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Die Legende von Shikon No Yosei

Das Schicksal einer Elementarmagierin
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Mein bestes und gleichzeitig längstes Werk aus dem Epos von Shikon No Yosei! Die Handlung und die Rahmengeschichte beruhen teilweise auf Guild Wars 2, doch im Gegensatz zu den Erzählungen über Guild Wars Factions, Prophecies, Nightfall und Eye of the North habe ich hier meine ganz eigene Version der Geschehnisse niedergeschrieben.

Diese Geschichte basiert auf dem Online-Rollenspiel Guild Wars 2, das von ArenaNet entwickelt wurde. Die Handlung jedoch ist der Fantasie von Ami Diana Saphira Mercury entsprungen.
So sind über zweihundert Jahre seit dem glorreichen Triumph der lebenden Legenden Shikon No Yosei, Ohtah Ryutaiyo und Seiketsu No Akari über den Großen Zerstörer vergangen …
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Buch 08: Die Rückkehr der Legenden

Die Wiedergeburt der Legenden

Unzählige Jahre lagen zurück, seit Shikon No Yosei, Ohtah Ryutaiyo und Seiketsu No Akari Cantha, Tyria und Elona von den finsteren Bedrohungen durch Shiro Tagachi, den Untoten Lich, Abaddon und den Großen Zerstörer befreit und sie ihr Dasein als Gesandte in den Nebeln angetreten hatten. Doch die Welt, wie die lebenden Legenden sie gekannt hatten, hatte sich im Laufe der Zeit verändert – fünf der allmächtigen Alt-Drachen aus den Anfängen der Geschichtsschreibung Tyria´s waren erwacht, der erste von ihnen ja sogar noch zu ihren Lebzeiten, und hatten die Herrschaft über den gesamten Kontinent an sich gerissen. Die freien Völker waren von ihrer Macht unterworfen worden. Sie hatten die Kriege verloren und lebten seitdem in ständiger Angst, vertrieben aus ihrer einstigen Heimat. Selbst Elona und Cantha waren nicht verschont geblieben. Die untote Armee des stärksten Drachens kontrollierte den Zugang zur Meerenge von Malchor, damit war jeder Kontakt zwischen den Tyrianern und den Canthanern abgebrochen. Für die Elonier sah es nicht besser aus – dort lieferten sich die Auferstandenen einen Krieg gegen die Untergebenen des gefürchteten Palawa Joko, der die Bevölkerung nach und nach versklavt hatte. Es gab keine Rettung … Nirgends sah man ein Fünkchen Hoffnung. Dunkelheit beherrschte die Gedanken der Menschen, Norn, Asura, Charr und Sylvari, welche vor noch gar nicht so langer Zeit vom Blassen Baum in der Arborbucht geboren worden waren. Und Shikon No Yosei musste tatenlos zusehen, unfähig irgendetwas gegen die Alt-Drachen unternehmen zu können – zumindest solange sie in den Nebeln lebte. Also rief sie den Gesandten-Rat zusammen, zu dem auch Seira gehörte, Suun´s Nachfolgerin und neues Orakel.

„Ich habe eine Bitte vorzutragen …“, begann die Elementarmagierin entschieden, „Als die Drachen einer nach dem anderen erwachten, habe ich darauf vertraut, jemand würde sich erheben … die Kraft besitzen, sich ihnen entgegen zu stellen. Doch seit der letzte Widerstand zerschlagen wurde, scheint alles verloren zu sein. Ich habe es euch nie erzählt … aber als der erste Drache erschien, habe ich auf Shing Jea einen Hauch der Macht des Großen Zerstörers gespürt, dabei war er von unseren Kindern endgültig vernichtet worden. Ich hatte Angst … Ich habe versucht mir einzureden, ich hätte mich geirrt. Als die Drachenverderbnis der anderen Drachen aktiv wurde, gab es in meinen Augen keinen Zweifel mehr … Die Energie des Feuerdrachen ist fast identisch mit jener der Zerstörer, weil sie seine seine Brut waren!“

Teils erschrocken, teils verständnislos wollte Seira wissen: „Um was wollt Ihr uns nach dieser … Ausführung bitten, Shiko?“

„Ich habe gegen den Großen Zerstörer gekämpft … Shiro Tagachi, den Untoten Lich und sogar Abaddon in die Unterwelt verbannt. Es gibt niemanden mehr, der den Kampf gegen die Drachen aufnehmen will … deshalb werde ich es tun! Ich wünsche, dass meine Seele in Tyria wiedergeboren wird!“, antwortete die Gesandte entschlossener denn je.

Die Gesandten starrten sie sprachlos an, während die Norn entgegnete: „Ich kann Eure Gefühle gut nachvollziehen … Mein Volk ist schließlich ebenfalls von den Auswirkungen betroffen. Aber Ihr müsst verstehen, dass wir diesen Eingriff in die Geschicke der Welt nicht allein entscheiden können. Diese Entscheidung können nur die Sechs Götter allein treffen.“
 

Ohtah Ryutaiyo und Seiketsu No Akari begleiteten Shikon No Yosei zum heiligen Tempel, in dem die Götter ihren Sitz hatten. Dort brachte sie ihr Anliegen erneut vor.

„Nicht nur Ihr, auch wir beobachten den Zustand unserer Welt mit Schrecken.“, ergriff Balthasar, der Gott des Kampfes und des Feuers, zuerst das Wort, „Ihre unendliche Tapferkeit wird die Menschen und die anderen Völker diesmal nicht retten.“

Dwayna stimmte ihrem Gefährten zu: „Alles Leben wird ausgelöscht werden, wenn die Drachen nicht aufgehalten werden … Aber wie? Sie sind so unglaublich stark. Selbst wir scheuen die Auseinandersetzung mit ihnen.“

Auch der eiskalte Gott des Todes wirkte traurig: „Die Unterwelt war noch nie so voller unschuldiger Seelen erfüllt …“

„Diese Aufgabe kann nur jemand übernehmen, der bereits große Schlachten geschlagen … und beinahe unmögliches vollbracht hat.“, meinte Lyssa wissend.

Melandru, die friedlichste Natur unter den Göttern, nickte zustimmend: „Und in ihr schlummert die Macht der vier Elemente. Bedenkt, dass sie es sind, welche Magie überhaupt erst ermöglichen!“

„Shiko … Shikon No Yosei, ich weiß um deine Taten, die du zu Lebzeiten geleistet hast. Aber dieses Mal wird der Kampf härter sein. Die Drachen sind so etwas wie das Urgestein Tyria´s. Sie sind weitaus mächtiger, als eine gefallene Gottheit …“, sprach Kormir, die Göttin der Wahrheit und Hüterin der Geheimnisse.

Die Gesandte erwiderte den Blick der Göttin unverwandt und antwortete: „Ja, Kormir … dessen bin ich mir bewusst. Trotzdem muss ich es wenigstens versuchen! Ich will nicht glauben, dass das Ende unserer Welt bevorsteht! Ich kann einfach nicht länger nur zuschauen. So gering meine Chance auch sein mag, ich werde kämpfen!“

„Mutig gesprochen … Du hast dich nicht verändert.“, bemerkte die einstige Sonnenspeer, „In Ordnung, so sei es! Du wirst wiedergeboren … Unter einer Bedingung.“

Neugierig wollte die Elementarmagierin wissen: „Welche, Kormir?“

„Ich werde dich begleiten.“, mischte sich Ohtah Ryutaiyo in das Gespräch ein.

Sie wirbelte zu ihrem Liebsten herum, Schrecken standen ihr ins Gesicht geschrieben – es war eine Sache ihr eigenes Leben erneut für Tyria einzusetzen, aber seines? Er hatte sich schon unzählige Male für sie in Gefahr begeben. Nicht in noch einem Leben …

Kormir, die ihre Gedanken erraten hatte, erklärte: „Er kann nicht anders, Shiko … Es ist seine Bestimmung an deiner Seite zu sein, sein Schwur an uns bindet ihn. Vergiss´ nicht, allein kannst du nicht bestehen … Du wirst seine Hilfe brauchen. Die Liebe wird euch stark machen.“

„Ein Sonnenspeer und ein Verteidiger kämpft eben nie allein.“, scherzte der Assassine.

Shikon No Yosei fiel ihm um den Hals. Es gefiel ihr zwar immer noch nicht, doch tief in ihrem Herzen war sie erleichtert. Mit ihm zusammen konnte sie nicht unterliegen.

Seiketsu No Akari, die bislang nur still am Rande gestanden hatte, fiel auf die Knie und sagte: „Ich möchte Shiko ebenfalls begleiten! Wir sind die drei lebenden Legenden, wir gehören zusammen!“

Die Elementarmagierin biss sich auf die Unterlippe. Bei Ohtah Ryutaiyo hätte sie es sich ja denken, aber jetzt auch noch Seiketsu No Akari? Innerlich schallte sie sich eine Närrin – würde sie nicht genau dasselbe tun, wenn die Mönchin diese Entscheidung getroffen hätte? Manchmal war sie so auf den Assassinen fixiert, dass sie ihre Seelen-Schwester beinahe außer Acht ließ. Hastig wischte sich Shikon No Yosei mit dem Arm über das Gesicht. Dann ging sie zu Seiketsu No Akari und reichte ihr die Hand, um sie wieder auf die Füße zu ziehen.

Ohtah Ryutaiyo griff nach ihrer anderen Hand und gemeinsam wandten sie sich an die Götter: „In Gedenken an die Nebel und im Namen der Sechs Götter … wir werden die Drachen besiegen!“
 

In den letzten beiden Jahrhunderten war Ascalon vollständig zur Heimat der Charr geworden, gebrandmarkt durch den Drachen Kralkatorrik zog sich eine gewaltige Schneise durch das Gebiet bis hin zur Kristallwüste. Die Norn, welche von Jormag aus dem hohen Norden vertrieben worden waren, hatten in den Südlichen Zittergipfeln neue Jagdreviere erschlossen; von den Zwergen fehlte seit den Tagen des Großen Zerstörers jede Spur. Die Befleckten Küste wurde nach wie vor von den Asura bevölkert; die Sylvari, das jüngste Volk Tyria´s, lebte dort mit ihnen in friedvoller Nachbarschaft. Die Menschen hatten sich aus allen Teilen der Welt in Kryta zusammengerottet, doch nichts war mehr wie einst – den Tempel der Zeitalter gab es nicht mehr, Löwenstein war großteils überflutet und die Königin regierte von der neuen Hauptstadt Götterfels aus, welche im Nordwesten des Landes an der Küste der Göttlichkeit lag. In diese Stadt wurden Shikon No Yosei, Ohtah Ryutaiyo und Seiketsu No Akari in Gestalt eines Säuglings geschickt. Jeder von ihnen an einen anderen Platz, jeden erwartete ein anderes Leben … bis das Schicksal sie eines Tages wieder vereinen würde. So wurde Shikon No Yosei von Fürstin Gwynith aufgenommen, deren eigenes Kind nur wenige Tage zuvor verstorben war. Sie erhielt eine erstklassige Ausbildung zur Elementarmagierin und wuchs wie eine adlige Dame auf. Ihr bester Freund wurde Faren, der später den Fürstentitel seines Vaters erbte. Aber Lady Shikon wäre nicht die wiedergeborene Shikon No Yosei gewesen, wenn sie sich nicht auch in diesem Leben für jene eingesetzt hätte, die Hilfe brauchten – sei es gegen Banditen, wilde Tiere oder sonstigen Gefahren. Dafür wurde sie von den Bürgern der Stadt verehrt und geliebt; sogar die Seraphen-Wache brachte ihr ein großes Maß an Respekt gegenüber. Seiketsu No Akari dagegen lebte zehn Jahre lang als einfache Bauerntochter im Dorf Shaemoor, welches an Götterfels grenzte. Dort arbeitete sie auf den Feldern, half den Fischern und ging schließlich zu den Seraphen, wo sie als erste Schülerin von Hauptmann Logan Thackeray den Weg einer Wächterin beschritt. Für Ohtah Ryutaiyo wurde es zu einem wahrhaftigen Déjà-vu – ihn fanden zwielichtige Gestalten in den Schatten einer Gasse. Wie bereits im letzten Leben wurden die Dolche seine favorisierten Waffen, aber diesmal erlernte er zusätzlich noch den Umgang mit Pistolen und meisterte auch alle anderen Gesichtspunkte eines waschechten Diebes, wie das Stehlen und die Schattenschritte.
 

Von Bestimmung und Wahrheit

Fünfzehn Jahre nach der Wiedergeburt der drei einstigen Legenden stand Shikon Feenseele, wie sie sich selbst nannte, vor einer schweren Entscheidung … Sie hielt ein Foto in Händen, welches sie gemeinsam mit ihrer Mutter und Fürst Faren zeigte. Wenn sie es jetzt in den Beutel packte, gab es kein Zurück mehr … Nichts würde ihre Entscheidung mehr ändern können. Doch wollte sie das überhaupt? Ihr ganzes Leben lang hatte die Elementarmagierin Geschichten über die Alt-Drachen und deren Herrschaft gehört, wie sie die fünf großen Völker Tyria´s tyrannisierten und von der Hoffnungslosigkeit, die seit der Zerschlagung der »Klinge des Schicksals« herrschte, jener letzten Widerstandsgruppe bestehend aus dem Menschen Logan Thackeray, dem Charr Rytlock Brimstone, der Norn Eir Stegalkin mit ihrem treuen Wolfsgefährten Garm, der Sylvari Caithe und den beiden Asura Zojja und Snaff, letzterer im Kampf gestorben. Wie war Shikon Feenseele eigentlich auf die wahnwitzige Idee gekommen es diesen Helden gleichzutun? Nur wegen diesem Traum, den sie in der Nacht des ersten Tages ihrer Ausbildung gehabt hatte …
 

Sie schwebte in völliger Dunkelheit, konnte nicht vorwärts, nicht rückwärts, nicht nach oben, nicht nach unten. Sie war gefangen und konnte nichts dagegen tun.

„Shiko …“, sagte eine Stimme ihren Kosenamen, „Erinnerst du dich an mich?“

Erinnern? An wen sollte sie sich erinnern? Wem gehörte diese Stimme?

„Verstehe … Es hätte mich gewundert, wenn sie anders entschieden hätten.“, stellte die Stimme fest und warf damit nur noch mehr Fragen auf, „Aber ich muss trotzdem mit dir sprechen, Shiko … Du weißt, wer Tyria bedroht und alle Wesen in Angst leben lässt, nicht wahr?“

Sie antwortete ganz automatisch, ohne darüber nachzudenken: „Die Drachen.“

„Ich will dir zeigen, mit wem du es zu tun hast.“, erklärte sie und nacheinander erschienen fünf Bilder, „Primordus, der Feuerdrache … Jormag, der Luftdrache … Kralkatorrik, der Erddrache … Mélyten, der Wasserdrache … Und schließlich Zhaitan, der Drache des Todes.“

Bei jedem einzelnen lief es Shikon Feenseele eiskalt den Rücken herunter. Zwar hatte sie die Namen der Drachen schon früher des öfteren gehört oder gelesen, doch sie zu sehen war etwas völlig anderes …

„Nun verstehst du sicher, warum bisher jeder Versuch gescheitert ist.“, meinte die Stimme beinahe traurig, „Und genauso verstehe ich deine Angst … Hör´ mir zu, Shiko, es gibt einen Grund, warum ich sie ausgerechnet dir zeige – eines Tages wird es deine Bestimmung sein, den Kampf gegen die Drachen wiederaufzunehmen!“
 

Im letzten Traum war ihr die Stimme wieder erschienen … Der Zeitpunkt gegen die Alt-Drachen zu kämpfen war gekommen! Nur sie konnte das Ende von Tyria noch verhindern. Darum hatte Shikon Feenseele nicht anders gekonnt, als die für sie wertvollsten Dinge in einen Beutel zu packen und ihre Abreise vorzubereiten. Nur das Foto war noch übrig. Sollte sie sich wirklich von diesem Traum leiten lassen? Vielleicht war es ja nur eine Einbildung gewesen, geboren aus ihrer Trauer über das Leid der verschiedenen Völker … Das wäre immerhin logischer, als eine wildfremde Stimme, die des Nachts zu ihr sprach. Aber stimmte das überhaupt, war ihr diese Stimme wirklich fremd? Sie hatte Shikon Feenseele immerhin gefragt, ob sie sich an sie erinnerte. Und so verrückt es auch klang, sie konnte nicht leugnen, dass sie eine tiefe Vertrautheit gegenüber der Sprecherin empfand, so als würden sie sich schon ewig kennen … Entschlossen packte sie das Foto in ihren Beutel und zog ihn zu.

Ihre Mutter hielt sich zu dieser Tageszeit meist im Garten des Herrenhauses auf. Deshalb suchte Shikon Feenseele dort zuerst nach ihr. Fürstin Gwynith saß tatsächlich auf der Bank unter ihrem geliebten Apfelbaum und las in einem Buch. Als sie aufsah, bemerkte sie sofort das Bündel, welches ihre Tochter über der Schulter trug, und legte ihre Lektüre zur Seite.

„Mutter …“, begann die rothaarige Elementarmagierin und atmete noch einmal tief durch, „Ich werde Götterfels verlassen. Noch heute. Denn … es gibt etwas, das ich tun muss.“

Gwynith schaute weniger überrascht drein, als erwartet, und erwiderte: „Ich wusste, dieser Tag würde irgendwann kommen. Dieser Tag, an dem du die Wahrheit erfahren musst … und vor dem ich mich immer gefürchtet habe.“

„Wovon sprichst du?“, gab Shikon Feenseele verständnislos zurück.

Sie lächelte freudlos, bevor sie antwortete: „Das Kind, das ich unter dem Herzen getragen habe, wurde tot geboren. Nur wenige Tage später habe ich dich genau hier, unter den Wurzeln dieses Baumes gefunden … ganz allein. Ich habe dich vom ersten Moment an geliebt, auch wenn … wenn ich nicht deine leibliche Mutter bin.“

Der Schlag traf Shikon Feenseele völlig unvorbereitet. Sie hatte mit einem tränenreichen Abschied, vielleicht sogar mit Wut seitens ihrer Mutter gerechnet, aber nicht damit … Sie sank an Ort und Stelle in die Knie. Tausend Fragen schossen ihr durch den Kopf. Doch sie mussten warten!

„Es tut mir so leid, Shiko …“, schluchzte Fürstin Gwynith, „Verzeih´ mir!“

Die Elementarmagierin zwang sich wieder aufzustehen, legte die Arme um ihre Mutter und erwiderte: „Nur weil ich nicht deine leibliche Tochter bin, ändert das nichts an der Tatsache, dass du meine Mutter bist! Du hast mich aufgezogen und mich auf meinen Weg geführt … Dafür bin ich dir unendlich dankbar!“
 

Die Torwächter warfen ihr einen überraschten Blick zu, besannen sich jedoch schnell wieder. Sie konnte es ihnen nicht verdenken. Es war sicher sehr ungewöhnlich die Tochter einer Fürstin ohne adlige Kleidung, sondern mit einem Reisebündel und Magiergewand zu sehen.

Während sie hindurchschritt, flüsterte Shikon Feenseele so leise, dass sie niemand hören konnte: „Die Herrschaft der Drachen hat das Leben für die Völker Tyria´s verändert … Seit die Klinge des Schicksals aufgelöst wurde, hat es niemand mehr gewagt, sich ihnen entgegenzustellen. Aber wir dürfen nicht aufgeben! Wir müssen Widerstand leisten … Ich muss kämpfen – für diejenigen, die es selbst nicht können und die zu mir aufsehen. Es ist meine Verantwortung, meine Pflicht!“

Doch in dem kleinen Dorf Shaemoor, das am Fuße von Götterfels lag, wartete eine böse Überraschung auf die schöne Elementarmagierin. Dorfbewohner schrien durcheinander, Soldaten versuchten sie zu evakuieren. Wie durch Zufall bekam Shikon Feenseele mit, wie einer von ihnen der Kommandantin erzählte, der Hauptmann fordere Verstärkung für die Festung an. Ohne nachzudenken rannte los nach Nordosten. Das Szenario schockte Shikon Feenseele. Die Seraphen kämpften verbittert gegen eine ganze Armee Tamini-Zentauren, die sie regelrecht zu überrennen drohten. Ihre Starre wich allerdings sehr schnell der Konzentration und sie rief die vier Elemente an. Feuer regnete vom Himmel, Eis machte die Gegner bewegungsunfähig, Stürme schlugen Breschen in die Reihen der Feinde, Erdspalten taten sich auf. Ein Zentaur nach dem anderen fiel unter ihren Zaubern. So kämpfte sie sich bis zu Logan Thackeray durch, seines Zeichens treuester Diener Ihrer Majestät Königin Jennah. Während der ganzen Zeit behielt er den Überblick über seine Kameraden – ihm war Shikon Feenseele natürlich sofort sofort aufgefallen –, dementsprechend plante er den Gegenschlag. Sie war ihrerseits von ihm ebenso beeindruckt – genauso musste ein wahrer Anführer sein. Sie hatte in Götterfels zwar bereits unzählige Gerüchte gehört, besonders ihr Kindheitsfreund Fürst Faren war immer auf dem neuesten Stand, was Klatsch und Tratsch anging, und mit Seraphen zu tun gehabt, aber zum ersten Mal stand Shikon Feenseele ihm leibhaftig gegenüber. Von ihrer Schwärmerei für den Helden etwas zu sehr abgelenkt, bemerkte sie nicht, wie sich ihr zwei weitere Zentauren-Waldläufer von hinten näherten und bereits Pfeile an ihre Sehnen gelegt hatten. Auch von dem flüchtigen Schatten, der an ihr vorbeizog, bekam sie nichts mit. Erst das schmerzhafte Röcheln erregte Shikon Feenseele´s Aufmerksamkeit, gerade als die Halbwesen mit klaffenden Wunden an den Kehlen zusammenbrachen.

„Wir haben es geschafft! Der Angriff ist abgewehrt!“, verkündete der Wächter nur wenig später und ging auf sie zu, „Ich hörte, Ihr verfügt über große Kräfte … doch es zu erleben hat mich mehr als verblüfft, Lady Shikon. Nein, ich sollte Euch wohl eher die >Heldin von Shaemoor< nennen. Ich stehe in Eurer Schuld … Ohne Euer Eingreifen wäre das Dorf verloren gewesen. Und meine Seraphen dazu.“

Vor Freude über dieses Kompliment wurde Shikon Feenseele leicht rot um die Nasenspitze, während sie antwortete: „Wie ohne Euch, Hauptmann Thackeray. Es war mir eine Ehre an Eurer Seite zu kämpfen.“

„Hoffentlich nicht zum letzten Mal.“, entgegnete Logan lächelnd, „Kryta und die Königin können immer starke Verbündete gebrauchen.“

Sollte sie ihm von ihren Plänen erzählen? Schließlich war er ein Mitglied der Klinge des Schicksals gewesen … Nein, sie konnte es ihm nicht sagen. Sie wusste nicht, unter welchen Voraussetzungen sich die Gilde aufgelöst hatte. Schlimmstenfalls wollte er sie dann davon abhalten und das konnte sie nicht riskieren.

Darum erwiderte sie sein Lächeln und meinte: „Ich werde nie aufhören für meine Heimat zu kämpfen. Egal wohin mein Weg mich führen wird …“

„Das ist sehr nobel von Euch. Ich verstehe, warum die Bürger Euch verehren.“, sagte er anerkennend, „Aber nun muss ich Euch leider verlassen … Die Königin erwartet meinen Bericht. Heldin von Shaemoor, Ihr habt den aufrichtigen Dank aller Seraphen! Solltet Ihr jemals unsere Hilfe benötigen, werden wir Euch zur Seite stehen.“

Shikon Feenseele ahnte in diesem Moment noch nicht, dass sie irgendwann wirklich auf dieses Angebot würde zurückgreifen müssen …
 

Der Drachen Schatten und ein Licht der Hoffnung

Mit der Hilfe von Shikon Feenseele hatten die Seraphen den Angriff der Zentauren nicht nur abgewehrt, sondern die Gegner sogar zurückgedrängt. Doch die neue Sicherheit war trügerisch und Shikon Feenseele lief direkt in einen Hinterhalt; unzählige Zentauren umzingelten sie, kreisten sie immer enger ein.

„Ko-kommt mir nicht zu nahe!“, rief sie nervös, „Ich … ich bin die Heldin von Shaemoor!“

Ein besonders großer Zentaur trat vor und erwiderte höhnisch: „Nur dass du diesmal keine Seraphen oder den ach so tollen Hauptmann Thackeray an deiner Seite hast! Ich sehe hier nur ein kleines, hilfloses Mädchen!“

Als ob sie das in diesem Moment nicht selber wüsste … Angst lähmte ihre Konzentration, schwächte ihre Kontrolle über die vier Elemente. Es war das erste Mal, dass sie außerhalb der Stadtmauern allein einer ernsthaften Gefahr gegenüberstand. Was war sie nur für eine Närrin gewesen! Wenn sie bereits gegen eine Schar Zentauren verlor, wie sollte sie es dann erst mit den Drachen aufnehmen?

„Dilettanten.“, kam eine Stimme von irgendwoher.

Bevor sich auch nur ein Zentaur bewegen konnte, schallte ein Klirren über die Lichtung und der erste Gegner brach röchelnd zusammen. Shikon Feenseele schlug die Hände vor den Mund – die beiden Waldläufer in der Festung waren durch dieselbe Wunde gestorben. Der flüchtige Schatten brachte noch drei weiteren den Tod, dann rief der Anführer – jener, der Shikon Feenseele bedroht hatte – zum Rückzug. Voller Erleichterung atmete die schöne Elementarmagierin auf. Bis sich hinter ihr eine kühle Aura manifestierte. Irgendwoher kannte sie die Energie. Fast wie diese Stimme aus ihren Träumen … Die ganze Szene schien ihr beinahe wie ein längst vergessener Traum. Nur langsam drehte sich Shikon Feenseele um. Der junge Mann war ein Stück größer als sie, dunkle Haare hingen ihm in Fransen ins Gesicht, welches großteils von einer braunen Maske verdeckt wurde, passend zum Rest seiner Kleidung. Nur in seine Augen konnte sie ungehindert sehen …

„Sind … sind wir uns schon einmal … begegnet?“, hauchte Shikon Feenseele, ohne dass sie die Worte hatte aussprechen wollen.

Der Dieb deutete eine leichte Verbeugung an und antwortete: „Nein, nicht wirklich. Mein Name ist Ohtah … Ohtah Shadowdragon. Und ich biete Euch hiermit meine Dienste zum Schutze Eures Lebens an, Lady Shikon Feenseele.“

„Wo-woher kennst du mich?“, wollte sie von ihm wissen, „Und warum willst du mir helfen?“

Er zog seine Maske herunter, sodass ein Lächeln darunter sichtbar wurde, bevor er erwiderte: „Ihr solltet wissen, dass Ihr auf den Straßen von Götterfels keine Unbekanntheit seid … nicht nur bei den Bauern und Kaufleuten. Ich weiß, warum Ihr die Stadt verlassen habt … Ihr könnt diesen Kampf nicht allein bestreiten. Allerdings hätte ich auch nicht erwartet, dass eine adlige Dame, die wie Ihr eine solch gute Ausbildung erhalten hat, hier draußen so schnell in Bedrängnis geraten würde.“

Machte er sich gerade über sie lustig? Shikon Feenseele verstand nicht, was dieser Ohtah Shadowdragon eigentlich von ihr wollte.

„Wenn Ihr mich fragt, so habt Ihr auf dem Weg von Götterfels hierher etwas verloren.“, fuhr Ohtah Shadowdragon nach der Pause fort, „Ich habe schon früher Gerüchte über Euch gehört … wie Ihr einfachen Leuten das Leben gerettet habt. Seid Ihr nicht auch deshalb zu dieser Reise aufgebrochen – um denjenigen zu helfen, die von den Drachen unterdrückt werden? >Nur diejenigen, die mutig genug sind, sich dem Kampf überhaupt erst zu stellen, können ihn verlieren.<“

Sie riss ihre Augen auf, starrte ihn sprachlos an. Diese Wahrheit ließ sich nicht leugnen, sie war einfach nur feige gewesen und hatte ihr Ziel aus den Augen verloren. Wenn niemand etwas unternahm, würden auch noch künftige Generationen unter den Drachen leiden – nur weil sie es nicht einmal versucht hätte? Das durfte nicht sein. Sie wollte nicht mehr davonlaufen. Doch der Wunsch allein genügte nicht – sie musste sich der Herausforderung auch wirklich stellen. Mit allen Gefahren und Erfahrungen, die dazugehörten.

Shikon Feenseele richtete sich gerade auf und sprach entschlossen: „Nie wieder … Ich werde niemals wieder so schwach sein und mich unterkriegen lassen! Und … ich möchte dich bitten, mich zu begleiten, Ohtah.“

Ohtah Shadowdragon hatte ihr den Rücken gekehrt, darum konnte sie die Röte auf seinen Wangen nicht sehen. Zu mehr als einem stummen Nicken war er nicht im Stande. In Gedanken formte er das Versprechen nicht mehr von ihrer Seite zu weichen, solange sie ihn nicht von sich wies. Er würde sie beschützen! Seine Ehre allein unterschied ihn von dem Pack, das ansonsten durch die Gassen von Götterfeld streifte – durch nichts anderes konnte er sich beweisen. Einzig sein Wort zu halten, sich daran gebunden zu fühlen.

Überglücklich ergriff Shikon Feenseele seine Hand. Sie fühlte, dass sie nicht nur ihren Kampfgeist gefunden hatte – sondern vor allem einen Gefährten.
 

„Jemand folgt uns.“, stellte Ohtah Shadowdragon ruhig fest, gerade als die Dämmerung anbrach.

Sofort wollte sich Shikon Feenseele umdrehen, doch der flinke Dieb drückte ihre Hand und fesselte damit ihre Aufmerksamkeit.

Sie verstand und flüsterte zurück: „Weißt du, wer … oder was es ist?“

„Auf jeden Fall kein Zentaur, der noch nicht genug hat … Ich würde sagen, es ist ein Mensch.“, schätzte er, ließ ihre Hand jedoch nicht los.

Mit Mühe zwang sie ihre Verlegenheit nieder und antwortete: „Dann sollten wir wohl herausfinden, was unser Verfolger will.“

An einer geschützten Stelle in Salma´s Heide bauten Shikon Feenseele und Ohtah Shadowdragon ihr Nachtlager auf. Zum einen wollten sie die Berge nicht in der Nacht durchqueren, zum anderen würde entweder die Kälte den Fremden herauslocken oder die Dunkelheit ihn in Sicherheit wiegen, sodass er unvorsichtig wurde. Nachdem die beiden ihr Abendessen beendet hatten, breiteten sie schweigend ihre Decken aus und warteten. Es dauerte nicht lange, da näherte ich ihnen eine starke Aura. Schneller als für das sterbliche Auge sichtbar, verschwand der Dieb mit Hilfe eines Schattenschritts und tauchte nur wenige Sekunden später wieder auf, diesmal allerdings in Begleitung. Es war ein junges Mädchen – keinesfalls älter als Shikon Feenseele oder Ohtah Shadowdragon.

„Wer bist du?“, wollte er mit anklagender Stimme wissen.

Shikon Feenseele schritt sofort ein: „Warte, Ohtah! Siehst du nicht, was für eine Rüstung sie trägt? Sie ist eine Seraphine aus Götterfels.“

Die junge Wächterin nickte und erklärte: „So ist es, Lady Shikon. Mein Name ist Seiketsu Lichtsegen. Ich komme im Auftrag von Fürstin Gwynith. Sie befahl, einer der besten Gardisten solle Euch folgen, um Euch zu beschützen. Und so meldete ich mich freiwillig.“

Es überraschte die Adlige nicht im Geringsten, dass ihre Mutter eine solche Maßnahme eingeleitet hatte. Sie musterte Seiketsu Lichtsegen. Ihre Augen strahlten eine immense Wärme aus und sprachen von großer Tapferkeit.

„Es freut mich dich kennenzulernen, Seiketsu. Willkommen in unserer Gemeinschaft!“, begrüßte Shikon Feenseele sie und überraschte damit nicht nur die Wächterin, „Und bitte nenn´ mich einfach nur >Shiko<, das tun alle meine Freunde.“

Seiketsu Lichtsegen lächelte dankbar. Sie mochte die Elementarmagierin auf Anhieb. Allerdings bedurfte es ihrer größten Überredungskunst, bis sich die Wächterin endlich schlafen legen wollte, dafür aber augenblicklich einschlief – die Verfolgung hatte an ihren Kräften gezehrt. Shikon Feenseele setzte sich unterdessen neben Ohtah Shadowdragon ans Feuer, der die Neue sehr genau im Auge behielt.

„Warum bist du so feindselig gegenüber Seiketsu?“, fragte sie verständnislos.

Ohne sie anzusehen, stellte der Dieb mürrisch seine Gegenfrage: „Warum bist so vertrauensselig?“

„Ja, es stimmt … Ich weiß nicht warum, aber ich spüre eine tiefe Vertrautheit ihr gegenüber. So geht es mir übrigens auch bei dir …“, erwiderte die Elementarmagierin beinahe träumerisch, „Jetzt mal im Ernst – siehst du wirklich etwas Niederträchtiges in ihr?“

Darauf konnte er nicht anders, als sich geschlagen zu geben: „Nein. Aber damit eines klar ist – ich bin dein Beschützer!“

Shikon Feenseele lächelte in sich hinein. Dann küsste sie ihn auf die Wange.

„Danke, Ohtah …“, hauchte sie und zog sich ebenfalls zurück.

Ohtah Shadowdragon legte seine Hand auf die Stelle, an der ihre Lippen ihn berührt hatten, während auch auf seinem Gesicht ein Lächeln erschien.
 

Feuertaufe

Seit Seiketsu Lichtsegen zu Shikon Feenseele und Ohtah Shadowdragon gestoßen war, suchten sie überall nach neuen Informationen über die Aktivitäten der Drachen. Ihr Ziel war Löwenstein – die Hafenstadt war berühmt für ihren Klatsch über alle möglichen Ereignisse in Tyria. Um weiteren Auseinandersetzungen mit den Zentauren aus dem Weg zu gehen, wollten sie den Weg durch die Steinbohrungskammern zum Tal des Reisenden nehmen, welches genau zum Eingang von Löwenstein führte. Der geschickte Dieb führte die beiden Frauen durch die Tunnel immer tiefer unter die Erde. Shikon Feenseele folgte ihm bedenkenlos und Seiketsu Lichtsegen folgte ihr. Gerade als die schöne Elementarmagierin wieder einmal damit beschäftigt war, Ohtah Shadowdragon´s Vorgehensweise zu bewundern, begann die Erde zu beben. Der Boden und die Wände wackelten, Felsbrocken stürzten herunter. Shikon Feenseele stieß Seiketsu Lichtsegen zur Seite, da brach auch schon das Gestein unter ihr weg und noch bevor sie sich irgendwo hätte festhalten oder ihr irgendjemand hätte helfen können, stürzte sie ins Bodenlose.

„SHIKO!“, schrie Ohtah Shadowdragon, ohne sich bewusst zu sein, dass er sie zum ersten Mal so nannte.

Auch die junge Wächterin schrie entsetzt. Sie hasteten zum Rand des Abgrund, konnten jedoch kein Ende erkennen. In ihren Gesichtern spiegelte sich derselbe Ausdruck – sie hatten beide vollkommen in ihrer Aufgabe versagt!

Shikon Feenseele fiel und fiel, hörte gar nicht mehr auf zu fallen. Viele unzählige Meter tief. Hinab in die Tiefen Tyria´s. Mühsam konzentrierte sie ihre Magie, versuchte die Kontrolle über die Luft zu sich zu rufen. Im letzten Moment, bevor sie unten aufschlagen konnte, gelang es ihr eine Art Luftpolster zu errichten, das sie auffing, sodass sie zumindest halbwegs sanft landete. Ihr war schlecht, als sie sich aufrichtete und umsah. Lava schoss um sie herum in die Höhe, die Hitze war unbeschreiblich – Shikon Feenseele war buchstäblich in einem Flammeninferno gelandet. Wie gut, dass das Feuer ihr vertrautestes Element war und sie sich zu schützen wusste. Schnell wob sie einen Zauber, der sie abschirmte.

„Willkommen in meinem Reich.“, dröhnte eine tiefe Tiefe in ihren Gedanken, „Ich habe nicht oft Besuch … du wirst daher verstehen, dass ich erfahren möchte, was du hier zu suchen hast.“

Ihre Augen weiteten sich erschrocken. Was sie für eine harmlose Gesteinsformation gehalten hatte, war in Wahrheit ein lebendiges Wesen. Schlimmer noch – es war ein Alt-Drache! Genauer gesagt der Feuerdrache Primordus, der vor über zweihundertfünfzig Jahren als erster von ihnen erwacht war. Sprachlos starrte sie ihn an. Seine Macht loderte so gewaltig, dass ihr Körper ungewollt zitterte. Selbst jeder Nicht-Magier hätte die gewaltige Präsenz nicht ignorieren können. Niemals zuvor hatte die Elementarmagierin solche Angst verspürt. Diese uralte Magie, die sie drohte herauszufordern … Mit einem Mal begriff sie, warum jeder Widerstand gegen die Alt-Drachen gescheitert war.

„Es ist merkwürdig … Deine Aura ähnelt jenem Mädchen.“, meinte Primordus, nachdem Shikon Feenseele mehrere Minuten eisern geschwiegen hatte, „Und dennoch bist du so viel schwächer als sie … Bleibt noch die Frage zu klären, was mache ich jetzt mit dir?“

Am liebsten hätte Shikon Feenseele die Sechs Götter um Hilfe angefleht. Doch war es nicht so, dass sie sich von Tyria abgewendet hatten? Wenn selbst die Götter nichts gegen die Drachen unternehmen konnten, wie sollte dann jemand wie sie, ein gewöhnlicher Sterblicher den Kampf gegen diese Wesen aufnehmen?

„Ich denke, du hast Glück, Menschenkind.“, fuhr der Feuerdrache fort, „Im Gegensatz zu meinem Bruder Zhaitan hege ich kein Vergnügen gegenüber sinnlosem Töten … zumindest meistens. Dieses eine Mal sei dir unverdiente Gnade gewährt!“

Primordus breitete die Schwingen seiner Flügel aus. Ein Lufthauch streifte Shikon Feenseele und sie erschien wieder unversehrt in den Steinbohrung-Kammern, wo Ohtah Ryutaiyo sie gerade noch rechtzeitig auffangen konnte, bevor sie bewusstlos zu Boden sank.

Shikon Feenseele schien zu schweben. Dunkelheit umhüllte sie. Sie ahnte, was kommen würde.

„Shiko …“, erklang die gewohnt warme, weibliche Stimme, „Du bist Primordus begegnet … hast seine Macht gespürt. Aber deine eigene Kraft und die deiner Verbündeten scheinst du vollkommen zu übersehen. Willst du wirklich wieder zweifeln?“

In Shikon Feenseele kämpften tatsächlich Verzweiflung und Hoffnung gegeneinander. Sie hatte sich so fest vorgenommen nicht mehr zu schwanken, den Kampf um jeden Preis aufzunehmen …

„Tyria ist nicht verloren.“, sprach die Unbekannte sanft, „Du bist weit mehr, als du glaubst … Du trägst alles in dir, was du brauchst! Mehr Mut, als sonst jemand aufbringen könnte. Du darfst nur nicht vergessen, wofür du kämpfst … und wer treu an deiner Seite steht.“

Sie schloss für einen Moment ihre Augen, bevor sie erwiderte: „Ja, Ohtah und Seiketsu wollen mir beistehen … damit die Menschen und alle anderen Völker gerettet werden.“

„So ist es.“, stimmte sie ihr nachdrücklich zu, „Und auch Elona … und Cantha würden irgendwann noch mehr von Zerstörungswut der Drachen heimgesucht werden.“

Cantha. Der Name des südlichen Kaiserreiches löste etwas in ihr aus, hallte in ihr wieder. Da war eine gewisse Verbundenheit, dabei wusste sie nicht einmal viel über den entfernten Kontinent.

„Es gibt jemand, der dir helfen kann. Sie weiß, was du tun musst, um gegen die Drachen bestehen zu können.“, kam es nach einer Pause von der Stimme, „Nimmst du die Herausforderung an, bist du bereit deinen Weg weiterzugehen?“

Shikon Feenseele öffnete den Mund, schloss ihn jedoch sofort wieder. Sie war Primordus gegenüber gestanden, hatte seine lodernde Präsenz gespürt. Noch konnte sie sich aus der ganzen Geschichte zurückziehen, es einem anderen überlassen. Doch würde es überhaupt jemand geben, der ihren Platz einnahm? Vielleicht Ohtah Shadowdragon … Nein, allein konnte er nichts ausrichten. Sie wollte auch gar nicht, dass er sich allein in diese Gefahr begab.

„Nun … wie lautet deine Entscheidung?“, wollte sie von ihr wissen.

Die Elementarmagierin fokussierte ihren Blick, als sie sagte: „Keiner der drei Kontinente soll länger unter den Drachen leiden. Wohin muss ich gehen?“

„Finde den Geist von Glint in der Kristallwüste.“, erklärte ihr die Stimme voller Stolz.

Sie wollte Shikon Feenseele schon aus dem Traum entlassen, da hielt diese sie zurück: „Warte, bitte! Wer bist du? Sag´ es mir …“

„Irgendwann wirst du dich an meinen Namen erinnern.“, erwiderte sie geheimnisvoll und verschwand mit einem hellen Lachen.

Keine Sekunde später erwachte Shikon Feenseele aus ihrem Traum und sie setzte sich sofort ruckartig auf. Die Worte klangen ihr noch in den Ohren.

„Shiko? Wie geht es dir?“, riss Ohtah Shadowdragon sie aus ihren Gedanken.

Er saß neben ihr, hatte über ihren Schlaf gewacht. Ein kleines Lagerfeuer brannte und um sie herum standen einige Bäume; das bedeutete sie waren ganz in der Nähe von Löwenstein. Ohtah Shadowdragon musste sie den ganzen Weg hierher getragen haben. Seiketsu Lichtsegen konnte sie nirgends entdecken.

„Wo ist Seiketsu?“, wollte sie wissen.

Er sah sie besorgt an und antwortete: „Sie ist vorausgegangen, um sich mit den Wachen von Löwenstein zu treffen. Aber ist wirklich alles in Ordnung mit dir?“

Die Elementarmagierin nickte kaum merklich, dann erklärte sie: „Wir müssen zur Prophetin Glint.“

„Glint?“, wiederholte er vollkommen verständnislos, „Und dein Absturz? Was ist passiert?“

Ohne ihn anzusehen erwiderte sie: „Ich kann mich an nichts mehr erinnern … Ich weiß nicht, wie ich wieder an die Oberfläche gekommen bin.“

Es tat ihr weh ihn so anzulügen, doch die Wahrheit wollte ihr einfach nicht über die Lippen kommen. Sie konnte ihm nicht sagen, wie schwach sie sich gefühlt und dass sie beinahe erneut gezögert hatte. Er sollte nicht schlecht von ihr denken. Daher wandte sie sich schnell an die Erzählung von ihrem Traum – beinahe erwartete sie, er würde sie auslachen, aber der Dieb schaute noch ernster drein als sonst.

„Das könnte unsere Chance sein … Es ist vielleicht die einzige Möglichkeit herauszufinden, was wir gegen die Drachen unternehmen können. Wir sollten den Versuch wagen – die Sagen um Glint reichen beinahe genauso lang zurück, wie jene der Drachen. Auch wenn es ziemlich schwierig werden wird dorthin zu kommen …“, meinte er nachdenklich.

Überrascht fragte Shikon Feenseele: „Dann bleibst du bei mir?“

„Shiko …“, hauchte er ihren Namen, während er ihre linke Wange berührte, „Bei den Sechs, ich schwöre, ich beschütze dich mit meinem Leben! Für immer … Ich werde dich niemals verlassen, hörst du? Wohin du auch gehst.“

Die Rothaarige fiel ihm um den Hals und Ohtah Shadowdragon drückte sie fest an sich.
 

Portalistin Ganda

Auch wenn ihr genaues Ziel nun feststand, ergab sich eine große Schwierigkeit – die Kristallwüste wurde von einem der Alt-Drachen besetzt. Das bedeutete, sie konnten nicht einfach dort einmarschieren – blieb nur der Weg durch ein Portal. Und dafür benötigten sie einen Führer.

„Warum willst du mich nicht mitnehmen?“, wollte Shikon Feenseele beinahe beleidigt wissen.

Ohtah Shadowdragon zwang sich zur Ruhe und wiederholte seine Erklärung: „Weil wir keine gewöhnliche Reise buchen. Ich muss jemand aus dem Untergrund ausfindig machen – das ist kein Ort für eine adlige Dame wie dich. Außerdem musst du hier auf Seiketsu warten. Und schonen solltest du dich auch noch etwas …“

Die schöne Elementarmagierin wurde rot um die Nase. Er machte sich Sorgen um sie …

„Aber pass´ bitte auf, ja? Ich … schaffe das nicht ohne dich.“, bat sie, während ihr Blick zu Boden gerichtet war.

Er hob sanft ihr Kinn an und sagte: „Und wenn es das letzte ist, was ich tue … Ich komme zu dir zurück, versprochen!“
 

Im Untermarkt von Löwenstein wurden alle Geschäfte abgewickelt, die nicht an die Öffentlichkeit dringen sollten. Dies war das Zuhause von Piraten, Schmugglern, Obdachlosen und sonstigem Gesindel. Also war Ohtah Shadowdragon hier genau richtig. Es war auch nicht sein erster Besuch auf dem Schwarzmarkt; er hatte bereits früher illegale Güter von hier nach Götterfels gebracht. Er ging an die Bar, bestellte sich ein Bier und lauschte den Gesprächen der anderen Besuchern.

„Wisst ihr etwas über einen Portalführer?“, fragte er niemand bestimmten.

Der Barkeeper sah ihn überrascht an und hakte sofort nach: „Wollt Ihr etwa eine Reise unternehmen, Fremder?“

„Ja … aber das Ziel … nun sagen wir, es bedarf einem großen Maß an Mut. Ich kann keinen feigen Geschäftsmann gebrauchen, der nur Urlaubsorte ansteuert.“, antwortete er lachend.

Sein Gegenüber trocknete weiter Gläser ab, dann zeigte er plötzlich auf einen Tisch in eine Ecke, an dem ein kleines Wesen saß, und erklärte: „Das ist Ganda. Sie ist eine Asura … Glaubt mir, Ihr findet hier unten keine geschicktere Portalistin. Ganda ist etwas ganz besonderes … Sie kennt das Portalnetz besser, als jeder andere Führer und bringt Euch überallhin, wo Ihr wollt.“

„Klingt perfekt.“, bestätigte der geschickte Dieb, bevor er dem Barkeeper zwei zusätzliche Goldstücke zuwarf.

Keine Sekunde später verschwand er in den Schatten und tauchte direkt neben der Asura wieder auf.

„Wer seid Ihr?“, wollte sie mit einer piepsigen Stimme von ihm wissen.

Ohtah Shadowdragon zog seine Maske vom Gesicht und erwiderte: „Jemand, der eine Mission zu erfüllen hat.“

„Und wohin soll ich Euch bringen, damit Ihr diese … Mission erfüllen kannst?“, fragte sie weiter.

Sein Blick wurde ernst, als er antwortete: „Meine beiden Begleiterinnen und ich müssen unbemerkt in die Kristallwüste gelangen. Ihr wisst sicher, wer dieses Gebiet kontrolliert … Darum sagt es mir besser gleich, ob Ihr Euch diesen Auftrag zutraut.“

Ganda begann haltlos zu lachen. Es traten ihr schon Tränen in die Augen und ihr Bauch tat weh, als sie sich nach einer Weile langsam wieder beruhigte.

„Man hat es Euch doch sicher gesagt … sonst hättet Ihr mich gar nicht erst angesprochen.“, meinte sie belustigt, „Es gibt keinen Ort in Tyria, an den ich Euch nicht bringen könnte. Allerdings-“

Nun war es an Ohtah Shadowdragon zu lachen und auf ihren fragenden Blick hin erklärte er: „Wenn die Bezahlung ein Problem wäre, hätte ich Euch wohl gar nicht erst aufgesucht. Ich weiß, was ich verlange … Haltet Ihr mich wirklich für so bescheuert?“

„Nein. Es hätte mich tatsächlich sehr überrascht, wenn Ihr zu der Sorte hirnloser Dummköpfe gehören würdest, die hier sonst so herumlaufen. Natürlich seid Ihr bei weitem nicht so schlau wie eine Asura, aber das wäre ja auch zu viel verlangt.“, berichtete Ganda und erhob sich von ihrem Platz, „Ich habe noch einige Dinge vorzubereiten. Wir treffen uns nach Einbruch der Nacht auf dem Marktplatz.“
 

Kurz vor Beginn der Dämmerung brachen Ohtah Shadowdragon, Shikon Feenseele und Seiketsu Lichtsegen aus ihrem Versteck auf. Der Weg nach Löwenstein war zwar nicht weit, dafür standen beinahe überall Wachen der Löwengarde – darum hatte die junge Wächterin den ganzen Tag über ihre Patrouillenwege ausspioniert – und kontrollierten jeden, der die Stadt betreten wollte. Doch Ohtah Shadowdragon wäre kein richtiger Dieb, wenn er nicht an ihnen vorbeigekommen wäre.

„Haltet euch gut an mir fest.“, flüsterte er und sah Shikon Feenseele an, „Vertrau´ mir …“

Er verschmolz mit den Schatten und zog sie mit sich. Die beiden Frauen spürten einen kalten Hauch, danach umfing sie völlige Dunkelheit. Nur wenige Sekunden später war alles vorbei und sie standen mitten auf einem großen Platz.

„Das wäre geschafft. Ich kann einfach nicht glauben, dass die Wachen immer noch keinen Schutz gegen Schattenschritte haben.“, meinte der Dieb mit einer Spur Selbstzufriedenheit in der Stimme.

Shikon Feenseele lachte amüsiert und entgegnete: „Du bist eben mein Held.“

Hätte Ohtah Shadowdragon nicht wie gewöhnlich seine Maske getragen und wäre es nicht so dunkel gewesen, hätte die schöne Elementarmagierin sicher die Röte auf seinen Wangen gesehen.

„Ihr seid also gekommen.“, stellte ein kleines Wesen fest, das einen Kapuzenmantel trug.

Der Dieb nickte und wies auf seine Begleiterinnen: „Das sind Shikon Feenseele und Seiketsu Lichtsegen. Darf ich euch unsere Führerin vorstellen? Portalistin Ganda.“

Shikon Feenseele lächelte sie freundlich an und verbeugte sich leicht vor ihr. Die Asura schaute sie überrascht an, offenbar war solch eine Behandlung nicht gewohnt.

Seiketsu Lichtsegen räusperte sich leicht, bevor sie sagte: „Wir müssen uns beeilen. Um Mitternacht kommt eine Patrouille an den Portalen vorbei. Bis dahin müssen wir verschwunden sein.“

„Ihr habt recht.“, stimmte Ganda ihr zu und ging voraus.

Vorsichtig schlichen die drei Verbündeten hinter ihr her. Weg von dem belebteren Teil der Stadt, am Hafen vorbei zum anderen Ende. Dort befanden sich die Portalstationen Löwenstein´s, die über Nacht nicht in Betrieb waren. Zumindest schien es so.

„Einer der Zuständigen gehört zu Bort´s Piraten. Er stellt das letzte Portal immer so ein, dass es sich erst kurz vor Mitternacht vollständig abschaltet, so bekommen die Wachen nichts mit und der Schwarzmarkt floriert.“, erklärte Ganda leise.

Sie drückte einen der unzähligen Knöpfe und das Portal erwachte zum Leben. Anschließend gab sie die neuen Koordinaten ein.

„Die Verbindung ist hergestellt. Wir können starten.“, meinte sie und wandte um, „Ich gehe voraus, ihr folgt mir im Abstand von genau drei Sekunden.“

Die Asura trat durch das Portal, Shikon Feenseele zählte die drei Sekunden runter und gemeinsam schritten sie hindurch. Als sie die Augen wieder öffneten, war der Boden mit Sand bedeckt, überall lagen Felsbrocken und zerbrochene Kristalle herum. Und hinter ihnen erstreckte sich das Ende einer gewaltigen Schneise, die viele tausend Kilometer betrug – der Drachenbrand. Am oberen Ende der Flammenkamm-Steppe beginnend durchzog sie ganz Ascalon bis zum Rand der Kristallwüste. Und Schuld daran trug Kralkatorrik, der Erddrache. Sein Drachenodem hatte dieses Gebiet verflucht …

Mit Mühe riss sich Shikon Feenseele von dem bizarren Anblick los und wandte sich lächelnd an Ganda: „Danke, dass du uns hierher gebracht hast. Du bist wirklich eine ausgezeichnete Portalführerin. Kannst du hier bitte auf uns warten?“

Die kleine Asura nickte zustimmend. Sie mochte die Elementarmagierin irgendwie. Und noch mehr mochte sie es, gelobt zu werden. Besonders von jemanden, von dem ein solche Energie ausging.

Der Weg durch die eingestürzten Deckensteine, gebrochenen Säulen und zerbröckelten Felsen war trostlos. Nichts erinnerte mehr an die einst prachtvolle Drachenhöhle, von der in alten Büchern geschrieben stand. Mit dem Tod ihrer Herrin hatte dieser Ort seine Magie verloren.

„Wir müssen weiter rein.“, meinte die Elementarmagierin, „Ich spüre eine schwache Aktivität.“

Vorsichtig arbeiteten sie sich durch das gefährliche Labyrinth von Steinen, Felsen und sonstigen Hindernissen – Shikon Feenseele´s Macht über die vier Elemente zahlte sich wieder einmal aus, das musste Ohtah Shadowdragon neidlos zugeben. Trotzdem dauerte es mehreren Stunden, bis sie endlich das innere Heiligtum erreichten, welches als einziges verschont geblieben war. Ein sanftes Licht ging von dem kristallklaren Boden aus und ließ alles verwaschen aussehen.

„Ihr seid gekommen … Ich habe Euch erwartet, Shikon Feenseele, Seiketsu Lichtsegen und Ohtah Shadowdragon.“, erklang eine machtvolle Stimme und vor ihnen erschien der Kopf eines Drachens, eingehüllt von etwas, das einem magischen Zirkel ähnelte.

Zum Zeichen ihres Respekts senkten die drei Kämpfer ihre Häupter.

„Wir dürfen uns nicht mit Höflichkeiten aufhalten, junge Freunde. Mein ehemaliger Meister könnte jederzeit meine Anwesenheit spüren.“, fuhr sie fort, „Ich weiß, warum Ihr hier seid. Doch zunächst – kennt Ihr die Geschichte der >Klinge des Schicksals<?“

Seiketsu Lichtsegen nickte – ihr Lehrmeister Logan hatte ihr alles erzählt – und berichtete: „Die Klinge des Schicksals war eine Gilde, welche den Kampf gegen die Drachen aufnehmen wollte. Ihre Mitglieder bestanden aus den großen Völkern Tyria´s – Menschen, Asura, Norn, Charr und Sylvari. Aber eines Tages brach die Gemeinschaft auseinander, weil Hauptmann Thackeray die Gruppe verließ, um seiner Königin zu Hilfe zu eilen … In Folge dessen wurde Snaff, einer der beiden Asura getötet.“

„So ist es.“, sprach Glint, „Ich wollte sie gegen Kralkatorrik unterstützen … doch mein Schöpfer hat mich mit seinen Klauen zerfetzt, bevor ich ihnen die nötigen Informationen weitergeben konnte.“

Ohtah Shadowdragon starrte die Drachin entsetzt an und wiederholte: „Euer Schöpfer?“

„Ja … mein Kristallkörper wurde einst von Kralkatorrik erschaffen.“, erklärte sie und kehrte anschließend zum eigentlichen Thema zurück, „Es gibt einen Grund, warum ich die Klinge des Schicksals ausgewählt habe …“

Doch Shikon Feenseele unterbrach sie: „Wegen der Verbrüderung der verschiedenen Völker.“

„Korrekt.“, stimmte sie der Elementarmagierin anerkennend zu, „Ein einzelnes Volk hat keine Chance gegen die überwältigende Kraft der Drachen … Aber gemeinsam können sie einen Weg finden, sich zu behaupten. Shikon Feenseele, Seiketsu Lichtsegen und Ohtah Ryutaiyo, es ist Eure Aufgabe, den Kampf wiederaufzunehmen und dafür braucht auch Ihr Verbündete aus den anderen Völkern!“

Sie nickten entschlossen. Endlich hatte ihre Reise eine genaue Richtung bekommen.

„Es gibt noch etwas, das Ihr tun müsst …“, meinte Glint und richtete ihre Augen genau auf Shikon Feenseele, „Zhaitan, der Drache des Todes kann nur durch die Energie bezwungen werden, aus der alles Leben und alle Magie entspringt – die vier Elemente Feuer, Luft, Erde, Wasser … Ich weiß, was Ihr nun denken mögt, junge Elementarmagierin, doch Eure Macht über die Elemente wird dafür nicht ausreichen.“

Wie auf Stichwort erschien eine Truhe vor Shikon Feenseele. In der Truhe lagen vier durchsichtige Eier aus Kristall, welche ungefähr die Größe einer menschlichen Faust hatten.

„Das ist alles, was von meinem Dasein übriggeblieben ist … Sie sind leer, kein Leben ist mehr in ihnen. Sie werden die Seelen von Primordus, Jormag, Kralkatorrik und Mélyten extrahieren und zu Elementarjuwelen werden.“, informierte Glint sie und plötzlich konnte nur noch Shikon Feenseele ihre Stimme hören, „Eines solltet Ihr allerdings noch wissen … Die Juwelen nur zu besitzen genügt nicht – wenn Ihr Zhaitan besiegen wollt, müsst Ihr Eure eigene Schwäche überwinden!“

Das Abbild Glint´s verschwand. Und mit ihr auch der letzte Funken der hiesigen Magie.

„Ihr habt bereits das erste Mitglied Eurer Gemeinschaft gefunden.“, sagte eine piepsige Stimme in die Leere hinein.

Die Elementarmagierin, die Wächterin und der Dieb wirbelten herum. Vor ihnen stand Ganda.
 

Im Norden

Die kleine Asura bleib eisern bei ihrem Entschluss. Sehr zur Freude ihrer drei Verbündeten; nicht nur weil sie Ganda mochten, ihre Fertigkeiten waren mehr als nützlich – schließlich mussten sie quer durch ganz Tyria reisen.

„Wohin sollen wir als nächstes gehen?“, fragte Ohtah Shadowdragon, nachdem sie wieder sicher in Löwenstein waren.

Shikon Feenseele richtete ihren Blick in die Ferne und antwortete langsam: „Die Charr sind ein sehr schwieriges Volk. Und über die Sylvari weiß ich so gut wie nichts. Suchen wir zuerst die Norn auf.“

Sie nickten zustimmend und Ganda meinte: „Dann auf nach Hoelbrak!“
 

Das erste, was sie spürte, war die Kälte. Schnee wirbelte um sie herum. Alles erschien wie ein einziger Traum aus Eis. Shikon Feenseele fühlte sich sofort verzaubert. Es gab so viele wundervolle Orte auf der Welt. Orte, die sie nie zuvor gesehen hatte. Orte, die es zu beschützen galt.

„Ähm … Shiko, würdest du vie-vielleicht … deine Magie ei-einsetzen?“, schlotterte Seiketsu Lichtsegen und der Elementarmagierin wurde schlagartig wieder bewusst, dass ihre Gefährten von der Kälte beeinträchtigt wurden.

Schnell wob sie einen Zauber, welcher die Luft um sie herum erwärmte. Damit würde der Schnee unter ihren Füßen nicht schmelzen und sie würden trotzdem nicht erfrieren. Nun hatten auch die anderen Gelegenheit sich umzusehen. Es war erstaunlich, wie bunt gemischt die Wesen auf den Straßen herumliefen. Da waren nicht nur die hünenhaften Norn, sondern auch Charr, Menschen und sogar Asura. Selbst vereinzelte Sylvari. Anscheinend verstanden sich die Völker untereinander besser, als bislang angenommen.

„Ihr seid doch sicher auch wegen des Turniers hier!“, sprach sie einer der Norn an, „Natürlich seid ihr das! Willkommen in Hoelbrak, der Hochburg unserer Gesellschaft! Geht nur, geht, das große Spektakel beginnt gleich!“

Er wies auf eine Arena, welche in der Nähe des zugefrorenen Sees lag. Unzählige Schaulustige waren darum versammelt.

In genau dem Moment, als Shikon Feenseele und ihre Freunde dort eintrafen, verkündete ein Sprecher: „Es ist soweit! Möge der stärkste Norn siegreich vom Platz gehen und gemeinsam mit den Geistern der Wildnis die Schergen des Drachens zurückschlagen!“

Sofort horchten sie auf. Während die Regeln erklärt wurden, verstanden sie vollends. Die Norn hatten dieses Turnier anberaumt, um herauszufinden, welcher Norn die Kraft hatte, sich Jormag und seinen Dienern entgegenzustellen. Der Gewinner sollte die Ehre erhalten gemeinsam mit den vier Geistern der Wildnis, den Gottheiten der Norn auf die Jagd zu gehen. Schon nach den ersten paar Runden kristallisierte sich ein Favorit ganz klar heraus – Ric Bärenklaue. Er gehörte von seinem Körperbau her zwar nicht zu den massigen Norn, bewies dafür aber Köpfchen. Und Kraft hatte er wahrlich genug; seinen letzten Gegner besiegte er mit einem einzigen Faustschlag. Der Jubel der Zuschauer war überwältigend. Sie verehrten ihn und glaubten, er hätte eine reelle Chance sie von Jormag zu befreien. Shikon Feenseele wurde traurig … Kein Kämpfer, egal wie stark er sein mochte, konnte allein etwas gegen die Alt-Drachen ausrichten. Nur gemeinsam konnten sie etwasc gegen ihre Übermacht ausrichten! Unter den ermutigenden Rufen seiner Fans schritt Ric Bärenklaue aus der Arena. Vor dem Zelt des Siegers, indem Bier und köstliche Speisen auf ihn warteten, stand bereits Ohtah Shadowdragon; Shikon Feenseele, Seiketsu Lichtsegen und Ganda schnitten ihm den Rückweg ab. Er war regelrecht von ihnen umzingelt.

„Was wollt ihr von mir?“, brummte er drohend.

Es war die Elementarmagierin, die antwortete: „Wir möchten, dass du dich uns anschließt – uns und unserem Kampf gegen die fünf Drachen.“

„Pah! Ich trete gegen Jormag an. Und zwar allein, wie alle wahren Norn!“, erwiderte Ric Bärenklaue und machte Anstalten den Dieb zur Seite zur stoßen.

Doch Shikon Feenseele´s Stimme hielt ihn zurück: „Diese Statue am See … Sie zeigt eine weibliche Norn und auf einem darunter Schild steht geschrieben >Blut wäscht Blut< – Jora, die sich zu Lebzeiten mit großen Helden zusammengeschlossen hat, um ihren verfluchten Bruder aufzuhalten, nicht wahr?“

„Woher kennt ein Mensch unsere Legenden?“, gab der Norn teils wütend, teils neugierig zurück.

Die junge Adlige ging einige Schritte auf ihn zu, während sie erklärte: „Ich habe in Götterfels viel über die verschiedenen Völker gelesen. Weil ich wissen wollte, wer da draußen in der Welt noch alles unter den Drachen zu leiden hat. Darum habe ich meine Heimat verlassen, aber wir brauchen deine Hilfe, wenn wir-“

„Warte, Shiko. Ich glaube nicht, dass du ihn mit Worten von unserer Sache überzeugen kannst.“, unterbrach Ohtah Shadowdragon sie und wandte sich an den Krieger, „Ric Bärenklaue, ich fordere dich zum Zweikampf! Wir machen eine kleine Wette daraus – wenn ich gewinne, schließt du dich uns an; wenn du gewinnst …“

„Bekomme ich einen Jahresvorrat an Bier!“, beendete er den Satz seines Gegenübers siegessicher.
 

„Hat er überhaupt eine Chance?“, flüsterte Seiketsu Lichtsegen, die zusammen mit den anderen am Rand des Kampfplatzes stand.

Shikon Feenseele lächelte, als sie erwiderte: „Wenn es einer schafft, dann Ohtah.“

Ohtah Shadowdragon wich gekonnt jedem Schlag und jeder Finte aus. Es war nicht so, dass er sich der Kraft der Schatten bediente. Ganz im Gegenteil – er wusste, er konnte Ric Bärenklaue nur überzeugen, wenn er einen ehrenvollen Kampf bestritt. Darum hatte er seine beiden Dolche als Waffe gegen den mächtigen Zweihänder gewählt und seine Pistolen abgelegt. Schuld an seinen geschickten Ausweichmanövern trug das Turnier – er hatte jeden Kampf des Norn gesehen und kannte dessen Vorgehensweisen. Ric Bärenklaue holte zum erneuten Angriff aus. Diesmal bewegte er sich anders. Offenbar hatte er seinen Schwachpunkt erkannt und seine Taktik geändert. Dieser Umstand bewies, dass wirklich nicht nur Muskeln in ihm steckten. Ohtah Shadowdragon blockte den Hieb mit seinen gekreuzten Dolchen, doch das Gewicht zwang ihn hinunter in eine geduckte Haltung. Unfähig diese Position zu lösen, schaute er für den Bruchteil einer Sekunde zu seinen Verbündeten. Seiketsu Lichtsegen´s und Ganda´s Blick war bittend; sie hatten Angst, er könnte verlieren. Shikon Feenseele dagegen wirkte vollkommen ruhig und lächelte weiterhin; sie glaubte von ganzem Herzen an ihn. Er würde sie sicher nicht enttäuschen! Der Dieb schloss die Augen, sammelte seine Kraftreserven. In einer einzigen, fließenden Bewegung sprang er vom Boden ab – die Wucht riss Ric Bärenklaue das Schwert aus der Hand. Damit stand der Sieger fest.
 

In seinem Zelt lauschte Ric Bärenklaue der Erzählung von Shikon Feenseele über ihren Auszug aus Götterfeld – wobei sie ihre Träume für sich behielt –, wie sie Ohtah Ryutaiyo und Seiketsu Lichtsegen begegnet war. Und anschließend von Glint und Ganda´s Entscheidung, sich ihnen anzuschließen.

Nachdem sie fertig war, sagte er: „Ich kenne eine Charr … Sie gehört zur Aschen-Legion. Wir haben vor einiger Zeit zusammen gekämpft. Als unsere Völker ein … Friedensabkommen getroffen haben, auch wenn das nach euren Maßstäben vielleicht etwas anderes ist. Wir töten uns immerhin nicht mehr grundlos. Ich bin sicher, sie wäre interessiert.“

„Trotzdem können wir nicht einfach in ihrer Hauptstadt auftauchen.“, mahnte die Elementarmagierin, „Damit würden wir nur ihren Zorn auf uns ziehen.“

Der Norn überlegte einen Moment, bevor er erklärte: „Der Weg durch den Wanderer Hügel ist unmöglich – die Berge sind nicht zu erklimmen. Ansonsten würde es Wochen dauern, sich durch die Südlichen Zittergipfel nach Ascalon durchzuschlagen.“

„Blödsinn!“, schaltete sich Ganda empört ein, „Was glaubt Ihr eigentlich, warum ich den Titel der >Portalistin< trage?! Ich kann nicht nur durch das Portalnetz führen oder Koordinaten eingeben – ich kann auch vorübergehende Portale erschaffen! Zumindest wenn ich den Ort kenne. Und in Ascalon war ich schon unzählige Male.“

Staunen breitete sich in der Gruppe aus. Bislang hatte keiner von ihnen wirklich mit den Asura zu tun gehabt und wusste daher kaum etwas über deren Fertigkeiten. Da musste selbst Shikon Feenseele passen; es existierten fast mehr Bücher über die Sylvari, als über die kleinen Intelligenzbestien aus der Befleckten Küste.

„Während die kleine Asura ihre Vorbereitungen trifft, werde ich mich von meinen Leuten verabschieden.“, meinte der Norn mit einem seltsamen Unterton in der Stimme, „Seid bis dahin meine Gäste!“

Shikon Feenseele, Ohtah Shadowdragon und Seiketsu Lichtsegen nahmen die Einladung dankend an. Nur Ganda machte sich sofort an die Arbeit – und deshalb konnten die Gruppe nur zwei Tage später zu der atemberaubenden Hauptstadt der Charr aufbrechen, wo sie Ric Bärenklaue direkt zum großen Eingangstor lotste. Dort wurden sie auch gleich mal von einer Handvoll Wachen kontrolliert.

„Ich bin Ric Bärenklaue und will eine alte Kampfgefährtin besuchen. Meine Freunde begleiten mich.“, antwortete der Krieger auf ihre Fragen.

Seltsam genug, dass ein Norn mit Menschen reiste – von der Asura einmal ganz abgesehen –, aber sie auch noch als Freunde zu bezeichnen, auffälliger ging es kaum.

„Wie lautet der Name deiner … Kampfgefährtin?“, hakte der Charr nach, wobei er ihnen das letzte Wort beinahe entgegenspuckte.

Ein Knurren mischte sich in Ric Bärenklaue´s Stimme: „Gwen Grimmpfote.“

Mit einem Mal schlug die Stimmung der Wache um: „Seid willkommen in der Schwarzen Zitadelle! Ihr findet das Zelt der Legionär im Heldenbezirk, im Lager der Aschen-Legion. Nicht zu verfehlen.“

Offenbar hatte sich Gwen Grimmpfote seit ihrer letzten Begegnung einen Namen unter den ihren gemacht, dachte Ric Bärenklaue anerkennend.
 

Wie der Phönix aus der Asche

Vor einem großen Zelt entdeckte Ric Bärenklaue ein bekanntes Gesicht und rief freudig: „Sporn, alter Junge! Du bist wirklich noch am Leben!“

Ein Charr mit orangebraunem Fell und einer Augenklappe umfasste seinen rechten Arm zum Kriegergruß: „Bei allen Hoch-Legionen, was treibt dich denn nach Ascalon, Ric?“

„Gwen.“, gab er ernst zurück, „Ich bringe ihr jemanden, der unbedingt mit ihr sprechen muss.“

Der Norn wies auf Shikon Feenseele, die interessiert von Klauensporn – wie der Charr richtig hieß – gemustert wurde. Dann drehte er sich um und führte sie ins Innere des Zelts. Auf ihren fragenden Blick hin, erklärte er, Gwen müsse jeden Moment zurückkommen.

„Ah, der Liebling des Tribun kehrt zurück!“, scherzte er, als sie die Zeltwand nur Minuten später erneut zur Seite geschlagen wurde, „Was wollte Brimstone denn diesmal von dir? Übrigens Ric ist mit ein paar Freunden zu Besuch.“

Natürlich hatte die Nekromantin die ungeladenen Gäste sofort bemerkt: „Nun, Kamerad, wenn du hier so plötzlich auftauchst, hat das sicher einen guten Grund.“

„Dein Scharfsinn hat nicht im Geringsten nachgelassen, Kätzchen.“, entgegnete er mit einem kurzen Grinsen, „Es geht um die Drachen.“

Damit war ihm die Aufmerksamkeit von Gwen Grimmpfote und Klauensporn gewiss. Doch anstatt mehr dazuzusagen, überließ er es Shikon Feenseele ihr Anliegen vorzutragen.

„Verstehe … Glint also.“, sagte die Legionär, nachdem eine Weile lang Stille geherrscht hatte, „Ich wünschte, ich könnte euch helfen diese miesen Drecksviecher ordentlich zu verprügeln … Aber mein Tribun hat mir einen neuen Auftrag zugeteilt.“

Shikon Feenseele sprang auf und erklärte entschlossen: „Dann helfen wir Euch damit! Und anschließend könntet Ihr doch mit uns kommen.“

Es dauerte einige Zeit bis Gwen Grimmpfote sich geschlagen gab und ihnen von ihrem Erzeuger erzählte – einem Gladium, ein Charr ohne Trupp. Er war vor Jahren verschwunden und nun wieder in Ascalon gesichtet worden. Ihre Aufgabe war es, ihn ausfindig zu machen und zur Schwarzen Zitadelle zu bringen, damit ihm der Prozess gemacht wurde – die Anklage lautete Verrat an den Hoch-Legionen.

„Ohtah, ich vertraue darauf, dass du Shiko beschützen wirst.“, kam es von Seiketsu Lichtsegen, welche die Arme vor der Brust verschränkt hielt, „Es gibt noch etwas, das ich hier erledigen muss.“

Die Elementarmagierin schaute sie überrascht an, doch sie erwiderte ihren Blick nicht.

Ganda wechselte schnell das Thema: „Ich kümmere mich derweil um unsere Weiterreise. In den Hain, nicht wahr? Und Ihr, Ric, werdet gefälligst nicht von meiner Seite weichen! Diese Horde Charr ist mir nicht ganz geheuer – nichts für ungut.“

Die Nekromantin ignorierte diesen Kommentar und gab Klauensporn unterdessen eine Reihe von Befehlen.
 

Ohtah Shadowdragon und Gwen Grimmpfote schienen beinahe darum wettzueifern, wer die Spur von Vallus Grimmmähne besser aufnehmen konnte. Sie sprachen mit den Zeugen, die ihn gesehen hatten, alten Bekannten und sogar mit seiner früheren Vorgesetzten, die ihn für seinen Verrat einfach nur noch tot sehen wollte.

Die Adlige hasste Wesen, die ohne weiteres ein Todesurteil fällten, darum versuchte sie sich abzulenken: „Könnt Ihr uns mehr über Euren Vater erzählen, Gwen?“

„Dazu müsst ihr wissen, dass unsere Jungen nicht bei ihren Eltern aufwachsen, sondern im Fahrar erzogen worden, einer Art … Schule, so nennt ihr Menschen es doch.“, meinte die Charr und schnüffelte ein paar Mal, „Ich habe mein ganzes Leben lang nur Gerüchte über Vallus gehört. Und bei weitem keine guten. Für einen Charr ist es die größte Schande seinen Trupp zu verlassen oder verstoßen zu werden. Aber was Vallus getan hat, ist um ein vielfaches schlimmer … Er hat mit der Flammen-Legion gemeinsame Sache gemacht und damit uns alle verkauft!“

In Shikon Feenseele keimte eine schreckliche Vorstellung: „Werdet Ihr … werdet Ihr auch ein Gladium, wenn Ihr mit uns kommt?“

Gwen Grimmpfote schüttelte leicht den Kopf: „Nicht wenn der Tribun, dem ich unterstellt bin, es genehmigt. Früher diente ich unter einem Tribun der Aschen-Legion, heute ist es-“

„Rytlock Brimstone, ehemaliges Mitglied der Klinge des Schicksals.“, schlussfolgerte Ohtah Shadowdragon und warf der Elementarmagierin einen bedeutsamen Blick zu, „Deshalb meinte Euer Freund, Ihr wärt sein Liebling.“

Sie winkte nur ab: „Klaue übertreibt, wie immer. Aber es stimmt, Tribun Brimstone hat mich für sich beansprucht. Manchmal kommt es zwischen den Legionen zu solchen Handeln.“
 

Zur selben Zeit bekam eben jener Charr ungebetenen Besuch in seiner Kammer – eine junge Frau in silberner Rüstung und mit ernstem Gesichtsausdruck.

„Raus hier! Ich dulde keine Menschen in meiner Nähe!“, bellte er verärgert.

Sein Gehabe beeindruckte sie jedoch nicht im Geringsten: „Mein Name ist Seiketsu Lichtsegen. Ich wurde von Logan Thackeray ausgebildet.“

„Und jetzt schickt dich der Feigling zu mir?“, höhnte der Charr, „Verschwinde! Ich habe weder ihm noch dir etwas zu sagen!“

Die Wächterin bewegte sich keinen Millimeter vom Fleck und entgegnete: „Das mag sein. Dafür habe ich Euch einiges zu sagen! Stellt Euch vor, es wäre jemals die Situation aufgekommen, in der Ihr Euch hättet entscheiden müssen … zwischen Logan und und einem anderen Mitglied der Klinge des Schicksals – wen hättet Ihr gerettet, Rytlock Brimstone? Und wenn Ihr mir jetzt erzählen wollt, Ihr hättet nicht alles für ihn getan, kann Logan mir nur leidtun! Denn als er mir von euch berichtete, sagte er, er würde Euch trotz aller Differenzen noch immer wie einen Bruder lieben!“

Es blieb einen Moment vollkommen still, bevor Seiketsu Lichtsegen hinzufügte: „Ich würde meiner Freundin Shiko bis ans Ende der Welt folgen und mit ihr durch die Hölle gehen, wenn es sein müsste! Sie könnte mir nicht näher stehen, würde dasselbe Blut durch unsere Adern fließen. Denkt darüber nach, Rytlock Brimstone, ob Logan´s Entscheidung wirklich so falsch war, wie Ihr ihm vorwerft … Im Übrigen wollen wir, dass Eure Legionär Gwen Grimmpfote uns beim Kampf gegen die Drachen unterstützt, also wagt es nicht, dem zu widersprechen – denn im Gegensatz zu Eurer Gilde wird unser Team nicht scheitern!“

Mit diesen Worten ließ sie ihn einfach stehen und rauschte aus dem Zimmer.
 

Die Spur von Vallus führte die kleine Gruppe ins Diessa-Plateau, zu einer Felsspalte. Ohtah Shadowdragon, der diesmal im Vorteil war, verschmolz mit den Schatten und spähte das Lager aus – der Mesmer war allein und es gab nur einen Zugang; eine natürliche Falle. Gwen Grimmpfote ging voraus, der Dieb und die Elementarmagierin hielten sich im Hintergrund; dies war nicht ihre Mission.

„Vallus Grimmmähne, nach dem Gesetz der Hoch-Legionen verhafte ich dich wegen Desertion und Verrat. Leiste bei der Überstellung in die Schwarze Zitadelle keinen Widerstand.“, verkündete die Nekromantin ungerührt.

Ihr Vater lachte überheblich: „Mein eigener Nachwuchs kommt, um mich gefangen zu nehmen? Das ist die Handschrift dieses elenden Brimstone! Na schön, dann zeig´ mal, was du in diesem Fahrar gelernt habt!“

Kämpfe zwischen Norn waren hart, unerbittlich. Doch gegen jene der Charr war das nichts. Sie schlugen wild mit ihren Klauen aufeinander ein, bissen zu, traten nacheinander, knurrten sich gegenseitig an. Hier ging es nicht um Ehre oder Tapferkeit, sondern um reine Stärke. Niemand hätte vermutet, dass sich hier Vater und Tochter gegenüber standen. Irgendwann gelang es Gwen Grimmpfote ihn zu Boden zu ringen und ihm ihre todbringenden Krallen an die Kehle zu halten.

„Ich werde dich nicht töten. Der Tribun wünscht, dich lebend in die Klauen zu bekommen …“, erklärte sie und stand auf, „Aber ich kann nicht zulassen, dass du mir entkommst.“

Mit einem Zauber schickte sie ihn in einen tiefen Schlaf.

„Wollt Ihr es wirklich so enden lassen?“, fragte Shikon Feenseele traurig.

Gwen Grimmpfote kniff die Augen zusammen, dann hakte sie nach: „Wie meinst du das, Mensch?“

„Ihr sagtet, Ihr hättet Euer ganzes Leben lang nur Gerüchte über Euren Vater gehört. Jetzt hättet Ihr die Chance die Wahrheit zu erfahren.“, antwortete sie und biss sich auf die Unterlippe.

Ohtah Shadowdragon zog sie an sich heran. Er wusste, was sie beschäftigte – Fürstin Gwynith war nicht ihre leibliche Mutter. Irgendjemand hatte sie nicht haben wollen, genauso wie ihn und Seiketsu Lichtsegen. Zumindest hatten sie es so erlebt – wie hätten die drei wiedergeborenen Legenden auch ahnen sollen, was in Wirklichkeit geschehen war?

Die Charr schwieg sich derweil eisern aus, konnte die Schuldgefühle jedoch nicht gänzlich abschütteln.
 

Die Soldaten der Schwarzen Zitadelle sperrten Vallus in eine Zelle. Dabei schrie er unentwegt nach seiner Tochter. Die Nekromantin versuchte verzweifelt wegzuhören, was ihr jedoch einfach nicht gelingen wollte. Nicht nachdem, was Shikon Feenseele ihr an den Kopf geworfen hatte – bei allen drei Hoch-Legionen, sie hatte ja recht! Sie wusste genau, welche Strafe Vallus erwartete. … Wenn sie jetzt nicht zu ihm ging, würde sie die einzige Gelegenheit verstreichen lassen. Darum belegte Gwen Grimmpfote die Wachse mit demselben Schlafzauber wie am Tag zuvor ihren Vater und schlich sich ins Verlies.

„Du wirst mir jetzt die Wahrheit sagen, Vallus, die ganze Wahrheit! Oder ich sorge dafür, dass dein Prozess doch noch ins Wasser fällt.“, knurrte sie und blickte in seine Auge, die ihren so unglaublich ähnlich waren.

Der Mesmer zog die Lefzen hoch und begann zu erzählen: „Vor einigen Jahren wurde ein Mitglied unseres Trupps von der Flammen-Legion verschleppt. Sein Name ist Sesric … Nachdem ich vergebens versucht hatte, unsere Anführerin dazu zu bringen eine Rettungsmission durchzuführen, bin ich desertiert und habe mich bei unseren Feinden eingeschlichen. Ich konnte ihn nicht im Stich lassen! Ich weiß inzwischen, wo sie ihn gefangen halten – Sesric ist noch am Leben! Deshalb bin ich zurückgekommen.“

In Gwen Grimmpfote herrschte ein Kampf. Sie wusste nicht, ob sie Vallus trauen konnte.

„Wenn das Tribunal morgen zusammentritt und sein Urteilt fällt, wird der >Fluch< mein Grab werden.“, fuhr Vallus fort und umklammerte die Gitterstäbe mit seinen Klauen, „Es wäre mir egal, ob ich in Schande sterben müsste … Aber nicht so lange noch Hoffnung für Sesric besteht!“

Der Fluch … die Kampfarena der Schwarzen Zitadelle. Dorthin wurde ein Verurteilter ohne eine einzige Waffe gebracht – je nach schwere seines Verbrechens musste er für eine bestimmte Dauer gegen die bewaffnete Gladiatoren in ihren Rüstungen kämpfen. Wenn er die Zeit überstand, war er frei … Allerdings gelang dies vielleicht einer Handvoll, denen nur eine kurze Frist gesetzt war. Bei Hochverrat würde seine Zeitspanne einen ganzen Tag und die folgende Nacht dauern – das würde Vallus sicher nicht überleben.

Mit Mühe brachte sie die Worte zwischen ihren zusammengepressten Zähnen heraus: „Erwartest du wirklich von mir, dass ich Tribun Brimstone und die gesamte Schwarze Zitadelle hintergehe, indem ich dich laufen lasse?“

„Du bist mir ähnlicher, als du glaubst.“, meinte Vallus, „Ich habe keine Beweise für mein Vorhaben. Du kannst mir trauen … oder nicht. Es ist deine Entscheidung.“

Gwen Grimmpfote dachte an Klauensporn und den Rest ihres Trupps, dann sagte sie: „Ich tue das nicht, weil du mein Vater bist … sondern weil ich genauso handeln würde. Flieh´, Vallus, und rette deinen Freund!“

Sie öffnete das Zellenschloss.

„Ich werde nie vergessen, was du heute getan hast. Ich bin nicht gut im Abschiednehmen, darum mache ich es kurz.“, erklärte Vallus und salutierte vor ihr, „Ich bin wahrhaft stolz darauf, dich als Tochter zu haben.“

Die Nekromantin nahm seinen Unterarm zum Kriegergruß: „Du solltest jetzt verschwinden, bevor wir irgendwelche Aufmerksamkeit auf uns lenken. Auf Wiedersehen … Vater.“
 

Gwen Grimmpfote betrat das Bluttribun-Quartier und sagte mit gesenktem Haupt: „Tribun, ich will mich stellen. Ich verhalf dem Gefangenen Vallus Grimmmähne zur Flucht.“

„Du musst wahrlich noch viel lernen, Legionär.“, gab Rytlock Brimstone zurück, „Ich weiß genau, was du getan hast. Im Verlies gibt es ein Sprachrohr, das direkt hierher führt. Sag´ mir … was macht einen wahren Anführer aus?“

Sie verstand nicht, worauf er hinauswollte, und schwieg.

„Ein wahrer Anführer hat den Mut das richtige zu tun. Egal wie seine Befehle lauten.“, erklärte der Charr, „Du weißt es nicht, aber dieser Charr, von dem Vallus gesprochen hat … ist dein Onkel, Sesric Grimmauge. Ich hatte früher auch so etwas wie einen Bruder, für den ich fast alles getan hätte.“

Nun wagte sie es ihn anzusehen und meinte: „Darf … darf ich eine Frage stellen, Tribun?“

„Nein. Du erhältst mit sofortiger Wirkung deinen neuen Auftrag.“, entgegnete das ehemalige Mitglied der Klinge des Schicksals, „Zenturio, ich übertrage dir hiermit die Aufgabe im Namen jedes einzelnen Charr in ganz Tyria gegen die fünf Drachen zu kämpfen! Und mach´ mir bloß keine Schande, nur weil ein Mensch den Trupp anführt. Wegtreten!“

Gwen Grimmpfote wusste im ersten Moment kaum, was sie sagen sollte, und erwiderte dann mit einem schelmischen Lächeln: „Verstand, Tribun! Lieber sterbe ich, als dich zu enttäuschen!“
 

(K)ein Team mit Ull

Die Gruppe um Shikon Feenseele wusste nicht, worüber sie sich mehr wundern sollten – dass Gwen Grimmpfote ihren Vater aus dem Gefängnis befreit hatte oder eher Rytlock Brimstone´s Reaktion darauf. Seiketsu Lichtsegen lächelte darüber; sie hatte den anderen nichts über ihren Besuch bei dem Tribun erzählt, aber sie hoffte, dass er irgendwann über seinen Schatten springen und sich wieder mit Logan Thackeray versöhnen würde.

„Was ist los, Seiketsu?“, riss die schöne Elementarmagierin sie aus ihren Gedanken, „Wir wollen aufbrechen. Ist alles in Ordnung mit dir?“

Seiketsu Lichtsegen nickte hastig. Es hatte keinen Sinn länger über Logan nachzudenken. Als Mitglied der Seraphen-Wache und als Freundin war es ihre Pflicht, Shikon Feenseele zu beschützen!

Im Caledon-Wald öffneten sie wieder ihre Augen. Shikon Feenseele hatte von der Welt der Sylvari gelesen, in der selbst Lampen, Gebäude und alles andere aus lebendigen Pflanzen bestanden. Es war eine faszinierende Art von Magie, ein Wunder des Lebens und damit das genaue Gegenteil der Drachen … Eine Blume fiel ihr besonders auf. Fünf große Blütenblätter in leuchtendem Gelb und Orange lockten sie näher heran. Shikon Feenseele beugte sich weiter herunter und schnupperte an der auffälligen Blume. Sofort durchfuhr sie ein eigenartiger Ruck. Hitze pumpte durch ihren Körper und ihre Beine knickten unter ihrem Gewicht zusammen, so als hätte sie alle Kraft verlassen.

„SHIKO!“, schrie Ohtah Shadowdragon erschrocken und eilte via Schattenschritt an ihre Seite.

Angst durchflutete ihn. Shikon Feenseele hatte bereits das Bewusstsein verloren, er spürte das hohe Fieber. Da hallte plötzlich ein Heulen durch den Wald und aus dem Unterholz sprang ein Wesen, das aussah wie ein Wolf aus Pflanzen.

„Ein Waldhund.“, erklärte Ganda ungerührt, „Ein treuer Begleiter der Sylvari.“

Der Waldhund trottete auf Shikon Feenseele zu und schnupperte an ihr. Ein Knurren entfuhr seiner Kehle, gefolgt von einem erneuten Geheul. Nur wenige Sekunden später trat eine weibliche Sylvari zwischen den Bäumen hervor. Bläuliche Blätter wuchsen aus ihrem dunkelgrünen Rankenkörper – doch am auffälligsten waren die zwei Bögen über ihren Schultern.

„Sie hat die Sporen der Sonnenuntergangsblume eingeatmet.“, stellte die Waldläuferin fest, „Ihr solltet keine Zeit verlieren – das Gift wird sie binnen eines Tages töten. Legt sie sofort auf Tear´s Rücken.“

Ohtah Shadowdragon, den sie damit angesprochen hatte, zögerte erst.

„Und ich dachte, so wie Ihr schaut, bedeute sie Euch etwas.“, spottete sie, woraufhin er tat wie geheißen, „Die Charr sollte in der Lage sein unserer Fährte zu folgen. Los, Tear!“

Genauso schnell wie sie aufgetaucht waren, waren sie auch wieder verschwunden – und Shikon Feenseele mit ihnen die derweil von schrecklich Alpträumen geplagt wurde. So sehr sie sich zu konzentrieren versuchte, die Magie wollte ihr einfach nicht gehorchen. Sie rief nach Ohtah Shadowdragon, Seiketsu Lichtsegen und ihren anderen Freunden. Doch niemand half ihr. Nicht einmal die Stimme aus ihren Träumen sprach zu ihr … Sie wusste nicht, wie lange sie schon in dieser unendlichen Leere gefangen war, hier gab es weder Zeit noch Raum. Irgendwann fühlte Shikon Feenseele endlich wieder die Präsenz der vier Elemente. Das Feuer erfüllte sie mit neuer Kraft, das Wasser schenkte ihr Ruhe, durch die Luft klärten sich ihre Gedanken, von der Erde erhielt sie ihren Lebensmut zurück. Und die arkane Energie, die daraus entstand, ließ sie die Augen öffnen. Über ihr spannte sich ein grünes Blätterdach und sie lag auf etwas Weichem, einem Bett.

„Ihr weilt wirklich noch unter den Lebenden – beeindruckend.“, lobte sie eine Stimme, die sie nicht kannte.

Ein Gesicht erschien in ihrem Blickfeld, es war eine Sylvari.

„Man nennt mich Ull Rosenknospe und dies ist mein Haus. Ihr wurdet durch eine Blume vergiftet, jetzt seid Ihr wieder gesund.“, erklärte sie.

Shikon Feenseele versuchte sich ächzend aufzusetzen und fragte dabei: „Hast du mir geholfen?“

„Die Schriften von Ventari lehren uns, dass jedes Leben wertvoll ist … Zumindest wenn man diese widerlichen Drachen und ihre Brut nicht mitzählt.“, antwortete sie und ein seltsamer Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht, „Aber das Gegenmittel allein hätte nicht ausgereicht. Ihr tragt den Willen zu leben in Euch.“

Die schöne Elementarmagierin schaffte es endlich ihren Körper wieder unter Kontrolle zu bringen und sagte ernst: „Die Drachen … Meine Freunde und ich wollen ihre Herrschaft beenden. Willst du dich uns nicht anschließt, wenn du sie ebenso hasst? Vielleicht bekomme ich dann auch die Chance mich bei dir zu revanchieren.“

Ein Leuchten ging von der Sylvari aus. In diesem Moment stürmten die anderen herein und umringten Shikon Feenseele freudig.
 

Nachdem Shikon Feenseele etwas gegessen hatte, machten sich die Verbündeten im Wald auf die Suche nach einem Sylvari, der sie begleiten wollte. Wobei die Elementarmagierin weiterhin am liebsten Ull Rosenknospe in ihren Reihen gehabt hätte, die jedoch abgelehnt hatte. Plötzlich hörten sie Schreie von Sylvari und Waldhunden. Ohne lange darüber nachzudenken, rannte die Gruppe zum Ort des Geschehens. »Krieg« war das Wort, welches Shikon Feenseele bei diesem Anblick zuerst in den Sinn kam. Die Sylvari führten Krieg gegeneinander … Auf der einen Seite kämpften jene, die sie aus dem Hain und dessen Umgebung kannten. Auf der anderen waren alle in rot und schwarz gehüllt.

Die Anhänger des Blassen Baums schrien: „Tod dem Alptraum!“

„Nieder mit Ventari!“, hielten die Alptraumhöflinge dagegen.

Da fiel der Elementarmagierin eine Gruppe Feinde auf, die Waldhunde verschiedenen Alters gefangen genommen hatten. Einer von ihnen schaute sie mit großen Augen an.

„Das ist Tear!“, rief Shikon Feenseele aus, „Wir müssen sie retten!“

Keiner wagte es, ihr zu widersprechen, auch wenn sie es für unwahrscheinlich hielten, dass es sich wirklich um Ull Rosenknospe´s Gefährtin handelte. Shikon Feenseele, Seiketsu Lichtsegen und Ohtah Shadowdragon nahmen die Entführer ins Visier, während ihre Freunde den Rest der Gegner angriff. Der Dieb preschte vor, in seiner rechten Hand hielt er einen seiner blitzenden Dolche, mit links feuerte er Pistolenkugeln ab. Die Elementarmagierin vereinte ihre zerstörerische Flamme mit dem reinigenden Feuer der Wächterin und gaben ihm damit Rückendeckung. Die Waldhunde wimmerten; sie fürchteten das heiße Element genauso wie die Sylvari. Doch die beiden wären nicht Shikon Feenseele und Seiketsu Lichtsegen gewesen, hätten sie zugelassen, dass Unschuldige von ihrem Zauber verletzt werden würden – nicht einmal das Gras oder die anderen Pflanzen nahmen Schaden.

„Rückzug!“, brüllte ein Adliger des Alptraumhofs, der den Angriff angeführt hatte.

Die feindlichen Sylvari flüchteten. Es war ihnen nicht gelungen, auch nur einen Gefangen mitzunehmen. Shikon Feenseele und Seiketsu Lichtsegen sahen nach den Waldhunden und befreiten sie von ihren Fesseln. Tear stupste die Retterinnen sanft mit der Schnauze an, um sich bei ihnen zu bedanken.

„Die Drachen sind nicht das einzige, was Tyria bedroht …“, flüsterte Shikon Feenseele kaum hörbar, „Die Banditen, die Inquestur, die Söhne Svannir´s, die Flammen-Legion, der Alptraumhof – dies war nur ein kurzer Auszug des Schreckens. Tyria benötigt mehr Kämpfer, die sich erheben! Wir müssen allen zeigen, dass es nicht unmöglich ist, sich zu wehren!“
 

Die Sonne ging unter, die Nacht brach herein. Über ihnen blinkten die ersten Sterne. Sie hatten ihr Lager weit weg vom Kampfplatz aufgebaut – ein Kampf gegen den Alptraumhof pro Tag reichte.

Ohtah Shadowdragon schlug mit der Faust auf den Boden und brummte: „Und wieder verstreicht ein Tag, ohne dass wir die fünf Völker versammelt haben!“

„Ihr solltet lieber noch einmal nachzählen.“, widersprach eine Stimme aus dem Geäst.

Shikon Feenseele sah in die Baumwipfel und entdeckte eine Sylvari mit ihrem Tiergefährten auf einem der Äste. Sie trug zwei verschieden große Bögen; einen über jeder Schulter, der Köcher hing an ihrer Hüfte – das Markenzeichen von Ull Rosenknospe.

„Ventari sagt auch >Handle weise, doch handle.<.“, erläuterte die Waldläuferin bedeutungsvoll, „Ich kann meiner Wylden Jagd nicht länger entfliehen. Der Traum offenbarte mir, ich würde eines Tages gegen die Drachen kämpfen. Und … ohne uns hättet Ihr sowieso nicht die geringste Chance!“

Unzählige Blicke flogen im Sekundentakt umher. Dann brach ein lautes Gebrüll los.

„Da fällt mir ein … Meine Schwester Caithe hat die Gilde der Klinge des Schicksals mitbegründet.“, meinte Ull Rosenknospe abschätzend, „Habt Ihr auch einen Namen?“

Shikon Feenseele wollte verneinen, doch die anderen grinsten sich an und riefen: „Team Shiko!“
 

Das erste Juwel

Shikon Feenseele, Seiketsu Lichtsegen und Ohtah Shadowdragon hatten Glint´s Vorgabe erfüllt – alle großen Völker waren in einem Team vereint. Blieb nur noch die Frage zu klären, welchen Alt-Drachen sie sich zuerst vornehmen sollten, Zhaitan einmal außen vor gelassen. Ric Bärenklaue stimmte natürlich für Jormag, der seine Leute aus ihrer Heimat vertrieben hatte. Gwen Grimmpfote war für Kralkatorrik.

„Shiko ist unsere Anführerin.“, bemerkte Ganda, „Ihr sollt entscheiden.“

Zustimmendes Gemurmel und Nicken folgten, was Shikon Feenseele ganz verlegen machte.

Sie schloss für einen kurzen Moment ihre Augen, bevor sie ihre Entscheidung traf: „Ich habe noch ein paar offene Rechnungen zu begleichen … Zuerst ist Primordus fällig. Und dann ist Kralkatorrik dran.“

„Wieso mit Primordus?“, wollte der geschickte Dieb wissen – Kralkatorrik konnte er ja verstehen, sie wollte Rache für Glint.

Die schöne Elementarmagierin wusste, dass der Zeitpunkt gekommen war … und sie erzählte ihnen alles über ihre Begegnung mit dem Feuerdrachen.

„Warum?“, fragte Ohtah Shadowdragon und ballte die Hände zu Fäusten, „Warum hast du mir nicht gleich gesagt, was passiert ist?“

Der Schmerz in seiner Stimme verletzte Shikon Feenseele und sie antwortete gequält: „Ich hatte Angst … davor wie du mich sehen könntest, wenn du wüsstest, dass ich erneut so schwach gewesen bin. Du hattest mich doch gerade erst vor den Zentauren gerettet …“

„Ich habe dich nie für schwach gehalten.“, entgegnete er, nach einiger Zeit des Schweigens, „Du hast dich immer nur selbst so gesehen … Keiner von uns wäre hier, um in die Fußstapfen der Klinge des Schicksals zu treten. Glint wollte ihre Eier ihnen anvertrauen … jetzt besitzen wir sie, weil du uns zu ihr geführt hast. Ich habe mich dir angeschlossen, weil ich an dich glaube! So wie jeder einzelne von uns. Ohne dich sind wir nichts!“

Shikon Feenseele kämpfte die aufsteigenden Tränen nieder. Sie wollte für ihre Freunde eine starke Anführerin sein!
 

Shikon Feenseele berührte den steinernen Untergrund und versuchte mit Mühe das Zittern aus ihrem Körper zu verbannen – nie würde sie vergessen, wie sich die Erde unter ihren Füßen geöffnet hatte und sie in Primordus´ Reich gestürzt war. In Ganda´s Gesicht spiegelten sich Angst und Aufregung. Ric Bärenklaue und Gwen Grimmpfote wirkten entschlossen. Ull Rosenknospe schien den Kampf ebenfalls herbeizusehnen. Seiketsu Lichtsegen und Ohtah Shadowdragon schwiegen – auch ihnen jagte dieser Ort noch immer einen Schauer über den Rücken.

„Fasst euch an den Händen und lasst einander nicht los. Wir werden ziemlich tief fallen.“, ordnete die Elementarmagierin an, während sie in der Mitte des Kreises Stellung bezog.

Ein letzter Blick in die Augen ihrer Gefährten und Shikon Feenseele begann die Macht der vier Elemente zu rufen. Aus Feuer und Wasser formte sie einen Schutzschild, Erde und Luft ebneten ihnen den Weg. Der Boden brach auf, Shikon Feenseele drehte sich um ihre eigene Achse und der Fels sauste in die Tiefe. Der pfeifende Wind übertönte jeden Schrei. Irgendwann krachten sie auf das Luftpolster, das die Elementarmagierin erschaffen hatte. Mit großen Augen sahen die Freunde sich um. Wenn es so etwas wie die Hölle gab, musste sie genauso aussehen. Seit Shikon Feenseele´s letztem Aufenthalt hatte sich einiges verändert – die Stärke des Drachens war gestiegen, so viel stand fest.

„Wer wagt es in mein Reich einzudringen?“, erklang es in ihren Köpfen.

Die Freunde ließen sich erschrocken los und öffneten damit den Kreis. Shikon Feenseele trat vor.

„Primordus! Mein Name ist Shikon Feenseele …“, rief sie ihm entgegen und ließ ihre Aura frei strömen, „Dass du mich damals nicht getötet hast, war ein Riesenfehler, für den du heute bezahlen wirst!“

Der Feuerdrache lachte boshaft: „Du bist also trotz meiner Warnung zurückgekommen? Dummes, kleines Mädchen! Und dann hast du auch noch ein paar Freunde mitgebracht, die dir beim Sterben Gesellschaft leisten werden? Wirklich amüsant …“

Ohne ein weiteres Wort schoss Primordus einen Feuerball auf sie ab. Shikon Feenseele riss ihren Flammenschild hoch, doch er war viel zu schwach. Sie schlitterte über den Boden und blieb zu Füßen ihrer Freunde liegen. Zum Glück hatte sie nur leichte Blessuren, ihr Körper war Feuer gewohnt.

„Wir müssen ihn gemeinsam angreifen!“, erinnerte Ganda die Teammitglieder, „Glint hat doch gesagt, dass nur alle fünf Völker zusammen etwas gegen die Drachen ausrichten können!“

Keiner von ihnen ahnte, dass die kleine Asura ebenfalls eine persönliche Sache mit dem feurigen Alt-Drachen zu klären hatte … Dabei ging es nicht einmal so sehr um ihr Volk im Allgemeinen – Primordus´ hatte einst ihre Eltern bei einem Ausfall getötet … und eines ihrer Kru-Mitglieder war ihm bei einem Angriff der Zerstörer zum Opfer gefallen. Wenn Team Shiko hier scheiterte, mussten weitere Verluste erleiden …

Von Ganda ermutigt, stand Shikon Feenseele wieder auf, Ohtah Shadowdragon stützte sie.

„Glaubt ihr wirklich, dass ich und meine Brüder so leicht zu besiegen sind? Uns fürchten sogar diese jämmerlichen Sechs Götter!“, höhnte der Alt-Drache.

Die Gefährten stellen sich in einen Halbkreis um Primordus. Seiketsu Lichtsegen schleuderte ihm einen Schwall heiliger Energie entgegen. Gwen Grimmpfote beschwor eine Schar Untoter herauf, und Ganda bombardierte ihn mit einer Unzahl Minen. Ohtah Shadowdragon und Ric Bärenklaue gingen in Begleitung von Tear zum Frontalangriff über, während Ull Rosenknospe unablässig ihre Pfeile auf ihn abschoss. Shikon Feenseele nahm eines der Kristalleier in die Hand und konzentrierte sich darauf. Es barg kein Leben … also musste es mit neuem Leben gefüllt werden. Die Erkenntnis durchströmte die schöne Elementarmagierin wie ein Adrenalinstoß. Sie umfasste das Kleinod mit beiden Händen und ließ die Magie der vier Elemente hindurch fließen. Aber Primordus durchschaute ihr Spiel und griff Shikon Feenseele erneut an, die sich nicht schützen konnte, ohne den Zauber abzubrechen. Die Flammen rasten auf sie zu. Sie spürte dieselbe Panik in sich aufsteigen, wie bei ihrer ersten Begegnung mit dem Feuer-Drachen.

„Haltet durch!“, rief Ganda und stellte sich schützend vor sie, „Ich werde bestimmt nicht zulassen, dass er ungeschoren davon kommt! Hörst du mich, Lucc?“

Noch während sich die Elementarmagierin fragte, mit wem sie da gesprochen hatte, rief sie den Namen der Asura. Doch Ganda lächelte nur – der Feuerstrahl verschwunden und die Asura hob zufrieden einen Daumen hoch. Sie hatte ein winziges Portal geöffnet, um Shikon Feenseele zu beschützen. Nun reagierte auch endlich das Ei von Glint. Es schwebte in die Luft, auf Augenhöhe mit Primordus. Der Alt-Drache war wie erstarrt; seine Seele löste sich von seinem Körper. Ein helles Leuchten erfüllte die Höhle und blendete die Freunde so sehr, dass sie die Augen zukneifen mussten. Ein zischendes Geräusch erfolgte, dann war auf einmal alles ruhig. Sie wagten es wieder hinzusehen, ihr Blick klebte förmlich an der riesigen, steinernen Statue, die einmal Primordus gewesen war und in sich zusammenfiel – auf dem Boden lag der Kristall, welcher eine flammend rote Farbe angenommen hatte.

„Das erste Juwel …“, hauchte Shikon Feenseele überwältigt.
 

Rache für Glint

Shikon Feenseele, Seiketsu Lichtsegen, Ohtah Shadowdragon und Ganda kannten den Schrecken des Drachenbrandes, auch Gwen Grimmpfote war der Anblick nicht unbekannt. Doch Ull Rosenknospe und Ric Bärenklaue erblickten ihn zum ersten Mal. Die Alt-Drachen waren wahrhaftig ein Fluch für Tyria! Überall richteten sie Verwüstung an und brachten Trauer über die Bewohner … Der erste von ihnen war bereits gefallen – Shikon Feenseele verwahrte das Drachen-Juwel mit Primordus´ Seele sicher in der Truhe auf.

„Kralkatorrik wird büßen.“, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, „Ich werde ihm heimzahlen, was er Glint angetan hat!“

Der Dieb nickte grimmig. Ihn juckte es ebenfalls in den Fingern. Seiketsu Lichtsegen ging es nicht viel anders. Ohne Glint´s Hilfe wären sie nie soweit gekommen. Sie wären niemals Team Shiko geworden, hätten sich nicht als Kameraden gefunden. Gwen Grimmpfote bedeutete dieser Kampf aus einem ähnlichen Grund eine ganze Menge – Kralkatorrik´s Odem hatte viele Charr das Leben gekostet. Schlimmer noch, er hatte sie zu seinen Dienern gemacht … Die Nekromantin erinnerte sich genau an die Schreie der gepeinigten Seelen, die der Drachenverderbnis einst zum Opfer gefallen waren. Es stimmte, sie konnte die Geister des Totenreichs ebenfalls zurückrufen und Leichen für sie kämpfen lassen.
 

„Was? Du hast nekrotische Fähigkeiten?“, hatte Klauensporn sie damals im Fahrar gefragt, „Das ist doch toll! Das heißt, du kannst immer jemanden herbeirufen, der dich beschützt – für den äußerst unwahrscheinlichen Fall, dass ich einmal nicht bei dir bin. Und du kannst sogar mit unseren Ahnen in Kontakt treten! Vielleicht sogar mit deinem Vorfahren Brandor Grimmflamm!“

Sie hatte ihn nicht angesehen, sondern ihm genau diese Frage gestellt: „Aber … ist es nicht ein Verbrechen die Ruhe der Toten zu stören? Ich meine … Zhaitan wird dafür verachtet.“

„Doch, es ist eine Sünde …“, antwortete er ernst und zwang sie seinen Blick zu erwidern, „Wenn man es nur tut, um die Verstorbenen zu quälen. Unsere Aufgabe als Soldaten der Hoch-Legionen wird es sein, Leben zu schützen … und wenn ich tot wäre, würde ich mich freuen dabei helfen zu können!“
 

Team Shiko wanderte stundenlang durch die sengend heiße Kristallwüste. Alles wirkte wie ausgestorben. Hier und da entdeckten sie Ruinen und zerfallene Statuen. Der Zahn der Zeit hatte deutliche Spuren hinterlassen. Am Horizont erhob sich ein Kristallschloss gegen die untergehende Sonne. Kralkatorrik´s Reich … Shikon Feenseele blieb stehen. Auf der Ebene vor ihnen erwartete sie eine Horde seiner kristallinen Ungeheuer.

„Es gibt kein Heilmittel für Drachenverderbnis.“, sagte Ull Rosenknospe, „Für sie gibt es nur den Tod als Rettung vor ihrem Fluch …“

Gwen Grimmpfote ließ die Knöchel ihrer Klauen knacken und erklärte: „Macht, dass ihr hier wegkommt! Überlasst sie mir … Ich kümmere mich schon um diese Möchtegern-Edelsteine!“

Die Elementarmagierin wollte widersprechen, doch der Blick der Charr hielt sie davon ab. Gwen Grimmpfote scherzte nicht – dies sollte ihr Kampf werden.

„Wenn wir mit Kralkatorrik fertig sind, kommen wir dich holen!“, versprach Shikon Feenseele und lief mit den anderen los.

Die Nekromantin lachte amüsiert: „Bis ihr soweit seid, hab´ ich schon alle platt gemacht und komme nach.“

Sie rief so viele Seelen aus der Unterwelt zurück, wie noch nie zuvor. Ihr Trupp zählte auf sie, der Tribun verließ sich auf ihren Sieg, Team Shiko hielt zu ihr. Sie konnte gar nicht verlieren!
 

In Kralkatorrik´s Palast bestand alles aus Kristall. Eine unheimliche Stille lag in der Luft. Nur die Spiegelungen der Helden bewegten sich, deren Schritte durch die weiten Säle hallten. Der Dunst seines Odems wurde mit jedem weiteren Stockwerk drückender. Seiketsu Lichtsegen schwankte, ging in die Knie. Das Atmen fiel ihr schwer.

„Das Gift ist zu stark.“, stellte Ohtah Shadowdragon fest und zog seine Maske enger.

Shikon Feenseele zauberte für jeden eine Luftblase um den Kopf. Die Seraphine bekam sofort eine gesündere Hautfarbe und sie setzten ihren Weg in den obersten Stock fort. Hier gab es nur eine ebene Fläche. Der Boden war spiegelglatt und ging an den sechs Ecken in gigantische Säulen über, die zu einem Spitzdach zusammenflossen. Der schönen Elementarmagierin traten Tränen in die Augen … so ähnlich musste Glint´s Höhle einmal ausgesehen haben.

„KRALKATORRIK!“, schrie sie den schlafenden Drachen an, „Stell´ dich zum Kampf!“

Sofort kam Bewegung in den schuppigen Haufen, der zusammengerollt in einer Ecke lag. Eine Plattenpanzerung nach der anderen richtete sich. Primordus´ Größe war eindrucksvoll gewesen, doch Kralkatorrik´s ausgefahrener Körper mit seinen unzähligen Stacheln war schlichtweg furchterregend; er nahm beinahe die ganze Fläche ein.

„Wer stört mich?“, sprach Kralkatorrik in ihren Gedanken und ein Schwall fauliger Atem schlug ihnen entgegen, „Widerliches Gesindel … ihr werdet mein Abendessen sein.“

Shikon Feenseele ballte ihre Hände zu Fäusten – normalerweise Ohtah Shadowdragon´s Part – und entgegnete wütend: „Wage es nicht meine Freunde anzurühren! Kralkatorrik … heute wirst du dafür bezahlen, was du Glint angetan hast!“

„Diese Närrin hat mich verraten!“, donnerte der Erddrache, „Meine beste Schöpfung …“

Wenn überhaupt möglich, steigerte sich ihr Zorn sogar noch: „Glint war weit mehr als nur deine Schöpfung! Sie hat für die Zukunft dieser Welt gekämpft! Und ich werde alles dafür tun, um ihre letzte Prophezeiung wahrzumachen!“

Das Ei in der Truhe pulsierte. Kralkatorrik lachte dröhnend, der Boden erbebte und er schlug mit seinem Schwanz aus. Shikon Feenseele wurde an die Wand geschleudert, alle Luft wich aus ihren Lungen. Ohtah Shadowdragon stellte sich schützend vor sie und Team Shiko ging in Angriffsstellung.

Von den Charr einmal abgesehen, verachtete der Alt-Drache insbesondere die Menschen mit ihrer Besessenheit dieses widerwärtigen Gefühls, das sie »Liebe« nannten. So wie dieser mickrige Dieb. Er öffnete sein Maul und hauchte Ohtah Shadowdragon seinen fauligen Atem entgegen.

„Niemand kann meiner Macht widerstehen!“, brüllte Kralkatorrik triumphierend.

Der Dunst verzog sich. Das Gift hatte ein Loch in den Kristallboden gefressen. Von Ohtah Shadowdragon keine Spur! Inzwischen war die schöne Elementarmagierin wieder auf die Beine gekommen. Sie umklammerte Glint´s Geschenk und starrte die Stelle entgeistert an. Sie wollte es einfach nicht glauben. Er war doch viel zu geschickt … Aber hatte Ohtah Shadowdragon nicht bereits bewiesen, dass er für sie sogar sein Leben geben würde? Ihre Hoffnung begann zu bröckeln.

„Dass ausgerechnet ein Drache die Schatten unterschätzt …“, machte sich Ohtah Shadowdragon über Kralkatorrik lustig, während er unversehrt an einer Säule lehnte, „Ich dachte ja eigentlich, ihr wärt etwas schlauer und … eine größere Herausforderung. Aber nachdem Primordus schon so eine Enttäuschung war, sollte es mich nicht wundern, dass ihr alle nicht mehr zu bieten habt.“

Mit seiner Provokation lenkte er den Alt-Drachen von Shikon Feenseele ab und gab gleichzeitig den Startschuss für den Gegenschlag. Seiketsu Lichtsegen, Ric Bärenklaue, Ganda, Ull Rosenknospe und Tear halfen ihm, den Erddrachen zu umzingeln.

„Vergesst mich nicht!“, kam es von Gwen Grimmpfote, welche sich, begleitet von ihrer Armee herbeigerufener Diener, bis hierher geschleppt hatte, „Ach und wenn du dich fragen solltest, wo deine ganzen, schönen Schöpfungen abgeblieben sind – die warten in den Nebeln auf dich!“

Die Charr zeigte mit einer Kralle auf Kralkatorrik und die Geister schwärmten aus. Dann brach sie zusammen; sie hatte unzählige Verletzungen davongetragen. Die Angriffe prasselten nun von allen Seiten auf den Drachen nieder. Selbst seine stahlharten Schuppen konnten nicht allem standhalten.

„Es reicht …“, meinte Shikon Feenseele und warf ihm das Kristallei entgegen, „Das ist für Glint und Gwen!“

Überall aus den Rissen in seiner Panzerung strömte ein braunes Licht – die Energie seiner Seele. Da waren es nur noch zwei Elemente.
 

Jormag´s Niedergang

Kaum waren sie aus dem Portal Nahe Hoelbrak getreten, verabschiedete sich Ric Bärenklaue von Team Shiko. Er wollte zum Wanderer-Hügel. Dort standen Schreine für die vier, großen Geister der Wildnis. Ihnen wollte er huldigen, um ihren Segen für den Kampf gegen Jormag zu erhalten. Zuerst begab er sich zum Herz des Raben, wo sich die Schamanen Sigrytha und Freygirr um die jungen, geweihten Raben kümmerten.

„Um zu siegen, musst du erst wissen, was du brauchst.“, sprach die Norn geheimnisvoll.

Ric Bärenklaue klopfte mit der rechten Hand gegen seine Brust und antwortete: „Ich brauche Weisheit … Treue … Mut … und Stärke. Darum erbitte ich die Gunst des Raben.“

„Wer sich dem Raben als würdig erweisen will, muss seine Weisheit beweisen und sein Rätsel lösen.“, erklärte der Schamane und kniete vor dem glänzenden Abbild nieder, „Hört die Worte des Rabengeistes … >Mit mir wirst du niemals Vernunft kennen. Ich mache dich blind und lasse dich deinen Gegner töten. Doch mit mir kannst du deinen Kampf nicht gewinnen … Was bin ich?<“

Der Krieger schloss für einen Moment die Augen. Er kannte die Antwort bereits. Aber es fiel ihm schwer sie auszusprechen. Zu wütend war er auf Jormag. Wegen der Vertreibung aus ihrer Heimat, wegen seiner Eltern … und weil diese eingebildete Eisschlange absolut keine Ehre im Leib besaß.

„Der Zorn.“, presste er hervor, während er dem Drang widerstand seine Hände zu Fäusten zu ballen.

Ein schriller Schrei drang aus dem Schnabel des steinernen Raben. Ric Bärenklaue war erhört worden … Sein Weg führte ihn weiter zum Herz des Wolfes, welches für unendliche Treue und Loyalität stand. Er bewunderte seine Kameraden, besonders ihre Anführerin Shikon Feenseele, aber wie ihm auch schon beim Schrein des Raben bewusst war, seine Rachegefühle gegenüber dem Drachen waren sehr stark … Er befürchtete seine Freunde dadurch in Gefahr zu bringen. Um also vom Geist des Wolfes erhört zu werden, sollte er, laut Gamli und Vigmarr, seine Waffe ins reinigende Feuer halten – er tat wie geheißen.

„Nun wird dein Schwert dich stets daran erinnern, deine Kameraden zu beschützen.“, sagten die Schamanen wie aus einem Mund.

Und so ging er – begleitet von Weisheit und Treue – zum dritten Schrein, dem Herzen der Schneeleopardin. Es überraschte Ric Bärenklaue nicht, dass seine Aufgabe diesmal lautete, verstreute Jungtiere zurückzubringen. Die Schneeleopardin verhieß nicht nur Mut und Unabhängigkeit, für die weiblichen Norn stellte sie den Inbegriff der mütterlichen Liebe dar. Er kämpfte gegen wilde Kreaturen, las Spuren und trug die Jungen zurück zu den Schamaninnen, die um sie kümmerten, als wären es ihre eigenen Kinder. Dann dröhnte ein anerkennendes Knurren in seinen Ohren. Der Mut der Schneeleopardin durchströmte ihn … Bevor Ric Bärenklaue das Herz der Bärin betrat, zog er seine Rüstung aus und wusch sich im angrenzenden Fluss. Diesmal lehnte er die Hilfe von Schamanin Freygunn ab – als er noch ein Kind gewesen war, hatte sie zu ihm gesprochen, ihn gesegnet. Er setzte sich vor den Schrein, begann zu meditieren.

„Mein Sohn … ich weiß, was du vorhast. Ich selbst habe einst mit den anderen Geistern der Wildnis gegen ihn gekämpft.“, flüsterte die warme Stimme der Großen Bärin, „Es gibt nichts mehr, was ich dir noch geben könnte … Alle Stärke, die du brauchen wirst, liegt in dir, deinen Freunden und in deinem Herzen. Ich bin stolz auf dich!“

Noch bevor das tiefe Brüllen die Höhle erfüllte, liefen die ersten Tränen seit Jahren über seine Wangen. Für einen Moment nur gestattete er sich, an das Versprechen vor seinem Aufbruch zu denken … Als Norn musste er sich beweisen und einen Wurmkönig zu töten, war noch keiner Erwähnung in irgendwelchen Liedern wert. Davon abgesehen … wer konnte schon sagen, wann sich Jormag entschied sein Territorium zu vergrößern und sich nach den Fernen Zittergipfeln auch noch die Nördlichen und Südlichen Zittergipfel eigen zu machen. Seine Meisterin hatte ihn ihr Wissen über die Drachen gelehrt – Arroganz konnte eine sehr gefährliche Schwäche sein.
 

Jormag lebte hoch oben im Norden. Die Kälte hier biss sich sogar durch den Wärmezauber von Shikon Feenseele. Nur Ric Bärenklaue schien sie nichts auszumachen – dies war das wahre Land seines Volkes! Und eines Tages würde er sie hierher zurückführen, sobald die Jagd auf die Drachen beendet wäre ...

„Seht mal, diese Statue …“, sagte Seiketsu Lichtsegen und deutete auf die Spitze eines Berges.

Shikon Feenseele folgte ihrem Fingerzeig und sie erschrak fürchterlich: „Das ist keine Statue!“

In dieser Sekunde erwachte der eisige Drache zum Leben, breitete die Flügel aus und erhob sich in die Luft – Jormag. Ric Bärenklaue warf die beiden Frauen zu Boden, damit der Luftdrache sie nicht entdeckte. Da schoss ihm auch schon ein Plan durch den Kopf – die Weisheit des Rabens machte sich bezahlt. Als die anderen ihm zuhörten, erklärte er ihnen, was er vorhatte.

„Aber schaffst du das auch?“, hakte Ohtah Shadowdragon skeptisch nach, „Selbst ich mit meinen Schattenschritten hätte Schwierigkeiten damit.“

Der Norn grinste schief und antwortete: „Die Geister der Wildnis umhüllen mich … Mit den Flügeln des Raben, der Sprungkraft des Wolfes, der Schnelligkeit der Schneeleopardin und der Stärke der Großen Bärin werde ich es schaffen. Ich führe unsere Jagd zum Erfolg!“

Shikon Feenseele nickte zustimmend. Zusammen mit Seiketsu Lichtsegen und Gwen Grimmpfote ging sie in Position, während der Krieger sich eilig auf den Weg machte. Die Elementarmagierin, die Wächterin und die Nekromantin konzentrierten ihre Kräfte, bündelten sich in einer Kugel über ihren Köpfen. Ull Rosenknospe sprang auf einen der vielen Bäume – jederzeit schussbereit. Die Magie schoss als Strahl in die Luft und streifte tatsächlich seinen rechten Flügel, Jormag strauchelte. Er entdeckte die Kämpfer und augenblicklich sprossen verdorbene Eiskreaturen aus dem Schnee. Ohtah Shadowdragon, Ganda und Tear griffen sie an, währenddessen durchbohrte eine Pfeilsalve nach der anderen die Flügel des Drachens. Diesmal stürzte Jormag endgültig ab, raste gen Boden. Und mit einem wilden Kampfschrei sprang Ric Bärenklaue vom höchsten Punkt des Berges auf ihn herab, den Zweihänder voran. Das mächtige Schwert durchtrennte seinen Hals in einem sauberen Schnitt. So sollte er später unter anderem als der »Schrecken Jormag´s« in die Geschichte seines Volkes eingehen … Wie von allein öffnete sich nun die Truhe in Shikon Feenseeles Händen und eines der Eier flog direkt auf Jormag zu, drang in seinen Körper ein und verschlang seine Seele, sodass es in einem strahlenden Orange erstrahlte.
 

Erlösung des Meeres

Nachdem Team Shiko seinen Sieg ausgiebig gefeiert hatte, saßen sie um ein Lagerfeuer und Shikon Feenseele hielt ihnen beinahe ehrfürchtig die Truhe entgegen. Bereits drei Juwelen lagen darin – Primordus´ rotes Feuer, Kralkatorrik´s grüne Erde, Jormags weiße Luft. Fehlte nur noch eines …

„Weiß eigentlich jemand etwas über … Wie heißt dieser Tiefsee-Drache noch gleich?“, fragte Ric Bärenklaue etwas unbeholfen.

Ganda half ihm grinsend auf die Sprünge: „Mélyten.“

Betretenes Schweigen legte sich über das Lager. Shikon Feenseele, die in Götterfels jedes Buch über die fünf Drachen gelesen hatte, wusste auch nicht mehr als seinen Namen und sein Element.

„Mélyten ist wie Zhaitan im Meer des Leids erwacht. Er war es auch, der die Quaggan und die Krait aus ihren früheren Territorien vertrieben hat. Ansonsten war es stets recht still um ihn.“, erzählte Ull Rosenknospe, ohne den Blick vom Feuer zu lösen.

Die anderen starrten sie mit offenem Mund an, während sie weitersprach: „Unsere Mutter hat vor einigen Jahren Informationen über ihn sammeln lassen. Im Traum erfahren wir alles Wissen, das unser Volk angehäuft hat.“

Damit stand Ull Rosenknospe auf und verschwand in den Baumwipfeln. Während Team Shiko ihr teils perplex, teils besorgt hinterher schaute, legte Tear ihren Kopf auf die Vorderpfoten und schloss die Augen. Sie spürte, dass ihre Herrin jetzt allein sein musste.

Die Waldläuferin rannte über die Äste, brachte möglichst viel Raum zwischen sich und ihre Gefährten. Sie hatte mit diesem Tag gerechnet, es von Anfang an geahnt. Zhaitan war nicht ihre Bestimmung, ihr Schicksal lag nicht in Orr. Warum hatte sie versucht, sich das einzureden? Wegen ihm … natürlich. Sie teilten ihre Gefühle zueinander, doch die Wylde Jagd verband sie vorrangig mit Caithe … Dennoch mochte sie auf jenen Kontinent gelangen, wenn die Waldläuferin ihren Alt-Drachen bezwang – Quest hin oder her, sie würde Team Shiko erst verlassen, wenn Zhaitan seinen Brüdern in der tiefsten Unterwelt Gesellschaft leistete! Erschöpft lehnte sich Ull Rosenknospe schließlich gegen einen Baumstamm. Eigentlich wusste sie es bereits seit dem Kampf gegen Primordus. Oder vielleicht sogar schon länger? Shikon Feenseele hatte es ihr doch erzählt, laut Glint mussten die Völker zusammenarbeiten. Jeder von ihnen war von einem Drachen besonders verletzt oder geprägt worden. In Primordus´ Höhle hatte das Kristallei erst reagiert, als Ganda seinen Angriff auf Shikon Feenseele vereitelt hatte. Bei Kralkatorrik und Jormag war es ähnlich gewesen … Was war mit ihr? Was verband sie mit Mélyten? Der Blasse Baum, der Hain, das gesamte Volk der Sylvari und Waldhunde, ihre ganze Welt, alles Leben bezog sein Wasser aus dem Meer des Leids … Ja, bislang hatte sich Mélyten nicht gerührt. Aber was bedeuteten schon fünfundzwanzig Jahre für einen Alt-Drachen? Die Sylvari nahm ihre beiden Bögen von den Schultern. Sie kannte Mélyten´s Fähigkeiten … und vor allem seine Schwachpunkt. Diesmal würden sie ihr nicht helfen – sie brauchte die magische Kraft ihres Volkes!

Entschlossen kehrte sie zum Lager zurück und sagte: „Ich hoffe, Ihr könnt schwimmen. Sonst habt Ihr ein Problem mit mir mitzuhalten, wenn ich Mélyten´s Unterwasserhöhle stürme.“

„Ull!“, rief Shikon Feenseele und grinste, „Damit ist unser Team ja wieder vollständig.“

Es zeigte sich die Spur eines Lächelns um Ull Rosenknospe´s Lippen. Und wie auf Stichwort sprang Tear sie an, wedelte wild mit dem Schwanz. Die Sylvari streichelte sie glücklich.
 

Shikon Feenseele legte denselben Zauber über sie wie bereits in Kralkatorrik´s Kristallpalast – so konnten sie problemlos unter Wasser atmen. Selbst Gwen Grimmpfote ergab sich wortlos ihrem Schicksal, obwohl sie Wasser mehr als alles hasste.

„Vergesst nicht, wir werden komplett von seinem Element eingeschlossen sein.“, warnte Ull Rosenknospe, „Macht Euch auf alles gefasst.“

Mit einem entschlossenen Nicken sprangen alle Mitglieder von Team Shiko in die Fluten des Meers des Leids. Mélyten´s Unterwasserhöhle lag zwischen der Klaueninsel, an der Küste von Löwenstein, und der Südlicht-Bucht. Ein riesiges Gebiet, das es nun abzusuchen galt – wenigstens war das Wasser hier nicht von Zhaitan verseucht, wie der Rest der See. Die Stunden flossen nur so dahin. Bis Shikon Feenseele wie erstarrt verharrte. Sie spürte die Aktivität der Drachenjuwelen. Sie riefen nach der vierten Seele … Und die Elementarmagierin wusste auf einmal ganz genau, wo sich Mélyten aufhielt. Verdammt, sie hätte es früher begreifen müssen – das ganze Wasser war von ihm erfüllt, das hatte sie verwirrt. Hastig klärte Shikon Feenseele ihre Freunde auf und führte sie anschließend zu seinem Versteck, Mélyten war jedoch nirgends zu entdecken.

„Er ist hier …“, flüsterte die Elementarmagierin kaum hörbar.

Ull Rosenknospe nickte zustimmend. Das Wasser schäumte, bildete eine Strömung und nahm schließlich die Gestalt eines Drachen an. Nicht genug, dass das Meer von seiner Energie nur so strotzte, es war auch noch ein Teil von ihm – er war das Meer, das Meer war er!

„Ich bin Mélyten … der unangefochtene Herrscher der Meere.“, hallte seine Stimme in ihren Gedanken, „Was wollt ihr von mir? Seid ihr etwa gekommen, um gegen mich zu kämpfen … so wie gegen meine jämmerlichen Brüder?“

Er wusste, dass sie es gewesen waren, die Primordus, Kralkatorrik und Jormag getötet hatten.

„Überrascht? Ich weiß alles über euch … Team Shiko. Jeder Fluss, jeder See, sogar jeder Sumpf steht unter meiner Kontrolle. Ich bin überall in ganz Tyria!“, höhnte er selbstgefällig.

Fassungslosigkeit stand ihnen ins Gesicht geschrieben und Ohtah Shadowdragon gab knurrend zurück: „Wieso hast du uns dann nicht aufgehalten?“

„Nennen wir es eine einfache Lösung, diese Schwächlinge loszuwerden.“, erklärte Mélyten und seine Augen leuchteten auf, „Zhaitan ist der einzige, der mir wirklich etwas bedeutet!“

Der Dieb zog seine beiden Dolche und warf sie mit voller Kraft auf Mélyten. Er bewegte sich nicht, versuchte nicht einmal auszuweichen. Die Waffen flogen einfach durch seinen Körper hindurch, ohne ihn zu verletzen. Er bestand tatsächlich vollkommen aus Wasser, kein physischer Angriff konnte ihm etwas anhaben.

„Erhebt euch, meine Diener … vernichtet diese Eindringlinge!“, befahl Mélyten und augenblicklich formten sich riesige Gestalten aus dem Wasser.

Sie ähnelten Kraken – mutierten Kraken, um genau zu sein. Aus jedem Fangarm ragten weitere Auswüchse. Ein gieriges, rundes Maul mit messerscharfen Zähnen versuchte die Mitglieder von Team Shiko einzusaugen.

„Raus hier!“, schrie Shikon Feenseele erschrocken.

Alle folgten ihrem Befehl zum Rückzug und schwammen aus der Höhle. Die Monster blieben dicht hinter ihnen. Draußen vor der Höhle entbrannte ein heftiger Kampf – doch im Gegensatz zu ihrem Meister waren diese Kraken sehr wohl verwundbar. Ull Rosenknospe allerdings hielt sich im Hintergrund, denn sie bereitete einen Zauber vor. Genauso wie Shikon Feenseele. Trotzdem schafften es Seiketsu Lichtsegen, Ohtah Shadowdragon, Ganda, Gwen Grimmpfote, Ric Bärenklaue und Tear die Kreaturen zu besiegen, sodass sie sich wieder in ganz gewöhnliches Wasser verwandelten. Ihr Sieg gab gleichzeitig das Signal für Teil zwei ihres Kampfes. Die Elementarmagierin entfesselte eine gewaltige Feuerwalze, welche direkt auf Mélyten´s Unterwasserhöhle zuraste. Der Wasserdrache flüchtete ins offene Meer – genau wie geplant. Nun ließ die Sylvari der Magie ihres Volkes freien Lauf. Alle Wasserpflanzen begannen zu sprießen und zu wachsen. Sie wickelten sich um den Körper des Alt-Drachens, nahmen ihn gefangen. Aber damit noch nicht genug – sie hoben Mélyten sogar aus dem Wasser heraus an die Oberfläche. Hier entblößte sich die einzige Möglichkeit, ihn zu vernichten – ohne den Kontakt mit Wasser war er vollkommen machtlos! Shikon Feenseele nahm das letzte Ei von Glint aus der Truhe und Mélyten´s ganze Existenz strömte hinein – damit besaßen sie auch das blaue Drachen-Juwel des Wassers.

Im selben Augenblick hörte Ull Rosenknospe eine Stimme, die nur sie wahrnehmen konnte: „Tochter … ich weiß um Euren Sieg über Mélyten und die anderen Drachen. Kommt zu mir in den Hain … und bringt Eure Anführerin zu mir. Ich muss mit ihr sprechen!“

Die Waldläuferin konnte es kaum glauben. Der Mutterbaum rief sie und Team Shiko nach Hause.
 

Der Preis des Sieges

Ganda nutzte das feste Portal in Löwenstein, um sie in den Hain zu bringen. Überall schwebten noch dieselben Lichter in der Luft, wie beim letzten Mal. Ein wahrhaft magischer Ort … Ull Rosenknsope überließ es Tear ihre Kameraden in ihrem Haus zu führen, während sie sich selbst mit Shikon Feenseele in das größte Heiligtum des Hains begab – in die Omphalos-Kammer, in welcher der Avatar des Blassen Baums über seine Kinder wachte. Sie sah aus wie eine wunderschöne Sylvari, vielleicht eine Orchidee oder eine seltene Rose. Aber vor allem strahlte sie eine Macht aus, die vom Saft des Lebens rührte … alt und mächtig.

„Baummutter, hier bringe ich Euch wie gewünscht Shikon Feenseele. Sie erbittet die Weisheit Eurer Visionen zu hören.“, erklärte die Waldläuferin und kniete ehrfürchtig nieder.

Sie lächelte herzlich, als sie erwiderte: „Ich danke Euch, meine geliebte Tochter. Eure Taten erfüllen mich mit großem Stolz …“

Die Sylvari lächelte, dann zog sie sich taktvoll zurück. Die Worte des Blassen Baums waren einzig und allein für die Ohren der Elementarmagierin bestimmt.

Als sie allein waren, sagte der Avatar: „Kommt bitte näher, Heldin. Ich werde Euch den Weg zu den Antworten weisen, die Ihr so dringend ersucht. Ich kenne Euren Auftrag … und es gibt nur eine Macht in Tyria, die Euch raten kann. Der Traum der Träume … ist ein Spiegel Eurer eigenen Bestimmung und des Wissens dieser Welt. Doch noch nie hat ihn ein Wesen betreten, das nicht mein Kind war.“

„Ich habe keine Angst.“, antwortete Shikon Feenseele entschlossen, „Ich muss wissen, was notwendig ist, um Tyria von Zhaitan zu befreien.“

Der Mutterbaum nickte entschieden: „Aus Euch spricht große Tapferkeit. Aber urteilt nicht zu schnell … Meine Fähigkeiten erlauben es mir, Bruchstücke möglicher Zukünfte zu sehen. Es ist ein Segen und eine Bürde gleichermaßen. Wenn Ihr die Schwelle zum Traum überschreitet, werdet Ihr sie teilen.“

Shikon Feenseele setzte sich zu ihren Füßen und schloss die Augen. Sie musste diesen Schritt gehen, was es auch kosten würde. Die Mutter der Sylvari hob einen ihrer schlanken Arme und berührte die Stirn der mächtigen Elementarmagierin mit einem Finger. Sofort sprang ein Funke des Lichts auf Shikon Feenseele über und sie sank in sich zusammen. Der Traum hatte begonnen … Sie fühlte sich wie ein Baby im Bauch seiner Mutter. Beschützt, geliebt und voller Neugierde. Alles um sie herum war warm und von Licht durchflutet. Sie konnte nicht sprechen, doch sie hörte eine unglaublich vertraute Stimme. Eine Stimme, die untrennbar mit ihrer Seele verwurzelt war …

„Shiko … die Antwort, die du suchst, liegt tief in dir verborgen. Erinnere dich an Glint´s Worte … Zhaitan kann nur von dir besiegt werden. Es ist deine Bestimmung! Aber ohne die Unterstützung deiner Freunde wirst du es dennoch nicht schaffen …“, erzählte die Stimme und Shikon Feenseele glaubte, in ihren Armen zu liegen, „Jeder von uns trägt eine dunkle Seite und Schwächen in sich. Du musst dich der Dunkelheit der Angst stellen und zu einem Leuchtstern der Hoffnung werden. Denk´ darüber nach – ist du dir bewusst, wovor du dich am meisten fürchtest, kann es nicht mehr so leicht gegen dich eingesetzt werden … Wenn du nicht verlieren willst, musst du dich zuerst deiner eigenen Schwäche stellen!“

Die Stimme entließ Shikon Feenseele aus dem Traum. Es waren nur wenige Sekunden vergangen, doch es hatten sich wie Tage oder gar Jahre angefühlt. Ungewollt rannen Tränen über ihre hellen Wangen. Es war nicht direkt Traurigkeit … Melancholie, Verantwortung, Schuld.

Sie war noch etwas benommen, als der Avatar des Blassen Baums wieder zu sprechen begann: „Das ist ungewöhnlich … aber logisch. Für meine Kinder bin ich die wichtigste Existenz in ihrem Leben. Darum ist es meine Stimme, meine Präsenz, die sie im Traum vernehmen … Ihr seid jedoch keine Sylvari, deshalb sprach jemand anderes zu Euch.“

„Ja. Ich kenne diese Stimme … Und ich höre sie nicht zum ersten Mal im Traum.“, sagte Shikon Feenseele leise, verbesserte sich dann aber, „Also ich meine, das, was die Menschen als >träumen< bezeichnen. Habt vielen Dank, dass ich an Eurem Traum teilhaben durfte.“

Das gewogene Lächeln blieb auf ihrem Gesicht und der Mutterbaum fragte: „Welche Frage tauchte in Eurem Traum auf?“

„Wovor ich die größte Angst hätte … Glint prophezeite mir bereits vor einiger Zeit, um Zhaitan besiegen zu können, müsse ich meine eigene Schwäche überwinden.“, flüsterte Shikon Feenseele und schluckte schwer, „Ich kenne nun die Antwort. Ich weiß jetzt, was ich zu tun habe …“

Zum ersten Mal trat Traurigkeit in das Antlitz des Avatars: „Habt Ihr auch die Kraft es zu tun?“

„Habe ich denn eine andere Wahl?“, gab die Elementarmagierin zurück, wobei sie ein Schluchzen unterdrücken musste.

Der Blasse Baum streichelte ihr sanft über die Wange und erklärte: „Ihr werdet immer die Wahl haben … Ihr habt Euch entschieden den ersten Schritt dieses Weges zu beschreiten, als Ihr Eure Heimat Götterfels verlassen habt. Nun habt Ihr erneut die Chance Euch zu entscheiden. Glaubt mir, nichts ist wandelbarer als die Zukunft. Sie ist nicht festgelegt … Jeder Schritt von Euch verändert auch Eure Zukunft. Und die von Tyria.“

„Ich … ich habe Angst, meine Pflicht könnte mich dazu zwingen, jemanden zu verletzten, den ich liebe. Zu wissen, dass ich für das Leid desjenigen verantwortlich wäre, erscheint mir unerträglich.“, gestand Shikon Feenseele, „Wenn ich mich Zhaitan stelle, werde ich meinen Freunden unglaubliche Schmerzen zufügen. Aber … wenn ich es nicht tue, ist jede Hoffnung für Tyria verloren.“
 

Shikon Feenseele kehrte mit ihren Freunden nach Götterfels zurück, um neue Kräfte zu sammeln – so hatte sie es ihren Freunden zumindest begründet. In Wahrheit wollte sie ihre Heimat ein letztes Mal sehen, bevor sie den alles entscheidenden Kampf mit Zhaitan aufnahm. Die schöne Elementarmagierin zeigte ihren Freunden das Anwesen in der Oberstadt, in dem sie lebte. Fürstin Gwynith erwartete sie bereits ungeduldig.

„Shiko! Du bist wirklich wieder hier … Ich konnte es kaum glauben, als mir berichtete wurde, du seist am Stadttor gesehen worden.“, begrüßte sie ihre Tochter und umarmte sie fest, „Ich hatte solche Angst um dich! All die Zeit … Warum hast du dich nie gemeldet?“

Sie streichelte ihrer Mutter beruhigend über den Rücken, während sie antwortete: „Mir geht es gut, dank meiner Freunde. Wenn ich dir vorstellen darf, Mama … Ohtah Shadowdragon, Seiketsu Lichtsegen, Ganda, Ric Bärenklaue, Gwen Grimmpfote und-“

Mit dem Finger hatte Shikon Feenseele auf die jeweilige Person gezeigt, doch Ull Rosenknospe und Tear fehlten.

„Das hab´ ich ja total vergessen!“, rief sie peinlich berührt aus, „Ull ist eine Sylvari und die halten es nicht in gemauerten Gebäuden aus. Sie ist sicher irgendwo auf dem grünen Platz.“

Die Fürstin lachte und erklärte: „Dann stell´ sie mir morgen vor. Heute Abend feiern wir erst einmal deine Rückkehr und euren Triumph über die Drachen! Glaub´ ja nicht, ich wüsste nicht, was ihr getan gabt. Ich habe schon alles vorbereiten lassen. Hauptmann Thackeray und Fürst Faren kommen übrigens auch. Der Junge hat beinahe einen Luftsprung vor Freude gemacht – in letzter Zeit war er sehr ruhig, hatte gar keine Frauengeschichten mehr.“

Shikon Feenseele nickte lächelnd. Doch Seiketsu Lichtsegen und Ohtah Shadowdragon schauten ernst drein.
 

Die rothaarige Elementarmagierin war es durch die lange Reise nicht mehr gewohnt so feine Kleider zu tragen. Allgemein fiel es ihr inzwischen schwer, sich wieder wie eine adlige Dame zu verhalten, anstatt wie eine Kämpferin für Tyria.

„Lady Shikon, Fürst Faren erwartet Euch im Hof.“, meldete eine der Dienerinnen.

Sie beeilte sich aus dem Zimmer herauszukommen. Faren gehörte zu dem wenigen, was sie in ihrer Abwesenheit vermisst hatte. Er war ihr bester Freund, seit sie kleine Kinder gewesen waren. Darum freute sie sich ihn endlich wiederzusehen.

„Faren! Wie schön, dass du da bist!“, rief Shikon Feenseele, als sie ihm entgegenlief.

Er nahm ihre Hand zum Kuss und antwortete: „Siehe da, die große Heldin und Bezwingerin der Drachen beehrt mich mit ihrer Anwesenheit.“

„Haha, lästere du nur …“, gab sie neckisch zurück, „Wie ich höre, ist bei dir dagegen Flaute mit neuen Eroberungen. Was ist los, hast du deinen Kampfgeist verloren?“

Ein Schatten legte sich auf sein Gesicht, als er erwiderte: „So siehst du mich, nicht wahr? Als prahlenden Frauenheld … Na ja, ich sollte dir keinen Vorwurf machen, dass du es nie bemerkt hast. Ich habe es ja selbst erst richtig begriffen, nachdem du fort wart.“

Shikon Feenseele starrte ihn sprachlos an. Sie begriff, worauf Faren hinaus wollte und machte einen halben Schritt zurück. Er liebte sie! Und sie hatte es nicht verstanden, nicht einmal in Erwägung gezogen … Ihre Mutter hatte sie einst zwar scherzeshalber gefragt, ob sie Faren eines Tages heiraten würde, aber sie hatte nicht eine Sekunde ernsthaft darüber nachgedacht. Außerdem gab da es bereits jemanden, dem heimlich ihr Herz gehörte.

„Ich …“, begann Shikon Feenseele und atmete noch einmal tief durch, „Du bist mein bester Freund aus Kindertagen, Faren. Ich vertraue dir … und ich schätze deine Gegenwart. Aber bitte, verlange nicht mehr von mir als die Freundschaft, die ich für dich empfinde.“

Der junge Fürst schloss für einen Moment die Augen, dann antwortete er: „Diplomatisch gesprochen … wie immer. Keine Sorge, ein Edelmann weiß, wann ein Kampf verloren ist.“
 

Als Shikon Feenseele mit Fürst Faren den großen Saal betrat, waren bereits alle anderen Gäste eingetroffen. Ohtah Shadowdragon stand gegen eine Wand gelehnt und ließ die beiden keinen Moment aus den Augen. Es ging ihm vollkommen gegen den Strich, wie Faren sich so überschwänglich vor ihr verbeugte und sie das anscheinend auch noch lustig fand. Doch dann staunte er regelrecht, als Shikon Feenseele sich plötzlich ihm zuwendete.

„Da dieses Fest zu meinen Ehren stattfindet, gebührt mir der erste Tanz …“, erklärte sie mit einem Zwinkern, „Würdest du mir die Freude erweisen, Ohtah?“

Der Dieb nickte mechanisch – er war zu keinem Wort fähig, zu verzaubert war er von Shikon Feenseele´s Blick, mit dem sie ihn regelrecht fesselte. Die Musik setzte ein und sein Körper bewegte sich wie von selbst. Er hatte gar nicht gewusst, wie leicht es sein konnte, sich von der Melodie tragen zu lassen … Zaghaft erwiderte er das Lächeln seiner Partnerin. Er vergaß alles um sich herum, hörte nur noch die sanften Klänge und sah in ihr Gesicht. Shikon Feenseele ging es nicht anders. Angenehme Wärme floss durch ihren Körper. Sogar der bevorstehende Kampf mit Zhaitan rückte für den Moment in Vergessenheit. Hier in den Armen von Ohtah Shadowdragon fühlte sie sich so unglaublich wohl, sie gehörte zu ihm. Hier gab es nur sie und ihn.

Seiketsu Lichtsegen lächelte selig, als sie ihren Freunden beim Tanzen zuschaute. Sie freute sich riesig – im Grunde waren die Gefühle zwischen Ohtah Shadowdragon und Shikon Feenseele in ihrem Team ein offenes Geheimnis. Nur die beiden selbst schienen es nicht ganz zu begreifen …

„In diesem Kleid seht Ihr aus wie eine adlige Dame.“, sprach sie plötzlich jemand an – Hauptmann Thackeray, der ihr seine Hand entgegen hielt „Darf ich um diesen Tanz bitten, Lady Seiketsu?“

Die Wächterin errötete, reichte ihm aber dennoch – wenn auch zögerlich – ihre Hand. Er hatte sich verändert; dunkle Ringe lagen unter seinen Augen, seine Haare waren länger geworden. Trotzdem lächelte Logan noch genauso wie sonst und führte sie auf die Tanzfläche. Seiketsu Lichtsegen verlor sich während dem Tanz beinahe in seinem Anblick. Zum ersten Mal konnte sie ihm auf diese Art nahe sein. Nicht beim Training oder während eines Auftrags. Das Herz schlug ihr sprichwörtlich bis zum Hals und raubte ihr schier die Fähigkeit zu klar denken.

„Ich war unendlich erleichtert, als ich hörte, Ihr wärt wieder in Götterfels.“, sagte er in seiner gewohnt ruhigen Art.

Seiketsu Lichtsegen sah ihn überrascht an. Hatte er sich etwa Sorgen um sie gemacht? Natürlich … wie um jeden seiner Seraphen; sie war nichts besonderes für ihn … würde es wohl niemals sein.

„Ich hätte es nicht ertragen, wenn Euch etwas zugestoßen wäre.“, fügte er noch hinzu.

Die Wächterin konnte nicht anders – Stolz breitete sich in ihr aus und sie entgegnete: „Wir waren in vielen schwierigen Situationen … Aber ich hatte einen guten Lehrer.“

Logan musste lachen: „Den müsst Ihr mir bei Gelegenheit mal vorstellen.“

„Ihr seid ihm sehr ähnlich.“, neckte Seiketsu Lichtsegen ihn und die Röte kehrte auf ihre Wangen zurück, „Unglaublich pflichtbewusst, treu … gegenüber seiner Königin, stets auf das Wohl seiner Kameraden bedacht, stark, bedacht.“

Er winkte immer noch lachend ab: „Ihr schmeichelt mir ja.“

„Nein, Hauptmann Thackeray … genau so sehe ich Euch.“, erklärte sie ernst.

Jetzt war es an Logan überrascht drein zu blicken, doch Seiketsu Lichtsegen hielt dem stand. Nur ein einziges Mal sollte er zumindest einen Hauch ihrer Gefühle spüren ...

Das Fest dauerte bis in die späten Abendstunden. Shikon Feenseele wich für keinen weiteren Augenblick mehr von Ohtah Shadowdragon´s Seite. So kam es auch, dass er es war, der sie zu ihrem Schlafgemach begleitete.

„Ich war heute sehr glücklich …“, gestand die Elementarmagierin leise, das Gesicht zu ihrer Zimmertür geneigt, „Alle waren glücklich. Ich will dieses Glück bewahren … um jeden Preis.“

Ohtah Shadowdragon stützte eine Hand an der Tür ab, die andere legte er um ihren Bauch und lehnte den Kopf an ihre linke Schulter. Ihr Duft umwehte ihn, betörte ihn. Sein letzter Widerstand begann zu bröckeln … Schnell löste er sich wieder von Shikon Feenseele und schallte sich innerlich einen Narren. Er durfte nicht schwach werden! Er war nichts weiter als ihr Kampfgefährte, dessen Aufgabe es war, ihr Leben zu schützen … Ein mickriger Dieb aus der Gosse konnte keinen Platz an der Seite einer so edlen Dame haben … Fürstin Gwynith würde ihn auslachen und ihre Tochter für verrückt halten. Shikon Feenseele schmerzte die Abweisung. Zwar kamen keine Tränen, doch das Stechen in ihrer Brust verhöhnte sie dafür umso mehr. Es durfte ja sowieso nicht sein – ihre Bestimmung war es gegen Zhaitan zu kämpfen und Tyria zu retten, sie durfte ihn nicht noch mehr verletzen.

„Gute Nacht, Ohtah. Und … danke für alles.“, verabschiedete sie sich und öffnete die Tür zu ihrem Gemach.

Er sah ihr nach bis der Zugang wieder geschlossen war. Dann rutschte Ohtah Shadowdragon am Türrahmen entlang zu Boden. Genauso wie Shikon Feenseele auf der anderen Seite.
 

Die Klinge des Schicksals

Drei Tage waren vergangen, seit Team Shiko nach Götterfels gekommen war. Während sich die meisten von ihnen nicht nur erholten – Ric Bärenklaue hatte beispielsweise seine Schwerter zum Schleifen gebracht und Ganda arbeitete an einem Vorrat Mienen –, war Seiketsu Lichtsegen für einen kurzen Besuch in ihr Elternhaus zurückgekehrt. Zwischen Shikon Feenseele und Ohtah Shadowdragon herrschte eine angespannte Stimmung – seit dem Abend des Festes sprachen sie kaum mehr miteinander. Der geschickte Dieb hielt sich zwar immer in ihrer Nähe, blieb aber unbeteiligt. Gerade las sie ein Buch über die Alt-Drachen in ihrer Bibliothek, als ein Diener hereinkam und sie darüber informierte, dass ein Bote sie im Eingangsbereich des Herrenhauses sprechen wolle. Hastig legte sie es beiseite und beeilte sich in die Empfangshalle zu kommen. Der Bote entpuppte sich als Seraph und brachte eine wichtige Botschaft von Logan Thackeray. Shikon Feenseele hatte sich bereits gefragt, wann der Wächter wieder mit ihr Kontakt aufnehmen würde – nun da er wusste, was ihr Team geschafft hatte.

„Lady Shikon, der Hauptmann wünscht Euch und Eure Gefährten heute zur Mittagsstunde in seiner Dienststube zu sehen. Es handelt sich um eine Angelegenheit bezüglich Orr.“, erzählte er mit einer tiefen Verbeugung.

Shikon Feenseele gebot ihm sich wieder aufzurichten und erwiderte: „Ich danke Euch, Soldat. Bitte richtet ihm unsere Zusage aus und begebt Euch vorher noch in meine Küche zur Stärkung.“

Die Wache bedankte sich und zog anschließend ab. An seine Stelle trat nur eine Sekunde später Ohtah Shadowdragon, natürlich hatte er alles mitangehört. Als ob er Shikon Feenseele mit einem Fremden allein lassen würde – selbst in Götterfels gab es genügend Korruption und Verrat, das wusste er als Kind der Straße leider nur zu gut.

„Was Thackeray wohl von uns will?“, fragte er, während sie nach draußen in den Garten gingen.

Die Adlige blieb unvermittelt stehen und antwortete: „Vielleicht verfügt er über weitere Informationen. Etwas, das uns helfen kann … beim Kampf gegen Zhaitan.“

Traurigkeit war in ihrer Stimme mitgeschwappt, etwas das Ohtah Shadowdragon überhaupt nicht ertrug. In dieser Sekunde war ihm alles andere egal – Hauptsache sie fühlte sich besser.

Er streckte die Hand nach ihr aus, zog sie in eine Umarmung und flüsterte: „Hab´ keine Angst. Ich bin bei dir …“

Shikon Feenseele wehrte sich nicht gegen seine Zärtlichkeit, sondern empfing sie von Herzen gerne und antwortete: „Genau deshalb habe ich keine Angst.“

Was die beiden nicht mitbekamen war, dass die anderen Mitglieder von Team Shiko – bis auf Ull und Tear – sie bereits die ganze Zeit über heimlich beobachteten.

„Bei uns im Norden müsste Ohtah einen Kampf auf Leben und Tod austragen, um so eine tolle Frau wie Shiko zu bekommen.“, meinte Ric Bärenklaue und wandte sich an Gwen Grimmpfote, „Bei euch ist es doch ähnlich, oder?“

Die Charr schnurrte leicht, während sie antwortete: „Aber sicher, Kamerad! Das Männchen bekommt erst dann die Chance um das Weibchen zu werben, wenn er sie im Zweikampf besiegt hat. Tja, manchmal kann es eben auch Nachteile haben eine starke Kämpferin zu sein.“

„Sag´ bloß, Sporn hat sich immer noch nicht getraut? Jetzt mal im Ernst, Kätzchen, wie lange seid ihr beiden schon scharf aufeinander?“, meinte der Norn ungläubig.

Gwen Grimmpfote schlug ihm leicht gegen den Arm und sagte: „Ach, halt die Klappe! Aber glaub´ mir, wenn wir diese Schlacht überleben, fordere ich ihn am Ende noch selbst heraus!“

Ganda interessierte sich nicht für diese animalischen Paarungsabläufe und kehrte daher zum eigentlichen Thema zurück: „Was glaubt Ihr, warum rücken sie nicht einfach mit der Wahrheit heraus? Jetzt mal im Ernst, noch offensichtlicher kann es wohl kaum sein.“

„Shiko´s Pflichtbewusstsein lässt sie schweigen … Bevor Zhaitan nicht vernichtet ist, wird sie sich Ohtah nicht offenbaren.“, erwiderte Seiketsu Lichtsegen betrübt, die kurz zuvor ebenfalls zurückgekehrt war, „Und was Ohtah betrifft … Er würde ihr nie zur Last fallen wollen, deshalb versucht er, seine Gefühle vor ihr zu verstecken. Ihr … Standesunterschied ist in den Augen der Leute einfach zu groß. Man kann sich eben nicht aussuchen, in wen man sich verliebt …“
 

Pünktlich auf den Glockenschlag trafen die Verbündeten bei Logan Thackeray ein. Ull Rosenknospe und Tear hatten sie unterwegs eingesammelt und überredet sich wenigstens kurzzeitig in seiner Stube aufzuhalten, auch wenn es ihnen nicht gerade behagte. Was sie dort erwartete, hätten sie allerdings niemals für möglich gehalten – der Hauptmann der Seraphen-Wache stand umringt von seinen früheren Gildenmitgliedern.

„Das, meine Freunde, ist das glorreiche Team Shiko!“, stellte er sie vor, „Shikon Feenseele, Seiketsu Lichtsegen, Ohtah Shadowdragon, Ganda, Gwen Grimmpfote, Ric Bärenklaue, Ull Rosenknospe und ihre Gefährtin Tear … Und euch darf ich die Klinge des Schicksals vorstellen – Caithe, Eir Stegalkin mit ihrem Begleiter Garm, Zojja und … Rytlock Brimstone.“

Die schöne Elementarmagierin und der geschickte Dieb tauschten verblüffte Blicke. Der jungen Wächterin stand regelrecht der Mund offen und die anderen riefen wild durcheinander.

„Schwester!“, kam es von der Waldläuferin und sie fiel Caithe regelrecht um den Hals, „Es geht Euch gut! Ich hatte Angst, der Alptraum könnte Euch in seinen Bann ziehen.“

Die Erstgeborene der Sylvari lächelte mild, während sie erwiderte: „Beinahe … Aber letztendlich konnte meine Liebe zu Faolain mich nicht die Liebe zu Euch und unserer Mutter vergessen lassen.“

Ric Bärenklaue kniete vor Eir nieder, bevor er das Wort an sie richtete: „Meisterin, ich habe mit meinen Gefährten die Jagd auf Jormag und drei weitere Drachen erfolgreich abgeschlossen. Wir sind endlich frei von seinem Einfluss!“

„Ich bin sehr stolz auf dich, mein junger Schüler!“, bestätigte die Norn und zog ihn auf die Füße.

Der Tribun und Gwen Grimmpfote tauschten den Kriegergruß aus und sie fragte ihn: „Wieso bist du denn hier? Ich dachte, du wolltest nie wieder in die Nähe von Menschen kommen.“

„Tja, Zenturio, ein kleines Mädchen hat mir erklärt, was … >mildernde Umstände< sind.“, antwortete er und nickte Seiketsu Lichtsegen anerkennend zu.

„Ich freue mich Euch wiederzusehen, Zojja.“, begrüßte Ganda die Asura begeistert.

Die Golemantin zeigte die Spur eines Lächelns und meinte: „Ich habe Euch doch gesagt, ich möchte bei Gelegenheit wieder mit Euch zusammenarbeiten. Und siehe da, hier bin ich. Außerdem hätte ich die langweiligen Reden des Arkanen Rats keinen Tag länger ausgehalten – da kam Logan´s Einladung gerade recht.“

Logan räusperte sich peinlich berührt und erklärte dann: „Ich habe meine alten Freunde zusammengerufen, weil ihr vor dem letzten Kampf alles erfahren sollt, was wir über Zhaitan und Orr wissen.“

Team Shiko verstummte sofort. Jeder von ihnen gierte auf Neuigkeiten.

„Nachdem die Menschen-Götter Balthasar, Dwayna und Melandru ihren Sitz in Orr verlassen hatten und in die Nebel aufgestiegen waren, schlossen sich ihre Schützlinge zu Gilden zusammen und führten Kriege gegeneinander.“, begann Eir Stegalkin die Geschichtserzählung.

Die Elementarmagierin nickte: „Damit rissen sie die drei großen Königreiche Kryta, Ascalon und Orr auseinander.“

„Mein Volk nutzte damals diese … Chance und versuchte die Menschen aus Ascalon zu vertreiben. Stattdessen haben sie in einem Anflug von Wahn alles vernichtet und jetzt suchen uns diese widerlichen Geister heim.“, brummte Rytlock Brimstone.

„Aber darum geht es doch gar nicht!“, unterbrach Zojja ihn gereizt, „Um die >Gildenkriege< zu beenden, nutzte ein Mensch namens Wesir Khilbron das sogenannte Zepter von Orr, welches die Macht besitzen soll, Untote zu kontrollieren. Doch dieser Idiot hatte überhaupt keine Ahnung von der Komplexität eines solches Zaubern und so versank Orr im Meer.“

Die Augen von Ohtah Shadowdragon weiteten sich: „Halt, Stopp, Moment! Mit dem Zepter konnte man Untote kontrollieren?! Soll das etwa heißen-“

„Genau.“, klinkte sich Caithe ein, „Wir glauben, Zhaitan ist nur deshalb so stark, weil er die magische Kraft des Zepters absorbiert hat.“

Der Wächter stimmte ihr zu: „Das Zepter lag so viele Jahrhunderte in dem versunkenen Reich, dass seine Macht sogar in die Erde gezogen ist. Zhaitan hat sich den idealen Standort ausgewählt – von den unzähligen Leichen einmal abgesehen.“

„Und je mehr Diener er hat, desto stärker ist er.“, warf die künstlerisch begabte Norn ein.

Rytlock zog sein Schwert und sprach: „Deshalb haben wir – und ich glaube kaum, dass ich das wirklich sage – gemeinsam die Entscheidung getroffen bei der letzten Schlacht an eurer Seite zu stehen!“

„Denn so beeindruckend eure bisherigen Erfolge auch sein mögen, gegen Zhaitan´s ganze Armee habt ihr nicht geringste Chance.“, sagte Zojja, die natürlich das letzte Wort haben musste.

Der wiedervereinten Klinge des Schicksals zu begegnen hatte sie verblüfft, aber dass sie sich ihnen anschließen wollte, haute Team Shiko regelrecht um. Zwei Generationen, die nur existierten, um die Alt-Drachen zu vernichten, schlossen sich zusammen! Für den letzten, großen Kampf. Ein Kampf, der über die Zukunft von Tyria und jedem einzelnen der Anwesenden entscheiden würde …
 

Vorabend der Entscheidung

Team Shiko und die Klinge des Schicksals hatten ihr Lager nordöstlich von Orr an der Festlandküste zum Meer des Leids aufgeschlagen – die See war ruhiger geworden, seit Mélyten nicht mehr über die Gewässer Tyria´s herrschte. Doch nicht nur die Helden hatten sich dort niedergelassen, um den Kampf gegen Zhaitan voranzutreiben; denn die drei großen Orden Tyria´s – der Orden der Gerüchte, die Wachsamen und die Abtei Durmand – hatten sich zu einem Pakt zusammengeschlossen und bei Meerenge der Verwüstung ein Fort errichtet, von dem aus sie agierten. Shikon Feenseele stand am Rand der Halbkreisbucht. Ganda hatte sie regelrecht zur »Türschwelle von Orr« gebracht. Von hier aus konnte man in der Ferne die Spitze der Insel ausmachen. Die Drachen-Juwelen pulsierten förmlich in der Truhe, welche sie in Händen hielt. Alle Repräsentanten der vier Elemente waren vereint – Primordus, der Feuerdrache … Jormag, der Luftdrache … Kralkatorrik, der Erddrache … und Mélyten, der Wasserdrache … Nun existierte nur noch ein Alt-Drache – Zhaitan, der Drache des Todes. Morgen war es soweit, sie würden in das verlorene Königreich einmarschieren. Und die Elementarmagierin wurde das Gefühl nicht los, dass Zhaitan das bereits wusste … Aber sie konnte einfach nicht bei den anderen sitzen und zum bestimmt hundertsten Mal den Plan durchsprechen – keine Strategie der Welt konnte ihnen in seinem Reich einen Vorteil verschaffen. Es blieb ihnen nur jeden seiner Diener zu töten, den er ihnen entgegenwarf, bis sie vor Zhaitan´s Versteck standen.

Plötzlich trat Seiketsu Lichtsegen an ihre Seite und riss sie aus ihrer Versunkenheit. Sie unterdrückte ihre Enttäuschung, dass es nicht Ohtah Shadowdragon war. Im Grunde hatte sie mit seinem Auftauchen gerechnet, seit sie das Lager verlassen hatte. Warum kam er nicht? Er wich doch sonst nie von ihrer Seite – zumindest nicht für lange.

„Er wollte kommen. Ich habe ihn davon abgehalten, weil ich zuerst mit dir sprechen wollte.“, beantwortete die Wächterin ihre unausgesprochene Frage, „Ich kenne dich inzwischen sehr gut, Shiko. Und ich spüre, dass dich etwas beschäftigt … etwas, über das du nicht einmal mit Ohtah reden willst … oder vielleicht auch nicht kannst.“

Eigentlich sollte es Shikon Feenseele nicht überraschen, dass ihre Freundin sie durchschaut hatte und so erwiderte sie: „Ich kenne den Preis für die Rettung Tyria´s … Glint und der Blasse Baum haben mich auf diesen Weg geführt. Vielleicht ahnst du es ja bereits, ganz sicher sogar. Es gibt kein Zurück mehr für mich. Deshalb möchte ich nicht, dass ihr bei dem Kampf dabei seid … vor allem Ohtah nicht.“

„Wie willst du ihn davon abhalten?“, wollte Seiketsu Lichtsegen wissen.

Ein zartes Lächeln legte sich auf die Lippen der Heldin, als sie erwiderte: „Ein Versprechen … Es gibt keine andere Wahl – ich muss ihm eine Falle stellen.“

„Wirst du … wirst du ihm vorher sagen, dass du ihn liebst?“, hakte ihre Gegenüber weiter nach.

Diesmal schüttelte Shikon Feenseele den Kopf. Wie sollte sie Ohtah Shadowdragon ihre Gefühle offenbaren, wenn sie doch genau wusste, dass sie nicht zusammen sein konnten? Es war ihre Bestimmung Tyria vor den Alt-Drachen zu retten … damit andere glücklich sein konnten. Sie stand zwischen der Zukunft und ihrer Verdammnis, da durfte sie nicht an ihr eigenes Glück denken. Für Tyria, ihre Freunde und alle Wesen, die in dieser Welt lebten …

„Themawechsel. Warum hast du Logan nicht gestanden, was du für ihn empfindest?“, gab sie beinahe provokant zurück, um von sich selbst abzulenken.

Sofort schoss Seiketsu Lichtsegen die Röte ins Gesicht und sie antwortete melancholisch: „Weil er nicht dasselbe für mich fühlt … Sein Herz gehört Königin Jennah, da kann ich nicht mithalten. Trotzdem bin ich froh darüber, in ihn verliebt zu sein … Ich wünsche mir nur, dass er aus ganzem Herzen lachen kann, ohne diese ständige Angst. Und dafür werde ich morgen mit all meiner Kraft kämpfen!“

„Wenn er das hören könnte, würde er dir sicher sofort verfallen.“, lachte Shikon Feenseele und legte einen Arm um ihre Schulter, „Du bist für mich wie eine Schwester, Sei … Vergiss´ das nie.“

Sie nickte, weil es ihr nicht anders ging und darum brachte sie die nächsten Worte nur äußerst schwer über die Lippen: „Wirst du Zhaitan auch wirklich besiegen können?“

Entschlossener denn je antwortete Shikon Feenseele daraufhin: „Solange ihr an mich glaubt, ja.“

„Aber … du wirst nicht …“, begann die Wächterin, brachte den Satz allerdings nicht zu Ende.

Die schöne Elementarmagierin richtete ihren Blick wieder in die Ferne und entgegnete steif: „Du kennst die Antwort.“
 

Als die Nacht hereinbrach, kehrte Shikon Feenseele zum Lager zurück. Ohtah Shadowdragon saß am Rand und hielt Wache – er hatte auf sie gewartet. Sie nahm neben ihm Platz, lehnte sich gegen seine Brust.

„Ich muss etwas mit dir besprechen, Ohtah.“, sagte die Elementarmagierin so leise, dass nur er sie hören konnte, „Ich werde mich Zhaitan allein stellen … Ich bin diejenige, die über die vier Elemente gebietet. Es ist mein Kampf, seit ich Götterfels zum ersten Mal verlassen habe – alles lief einzig auf diese Begegnung hinaus.“

Entgeistert starrte er sie an, stotterte sogar: „Wa-was redest du da, Shiko? Das … das kann nicht dein Ernst sein! Zhaitan ist viel zu gefährlich! Ich würde mein Leben für dich geben! Lass´ mich dich begleiten! Ich werde dich beschützen!“

„Du beschützt mich am besten, wenn du vor Zhaitan´s Zitadelle die angreifenden Untoten von mir fernhältst. Ich habe die Macht von vier Drachen auf meiner Seite … Ohne seine Diener ist es nur Zhaitan selbst. Du musst mich gehen lassen, Ohtah … Bitte respektiere meinen Wunsch.“, wählte sie ihre Worte mit Bedacht und schluckte anschließend, „Wäre … wäre mir während der Reise etwas zugestoßen, hätte ich dich zum neuen Anführer unseres Teams ernannt. Deshalb … Ohtah, gib´ mir dein Wort – egal was passiert … Tyria braucht eine Zukunft! Wenn du mir das versprichst, werde ich nicht … verlieren.“

Jedes Wort schnitt ihr regelrecht die Luft ab. Sie hatte nicht gelogen, doch es gab diesen feinen Unterschied zwischen »einen Kampf gewinnen« und »aus einem Kampf siegreich zurückzukehren«, den sie ihm wohl weißlich verschwieg.

Ohtah Shadowdragon schloss sie in seine Arme, hielt sie fest an sich gepresst. Er wollte sie nicht allein lassen, unter keinen Umständen. Aber noch weniger wollte er im Wege stehen … Er wusste, sie würde sich nicht aufhalten lassen. Statt ihn anzulügen, hatte sie sich ihm anvertraut …

„Ich glaube an dich, Shiko, von ganzem Herzen! Und ich schwöre dir, Tyria wird nicht untergehen!“, erwiderte er schließlich, doch ein Teil von ihm brach bei diesen Worten.

Shikon Feenseele lächelte. Sie vertraute ihm, er würde sein Wort halten … Wie zum Zeichen des Abschied hob sie den Kopf und gab ihm einen Kuss auf die Wange, nur wenige Millimeter von seinen Lippen entfernt, die sie dennoch niemals schmecken würde.
 

In dieser Nacht schlief die Elementarmagierin eingehüllt in Ohtah Shadowdragon´s Armen. Wieder schwebte Shikon Feenseele in völliger Dunkelheit und wartete auf die vertraute Stimme.

Und natürlich wurde sie nicht enttäuscht: „Shiko … du hast es wirklich geschafft! Du hast dich mit deinen Freunden gegen die Drachen behaupten können. Nun steht dir nur noch ein letzter Kampf in dieser Welt bevor.“

„Ja. Und ich werde meinen Weg weitergehen … bis zum bitteren Ende. Trotzdem habe ich Angst, große Angst sogar … nicht vor dem Sterben, nein. Ich habe Angst vor dem, was mit Ohtah und den anderen passieren wird …“, erklärte Shikon Feenseele brüchig, dann erstarkte ihre Stimme zunehmend, „Ich habe etwas entscheidendes auf meiner Reise gelernt – es geht nicht darum keine Angst zu haben oder keine Schwäche zu zeigen, sondern ob man wieder aufsteht und sich dem entgegenstellt.“

Zum ersten Mal in ihren Träumen erschien eine Lichtgestalt vor ihr; eine junge Frau mit hochgesteckten Haaren und einem langen Magiergewand, die sprach: „Ich wusste, du würdest diese Lektion wieder lernen … Der Sinn deines Lebens ist es gegen die Drachen zu kämpfen – mit allem, was dich ausmacht! Vertrau darauf … dann wirst du nicht scheitern.“

„Seit du mir das zum ersten Mal gesagt hast, frage ich mich immer wieder, warum gerade ich? Was ist an mir so besonders?“, wollte sie ernst wissen und erinnerte sich an ihre erste Begegnung mit Primordus, der sie für einen gewöhnlichen Menschen gehalten hatte.

Die junge Frau wirkte traurig, als sie erwiderte: „Es tut mir leid … ich kann es dir nicht sagen. Wenn du die wahre Kraft in dir erweckst, wirst du verstehen … und dann wirst du dich auch endlich an alles erinnern. Erwache, Shiko … bevor es zu spät ist!“
 

Die Quelle von Orr

Am nächsten Morgen setzten die beiden verbündeten Gruppen Schritt eins ihres Plans in die Tat um – sie kaperten ein Totenschiff Orr´s, um sich der Insel weitgehend unbemerkt nähern zu können. Ull Rosenknospe und Caithe machten es zunächst für Lebende seetüchtig; sie ließen Ranken wachsen, die das Schiff zusammenhielten, und große Blätter, die als Segel dienten. Seiketsu Lichtsegen und Logan Thackeray hielten einen Schutzschild aufrecht, welcher sie für die Untoten unsichtbar machte und gegen mögliche Blindgänger abschirmte. Ganda bewegte Gwen Grimmpfote und Rytlock Brimstone mit ein paar arroganten Aussagen ganz im Stil der Asura an Bord zu gehen – denn Charr waren absolut wasserscheu; Garm und Tear dagegen hatten kein Problem damit, sie bleiben treu bei ihren Herrinnen. Die Norn kümmerten sich um die Steuerung und Shikon Feenseele sorgte für einen günstigen Wind, während Ohtah Shadowdragon bereitstand gegen alles und jeden zu kämpfen. So ausgestattet segelten die zwölf Kämpfer mit ihren beiden Tiergefährten Richtung Orr. Selbst von weitem konnte man erkennen, dass der Kontinent nur so von zahlreichen Untoten wimmelte. Dies war wahrlich die Hochburg von Zhaitan´s Armee! Hier gab es kein Leben, hier herrschte der leibhaftige Tod … An einem großen Küstenstrand gingen Team Shiko und die Klinge des Schicksals schließlich an Land. Laut Caithe, die eine Karte von Orr mitgebracht hatte, handelte es sich um das Gebiet des Wintertotengeläut an der Fluchküste, was sich nicht gerade einladend anhörte. Trotzdem bot dieser Ort eine einzigartige Schönheit, der nicht einmal Zhaitan etwas anhaben konnte – die Jahrhunderte unter dem Meer hatten das Land verändert, überall blitzten regenbogenfarbene Stellen aus chemischen Verbindungen auf und verliehen der Gegend etwas mystisches.

Als Ull Rosenknospe den Blick schweifen ließ, hatte sie ein eigenartiges Gefühl, so als ob etwas nach ihr rufen würde … oder jemand. Tear hüpfte aufgeregt auf und ab, auch sie kannte diese Ausstrahlung. Sie konnte kaum glauben, dass er wirklich hier sein sollte. Die Waldläuferin nahm ihren Langbogen von der rechten Schulter und sie rannten los. Ihre Teammitglieder fragten sich, was wohl geschehen sei – selbst Caithe runzelte verständnislos die Stirn. Auf einem hohen Felsen hielten die beiden Ausschau. In einiger Entfernung kämpften Auferstandene gegen einen Sylvari mit dunkelgrünem Teint und dessen Trupp. Ull Rosenknospe schnappte nach Luft – er war es tatsächlich! Sie legte einen Pfeil an, zielte sorgfältig und schoss. Immer weiter, bis schließlich nur noch die Abscheulichkeit übrig blieb, gegen die der männliche Sylvari kämpfte. Ull Rosenknospe nahm die verbliebenen drei Pfeile aus ihrem Köcher, belegte sie mit einem tödlichen Pflanzengift und ließ sie von der Sehne schnellen. Die Kreatur brach in sich zusammen. Der Schwertkämpfer wirkte verdutzt – erst jetzt bemerkte er die Pfeile und erkannte sie sofort. Seine Augen suchten panisch das Gelände ab, dann entdeckte er Ull Rosenknospe und Tear endlich. Sie sprangen vom Felsen herab und liefen ihm, so schnell sie konnten, entgegen. Die beiden Sylvari sahen sich einfach nur an, sogen den Anblick des anderen in sich auf. Es war viel zu lange her, seit er nach Orr aufgebrochen war … Trahearne, Erstgeborener der Sylvari und Junker der Wylden Jagd.

„ULL!“, schrie Shikon Feenseele, die ihr mit dem Rest der Gruppe eiligst gefolgt war, „Ist alles in Ordnung mit euch?“

Die Waldläuferin winkte knapp. Caithe war nicht minder überrascht als Ull Rosenknospe ihren Bruder zu sehen.
 

In einem Lager des Pakts – Ull Rosenknospe und Caithe konnten kaum glauben, dass ausgerechnet Trahearne den Zusammenschluss der Orden als Marschall anführte – berichteten Shikon Feenseele und ihre Freunde von ihren Abenteuern und sie erfuhren, dass Trahearne auf der Suche nach der Quelle von Orr sei.

„Der Untergang Zhaitan´s steht kurz bevor … ich spüre es.“, erklärte er und atmete tief durch, „Wir wissen inzwischen, wo sich die Quelle befindet und werden sie reinigen. Damit verliert Zhaitan einen großen Teil seiner Macht, was ihn verwundbarer denn je machen wird.“

Ull Rosenknospe wollte von alledem nichts hören. Sie hatte sich an den Rand des Lagers verzogen und ihre Tiergefährtin in den Schlaf gestreichelt. Nachdem sich alsbald auch die anderen schlafen gelegt hatten, nahm Trahearne neben ihr Platz.

„Die Karte, die Caithe dabei hat, habt Ihr gezeichnet … Wusste sie, dass Ihr hier sein würdet?“, wollte sie von ihm wissen.

Er schüttelte den Kopf: „Seit unserem Abschied hatte ich keinen Kontakt mehr zu einem Sylvari außerhalb des Pakts. Aber ... ich bin glücklich, Euch wiederzusehen. Wir haben uns tatsächlich wiedergefunden … und dabei ist Orr so gewaltig.“

Sie saßen eine Weile schweigend da. Dann sprang Trahearne plötzlich auf und zog Ull Rosenknospe auf die Füße. Er ließ ihre Hand nicht los, während er sie auf einen der Aussichtspunkte führte. Von dort aus konnte man unendlich weit über das Meer des Leids sehen. Im Osten erblickte die Waldläuferin eine steinerne Treppe, auf dessen oberstem Absatz Statuen standen.

„Man nennt es die >Promenade der Götter< … Dort oben, das sind sie, die drei ursprünglichen Götter, die nach Menschen-Glaube Tyria geschaffen haben. Dahinter liegt Arah, die Hauptstadt von Orr … der Ort, an dem sich Zhaitan versteckt hält.“, erklärte Trahearne, wobei man ihm anmerken konnte, dass er nicht gerne darüber sprach.

Ull Rosenknospe wandte sich wieder dem Meer zu und wechselte leise das Thema: „Ihr habt Eure Wylde Jagd also fast beendet.“

Der Sylvari verschränkte seine Finger mit ihren, bevor er bestätigte: „Genauso wie Ihr. Und wenn es soweit ist, werde ich zu unserer Mutter zurückkehren. Ich bin dem Hain lange genug ferngeblieben. Ich … ich habe keinen Grund mehr zu flüchten, nicht seit ich Euch kenne. Ihr seid und bleibt für immer meine Liebe, Ull … Ich will dort mit Euch leben, in unserer Heimat!“

Überraschung zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab, nur eine Sekunde später wurde Ull Rosenknospe wieder ernst: „Ich würde sterben, um Shiko diese Stufen hinaufzubringen.“

Trahearne nickte, dass hatte er sich bereits gedacht, es änderte jedoch nichts an seinen Gefühlen. So überbrückte er den geringen Abstand, der noch zwischen ihnen geherrscht hatte, und legte seine Lippen auf ihre.
 

Die Fee der vier Elemente

Der Tag der Entscheidung war gekommen. Innerhalb einer Nacht hatte Zhaitan den Großteil seiner verbliebenen Streitkräfte ins Herz von Orr zurückgerufen. Die Stufen der Promenade der Götter waren gespickt mit Kompanien von Auferstandenen. Team Shiko und die Klinge des Schicksals standen einer Übermacht gegenüber. Dem Alt-Drachen des Todes war damit ein großer Fehler unterlaufen – für Trahearne und einer Handvoll seiner Männer war der Weg nun frei. Sie konnten ungehindert zur Quelle von Orr vordringen und das Ritual beginnen. Die restlicher Kämpfer des Paktes schlossen sich dem Kampf von Shikon Feenseele an. Ull Rosenknospe hatte Trahearne am Morgen hinterher geschaut, als er zum Abschluss seiner Wylden Jagd aufgebrochen war.
 

„Ull … das nächste Mal sehen wir uns im Hain wieder!“, waren seine Abschiedsworte gewesen.

Mit einem traurigen Lächeln hatte sie geantwortet: „Auf die eine … oder die andere Weise.“

Er hatte nur genickt, ihr Gespräch von letzter Nacht noch in den Ohren. Jeder Sylvari, der sein Leben aushauchte und nicht dem Alptraum verfallen war, kehrte als Blume in die Omphalos-Kammer zurück, um für alle Ewigkeit mit dem Mutterbaum vereint zu sein …
 

Team Shiko und die Klinge des Schicksals marschierten, geleitet von fast fünfhundert Mann der Paktsoldaten, der Treppe zur Promenade der Götter entgegen. In Shikon Feenseele stieg Freude auf, als sie zu ihren Begleitern sah. Ihre Allianz bestand wirklich aus den fünf großen Völkern Tyria´s – und laut Glint, konnten sie den Krieg so beenden, sie hatten endlich eine reelle Chance. Zhaitan und seine Untoten würden vom Angesicht der Erde verschwinden, die Ordnung wiederhergestellt werden. Doch zuvor stand ihnen noch ein größer Kampf bevor, um den obersten Absatz überhaupt erreichen zu können. Seiketsu Lichtsegen und Logan Thackeray hatten bereits alle Wächter um sich geschart und erschufen einen gewaltigen Schutzschild über ihren Köpfen, der die meisten Geschosse abblockte. Die Waldläufer unter Ull Rosenknospe und Eir Stegalkin starteten bereits eine Gegensalve. Und Ric Bärenklaue führte die übrigen Nahkämpfer an die vorderste Front. Ohtah Shadowdragon fungierte natürlich als Leibwache – und lebendigen Schild – für Shikon Feenseele.

„Egal was es kostet, wir werden Shiko diese Stufen hinauf schaffen!“, rief er gegen den Kampfschrei der Auferstandenen an, die sich wie eine Flutwelle über sie ergossen.

Freund war kaum mehr von Feind zu unterscheiden. Die Magier schlossen ihre Augen – sie richteten ihre Zauber dorthin, wo sie die dunklen Auren spürten. Alles drängte und drängelte. Die Kampftruppe um Team Shiko gewann bereits die ersten Meter für sich. Aber die Masse an Gegnern wurde einfach nicht weniger … Zu viele Reservetruppen warteten noch vor dem Tor nach Arah auf ihren Einsatz. Dort in der Ferne, weit über ihnen erhoben sich die Abbilder von Balthasar, Dwayna und Melandru, die ihnen mit den anderen Göttern aus den Nebeln unfähig zusehen mussten … denn sie hatten auf Orr, ihrer einstigen Hochburg keine Macht mehr.

Kormir, die sich für die Qualen ihrer Freunde verantwortlich fühlte, flüsterte: „>Dwayna lebt in eurem Mitgefühlt, Balthasar in eurer Stärke. Melandru in eurer Harmonie, Grenth in eurer Gerechtigkeit. Und in eurer Inspiration ist Lyssa. Die Göttlichkeit liegt in euch!< Damals habe ich die Worte der Götter nicht verstanden, habe mich darüber aufgeregt. Heute ist das anders … Ihr müsst an euch selbst glauben! Wir Götter können wahrhaft nur für euch beten …“

In Orr schlugen sich Team Shiko und die Klinge des Schicksals gerade auf den vorletzten Treppenabsatz durch – die Paktsoldaten hatten sich gesplittert und auf der gesamten Treppe verteilt, um ihnen den Rücken freizuhalten.

„Geht hinter mich, ich schlage die letzte Bresche!“, schrie Shikon Feenseele.

Ohtah Shadowdragon und Ull Rosenknospe wollten widersprechen, doch die Elementarmagierin webte bereits den Zauber. Sie stürmte von Flammen eingehüllt durch die Linie der orrianischen Armee. Die flüchtenden Auferstandenen wurden so gleich von ihren Gefährten aus dem Weg geräumt. Schwer atmend hob sie den Blick zu den juwelenbesetzten Augen der Statuen. Dieses Land war von ihnen erschaffen worden … Lange bevor Zhaitan ihr Andenken mit seiner Verderbnis beschmutzt hatte. Hinter ihr erklommen Ohtah Shadowdragon, Seiketsu Lichtsegen, Ganda, Gwen Grimmpfote, Ull Rosenknospe, Tear und Ric Bärenklaue den Treppenabsatz. Die Klinge des Schicksals hielt ihnen die nach stürmenden Untoten vom Leib.

Shikon Feenseele wandte sich abrupt zu ihnen um und verkündete: „Ab hier werde ich allein weitergehen. Ihr hindert Zhaitan´s Diener daran in die Stadt einzudringen. Logan und die anderen schaffen das nicht ohne eure Hilfe.“

Ganda war die erste, die ihre Stimme wiederfand: „Und Ihr wollt wirklich so ganz allein gehen? Ohtah könnte dich doch wenigstens begleiten!“

„Nein! Auf gar keinen Fall!“, widersprach sie heftig, „Versteht doch … genau so haben es Glint und der Blasse Baum vorausgesagt.“

Die Sylvari nickte ergeben: „Ich vertraue dem Urteil des Mutterbaums … Und ich weiß, Ihr werdet es schaffen. Ihr seid unsere Anführerin, Shiko!“

„Verpass´ Zhaitan für jeden von uns eine ordentliche Tracht Prügel!“, verlangte der Norn lachend.

Sie zwang sich ebenfalls zu einem Lächeln, als sie erwiderte: „Mindestens. Ich danke euch für alles, Leute! Ohne euch wäre ich niemals soweit gekommen … wir sind und bleiben ein Team!“

Anschließend wandte sich Shikon Feenseele direkt an Ohtah Shadowdragon und Seiketsu Lichtsegen: „Kennt ihr die Inschrift der Statue, die in Rurikstadt steht? >Ein starkes Herz wird angesichts unüberwindbarer Hindernisse niemals zögern.< Ihr habt mich stark gemacht … Durch euch konnte ich meine Angst bezwingen, meine Schwäche überwinden … Ich werde kämpfen, damit alle frei sein können! Ich stelle mich zwischen das Licht und die Finsternis.“

„Wir sind bei dir.“, versicherte ihr die junge Wächterin, „Du bist nicht allein, Shiko … niemals. Deine Gefühle kann dir nicht einmal Zhaitan nehmen!“

Der geschickte Dieb sah ihr tief in die Augen, legte all seine Liebe hinein und sagte: „Wir werden hier auf dich warten!“

Eine einzelne Träne fand den Weg über ihre Augenränder, als Shikon Feenseele sie verließ. Die Ruinenstadt Arah hatte nichts mehr mit ihrer einstigen Pracht gemein. Kaum ein Stein stand noch auf dem anderen und die Jahrhunderte unter Wasser waren nicht spurlos an ihr vorbeigegangen. Tief im Innern der Heiligen Stadt, in seiner Zitadelle wartete der letzte Alt-Drache bereits auf sie.

„Du bist wirklich zu mir gekommen …“, stellte Zhaitan höhnisch fest, „Ich hätte nicht gedacht, dass du mir gegenüber treten würdest, nachdem du die Kraft meiner Brüder gesehen hast.“

Shikon Feenseele konzentrierte ihre Magie und zauberte die Truhe hervor, die Glint ihr gegeben hatte. Die vier Drachen-Juwelen, welche die extrahierten Seelen von Primordus, Jormag, Kralkatorrik und Mélyten enthielten, begannen zu strahlen und schwebten in die Luft.

Nach einem tiefen Atemzug antwortete sie entschlossen: „Dir wird es nicht anders ergehen als ihnen. Ich werde deine Tyrannei keinen Tag länger zulassen! Tyria hat genug gelitten … weder die Menschen, noch die Asura, die Norn, die Charr oder gar die Sylvari sollen länger in Furcht leben!“

„Warum?“, wollte Zhaitan knurrend wissen, „Wieso interessieren dich all diese niederen Kreaturen, zu deren Volk du nicht einmal gehörst?“

Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und entgegnete: „Ich kämpfe für meine Freunde und alle Bewohner Tyria´s, weil es meine Bestimmung ist! Denn ich bin die Fee der vier Elemente!“

Ein Ruck fuhr durch Shikon Feenseele´s Körper, Bilder rasten an ihr vorbei, doch sie nahm jedes einzelne davon genau wahr. Sie sah eine junge Frau, welche eine Blume im Haar trug, und ihr auf irgendeine Weise ähnelte. Einen Kampf gegen einen Mann mit entstelltem Gesicht. Die Vernichtung eines gehörnten und geflügelten Wesens. Dann den Tod und die Geburt einer Gottheit. Bis es zu einem Drachen aus lebendiger Lava wechselte.

Und plötzlich hörte sie die Stimme von Ohtah Shadowdragon: „Shiko … Shikon No Yosei … Verteidigerin von Cantha und Shing Jea … Retterin von Tyria und Elona … Vernichterin der Zerstörer und Vertraute der Asura … ich, Ohtah Ryutaiyo, bitte dich … werde meine Frau!“

Shiko … Shikon No Yosei, die Fee der vier Elemente. Das war sie … Sie erinnerte sich wieder! Sie war wiedergeboren worden, um gegen die fünf Alt-Drachen zu kämpfen. Sie, die lebende Legende, die Shiro Tagachi, den Untoten Lich, Abaddon und Primordus´ Champion den Großen Zerstörer bezwungen hatte. Gemeinsam mit Ohtah Ryutaiyo und Seiketsu No Akari … Durch das Erwachen ihrer Seele kehrten auch ihre eigentliche Gestalt und ihre magischen Kräfte zurück. Nun war sie sich wieder der wahren Macht bewusst, die in ihr ruhte. Und genauso wie die Stimme es ihr im Traum prophezeit hatte – sie konnte einfach nicht glauben, dass sie Teinai nicht erkannt hatte – wusste sie mit einem Mal auch, wie sie die Energie der Drachenjuwelen nutzen musste.

„Pah! Und wenn schon? Was nutzt dir dein kleiner Zauber? Das ändert nichts an der Tatsache, dass du ein kleines Mädchen bist! Was willst du allein gegen mich ausrichten?“, höhnte der Drache in ihren Gedanken, der ihren Kraftanstieg vor lauter Stolz nicht einmal bemerkt hatte.

Da schwappe eine Welle der Energie über den Kontinent hinweg. Die Verderbnis schmolz aus dem Boden, der Luft, dem Wasser. Die Quelle von Orr floss wieder – Trahearne hatte es geschafft! Der Zeitpunkt war gekommen …

Shikon No Yosei schloss für einen Moment die Augen – vor sich sah sie all ihre Gefährten – und erklärte ruhig: „Ich bin nicht allein – ich spüre die Unterstützung all meiner Freunde in meinem Herzen … Sie geben mir die Kraft, dich zu besiegen. Oh, ihr vier Elemente, hört meinen Ruf im Namen der Sechs Götter – Feuer, Wasser, Erde, Luft!“

Sie breitete die Arme aus und die Elemente gehorchten ihrem Befehl. Vier Lichtsäulen schossen aus den Juwelen in die Höhe – rot, weiß, grün und blau. Genau wie damals, als die Alt-Drachen aus ihrem Schlaf erwacht waren. Damit schloss sich der Kreis.
 

Erschöpft sanken die Kämpfer zu Boden. Die Stufen waren übersät mit den Überresten der Untoten und obwohl Seiketsu Lichtsegen sich kaum noch auf den Beinen halten konnten, entzündete sie zusammen mit Logan, Zojja und Ganda die Leichenberge. Zu groß war die Gefahr, dass sie sich noch einmal erhoben. Ohtah Shadowdragon beobachtete mit Schrecken, was sich am Himmel über der Hauptstadt abspielte – vier Lichter waren wie aus dem Nichts hinaufgeschossen. Was hatte Shikon Feenseele bloß getan, was ging in der Zitadelle nur vor sich? Ein Angstschauer fuhr ihm über den Rücken. Er hätte niemals von ihrer Seite weichen dürfen! Er war doch ihr Beschützer!

„Die Sechs Götter seien meine Zeugen – hiermit erhebe ich einen neuen Schwur, da ich aus jenem anderen entlassen wurde … Ich, Ohtah Ryutaiyo, schwöre am heutigen Tag bei meinem Leben, meiner Seele und meinem Geist, dass ich auf ewig Shikon No Yosei´s getreuer Schatten sein werde, der sie vor allem Schaden bewahren wird! Niemals wieder soll mein Herz von Zweifel ergriffen werden … Ich unterstelle mich ihr mit allem, was ich war, was ich bin, was ich sein werde!“, hörte der Dieb seine eigene Stimme sagen.

Shikon No Yosei … Die Erinnerung traf ihn wie ein Blitzschlag. Er hatte diesen Schwur vor Jahrhunderten in der Befleckten Küste im Angesicht der Sechs Götter selbst geleistet! Darum hatten sie ihn gemeinsam mit Shikon No Yosei zurück nach Tyria geschickt. Weil seine Seele, sein ganzes Sein mit ihr verbunden war. Hinter sich hörte er schnelle Schritte näherkommen. Es war Seiketsu Lichtsegen, besser gesagt Seiketsu No Akari.

„Egal wo du bist oder was du tust … ich bin bei dir und du bist bei mir, Sei. Wir werden nie wirklich voneinander getrennt sein.“, hatte Shikon No Yosei zu ihr gesagt, als die Mönchin sich entschieden hatte, Shing Jea zu verlassen … und so würde es bis in alle Ewigkeit sein.

Sie nickten sich gegenseitig zu. Keine Sekunde später verschwand der geschickte Assassine via Schattenschritt und erschien in seiner ursprünglichen Gestalt neben seiner Geliebten.
 

Der Untergang von Orr

Sie spürte seine Präsenz sofort. Es überraschte sie nicht, besonders seit sie ihre Erinnerungen zurück hatte. Er war noch genau derselbe … Nichts hatte sich geändert. Nicht sein Wille, sein Geschick, sein strategisches Denken und vor allem nicht seine Besorgnis um sie. Es blieb ihr selbst nach all diesen unzähligen Jahren noch ein Rätsel, womit sie einen solchen Mann verdient hatte … Doch sie durfte nicht länger warten!

„Im Namen Balthasars rufe ich das Feuer! Heiß und zerstörerisch soll es lodern … Oh Dwayna, mit dir rufe ich die Luft! Als erfrischende Brise und tosenden Tornado … Melandru, Göttin der Natur, ich rufe die Erde! Nährend und beschützend verlasse ich mich auf sie … Und als letztes rufe ich das Element des Grenth, das Wasser! Klar und unberechenbar zugleich … Lyssa, ich bitte dich, schenke mir die magische Energie, um die Kraft der Elemente zu kanalisieren … Auf dass ich durch Euch, Kormir, Göttin der Wahrheit und Hüterin der Geheimnisse, mein Ziel nicht verfehle!“, sprach Shikon No Yosei die Beschwörungsformel, um die Energie auf ein Maximum zu steigern.

Die Lichtsäulen gehorchten ihr und schlossen sich um den Drachen, zogen sich immer enger zusammen. Shikon No Yosei faltete ihre Hände vor der Brust. Aus dem Rot, Orange, Grün und Blau wurde ein Kokon aus gleißendem Licht, der in allen Farben des Regenbogen schimmerte. So eingesperrt konnte sich Zhaitan nicht mehr gegen die positiven Kräfte der vier Elemente zur Wehr setzen … die Kraft des Lebens fraß sich durch seinen Körper, ließ ihn in sich zusammenfallen. Und mit ihm auch seine zerstörerische Macht über Tyria! In einer gewaltigen Explosion verschwand das Licht und die schöne Elementarmagierin sank kraftlos zu Boden – nach dem Ende des Untoten Tengu-Krieges waren ihre Kräfte nicht annähernd so zerschunden gewesen und damals hatte sie ihre magischen Kräfte vollständig eingebüßt. Ohtah Ryutaiyo, der vollkommen perplex zugesehen hatte, eilte an ihre Seite. Er öffnete den Mund, um etwas sagen, doch sein neu erwachtes Selbst begriff augenblicklich, was dieser Sieg sie kostete.

„Ich wusste es … seit ich mit dem Blassen Baum gesprochen habe. Verzeih´ mir, ich hatte keine andere Wahl.“, erklärte sie nach Atem ringend, „Ich liebe dich, Ohtah … immer. Im letzten, in diesem und in jedem weiteren Leben!“

Er wollte schreien, doch kein einziger Laut verließ seine Kehle. Zu geschockt war er von dem, was sich vor seinen Augen abspielte. Shikon No Yosei wurde, aus seinen Armen heraus, von einer unsichtbaren Macht in die Luft gehoben. Tränen traten in ihre Augen, als sie einen letzten Blick auf ihren Geliebten warf. Dies war der Preis dafür, dass sie die Kraft der Elemente so stark beansprucht hatte … Es war das Opfer, welches sie bringen musste, um Tyria zu befreien. Darum gab es nichts, was sie an ihrer Entscheidung bereute. Und mit einem leisen Geräusch, ähnlich wie beim Zerplatzen einer Seifenblase, funkelten dort, wo Shikon No Yosei einen Moment zuvor noch geschwebt hatte, nun nur noch zarte Staubpartikel. Ohtah Ryutaiyo konnte die Augen nicht abwenden. Er hatte sie verloren … endgültig. Er spürte keinen Schmerz mehr, nur Leere. Unzählige Male war sie als Shikon No Yosei und Shikon Feenseele in Gefahr gewesen. Und jetzt war es der Preis für ihren eigenen Zauber gewesen, der ihr das Leben genommen hatte. Ja, sie war tot … Sie, die Verteidigerin von Cantha und Shing Jea, die Retterin von Tyria und Elona, die Vernichterin der Zerstörer und Vertraute der Asura. Sie, seine Frau, die Mutter ihrer gemeinsamen Kinder Yoso No Koshi und Ryukii No Mai. Sie, die dem Beispiel ihres Meisters folgend die Tengu-Kriege ein zweites Mal beendet hatte. Sie, die Gesandte, die wiedergeboren wurde, um die Welt erneut vor der Bedrohung zu befreien. Sie, die Fee der vier Elemente …

„Wenn wir sterben … dann sterben wir gemeinsam. Ich lass´ dich nicht alleine gehen, niemals!“, hatte sie ihm einst in der Charr-Heimat versprochen und jetzt war sie ohne ihn gegangen.

Noch während Ohtah Ryutaiyo diesen Gedanken nachhing, erzitterte die Ruinenstadt. Alles wackelte, schien aus der Balance gekommen zu sein. Ein regelrechter Sturm legte sich über den Kontinent. Orr, welches früher das schönste Königreich Tyria´s gewesen war, begann wieder im Meer zu versinken, weil Zhaitan´s Einfluss gebrochen war! Doch er rührte sich nicht … Was für einen Grund hatte er zu fliehen? Der Sinn seines Lebens existierte nicht mehr. Wieso also weitermachen?

„Unsere Freunde brauchen dich jetzt. Wenn du ihnen nicht hilfst, werden sie mit Orr untergehen … und damit alle Hoffnung auf eine friedliche Zukunft.“, flüsterte eine vertraute Stimme, die ihm sanft über die Wange streichelte, „Du hast noch nie ein Versprechen gebrochen, Ohtah … Ich warte auf dich und Sei in den Nebeln.“

In diesem Augenblickblick brach die Decke über Ohtah Ryutaiyo in sich zusammen. Mehrere tonnenschwere Steinblöcke fielen zu Boden und schienen den Assassinen unter sich zu begraben – gäbe es da nicht die Kunst des Schattenschrittes. Nur Sekunden später starrten die Mitglieder von Team Shiko und der Klinge des Schicksals Ohtah Ryutaiyo sprachlos an. Ihre Blicke wanderten zwischen ihm und Seiketsu No Akari hin und her. Sie konnten nicht begreifen, was geschehen war, und trotzdem erkannten sie die beiden.

„Fasst euch an den Händen!“, befahl er ohne weitere Erklärung, gerade als die Inseln wieder ein ganzes Stück hinab sanken.

Sie taten, was er von ihnen verlangte – nur Ganda zögerte und fragte: „Was ist mit Shiko?“

Ein schmerzlicher Ausdruck huschte über das Gesicht der Mönchin, als sie antwortete: „Sie hat sich für Tyria geopfert …“

Der Assassine packte die freie Hand der Asura und brachte sie mit einem gewaltigen Schattenmarsch zurück ans Festland. Dabei staunte er über sich selbst – noch nie hatte er so eine weite Strecke zurückgelegt, noch dazu mit so vielen Begleitern! Dementsprechend erschöpft war er zwar, doch seine Freunde und Verbündeten waren in Sicherheit, in Löwenstein. Dort herrschte bereits ein riesiger Tumult – selbst aus dieser Entfernung konnte man den Untergang der Insel deutlich sehen.

„Heißt das die Jagd ist zu Ende?“, wollte Ric Bärenklaue beinahe enttäuscht wissen.

Gwen Grimmpfote gab ihm einen Klaps auf die Schulter und meinte: „Sieht ganz so aus, Kamerad.“

„Aber mit einem bitteren Beigeschmack …“, entgegnete Ull Rosenknospe und sah hoch zum Abendstern, welcher in der Ferne leuchtete, „Ohne Shiko hätte keiner von uns diesen Kampf ernsthaft ausfechten können. Nicht einmal ich.“

Ganda schaute sie erstaunt an, während sie erwiderte: „Und das aus Eurem Mund. Habt Ihr nicht gesagt, Ihr würdet Euch uns nur anschließen, weil wir sonst keine Chance hätten?“

„Das reicht jetzt!“, unterbrach Ohtah Ryutaiyo die ausbrechende Diskussion, „Auch wenn die Drachen weg sind … unsere Aufgabe ist noch nicht beendet!“
 

Und noch ein Drache!

Da begann die Erde unter ihren Füßen zu beben. Der Assassine kannte das Gefühl – doch diese Erschütterung war weit schlimmer, als jene in Cantha. Die Helden gingen reihum zu Boden, hielten sich aneinander fest.

„Was ist das?“, wollte Ohtah Ryutaiyo erschrocken wissen.

Es war Caithe, die ihm mit Angst in der Stimme antwortete: „Das, meine Freunde … ist ein Drache!“

Die anderen starrten sie voller Entsetzen an. Als Erstgeborene hatte sie bereits das Erwachen zweier Alt-Drachen miterlebt … Das Beben erstarb und eine gelbe Lichtsäule schoss weit in den Himmel hinauf. Es musste eine gewaltige Entfernung zwischen ihnen liegen.

„Wo könnte das sein?“, brummte Rytlock Brimstone übellaunig.

Diesmal ergriff Ganda das Wort: „In dieser Richtung liegt nur der Maguuma-Dschungel.“

„Dann stimmt es also doch …“, meinte der Norn und zog damit die Aufmerksamkeit aller auf sich.

Nur Eir Stegalkin wusste, wovon er sprach, und erklärte: „In unserem Volk erzählte man sich vor uralter Zeit die Sage eines sechsten Drachens, der erst dann aus seinem ewigen Schlaf erwachen würde, wenn seine Brüder den Tod gefunden hätten. Ich … habe es nie geglaubt.“

„Wenn die Norn etwas über diesen Drachen wissen, dann gibt es nur ein Volk, das uns mehr darüber erzählen könnte …“, meinte die braunhaarige Mönchin, während ihr Blick sich nach Südosten richtete, wo irgendwo die Überreste der Feste Donnerkopf lagen.

„Wer?“, riefen die Freunde im Chor.

Seiketsu No Akari warf Ohtah Ryutaiyo einen bedeutungsvollen Blick zu. Seine Gesichtszüge entglitten ihm beinahe – er wusste, an wen sie dachte.

„Die Zwerge.“, hauchten sie wie aus einem Munde.
 

Shikon No Yosei schlug die Augen auf. Sie wusste sofort, wo sie sich befand – die Energie der Nebel war unverkennbar.

„Du bist wach, das ist gut.“, stellte Seira fest, die gerade den Raum betreten hatte, „Shiko, es gibt da etwas, das ich dir sagen muss, bevor du es von jemand anders erfährst …“

Doch die Elementarmagierin winkte ab: „Ich weiß, ich kann nicht lange hierbleiben. Ich kenne das Gesetz der Nebel, Seira – ich war schließlich einst eine Gesandte … Weil ich die Forderung einer Wiedergeburt gestellt habe, muss meine Seele fortan dem ewigen Zyklus folgen.“

„Ja … Nein, ich meine, noch nicht – deine Reise wird erst weitergehen, wenn Seiketsu und Ohtah wieder bei dir sind. Eure Schicksale sind fest miteinander verbunden.“, erklärte das Orakel und die Rothaarige horchte auf, „Shiko … im Maguuma-Dschungel in Tyria … ist der sechste Drache erwacht. Sein Name ist Mordremoth.“

Sie versuchte die Information zu verarbeiten, konnte es aber nicht. Was auch immer Seira versuchte ihr damit mitzuteilen, es war ein Ding der Unmöglichkeit. Es gab nur fünf Alt-Drachen – Zhaitan, Primordus, Kralkatorrik, Jormag und Mélyten … Und sie alle waren unter ihr gefallen!
 

In dieser Nacht schlief keiner der Freunde. Das ganze Team Shiko und die Klinge des Schicksals trauerten um ihre gefallene Kameradin … Ohtah Ryutaiyo hatte sich komplett von der Gruppe zurückgezogen. Als Ohtah Shadowdragon wäre seine Trauer groß gewesen – jetzt, da er seine Erinnerungen wieder hatte, war sie nicht in Worte zu fassen. Shikon No Yosei war zum zweitem Mal gestorben … Aber nie zuvor war er ohne sie am Leben gewesen. Zu jeder anderen Zeit wäre er ihr sofort in den Tod gefolgt, diesmal konnte er es nicht – und genau das hatte sie geplant!

„Du musst jetzt stärker werden, als Shiko es gewesen ist.“, meinte Seiketsu No Akari, die lautlos neben ihn getreten war, „Wenn sie an deiner Stelle wäre, wenn sie dich verloren hätte … Sie wäre innerlich zerbrochen, hätte nicht mehr weitermachen können. Aber sie hat darauf vertraut, dass du es kannst! Für sie … um ihre Mission zu beenden.“

Der Assassine sah hoch zu den Sternen, während er erwiderte: „Bevor ich Shiko in diesem Leben kennengelernt habe, habe ich, wie du weißt, auf der Straße gelebt. Nie hätte aus mir etwas werden sollen … Kurz vor meiner ersten Begegnung mit ihr, prophezeite mir eine Hellseherin, ich würde irgendwann ein großer Held werden, müsse dafür aber das größte aller Opfer bringen … Ich dachte, ich müsse sterben. Verstehst du? Ich hätte derjenige sein sollen … nicht Shiko!“

„Shiko hat gewusst, wie der Kampf gegen Zhaitan enden würde. Deshalb wollte sie uns auch nicht dabei haben. Und sie hatte schreckliche Angst davor …“, erklärte die Mönchin leise.

Ohtah Ryutaiyo ballte seine Hände zu Fäusten und sagte wütend: „Warum hat sie mich dann nicht ihren Platz einnehmen lassen? Warum hat sie mich nicht eingeweiht?“

„Sie hatte keine Angst vor dem Tod … Wir sind schließlich bereits gestorben und leben nur für den Kampf gegen die Drachen noch einmal in dieser Welt.“, widersprach sie ihm, „Sie wollte dich nicht verletzten … das war ihre größte Schwäche. Denn genauso wie dir eine Prophezeiung gemacht wurde, hat auch Shiko erfahren, dass sie nur so Tyria retten könne. Nichts und niemand hätte sie davon abhalten können … Sie war genau dieselbe, wie zuvor. Sie hat die Pflicht über ihr Leben gestellt …“

Er schwieg. Ob in diesem oder im vergangenen Leben, Shikon No Yosei hat niemals gezögert, ihr eigenes Dasein einzusetzen, um andere zu retten … das liebte und hasste er gleichermaßen an ihr.

„Logan sagte mal zu mir >Angst und Zweifel machen uns menschlich. Weiterzukämpfen … das macht uns zu Helden!<“, erzählte Seiketsu No Akari und berührte seine Schulter, „Du bist ein Held, Ohtah! Nicht nur in Shiko´s Augen … Unser Team braucht dich! Du bist jetzt unser Anführer.“
 

Für Seiketsu No Akari stand fest, dass nur ein Zwerg mehr über den ominösen, sechsten Alt-Drachen wissen konnte. Schließlich war es seit jeher ihre Aufgabe gewesen Wissen, Geheimnisse und Schätze zu horten. Das Problem war, die drei einstigen Legenden waren zu Lebzeiten hautnah dabei gewesen, als sie durch ein Ritual die Macht des Großen Zwergs erhalten hatten und den Zerstörern in die Tiefen Tyria´s gefolgt waren. Dennoch konnte Seiketsu No Akari eine einzige, schwache Präsenz von Zwergenaura im Gebiet des Lornar´s Passes ausmachen.

Ohtah Ryutaiyo schwieg sich darüber aus. Keiner der anderen wagte es mehr, ihn auf die Elementarmagierin anzusprechen, seit der Assassine und die Mönchin sie über ihr früheres Leben und ihre Erlebnisse aufgeklärt hatten. Dafür quälte er sich jede Nacht selbst immer wieder mit denselben Fragen und Gedanken. Warum nur hatte sie ihn einfach zurückgelassen, warum war sie ohne ihn in den Tod gegangen? Warum hatte sie ihn so vorgeführt? Mit dem einzigen Mittel, das ihn nun an dieses Leben band … sein Wort. Warum hatte er nicht eher begriffen, was sie vorgehabt hatte? Er hatte kläglich versagt – als ihr Beschützer und Ehemann. Er durfte sie nicht auch noch als ihr Nachfolger enttäuschen … Doch wo sollte er die Kraft dazu finden? Sein Herz war wie tot … Shikon No Yosei war sein Leben. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als seinen Dolch zu ergreifen und sich damit das Leben nehmen zu können. Aber dann könnte er ihr in den Nebeln nicht mehr gegenübertreten, nicht mehr in ihre schokoladenbraunen Augen sehen.

Seiketsu No Akari ging ähnliches durch den Kopf. In der einen Sekunde kamen ihr die Tränen, weil sie sich hatte opfern müssen … Im nächsten Augenblick lächelte, weil sie genau wusste, dass ihre Seelen-Schwester nun aus den Nebeln über sie wachte und dort auf sie wartete.

„Ihr seid sehr tapfer.“, sagte Logan Thackery, als er sich neben sie setzte.

Die Mönchin hatte keine Ahnung, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte. Ihr Herz schlug schneller, ihr Erwachen hatte nichts an ihren Gefühlen für ihn geändert … Und obwohl sie auch als Seiketsu Lichtsegen gewusst hatte, dass er ihre Liebe nicht erwiderte, war es nun noch auswegloser – sobald sie ihre Aufgabe hier beendet hatte, kehrte sie in die Nebel zurück. Wieder gewannen ihre Tränen die Oberhand. Sie hatte schon einmal eine unerfüllte Liebe erlebt und jemanden verletzt.

Der Wächter zog ein Taschentuch aus seiner Gewand und reichte es ihr: „Tränen sind kein Zeichen von Schwäche … Trotzdem gefallt Ihr mir mit einem Lächeln besser.“

Seine Worte ließen sie tatsächlich ein wenig schmunzeln und sie traute sich sogar ihren Kopf gegen seine Schulter sinken zu lassen. Sie wünschte, es gäbe jemand, der auch Ohtah Ryutaiyo etwas Trost spenden könnte …
 

Die Suche nach dem letzten Zwerg gestaltete sich überraschenderweise einfacherer als angenommen, denn Team Shiko bekam unerwartete Hilfe von der Abtei Durmand – Ull Rosenknospe vermutete einen Befehl von Marschall Trahearne und konnte sich ein kurzes Grinsen nicht verkneifen. Einer der Gelehrten führte Team Shiko und die Klinge des Schicksals durch das Portal in Löwenstein zu ihrem Stützpunkt in den Nördlichen Zittergipfeln. Seiketsu No Akari und Ohtah Ryutaiyo stand regelrecht der Mund offen, als sie dem Zwerg begegneten – es war ausgerechnet Odgen Steinheiler!

„Meine alten Freunde!“, begrüßte er sie überschwänglich, „Sagt, wie ist das möglich?“

Die beiden Verteidiger erzählten ihrem alten Verbündeten von ihrer Wiedergeburt und den Kämpfen gegen die fünf Alt-Drachen.

„Ich habe von einer Gruppe junger Helden gehört, die scheinbar unmögliches vollbracht hätte … aber ich habe nie gedacht, dass ihr das sein könntet.“, meinte der steinerne Deldrimor und runzelte dann die Stirn, „Wo ist eigentlich Shiko?“

Die junge Mönchin, die diesen Teil der Geschichte bislang ausgelassen hatte, schluckte schwer, bevor sie antwortete: „In den Nebeln. Sie hat sich geopfert, um Zhaitan besiegen zu können …“

Bevor Odgen etwas darauf erwidern konnte, wechselte Ohtah Ryutaiyo hastig das Thema: „Wie kommt es eigentlich, dass Ihr doch zu Stein geworden seid? Ich dachte, Ihr wolltet das Ritual nicht vollziehen.“

„So ist es.“, bestätigte der Zwerg und schüttelte den Kopf, „Aber nach Vekk´s Tod … hat König Jalis mich dazu gezwungen.“

„Vekk? Der berühmte Portalist?!“, rief Ganda aufgeregt.

Und Seiketsu No Akari wollte gleichzeitig mit einem traurigen Unterton wissen: „Wie geht es König Jalis?“

„Ich weiß es nicht, Seiketsu. Ich stehe nicht in Kontakt mit den wenigen Deldrimor, die noch immer gegen die Zerstörer kämpfen.“, erklärte Odgen und wandte sich an die Asura: „Was Vekk angeht … ja, er war wohl wirklich einer der größten Eures Volkes. Und mein bester Freund.“

Zum ersten Mal seit dem Untergang von Orr erschien die Spur eines Lächelns um Ohtah Ryutaiyos Mundwinkel: „Die Situation der Zwerge könnte sich bald ändern … Ohne Primordus wird die lebenserhaltende Magie der Zerstörer bald schwinden.“

„Das wäre großartig!“, bestätigte Odgen Steinheiler und breitete die Arme aus, „Jetzt erzählt aber endlich mal, warum ihr hier seid.“

Ric Bärenklaue rückte zuerst mit der Sprache heraus: „Was weißt du über den sechsten Drachen?“

„Mein Gefühl hat mich also nicht getrübt … Mordremoth ist tatsächlich erwacht.“, meinte der Zwerg seufzend, „>Im Schatten seiner Brüder erwacht / zum sechsten Mal die Macht. / Erhebt sich aus den Tiefen heraus / das Licht schießt in den Himmel, geradeaus. / Was wird seinen Taten folgen? / Entdeckt sein Geheimnis, ihr Helden, ihr Holden!< Das ist alles, was ich euch dazu sagen kann. Uns wurden nur diese Worte vor Urzeiten von Glint anvertraut …“

Diese Neuigkeit wunderte weder Ohtah Ryutaiyo noch Seiketsu No Akari. Glint´s Prophezeiungen reichten weiter in die Vergangenheit und Zukunft als vorstellbar.

„Das heißt, im Grunde sind wir kein Stück weiter.“, stellte Ull Rosenknospe nüchtern fest.

Zojja winkte ab: „Wen interessiert das schon? Wir wissen, wo er sich befindet!“

„Ich werde euch helfen!“, entschied Odgen, „Es ist mir eine Ehre, erneut an eurer Seite zu stehen.“

Ohtah Ryutaiyo nickte: „Uns geht es genauso. Auf in den Maguuma-Dschungel!“
 

Shikon No Yosei saß vor Seira´s Weltenspiegel und verfolgte jeden Schritt ihrer Freunde. Es freute sie sehr, dass sich Odgen Steinheiler dem Team angeschlossen hatte. Und sogar die Klinge des Schicksals war bei ihnen geblieben. Nur Ohtah Ryutaiyo machte ihr Sorgen … Vor diesem Spiegel konnte sie seine Gedanken hören, wann immer er sie dachte – und das war ununterbrochen. Nicht einmal nach der Sache mit Abaddon´s Einfluss war er so … verletzt gewesen. Es war ihre Schuld – ihr Trick hatte ihn gebrochen. Für ihn war es eine nie endende Qual, jede einzelne Sekunde. Sie hatte gewusst, was sie ihm damit antat … Und dennoch hatte sie keine andere Wahl gehabt. Zwar war sie zu diesem Zeitpunkt noch Shikon Feenseele gewesen, aber ihre Seele blieb dieselbe – genauso wie seine. Suun, Seira´s Vorgänger hatte ihr einmal erklärt, wenn man sich an etwas nicht erinnern könne, hieße das nicht zwangsläufig, man hätte keine Erinnerungen daran … manchmal seien sie einfach nur verschüttet. Er hatte auch von zwei verschiedenen Gedächtnissen berichtet – dem Körpergedächtnis und dem Gedächtnis der Seele. Shikon No Yosei fragte sich unwillkürlich, ob die Sechs Götter einen solchen Ausgang der Geschehnisse vorausgesehen hatten. Seit ihrer Rückkehr hatte sie noch nicht mit ihnen gesprochen – ohne Ohtah Ryutaiyo und Seiketsu No Akari wollte sie ihnen nicht gegenübertreten.

Doch die beiden einstigen Legenden schlugen sich gerade mit ihren Freunden durch den unerforschten Teil des Maguuma-Dschungels. Ull Rosenknospe, Tear, Eir Stegalkin und Garm kehrten von ihrer Späherrunde zurück.

„Es ist seltsam … Überall herrscht das blühende Leben und die Vegetation ist auf einem sehr hohen Level. Absolut kein Anzeichen von Drachenverderbnis.“, erklärte die Sylvari nachdenklich, „Ob Mordemoth´s Einfluss noch zu gering ist?“

Ganda grübelte eine Weile darüber nach, dann meinte sie: „Das wäre eine Möglichkeit. Seine Auferstehung liegt noch nicht einmal einen Mondzyklus zurück.“

„Aber wenn man bedenkt, dass Primordus seine Diener bereits lange vor seinem Erwachen kontrollieren konnte, erschient das unlogisch.“, widersprach ihr Odgen.

Ric Bärenklaue lachte höhnisch: „Vielleicht versteckt er sich ja, wie ein mickriger Feigling!“

„Immerhin haben wir alle seine Vorgänger plattgemacht. Er wäre gut beraten, vorsichtig zu sein.“, stimmte Gwen Grimmpfote zu.

Doch Ohtah Ryutaiyo widersprach ihr: „Das glaube ich nicht. Er weiß mit Sicherheit, dass auch wir nicht unbesiegbar sind.“

Zum wiederholten Male legte sich Trauer über die Verbündeten.

Es war Logan, der sie wieder wachrüttelte: „Schluss damit, Leute! Was würde Lady Shikon davon halten, wenn sie sehen würde, wie wir uns hier aufführen?“

„Shiko …“, murmelte Seiketsu No Akari, „Sie wollte immer, dass ihre Freunde sie >Shiko< nennen.“

Er nickte zustimmend: „Ja, Shiko … Und ihr seid Team Shiko! Mehr noch, ihr Wille lebt in jedem von uns weiter! Shiko hat an euch geglaubt – sie tut es selbst jetzt noch!“

Ohtah Ryutaiyo´s Augen weiteten sich. So etwas würde Shikon No Yosei auch sagen … Warum fand Logan, an dessen Seite sie nur so kurze Zeit gekämpft hatte, die richtigen Worte, wenn sie doch seit Jahrhunderten seine Frau war? Er hatte sich gehen lassen, war viel zu sehr auf sich selbst fixiert gewesen und hatte dabei vollkommen ihre Gefühle vergessen … Für die Elementarmagierin war es kein Opfer gewesen, sondern ein Geschenk – ein Geschenk an ihre Freunde und alle Bewohner Tyria´s. Und er hatte dieses Geschenk mit Füßen getreten … Schluss damit! Er benahm sich ja schlimmer, als ein winselnder Skritt! Er kannte die Nebel und wusste, dass es Shikon No Yosei gut ging. Was dachte sie bloß von ihm? Sie musste ihn für furchtbar schwach halten. Dabei wollte er gerade für sie stark sein!

„Wir finden Mordremoth und beenden den Kampf gegen die Drachen!“, erklärte der Assassine mit fester Stimme, „Wir kennen bereits den Schrecken seiner Brüder – er soll nicht auch noch die Gelegenheit bekommen, Tyria zu tyrannisieren!“

Dafür erntete er Jubelschreie und Applaus. Ganz Team Shiko wirkte optimistischer und die Klinge des Schicksals war unglaublich stolz auf ihre Schützlinge. Damit marschierte die Allianz mit neuer Entschlossenheit weiter, um das Geheimnis des sechsten Alt-Drachens zu lüften. Der Dschungel war genau so, wie Ull Rosenknospe berichtet hatte – ein Ort voller Leben, ganz im Gegensatz zu Orr. Hier wimmelte es überall von Tieren, Insekten und anderen Lebewesen.
 

Der Wächter von Tyria

Nach einigen Tagen durchbrachen sie das dichte Gehölz und standen vor einem weiten Tal, das vollkommen von einem runden Nest auf Pflanzen eingenommen wurde.

„Das ist wohl Mordremoth´s Versteck.“, bemerkte Odgen und alle nickten.

Das Herz schlug den verbündeten Kämpfern sprichwörtlich bis zum Hals. Außer seinem Namen wussten sie rein gar nichts über Mordremoth – nicht welche Magie er gebrauchte, ob er bereits Diener oder gar welche Schwäche er hatte.

Vor dem Weltenspiegel sitzend, legte Shikon No Yosei die Hände über ihr Herz und flüsterte: „Seid mutig … Ich weiß, ihr schafft es! Denkt an Glint´s Worte … Mordremoth ist kein gewöhnlicher Drache. Ohtah, Seiketsu … ihr alle, erkennt die Wahrheit! Lasst euren Blick nicht von Hass und Vorurteilen trüben.“

Im Maguuma-Dschungel frischte bei diesen Worten der Wind auf, eine Quelle erwachte zum Leben, aus der Erde sprossen Blumen und die Sonne verstärkte ihren Schein … an diesem Ort wirkten die vier Elemente. Der geschickte Assassine und die junge Mönchin sahen sich überrascht an, in ihren Köpfen hallte derselbe Gedanke – Shikon No Yosei hatte ihnen eine Botschaft geschickt!

„Wie kommen wir da rein?“, wollte Ganda ausnahmsweise ratlos wissen.

Ric Bärenklaue spannte die Muskeln an und antwortete: „Überlasst das nur mir!“

Wie ein Berserker schlug er mit seiner mächtigen Klinge immer wieder auf dieselbe Stelle ein, bis tatsächlich so etwas wie ein Durchgang entstanden war. Team Shiko und die Klinge des Schicksals stürmten hinein, bevor sich der Zugang wieder schließen konnte. Im Innern rankten überall Pflanzen, bildeten Wege und sogar Stufen.

„Wieso sieht das Versteck eines Drachens so aus?“, wunderte sich Ull Rosenknospe mit verärgertem Unterton, „Sie sind voller Leben … genauso wie die Gewächse im Hain. Wie ist das nur möglich?“

Die Nekromantin knurrte: „Glaubst du, er könnte die Magie deines Volkes gestohlen haben? Der Maguuma-Dschungel ist immerhin mit der Befleckten Küste verbunden.“

Niemand antwortete, zu furchtbar war diese Vorstellung.

„Gehen wir weiter … Vielleicht begreifen wir es, wenn wir ihn gefunden haben.“, meinte Seiketsu No Akari.

Der spiralförmige Weg, den sie gewählt hatten, führte mitten ins Herz des Pflanzenknäuels.

„Da seid ihr ja … Willkommen.“, empfing sie eine tiefe Stimme, die von überall zugleich kam.

Der Assassine umfasste seine Dolche fester und erwiderte: „Komm´ raus, Mordremoth! Wir werden deine Spielchen nicht mitmachen, egal was du vorhast!“

Sofort begannen die Wände zu wackeln, alles vorformte sich. In den Helden keimte ein schrecklicher Gedanke – dies war nicht Mordremoth´s Versteck, sondern sein Körper! Sie waren blindlings in seine Falle getappt. Ohtah Ryutaiyo hätte sich selbst ohrfeigen können – welcher richtige Anführer führte sein Team vollkommen planlos in die Höhle des Löwen oder in diesem Fall in die Höhle des Drachens? Nein, noch war es nicht vorbei; sie hatten sich schon öfters in fast ausweglosen Situationen befunden.

Da sprach Mordremoth weiter: „Ich kenne das Leid dieser Welt … Als meine Brüder erwachten, brachten sie Trauer und Qual über Tyria. Aber sie sind nicht die Wurzel des Übels. Seiketsu No Akari und Ohtah Ryutaiyo, ich weiß auch über euch Bescheid … Ihr solltet wissen, dass das Böse niemals vernichtet werden kann! Es wird immer wiederkehren …“

Er wollte etwas erwidern, schwieg aber. In seinem Kopf rasten die Gedanken. Was würde Shikon No Yosei jetzt tun? Was erwarteten seine Freunde und Verbündeten von ihm?

„Es gibt Mächte in dieser Welt, von denen weder seine Bewohner etwas ahnen noch die Sechs Götter.“, fuhr der Alt-Drache fort, „Eine von ihnen hat die Sylvari erschaffen … und auch mir das Leben geschenkt. Ich bin anders als meine Brüder. Ich sinne nicht auf Zerstörung.“

Diesmal war es Rytlock Brimstone, der nicht an sich halten konnte: „Lächerlich! Ein Drache, der unser Land nicht ins Verderben stürzen will? Was für ein Schwachsinn!

„Aus dir sprechen Verbitterung … und Verzweiflung … Du hast zu viel schlechtes erfahren.“, stellte Mordremoth fest, „Meine Brüder können euch und dieser Welt nichts mehr antun … Aber ihr Ende ist nicht das Ende eures Kampfes! Sei es der Alptraumhof, die Söhne Svannir´s, die Inquestur, die Flammen-Legion oder sonst eine dunkle Organisation … Tyria braucht mehr, als nur eine … oder zwei Generationen von Helden!“

Da dämmerte es Seiketsu No Akari plötzlich, sie kannte nun den Grund für Mordremoth´s Erwachen: „Ich verstehe … >Im Schatten seiner Brüder erwacht / zum sechsten Mal die Macht. / Erhebt sich aus den Tiefen heraus / das Licht schießt in den Himmel, geradeaus. / Was wird seinen Taten folgen? / Entdeckt sein Geheimnis, ihr Helden, ihr Holden!< Du wirst Tyria nicht vernichten – du willst uns beschützen!“

Die Mitglieder von Team Shiko und der Klinge des Schicksals verloren den Boden unter den Füßen und sie standen völlig unversehrt wieder am Rande des Tals. Vor sich Mordremoth, dessen Körper wahrlich aus Pflanzen zu bestehen schien, und sie mit glänzend schwarzen Augen betrachtete. Ull Rosenknospe und Caithe holten hörbar Luft. Sie erkannten die Macht, die von ihm ausging – die Energie des Lebens. Auch Seiketsu No Akari spürte es, ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Nach und nach begriffen alle Helden, was Mordremoth in Wirklichkeit war.

Die Worte kamen einfach so aus Ohtah Ryutaiyos Mund, ohne dass er sie zurückhalten konnte: „Mordremoth … der Drache des Lebens … und Wächter von Tyria!“

Wie zur Bestätigung öffnete der Alt-Drache sein Maul und ein donnerndes Brüllen drang daraus hervor – ein Brüllen, das man in ganz Tyria und darüber hinaus hören konnte; ein Brüllen, das den Beginn eines neuen Zeitalters verkündete. Eine Zeit des Friedens … Da überzog sich der Himmel mit einem gigantischen Regenbogen – die Sechs Götter hatten ihren Segen wieder über ganz Tyria gelegt. Staunend betrachteten die einstigen Legenden ihr Werk. Ohtah Ryutaiyo griff nach Seiketsu No Akari´s Hand und drückte sie leicht. Ihr Auftrag war erfüllt … mehr als das. Von nun an würden andere Helden zusammen mit Mordremoth diese Welt und die verschiedenen Völker beschützen!

Ein eigenartiges Gefühl stieg in den beiden auf, das sie vor Jahrzehnten schon einmal verspürt hatten – der Ruf der Nebel.

„Es ist soweit.“, erklärte Ohtah Ryutaiyo und sah jeden seiner Freunde einzeln an, „Ich weiß, dass Shiko glücklich gewesen ist, euch alle kennenlernen zu dürfen. Und ich schließe mich ihr an … Allein dafür hat sich unsere Wiedergeburt gelohnt. Jetzt ist es an euch über Tyria und die anderen Kontinente zu wachen. Deshalb bitte ich euch zum Abschied, stellt den Kontakt zu Cantha und Elona wieder her! Dort wird die Herrschaft der Drachen auch zu spüren gewesen sein …“

Die kleine Asura hüpfte in die Luft und sagte aufgeregt: „Verlasst Euch auf uns! Ich werde schon irgendwie ein Portal dorthin öffnen.“

„Um eure einstige Heimat zurückzuerobern, würden wir alles geben!“, bestätigte Gwen Grimmpfote.

Ric Bärenklaue klopfte ihm kräftig auf die Schulter, während er versprach: „Ihr werdet bei keinem Volk jemals in Vergessenheit geraten – dafür sorge ich persönlich!“

„Unser Mutterbaum wird all unsere Erinnerungen an Euch an ihre Kinder weitergeben.“, meinte Ull Rosenknospe und Tear heulte traurig.

Ohtah Ryutaiyo lächelte dankbar und richtete seinen Blick auf Odgen Steinheiler, der ihm die Hand reichte.

„Grüß´ Shiko von mir, mein Freund … Auch wenn die Zwerge im Verborgenen hausen, unsere Schriften bestehen fort.“, erklärte der Zwerg und wandte sich an Seiketsu No Akari, welche bislang geschwiegen hatte, „Wenn ich König Jalis treffe, werde ich ihm von unserem Wiedersehen berichten. Auch wenn das Ritual ihn damals verändert hat – er hat dich wie eine Tochter geliebt.“

Tränen traten der jungen Mönchin in die Augen. Und so schwer es ihr fiel, sah sie zur Klinge des Schicksals. Stolz und Ehrerbietung für sie und Ohtah Ryutaiyo stand auf ihren Gesichtern geschrieben. Aber auch Schmerz. Sie waren weit mehr als nur Verbündete, sie waren Freunde geworden. Jeder von ihnen hatte mit seinem Leben für den anderen eingestanden.

Der Assassine legte eine Hand auf ihre Schulter und flüsterte: „Shiko und ich warten auf dich.“

Mit diesen Worten verschwand er aus Tyria, aus seinem zweiten Leben. Doch nur wenige Sekunden später wurde er in den Nebeln von seiner geliebten Shikon No Yosei in die Arme geschlossen, die ihn sehnsüchtig erwartet hatte.

Ohne die Tränen von ihren Wangen zu wischen, trat Seiketsu No Akari Logan gegenüber. Im Stillen fragte sie sich, ob sie nicht doch hierbleiben könne … In der nächsten Sekunde verwarf sie den Gedanken schon wieder. In Götterfels gab es jemanden, zu dem er gehörte. Und auch sie wollte in den Nebeln nach einer bestimmten Seele suchen, die seit fast einer Ewigkeit auf Seiketsu No Akari wartete. Seit sie ihn auf Shing Jea mit Toki No Kibo im Arm gehen ließ …

„Hauptmann Thackeray, ich bin froh, Eure Schülerin gewesen zu sein.“, brachte sie mit Mühe über die Lippen, „Darum wünsche ich mir, dass Ihr glücklich werdet. Sagt Königin Jennah, was Ihr für sie empfindet! Ich bitte Euch … Logan.“

Seine Augen weiteten sich. Sie drehte ihm den Rücken zu, schloss die Augen. Es war gut so … Ihre Aura begann bereits zu flackern, da packte sie jemand am Arm. Überrascht schaute sie noch einmal in das Antlitz des Wächters, der sie an sich heranzog und überraschend küsste.

„Dieser Augenblick gehört ganz allein dir …“, hauchte er gegen ihre Lippen und Seiketsu No Akari löste sich endgültig auf.

Seiketsu Lichtsegen fühlte sofort die Vertrautheit der Nebel und spürte noch Logan´s Druck auf ihren Lippen. Sie lächelte sanft, bevor sie dem »Empfangskomitee« entgegen rannte. Die drei einstigen Legenden hielten sich aneinander fest. Endlich waren sie wieder vereint! Mit jeder weiteren Sekunde löste sie sich mehr von dem Schmerz, den sie in sich verborgen gehalten hatte – hier gehörte sie hin, zu Shikon No Yosei und Ohtah Ryutaiyo!

„Auch wenn ihrkeine Gesandten mehr seid, werden die Nebel immer eure Zuflucht sein … Der Segen der Sechs Götter wird euch in jede Welt begleiten.“, machte Seira auf sich aufmerksam.

Shikon No Yosei löste sich von ihren Lieben und fragte: „Und wir werden uns wirklich in jedem kommenden Leben neu kennenlernen?“

„So ist es, Shiko. Keine Macht wird euch jemals voneinander fernhalten können. Ihr gehört auf ewig zusammen!“, bestätigte das Orakel mit einem Lächeln, „Und es gibt noch jemanden, der dich im nächsten Leben wiedersehen will, Seiketsu …“

Die Mönchin horchte auf und ihre Wangen färbten sich rot … Klerus.

Ohtah Ryutaiyo nahm die Hand seiner Geliebten und sprach: „Ich liebe dich, Shiko. Als Ohtah Shadowdragon konnte ich dir meine Liebe nicht mehr gestehen … Deshalb schwöre ich dir hiermit, egal in welcher Welt wir uns als nächstes begegnen werden, ich werde dich finden! Und dann … möchte ich, dass du wieder meine Frau wirst!“

Könnte sie in den Nebeln weinen, wären wohl unzählige ihrer Tränen geflossen – so hauchte sie nur ihre Antwort: „Ja, das werde ich … immer und immer wieder.“

Lächelnd griff sie mit freien Hand nach Seiketsu No Akari und gemeinsam schlossen die drei einstigen Legenden ihre Augen … in Erwartung ihres nächsten Lebens.

„Macht euch jetzt bereit. Eure Seelen müssen erst einmal zur Ruhe kommen … Ihr habt viel durchgemacht. Schlaft, bis zu eurer nächsten Wiedergeburt.“, sagte die Norn und wirkte den Zauber.
 

Während Shikon No Yosei´s, Ohtah Ryutaiyo´s und Seiketsu No Akari´s Seelen in einen traumähnlichen Zustand ausharrten, verflogen Tage, Wochen, Monate, gar Jahre – jeder ihrer Freunde hatte seine eigene Bestimmung gefunden, denn der Kampf gegen die Alt-Drachen war für sie nur der Anfang gewesen …

In Götterfels herrschte Königin Jennah weiterhin mit gerechter Hand. Doch ohne Mann an ihrer Seite, alle Avancen hatte sie zurückgewiesen … Trotzdem wuchs ein mutiger, junger Prinz an ihrer Seite heran, der ihren Thron in ferner Zukunft erben würde. Denn Logan Thackeray hatte sein Versprechen gegenüber seiner Schülerin gehalten und Jennah seine wahren Gefühle offenbart. Aber auch wenn sie seine Liebe erwiderte, den Bund konnte sie nicht mit ihm eingehen – die Gesetze Kryta´s verboten einen Ehepartner ohne königliches Geblüt. Dies hielt die beiden allerdings nicht davon ab, heimlich zusammen zu sein. Und obwohl der kleine Keiran nicht ahnte, dass Logan nicht nur sein Lehrmeister war, sondern auch sein Vater, liebte er ihn wie einen solchen.

Rytlock Brimstone, der Logan wieder als Bruder betrachtete, hatte sich den Titel des Khan-Ur erkämpft, des einzig wahren Anführers seines Volkes. Bislang wagte sich kein anderer den Herrscherposten für sich zu beanspruchen – nicht nachdem Rytlock die Flammen-Legion ausgelöscht und damit zahlreiche, treue Anhänger um sich gescharrt hatte.

Zu ihnen gehörte vor allen anderen Gwen Grimmpfote, Pardon Tribun Gwen Grimmpfote. Sie war nach ihrer Rückkehr einstimmig befördert worden. Rytlock Bimstone machte daraufhin Klauensporn darauf aufmerksam, dass die Nekromantin nun ein sehr gefragtes Weibchen sei, schließlich habe sie bei der Rettung Tyria´s mitgewirkt … Daraufhin fasste er sich ein Herz und forderte sie tatsächlich zum Kampf heraus, den er fair und ehrlich gewann. Seitdem stand er als Zenturio und Partner an ihrer Seite.

Mindestens genauso gefragt war Ric Bärenklaue, der große Held, der die Norn in die Fernen Zittergipfel zurückgeführt hatte. Seine Erwählte Kadlin war die uneheliche Tochter von Knut Weißbär, dem Herrscher der Großen Halle von Hoelbrak – obwohl ihre Beziehung nur als einfache Affäre begonnen hatte.

Seine Meisterin Eir Stegalkin dagegen widmete ihr Leben weiterhin ihrer Leidenschaft, der Bildhauerei. So hatte sie drei gigantische Abbilder von Shikon Feenseele, Seiketsu Lichtsegen und Ohtah Shadowdragon geschaffen, welche den Zentralplatz vor dem königlichen Palast zierten. Was Garm anging – Eir hatte ihn in die Wälder entlassen, wo er sich ein eigenes Rudel aufgebaut hatte.

Ihr Zwist mit Zojja war inzwischen längst vergessen. Die zynische Golemantin hatte Snaff´s Labor übernommen, um seine Forschung der gedankengesteuerten Golems weiterzuführen – zusammen mit einigen, jungen Asura, die sie ausbilden wollte.

Unterstützung erhielt sie natürlich von Ganda, die in den Arkanen Rat berufen worden war und ihn tatkräftig aufmischte. Ihr Spezialgebiet waren Verhandlungen mit anderen Völkern. Selbst die starrköpfigsten Asura hatten durch die Erfolge von Team Shiko begriffen, dass Tyria in Zukunft nur bestehen konnte, wenn alle gemeinsam lebten. Und Mordremorth´s Erwachen brachte ihr sogar jenen Asura zurück, an den sie im Geheimen ihr Herz verloren hatte.

Als Widergänger hatte Lucc noch immer eine starke Verbindung zu den Nebeln und konnte die Macht der hiesigen Geister für sich nutzen.

Von einem gemeinsamen Leben mit ihrer Liebsten konnte Caithe nur noch träumen … Sie besuchte jeden Tag die Omphalos-Kammer des Blassen Baums in der Hoffnung dort eine Blume vorzufinden, welche die Seele Faolain´s in sich trug, die durch ihre eigene Hand vom Alptraum erlöst worden war. Nur dass bislang kein Sylvari, der sich einmal von der Baummutter abgewandt hatte, jemals zu ihr zurückgekehrt wäre …

Vor der Heimkehr der großen Helden war Trahearne ein ebenso häufiger Besucher des Mutterbaums gewesen. Dort hatte Ull Rosenknospe ihn im Gebet versunken gefunden und ihm endlich ihre Liebe gestanden. Natürlich blieb Tear trotz des neuen Mitbewohners stets an der Seite ihrer Herrin.

Auch Odgen Steinheiler hatte sich auf die Suche gemacht. Auf die Suche nach Überlebenden seines Volkes … Nachdem Primordus´ Einfluss in den Tiefen von Tyria versiegt war, konnten die Zwerge ihre Waffen endlich ruhen lassen und – entgegen der Prophezeiung aus dem Foliant des Rubikon – weiterexistieren.

Über all diese Geschehnisse wachte Mordremoth als Wächter. Niemals würde er zulassen, dass Tyria noch einmal solche Qualen erleiden musste, wie unter der Herrschaft seiner Brüder … Darum wird er eines Tages gemeinsam mit Team Shiko das Versprechen an Ohtah Ryutaiyo wahrmachen und Cantha und Elona von den finsteren Einflüssen befreien, die sie ins Unglück stürzen wollen!
 

Von alle dem werden Shikon No Yosei, Ohtah Ryutaiyo und Seiketsu No Akari nie etwas erfahren – nur das tiefe Vertrauen in ihre Freunde und Verbündeten Ganda, Ric Bärenklaue, Gwen Grimmpfote, Ull Rosenknospe, Tear, Logan Thackeray, Rytlock Brimstone, Caithe, Eir Stegalkin, Garm, Zojja und Mordremoth lassen sie auf glücklichere Zeiten in Tyria und neue, ruhmreiche Helden hoffen.

Was aus Shikon No Yosei, Ohtah Ryutaiyo und Seiketsu No Akari werden wird, ist ungewiss … So werden sie – unter welchem Namen sie auch immer leben werden – dennoch stets dieselben sein und doch nie die Gleichen. Unzählige, fremde Welten und Dimensionen erwarten die drei einstigen Legenden, die niemals wirklich in Vergessenheit geraten werden! So liegt im Kloster von Shing Jea noch heute das Buch über ihre zahlreichen Abenteuer aus ihrem ersten Leben und sei es der Blasse Baum, die Geschichtsschreiber von Götterfels, die Skalden der Norn oder sonst ein Wesen – irgendjemand wird die Geschichte von Team Shiko und ihrem Kampf gegen die fünf Alt-Drachen und des Wächters von Tyria weitertragen … für alle Zeiten! Darum mögen die Sechs Götter und die Geister der Nebel über sie wachen, bis wir uns irgendwann in einer neuen Welt, in einer anderen Dimension wiedersehen …


Nachwort zu diesem Kapitel:
Damit endet das letzte Buch, welches in der Welt von Guild Wars spielt - doch freut euch auf einige Specials über Team Shiko und das 9. Buch der Legende von Shikon No Yosei! Komplett anzeigen

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