürdige, gleißende Licht schon einmal gesehen.

„Das selbe Licht, wie beim Mütterchen!“, erinnerte sie sich schnell und auch die Erinnerung an die unheimlich starke Druckwelle, die vom Licht des Mütterchens ausgegangen war und sie unterdrückt hatte. Im Augenblick war das Licht zwar nicht so grell, dass es ihr in den Augen wehtat, doch es war ganz gewiss dasselbe.

„Ich werde dich fresse, Saburoumaru“, flüsterte Hajikami erneut und sog ein wenig Luft zwischen die Zähne hindurch. Als sie dies tat, trat ihr der Geruch des sommerlich getrockneten Grases und der Sommersonne in die Nase, welche durch das dichte Blätterdach der Bäume geschienen war. Es war ein wohltuender Duft, der nostalgische Erinnerungen wach rief und Hajikami zum Seufzen brachte.

„Irgendwie.... wäre es eine Schande dich zu fressen.“

Hajikami ließ von den Schultern ihres Opfers ab. Sofort fühlten sich ihre Hände kalt an und ihre Beine waren weich. Sie musste sich unbedingt einen Menschen einverleiben, ansonsten würde sie in wenigen Momenten verschwinden. Trotzdem wollte sie Saburoumaru nicht töten. Nicht einmal wenn ihr eigenes Leben auf dem Spiel stand. Hajikami musste zugeben, dass sie eine ziemlich lausige Berghexe war.
 

Die Mutter des Berghexenmädchens, die noch immer in der Gestalt einer Eule um den Kopf des Kriegsherren herumflatterte, lenkte diesen so sehr ab, dass er seine Kugeln verschwendete. Letztendlich flatterte der kleine Uhu nach draußen, auf die Spitze einer Sicheltanne.

„Mach dass du von ihr wegkommst, Saburoumaru!“, forderte der Feudalherr.

„Nein, Vater. Ich werde mein Versprechen nicht brechen!“, widersprach der Junge.

„Wenn das so ist, kann ich dich gleich mit diesen Kreaturen aus dem Weg räumen. Alles ist besser als der Fraß einer Berghexe zu werden“, sagte Saburoumarus Vater, der im Begriff war erneut die Lunte anzuzünden und ein paar Schüsse zu lösen.

Es kam nicht zum Feuer. Aus dem Nichts kam eine Gestalt hervorgesprungen und riss den Feudalherrn um. Es war die alte Frau, die Hajikami auf der Suche nach einer Mahlzeit getroffen hatte.

„Hör auf! Du bist jawohl nicht mehr ganz bei Sinnen, jemanden aus unserem Geschlecht erschießen zu wollen wie ein wildes Tier!“, mahnte sie erbost.

„Ich, liebe Frau Mutter, war noch nie bei klarerem Verstand als gerade jetzt!“, entgegnete der Feudalherr und bedachte seine alte Mutter, die ihn mit ganzem Köpereinsatz umarmte, mit einem eiskalten Lächeln. Es war deutlich, dass er vollkommen wahnsinnig von seinen Aufgaben und dem Lauf dieser Welt war. Die Alte war bis auf den Berg gekommen, da sie den Wahnwitz ihres Sohnes erkannt hatte und auch wusste, dass der Plan ihres Sohnes auf Verrat und Betrügerei an den Seinen und der heiligen Berggottheit beruhte. Es tat ihr im Herzen weh ihre Familie auf diese Weise zerbrechen zu sehen, doch was immer sie auch sagte, ihre Worte erreichten den Feudalherrn nicht mehr.

Ihr Sohn zögerte nicht eine Sekunde, sondern zog seine Waffe zur Rate und feuerte. Ein dumpfes Geräusch ließ die Bäume erzittern. Wie in Zeitlupe warf sich Saburoumaru nach vorn um den kleinen, in sich zusammensackenden Körper Hajikamis zu stützen. In dem unglaublich kurzen Moment, in dem er sich nicht hatte bewegen können, war Hajikami vor ihn gesprungen um ihm zu helfen. Hajikamis Rücken wurde mit rotem Blut gefärbt.

„Dir geht es gut, nicht wahr, Saburoumaru? Weil... ich dich nämlich fressen werde“, Hajikami kicherte keck. Saburoumaru nickte und konnte spüren wie die Kraft aus dem kleinen Körper entwich. Obwohl er das Gefühl gehabt hatte, dass dieser kleine Körper unaushaltbar schwer war. Nun aber begann sie ungewöhnlich leicht zu werden. Sowohl ihre Arme als auch ihre Beine färbten sich weiß und begannen in der Luft zu schweben. Auch der rote Fleck auf ihrem Rücken löste sich in rote Perlen auf, die in den Himmel aufstiegen.

In diesem Moment entschwand Hajikami aus Saburoumarus Händen. Ihr kleiner Körper war vollständig in den Himmel hinauf gestiegen und nur noch ihre Konturen blieben sichtbar. Saburoumaru versuchte seine Hand nach ihr auszustrecken um sie zu erreichen, doch er griff in die Leere. Hajikami lachte nun nicht mehr. Sie sah auch nicht wütend oder traurig aus. Hajikami weinte auch nicht. Die Farbe ihrer Augen war ebenfalls gänzlich verschwunden, so dass man nicht mehr erkennen konnte wohin sie sah.

„Hajikami!!“, rief er aus und versuchte es weiter, doch egal was er tat, er konnte sie nicht mehr erreichen.
 

Hajikami war vom pechschwarzen Felsbrocken, welcher allgemein als Thron der Berggottheit bekannt war, eingesogen worden und manifestierte sich erneut in einer schemenhaften Gestalt. Bisher war der Nachthimmel sternenklar und heiter gewesen, doch plötzlich zogen Wolken auf, welche die Umgebung in ein fahles Zwielicht tauchten. Über Hajikamis Kopf bäumten sich schwarze Wolken auf und ihre Augen leuchteten golden auf.

Zeitgleich zuckten Blitze vom Himmel auf die Erde hinab.

Der erste schlug vor den Füßen des Feudalherrn ein.

Die Erde tat sich vor den Füßen des stolzen Herrn auf und gleich darauf kam ein orkanartiger Wind auf, der ihn erfasste. Saburoumarus Vater konnte sich nicht mehr halten und verschwand in den Tiefen des Abgrundes, der sich aufgetan hatte. Saburoumaru war drauf und dran seinem Vater zur Hilfe zu eilen, doch die alte Frau warf sich auf ihn um ihren Enkel zurück zu halten.

„Hör auf, Saburoumaru, dein Vater ist verloren! Du musst dich hinter dem Felsbrocken verstecken, sofort!“, ermahnte sie ihn und versuchte ihn mitzuziehen.

„Nein, Großmutter, Hajikami wird mich nicht angreifen!“, widersprach er.

„Das ist aber nicht mehr Hajikami. Das ist die Prinzessin des Berges, sie hat dich bereits vergessen“, erklärte sie und zog weiter an ihm herum.

„Die Prinzessin des Berges?“, wiederholte Saburoumaru in einer ihm bisher unbekannten Fascination.

„Dieses Wesen kennt keine Emotionen. Weder Mitleid noch Verbundenheit oder etwas anderes. Sie ist die wilde Gottheit dieses Berges. Sie zeigt ihre absolute Macht, die kein einziger Mensch unter Kontrolle halten kann. Alles was wir tun können ist sie zu fürchten“, erklärte die Alte ihm während sie sich mit ganzer Kraft beim Thron der Berggottheit versteckten. Die Blitze erhellten die Umgebung immer wieder für kurze Momente, so dass man glaubte es sei bereits Tag geworden. Der Sturm wütete und ließ die Bäume knarren und biegen. Er ergriff das kleine, heruntergekommene Haus der Berghexen und zog es in den Himmel hinauf. Der hiesige Wind zerrüttete es und ließ die kleinen Einzelteile auf die naheliegende Umgebung herabstürzen. Das Donnergrollen war markerschütternd und nun setzte auch ein gnadenloser Regen ein.

Saburoumaru bemerkte, dass der Wind sich legte und sah an dem Felsen hinauf. Der Regen prasselte auf ihn herab. Er sah hoch oben die schemenhafte Gestalt Hajikamis, wie der Regen ihre letzten Konturen davonwusch. In den Augen des jungen Kriegers und seiner Großmutter, verschmolz sie mit dem Thron um dann für immer zu verschwinden.

Kurz nachdem sie aus dem Blickfeld aller Anwesenden verschwunden war, ließ der erbarmungslose Regen nach und die Nacht ging in einen strahlend sonnigen Morgen über. Von der Spitze der Sicheltanne flatterte ein Uhu in den Himmel empor und ward seither nicht mehr gesehen.
 


 


 


 

Ende



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: Futuhiro
2017-02-03T19:03:52+00:00 03.02.2017 20:03
Buh, das ist aber ein plötzliches Ende. Ich hatte mir irgendwie noch eine "Moral von der Geschicht´" erhofft. Also was da nun draus geworden ist. Ob es irgendeinem der Charaktere zum Nutzen war, daß Hajikami den Sohnemann nicht gefressen hat. Ist Hajikami für ihre milde Großherzigkeit belohnt worden? Hat der Saburoumaru positive Konsequenzen dafür erfahren, daß er seinen älteren Bruder unter Einsatz seins Lebens retten wollte, oder sein Versprechen gegenüber Hajikami retten wollte? Und was hat es mit der alten Frau und ihrem weißen Licht auf sich? ...

Ich finde die Geschichte ganz wundervoll, und die Charaktere kommen alle super authentisch beim Leser an. Die Geschichte ist von vorne bis hinten gut durchdacht. Aber es bleiben so viele Fragen offen. Das ist schade. Man denkt, daß du als Autor viel mehr wusstest als du uns Lesern verraten willst.
Antwort von:  YukimuraRuki
04.02.2017 15:43
Hallo!
Erst mal ein ganz, ganz großes Dankeschön dafür, dass du dir die Zeit genommen hast um Hajikami zu lesen und auch noch einen so tollen Kommentar dazu abgibst ^-^ So was freut mich immer total!
Du hast schon Recht, ich weiß mehr über die Charaktere als ich verraten möchte. Tatsächlich hat es sich auch ausgezahlt, weil ich nämlich genau deine Reaktion erreichen wollte. Hätte ich Erklärungen zu jedem Einzelnen gegeben und alles bis ins Detail erklärt, dann bräuchten sich die Leser auch keine Gedanken mehr darüber zu machen was es bedeuten könnte. Ich weiß nicht mal, ob die Antworten die ich auf deine Fragen habe, die richtigen sind. Hat es einen Nutzen gehabt, dass Hajikami ihn nicht gefressen hat? Vielleicht. Es hat mit sicherheit Konsequenzen für das Volk, welche darf man sich dann selbst aussuchen. Auf jedenfall sollten sich die Ereignisse auf die verschiedenen Leute in der Geschichte auswirken, aber in wie fern, dass darf sich eben jeder selbst ausmalen :)
Antwort von: Futuhiro
04.02.2017 17:36
"... sein Versprechen gegenüber Hajikame halten wollte", sollte das heißen. Gott, was hab ich da gestern zusammengetextet. :D

Lieben Dank für die Antwort. Das hat man auch immer seltener. ^^
Ich finde es mitunter sehr schön, wenn nicht alle Fragen geklärt werden und man sich ein paar Details selber ausmalen muss/kann. Aber in dieser Geschichte hier waren es eben so auffallend viele, die nicht geklärt wurden. Man wünscht sich als Leser doch irgendwie eine gewisse 'Pointe', damit man weiß, wofür der Autor das alles überhaupt geschrieben hat und worauf er hinauswollte. ^^


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