Zum Inhalt der Seite

Auf der Jagd

Schatten und Licht, Interlude 2
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Am falschen Ort

Sie sollte nicht hier sein. Dessen war Merle sich mehr als sonst bewusst. Sie saß auf dem weichen Bett der Gästekabine in der Katzenpranke und starrte aus einem Bullauge. Das einzige zivile Luftschiff der Königsfamilie Farnellias schwebte für ihre flache Form äußerst gemächlich über die Wälder des Reiches auf dem Weg nach Chuzario, Merles Zuflucht. Als Passagierschiff, das auf einen Frachterentwurf basierte, verfügte die Katzenpranke über eine breite Fensterfront vor der Brücke im vorderen Teil des Schiffes und Greifhaken unterhalb des kreisrunden Rumpfes, die momentan einen schnittigen Guymelef mit blonden Haupt hielten. Im Innern war das Schiff ein kleines Dorf, mit kleinem Hospital, einer Kombüse, einem Schlafsaal, zwei Gemeinschaftsduschen, einer kleinen Messe, sowie weiteren kleinen Abstellkammern. Von der Mannschaft war einzig dem Kapitän eine eigene Koje bestimmt, die sich jedoch nicht im entferntesten mit der Gästekabine und deren kleines, aber feines Bad am anderen Ende des Gangs messen konnte.

Merle hatte das Schiff schon oft auf ihren Reisen verwendet, mehr noch als Van. Er hatte ihr sogar den Namen des Fahrzeugs gewidmet. Und doch sollte sie nicht hier sein. Es war ein Geschenk Astorias an den Herrscher Farnellias und nicht dazu gedacht falschen Prinzessinnen zu dienen.

Aber der König Van de Farnel war tot, ermordet von Trias, einem mächtigen Abkömmling des Drachenvolks, der nun nicht mehr so legendären Bewohner Atlantis. Zusammen mit seinen Vampir ähnlichen Dienern und deren Sklaven hatte er Farnellia angegriffen und Van eine Falle gestellt. Wenn sie selbst nur nicht so von Sinnen gewesen wäre, hätte sie ihren Bruder vielleicht retten können.

Nun war alles, was von der altehrwürdigen Linie Farnellias übrig war, eine adoptierte Schwester und eine abermals verlobte Witwe. Von ihr ging der letzte Funken Hoffnung aus, wuchs in ihrem Bauch doch der einzige Sprösslings Vans heran.

Merle atmete gespannt aus. Obwohl sie und Hitomi sich offiziell im Streit getrennt hatten, hatte ihre Königen sie mit Aufgaben betraut, denen sie über Jahre hinweg nachkommen musste. Was kein Grund war, nicht jetzt schon damit anzufangen.

Die Katzenfrau schwang ihre Beine über den Bettrand und verließ die weiche Wolke. Stürmisch verließ sie ihre Koje und begab sich im Eilschritt zur Brücke. Dort sprach Gesgan mit dem Kapitän. Der hochgewachsene Krieger und ehemalige Spion Zaibachs war ihr Vertrauter und der Kopf der königlichen Leibwache, die leider die einzige militärischen Einheit in Farnellias war, die man ernst nehmen musste. Noch!

„Gesgan, ruf bitte alle Personen an Bord in die Messe.“, befahl Merle aufgekratzt.

Er hatte eine Anweisung dieser Art schon erwartet und war dennoch überrascht.

„Alle, euer Majestät? Ich denke, wir sollten nur die Wache einbeziehen.“

„Nein, alle!“, bekräftigte Merle. „Jeder, der für den Betrieb des Schiffs nicht unerlässlich ist, soll kommen. Was ich zu sagen habe, geht jeden etwas an.“

„Sehr wohl.“

Merle zog sich daraufhin wieder die Gästekabine zurück und tat etwas, was sie nur selten tat.

Sie betrachtete sich im Spiegel.

Meist war es ihr unangenehm sich selbst zu sehen. Nur selten mochte sie den Anblick. Darum hatte sie es im Gegensatz zu Van stets vorgezogen sich von Dienerinnen zurecht machen zu lassen. Sorgsam strichen ihre Hände über ihr weißes, elegantes Kleid. In ihren Kampfanzug wäre ihr zwar jetzt wohler, schließlich hatte sie ihre eigene Schlacht zu schlagen, aber es war die Zeit für Frieden und nicht für Gewalt. Dieses Signal musste ankommen.

Nervös atmete die junge Kriegerin tief ein, schloss ihre Augen und vertiefte sich in ihr Inneres. Ruhe wollte sich trotzdem nicht einstellen. Seit Van nicht mehr da war, war so vieles nicht mehr wie früher.

Die Gedanken wieder auf das Ziel fokussiert, stampfte sie der Messe entgegen. Für jeden, dem sie begegnete, musste sie einen komischen Anblick bieten. Erst vor der Tür zum Gemeinschaftsraum wurden ihre Schritte kleiner, ihre Haltung nahm weniger Raum ein und ihre Fäuste lösten sich auf. Allerdings blieb der Knoten in ihrem Kopf.

Ernst, aber ruhig schritt sie einmal quer durch die Messe, während sie die Leute um sich herum in Augenschein nahm. Meist begegneten ihr nur besorgte Blicke. Sie postierte sich an der Wand gegenüber der Tür und fragte offen in die Runde, ob jeder anwesend sei. Der Kapitän entschuldigte seinen ersten Maat und weitere Neuankömmlinge trudelten ein, getrieben von Gesgan, der hinter sich die Tür schloss. Nur Serena fehlte. Merle nahm an, dass Allens Schwester sich irgendwo im Schiff versteckt hatte. Da das Treffen sie eh nicht betraf, begann Merle:

„Ich weiß, ihr habt Fragen.“ Es stand ihnen förmlich ins Gesicht geschrieben. „Ihr wollt wissen, was passiert und was passieren wird, jetzt da Farnellia ohne Herrscher dasteht.“

„Werdet ihr etwa nicht herrschen?“, fuhr die Köchin dazwischen. Merle sah sie erst streng dann an, dann zeigten ihre Augen Nachsicht. Eigentlich hatte sie einen Vortag halten wollen.

„Nein, ein Königreich ist nicht wie eine Kombüse. Es zählt nicht Können sondern Blut. Und so sehr ich oder Van es uns auch gewünscht haben, wir sind nicht wirklich verwandt. Zudem hab ich aus Überzeugung Hitomi meine Treue geschworen.“

„Dieser machtgeilen Hexe!“, stänkerte Marco, ein Mitglied der Wache, und dieses Mal blieb Merles Blick hart.

„Du magst in ihrer Verlobung mit König Aston von Astoria eine Intrige sehen, für Hitomi ist es ein Opfer.“

„Sie wird der Königin eines der mächtigsten Reiche auf Gaia. Was für ein Opfer!“, warf die älteste der Dienerinnen Isabel dazwischen.

„Hast du Aston je gesehen? Er ist außerordentlich beleibt, schmierig und besitzergreifend. Er ist kein Mann neben den du aufwachen möchtest.“, gab Merle zurück. „Ich möchte, dass ihr euch alle das vorstellt! Stellt euch vor wie ein behaarter Bulle mit Nasenring auf euch liegt, euch niederdrückt, schnaubt und sich euch unbarmherzig aufzwingt, während Schmerz euch von innen zerreißt. Hitomi hat ihm einen Sohn versprochen und wird dieses Versprechen halten, sobald sie vermählt sind. Jede Nacht!“

„Woher...?“ stammelte Fee, die jüngste der Dienerinnen, dann erstickte ihre Stimme. Die Prinzessin studierte sie eingehend. Das Mädchen war eine der Waisen, denen Van Arbeit gegeben hatte, und sie wusste, wovon Merle gesprochen hatte.

„Aston hat seine erste Nacht schon eingefordert.“, erklärte die Katzenfrau unbarmherzig, während sie sich vornahm, später mit Fee einen privaten Plausch zu halten. „Ich hab sie am Tag danach gepflegt und getröstet.“

„Aber ihr habt euch doch zerstritten.“, warf Isabel ein.

„Ich mag mit ihr nicht einer Meinung sein, aber sie ist und bleibt meine Freundin.“ Eine Lüge sollte immer so nah wie möglich an der Wahrheit sein. „Sie hat ihren Weg gewählt, wie sie Farnellia retten wird. Ich hätte um ihretwillen gern nach weiteren Möglichkeiten gesucht, aber sie hat mich nicht gefragt, weder um Erlaubnis noch um Rat.“

„Sie hat auch das Volk damit überfallen. Ich fürchte, das kam gar nicht gut an.“, sagte der Kapitän und erntete Kopfknicken.

„Wäre es nicht möglich, das auch das ihre Absicht war?“, gab Merle zu bedenken. „Hitomi opfert sich nur zu gerne, wenn sie sich in der Pflicht sieht. Also stellt sie sich als Bösewicht dar, damit ich es leicht habe, die Heldin zu spielen.“

„Zu welchem Zweck?“, zweifelte Marco. Der redselige, junge Mann war genau die Art von Klientel die Hitomi beabsichtigt hatte in Merle Arme zu treiben.

„Um Vans Erbe zu schützen.“, begründete sie kurz und bündig, dann erklärte sie sich: „Van hat nicht Blut und Schweiß im Kampf gegen die Zaibacher vergossen, nur damit wir uns jetzt zufrieden geben, auf ewig ein Teil Astorias zu bleiben. Wenn sie jedoch unsere Sympathie erringt, würde damit auch das Reich Astoria in unserem Ansehen steigen. Jedenfalls denkt sie das.“

„Warum erzählst du uns das?“, erkundigte Gesgan sich mahnend. „Zerstörst du damit nicht ihr Opfer?“

Die Prinzessin lächelte ihn keck an.

„Wie gesagt, wir zwei sind nicht einer Meinung. Ich glaube nicht, dass diese Täuschung nötig ist. Farnellia hat auch so einen starken Hang zur Unabhängigkeit und mir gefällt der Stadthalter, den Asoria schicken wird, als Bösewicht viel besser. Außerdem werde ich sie nicht Aston überlassen!“

„Was habt ihr vor?“, fragte Fee hoffnungsvoll. „Befreit ihr sie?“

„Sie ist kaum eine Gefangene.“, widersprach Marco.

„Ihre Zelle mag golden sein, aber die Folterinstrumente stehen bereit. Das kann ich dir versichern.“, konterte Merle. „Leider können wir sie nicht daraus holen, solange ihr erstes Opfer, die Hochzeit mit Aston noch nötig ist. Ihr habt es sicher noch nicht gehört, aber die Friedenspflicht innerhalb der Allianz ist praktisch abgeschafft worden und keiner der Mitglieder möchte sich um den anderen kümmern. Deswegen heiratet Hitomi Aston und schmiedet so ein Bündnis mit Astoria. Wir haben kein nennenswertes Heer und da Van tot ist, auch keinen Heerführer.“

„Wie können kämpfen!“

„Glaubst du das wirklich, Marco?“, fuhr Merle ihn an. „Du warst doch auch auf der Mauer, als Astorias Bomber einfach so zweitausend Sklaven der Gezeichneten in Asche verwandelt haben, während wir unsere Stadt in Unterzahl mit Pfeil und Bogen verteidigen wollten.“ Sie hielt einen Moment inne und ließ ihren Blick schweifen. „Uns mangelt nicht der Wille zu kämpfen, aber uns fehlen Waffen und Hände, die sie halten können!“ Die Prinzessin lief den Halbkreis um sie herum ab, während sie weiter sprach. „Also ist es unsere dringendste Pflicht, uns nicht von der Zukunft verschrecken zu lassen und unser Volk wiederaufzubauen, indem Familien gründen und Kinder zeugen. Wir werden jedes einzelne brauchen, denn Astoria wird nur dann ohne Kampf abziehen, wenn wir sie durch Überzahl einschüchtern.“

„Überzahl bedeutet Astoria nicht viel.“, erinnerte der Gesgan.

„Deswegen müssen wir uns clever anstellen und Astorias Waffen stehlen, wenn die Zeit gekommen ist. Bis dahin dulde ich keine Gewalt, Marco! Außerdem bin ich mir sicher, Astoria wird auch unsere jungen Männer mit in den Militärdienst nehmen, um die Stadt so weiter ins Reich zu intrigieren. Sie sollten diese Gelegenheiten auf jeden Fall wahrnehmen und lernen mit Astorias Technologie umzugehen.“ Da kein Einwand kam, fuhr Merle fort. „Außerdem war ich sehr beeindruckt davon, wie seit den Zaibacher Kriegen sich kleine Gruppen in unserer Bevölkerung organisiert haben, um sich und anderen zu helfen. Wir sollten dieses Konzept ausbauen. Spannt eure Mitmenschen ein und bildet Teams. Baut Organisationen auf, die unsere Kinder in unserer Kultur bilden, denn Astoria wird ihnen diese garantiert nicht beibringen. Feiert Feste, trefft euch zu Diskussionen, richtet Armen- und Krankenhäuser ein. Seid wohltätig! Wir müssen das Leben auf der Straße so weit wie möglich unter unserer Kontrolle bringen.“

„Und wenn sie uns nicht lassen? Sie könnten uns jederzeit töten!“, wandte Marco ein.

„Dann wende ich mich an unsere Königin.“, versprach Merle. „Du magst es nicht glauben, aber wir haben eine Verbündete in Astoria. Und wir werden sie befreien, sobald wir uns selbst helfen können.“ Dann fasste sie zusammen: „Hitomi verschafft uns die Zeit, die wir brauchen, um wieder ein starkes Volk zu werden. Wir werden sie nutzen, indem wir unsere Bindungen stärken, sei es in der Familie durch Kinder, oder in Gesellschaft durch Einsatz. Wir werden unsere Traditionen bewahren und auf den Tag hinarbeiten, da unser Land wieder unabhängig sein wird. Und damit wir uns richtig verstehen, dieses Gespräch hat nie stattgefunden. Wenn Astoria Wind von diesem Plan bekommt, wäre er nur zu einfach zu vereiteln.“

„Wie soll Farnellia eure Anweisungen ausführen, wenn wir sie nicht weiter sagen dürfen?“, erkundigte sich der Kapitän verdutzt.

„Ich vertraue auf den Eifer eines jeden von euch hier im Raum mehr als genug ist um alle anderen anzustecken. Ihr werdet für das Vorbild für die Farnellias Einwohner sein. Aber das könnt ihr nicht von diesem Schiff aus. Deswegen kehrt die Katzenpranke nach Farnellia zurück, sobald ich in Chuzario gelandet bin.“

„Werdet ihr Farnellia anführen, wenn es je wieder frei sein sollte?“, wiederholte die Köchin ihre Frage.

„Nein, genauso wenig wie ich euch davor anführen werde. Ich werde mich höchstens dann und wann einmischen, wenn Dinge drohen aus dem Ruder zu laufen. Vans Nachfolger wird durch Escaflowne bestimmt werden. Schließlich kann er nur von jemanden königlichen Blutes geöffnet werden.“, antwortete Merle und biss sich auf die Lippe. Am liebsten würde sie Hitomis Geheimnis jetzt ausplaudern. „Wer weiß, vielleicht folgt irgendwann ein ferner Verwandter Vans den Ruf des Drachen? Bis dahin werdet ihr euren eigenen Weg finden müssen.“

„Was werdet ihr tun? Bleibt ihr im Exil und lasst es euch bei Freundin, der Königin von Chuzario, gut gehen?“, erkundigte sich Marco vorlaut. Merle nahm sich vor ihm in nicht allzu ferner Zukunft Manieren beizubringen.

„In paar Monaten kehre ich unauffällig nach Farnellia zurück. Ich hab auch schon eine Idee, welchen Beitrag ich der Gesellschaft leisten werde. Aber zuvor begebe ich mich auf die Jagd nach Vans Mörder!“

„Ihr wisst, welcher Gezeichnete ihn getötet hat?“

„Ja und dir werde ich es nicht verraten. Nicht, dass du mir noch folgst oder selbst losziehst.“

„Ich kann kämpfen!“, donnerte Marco, doch er verstummte jäh, da Merle mit zwei langen Schritten bei ihm war, ihn packte, seine Beine mit ihrem Fuß sichelte und ihn aufs Deck schmetterte. Er schrie kläglich auf und wandte sich unter ihrem festen Griff.

„Nein, kannst du nicht! Nicht gegen diesen Gegner!“, belehrte sie ihn lautstark.

„Ich muss meinen König rächen“, krächzte der junge Soldat, aber Merle drückte ihre Finger unter seiner Kehle noch fester zusammen.

„Van war auch mein König und mein Bruder.“, stellte sie verbittert klar, während er immer noch strampelte. „Es ist meine Aufgabe ihn zu rächen. Deine Aufgabe ist es ihn stolz zu machen, indem du sein Erbe bewahrst.“ Dann ließ sie von ihm ab und bot ihm ihre Hand an. „Ich vertraue es dir und allen anderen in Farnellia an.“ Doch Jüngling wandte seinen Blick ab, stand ohne ihre Hilfe auf und verließ wortlos die Messe. Nach ein sehr langen Momenten betretenden Schweigens rief Gesgan erbost Marcos Namen und stürmte ihm hinterher.

Merle hingegen war zum Heulen zu mute. Alle Kräfte verließen sie und einmal mehr wurde sie sich bewusst, dass sie nicht hier sein sollte. Da trat der Kapitän an ihre Seite und verneigte sich.

„Wir werden euch folgen, euer Majestät.“, verkündete er feierlich, aber alles, was Merle tun konnte, war ihre niedergeschlagene Mine mit einem gequälten Lächeln zu übertünchen.

„Danke, aber ich wäre jetzt gern allein. Ich geh zurück in meine Koje.“, flüsterte sie erschöpft. Ehe sie jedoch den Raum verließ, sah sie zurück. „Fee, würdest du mir bitte eine Tasse Tee und etwas Schokoladengebäck bringen?“

„Sehr wohl.“, bestätigte das Mädchen überrumpelt. Nachdem Merle die Tür der Messe hinter sich geschlossen hatte, nahm Isabel sofort die minderjährige Dienerin zur Seite und deckte sie mit Ratschlägen und Anweisungen ein, während die Köchin in die Kombüse eilte um Wasser aufzusetzen.

Tosender Empfang

Wieder einmal fühlte sich Merle falsch.

Staunend blickte sie von der niedergelassenen Rampe ihres Luftschiffs auf die Allee aus Soldaten in schillernden Paradeuniformen und präsentierten Speeren. Hinter ihnen stand ein Meer aus jubelnden Menschen, die mit bunte Tüchern winkten. An der Spitze der Ehrenformation stand Sophia, Chuzarios Herrscherin höchstpersönlich, mit einem kleinen Stab aus hochrangigen Offizieren und reich gekleideter Beamter. Oder waren es gar ihre Minister?

Statt ihr Schiff zu einem Militärflughafen zu lotsen, hatte man es auf einem Marktplatz der einstweiligen Hauptstadt Chuzarios landen lassen. Natürlich hatte niemand ihr etwas gesagt. Bastarde! Kein Wunder, dass sie in eins ihrer üppigsten Kleider gezwungen worden war.

Nervös lächelnd hob sie ihre Hand zum Gruß. Nach schier unendlichen Augenblicken voller Unbehagen stupste sie Gesgan von hinten an und sie folgte seinem Weckruf. Bedächtig schritt sie das glatte Metall bis zum ersten Pflasterstein hinab. Hoffentlich bewegte sie nicht so tollpatschig, wie sie sich fühlte.

„Willkommen, eure königliche Hoheit!“, begrüßte Sophia sie unten freundlich. Eigentlich war die Monarchin jünger als das Katzenmädchen, doch in ihrem Dunkeltürkisen, züchtigen Kleid und dank des hochgesteckten Haars wirkte sie älter und eleganter...reifer. Einmal mehr wurde Merle vor Augen geführt, was ihr fehlte. Wie sollte sie je all der Erwartungen, die ihr entgegen schlugen, gerecht werden?

„Danke, es ist schön hier zu sein, euer Majestät.“, gab sie peinlich berührt zurück und erwies der Herrscherin die Ehre. Nach einem unbehagliche Momenten des Stillstands wandte sich die Katzenprinzessin um und stellte allen Anwesenden sowohl Serena vor, die in ihrem himmelblauen Kleid wortkarg knickste, als auch ihre beiden männlichen Begleiter. Sie verschwieg wohlweislich, dass der Jüngling ein verurteilter Dieb und Gesgan, der ältere, ein ehemaliger Spion der Zaibacher war. Dafür betonte sie seinen Status als ihr Mentor. Beim Dieb hatte sie noch nie erlebt, dass er Nerven zeigte. Als Sophia ihm die Hand zu Kuss reichte, war es endlich soweit.

Chuzarios Machthaberin stellte daraufhin ihr Gefolge vor. Merles Eindruck bestätigte sich. Es waren ihre Topgeneräle und Minister. Wozu der ganze Aufriss? Beim folgenden Plausch wurde keiner der Anwesenden müde ihr sein Mitgefühl auszudrücken. Das Mädchen stellte überrascht fest, dass dabei kaum leere Plattitüden gebraucht wurden. Van hatte zusammen mit Chuzarios Truppen in der letzten Schlacht gegen die Zaibacher gekämpft und das so geknüpfte Band hielt offenbar noch.

Schließlich unterbrach Sophia milde den Ansturm an Beileidsbezeigungen. Sie hakte sich bei dem Mädchen ein und führte sie an den Spalier stehenden Gardisten vorbei in eine überdachte Kutsche, vor der vier Schimmel gespannt waren. Auf der gepolsterten Bank im Innern saßen die beiden dann allein beisammen, vertieft in ein belangloses Gespräch über die Reise, bis das Gefährt sich in Bewegung setzte. Sofort nachdem die Hufe der Pferde begannen lautstark aufzuschlagen, umarmte Sophia ihre Freundin innig.

„Wie geht es dir?“, erkundigte sie sich besorgt.

„Es geht. Danke.“, beruhigte Merle sie lächelnd und schluckte den Klos in ihrem Hals runter. So recht wollte er aber nicht verschwinden. Sophia ließ ein Stück weit von ihr ab, behielt ihren Arm aber auf den schmalen Schultern des Mädchens.

„Wir hatten bei Vans Beerdigung leider keine Zeit zum Reden.“, bedauerte sie. „Du hattest ja nicht eine Minute für dich!“

„Hitomi hat mit ihrem Verhalten für viel Verunsicherung gesorgt. Die Leute wollten darüber reden. Und da ich Mitglied des Hofes war...“, berichtete Merle und wiederholte in Gedanken: Ich kann das nicht!

„Ja, die Kunde ihrer erneuten Verlobung kam mit Sicherheit nicht gut an.“, stimmte Sophia zu. „Wie hast du sie aufgenommen?“

„Wie wohl?“, erwiderte Merle trocken. „Ich war verletzt, fühlte mich verraten und bin an die Decke gegangen, als sie Aston ihre Hand angeboten hat.“

„Da warst dabei?“

„Ja!“, spie Merle und verzog ihren Mund zu einer Fratze voll von Galgenhumor. „Die Bombe hat mich voll erwischt. Ausgetickt bin ich und gerannt...wie ein kleines Mädchen...vor aller Augen, die in Farnellia Rang und Namen haben!“

„Du darfst nicht schlecht von Hitomi denken.“, erklärte Sophia behutsam. „Sie heiratet Aston aus Liebe zu Farnellia.“

„Nein, sie hegt gegenüber Farnellia keine Heimatgefühle.“, korrigierte Merle sie hart. „Sie liebt einzig und allein Van. Sein Volk war ihm wichtig, also opfert sie sich.“

„Dann weißt du, warum sie das tut?“, erkundigte sich Sophia erleichtert. „Ich war schon in Sorge!“

„Ich könnte sie hassen?“ Merle schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Nein, sie hat mir alles erklärt. Sie braucht Astorias Armee, um Farnellias Nachbarn in Schach zu halten.“ Das Mädchen hielt inne und presste ihre Nägel in die Handinnenflächen. Der Schmerz erleichterte ein wenig ihr Gewissen. „Ich versteh ihre Gründe, aber einverstanden bin ich nicht. Es muss einen besseren Weg geben!“

Sophia marterte ihr Hirn auf der Suche nach einem anderen Thema. Etwas, das ein Mädchen abzulenken vermochte...

„Wer ist der junge Mann wirklich, den du mitgebracht hast? Er wirkte nicht wie eine Wache.“

„Er ist eher ein Schatten als ein Schild. Er kämpft wie ich mit Dolchen und kann sich an eine Zielperson heften ohne bemerkt zu werden. Ganz gleich ob jemanden beschützt oder verfolgt...oder beides. Ich hatte gehofft, du könntest ihn und Gesgan anstellen. Beide können sehr diskret für deine Sicherheit sorgen.“

Falsches Thema!

„Nur zu gern. Mit deiner Empfehlung kann jeder bei mir anfangen.“

Angesichts der überschwänglichen Zusicherung sackte Merle zusammen.

„Was hast du?“, fragte Sophia, während sie sich leicht zu dem Mädchen runter beugte, um ihren Blick wieder einzufangen.

„Nichts.“, versicherte sie beschämt. „Ich bin nur müde.“

„Du hattest wirklich keine freie Minute mehr in letzter Zeit, nicht wahr? Ich wohne im Rathaus. Dort hast du ein paar Räume für dich ganz allein. Niemand wird dich stören, wenn du es wünscht. Dafür wird Antheia sorgen.“

„Antheia?“

„Deine Sekretärin.“, erklärte Sophia. „Sie arbeitet für dich und wird dir alle Wünsche von den Lippen ablesen, solange du bleibst. Sie hat viel Erfahrung darin Termine zu organisieren und Dinge zu besorgen.“

„Termine?!“, erwiderte Merle verwirrt.

„Aber ja! Glaubst du, Chuzario lässt seine Heldin nach so einem Empfang einfach ziehen? Morgen findet sogar ein Ball zu deinen Ehren statt.“, zweifelte Sophia heiter und fügte dann mit milder Strenge hinzu: „Auch wenn du dich hier erholen sollst, musst du wenigstens ab und zu in ein paar Kasernen, Krankenhäusern oder Schulen besuchen. Es gibt dort viele, die in Sarion durch die Gezeichneten alles verloren haben und deine Aufmunterung brauchen.“

„Heldin?!!!“, blaffte das Katzenmädchen entsetzt.

„Du weißt es noch gar nicht.“, realisierte Sophia erstaunt. „Der Bericht der Einheiten, die du während des Massakers in unserer Hauptstadt angeführt hast, ist irgendwie an die Öffentlichkeit gelangt. Praktisch jeder Haushalt in Chuzario hat ein Exemplar davon. Sie alle wissen aus erster Hand, wie viel du für uns riskiert hast.“ Ihre Lippen legten ein süffisantes Lächeln auf. „Man sagt, der Soldat, dem du auf die Stirn geküsst hast, hat sie sich bis heute nicht gewaschen.“ Merle schlug wimmernd die Hände vors Gesicht und die Herrscherin fragte verblüfft: „Ist dir das peinlich?“

„Ich kann das einfach nicht!“, rief das Katzenmädchen verzweifelt. „Ich bin keine Heldin, ich bin ja nicht mal eine Prinzessin! Eine Hochstaplerin, das bin ich!“

„Komm her.“, tröstete die Sophia und drückte sie an sich. „Du bist so viel mehr. Vergiss das nie!“ Ihre zierliche Hand kraulte das dichte Haupthaar dicht hinter den spitzen Ohren. „Tausende Bürger Chuzarios verdanken dir ihr Leben. Ohne deine Warnung und deinen Einsatz hätten die Sklaven der Gezeichneten die Stadt widerstandslos überrannt. Nur durch dich hatten wir Zeit zum Evakuieren.“

„Van hatte mich geschickt. Ohne Allen hätte ich nichts davon tun können!“

„Und? Du hattest Hilfe. Warst du es nicht, die mir den Rücken freigehalten hatte, als ich meinen Thron eroberte?“

„Aber jetzt hab ich niemanden mehr!“, brach es Merle heraus. „Van ist tot und meine Einheit existiert nicht mehr!“

„Hitomis Hochzeitplänen stehst du auch im Weg.“, führte Sophia ihren Gedanken weiter, während sie nach Alternativen kramte. „Was ist mit Allen?“

Merle biss sich auf die Lippen. Allein sein Name reichte aus, um ihre Gefühle ins Chaos zu stürzen.

„Er hat Farnellia angegriffen.“

„Um seine Schwester zu beschützen und im vollen Vertrauen darauf, dass Hitomi ihn aufhalten würde. Hat sie mir jedenfalls erzählt.“

„Das entschuldigt gar nichts!“, fauchte Merle. „Außerdem ist er gerade sonst wo!“

„Behältst du deshalb seine Schwester in deiner Nähe?“, hakte Sophia schmunzelnd nach. „Damit er zurückkommt und dich um Verzeihung bittet?“

„Kein Kommentar.“, verkündete Merle, verschränkte die Arme und schmollte. Ihre Freundin konnte sich ein kurzes Kichern nicht verkneifen. Danach stimmte sie in die Stille ein und kam schließlich zu einer Entscheidung.

„Verlass dich auf mich.“, schlug sie leise vor.

„Was?“ Merle traute ihren Ohren nicht.

„Verlass dich auf mich!“, wiederholte sie etwas lauter. „Wenn du ein Anliegen hast, dass Antheia nicht lösen kann, lass sie einen Termin für dich bei mir besorgen. Wenn du solange nicht warten kannst, komm sofort. Ich helfe dir so gut ich kann. Und als Herrscherin dieses Landes kann ich ziemlich viel.“

„Kannst du als Farnellias Schutzmacht einspringen?“, sprang Merle in die Bresche.

„Nein.“, lehnte Sophia seufzend ab und sah sich mit einer enttäuschten Katze konfrontiert. „Ich kann vieles, aber nicht alles.“ Da Merle wieder in Schweigen verfiel, fuhr sie fort: „Ich hasse diesen Gedanken, aber Hitomi hat für uns alle das Richtige getan. Farnellia bleibt offen für Handel und ist sicher. Diesen Spagat kann ich unmöglich leisten.“

„Hast du eine Ahnung, was sie dafür alles erleiden muss?!“, fuhr Merle sie entsetzt an. „Sie wird von Aston vergewaltigt werden! Jede Nacht!“

„Nein, hab ich nicht.“, gab Sophia niedergeschlagen zu. „Glücklicherweise liebe ich meinen Verlobten.“

„Dass du ihn dir aussuchen konntest, hast du mir zu verdanken.“

„Ich weiß.“

Das Katzenmädchen ließ ihren Kopf fallen.

„Arrangier ein Treffen mit Dryden Fasa für mich.“, verlangte Merle daraufhin kaum hörbar.

„Was? Warum?“

„Ich werde Hitomi in Astoria nicht allein lassen! Und Dryden wird mir dabei helfen.“

Urlaub

Merle stand aufrecht auf einen Schemel und streckte geduldig die Arme von sich weg. Um sie herum huschte emsig eine Näherin und nahm Maß. Laut verkündete sie die genommen Werte ihrer Helferin, die leicht Abseits stand und notierte. Neidisch betrachtete das Mädchen die beiden einfachen Kleider der beiden Frauen. Sie selbst würde wohl die nächsten Wochen nur noch im Bett nicht von Pfunden an Stoffen, Schnüren und Schmuck erdrückt werden.

Angesichts des geringen Unterschieds der Weite ihrer Taille und ihrer Brust gesellte sich Selbstzweifel zum Neid. Sie war wahrlich keine begehrenswerte Frau. Beweise dafür gab es nun Schwarz auf Weiß.

„Ich versteh immer noch nicht, warum du dir das hier antust.“, kommentierte Serena feixend von der Seitenlinie in Form einer Stuhllehne.

„Ich werde Sophia nicht enttäuschen.“, begründete Merle ihre Haltung. „Wegen der Gezeichneten im Land wird in Chuzario nur selten gefeiert. Sie freut sich sehr auf das Fest, dass sie meinetwegen veranstaltet.“

„Hast du das Ungetüm gesehen, dass du tragen sollst?“

Merles Blick fiel auf das ausladende Kleid, das eine lebensgroße Puppe zierte. So weit wie das Becken ausstaffiert war, musste sich unter Oberfläche ein kompliziertes System an Unterröcken, Polster, und Ösen verbergen. Auch die schmalen Schuhe mit den hohen Absätzen sollten sie noch vor Herausforderungen stellen.

Auf der anderen Seite war das Kleid ein Traum. Verziert mit Schärpen und Schleifen fiel der dunkelrote Ton des Oberkleids unterschiedlich aus, je nachdem von wo das Licht kam. Das Dekolleté war weit und die Taille schmal. Für Merle war es ein Rätsel, wie sie reinpassen sollte. Serena hingegen…

„Warum trägst du es nicht?“, forderte sie die blonde Frau heraus.

„Ich?“

„Natürlich! Du wolltest mich doch beschützen.“

„Eure Hoheit, das ist unmöglich.“, belehrte die Näherin die Prinzessin säuerlich. „Fräulein Serena hat bereits ein Kleid. Sie ist als eure Begleitung für das Fest vorgesehen.“

„Was?…Warum sollte ich kooperieren?“, verlangte sie lautstark zu wissen.

„Mir zuliebe.“, bat das Katzenmädchen, das ihre Rettung kommen sah. Die großen Kulleraugen schmolzen Serenas Widerstand dahin.
 

„Schau mal, was ich gemalt habe!“

Große Kulleraugen starrten Merle erwartungsvoll. Sie und Serena hatten das Ausleuchten ihrer Körper am Morgen gerade so überstanden und schon stand der nächste Termin auf dem Plan: Ein Mittagessen in einer örtlichen Schule. Wenigstens konnten sie normale Kleider tragen. Vom Essen wollten die Kinder allerdings nicht wissen. Die sonderbare Alte mit dem buschigen Schwanz war viel interessanter.

Merle legte ihre Hand auf die schmalen Schultern des Mädchens und senkte ihren Kopf, bis sie beide auf Augenhöhe waren.

„Toll, das sieht wunderbar aus!“, lobte sie das kleine Geschöpf überschwänglich. Auf dem Bild war drei bunt gekritzelte Gestalten unterschiedlicher Größe. Die Figur in der Mitte hatte grobe Braunstriche am Kinn, während die Figur rechts ein mit Schwarz umrandetes, schmales Kreuz in der Hand trug. Ein Schwert? Die Figur links war ein Kegel mit Kreis und zwei Armen, von denen einer einen Kreis mit einem Griff daran hielt. „Ist das deine Familie?“

„Ja, ich hab sie doch super getroffen, oder?“ Das Kind lachte über beide Ohren.

„Hält dein Onkel ein Schwert?“

„Das ist mein Bruder, nicht mein Onkel! Er ist weit weg.“

Falsches Thema, entschied Merle, angesichts des Schattens, der sich auf das Kind gelegt hatte.

„Und was hält deine Mutter in der Hand?“

„Eine Pfanne. Siehst du das denn nicht?“, ärgerte sich die Kleine. „Papa sagt immer, sie macht damit mehr Schaden als mein Bruder.“

Aua, schloss sie und entschied, auch das Thema nicht zu vertiefen.

„Warum bist DU eigentlich hier?“

„Was meinst du?“, fragte die Besucherin verwundert.

„Papa sagt, dass du gegen die Dämonen kämpfst. Warum bist du dann nicht weg, so wie mein Bruder?“

Ihr stockte das Herz.

„Hestia Liebes, iss bitte weiter.“, sprach ein freundliche Frauenstimme das Kind von hinten an. „Die anderen sind schon fast fertig.“

„Na gut.“, murrte das Mädchen.

Froh darüber, sich wieder dem faden Gemüse widmen zu können, beugte sich Merle über die Schüssel vor ihr. Indes spukte die Frage des Mädchens ihr durch den Kopf.
 

„Tut mir Leid.“, entschuldigte sich später die Erzieherin, die Merle aus ihrer misslichen Lage befreit hatte. „Sie sind manchmal etwas direkt.“

„Nein, mir tut es Leid.“, erwiderte sie niedergeschlagen, während sie den Kleinen im engen Gang zuwinkte, die in ihre Klassenzimmer verschwanden. „Ich hab nicht viel Erfahrung mit Kindern.“

„Ich lerne jeden Tag etwas dazu.“, beruhigte junge Frau die Kriegerin. „Es ist beneidenswert, wie sie mit dem Krieg umgehen. Trotz der Angst um ihre Verwandten und der Sorge ihrer Eltern finden sie immer wieder Grund zu Freude.“

„Sie bekommen wohl mehr mit, als gut für sie ist.“, folgerte Merle betroffen. Die Erzieherin seufzte.

„Leider ja. Obwohl die meisten Eltern sich viel Mühe geben, alles Leid von ihnen fern zu halten. Aber sie sind halt Kinder.“ Sie warf Merle einen scharfen Blick zu. „Im Spiegel halten macht ihnen keiner etwas vor.“

„Fragen sie sich ebenfalls, warum ich nicht gegen die Gezeichneten in die Schlacht ziehe?“, konfrontierte Merle die Frau müde.

„Ich hätte gern eigene Kinder, kann aber keine bekommen, weil mein Mann im Feld kämpft. Und die große Heldin, die so viele Gezeichnete wie kein anderer erschlagen haben soll, steht neben mir.“

Serena, die sich ein paar Meter abseits gehalten hatte, kam der Bedrängten zur Hilfe.

„Die Kinder sind zurück in ihren Klassen. Wir sind hier fertig!“, verkündete sie entschieden.
 

„Danke Serena, ich schulde dir was.“

Erschöpft sank Merle auf die gepolsterte Bank im Salon ihrer Unterkunft. Das Frühstück mit Serena war ja noch nett gewesen, obwohl sie gut und gern auf die ständigen Blicke der Dienerin und dem Vortrag ihrer Sekretärin hätte verzichten können. Die Anprobe ihres Kleids sowie das Mittagsessen in der Schule hatten ihr jedoch sämtliche Kräfte geraubt. Und der Tag war noch jung!

„Ich versteh immer noch nicht, warum du dich freiwillig dieser Hölle aussetzt.“, stichelte ihre Begleitung.

„Hitomi zuliebe.“, flüsterte das Katzenmädchen kaum hörbar und erstickte damit die Diskussion im Keim. Sie brauchte den Spross unter dem Herz ihrer Königin nicht zu erwähnen. Sie wusste, dass Serena gelauscht hatte, als sie Merle die frohe Kunde überbracht hatte.

Triste Stille senkte sich herab.

Merle gab sich einen Ruck: „Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Vor ein paar Wochen war ein solches Pensum noch wie Urlaub. “

„Du bist ein Schatten deiner Selbst.“, eröffnete ihr Serena unbarmherzig. „Dein Geist ist durch deinen Verlust geschwächt und dein Körper...Wann hast du das letzte Mal trainiert?“

„Vor dem Angriff der Gezeichneten auf dem Übungsplatz in Farnellia. Van hatte mich damals ins Bett geschickt, weil ich es übertrieben hatte.“, erinnerte Merle sich melancholisch.

„Hast du Lust eine Runde durch die Stadt im Laufschritt zu drehen?“, bot ihr Serena an.

„Nein, du musst mich schon zwingen.“

„Schön, hiermit zwing ich dich.“

Merle gab sich kampflos geschlagen: „Na gut. Wie wäre es mit heute Abend. Wenn ich mich recht erinnere, hab ich dann zwei Stunden frei.“

„Wie wäre es mit Jetzt?“, erwiderte Serena hitzig. „Hier hältst du dich immer an andere. Ist vielleicht nicht genau das dein Problem? Als du die Gezeichneten in Chuzario ausgeschaltet hast, hattest du das Kommando. Du konntest tun, was du am besten kannst.“

„Töten?“

„Kämpfen! Bis Van in Farnellia eintraf, hast du die Verteidigung der Stadt gegen das Herr der Gezeichneten organisiert und die Evakuierung vorbereitet. Und was machst du jetzt?“

„Ich jage!“, eröffnete ihr Merle eindringlich. „Wir sind hier in Chuzario, dem Herz der Gezeichneten Seuche. Die Front ist nur eine Tagesreise entfernt und Nachrichten von dort treffen stündlich ein. Wenn sich Trias bei seinen Sklaven versteckt, werde ich hier am schnellsten davon erfahren. Außerdem ist Sophias Verlobter Antigonos wie Trias ein Abkömmling des Drachenvolkes und hat bereits ihn vor langer Zeit schon einmal aufgespürt. Wer wäre besser geeignet mir beizubringen, wie man dieses Scheusal von Vans Mörder töten kann?“

„Von Antigonos ist weit und breit nichts zu sehen.“, hielt Serena dagegen. „Selbst bei deinem Empfang war er nicht dabei.“

„Laut Sophia ist er auf einen Botengang zu seinem Volk und bereits überfällig. Er sollte jeden Tag eintreffen.“

„Außerdem bezweifle ich ernsthaft, dass du irgendetwas von Trias zu hören bekommen wirst. Sophia wird solche Neuigkeiten von dir fernhalten wollen und als zukünftige Königin sitzt sie am längeren Hebel.“

Merle lächelte listig. „Deswegen hab ich mich ja zu Ball breit schlagen lassen. Dort werden allerhand hochrangige Offiziere zugegen sein, die exzellent unterrichtet werden.“

„Soll heißen, du hast alles im Griff und ich hab mich umsonst so aufgeführt.“, realisierte die sonst souveräne Serena. Ihr Freundin war sich dessen nicht so sicher.

„Nein, einen wunden Punkt hast du getroffen.“, gab sie bedrückt zu. „Ich muss an meiner Verfassung arbeiten. So wie jetzt bin ich für keinen Gezeichneten eine Herausforderung.“

„Das heißt, heute Abend gehört dein Arsch mir?“

Das Katzenmädchen zog eine Grimasse, gab sich jedoch einen Ruck.

„Ja, tut er!“

Trotz ihrer hellblonden Haare und den blauen Augen ließ das boshafte Lächeln Serenas Merles Knie schlottern.

Sei stolz!

Im langen Laufschritt bahnte sich das Katzenmädchen ihren Weg durch die bevölkerte Straße vor ihr an hohen Gebäuden aus Sandstein vorbei. Die ehemals weiten weißen Leinen ihres Trainingsanzugs waren inzwischen Grau und klebten an ihrem kräftigen Körper. Die hohen Zinnen des Rathaus, in dem sie zu Gast war, kamen näher, immer näher und doch konnte sie die blonde Frau hinter sich nicht abschütteln. Als sie schließlich die weiten Türen des Machtzentrums Chuzarios erreichte, war Serena nur wenige Meter hinter ihr.

„Und du willst außer Form sein?“, fragte sie Merle schwer atmend, während sie sich auf ihre Knie stützte.

„Wäre ich Vollbesitz meiner Kräfte, hättest du mich nach der ersten Kurve verloren.“, antwortete sie zwischen in ihren schweren Atemzügen. Serena schüttelte verärgert den Kopf.

„Soll ich jetzt den Schwanz einziehen oder vor Ehrfurcht erstarren?“

„Sei Stolz. Auf dich selbst.“, gab Merle kleinlaut zurück. „Es wird frisch. Lass uns rein gehen.“

Die Wachen vor den Flügeltüren des Rathaus empfingen die Frauen mit gehobenen Brauen. Im respektvollen Abstand zueinander betraten sie das hohe Foyer und gingen Zielstrebig zum Trainingsraum, der ursprünglich für die junge Monarchin Chuzarios eingerichtete worden war. Dieser enthielt bis auf ein Gestell, gespickt mit Waffenattrappen, keinerlei Einrichtung. Sie legten ihre Schuhe und ihre Fußbekleidung ab, ehe sie sich auf den Holzboden wagten. Die Herrin des Hauses hatte diese Regel aufgestellt. Andächtig fühlte das Katzenmädchen das schnörkellose Holz unter ihren Pfoten. Sie musste zugeben, ihr gefiel die Vorschrift.

Serena schnappte sich ein langes Holz in Form eines Langschwerts, während Merle sich zwei kurze Stäbe nahm.Um deren ungewohntes Gewicht zu prüfen ließ sie die schmalen Zylinder in ihren Händen kreisen. Ihre Gegnerin hingegen fixierte sie bereits mit der Spitze ihrer Klinge.

„Fertig mit spielen?“, spottete sie streng und griff an. Mit einen langen Schritt trieb sie die Waffe beidhändig auf Merle Mitte zu, die diese erst mit ihrer erhobenen Linke fixierte um dann mit ihren rechten ein Streich gegen Serenas Unterleib zu führen.

Von der Wucht und den Überraschungsmoment getroffen klappte sie auf ihren Knien zusammen. Einen Moment sahen sich die Frauen stumm an, ehe sich die Menschenkriegerin mit wildem Gebrüll vom Boden katapultierte. Merle trat seelenruhig beiseite und stellte ihr einen Fuß in den Weg. Nun machte Serena wieder Bekanntschaft mit den Boden. Sie hatte so gar nichts von ihrem eleganten Bruder, stellte das Katzenmädchen amüsiert fest.

„Genug.“, unterbrach die Stimme einer jungen Frau den Kampf.

Überrascht blickte Merle zur Tür. Sie hatte die erfrischende Auseinandersetzung mit ihrer Freundin wohl zu sehr genossen.

Zwischen den beiden Pfosten hatte sich unbemerkt eine kleine Gruppe aus Zuschauern gebildet, angeführt von Sophia, die Glanz und Gloria ausstrahlte wie eh und je. Begleitet wurde sie von einer Dame mittleren Alters, die Merle seltsam fremd erschien. Vielleicht lag es daran, wie sie sich in ihrem Kleid unbehaglich wand. Vor ihr hielt sie einen Bub, ebenfalls angemessen ausstaffiert, der die Prinzessin mit großen Augen betrachtete. Seine Haut war beinahe so schwarz wie sein kurzes, krauses Haar. Mit seinen Händen umklammerte er einen Trinkbecher. Er konnte nicht älter als zehn Jahre sein. Die Köpfe weiterer Umstehende lugten hinter den Besuchern hervor.

„Eure Majestät, welch unerwartete Freude.“, begrüßte Merle sie höflich. Eine von Sophia Augenbraue zuckte, doch dann bemerkte sie die Leute hinter sich. Genervt streifte sie ihre Schuhe ab und bat ihre Begleiter es ihr gleich zu tun. Die ungebeten Zeugen ließ sie mitsamt der Fußbekleidung hinter der sich schließenden Tür zurück.

„Merle, ich möchte dir Frau Lavellan vorstellen.“, eröffnete sie ihr Anliegen und wies dabei auf ihre brünette Gefolgschaft. „Sie ist eine Gesandte des Drachenvolkes und begleitet den jungen Herrn vor ihr, Koami.“ Sie ermunterte den Jungen mit einer Hand auf der Schulter vorzutreten. „Er stammt vom Mond der Illusionen.“

„Von der Erde?“, fragte sich Merle überrascht. Der Junge nickte zögernd.

„Er möchte euch etwas zeigen, Herrin.“ melde sich Lavellan respektvoll zu Wort. Sie nahm ihm das Gefäße ab und legte ihre Hand über seine Augen. Über Sophia gelangte der Becher in die Hand von Merle. Verstohlen flüsterte die Königin ihr zu, sie solle sich zu einem beliebigen Punkt im Raum begeben. Das Katzenmädchen begutachtete die klare Flüssigkeit im Becher und schloss aus der Scharade, dass der Junge wie Hitomi über übersinnliche Fähigkeiten verfügen musste, die es nun zu demonstrieren galt. Also schlich sie sich in einem zufälligen Winkel vom Jungen weg.

„Wo ist das Wasser, Koami?“, fragte die Drachenvolkgesandte. Er zeigte zielsicher auf Merle, die beeindruckt pfiff.

„Wie hast du das gemacht?“

„Das Wasser in deiner Hand bewegt sich wenig. Das Wasser in Menschen bewegt sich viel.“

„Du kannst Wasser spüren?“

„Wenn ich meine Augen schließe, kann ich es fast sehen.“, antwortete er voll naiven Stolzes.

„Koami ist eines der Kinder, das wir euch anvertrauen möchten, Herrin“, klärte Lavellan sie auf. „Wasser zu finden, ist die spezielle Ausprägung seiner Gedankenkräfte.“

„Du bist anders!“, teilte der Junge Merle noch immer verblüfft mit.

„Anders?“

„Nicht so wie die Katzen aus meiner Heimat.“

Ein weiteres Mal sprang die Frau des Drachenvolks ein.

„Als wir...unseren Gästen vom Mond der Illusionen euch beschrieben, wollte keiner uns glauben, dass es auf Gaia Katzen in Menschengestalt gibt. Keiner bis auf Koami.“

„In meiner Heimat gibt es Katzen so groß wie Menschen.“, erklärte der Junge. „Aber du siehst ganz anders aus.“

Katzen so groß wie Menschen, staunte Merle. Meinte er wirklich Katzen und eher solche Mischwesen wie sie eins war?

Unterdessen suchte Sophia die Nähe zu Serena, die sich unauffällig in eine Ecke zurückgezogen hatte.

„Lass die beiden sich kennen lernen.“, flüsterte sie ihr zu. „Ich begleite dich auf dein Zimmer.“

Allens Schwester wollte protestieren, doch Merle nickte ihr unauffällig zu, also fügte sie sich. Widerwillig legte sie ihr Holzschwert ab und folgte der Königin ohne wirklich zu verstehen, was vor sich ging. Zusammen traten sie in den Flur.

„Hast du Lust auf einen Ausflug?“, fragte sie die junge Frau neben sich, nachdem beide die erste Biegung genommen hatten. Wieder wusste Serena nicht, was sie erwidern sollte. „Es gibt das etwas, wobei du mir helfen kannst.“, fuhr Sophia fort.

„Sehr gern, Exzellenz...eh, ich meine eure Majestät. Ich zieh mich nur schnell um.“

„So wie du bist, bist du perfekt. Nur ein Mantel gegen allzu neugierige Augen wäre angebracht.“

Kaum waren diese Worte ausgesprochen, da legten schon zwei geübte Hände Serena einen schwarzen Umhang über ihre Schulter. Das Mädchen ertastete verblüfft den rauen Stoff. Auch Sophia empfing ihren Überwurf.

„Das Material ist relativ robust und einfach zu waschen, also benutze ihn ruhig nach dem Training, wenn dir kalt wird.“

„Der ist für mich?“

Die Königin gluckste vergnügt.

„Wenn er dir schon so gut gefällt, warte ab, welches Kleid ich für dich hab anfertigen lassen. Inklusive passenden Mantel versteht sich.“

„Herrin, ihr müsst euch wegen mir keine Umstände machen.“, lehnte Serena höflich ab, doch Sophia trieb sie zur Eile an und wollte davon nichts hören.

„Du bist Allen Shezars Schwester, des angesehensten Schwertkämpfer von ganz Gaia. Nur weil er nicht gerne einkaufen geht, musst du dich nicht in Lumpen kleiden.“

„Darum ja.“, widersprach sie leise und wähnte sich schon vor einem Kriegsgericht. „Mein Bruder ist derjenige mit den großen Verdiensten, nicht ich. Weder mein Bruder noch ich haben viel Geld. Wir können eure Freundlichkeit mit nichts begleichen.“

Erst wollte die Königin die Aufmerksamkeit auf Merle, ihre großen Taten und den Umgang der beiden Mädchen miteinander lenken, doch auch dieser Kontakt war über Allen entstanden. Also wich sie aus.

„Allein mein Geschenk auszuschlagen, spricht von großem Mut. Außerdem warst du es doch, die sich in Farnellia todesmutig den damals noch unbekannten Flugmaschinen entgegen gestellt hatte.“, wandte sie stattdessen ein. Serenas Gesicht hellte sich zu Sophias Freude merklich auf. Hatte sie dank Merles Abreibung vergessen, dass in ihr auch ein Krieger schlummerte? „Ich sehe eine große Zukunft für dich. Wer weiß? Vielleicht kann ich dir heute etwas unter die Arme greifen.“

Weiterhin stutzig folgte Serena der Herrscherin in die Kutsche, die zwar überdacht, aber vollkommen schmucklos war. Nicht einmal eine berittene Eskorte stand bereit. Sobald das Gefährt sich wiehernd in Bewegung gesetzt hatte, sprach Sophia eine Entschuldigung aus, die ihr auf der Seele brande:

„Es tut mir leid, wie Merle dich im Training behandelt hat. Normalerweise stärkt sie nicht ihr Ego auf Kosten ihrer Schüler, sondern hält sich zurück. Ich weiß nicht, was mir ihr los war.“

„Ihr glaubt...“, stotterte Serena baff. „Nein, so war das nicht. Ich habe sie trainiert.“

„Sie hat dich vernichtend geschlagen.“, stimmte die Monarchin in ihre Verwirrung ein. „Wie kamst du auf den Gedanken, du seist besser als sie?“

„Sie hat schwach ausgesehen.“, antwortete die Kriegerin gleichgültig. „Außerdem muss ich nicht unbedingt besser kämpfen können, um sie zu trainieren. Hauptsache ich weiß, wie ich sie weiter treibe.“

„Heute hat sie sicherlich einiges an Selbstvertrauen gewonnen.“, erwiderte ihr Gegenüber trocken.

„Beim nächsten Lauf nimmt sie die Dächer und ich die Straße.“, scherzte Serena, doch die Monarchin erwiderte völlig ernst: „Fallende Dachziegel stell ich aber in Rechnung.“ Nach einen Moment des Schmunzeln brach Gelächter bei beiden aus. Als das Lachen verflogen war, fragte Sophia sanft: „Erzählst du mir ein bisschen von dir?“

Serena überwand sich.

„Was möchtet ihr wissen?“

Beide verfielen in ein Gespräch und so verging die Zeit im Flug.

Serena beschrieb gerade ihren Alltag, als sie noch bei ihrem Bruder gewohnt hatte, da kam ihr Gefährt zum Stehen und wenig später öffnete der Kutscher die Tür.

Vorsichtig begutachtete Serena die Umgebung, doch bis auf eine geschlossene Scheune umgeben von Wald und Wiesen auf flachen Hügeln war nichts zu sehen.

„Wo sind wir?“

„Auf einem Truppenübungsplatz.“, antwortete Sophia auf ihre angespannte Frage und führte sie durch eine kleine Tür in das zugige Holzgebäude hinein. „Ich möchte dir etwas zeigen und hoffe, du kannst mir mehr darüber erzählen.“

Die Monarchin holte einen kleinen Energiestein hervor, der wie auf Befehl erstrahlte. Serenas Augen schwollen an. Im Licht vor ihr präsentierte sich ein Echo aus einem ihrer früheren Leben.

Durchgedreht

Aufmerksam lauschte Merle nach kleinsten Regungen, während sie in einer dunklen Ecke kauerte. Ihre Häscher waren ihr dicht auf den Fersen. Trotz der geschlossenen Fensterläden über ihr konnte sie deren dumpfen Schritte genauestens verfolgen. Vier Fußpaare tasteten sich äußerst gespannt durch die Straße an der anderen Mauerseite in ihre Richtung. Die Stube, die ihr Zuflucht gewährte, war winzig und bis auf einen groben Tisch und ein verwaistes Regal völlig leer. Wie ausgestorben.

Just als sie mit ihren Verfolgern auf gleicher Höhe war, umspielte Merles Lippen ein schelmisches Lächeln. Sie stieß die Läden beiseite und griff nach dem nächstbesten Opfer. Von einem schrillen Schrei begleitet zog sie den Soldaten in ihr Versteck. Er ist jung, fiel ihr auf, als ihre Krallen eine rote Spur über seine Kehle zogen. Noch ehe seine Kameraden reagierten, war sie auf den Sprung und floh in das angrenzende Treppenhaus.

Am obere Ende des Aufgangs hockte sie abermals in Lauerstellung. Lautstark folgten ihr die Stiefel.

Den Besitzer des ersten Paares fiel sie aus dem Schatten von unten an. Ein Griff an seine Gurgel und auch sie war rot befleckt. Mit einer halben Drehung schlüpfte sie ihn vorbei und blockte den Schwertarm seines Kollegen. Ein weiterer Schritt die Treppe hinab brachte sie hinter ihn, während ihre Kralle auch seine Kehle benetzten. Der letzte Soldat starrte vom Treppenaufsatz zu ihr hinauf. Sie stürzte sich auf ihn und erlöste ihn ebenfalls.

Dann trat sie die Flucht an. Merle war bereits auf halben Weg den Flur hindurch zur Straße, da ließ sie das Stöhnen aus der Küche und der Treppe einknicken. Sie war wohl doch etwas hart gewesen. Seufzend wandte sie sich ihren Opfern zu und half dem letzten auf die Beine.

„So schlecht wart ihr nicht,“, versicherte sie den Männern. „doch im Kampf gegen Gezeichnete dürft ihr euch keinesfalls trennen. Die einzigen Vorteile, die ihr habt, sind eure Überzahl und eure Waffen.“ Niedergeschlagen strauchelten die beiden Wachen von oben die Treppe hinunter. Derweil gesellte sich der erste Tote aus der Stube beschämt zu ihnen.

„Unsere Schwerter hattet ihr gut im Griff, eure Hoheit.“, wandte der Gruppenleiter ein.

„Warum habt ihr nicht eure Granaten benutzt?“

Der angehende Unteroffizier warf einen skeptischen Blick auf die Pappattrappen an seinem Gürtel. Bei Gebrauch sollte eine Miniatursprengkapsel darin die enthalten Farbe meterweit versprühen.

„Wir können doch keins dieser Dinger in ein Raum werfen, in dem einer unserer Kameraden ist.“

„Das erklärt euer Zögern in der Küche, doch was war bei der Treppe? In meinem Versteck wäre ich ein leichtes Ziel gewesen und ihr wusstet, dass ich oben war.“

„Vergessen.“, gab der Soldat zu. Nun wurde Merle streng.

„Übt den Einsatz der Granaten bis zum Umfallen!“, wies sie die vier Männer an. „In Deckung gehen, Granate rein, Stürmen, in diesem Rhythmus!“ Der Offizier wollte gerade ihren Befehl bestätigen, da wies ihn das Mädchen mit ein Geste zurück. Angespannt wandte sie sich zur Haustür und richtete ihre Ohren aus. „Hört ihr das?“, fragte sie in die Runde, bekam aber nur Ratlosigkeit und Schulterzucken als Antwort. Allerdings, wenn sie darauf achtete, wiederholte sich das leise Stampfen und Grollen stetig. Vorsichtig lugte sie aus der Haustür die Straße hinab. Zwischen den Fassaden kam ein humanoides Ungetüm aus silberweißen Metall auf sie zu.

„Ein Guymelef.“

Ein kleineres Modell mit Wespentaille und breiten Schultern. Wobei klein relativ war. Die Maschine maß anderthalb Stockwerke. Ein Guymelef für den Häuserkampf, dachte sie und bemerkte vor lauter Analysen fast den stumpfen Arm des Riesen nicht, der sich erhob und in ihre Richtung zeigte.

„Uhoh!“

Zwei hastige Schritte hauseinwärts später war der Türrahmen genau dort blau gesprenkelt, wo sie eben gestanden hatte. Der Guymelef konnte doch tatsächlich Farbe verschießen! Verflucht nochmal weh tun würde ein Treffer trotzdem.

„Schnell! Flieht durch den Hinterausgang des Hauses und verlasst das Dorf!“, befahl Merle aufgekratzt.

„Warum?“, fragte der Jüngling aus der Küche. „Ist der Guymelef nicht unsere Verstärkung?“

„Dafür ist der Zeitpunkt des Angriffs zu schlecht gewählt. Ich glaube eher, die Pilotin geht davon aus, dass ihr tot seid und wird auf alles schießen, was sich bewegt.“

„Kommt ihr nicht mit?“ fragte der Unteroffizier in Spe. Merle warf ihn ein entwaffnendes Lächeln zu.

„Ich lebe noch.“

Dann sprintete sie über die Straße in die gegenüberliegende Gasse. Ein Farbball verfehlte sie dabei um metersbreite.

Ein Hitzkopf, schloss Merle, da der Guymelef nun die Gangart wechselte. Die Erschütterungen seiner Schritte wurden schnell lauter.

Wohin? Auf jeder Straße wäre sie leichtes Ziel. Nur zwei enge Gassen in Form ein T-Kreuzung könnten ihr Deckung bieten, doch solche gab es nicht allzu oft und sie kannte das Dorf nicht. Jedes Haus, in dem Schutz suchen würde, wäre für den Guymelef ein leichtes Ziel. Sie musste sich irgendwo verstecken, wo man sie sie nicht vermuten würde. Ihr Blick fiel auf die Dächer. Also nach oben. Sie sprintete die Gasse zu Ende und bog auf der Parallelstraße ab. Gerade noch rechtzeitig, wie die platschend blau gefärbte Fachwerkwand neben sich vermuten ließ.

Ohne Rücksicht auf Eigentum trat sie die Tür ein und stürmte die steilen Stufen im Flur nach oben. Im ersten Stock öffnete ein weiterer Tritt die hölzernen Läden. Mit Schwung und Krallen im Fensterrahmen katapultierte sie sich mit den Füßen voran auf des Dach. Sie nahm jedoch ein paar überstehende Ziegel mit, die im gepflasterten Innenhof zerschellten.

Merle fluchte. Sie musste die Position wechseln. Ein wohlbekanntes Fauchen ließ sie aufschrecken. Hinter sich sah sie gerade noch eine Feuersäule über das Dach schießen.

Ernsthaft?!

So schnell der schiefe Grund es zuließ lief sie in gebückter Haltung bis zur nächsten Gasse, die den Block abschloss. Diese würde sie überqueren und danach der nächsten Gelegenheit Ausschau halten die Straße abseits ihres Jägers zu überqueren. Ob sie weit genug springen konnte?

Der ohrenbetäubende Lärm von Metall auf Backstein riss sie aus ihren Plänen. Von ungesunder Neugierde getrieben wagte sie sich über den First auf die Dachseite zu Gasse. Dort reichte ein Blick hinein und sie wäre vor ersticktem Lachen beinahe abgestürzt. Wie auch immer sie es geschafft hatte, die Pilotin hatte ihre Pläne vorhergesehen und war in die enge Häuserlücke gestürmt um zur anderen Straße zu kommen. Nun steckte ihr Guymelef mit den Schultern in den Wänden fest. Wie ein Bär in der Falle wandte sich die Maschine, ohne vor oder zurückzukommen.

Was der Maschine an Größe fehlte, hatte sie auch an Kraft eingebüßt, folgerte Merle und beschloss der jungen Frau in der Maschine zu helfen. Auch wenn das Feuer, dass sie selbst gelegt hatte, den Häuserblock zum Einsturz bringen sollte, schaffte sie vielleicht nicht rechtzeitig ihren Guymelef zu befreien. Sie könnte verglühen.

Merle fiel direkt im Sichtfeld der Maschine herab.

„Beruhig dich, Serena!“, wies die Pilotin an. „Steig aus! Der Block brennt und wir müssen hier weg.“

Statt einer Antwort kam ein Brüller und die Bemühungen des Guymelefs vervielfachten sich. Die Katzenkriegerin seufzte und ging auf das Ungetüm zu. Vielleicht gab es ja einen Knopf oder so was.

Da schossen silberne Krallen aus den Armstumpfenhiebten und schlugen auf die Wände ein.

Merle!

Hitomis Ausruf in ihrem Kopf würgte Merles Aufschrei ab. Stattdessen passierte alles sehr langsam und wie ferngesteuert streckte sie ihre Arme den Mauern entgegen. Ein Knistern glitt durch ihre Fingerspitzen. Die Krallen des Guymelefs rissen die Steine aus ihren Ankern und das Geröll stürzte unaufhaltsam auf Merle zu.

Ich hab dich.

Gebogene Blitze zogen über das Mädchen hinweg, dort wo die Trümmer über ihr auf eine unsichtbare Barriere stießen und seitlich an ihr vorbei zu Boden glitten.

Serenas Guymelef war nun frei und hieb ebenfalls auf Merles Schutzschild ein. Merles Augen nahmen wie von Geisterhand gesteuert die tobende Maschine ins Visier. Abermals fuhr ihr ein fremder Gedanke durch den Kopf.

Beruhig dich!

Als hätte die stählerne Bestie den Befehl vernommen, knickten unter ihr die Knie weg und der Guymelef sackt in sich zusammen. Endlich löste sich auch der Griff in Merles Kopf. Auch ihre Beine wollten sie dann nicht mehr tragen. Gerade schaffte sie noch sich am Guymelef abzustützen, da verfiel auch sie der Schwärze.
 

Blinzelnd schlug Merle ihre Augen auf, doch statt auf einem Schlachtfeld wachte sie in einem weichen Himmelbett auf mit astorianischen Dekor um sich herum. Stöhnend tastete sie nach ihrem Kopf und richtete sich auf. Was für ein verrückter Traum!

„Es war leider kein Traum.“, widersprach Hitomi bedauernd. Verwundert betrachtete das Mädchen ihre Schwester, die neben ihren Bett stand. Sie trug ein reiches, elegantes, ein königliches Kleid mit goldenen Stickereien. Ungeachtet ihrer teuren Aufmachung sank sie neider und beugte sich hinab. Sie verschwand dabei komplett aus Merles Sichtfeld. Hektisch robbte das Mädchen bis zur Bettkante und sah dort ihre Königin vor sich knien mit gefalteten Körper, gebeugtem Rücken und die Stirn auf ihre Hände gepresst, die flach vor ihr auf den Boden angerichtet waren.

„Es tut mir Leid!“, flehte Farnellias Herrscherin sie an. „Ich hatte nie vor diese Macht zu nutzen und hab es dennoch getan!“

„Was...ist passiert?“ erkundigte sich Merle völlig konfus.

„Ich habe dich kontrolliert, deinem Körper meinen Willen aufgezwungen! Nur so konnte ich meine Kräfte auf dich übertragen.“

„Der Schild...“, schlussfolgerte Merle.

„Nur so konnte ich dich retten.“

„Wie ist das möglich?“

„Dein Treueeid zusammen mit unserer Gedankenverbindung ermöglicht es mir, dich jederzeit wie eine Puppe zu kontrollieren. Als ich es gemerkt hatte, dass ich es kann...nun, ich dachte, ich müsste es dir nicht sagen, da ich mir geschworen hatte diese Kraft nie einzusetzen.“

Merle fühlte Galle in sich aufsteigen. Jähzorn brodelte in ihr und drohte überzukochen.

„Geh!“, gebot Merle ihr mit mühsam kontrollierte Stimme. Nein, sie würde nicht an einem Tag zwei Schwestern verlieren. Hoffentlich.

„Bitte verzeih mir.“, bat Hitomi abermals und löste sich auf. Das Mädchen blieb allein zurück. Zwanghaft versuchte sie Gedanken zu ordnen, ohne Erfolg. Ihr Kopf war voller Backsteine und sie brauchte jemanden zum Reden. Jemanden, den sie vertraute und die nicht zu ihrer Familie gehörte. Seufzend ließ sie sich auf die weiche Matratze fallen und ergab sich abermals dem Tiefe.

Kopfarbeit

Mit Kopfschmerzen, die einer durchzechten Nacht würdig waren, stemmte sich Merle aus dem schmalen Feldbett, in dem man sie gelegt hatte. Unglücklicherweise war sie nicht allein. Jemand hatte ihren Versuch bemerkt und war an ihrer Seite geeilt. Erfolglos versucht das erschöpfte Katzenmädchen die aufdringliche Frau zu verscheuchen.

In dem Gewirr der sanft rangelnden Hände erhaschte sie Blicke auf ihre Umgebung. Man hatte sie in ein provisorisches Lazarett verfrachtet. Emsig huschten ein paar schlicht gekleidete Frauen mit weißen Schürzen umher, während andere an den Betten angeschlagene Soldaten versorgten. Merle erkannt sie wieder. Die Erkenntnis, dass sie diese Männer verletzt hatte, lähmte ihren Widerstand und so gelang es der Schwester sie auf das Bett zu drücken. Mit resoluter Stimme wies sie die Katzenfrau an liegen zu bleiben.

Wenig später kam ein Arzt vorbei, der ihr erklärte, dass sie aus dem Schutt zwei zerstörter Hauswände geborgen worden war, ihr dennoch nichts fehlte. Warum sie bewusstlos gewesen war, konnte er sich nicht erklären. Es waren keine Kopfverletzungen bei ihr zu festzustellen.

Merle bemühte sich nicht, Hitomis Überfall auf ihren Verstand zu erklären. Stattdessen erkundigte sie sich nach Serena. Der Mann verwies sie auf die gegenüberliegenden Seite ihrer Liege.

Dort lag sie. Ihre Augen waren geschlossen, die sonnengelben Haare fielen neben ihren hellen Gesicht herab. Ihre Haut war trotz des rabiaten Gefechts, dass sie sich zuvor mit Merle geliefert hatte, makellos. Auch für ihren Zustand konnte der Arzt keine Erklärung anbieten, außer dass die Flüssigkeit, mit der Zaibacher Guymelefs ihre Piloten einbetten, sie geschützt haben könnte.

Die junge Katzendame lies sich vom ihn informieren, dass eine Kutsche beide Frauen abholen würde, und entließ ihn. Ihr Kopf plumpste zurück in das Kissen. Was sollte sie mit ihren Schwestern anfangen?

„Du bist wach, gut.“

Überrascht wandte sich Merles Kopf der neuen Stimme zu.

„Frau Lavellan, ihr seid hier?“

„Ich wollte mich von euren Fähigkeiten als Lehrerin überzeugen.“, begründete die Frau aus dem Drachenvolk ihr Dasein.

„Ihr seid enttäuscht?“

Die durch Jahrhunderte gestählten Züge der Dame glätteten sich ein wenig.

„Ich muss dir also nicht erklären, dass alles, was heute im Training schief gelaufen ist, deine Schuld ist.“, folgerte sie und drückte ihr Kreuz durch. „Sieh dir deine Opfer an. Glaubst du, sie sind jetzt einen Gezeichneten eher gewachsen, nachdem du sie so verprügelt hast?“

„Sie sollten wissen, worauf sie sich einlassen.“, verteidigte sich die Kriegerin.

„Waren sie für dieses Wissen bereit?“, gab Lavellan zu Bedenken. „Die vier Männer sollten deine Zuversicht an ihre Kameraden weitergeben. Stattdessen hast du sie verunsichert.“ Da Merle ihren Blick schweigend auswich, fuhr sie fort: „Dass deine Schülerin so versessen ist sich zu beweisen, liegt ebenfalls an deinen Demütigungen. Du hast sie vor Herausforderungen gestellt, die sie unmöglich meistern konnte. Ihr junger Geist ist verwirrter als je zuvor.“ Auch auf diesen Vorwurf fand Merle keine Erklärung.

„Ich will ehrlich sein. Dass die Kinder vom Mond der Illusion in unserer Stadt untergebracht sind, wird von vielen meines Volkes offen kritisiert. Sie fürchten die unkontrollierten Kräfte unserer Gäste. Ich kam mit Koami her in der Erwartung ein neues Zuhause für sie zu finden, aber ich wurde enttäuscht.“ Dem Katzenmädchen blieb der Protest im Hals stecken. „Du bist nicht bereit Verantwortung für andere zu tragen. Du benutzt Menschen für deine Zwecke, aber ihre Entwicklung kümmert dich nicht.“

„Das stimmt nicht!“ Endlich löste sich die Blockade. „Es stimmt, ich bin keine Menschenkennerin wie Hitomi, aber sie sind mir nicht egal!“

„Glaubst du, du könntest eine Gruppe von mehreren dutzend Kindern mit sprunghaften Fähigkeiten sich kontrolliert entfalten lassen?“ Wieder blieb Merle ihre eine Antwort schuldig. „Das dachte ich mir. Ich werde mit Fräulein Kanzaki über unsere Abmachung reden.“ Lavellan wandte sich ab und verließ das Lazarett mit zielgerichteten Schritten. Indes stöhnte Merle ihren Frust heraus.

„Sie hat unrecht!“, brach es aus Serena hervor, die ächzend versuchte sich aufzurichten. „Du hast mich nicht gedemütigt, sondern mir nur meine Fehler gezeigt.“

„Bleib liegen!“, befahl Merle, während sie versuchte sich vom Feldbett zu befreien. Vor Eile verhedderte sie sich in ihrer Decke und fast fiel sie aus der Liege.

„Was ist passiert? Ich kann mich nur noch daran erinnern, dich in die Flucht geschlagen zu haben.“

„Du bist mit deinem Guymelef zwischen zwei Häuser stecken geblieben.“, berichtete sie, während sie den Oberkörper des Mädchens bestimmt zurück in ihr provisorisches Lager zwang.

„Aber ich habe dich in die Flucht geschlagen!“

„Mit Flammenwerfern!“

„Ich brenne halt für meinen Beruf.“, lächelte Serena den Einwand weg, doch Merle war nicht danach.

„Du hättest mich töten können!“

Der Einwand traf die Pilotin sichtlich.

„Dank der optischen Wärmerfassung des Guymelefs wusste ich genau, wo du warst! Vertraust du mir nicht?“

„Was war mit den Hauswänden, die du eingerissen hast? Die hätten mich wirklich fast erwischt!“

Serenas Blick legte an Trotz zu.

„Vielleicht hatte ich etwas zu viel vertrauen. Ich dachte, du würdest das einzig richtige tun und fliehen.“

„Du warst eingeklemmt. Schwestern lassen einander nicht im Stich!“, belehrte Merle sie.

„Verstehe.“, besann sich die junge Frau. „Dann sollte ich wohl besser auf mich achtgeben.“

„Ich bitte darum.“, schmunzelte ihre Kameradin und strich mit ihren Daumen über ihren Handrücken. Dann wurde ihr unversehens schwarz vor Augen. Einen Moment später klärte sich ihre Sicht und sie sah ihre Herrscherin vor sich in voller Reisemontur im Kuppelzimmer ihrer Villa. Sie saß auf dem einsamen Bett des Raums und hinter ihr strahlten die Dächer Farnelias durch die Fensterwand hindurch.

„Halt die Klappe und hör zu!“, unterbrach Hitomi alle Versuche des Mädchens sich neu zu orientieren. „Ich weiß, wir haben unsere Differenzen, aber jetzt benötige ich deine Hilfe.“

Nach einem peinlichen Moment des Schweigens, begriff Merle, dass Hitomi auf eine Bestätigung wartete. „Bereit!“, meldete sie schnittig.

„Die Menschen vom Mond der Illusionen, die in die Stadt des Drachenvolks gebracht wurden, werden vermisst.“, verkündete sie mit leicht brüchiger Stimme. „Ein Kontakt berichtete mir eben davon. Da Trias noch immer Anhänger hat und auch sonst die Entscheidung, meine Leute aufzunehmen, dort kontrovers diskutiert wird, kann ich niemanden des Drachenvolks trauen. Du musst für mich zur Stadt fliegen und sie aufspüren!“

„Sehr wohl, meine Königin.“ Einen Augenblick lang schien die Illusion um Merle herum zu verschwimmen, doch sie fing sich.

„Nimm Serena mit! Ich melde mich gleich bei Lavellan und sorge für euren Transport. Bitte seid vorsichtig! Das Drachenvolk spricht nicht mit einer Stimme. Während es manche gibt, die Menschen verachten und sie nicht auf dem Schiff sehen wollen, gibt es andere, die ihre Kräfte uns nicht überlassen möchten. Bei beiden hat Trias vielleicht einen Fuß in der Tür.“

„Sehr wohl.“, bekräftigte Merle weiterhin mechanisch.

„Wie lief es mit Dryden?“

„Ich hab ihn auf Sophias Ball getroffen. Er ist einverstanden mit deinem Vorschlag, bezahlt aber erst, wenn du deinen Teil der Abmachung eingehalten hast.“

Hitomis Lieder sanken wehmütig herab.

„Das werde ich. Viel Glück.“

Zögerlich schlug sie die Augen auf und starrte auf die Stelle, an der ihre Vertraute eben noch gestanden hatte. Auf der Suche nach Fassung griff ihr rechte Hand nach dem schwarzen Loch in ihrer Brust.

„Nächster Anruf!“, ermahnte sie sich und nahm mit Lavellan Kontakt auf.

Die Dame des Drachenvolks war nicht erfreut von ihrem Anliegen.

„Nein.“, sagte ihre Projektion gerade heraus. „Merle ist vorschnell und Serena geradezu explosiv. Sie könnten keinen Fuß in die Stadt setzen ohne sie in Brand zu stecken, geschweige denn ermitteln!“

„Dass euer Volk Fremde als Herausforderungen sieht, liegt nicht in der Verantwortung der beiden. Eure Mitbürger werden Verständnis haben müssen. Merle hat die besten Spürsinn Gaias und ist unvoreingenommen. Sie kann die Kinder finden. Von wie vielen anderen Personen, denen ihr traut, könnt ihr das behaupten?“, hielt die Königin dagegen.

„Das mag für Merle sprechen, aber Serena kann nichts zu der Suche beitragen und ist eine tickende Zeitbombe!“

„Serena wird ihr den Rücken freihalten.“

„Es war schwer genug meine Leute zu überzeugen die Erdlinge aufzunehmen. Der Rat stimmte nur unter Auflagen zu, die sie in die Isolation zwangen.“, wandte die Gesandte des Drachenvolks ein. „Jetzt wollt ihr, dass ich eure beiden Gören überall herumschnüffeln lasse!“

Hitomi erhob und straffte sich.

„Es war die Isolation, die die Massenentführung erst ermöglicht hat. Und die beiden Gören, wie ihr sie nennt, sind die einzige Möglichkeit mich rauszuhalten. Andernfalls werde ich persönlich nach den vermissten Kindern suchen und dabei auch eure Stadt aufspüren.“ Bedrohlich trat sie Lavellan entgegen. „Ihr werdet also Koami erklären müssen, warum er nicht zurück zu seinen Freunden kann, denn ich werde Sophia bitten ihn in Sicherheit zu bringen. Und ihr werdet euer Volk erklären müssen, warum ich mit einer Armee über sie kommen werde!“

Die Schultern der Dame sackten ein. „Ich dachte, du hättest mehr Vertrauen. Die Angelegenheit könnte sich von selbst lösen, wenn du nur an uns glaubst.“

„Mir fehlt die Zeit fürs Glauben, Sensei!“, erwiderte Hitomi mutlos. „Und was macht es, wenn ich heute auch den letzten Rest an Zuneigung verliere. Davon kann ich mir nichts kaufen.“

„Du hast nicht alles verloren. Auch wenn ich es kaum glauben kann, dass du Koami gegen mich einsetzt.“

Lavellans Projektion verschwand.

„Ich hab vom besten gelernt.“ Da Hitomi wieder allein war, tasteten ihre Finger nach der Sonne in ihrem Unterleib. Warum zum Henker waren Licht und Dunkelheit so nah beieinander!

Gerade wollte sie ihren Blick auf ihr Kind schweifen lassen, da forderte eine Stimme von unten ihre Aufmerksamkeit.

„Herrin, seid ihr soweit?“, rief eine Stimme von unten. Hitomi erkannte sie als eine der Dienerinnen, die Astoria ihr gestellt hatte. „Die Kutsche wartet!“

Ärger keimte in der Königin auf. Welcher Monarch wurde zur Eile gedrängt, weil ein Kutscher wartete? Was sahen die Damen in ihr? Eine Mätresse?

Um Würde bemüht schritt sie aus ihrem Heiligtum herab. Am Ende der engen Wendeltreppe wartete zu ihrem Ärger nicht nur die Dienerin, sonder auch der Jungspund von Statthalter, den Aston eingesetzt hatte.

„Was wollt ihr?“

„Euch verabschieden, Herrin.“, antwortete der junge Blondling sichtlich irritiert. Galant bot er ihr seinen Arm an.

„Wie zuvorkommend.“, bedankte sie sich peinlich berührt. Tatsächlich schwebte ein Hauch von Menschlichkeit über ihn.

„Zudem hatte ich gehofft euch wegen der Todesstrafe umstimmen zu können.“ Weg war er!

„Von all den Rechten, die ich meinen Untertanen gegeben habe, wie Versammlungsfreiheit, den Anspruch auf einen Beistand und die Unversehrtheit des Eigentums, schmerzt euch die Aussicht auf Leben am meisten?“

„Ihr gefährdet das Leben eures Volkes, wenn ihr mir nicht das Recht gebt, die schlimmsten Übeltäter kostengünstig zu neutralisieren. Gefängnisplätze sind begrenzt.“

Die Königin entriss ihm den Arm und stellte den Emporkömmling.

„Erstens: Ihr entscheidet über keinen Angeklagten! Dafür sind die Volkskammern zuständig.“, belehrte sie ihn. Sie wollte Farnelia ohne Raum für Missverständnisse verlassen.

„Zweitens: Ihr werdet auch keine Gesetze anfassen! Ihr könnt mir welche vorschlagen wie auch die drei Volksvertreter, und ich entscheide, welche ich unterschreibe und welche nicht! Alles was ihr tut, ist Farnelia am Laufen zu halten. Dies ist, wie ich hinzufügen möchte, die mächtigste aller drei Möglichkeiten, aber denkt immer daran, unsere Gesetze sind eure Grenzen und wenn ihr sie überschreitet, werden die Volkskammern über euch bestimmen können!“

„Droht ihr mir?!“

„Ich weise euch lediglich daraufhin, dass ein unerfahrener Reiter, der die Zügel zu stramm zieht, abgeworfen wird.“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (9)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Bea88
2018-07-06T15:39:21+00:00 06.07.2018 17:39
Ich bin sehr gespannt wie es weiter geht. Freue mich schon drauf weiter lesen zu dürfen. Du machst das alles richtig schön spannend. Habe die anderen Teile der Reihe innerhalb einer Woche durchgelesen und bin ein großer Fan geworden. Bitte mehr davon.
LG
Von:  funnymarie
2017-09-20T16:36:22+00:00 20.09.2017 18:36
Huhu. Ich bin gespannt, wie es weiter geht. Und würde mich uber eine baldige Fortsetzung freuen
lg funnymarie
Von:  CatariaNigra
2016-03-01T11:57:29+00:00 01.03.2016 12:57
Juchuu, ein neues Kapitel^*__*^
Auf die Trainingsstunde kann man sich wohl sehr freuen!

Von:  funnymarie
2016-02-29T09:40:02+00:00 29.02.2016 10:40
juhu, es geht weiter
auch wenn es ein bisschen böse klingt, aber endlich!!!!!!
das kapitel war wie immer hervorragend geschrieben und ich freu mich riesig auf mehr
lg funnymarie
Von:  CatariaNigra
2016-01-04T15:29:23+00:00 04.01.2016 16:29
Ui, es geht weiter :3 Ich finde es toll, wie sich die Freundinnen alle gegenseitig helfen, ohne dabei die politischen, gesellschaftlichen und militärischen Angelegenheiten aus den Augen zu verlieren <3

Leider war das neueste Kapitel wieder viel zu schnell gelesen.. ich freue mich schon wahnsinnig auf das nächste Kapitel!
Von:  funnymarie
2016-01-04T10:42:05+00:00 04.01.2016 11:42
juhu endlich geht es weiter
ich freu mich riesig auf mehr
lg funnymarie
Von:  CatariaNigra
2015-07-15T15:44:16+00:00 15.07.2015 17:44
Oh, du bist wieder da <3
Antwort von:  CatariaNigra
15.07.2015 17:44
Ich wusel mich dann mal durch dein erstes Kapitel!
Antwort von:  CatariaNigra
15.07.2015 18:03
Gesagt getan! Zwar ein kurzes Kapitel, aber der neue Teil deiner Serie wird durch die ganzen Konflikte aus dem letzten Teil direkt mit viel Spannung eingeleitet. Merle hat es wirklich nicht leicht, macht ihre Aufgabe aber nicht unbedingt schlecht. Die Frage ist nur, ob es nicht klüger gewesen wäre, dem vorlauten Marco eine andere und seinem Gemüt eher entsprechende Aufgabe zu übertragen.


Zurück