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Ich bin bereits tot

John-Cleaver-Reihe
von

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Kapitel 6: Hast du irgendetwas herausgefunden?

Technik und ich waren noch nie Freunde gewesen. Es ist als wüsste die Technik, dass ich nicht normal bin, könne mich aber nicht richtig einordnen und stoße mich deswegen ab. Natürlich funktioniert diese Annahme nur, wenn man der Technik ein Bewusstsein zuspricht.

Allerdings kann ich nicht abstreiten, dass ich im Laufe meines Lebens mehrere Handys, PCs und auch Lampen verschlissen habe. Von brennenden Toastern ganz zu schweigen. Wenigstens gewöhnte man sich irgendwann an diesen Umstand und war dann auch nicht mehr erstaunt, wenn ein weiterer Toaster mit einer Stichflamme das Zeitliche segnete.

Im Gegensatz zu mir zeigt Faren nie ein Problem damit, deswegen überließ ich es ihm, mehr Informationen zu sammeln. Im Grunde gab es keinen Anlass für uns, aktiv nach John zu suchen. Ich war mir sicher, dass er uns in Ruhe ließe, sofern ich aufhörte, Verwelkte zu jagen oder zumindest den Ort – am besten den Staat – dafür wechselte. Er und Rack waren nur deswegen auf mich und Faren aufmerksam geworden, weil wir zufällig zur selben Zeit am selben Ort waren. Ich war mir sicher, das Interesse könnte genauso schnell wieder enden.

Aber wir wussten beide, ohne es aussprechen zu müssen, dass wir nicht zulassen konnten, dass die beiden weiter zahlreiche Menschen töteten.

Aufgrund meines Zustandes hatte Faren mich den Rest der Nacht schlafen lassen, um allein zu recherchieren. Als ich gegen Mittag wieder wach wurde – glücklicherweise ohne Kopfschmerzen –, trank Faren, der neben mir saß, gerade einen Kaffee und tippte immer noch auf der Tastatur seines Netbooks, das er auf seinen Oberschenkeln ruhte. Es war ein kleines Gerät, nur unwesentlich größer als ein Smartphone, mit außergewöhnlicher Verzierung. Die dunkelrote Verschalung war mit goldenen Blättern versehen, die ein Muster bildeten, das mir vollkommen unbegreiflich war. Einmal hatte ich Faren danach gefragt, aber seine Antwort war nur ein einfaches, vielsagendes Lächeln gewesen. Er liebte seine kleinen Geheimnisse eben.

Ich setzte mich aufrecht hin, um ebenfalls einen Blick auf den Bildschirm werfen zu können. Im Moment war nur eine Facebook-Seite zu sehen, der Name der Person interessierte mich aber nicht weiter. Es schien ohnehin nur irgendein Freund von Faren zu sein, den ich nicht kannte.

Er lächelte mich derweil an. „Guten Morgen~. Hast du gut geschlafen?“

Ich wies ihn nicht darauf hin, dass es bereits Mittag war – wie mir die Uhr in der unteren rechten Ecke des Bildschirms verriet – sondern nickte. „Hast du irgendetwas herausgefunden?“

„Natürlich.“ Er klopfte sich selbst auf die Schulter. „Allerdings war ich eine Weile auch damit abgelenkt, mir etwas über John Wayne Gacy durchzulesen.“

Der Name klang ähnlich, aber er war nicht derselbe. Was gab es über so jemanden zu lesen?

„Er war ein Serienkiller“, erklärte Faren mir. „Er hat 33 Jungen und Männer getötet.“

„Hat das etwas mit Cleaver zu tun?“

„Eigentlich nicht.“

Bei Farens Lächeln fiel es mir schwer, verärgert zu sein, aber ich brachte zumindest ein Schnauben zustande, damit er wusste, wie wenig ich von dieser Ablenkung hielt.

Er klickte auf einen anderen Tab in seinem offenen Browser. Es war ein Artikel aus einer regionalen Zeitung über einen Vorfall in einem County namens Clayton. Ich überflog ihn lediglich, stellte fest, dass es auch hier Serienmorde gegeben hatte und es einem Jungen namens John Wayne Cleaver gelungen sei, ihn zu vertreiben.

„Und dann das.“

Faren klickte auf einen weiteren Tab. Ein weiterer Serienmörder, diesmal im gesamten Land, der aber in Clayton getötet worden war – von John Wayne Cleaver.

„Und hier.“

Noch ein Tab. Wieder eine Todesserie, wieder in Clayton. Eine Frau namens April Cleaver war in der Auseinandersetzung mit dem Mörder gestorben. Und sie war – Überraschung – die Mutter von John Wayne Cleaver gewesen.

„Das kann kein Zufall sein“, stellte ich fest.

„Ist es auch nicht.“ Faren deutete auf den Bildschirm. „Die Details zu den Opfern, die öffentlich sind, deuten darauf hin, dass sie von Verwelkten getötet wurden.“

Also hatte John die Verwelkten bekämpft und war dann einer der ihren geworden. Aber weswegen?

„Er muss Racks Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben“, schlussfolgerte Faren. „Und dann hat er ihn in einen Verwelkten verwandelt.“

Es wunderte mich auch nicht. Wenn es einem einfachen Menschen gelang, mindestens drei Verwelkte auszuschalten, musste das doch die Aufmerksamkeit ihres Königs wecken. Selbst bei mir war es geschehen, aber ich hatte zumindest die Unterstützung meiner Verwelkten-Gene besessen. Was für ein wundersamer Mensch und damit wertvoller Verbündeter musste John da erst sein?

„Hast du noch mehr über ihn herausgefunden?“

Faren tippte ein wenig ungeduldig auf dem Rahmen seines Netbooks. „Das war ein echtes Problem. Normalerweise hat so gut wie jeder irgendein Facebook-Profil. Sogar der Kerl, der hier im Motel ermordet wurde hatte eines.“

Ich glaubte, mich an einen kurzen Augenblick zu entsinnen, als ich zwischen seinen Erinnerungen auch sein Profil sehen konnte. Aber es war nur undeutlich, vielleicht kam mir da auch eine meiner eigenen Erinnerungen in die Quere.

„Aber John Wayne Cleaver aus Clayton? Nope, nada. Er hat keinerlei Einträge auf irgendeiner Social Media Seite. Abgesehen von diesen Artikeln findest du nichts über ihn, außer ...“

Er verstummte und sah mich schmunzelnd an.

„Spann mich nicht auf die Folter, das ertrage ich heute nicht.“

Der Druck in meinem Kopf begann bereits wieder zuzunehmen. Faren hörte auf meine Bitte und klickte auf einen weiteren Tab. Dieser enthielt eine Vermisstenanzeige für John – und das abgebildete Foto war eindeutig der Verwelkte der letzten Nacht. Hatte er wirklich bereits als Mensch derart blass und übernächtigt ausgesehen?

„Das ist er.“

Faren nickte zufrieden. „Er wurde vom FBI vermisst gemeldet, ich nehme an, er gehörte zu der Gruppe, die nach Verwelkten jagt.“

Das empfand ich als passend für jemanden mit seinem Können. Ich wusste zwar nicht, wie ihm das alles gelungen sein mochte, aber etwas musste er ja haben.

„Hilft uns das irgendwie weiter?“

Faren ging auf den vorletzten Tab. Es war ein weiterer Artikel aus einer regionalen Zeitung, in diesem wurde Johns Verschwinden nur kurz umrissen (und er wurde lediglich als John C. bezeichnet). Ansonsten ging es um die Rückkehr seiner Begleiterin Brooke W. nach Clayton.

„Wie passt dieses Mädchen jetzt hinein?“

„Das frage ich mich auch“, gab Faren zu. „Aber soweit ich mitbekommen habe, ist sie gemeinsam mit John vorher unterwegs gewesen. Und wenn du bedenkst, dass er zum FBI gehört hat, bedeutet dies, dass sie ebenfalls mit denen unterwegs war.“

Und sie nahmen sicher nicht einfach nur irgendein Mädchen mit, das sie dann auch noch durchfüttern mussten. Es gab irgendetwas, das sie bieten konnte – aber warum hatte Rack sie dann zurückgelassen? Sie nicht einmal getötet?

„Wir wissen zu wenig“, schloss ich meine Gedanken ab, was Faren mit einem Nicken bestätigte.

„Das ist echt schlecht. Deswegen dachte ich mir, wir sollten mit ihr reden gehen.“

Ich sah zu ihm hinüber, erwartete ein verräterisches Schmunzeln, aber er war vollkommen ernst.

„Was denn?“, fragte er. „Wir können kaum zu John selbst hingehen und ihn fragen, was seine Schwächen sind und all das, um ihn aufzuhalten.“

Das entsprach natürlich der Wahrheit. Wir konnten ihn nicht einfach davonkommen lassen, wenn er zu Rack gehörte und Menschen zerstörte, wie diesen Baseballspieler. Aber uns gegen einen neuen Verwelkten zu stellen über den wir absolut nichts wussten, war auch kein kluger Plan. Also blieb als einzige Alternative wirklich, diese Brooke aufzusuchen. Sie musste mehr über John wissen und auch darüber, was er beim FBI so Tolles getan hatte, um Racks Aufmerksamkeit endgültig auf sich zu ziehen.

„Okay, du hast mich überzeugt. Aber wie sollen wir sie finden?“

Faren streckte stolz die Brust heraus. „Es hat einiges an Zeit gekostet, aber ich konnte die Namen einiger Opfer der letzten Todesserie in Clayton rekonstruieren. Wusstest du übrigens, dass sie samt und sonders junge Mädchen waren und sich alle die Pulsadern aufgeschnitten haben?“

Er sah mich erwartungsvoll an und ich lieferte sofort: „Hulla?“

„Klingt ganz danach“, sagte Faren, er deutete zu der Tasche mit den Unterlagen meines Vaters hinüber. „Jedenfalls wäre das die einzige Verwelkte, die auf diese Art agiert und Cathan bekannt war.“

Es gab Verwelkte, die im Ritual ihren verhassten Körper hinter sich gelassen hatten und die Fähigkeit gewannen jeden zu besetzen, der ihnen beliebte. Aber die Vorgehensweise war bei ihnen stets anders. Es gab solche wie Mkhai, die sich brutal nahmen, was sie wollten und den alten Körper beim Verlassen einfach zersetzten – und dann gab es solche wie Hulla, die ihren Wirt zwar verlassen konnten, aber es bevorzugten, das zu tun, indem sie den Körper verletzten und den Seelenstoff wie Blut durch diese Wunden hinauszulassen. Für jeden Außenstehenden musste das natürlich aussehen als ob jemand sich selbst umgebracht hatte.

Und es klang insofern nach Hulla, dass es junge Mädchen getroffen hatte. Laut Cathans Unterlagen waren das Hullas bevorzugte Opfer, da sie in ihnen allen etwas suchte, das ihr fehlte. Das machte es besonders schwer, sie zu finden. Doch wenn sie in Clayton gewesen war, während John dort noch Verwelkte gejagt hatte, gehörte sie möglicherweise nun der Vergangenheit an.

„Aber darum geht es ja gerade nicht“, fuhr Faren fort. „Über diese Namen fand ich auch die entsprechenden Facebook-Profile mit den offenen Kondolenz-Einträgen, wo ich wiederum den vollen Namen von Brooke fand: Brooke Watson.“

In meinem Kopf drehte sich bereits alles. Von allem, was Faren erklärte, verstand ich gerade mal die Hälfte. Deswegen war ich wieder einmal froh, dass er die Recherche übernommen hatte. Ich wäre nie irgendwo gelandet.

„Brooke Watson hat ein Facebook-Profil“, fuhr er fort, „aber das liegt schon seit einiger Zeit brach. Glücklicherweise fand ich aber ein Profil eines ihrer Verwandten. Und der erzählte von einem Besuch bei ihrem derzeitigen Aufenthaltsort.“

„Kommst du endlich zum Punkt?“

Es schien ihm diebisches Vergnügen zu bereiten, mich so lange zappeln zu lassen. Dabei wollte ich doch nur wissen, wo sich Brooke Watson gerade aufhielt.

„Ja ja, da bin ich ja gleich.“ Faren seufzte theatralisch. „Ihr Verwandter hatte seine Ortung bei diesem Posting aktiviert – und dadurch weiß ich, dass sie sich in einer Nervenklinik in der Nähe von Clayton aufhält!“

Wieder streckte er die Brust heraus, als erwarte er ein Lob oder eine besondere Belohnung dafür, dass er das alles geschafft hatte. Und ich muss zugeben, dass ich wirklich beeindruckt war in diesem Moment. Er hatte in der kurzen Zeit mehr herausgefunden als es mir in zahlreichen Wochen gelungen wäre – und das alles nur mit einem Computer.

„Ich habe auch schon die Adresse“, sagte er, bevor ich zu einem Lob kommen konnte; vermutlich war ihm mein fassungsloser Blick bereits genug gewesen. „Wir können sofort packen und los.“

Das zeigte mir dann aber wieder, dass er nicht ganz durchdachte, was er da so vorschlug. Ich zog die Brauen zusammen und deutete in Richtung des Fensters. Vom Bett aus konnte ich keinen verdächtigen Wagen entdecken, aber ich wusste, dass die Polizisten noch dort draußen standen. Als wir wieder im Motel angekommen waren, hatte ich sie gesehen – und nach gestern waren sie bestimmt nicht einfach verschwunden.

Außerdem hatten wir nicht ewig Zeit – ich war mir sicher, dass wir Johns Spur wieder verloren, wenn wir ihm zu langweilig wurden – und mit dem Auto bis nach Clayton zu kommen, dürfte viel zu lange dauern. Das Flugzeug käme aber wohl kaum in Frage, wenn man eines Mordes verdächtigt wurde.

Faren strich mir lachend durch das Haar. „Du vergisst, mit wem du hier sprichst. Ich habe darüber natürlich schon nachgedacht. Und es wird Zeit, dass jemand mir einen bestimmten Gefallen erweist.“

Faren öffnete seinen letzten Tab. In diesem war ein weiteres Facebook-Profil zu sehen. Der Name – Jonathan McDoe – sagte mir nichts, aber das Bild dazu durchaus. Er war derjenige, der uns die falschen Identitäten und die dazugehörigen Pässe verschafft hatte.

„Meinem persönlichen Meisterfälscher“, sagte Faren stolz, „wird bestimmt etwas einfallen, um uns schnellstens nach Clayton zu befördern.“



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