Zum Inhalt der Seite

Auf der Jagd

Schatten und Licht, Interlude 2
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Durchgedreht

Aufmerksam lauschte Merle nach kleinsten Regungen, während sie in einer dunklen Ecke kauerte. Ihre Häscher waren ihr dicht auf den Fersen. Trotz der geschlossenen Fensterläden über ihr konnte sie deren dumpfen Schritte genauestens verfolgen. Vier Fußpaare tasteten sich äußerst gespannt durch die Straße an der anderen Mauerseite in ihre Richtung. Die Stube, die ihr Zuflucht gewährte, war winzig und bis auf einen groben Tisch und ein verwaistes Regal völlig leer. Wie ausgestorben.

Just als sie mit ihren Verfolgern auf gleicher Höhe war, umspielte Merles Lippen ein schelmisches Lächeln. Sie stieß die Läden beiseite und griff nach dem nächstbesten Opfer. Von einem schrillen Schrei begleitet zog sie den Soldaten in ihr Versteck. Er ist jung, fiel ihr auf, als ihre Krallen eine rote Spur über seine Kehle zogen. Noch ehe seine Kameraden reagierten, war sie auf den Sprung und floh in das angrenzende Treppenhaus.

Am obere Ende des Aufgangs hockte sie abermals in Lauerstellung. Lautstark folgten ihr die Stiefel.

Den Besitzer des ersten Paares fiel sie aus dem Schatten von unten an. Ein Griff an seine Gurgel und auch sie war rot befleckt. Mit einer halben Drehung schlüpfte sie ihn vorbei und blockte den Schwertarm seines Kollegen. Ein weiterer Schritt die Treppe hinab brachte sie hinter ihn, während ihre Kralle auch seine Kehle benetzten. Der letzte Soldat starrte vom Treppenaufsatz zu ihr hinauf. Sie stürzte sich auf ihn und erlöste ihn ebenfalls.

Dann trat sie die Flucht an. Merle war bereits auf halben Weg den Flur hindurch zur Straße, da ließ sie das Stöhnen aus der Küche und der Treppe einknicken. Sie war wohl doch etwas hart gewesen. Seufzend wandte sie sich ihren Opfern zu und half dem letzten auf die Beine.

„So schlecht wart ihr nicht,“, versicherte sie den Männern. „doch im Kampf gegen Gezeichnete dürft ihr euch keinesfalls trennen. Die einzigen Vorteile, die ihr habt, sind eure Überzahl und eure Waffen.“ Niedergeschlagen strauchelten die beiden Wachen von oben die Treppe hinunter. Derweil gesellte sich der erste Tote aus der Stube beschämt zu ihnen.

„Unsere Schwerter hattet ihr gut im Griff, eure Hoheit.“, wandte der Gruppenleiter ein.

„Warum habt ihr nicht eure Granaten benutzt?“

Der angehende Unteroffizier warf einen skeptischen Blick auf die Pappattrappen an seinem Gürtel. Bei Gebrauch sollte eine Miniatursprengkapsel darin die enthalten Farbe meterweit versprühen.

„Wir können doch keins dieser Dinger in ein Raum werfen, in dem einer unserer Kameraden ist.“

„Das erklärt euer Zögern in der Küche, doch was war bei der Treppe? In meinem Versteck wäre ich ein leichtes Ziel gewesen und ihr wusstet, dass ich oben war.“

„Vergessen.“, gab der Soldat zu. Nun wurde Merle streng.

„Übt den Einsatz der Granaten bis zum Umfallen!“, wies sie die vier Männer an. „In Deckung gehen, Granate rein, Stürmen, in diesem Rhythmus!“ Der Offizier wollte gerade ihren Befehl bestätigen, da wies ihn das Mädchen mit ein Geste zurück. Angespannt wandte sie sich zur Haustür und richtete ihre Ohren aus. „Hört ihr das?“, fragte sie in die Runde, bekam aber nur Ratlosigkeit und Schulterzucken als Antwort. Allerdings, wenn sie darauf achtete, wiederholte sich das leise Stampfen und Grollen stetig. Vorsichtig lugte sie aus der Haustür die Straße hinab. Zwischen den Fassaden kam ein humanoides Ungetüm aus silberweißen Metall auf sie zu.

„Ein Guymelef.“

Ein kleineres Modell mit Wespentaille und breiten Schultern. Wobei klein relativ war. Die Maschine maß anderthalb Stockwerke. Ein Guymelef für den Häuserkampf, dachte sie und bemerkte vor lauter Analysen fast den stumpfen Arm des Riesen nicht, der sich erhob und in ihre Richtung zeigte.

„Uhoh!“

Zwei hastige Schritte hauseinwärts später war der Türrahmen genau dort blau gesprenkelt, wo sie eben gestanden hatte. Der Guymelef konnte doch tatsächlich Farbe verschießen! Verflucht nochmal weh tun würde ein Treffer trotzdem.

„Schnell! Flieht durch den Hinterausgang des Hauses und verlasst das Dorf!“, befahl Merle aufgekratzt.

„Warum?“, fragte der Jüngling aus der Küche. „Ist der Guymelef nicht unsere Verstärkung?“

„Dafür ist der Zeitpunkt des Angriffs zu schlecht gewählt. Ich glaube eher, die Pilotin geht davon aus, dass ihr tot seid und wird auf alles schießen, was sich bewegt.“

„Kommt ihr nicht mit?“ fragte der Unteroffizier in Spe. Merle warf ihn ein entwaffnendes Lächeln zu.

„Ich lebe noch.“

Dann sprintete sie über die Straße in die gegenüberliegende Gasse. Ein Farbball verfehlte sie dabei um metersbreite.

Ein Hitzkopf, schloss Merle, da der Guymelef nun die Gangart wechselte. Die Erschütterungen seiner Schritte wurden schnell lauter.

Wohin? Auf jeder Straße wäre sie leichtes Ziel. Nur zwei enge Gassen in Form ein T-Kreuzung könnten ihr Deckung bieten, doch solche gab es nicht allzu oft und sie kannte das Dorf nicht. Jedes Haus, in dem Schutz suchen würde, wäre für den Guymelef ein leichtes Ziel. Sie musste sich irgendwo verstecken, wo man sie sie nicht vermuten würde. Ihr Blick fiel auf die Dächer. Also nach oben. Sie sprintete die Gasse zu Ende und bog auf der Parallelstraße ab. Gerade noch rechtzeitig, wie die platschend blau gefärbte Fachwerkwand neben sich vermuten ließ.

Ohne Rücksicht auf Eigentum trat sie die Tür ein und stürmte die steilen Stufen im Flur nach oben. Im ersten Stock öffnete ein weiterer Tritt die hölzernen Läden. Mit Schwung und Krallen im Fensterrahmen katapultierte sie sich mit den Füßen voran auf des Dach. Sie nahm jedoch ein paar überstehende Ziegel mit, die im gepflasterten Innenhof zerschellten.

Merle fluchte. Sie musste die Position wechseln. Ein wohlbekanntes Fauchen ließ sie aufschrecken. Hinter sich sah sie gerade noch eine Feuersäule über das Dach schießen.

Ernsthaft?!

So schnell der schiefe Grund es zuließ lief sie in gebückter Haltung bis zur nächsten Gasse, die den Block abschloss. Diese würde sie überqueren und danach der nächsten Gelegenheit Ausschau halten die Straße abseits ihres Jägers zu überqueren. Ob sie weit genug springen konnte?

Der ohrenbetäubende Lärm von Metall auf Backstein riss sie aus ihren Plänen. Von ungesunder Neugierde getrieben wagte sie sich über den First auf die Dachseite zu Gasse. Dort reichte ein Blick hinein und sie wäre vor ersticktem Lachen beinahe abgestürzt. Wie auch immer sie es geschafft hatte, die Pilotin hatte ihre Pläne vorhergesehen und war in die enge Häuserlücke gestürmt um zur anderen Straße zu kommen. Nun steckte ihr Guymelef mit den Schultern in den Wänden fest. Wie ein Bär in der Falle wandte sich die Maschine, ohne vor oder zurückzukommen.

Was der Maschine an Größe fehlte, hatte sie auch an Kraft eingebüßt, folgerte Merle und beschloss der jungen Frau in der Maschine zu helfen. Auch wenn das Feuer, dass sie selbst gelegt hatte, den Häuserblock zum Einsturz bringen sollte, schaffte sie vielleicht nicht rechtzeitig ihren Guymelef zu befreien. Sie könnte verglühen.

Merle fiel direkt im Sichtfeld der Maschine herab.

„Beruhig dich, Serena!“, wies die Pilotin an. „Steig aus! Der Block brennt und wir müssen hier weg.“

Statt einer Antwort kam ein Brüller und die Bemühungen des Guymelefs vervielfachten sich. Die Katzenkriegerin seufzte und ging auf das Ungetüm zu. Vielleicht gab es ja einen Knopf oder so was.

Da schossen silberne Krallen aus den Armstumpfenhiebten und schlugen auf die Wände ein.

Merle!

Hitomis Ausruf in ihrem Kopf würgte Merles Aufschrei ab. Stattdessen passierte alles sehr langsam und wie ferngesteuert streckte sie ihre Arme den Mauern entgegen. Ein Knistern glitt durch ihre Fingerspitzen. Die Krallen des Guymelefs rissen die Steine aus ihren Ankern und das Geröll stürzte unaufhaltsam auf Merle zu.

Ich hab dich.

Gebogene Blitze zogen über das Mädchen hinweg, dort wo die Trümmer über ihr auf eine unsichtbare Barriere stießen und seitlich an ihr vorbei zu Boden glitten.

Serenas Guymelef war nun frei und hieb ebenfalls auf Merles Schutzschild ein. Merles Augen nahmen wie von Geisterhand gesteuert die tobende Maschine ins Visier. Abermals fuhr ihr ein fremder Gedanke durch den Kopf.

Beruhig dich!

Als hätte die stählerne Bestie den Befehl vernommen, knickten unter ihr die Knie weg und der Guymelef sackt in sich zusammen. Endlich löste sich auch der Griff in Merles Kopf. Auch ihre Beine wollten sie dann nicht mehr tragen. Gerade schaffte sie noch sich am Guymelef abzustützen, da verfiel auch sie der Schwärze.
 

Blinzelnd schlug Merle ihre Augen auf, doch statt auf einem Schlachtfeld wachte sie in einem weichen Himmelbett auf mit astorianischen Dekor um sich herum. Stöhnend tastete sie nach ihrem Kopf und richtete sich auf. Was für ein verrückter Traum!

„Es war leider kein Traum.“, widersprach Hitomi bedauernd. Verwundert betrachtete das Mädchen ihre Schwester, die neben ihren Bett stand. Sie trug ein reiches, elegantes, ein königliches Kleid mit goldenen Stickereien. Ungeachtet ihrer teuren Aufmachung sank sie neider und beugte sich hinab. Sie verschwand dabei komplett aus Merles Sichtfeld. Hektisch robbte das Mädchen bis zur Bettkante und sah dort ihre Königin vor sich knien mit gefalteten Körper, gebeugtem Rücken und die Stirn auf ihre Hände gepresst, die flach vor ihr auf den Boden angerichtet waren.

„Es tut mir Leid!“, flehte Farnellias Herrscherin sie an. „Ich hatte nie vor diese Macht zu nutzen und hab es dennoch getan!“

„Was...ist passiert?“ erkundigte sich Merle völlig konfus.

„Ich habe dich kontrolliert, deinem Körper meinen Willen aufgezwungen! Nur so konnte ich meine Kräfte auf dich übertragen.“

„Der Schild...“, schlussfolgerte Merle.

„Nur so konnte ich dich retten.“

„Wie ist das möglich?“

„Dein Treueeid zusammen mit unserer Gedankenverbindung ermöglicht es mir, dich jederzeit wie eine Puppe zu kontrollieren. Als ich es gemerkt hatte, dass ich es kann...nun, ich dachte, ich müsste es dir nicht sagen, da ich mir geschworen hatte diese Kraft nie einzusetzen.“

Merle fühlte Galle in sich aufsteigen. Jähzorn brodelte in ihr und drohte überzukochen.

„Geh!“, gebot Merle ihr mit mühsam kontrollierte Stimme. Nein, sie würde nicht an einem Tag zwei Schwestern verlieren. Hoffentlich.

„Bitte verzeih mir.“, bat Hitomi abermals und löste sich auf. Das Mädchen blieb allein zurück. Zwanghaft versuchte sie Gedanken zu ordnen, ohne Erfolg. Ihr Kopf war voller Backsteine und sie brauchte jemanden zum Reden. Jemanden, den sie vertraute und die nicht zu ihrer Familie gehörte. Seufzend ließ sie sich auf die weiche Matratze fallen und ergab sich abermals dem Tiefe.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  funnymarie
2017-09-20T16:36:22+00:00 20.09.2017 18:36
Huhu. Ich bin gespannt, wie es weiter geht. Und würde mich uber eine baldige Fortsetzung freuen
lg funnymarie


Zurück