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Wieder in Fluss geraten

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Wie immer gehört mir leider nichts, ich borge mir diese Welt nur hochachtungsvoll aus.
Der Auftakt zu einer längeren Geschichte über das Menschenmädchen und den Drachenjungen. Komplett anzeigen

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Jeden Tag in der Dämmerung

01 – Jeden Tag in der Dämmerung
 

Langsam, beinahe träge lief er durch die Gärten, die sich vor dem Badehaus ausbreiteten. Seine Gedanken aber waren nicht bei ihm, seine abwesenden Augen hatten keinen Blick übrig für die üppig blühende Pracht. Die ersten Boten der herannahenden Dämmerung kamen von Westen über den Himmel marschiert und die Schatten am Boden gehorchten ergeben und wurden länger. Goldenes Licht brach sich zwischen den Bäumen des Gartens, versuchte die Wärme des Tages zu bewahren und verströmte Behaglichkeit. Ein friedlicher Sommertag neigte sich dem Ende zu, doch der einsame Spaziergänger war zu sehr im Nebel seiner Gedanken gefangen, um sich an dem idyllischen Bild zu erfreuen. Dieser kurze Moment vor der Dämmerung, er war zu seiner einzigen Flucht geworden. Ein unbeobachteter Augenblick, in dem er seine quälenden Gefühle und Hoffnungen aus ihrem Versteck im hintersten Winkel seines Verstandes freilassen konnte. Die Blüte einer Hortensie glitt durch seine Hand, eine weitere Erinnerung streifte seinen rastlosen Geist. Dieser Ort war voller Erinnerungen an sie. Sie, das war die Eine, die damals das Licht in sein Leben zurückgebracht hatte. Ihre Wege hatten sich zweimal bisher gekreuzt und jedes Mal hatte es ihn tief berührt. Ihr letztes Aufeinandertreffen hatte ihm schließlich schmerzhaft zu verstehen gegeben, was sein eigentlicher Wunsch war, was ihn die ganze Zeit so quälte. Er wollte nicht mehr allein sein.
 


 

Rational betrachtet war Haku auch gar nicht allein. Er war der Generalbevollmächtigte eines Badehauses, dessen viele Besucher und emsige Angestellten es wie einen Bienenstock zum Surren brachten. Es war schwierig auch nur zehn Schritte zu gehen ohne einem anderen in die Arme zu laufen, von Vereinsamung und Isolation konnte nicht wirklich die Rede sein. Kaum hatte sein Geist diesen Gedanke zu Ende formuliert, verzog er genervt das Gesicht. Dieser alberne Titel war der geniale Einfall der Alten gewesen. Nichts als Schönrederei, de facto leitete er alle Geschicke, die das Geschäft betrafen, da Yubaba sich völlig in ihre eigene Scheinwelt zurückgezogen hatte. Einmal hatte die Hexe den Kürzeren ziehen müssen und wurde dadurch in den Grundfesten ihrer Selbstherrlichkeit tief erschüttert. Trotzdem beharrte sie weiterhin darauf sich die Vorsteherin und Inhaberin des ehrenwertesten Badehauses der Geisterwelt zu nennen; der Drachenjunge war lediglich so gut von ihr unterrichtet worden, dass er sich um die profanen Widrigkeiten des Geschäftslebens kümmern konnte.
 

Von dem Jungen war aber nicht allzu viel übrig geblieben. Zehn Jahre waren seitdem vergangen und aus dem bestimmt auftretenden Knaben war ein hochgewachsener junger Mann geworden. Ein außergewöhnlicher Mann sogar, denn er lebte sowohl frei und ungebunden in der Geisterwelt als auch als ein an seinen Fluss gebundener Schutzgeist. Eigentlich ein Widerspruch in sich, frei aber doch an einen Ort gebunden. Diese zerrissene Existenz war jedoch menschengemacht. Wegen ein paar Hektar Bauland war vor Jahrzehnten schon sein Fluss zerstört und sein Dasein als Flussgott fast beendet worden. Doch er und sein Fluss waren stark. Auf einer kurzen Strecke zwischen Quell und dem Verschwinden im Boden floss der Strom noch immer wie in alten Zeiten durch die Landschaft. Doch ein so unbedeutend kleiner Lauf verlangte nicht mehr die Präsenz seines Patrons. Aber auch wenn Haku physisch abwesend war, spürte er dennoch genau jeden Tropfen Wasser, der durch ihn hindurchfloss. Er und der Fluss, sie waren eins. Ein Wesen, ein Bewusstsein. Er war sich jeden Sandkorns in seinem Bett gewahr.
 

Dort waren sie sich auch das erste Mal begegnet, stellte er fest, als seine Aufmerksamkeit wieder zu dem Gedanken davor zurücksprang. Sie drohte in ihm zu ertrinken, hilflos in seiner damals noch kräftigen Strömung gefangen. Er war ihr zu Hilfe geeilt, hatte sie zurück ans Ufer gebracht. Wie konnte er damals auch nur ahnen, dass diese eine, so kurze Begegnung sein Leben schon bald verändern würde? Jetzt stand er jeden Tag kurz vor der Dämmerung im Garten zwischen den das ganze Jahr über blühenden Pflanzen an der Grenze zu ihrer Welt und hoffte wie ein liebeskranker Narr, dass sie wieder zu ihm zurückkehren würde.
 

Bei ihrem Abschied hatte er Chihiro versprochen, dass sie sich wiedersehen würden. Bald jedoch musste er einsehen, dass es schwierig sein würde dieses Versprechen auch zu erfüllen. Er konnte als Geist nicht einfach nach Belieben durch die Welt der Menschen spazieren, es war ihm nur erlaubt sich an seinem Fluss oder einem ihm gewidmeten Schrein aufzuhalten. In der ersten Zeit trieb er oft wartend in seinen Fluten, hatte tatsächlich die naive Hoffnung gehabt sie so wiedersehen zu können. Doch sie tauchte nie auch nur in seiner Nähe auf. Irgendwann hatte er eingesehen, dass es so sinnlos war. Es war ihm unmöglich sie zu suchen, er war nun einmal – ob er wollte oder nicht – an diesen einen Ort und an seine Welt gebunden. Also hoffte er seitdem, dass sie den Weg zurück in die Geisterwelt finden würde. Genau wie damals, als sie ein ängstliches Mädchen war und er sie völlig verzweifelt kurz vor der Dämmerung aufgelesen hatte.
 

Deshalb stand er nun jeden Abend an der Grenze zu ihrer Welt und seine grünen Augen suchten die weiten Wiesen nach einem Hinweis auf sie ab. Auch das war an und für sich ein eher hoffnungsloses Unterfangen, doch er hatte ein Versprechen gegeben. Jeden Tag, kurz bevor mit der Dämmerung das rege Treiben im Badehaus beginnen würde, stand er zwischen den prallen Hortensien. Egal ob Sommer oder Regen, er würde auf sie warten. Wenn es sein musste bis in alle Ewigkeit.
 


 

All diese Gedanken und Empfindungen behielt er aber sorgsam für sich. Nur an diesem Ort, zu dieser Zeit gestatte er sich diesen Augenblick der Schwäche. Nach außen hin war er ein bestimmt und sachlich auftretender Mann, der seinen scharfen Verstand nicht durch so etwas Nutzloses wie Gefühle trüben ließ. Sein Ruf unter den Arbeitern war berüchtigt, er galt als streng und akzeptierte nichts anderes als Perfektion. Doch er verlangt dasselbe auch von sich selbst und er verhielt sich stets fair, auch den niedersten Hilfsarbeiter behandelte er mit Respekt. So war er trotz seiner Makel respektiert und niemand wagte es auch nur ihn in Frage zu stellen. Schließlich kannten alle die Alternative und die Willkür und Launen Yubabas wünschte sich nun wirklich niemand zurück.
 

Hastige Schritte näherten sich seinem geheimen Refugium. Eine völlig aufgelöste Rin rannte auf ihn zu und rief schon von weitem: „Meister Haku, kommt schnell! Die Fuchsgeister, diese unmögliche Bande… Sie haben während des Tages, als jeder geschlafen hat, alle Becken dazu benutzt unsere Tofuvorräte zu frittieren. Alles ist voller Öl, alles stinkt, es ist eine Katastrophe! In jeder Ecke stapelt sich nun das fettige Zeug und die Plagegeister finden das auch noch komisch! Sie haben mich ausgelacht und gefragt, was ich denn habe, das sei doch eine köstliche Überraschung!“ Die Schwarzhaarige redete sich mit jedem Schritt, den sie sich dem Drachen näherte, weiter in Rage und erreichte ihn wie eine Furie schimpfend.
 

Es hatte lange gedauert, bis sie ihn gefunden hatte. Mit blanken Nerven war sie fast einmal durch das gesamte Gebäude gestampft, in der Hoffnung, dass ihr junger Herr dem unerhörten Treiben ein Ende setzen würde. Erst als sie unter dem Dach angelangt war und ihn immer noch nicht gefunden hatte, erinnerte sie sich daran, wo sie ihn schon einmal kurz vor der Dämmerung angetroffen hatte. Es irritierte sie ihn auch heute wieder zur gleichen Zeit am gleichen Ort zu treffen und das Grübeln über den Umstand brachte ihren Furor für den Moment zum Verrauchen. Neugierig beobachtete sie sein scharf geschnittenes Gesicht, darauf bedacht sich ja nichts anmerken zu lassen. Komisch, warum war sein Gesicht so regungslos, trotz der schlechten Nachrichten, die sie ihm überbracht hatte? Gewöhnlich hätte er sie schon längst gefragt, wie so etwas nur passieren konnte. Nicht einmal die kleinste Spur Ärger flammte in seinen grünen Augen auf, sie weilten trüb in der Ferne und schienen etwas zu suchen. Überhaupt sah Haku aus, als sei er mit den Gedanken sehr weit weg. Es hatte etwas sehr Melancholisches, wie der Drache da in der immer weiter aufziehenden Dämmerung an der Grenze zwischen Grasland und Garten stand, der lange, dunkelgrüne Zopf im Wind flatterte und er sehnsuchtsvoll in die Ferne blickte.
 

Auch Rin vermisste Sen. Sie hatte die Kleine und ihre unbekümmerte Art gleich ins Herz geschlossen und vermisste ihre Fröhlichkeit seitdem oft zwischen den vielen gestressten Gesichtern. Ging es dem Drachen etwas auch so? Sicher, sie hatten wohl damals viel zusammen erlebt, aber dass das Menschenmädchen so einen Eindruck auf den verschlossenen Flussgott gemacht hatte, konnte niemand ahnen. Nie hatte er auch nur ein Wort ihr gegenüber über das verloren, was er damals während ihres kurzen Abenteuers mit Sen erlebt hatte. Rin hatte selbst einmal einen stillen Moment genutzt und versucht mit Haku über die Lücke zu sprechen, die das Mädchen in vielen Herzen hinterlassen hatte. Er hatte schließlich die meiste Zeit mit ihr verbracht und so hatte sie gehofft, dass er es verstehen würde. Doch er hatte sie schroff abgewiesen und seither jedes Gespräch im Keim erstickt, das sich um Sen drehte.
 

Jetzt, wo sie ihn so einsam warten sah, verstand sie endlich warum. Die größte Lücke hatte das Menschenkind im Herzen des Drachen hinterlassen und diese Lücke war seit dem Tag des Abschieds nicht ein bisschen verheilt. „Du hoffst Sen wiederzusehen und wartest hier auf sie, stimmt’s?“, fragte die junge Frau mit gesenkter Stimme. Auch wenn sie hier allein waren, wollte sie so diskret wie möglich sein. Ertappt verzogen sich Hakus Lippen zu einem bitteren Lächeln. „Jeden Tag.“ Er gestattete sich noch einen hoffenden Blick an den Horizont, dann endlich schaffte er es seine Augen von der Grenze von Himmel und Gras zu lösen und wandte sich den Problemen des Hier und Jetzt zu. „Du sagtest, die Inari haben wieder einen ihrer Streiche gespielt?“ Rin antwortete mit einem grimmigen Lächeln: „Lass uns den Füchsen die Leviten lesen!“ Energisch wandte sie sich zum Gehen und ging zügig voran. Dicht folgte ihr der Generalbevollmächtigte des Badehauses, ohne sich auch nur noch einmal umzudrehen, um seines Amtes zu walten.
 


 

A/N: Laut einer bekannten Legende haben die japanischen Fuchsgeister, Inari genannt, den Ruf, gerne Aburaage (frittierten Tofu) zu essen. Deshalb heißt auch die Udon-Suppe mit Aburaage als Einlage „Kitsune-Udon“ und die Sushivariante damit „Inarizushi“; nach Fuchsart sozusagen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Das kleine, hungrige Kommentar-Ungeheuer möchte gerne gefüttert werden, sonst beißt es ;) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Otaku64
2015-03-22T19:46:50+00:00 22.03.2015 20:46
*hust*streber*hust*
Ich bin auch ein elender perfektionist......ICH MOCHTE HAKU SCHON IMMER!!!!!!!!! und jetzt wirkt er perfekt
Antwort von:  Seelenfinsternis
22.03.2015 21:13
seit wann verlaufen meine Plots nach Euren Wünschen und Erwartungen? ;)


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