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New Millennium

von

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Esna Omega, Hochburg des Fortschrittes

An einem ganz anderen Ort in der Galaxie, weit entfernt von der Erde, schwebte das größte Schiff der Neumenschen durch die Tiefen des Alls. Sie waren im Krieg bereits weit zurückgedrängt worden, konnten, im Gegensatz zu ihren Feinden, kaum mehr in der Nähe der Erde bleiben. Alle Kolonien der Neumenschen waren deshalb völlig verstreut, doch dank ihrer Technologie war immer eine Verbindung zum Mutterschiff gewährleistet. Das war wichtig, denn von Esna Omega aus wurde alles gesteuert und kontrolliert. Das Kolonieschiff war der Kern der Neumenschen.
 

Äußerlich war es das komplette Gegenteil von Heliopolis. Statt gläserner Kuppeln und einer Imitation der Natur auf der Erde, war dies tatsächlich eine richtige Raumstation von gigantischem Ausmaße. Sie war von einer starken Panzerung geschützt, es hieß sogar, schier undurchdringbar soll der Stahl sein, dessen Herkunft andere, unbewohnte Planeten und diverse Asteroiden sind. Und im Inneren lebten die Neumenschen in einem komplexen System, dass man kaum noch eine Stadt nennen konnte. Es gab keinen Himmel, überall flackerte künstliches Licht in den Straßen aus Metall, die so steril wirkten, als könnte man meinen, hier würde nicht einmal ein Mensch leben. Es sah fast aus wie das innere eine Computerchips. Riesige blockförmige Gebäude bildeten aneinandergereiht verschachtelte Gänge.
 

Und die Bewohner dieser Stadt wirkten selbst fast wie von einem anderen Stern. Alles wirkte so künstlich. Buntgefärbte Haare waren Mode, ebenso hautenge Anzüge, künstliche Stoffe, die nicht nur schick aussehen sollten, sondern auch wichtige Funktionen wie Feuerfestigkeit oder Schutz gegen Geschosse hatten. Noch dazu trug hier jeder die von den Urmenschen so verhassten „Implantate.“
 

Sie waren der Inbegriff der Neumenschen, die Technologie, die sie zu den besseren Menschen machen sollte. In ihrem Nacken waren die Implantate gut zu sehen, ein solches bekam jeder ab dem vierzehnten Lebensjahr, wenn der Körper und vorallem das Gehirn ausgereift genug waren. Denn an dieses wurde das Implantat angeschlossen, über künstliche Nervenbahnen bildete es eine Verbindung zwischen dem menschlichen Gehirn und dem System, das Esna Omega und all die anderen Neumenschenkolonien steuerte. Der Mensch wurde zu einem lebenden Computer.
 

Ein Neumensch konnte so durch seine Gedanken Maschinen steuern, verlinkte sich mit einem virtuellen Netzwerk, dass die Menschen miteinander verband. Telefone brauchten sie zum Beispiel nicht mehr, denn sie konnten mit jedem kommunizieren, mit Hilfe der Implantate und des Netzwerks. Sie konnten sich Fähigkeiten und Wissen aneignen, ohne sich groß anstrengen zu müssen. Und der Fortschritt war kaum aufzuhalten, ihre Technologie wurde stetig verbessert.
 

An einem Ort ganz besonders. Es war ein Komplex aus vielen Laboren, in denen die besten Wissenschaftler aller Neumenschenkolonien stetig am System arbeiteten, ebenso an Kriegsmaschinen und der Verbesserung des menschlichen Körpers durch Implantate und Prothesen. Es war keine große Sache mehr sogar das Herz eines Menschen komplett künstlich nachzubauen und zu ersetzen. Das Durchschnittsalter in Esna Omega war sehr hoch. Es gab Menschen, die sogar über zwei Hundert Jahre alt wurden …
 

Zwei junge Neumenschen waren auf dem Weg zu diesen Laboren, zu einem ganz bestimmten. Ihr Vorgesetzter, aber auch Kollege und Kamerad wartete dort auf sie. Ihr kleiner Ausflug zur Erde und der damit zusammenhängende Angriff auf die Urmenschen schlug fehl, auch wenn sie einen guten Kampf ablieferten, die beiden jungen Piloten waren sichtlich unzufrieden. Und angeschlagen. Sie trugen noch ihre hautengen Pilotenanzüge, die aber zerrissen waren, einem der beiden Kämpfer fehlte fast der halbe rechte Unterarm.
 

„Mann, Matos! Das gehört geflickt. Hat dir dieser Schwertschwinger doch etwas zugesetzt? Alpha sah echt fitter aus, als du es bist!“, sprach der Jüngere besorgt, ein weißhaarige Junger mit einer grünen Strähne, die ihm ins Gesicht fiel. Sein Name war Jirair Tredat und er war der Pilot von Esna Beta.
 

Sein Kamerade, Matos Shervashidze, mit violett gefärbten Haaren, war ein schlanker Junge mit einem sanften Gesichtsausdruck. Er schüttelte nur den Kopf, als Jirair mit ihm redete. Er sprach kein Wort, dennoch schien ihn Jirair zu verstehe. Er sah ihn an, als würde er ihm zuhören, wie er redete, aber er bewegte die Lippen nicht. Es war für viele ein Rätsel, wie die beiden es überhaupt schafften, miteinander zu reden, ohne über die Implantate miteinander verbunden zu sein, denn Matos war stumm. Er konnte nicht sprechen. Ihre Freundschaft war wohl eine tiefe Verbindung, so dass sie sich auch wortlos verstanden.
 

„Tzila hat sicher alles überwacht. Er soll sich dein Wehwehchen mal ansehen. Pass aber auf, sonst setzt er dir bei der Gelegenheit noch irgendeinen Chip in den Kopf. Mir reicht es ja schon, dass er mir direkt in den Kopf klingeln kann …“ Jirair sprach immer so von ihrem Kollegen. Er steuerte die dritte Maschine, Esna Gamma, aber kämpfte diesmal nicht mit, er wollte diesen Hinterhalt nutzen, um etwas mehr über die besondere Elite der Urmenschen zu erfahren.
 

Tzila Anralgyth war nämlich Wissenschaftler, aber nicht irgendeiner … Er war der führende Forscher im Bau von Kampfrobotern und galt als Profi, wenn es um die Manipulation des menschlichen Verstandes ging. Die aktuellen Modelle der Implantate baute er. Und natürlich die drei Esnas, die stärksten Maschinen der Neumenschen, gingen auf seine Kappe. Dennoch hielt jeder Abstand zu ihm, denn er war ein höchst eigenartiger Kauz.
 

Matos und Jirair betraten die Labore, folgten den leuchtenden Markierungen am Boden zum Sektor Z-67, dort, wo der Wissenschaftler seine Werkstätte und seinen Arbeitsplatz hatte. Und den fanden sie auch gleich vor, auf einem schwebenden, breiten Bürostuhl, wie er sich mehrmals um die eigene Achse drehte. Das half ihm angeblich beim Nachdenken. Das Labor war schön aufgeräumt, konnte man kaum glauben, aber er mochte es ordentlich. Wenn um ihn herum Chaos herrschte, so meinte er immer, bestünde auch in seinem Kopf ein Durcheinander.
 

Auf Podesten und Tischen standen Maschinenteile, große, kleine. Auf Hologrammen flackerten Skizzen zu Kampfrobotern, aber auch zu diversen Modellen von Implantaten. Und hier und da flitzten Assistenten und Helferroboter durch den Raum.
 

Jirair schritt schnell auf ihn zu, stoppte den Stuhl mit einem Fuß. „Du hast uns gerufen, hier sind wir. Und Matos' Arm ist hinüber. Du musst die Prothese richten.“ Er stemmte die Hände in die Hüften und blickte den Wissenschaftler streng an.
 

Der zuckte nur mit den Schultern. Schon bei seinem Anblick war klar, dass mit ihm irgendetwas nicht stimmte. Er trug auch die typische Ganzkörperkleidung der Neumenschen, darüber aber einen weißen Kittel. Und sein silbernes Haare war glanzlos und völlig zerzaust, während sein fahles Gesicht eine gewisse Gleichgültigkeit ausstrahlte. Er legte den Kopf in den Nacken und grinste nur, fast schon spöttisch.
 

„Jungs, das war eine grauenhafte Vorstellung. Euer Ziel war es, eine von diesen Maschinen zu zerstören. Ich wollte das Wrack für Nachforschungen haben. Und stattdessen habt ihr sie weglaufen lassen. Tz … Muss ich wohl das nächste Mal wieder selbst mit.“ Dann sprang er auf, woraufhin Jirair erstmal ausweichen musste. Tzila steckte die Hände in die Kitteltaschen und musterte den verletzten Matos.
 

Sofort verzog er das Gesicht. Er sah Blut. Und er hasste Blut. Er konnte den Anblick nicht ertragen, ihm wurde davon immer übel. Deshalb nutzte er gleich die Fähigkeiten seines Implantats und schaltet seine Farbsicht ab. Wenn das Blut nur eine dunkelgraue Flüssigkeit war, störte es ihn weniger. Ohne diese Möglichkeit könnte er auch nie Menschen die Implantate in die Nacken operieren. Er zog sich gleich Handschuhe an und brummte etwas vor sich hin, als er den Arm von Matos hochhielt und genauer betrachtete. Man sah Kabel heraushängen, ebenso Metall aufblitzen. Als hätte man einem Roboter den Arm abgeschlagen. Der Lilahaarige trug eine Prothese, und die hatte wohl einigen Schaden abbekommen. „Sieht nicht schlimm aus. Meine Leute werden sich gleich drum kümmern. Pass auf, dass du mir hier nichts einsaust, mit deinem Blut …“ Er rümpfte die Nase und überließ seinen Asssistenten den verletzten Jungen. Mit so Kleinigkeiten wollte er sich nun auch nicht beschäftigen. Er warf sich wieder auf seinen Stuhl, nahm die Handschuhe ab und warf sie zielgenau in den nächsten Mülleimer.
 

„Ihr sollt es mit der Synchronität nicht immer so übertreiben. Ihr seid schon bei 100%. Mehr braucht ihr nicht. Noch nicht. Wenn ihr es kontrollieren könntet, wäre das ja kein Thema, aber … ihr seid einfach noch nicht so reif. Und Matos schon gar nicht. Wenn er sich wenigstens weiter körperlich verbessern lassen würde, könnte er sich solche Verletzungen sparen. Ahhh … Das ist wirklich ein Problem.“ Die Wahrheit war nämlich, je weniger „menschlich“ man war, desto besser konnte man die Kampfmaschinen steuern, so baute und programmierte Tzila sie. Und während er und Jirair fast schon zur Hälfte selbst Maschinen waren, weigerte sich Matos, noch mehr an sich verändern zu lassen. Er mochte einfach keine Operationen. Und vorallem keine Spritzen. Doch mit denen ärgerte Tzila ihn ständig …
 

Man sah dem stummen Jungen auch gleich das Unbehagen in seinem sonst so weichen Gesicht an. Vorallem, als die Asssistenten kamen und den Arm reparieren wollten. Er riss sich gleich los, bevor er noch tatsächlich unters Messer, oder eher, unter den Schraubenzieher kam und eilte wortlos davon. Nicht ganz, zu Jirair sagte er nämlich noch etwas: „Es tut mir Leid. Ich wollte keine Umstände machen. Ich gehe … Ich sehe nach Alpha. Mir geht es gut. Macht euch keine Sorgen!“
 

So war er immer. Er entschuldigte sich oft und fühlte sich gleich schlecht. Aber er wollte auch einfach nur einem Eingriff entgehen. Da vergaß er sogar die Schmerzen im Arm, Hauptsache weg hier. Dieses Labor war ihm nie geheuer.
 

„M-Matos, warte doch!“ Und schon war er weg. Jirair konnte ihn nicht einmal festhalten. Er seufzte nur. „Er hat Angst vor dir. Wahnsinniger Wissenschaftler. Du willst ja auch an allem und jedem herumbasteln. Denk doch mal dran, dass es Leute gibt, die das nicht wollen!“ Kaum fertig gesprochen, bereute er das auch. Dieses Thema war tabu, vorallem vor dem Wissenschaftler. Deshalb waren sie ja Neumenschen, weil sie sich verbessern wollten, oder eher, sie mussten es ja auch, um hier leben zu können. Das war nichts, wofür man sich entschied, sondern sich damit abfand. Es hatte ja keine Nachteile. Der Fortschritt hatte nie Nachteile, das waren die Ansichten auf dieser Kolonie. Der Blick von Tzila verfinstere sich gleich nach Jirairs Aussage.
 

„Wer ein Problem damit hat, hat hier nichts zu suchen. Der Fortschritt ist unser Glaube, unsere Existenz. Wer sich dem nicht bekennt … kann sich ja zu den Urmenschen gesellen. Aber die werden bald untergehen, genauso wie ihre Kolonie und diese eine Raumstation fiel, die wir eingenommen haben. Und nun sind die Menschen dort ein Teil von uns. Sie haben unser System akzeptiert. Gut, es blieb ihnen keine andere Wahl, als sich anzupassen, hehe … Das sollte dein Freund auch langsam begreifen. Anpassen oder … eines Tages untergehen.“ Damit hatte er wohl Recht, so grausam es klang, aber das war die Absicht der Neumenschen. Jeder muss sich dem Fortschritt beugen, das beginnt schon bei ihrer Geburt mit einem Identifikationschip, der eingepflanzt wird. Und Aufwertungen und mechanische Verbesserungen gehörten zum Alltag. Nicht einmal die Menschen der übernommenen Kolonien konnten sich dagegen wehren, sie wurden einfach angepasst.
 

„Dir scheint es ja gut zu gehen. Dann wirst du hier bleiben und mit mir die Statistik eures Kampfes auswerten. Irgendwann kommt Matos schon wieder angekrochen. Keiner will mit einem halben Arm herumlaufen.“ Tzila lehnte sich entspannt zurück. Vor ihnen flackerten dutzende Hologrammbildschirme, auf denen Zahlen, Daten und Werte flimmerten.
 

Und Jirair erschauderte nur. Tzila konnte schon sehr unheimlich sein, vorallem, wenn es um die Ideale der Neumenschen ging. Wenn er so drauf war, konnte er ihm gar nicht widersprechen, aus Angst, er würde daraufhin für Experimente missbraucht werden.
 

Im Hangar von Esna Omega war es immer sehr still. Die Kampfroboter wurden von Maschinen gewartet, das meiste hier funktionierte automatisch oder ferngesteuert, es waren selten Techniker anwesend. Matos kam genau deswegen gerne hierher. Hier fühlte er sich sicher. Hier gab es keine irren Wissenschaftler mit Spritzen. Aber er wusste, irgendwann musste er zurück, von selbst konnte sich sein Arm nicht reparieren. Und es tat ja doch ziemlich weh.
 

Ganz alleine war er aber nicht. Sein Gesichtsausdruck hellte sich etwas auf, als er eine vertraute Kameradin sah. Ein hübsches junges Mächen mit kurzen Haaren, die in einem dunklen Magenta gefärbt waren, und einer zierlichen Figur, ihr Lächeln war äußerst lieblich und genau das war es, was auch Matos ein wenig fröhlicher stimmte. Ihr Name war Yue Lifen und sie war etwas ganz besonderes.
 

Sie war eine der einzigen richtigen Cyborgs, die auf den Neumenschen Kolonien existierten. Geboren als Mensch, hatte sie nun jedoch einen komplett künstlichen Körper, lediglich ihr Gehirn war noch biologisch. Sie war demnach unsterblich, aber all das war es nicht, was sie so besonders machte. Es war ihr Ehrgeiz. Ihr Wille, etwas zu erreichen und sich immer weiter zu verbessern. Und jeder konnte diesen Willen spüren, auch wenn die Reaktionen darauf eher unterschiedlich waren. Obwohl die Menschen hier selbst immer mehr zu Maschinen wurden, war ihnen eine Person, die fast zur Gänze schon künstlich erschaffen wurde, nicht ganz geheuer. Vorallem, wenn sie so eigenständig waren und einen starken Charakter besaßen. Würde man es nicht wissen, würde man auch nie vermuten, dass Yue kein richtiges Lebewesen mehr war.
 

Und in letzter Zeit hatte sie sich mit diesem jungen, etwas unbedarften Piloten angefreundet. Sie steuerte selbst Kampfmaschinen, gehörte aber zu den austauschbaren Soldaten. Ihre letzten beiden Schlachten waren zugleich ihre erfolgreichsten, auch wenn sie nur als versteckte Scharfschützeneinheit zugeteilt war. Zuerst schaltete sie einen Elitepiloten der Urmenschen aus, und dann beim zweiten Kampf schoß sie wieder einen ab. Das machte sie natürlich stolz und es gab schon Gerüchte über eine Beförderung der jungen Cyborgdame.
 

"Meine Güte! Wie siehst du denn aus? Ist alles in Ordnung? Du blutest ja ... Lass mich mal sehen, Matos." Sie kam ihm gleich näher, begutachtete seinen Arm. „Ach, das kann ich dir richten. Der Kampf muss echt hart gewesen sein.“ Als sie ihn berührte, wirkte Matos richtig schüchtern, er errötete sogar etwas, sein Lächeln wirkte krampfhaft.
 

„Bestimmt willst du nicht zu Professor Anralgyth, richtig? Hehe … Er ist ja sooo unheimlich!“ Yue kicherte ein wenig. Sie sprach von Tzila, den sie ebenfalls gut kannte. Er war an dem Projekt um ihre Erschaffung beteiligt und seither hatte sie eine tiefe Verbindung zu dem Wissenschaftler. Sie arbeitete eng mit ihm zusammen und testete Kampfroboter für ihn.
 

„Komm mit. Ich habe noch ein paar Ersatzprothesen. Haha, ich brauche sie auch so oft, weil ich dauernd beim Kämpfen irgendwelche Gliedmaßen verliere. Eine zu hohe Synchronisationsrate kann schon sehr gefährlich sein.“ Aber es tat ihr ja nicht weh. Yue spürte keinen Schmerz. Sie spürte gar nichts, das war der Nachteil ihres künstlichen Körpers. Sie nahm Matos an der Hand, der kaum widersprechen konnte, so sehr war er jedes Mal von diesem Mädchen in den Bann gezogen. Sie war schon faszinierend, dachte er sich immer wieder, wenn er auf sie traf.
 

Yue hatte sich eine eigenes kleines Reich eingerichtet, eine kleine Werkstätte, in der sie selbst an neuen Ideen tüftele. Und tatsächlich lagen dort genug Ersatzteile herum. „Setz dich. Und lass mich nur machen.“ Sie drückte Matos auf einen Stuhl, machte ihn dann schamlos obenrum frei. Ihre Finger transformierten sich zu Werkzeugen, eine praktische Eigenschaft. Aber sie konnte ihre Hände auch zu Waffen formen, also war es ratsam, sich nie mit dem Mädchen anzulegen. Sie sah zwar süß aus, aber dahinter steckte doch eine gefährliche Technologie.
 

„Es ist im Nu vorbei. Keine Sorge, ich bin auch sanfter als der Professor.“ Sie giggelte nur, machte sich dann ans Werk. Und Matos sah man an, dass er sich bei ihr wohler fühlte, als bei dem Wissenschaftler. Sie hielt, was sie versprach. Keine Spritzen, kein unnötiges Bohren und Untersuchen. Dann dauerte es auch nicht lange und der neue Arm war angebracht.
 

Erleichtert atmete Matos ein und aus, bewegte dann zum Test seinen neuen Arm, der einwandfrei zu funktionieren schien. Peinlich berührt war er die ganze Zeit über hochrot im Gesicht gewesen, stand abrupt auf. Er verbeugte sich aus Dank, leider war Yue wie alle anderen und konnte ihn nicht verstehen, er würde ihr zu gerne seinen Dank aussprechen. Und nun hatte er sich ja doch ein wenig zuviel von einem Mädchen anfassen lassen. Schnell zog er sich wieder richtig an. Es war zwar etwas unhöflich, aber er winkte nur kurz und eilte dann davon, fast schon panisch. Aber das kannte Yue nur zu gut. So war Matos eben. Stumm wie ein Fisch und höchst schüchtern.
 

Gerade, als er durch das große Tor den Hangar verließ, fing ihn Jirair ab. Er war sichtlich überrascht, aber das verflog schnell. Jirair war immerhin sein bester Freund, bestimmt war er sofort besorgt losgeeilt, um nach ihm zu sehen, als er endlich von dem Wissenschaftler frei kam. Das vermutete Matos zumindest. Und dann war er doch sehr froh, ihn zu sehen. Die Unsicherheit von zuvor war verflogen, Jirairs Nähe fühlte sich immer so gut an. So vertraut. Als würde man Nachhause kommen. "War Tzila sehr wütend? Tut mir leid, dass ich einfach weggelaufen bin. Aber ... Spritzen ... und so ... !" Er sah seinen weißhaarigen Freund mit einem entschuldigenden Hundeblick an.
 

Jirair schmunzelte daraufhin nur ein wenig. „Schon gut. Er war nicht wütend. Er hat mir nur wieder seinen nervigen Vortrag gehalten … Langsam kann ich ihm auswendig nachsprechen! Der Fortschritt ist unser Glaube! Wir müssen uns beugen! Argh, ätzend. Er ist so besessen von seiner Arbeit. Er ist doch sicher schon selbst eine Maschine! Die wiederholen sich auch ständig.“ Ja, nachdem Matos weg war, hatte er auch noch die Ehre, ein wenig Zeit mit Tzila zu verbringen und sich von seinen Kalkulationen und Analysen berieseln zu lassen. Obwohl das mehr ein heftiger Regenschauer war, so viel theoretisches Geschwafel vertrug Jirair überhaupt nicht.
 

Wissend nickte Matos. Ja, diesen Vortrag kannte er auch schon zu gut. "Aber Spritzen sind kein Fortschritt. Sie tun weh und sind ekelig. Ich mag sie nicht." Da vertritt Matos seinen Standpunkt sehr genau, auch wenn sich seine Lippen nicht bewegten, Jirair verstand ihn zu gut. „Machen wir uns auf den Heimweg.“, was für Matos bedeutete, er wollte nur wieder bei seinem Freund übernachten. Dort war er lieber, als bei sich zuhause. Und er war auch öfter dort. Jirair kochte, und nach dem Essen spielten sie meist stundenlang bis tief in die Nachtstunden irgendwelche Videospiele, die alle umfassende virtuelle Welten waren, in die man über sein Implantat eintauchen konnte. Es war ein guter Zeitvertreib, denn sonst gab es hier als Kampfpiloten nicht viel zu tun, wenn gerade kein Einsatz bevor stand. Aber bestimmt wurde zur gleichen Zeit bereit schon die nächste Mission vorbereitet. Der Kommandant von Esna Omega, und ebenso oberste politische Führungskraft, ruhte nie.
 

„Hey … Du warst wieder bei dieser Yue, oder? Sie hat deinen Arm repariert. Das wird Tzila nicht gefallen.“ Die Frage kam plötzlich, aber Jirair hatte da schon eine Ahnung. Das passierte in letzter Zeit oft und da das Mädchen oft im Hangar anzutreffen war, konnte er schon Eins und Eins zusammenzählen. Vorallem, weil sein Arm plötzlich wieder heil war. „Momentan triffst du dich oft mit ihr. Nicht, dass es mich etwas angeht, aber … Was läuft da, mh? Mhhmm?“ Deshalb wurde er auch gleich neugierig und brachte Matos damit nur aus der Fassung.
 

Dieser lief rot an und druckste herum, blickte anschließend verlegen zur Seite. „Wir sind Freunde … Glaube ich ...“ An seiner Unsicherheit sah man jedoch an, dass er sich da auch nicht ganz sicher war. Aber man konnte es ihm auch nicht verübeln. Die Pubertät sorgte oft dafür, dass man sich zum anderen Geschlecht hingezogen fühlte. Jedoch war dieses Mädchen ein Cyborg, deshalb fragte sich Matos auch gleich, ob er so jemanden überhaupt anziehend finden konnte.
 

„M-Man kann doch mit Frauen befreundet sein? Wir haben keine Beziehung miteinander. Nein … Das wäre mir auch unangenehm. Ich kann mit so etwas nicht einmal umgehen. Ich kann ja nicht einmal sprechen! Wie … soll ich da jemanden glücklich machen?“ Wenigstens war es Jirair, der ihn darauf ansprach, da fiel es ihm gleich leichter, über dieses Thema zu reden. Es ging ja doch nicht nur um Yue. Matos war alt genug für Beziehungen, für Liebe … Aber wohl noch nicht so weit.
 

Jirair aber lachte nur, wohl auch, weil er es witzig fand, wie er ihn nun aus dem Konzept brachte. Und dann seufzte er nur erleichtert, weil zwischen Matos und dem Mädchen keine tiefere Verbindung stand. „Schon okay, schon okay. Ich war nur neugierig. Du machst dir aber echt Sorgen … Ich denke gar nicht erst an Frauen. Das bedeutet soviel Verantwortung. Ich habe gehört, wenn der Fortpflanzungszeitraum geöffnet wird, werden Frauen zu babybesessenen Furien … Wenn man es da nicht schafft, seine Liebste zu schwängern, dann ...“ Er wollte schon weitersprechen, aber dann merkte er, wie die Röte in Matos' Gesicht nur zunahm. Für das Thema war er wohl doch noch nicht so weit …
 

„Aber ja, das geht mich nun mal nichts an. Wenn du Yue magst … Ist das deine Sorge. Ich denke nur … wenn du eine Freundin hast, wirst du kaum mehr Zeit für mich haben. Das wäre doch traurig, oder?“ Jirair wusste selbst nicht, was ihn dazu veranlagte, so etwas zu sagen. Vielleicht war es ja doch Eifersucht. Oder lag es daran, dass er Yue nicht mochte, ihr nicht traute?
 

„Der Kommandant hat sie geschaffen, weil er keine Kinder zeugen kann. Ich finde den Gedanken unheimlich, dass selbst wir Neumenschen eines Tages … völlig künstlich hergestellt werden können. Yue ist da doch nur der Vorreiter eines solchen Zeitalters. Noch dazu stört mich etwas an ihr. Irgendetwas stimmt mit ihr nicht. Da vertraue ich Tzila schon mehr, auch wenn er eine Schraube locker hat, im wahrsten Sinne des Wortes ...“ Jirair sprach seine Zweifel gleich offen und ehrlich aus. Er liebte seine Heimat, hier war er geboren und er war ein stolzer Neumensch und wollte unbedingt den Krieg gewinnen, aber … ob es nicht eines Tages doch zuviel wurde? Für ihn war dieses Cyborgmädchen nur der Anfang allen Übels, er hörte da einfach auf seine Intuition.
 

„Yue ist sehr nett. Du kannst ihr vertrauen. Nur weil ihr Körper künstlich ist, heißt es nicht, dass sie nicht wie wir ist. Sie hat Gefühle und so. Aber … Keine Sorge. Ich werde so schnell keine Freundin haben. Und wenn wir uns deswegen nicht mehr sehen könnten … würde ich auch keine haben wollen. Du bist meine erste Wahl, Jirair. Immer!“ Um seinen Worten Nachdruck zu geben, gestikulierte er wild mit den Händen. Dann griff er nach der Hand seine Freundes und drückte sie fest. Jemanden anzufassen, jemandem nahe zu sein … Es dauerte selbst mit Jirair viele Jahre, bis sie so enge Freunde waren.
 

„Vielleicht erinnert sie mich auch einfach an meine Mutter … Sie war auch sehr fürsorglich und hatte ein ähnliches Lächeln. Aber ich möchte ihr vertrauen. Immerhin hat sie uns schon oft geholfen. Sie hat diesen Späher abgeschossen! Das war beeindruckend. Aber wir sind nur befreundet. Das ist etwas völlig anderes, als bei dir, Jirair. Ich mag dich viel mehr." Seine innere Stimme war leise, fast nur ein Flüstern. Und er war froh, das nur sein bester Freund ihn „hören“ konnte.
 

„Er ist so süß …“, dachte sich Jirair und lächelte nur verlegen. Das war ja fast ein Liebesgeständnis, da wurde er selbst etwas rot. Aber sie waren nur Freunde, die füreinander ins Feuer gehen würden. Etwas beschämt starrte er ihre Hände an. „So soll es auch bleiben! Ich stehe über allen!“, scherzte er, dann aber entriss er doch schnell wieder die eigene Hand, ihm war das sichtlich peinlich. Verlegen kratzte er sich an der Wange, sprach dann weiter: “Du hast schon Recht. Sie hat uns geholfen. Dennoch … Irgendetwas an ihr stört mich. Pass einfach auf dich auf, wenn du in ihrer Nähe bist, verstanden? Und jetzt genießen wir unsere Freizeit! Bevor Tzila wieder auf die Idee kommt, uns zu sich zu rufen und vollzuquatschen … Oder er fummelt wieder in meinem Kopf herum.“ Jirair verdrehte nur genervt die Augen, lachte dann aber wieder.
 

Und Matos nickte nur. Er würde schon aufpassen. Oder hielt ihn Jirair wirklich für so naiv? "Tzila ist pervers. Ich glaube, sowas macht ihm Spaß. Er wirkt immer so erregt, wenn er mit Maschinen arbeitet. Also ... geistig erregt ... nicht körperlich!!" Wieder wedelte er mit den Armen, nun hatte er sich ganz falsch ausgedrückt.
 

Ihr langer Weg durch die sterilen Straßen und Gassen der Kolonie führte sie schlussendlich zum Apartement von Jirair, das in einem gewaltigen Gebäudekomplex lag. Wohnungen waren auf Esna Omega umsonst, registrierte Bürger bekamen ein ihrer Bedürfnisse entsprechendes Zuhause. Jirair war Pilot, hatte schon viel geleistet, deswegen bekam er sehr große Räumlichkeiten.
 

Hier war es sehr hell, fast schon grell, dank der künstlichen Lichtquellen. Drei Zimmer hatte er zur Verfügung, die meiste Zeit aber verbrachte er im Wohnzimmer. Zwei lässige Sitzsäcke waren in der Mitte des Raumes, auf einem fluffigen Teppich. Diese Einrichtung passte gar nicht wirklich zu den reinweißen Wänden aus Metall, dem hypermodernen Computer, der an der Wand angebracht war, mit zwei riesigen Monitoren, die die gesamte Breite des Zimmers einnahmen. Fenster jedoch gab es keine hier. Es gab auch nirgends in Esna Omega einen schönen Ausblick zu genießen. Licht wurde ferngesteuert, pünktlich jeden Tag zur selben Zeit wurde es dunkel auf der Kolonie, dann war es Nacht. Die Menschen richteten sich völlig nach Vorgaben, eigentlich jeder Neumensch in dieser Generation hatte noch nie zuvor einen echten Himmel gesehen. Oder war auf echtem Erdboden gewandert.
 

So auch Jirair und Matos, sie kannten die Erde nur von Bildern. Wie das Leben dort wohl war? Wie es war, frische Luft zu atmen? Auf immergrünen Wiesen zu laufen? Das würden sie nur erfahren, wenn sie diesen Krieg gewannen.
 

Nachdem Jirair aus seiner Küche ein paar Snacks geholt hatte, warfen sich beide auf die Sitzsäcke, bis sie fast komplett darin versunken waren. Je ein Kabel lag neben den beiden, welches sie dann nahmen und in eine Schnittstelle an ihrem Implantat im Nacken befestigten. Videospiele wurden direkt ins Gehirn übertragen, sie mussten nur die Augen schließen und schon waren sie in einer anderen Welt. Bis zum nächsten Einsatz tauchten sie also in eine virtuelle Welt ab und versuchten wieder, weltweite Highscores zu knacken. Trotz des Krieges, trotz ihrer Bestimmung, waren die beiden doch nur gewöhnliche junge Menschen.



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