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Die Zauberin und der Fall der Arkana

Die Abenteuer der Zauberin Freya, vierte Staffel
von

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Freya in: (24) Im Griff der Schwarzen Eiche (Karte: Nacht, umgekehrt)

Akt 4, Szene 1 – Ansage
 

Die Handlung setzt auf Andergasts Marktplatz wieder ein. Rufus lehnt an einen Brunnen und unterhält sich mit Rosa, einer Blumenverkäuferin, die ihre Waren in einem Bauchladen mit sich führt, während Statisten ihren Geschäften nachgehen. Im Gespräch selbst wenden sich beide gelegentlich der Umwelt zu: Rosa, um ihre Waren den Passanten feilzubieten, und Rufus, wenn er Kutschen nachblickt.
 

Rufus: Orchideen, für mich geht nichts über Orchideen. Meine Mutter züchtet welche im Garten, zuhause in Grangor, und rate mal, wer die dann immer gießen muss? Dafür sind sie dann schön rot und riechen gut. Wenn ich eine bei mir hätte, würde ich sie dir schenken.
 

Rosa: (lachend) Wenn ich eine bekommen würde, würde ich sie verkaufen.
 

Rufus: Ich finde ja, sie sollte mal Lotus züchten. Wozu lebt man denn in Grangor, wenn man nicht den Garten unter Wasser setzt?
 

Rosa: Du hast Sorgen.
 

Rufus: Allerdings. Ich verlange Mitleid. (lacht) Was wäre denn deiner Meinung nach eine gute Willkommensblume für eine wirklich liebe Gefährtin?
 

Rosa: Das kommt darauf an. Möchtest du, dass sie mehr wird?
 

Rufus: Nein, ganz und gar nicht. Das hätte ich haben können, doch unsere Freundschaft war mir wichtiger.
 

Rosa: Dann kaufe ihr etwas, was dem Blumenmädchen richtig viel Geld einbringt.
 

Rufus: Du nimmst mich nicht ernst. (Pause) Hast du Feuer?
 

Rosa: Wenn du schon rauchst, dann bitte nicht neben mir. Meine Blumen leben von ihrem Duft.
 

Rufus: Dann nicht. (Pause) Gehst du heute Abend mit mir aus?
 

Rosa: Geht das vielleicht auch etwas romantischer?
 

Rufus: Teuerste Rosa! Deine Lippen sind eine Schatzkammer voller Rubine, dein Haar ist… blond und du hast schöne Hupen. Gehst du mit mir aus?
 

Rosa: Du bist furchtbar.
 

Rufus: Das ist ein Ja. Ich hole dich ab, wenn die Marktglocke schlägt.
 

Rosa: (lacht) Dann ist es halt ein Ja. Mache dir aber keine zu großen Hoffnungen: Die neuen Herren sind mir der Sperrstunde ziemlich streng.
 

Black.
 

Akt 4, Szene 2 – Andergasts Umland, Alter Friedhof vor der Stadt
 

Gunda und Turike bevölkern wartend die Bühne, verschwörerisch gekleidet und spürbar angespannt. Nach einer Weile tritt auch Iskara auf und geht auf sie zu.
 

Iskara: Kurkum.
 

Gunda: Kurkum.
 

Nach dieser Parole entspannen sie sich.
 

Gunda: Wir waren in Sorge.
 

Iskara: Es gab ein paar Schwierigkeiten, doch ich bin ja schon ein großes Mädchen, nicht wahr? Leider heißt das auch: Es geht ziemlich hässlich zu in Andergast.
 

Gunda: Das war zu befürchten.
 

Iskara: Massenweise Söldnervolk marschierte in die Stadt ein und beherrscht sie nun, geführt von einem Kanzler. Der König floh nach Teshkal und sammelt dort seine Getreuen.
 

Gunda: Sind Söldner in schwarzen Uniformen dabei, mit silbernen säbelförmigen Broschen?
 

Iskara: Ja, zum Teil.
 

Turike: Schwarze Säbel von Kuslik. Ihr General nutzte vor zwölf Jahren und Mineda seitdem jedes Mal.
 

Iskara: Ich kenne sie. Nervas Garde vor vier Jahren, Nervas Garde heute. Er ist der Kanzler und beherrscht die Stadt.
 

Gunda: Und die Bürger nehmen es hin?
 

Iskara: Sie tun, was sie können. Damit kommen wir nämlich zu den guten Nachrichten.
 

Turike: Deine Schmugglerfreunde?
 

Iskara: (nickt) Sie werden uns heute Nacht in die Stadt bringen und uns eine Unterkunft zur Verfügung stellen. Wenn wir noch Ausrüstung brauchen, lasst es mich wissen.
 

Turike: Gut gemacht.
 

Gunda: Sancide?
 

Iskara: War in der Stadt, ist jedoch vom Erdboden verschwunden.
 

Black.
 

Akt 4, Szene 3 – Andergasts Umland, Freyas Nest
 

Die Bühne ist eine verfallende Holzhütte, in der Sancide verweilt – Zivilkleidung tragend und nach dem Alptraum aussehend, den sie durchlebte. Sie hält sich sehr im Schatten und ist für den Zuschauer vielleicht noch nicht zu erkennen. Dann tritt Rinn in Erzählerfunktion – Freyas Kurzschwert mit sich führend – auf.
 

Rinn: An einem Tag vor zwölf Jahren trat Carro an die junge Firlina heran und sagte zu ihr: „Lass dich auf mich ein, dann werde ich dich zur Heldin machen.“ Er nahm sie mit in eine Hütte im Wald, um sie zu lieben, stürzte mit ihrer Hilfe den General und verschwand, während sie sich feiern ließ. Die Hütte hingegen, die ihr als Belohnung überlassen wurde, blieb seit Jahren verlassen.
 

Rinn geht ab, während Freya langsam auftritt und sich nervös umsieht. Erst jetzt tritt Sancide langsam ins Licht.
 

Freya: Du bist hier.
 

Sancide: Ja. (Pause) Ich habe keinen Tee mehr.
 

Freya: Ich auch nicht.
 

Freya bricht in Tränen aus und heult sich an Sancides Schulter aus. Diese versucht, sie zu trösten. Zeit vergeht.
 

Freya: Die Zauberkönigin hat uns verraten. (Pause) Sage mir, wie konnte sie das nur tun?
 

Sancide: Ich weiß es nicht.
 

Freya: Ich kann nicht mehr. Verstehst du? Ich bin mit meiner Kraft am Ende. Nimm meine Hand. Führe mich, wohin du magst.
 

Sancide: Laufe mit mir davon.
 

Freya: (nach einer Pause) Wohin?
 

Sancide: (nach einer Pause) Nirgendwohin. (Pause) Was sagt die Stimme in deinem Stab?
 

Freya: Ich soll der Zauberkönigin folgen und klar machen, dass sie nicht davonlaufen kann.
 

Sancide: Na also. Ich verlasse mich auf dich. Du warst schon immer da, wenn es wichtig war.
 

Freya: Danke.
 

Zeit vergeht. Schließlich tritt Lorana auf, grüßt knapp und steht an der Tür Wache, durch die nun Marja auftritt.
 

Marja: Dem Kaiser zum Gruße. Kommandantin. Freya.
 

Freya: (kühl) Hallo, Marja. Sei mein Gast.
 

Marja: Das ist furchtbar lieb, doch wir müssen weiter. (sie lässt sich von Lorana ein Kleidungsstück geben, welches sie Sancide zuwirft.) Deine Robe ist wieder trocken.
 

Sancide zieht die Magierrobe der Schwarzen Gilde über ihre Zivilkleidung.
 

Marja: Wir haben dich überall gesucht. Was ist in Andergast geschehen?
 

Sancide: (mit Blick auf Freya) Später.
 

Marja: Du hast recht, es wird bald dunkel. Lorana! Aufbruch.
 

Lorana geht ab. Sancide möchte zusammen mit Marja folgen, doch dreht sich noch einmal um und spricht zu Freya.
 

Sancide: Lina! Wenn wir uns nicht mehr sehen…
 

Freya: Es wird alles gut werden. Pass auf dich auf.
 

Sancide: Ja, du auch.
 

Sancide und Marja gehen ab. Black.
 

Akt 3, Szene 5 – Andergast, Leidolins Schneiderladen
 

Der Schneiderladen von Sancides Bruder ist verwüstet. Iskara beginnt auf der Bühne und durchsucht die Trümmer nach Hinweisen, während Sancide aufgeht.
 

Sancide: Bleibe sie stehen. Keine Bewegung.
 

Iskara: Heerbann!
 

Sancide: Ich wüsste davon. Was hat sie meinem Bruder angetan?
 

Iskara: Heerbann! Ich suche Spuren.
 

Sancide: Wohin wurde er verschleppt? Lebt er noch? Antworte sie.
 

In diesem Moment gehen Gunda, Turike und Keikin aus dem Haus und Lorana und Marja von außen auf.
 

Gunda: Beruhige dich. Die Kleine gehört zu uns.
 

Sancide: (ohne sich umzudrehen) Keikin! Du hast den Heerbann verraten und bist kein Teil mehr von uns!
 

Marja: Was ist los? Das meinst du nicht ernst, oder?
 

Sancide: Tue ich. Gehe sie. Ihr Name ist von diesem Moment an erloschen, sie ist nun als die Nivesin aus den Reihen unserer Feinde bekannt.
 

Keikin nimmt, von allen Blicken verfolgt, ihren Bogen und geht wortlos ab. Sancide entspannt sich und wendet sich sanfter Iskara zu.
 

Sancide: Sieh mir den ruppigen Empfang nach, Kleine. Ich bin Sancide.
 

Iskara: Iskara vom Weißrittershof.
 

Gunda: Sie brachte uns auf Schmugglerpfade durchs Königreich bis in die Stadt. Es steckt wirklich viel in ihr.
 

Sancide: Das freut mich, zu hören.
 

Sancide umarmt Iskara sanft.
 

Marja: Rekrutin! Bereite sie sich darauf vor, den Eid zu schwören.
 

Sancide: Geschenkt. (zu Iskara) Das ist ein Beweis meines Vertrauens. Nun berichte.
 

Iskara: Euer…
 

Sancide: (unterbricht) Dein.
 

Iskara: Dein Bruder wurde entführt. In dem Schreiben steht, dass er sterben wird, wenn du dich nicht auslieferst.
 

Gunda: Wir sind gerade erst eingetroffen. Man erzählt sich, dass er im Kerker der Königsburg schmachtet.
 

Sancide: Mein armer Laidolo. Wir lassen ihn sterben.
 

Lorana: (tritt vor) Heerbann!
 

Turike: (tritt vor) Heerbann!
 

Lorana: Wer einer der unseren angreift, der greift uns alle an. Das müssen wir sie büßen lassen.
 

Sancide: Wie stellst du dir das vor? Wir sechs treten gegen Banner an. Wenn wir uns von ihnen leiten lassen, gehen wir unter.
 

Lorana: Niemand von uns fürchtet den Kampf.
 

Sancide: (nach einer Weile) Iskara, was meinst du?
 

Iskara: (Pause) Du hast recht.
 

Sancide: Braves Mädchen. Blicke sie an, die Lanzerinnen; ab heute trägst du die Verantwortung für sie.
 

Iskara: (Pause) Natürlich.
 

Sancide: Gunda, von dir hörte ich noch gar nichts. Was denkst du?
 

Gunda: Du hast recht. Es gibt nichts Schmerzlicheres für eine Kommandantin, als Opfer bringen zu müssen.
 

Sancide: Wo du es gerade ansprichst: Du bist von deinem Schwur entbunden und von nun an kein Teil des Heerbanns mehr. Kehre zu deiner Herrin nach Teshkal zurück.
 

Gunda: Das glaube ich nicht.
 

Sancide: Du kannst auch in der Stadt bleiben, es ist mir gleich – bloß gehe!
 

Gunda: Du bist von Sinnen. Das werde ich nicht vergessen. (zu den anderen) Lebt wohl.
 

Gunda nimmt ihren Bogen und geht ab. Sancide wartet noch einen Augenblick, ehe sie fortfährt.
 

Sancide: Damit wären wir fünf Gefährten. Das ist perfekt, ich brauche keinen mehr und keinen weniger. Nun tretet heran und hört mir zu, wenn ich euch sage, wo wir tatsächlich angreifen.
 

Sie treten an Sancide heran. Black.
 

Akt 3, Szene 6 – Andergast, Leidolins Schneiderladen, Separee
 

Marja und Sancide betreten Leidolins Arbeitsraum, der genauso verwüstet ist wie der öffentliche Teil des Ladens.
 

Sancide: Sprich dich aus.
 

Marja: (wütend) Was sollte das eben?
 

Sancide: Was denn? Dass ich Keikin rauswarf? Seit Jahren liegst du mir damit in den Ohren und nun…
 

Marja: Mache dich nicht lächerlich! Denkst du, es interessiert mich auch nur ansatzweise, was du Keikin oder einem Bruder oder Gunda oder der Kleinen oder irgendeiner deiner Schneiderpuppen antust? Keikin hat’s verdient, Gunda nicht und um deinen Bruder hast du dich eh nie gekümmert. Fein. Deine Familie, dein Heerbann, nicht meiner. Was du allerdings niemals wagen solltest – und nicht einmal daran wagen, zu denken –, ist, mich auf die gleiche Weise zu behandeln. Ich kenne dich, Frau Ruthorin, ich kenne dich besser, als dir lieb sein kann. Hast du mich verstanden?
 

Sancide: War es das jetzt?
 

Marja: Oh nein, so einfach wird das für dich nicht. Ich möchte wissen, was nur in deinem strohdummen Schädelchen vorgeht. Du überschätzt dich nämlich maßlos, kleines Schneiderchen. Du denkst wirklich, der Heerbann wäre dein Werk. Soll ich dir etwas verraten? Ohne deine Offiziere wärst du ein Nichts. Ohne Keikin! Ohne Gunda! Ohne Marinna! Ohne mich!
 

Sancide: Möchtest du gehen?
 

Marja: Und wie ein geprügelter Hund von dannen schleichen? Ich habe dir meine besten Jahre geopfert. Ich bleibe bis zum Ende. Du musst mich jedoch in deinen Schädel schauen lassen. Was immer du planst: Ich muss die erste Person sein, die es erfährt, nicht die letzte. Sag es!
 

Sancide: Du bist eine wundervolle Adjutantin und ich bin dir sehr dankbar. Im Moment gibt es nichts, was du noch wissen musst.
 

Marja: Ach, San, es ist doch alles nicht so gemeint. Du musst nur endlich einmal lernen, auf andere Rücksicht zu nehmen. Komm. Es ist wieder gut. (Pause) Was ist in Andergast passiert?
 

Sancide: Aljawa Walsareffnaja wollte mich an Nerva verkaufen. Sie hat sich mitsamt ihrer Hausmacht den Aufständischen angeschlossen.
 

Black.
 

Akt 3, Szene 7 – Andergast, Marktplatz vor dem Praiostempel
 

Rufus sitzt lesend und einen Blumenstrauß mit sich führend auf dem Markt. Rinn geht auf und auf ihn zu.
 

Rinn: Hallo. Was liest du?
 

Rufus hält ihr den Buchrücken hin.
 

Rinn: Was ist das? Ich kann es nicht lesen.
 

Rufus: Die Geschichte der heiligen Thalionmel und die Verteidigung ihrer Heimatstadt gegen die Ungläubigen. (Pause) Eigentlich mag ich ja keine Frauen in der Hauptrolle, doch in dieser wird richtig oft gekämpft.
 

Rinn: Wie endet es?
 

Rufus: (blickt ans Ende) Sie lebte glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage.
 

Rinn: Eine schöne Geschichte. Möchtest du eine hören, die ich dir zu erzählen habe?
 

Rufus: Wird darin gekämpft?
 

Rinn: Sicherlich. Es ist die Legende der Zauberkönigin. (sie setzt sich zu ihm) Es war einmal vor langer, langer Zeit, noch ehe das Menschengeschlecht aus dem Schoß der Tochter entstiegen war, da beherrschten die Elfen das Land unter der Führung ihrer Prophetenkaiserin Orima. Ihr Palast war groß wie eine ganze Stadt und erstrahlte doch in jedem Winkel in Marmor, Kristall und Magie, ihr Heer umfasste Legionen und wenn sie Feste feierte, dann reisten Könige aus allen Winkeln der Welt an und kehrten reich beschenkt, doch schwer beschämt zurück von all der Pracht. Der größte Schatz der Orima jedoch war sie selbst: Sie war eine lebende Elfe und zugleich war sie ein Gott. Sie war Kraft und Glanz und Sicherheit ihres Reiches – und als das Böse kam, um zu vernichten, setzte es bei ihr an.

Orima verstand und war geblendet, war allmächtig und hilflos zugleich, während sie immer tiefer in den Wahn taumelte. Sie konnte nicht gehen und sie konnte nicht bleiben, denn was würde aus der Welt werden, wenn sie blieb oder ging? So quälte sie sich und litt darunter, ehe ihr doch ein Weg aufging, und so schickte sie nach ihren vier edelsten Gefolgsleuten, allesamt unbesiegte Ritterfrauen und Königinnen über eigene Reiche, und als diese den Hof erreichten, zerbrach Orima ihre Macht und legte jeder von ihnen ein Viertel in den Schoß. Dann verließ sie diese Welt und kehrte ins Licht zurück.

Die vier Ritterfrauen waren unvergleichbar stark, doch war Orimas Macht noch unvergleichbar stärker. Sie zerbrachen unter der Aufgabe und brachten allesamt vier Töchter zur Welt, die alle gleichermaßen mit der Kraft gesegnet waren. Da erfüllte sich das Schicksal und das Land fand sein Gleichgewicht wieder.

Diese viermal vier Frauen sind Sternträger, Hüterinnen der Macht einer Göttin von Mutter zur ältesten Tochter. Sie sind alle gleich im Rang, doch die erste der ersten von ihnen, Sprecherin und Bannerträgerin, ist von diesem Tag an als die Zauberkönigin bekannt.

Ich, Wezyradima Icemna Rinn, bin die Zauberkönigin. Ich rief durch die Sphären nach meinem Gefolge. Nun bitte ich in dieser dunklen Stunde um ein Bündnis mit dem Wahren Kaiser.
 

Für einen Moment kehrt Stille ein.
 

Rufus: Eine schöne Geschichte. Die kannte ich noch gar nicht. Hier, nimm ein Blümchen.
 

Rinn: Was weißt du über deine Legende? Über deine Kräfte? Über unsere Zeit?
 

Rufus: Wenn du mit mir ausgehen möchtest, dann solltest du dir etwas anderes anziehen. Ich würde gerne einmal wieder tanzen gehen, aber ich möchte ehrlich zu dir sein: Deine Heroldin wäre mir lieber als du.
 

Rinn: (unsicher) Was wäre denn angemessen?
 

Rufus: Etwas Praiostäglicheres – im Augenblick siehst du aus wie eine Dienstmagd. Etwas Haut wäre auch schön – das mögen zwar die Andergaster nicht, dafür aber ich.
 

Rinn: Ich komme aus einem Kloster. Ich kenne mich damit doch nicht aus.
 

Rufus: Leidolins Schneiderladen im Tuchmacherviertel ist die beste Adresse für Fremde. Frage dich dorthin durch, er ist bekannt. Ich hole dich dann dort ab.
 

Rinn geht ab. Nach einer Weile geht auch Rufus ab und Zeit vergeht, in der Statisten ihren Geschäften nachgehen. Marja geht auf und drückt sich in der Nähe des Praiostempel-Eingangs herum, Keikin geht auf und hält sich weit entfernt. Sie werfen sich bloß misstrauisch-neugierige Blicke zu.

Mit Ende des Praiosdiensts streben Menschenmassen aus dem Tempel. Freya und Wilbrecht, in ein Gespräch vertieft, sind darunter.
 

Freya: Eine wunderschöne Predigt, aber ganz schön mutig.
 

Wilbrecht: Weißt du, was mir Kraft gibt? Ich weiß, dass in allen großen und guten Reichen auf dem ganzen Derenrund und sicher auch darüber hinaus ein Herrscher von Praios’ Gnaden auf dem Thron sitzt. Tausende Jahre, Tausende Tragödien und menschliche Irrungen konnten daran nichts ändern.
 

Marja: Freya! Auf ein Wort!
 

Freya: Praios zum Gruße, Marja. Kennst du schon Wilbrecht von Selmfeld, Donator Lumini? Er predigte gerade gegen den selbsterklärten Gott Atim-Suraq, was du leider verpasst hast.
 

Marja: Möge Praios einer armen Sünderin verzeihen, die ihre Zeit lieber damit verbringt, Probleme zu lösen, statt anderen beim Reden zuzuhören.
 

Freya: Gerade in schweren Zeiten ist es wichtig, die Götter nicht zu vergessen, denn wer sie aus den Augen lässt, der verliert sich selbst. Was meinst du, Wilbrecht?
 

Wilbrecht: Traue dich doch nächste Woche einfach einmal. Wenn du noch lebst, ich noch lebe und der Kanzler immer noch herrscht, wirst du kaum etwas anderes hören.
 

Freya: Herr Wilbrecht? Praios’ Segen wünsche ich Ihnen.
 

Wilbrecht: Alles Gute, Zauberin. Bis nächste Woche.
 

Wilbrecht geht weiter und schließlich ab, Freya und Marja nehmen einen anderen Weg.
 

Marja: Ein reizender Herr. Wenn ich nicht vor Jahren den Tempeln abgeschworen hätte, würde ich mir solche Priester wünschen. Was hatte er denn zu erzählen?
 

Freya: Was willst du von mir?
 

Marja: Ich möchte dir von San deine Gewandung zurückgeben. Sie hat sie natürlich gewaschen und gestärkt, du kennst sie ja.
 

Freya: Was meinst du?
 

Marja: Das Gewand aus der Hütte. Sie musste sich bei dir bedienen.
 

Freya: Ach.
 

Marja: Es geht ihr wirklich schlimm in letzter Zeit. Sie trägt zuviel Verantwortung und fürchtet sich davor, zu scheitern. Nun wurde heute Morgen auch noch ihr Bruder entführt.
 

Freya: Darum geht es dir also.
 

Marja: Du hast recht, darum geht es mir. Leidolin wird sterben, wenn nichts geschieht, und wir sind dazu nicht in der Lage. Sancide braucht eine Heldin.
 

Freya: Sage ihr, die hat sie. Ich nehme mich der Sache an.
 

Marja: Das wird sie freuen und es freut mich. Einen schönen Tag.
 

Freya: Einen Augenblick noch. Wenn Sancide mein Gewand möchte, dann kann sie es behalten. Es ist zu klein geworden für meine Fraulichkeit.
 

Marja: Ich richte es aus. Sonst noch etwas?
 

Freya: Nein. Einen schönen Tag noch.
 

Marja geht ab. Black.
 

Akt 3, Szene 8 – Andergast, vor Leidolins Schneiderladen
 

Rinn tritt zögerlich vor den Schneiderladen, klopft und wartet. Nach einer Weile tritt Gunda aus der Tür.
 

Gunda: Bei Travia, was gibt’s?
 

Rinn: Den Herrn Leidolin suche ich. Ist das hier seine Werkstatt?
 

Gunda: Ist sie. Er kann dir jedoch nicht helfen. Die Söldner nahmen ihn mit.
 

Rinn: Kannst du mir denn helfen? Ich brauche etwas Schönes zum Anziehen. Es ist sehr wichtig.
 

Gunda: Ich bin nicht von hier. Siehe dich doch um, es ist das Tuchmacherviertel hier.
 

Gunda geht wieder in den Laden und lässt Rinn zurück. Nach einer Weile geht Rufus auf.
 

Rufus: Du kamst nicht weit.
 

Rinn: Es ist ja auch nicht Abend.
 

Rufus: Mein Kater hat aber meinen Blumenstrauß zerfetzt. Lass uns gleich etwas unternehmen. Worauf hast du Lust?
 

Rinn setzt zur Antwort an, doch wechselt Rufus mit Blick auf den Schneiderladen das Thema.
 

Rufus: Kannst du dir vorstellen, dass ich auch lange von meinem eigenen Laden träumte? Ich wollte bei Stoerrebrandt einsteigen und Abenteuer-Zubehör an Helden verkaufen. Meine Besonderheit wären Paketlösungen gewesen… und Horoskope. Ich kann sehr viel aus den Karten lesen, weißt du?
 

Rinn: Ich wollte nie die Zauberkönigin werden. Wenn man versteht, ist es ein furchtbares Schicksal.
 

Rufus: Die ganzen großen Abenteuer wurden ohnehin von den ganzen großen Helden übernommen und der Rest ist Augenwischerei. Ich will kein kleiner Fisch sein, der sich für einen großen hält. Ich will die Großen ausnehmen.
 

Rinn: Kannst du mein Ende sehen?
 

Rufus: Wahrscheinlich nicht. Ich kann dein Seelentier nicht erkennen. Du bist vor dem Schicksal eine Elfe, so seltsam es auch klingt. Über dich habe ich keine Macht.
 

Rinn: Ich bin eine Kriegerin, mächtig, gewandt und beinahe unbesiegbar. Ich bin davongelaufen, um nicht geschwängert und getötet zu werden, und seitdem ich hier bin, mache ich immer nur die Beine breit.
 

Rufus: Dann mach doch mal.
 

Rufus deutet an, dass er einen Spagat von Rinn wünscht. Sie schlägt sich gut darin, was ihn amüsiert.
 

Rufus: (noch während sie posiert) Ist dir eigentlich bewusst, dass ich es weiß?
 

Rinn: Was weißt du?
 

Rufus: Wie schön golden dein Flaum ist.
 

Rinn: Das weißt du nicht.
 

Rufus: Du hast recht, aber ich weiß etwas anderes: Du hast dich an Atim-Suraq verkauft und deinem Gefolge eine Falle gestellt. Du hast dich gegen deine Heroldin gestellt – und das ist die einzige Frau, die ich von ganzem Herzen liebe. Ich würde sagen, du hast es wirklich nicht leicht.
 

Rinn: Du sagtest, du kannst mich nicht lesen.
 

Rufus: Ich erkenne auch so eine Lügnerin, wenn ich eine sehe. (Pause) Wie ich es sehe, hast du zwei Möglichkeiten: Du kannst entweder gehen und deinem Herrn erzählen, dass du gescheitert bist, oder du bleibst bei mir und wir können versuchen, einander zu mögen. Das Herz meines Katers hast du schon erobert, sei dir da gewiss.

Sei dir aber auch einer Sache bewusst: Du wirst auch für mich die Beine breit machen. Das verlange ich einfach von meiner Partnerin.
 

Rinn: Lass uns doch ins Badehaus gehen. Ich glaube, das haben wir beide nötig.
 

Black.
 

Akt 3, Szene 9 – Andergast, Söldnerlager im Rathaus / Freyas Kammer
 

Im Rathaus der Stadt Andergast richteten sich die Besatzer ein – und entsprechend sieht es darin aus: Mietlinge warten, kommen und gehen, rasten, lassen sich anheuern oder holen ihren Sold ab. Auch Drajin, Taja, Jannis und Tamara sind zeitweilig anwesend, zeitweilig nicht. Der Fokus liegt jedoch auf Keikin, die hier mit ihrem weißen Bogen wartet.

Parallel dazu bereitet sich Freya auf das Abenteuer vor, was bedeutet, ihren Königspanzer anzulegen und sich danach nach allen Regeln weiblicher Kunst hübsch zu machen.

Schließlich geht Gunda auf und wendet sich direkt an Keikin.
 

Gunda: Keikin. Du bist hier?
 

Keikin: Wo soll ich sonst sein? Du hast die Kommandantin gehört. Wir sind Feinde.
 

Gunda: Wir beide sind keine Feinde. Die Kommandantin warf mich ebenfalls heraus.
 

Keikin: Ich will nicht nach vier gemeinsamen Jahren gegen euch kämpfen, doch mir bleibt wohl keine Wahl. Von irgendetwas muss ich auch leben.
 

Gunda: Ich wollte aus eigener Kraft Sans Bruder retten, doch meine Spuren verliefen im Sand. Nun kehre ich nach Teshkal zurück.
 

Keikin: Braucht deine Herrin eine Waldläuferin aus dem Nivesenland?
 

Gunda: Vielleicht, vielleicht nicht. Was zahlt denn Atim-Suraq?
 

Keikin: Das werde ich bald erfahren.
 

Die Handlung wechselt zu Freya, die nun mit ihrem Aussehen zufrieden ist und ihren Stab in die Hand nimmt. Jandora erscheint diesmal in Person.
 

Freya: Geist?
 

Jandora: Herrin. Ihr seid so wunderschön.
 

Freya: Danke. Ich möchte dich bitten, mir Glück zu wünschen. Ich gehe auf ein Abenteuer… und werde dich nicht mitnehmen.
 

Jandora: Bitte geht auf kein Abenteuer. Die Zauberkönigin braucht Euch.
 

Freya: Sancide braucht mich auch. Vertraue mir.
 

Jandora: Einigen Wenigen ist es bestimmt, zu führen, Herrin, und vielen, zu folgen. Ich werde diesen Weg bis zum Ende mit Euch gehen.
 

Freya: Danke dir. Danke für alles.
 

Sie legt den Stab zur Seite, womit Jandora verschwindet. Dann verlässt sie ihre Kammer und tritt wenig später ins Rathaus. Dort sind nun alle Augen – besonders jene von Gunda und Keikin – auf sie gerichtet.
 

Keikin: Sie soll den Bruder retten.
 

Gunda: Gehen wir es an.
 

Beide treten an Freya heran.
 

Gunda: Zauberin Freya! Warte. Wir wissen von deiner Queste und wollen dir zu Diensten sein.
 

Keikin: Das ist unser Wunsch.
 

Freya: (nach einer Pause) Ich brauche euch nicht. Geht.
 

Keikin: Mein Bogen wird deine Feinde vernichten.
 

Gunda: Auf meinem Pferd sind wir schnell wie der Wind.
 

Freya: Das mag sein. Geht.
 

Nach einer Weile gehen Gunda und Keikin ab. Freya tritt an Taja heran.
 

Taja: Hallo, Freya. Nun bin ich aber gespannt.
 

Freya: Ich bin tatsächlich wegen dir hier. Ich möchte mit dem Kanzler sprechen. Kannst du ihm mitteilen, dass eine Gesandte des Heerbanns der Wahren Kaisers eine Audienz wünscht?
 

Taja: Meine Hunde mögen dich. Diesen Wunsch erfülle ich dir.
 

Freya: Das ist nicht alles. Ich bitte als Gesandte um deinen Schutz und den Schutz deiner Herrin.
 

Taja: Ich kann nicht für meine Herrin sprechen, aber du weißt sicher selbst, was du von ihr erwarten kannst. Wenn dir das genug ist, wird es mir eine Freude sein.
 

Black.
 

Akt 3, Szene 10 – Andergast, Königsburg
 

Freya beginnt auf der Mitte der Bühne, während sich Taja zusammen mit einigen Waldläufern am Rand aufhält. Jannis geht auf.
 

Jannis: Wenn du vorhattest, mir den Tag zu verderben, dann hast du dein Ziel erreicht. Das war mein erster freier Abend seit Wochen. Danke dafür.
 

Freya möchte etwas antworten, doch er lässt sie nicht zu Wort kommen.
 

Jannis: Setze dich hin. Du willst nicht hier sein, ich will nicht hier sein, schon klar. Bringen wir es also hinter uns: Du bleibst und schweigst und bewegst dich nicht. Die Zauber, die ich sprechen muss, tun dir nicht weh. Die Sprache, in der ich zaubere, ist thorwalsch. Die Zeichnungen, die ich nutze, machen mir meine Arbeit leichter. Bin ich fertig und zufrieden, wirst du den Kanzler treffen, bin ich es nicht, findet keine Audienz statt. In Ordnung?
 

Freya: Was du sagst.
 

Sie setzt sich hin, während Jannis mit Kreide Kreise und Zauberzeichen auf den Boden malt. Freya sieht ihm dabei zu.
 

Freya: Ich wüsste trotzdem ganz gerne, was du da tust.
 

Jannis: Das kann ich mir vorstellen.
 

Es vergeht eine Weile, in der Freya dasitzt und Jannis um sie herum mit Zauberkram beschäftigt ist, ehe Elemis aufgeht.
 

Elemis: Das ist wirklich ein beeindruckender Panzer, den sie trägt. Was mag er wert sein? 500 Dukaten?
 

Freya: Das wäre ein gutes Angebot. Er ist in seiner Form und Kraft einzigartig, allerdings keine gute Rüstung. Es ist mehr eine zweite Haut.
 

Elemis: Sie kehrt nach über zweimal drei Jahren in einem einzigartigen Panzer für 500 Dukaten zurück. Damit hätte ich nicht gerechnet.
 

Freya: Ja.
 

Elemis: Ich freue mich.
 

Freya: Ich freue mich auch, Euch zu sehen, Herr Vater.
 

Elemis: Bleibe sie doch nach der Audienz bei mir auf der Burg.
 

Jannis: Den Panzer musst du ausziehen.
 

Elemis: (zu Jannis) Das ist nicht Euer Ernst.
 

Jannis: Leider schon. So gerne ich behaupten würde, ihn völlig zu verstehen und die gute Lina nur noch einmal nackt sehen zu wollen, sind meine Befehle eindeutig.
 

Elemis: Lasst uns das sehen. Wie war denn der Wortlaut?
 

Jannis: Der Kanzler sagte zu mir: ‚Suche auf Zauber und auf Waffen, halte sie hin, damit mein Gefolge sich sammeln kann, und dann reiße ihr diesen verdammten Panzer vom Leib.’ Ich habe dafür eine hübsche weiße Decke für sie.
 

Elemis: Das ist gegen die guten Sitten.
 

Jannis: Das wissen wir beide. (er setzt sich zu Freya) Es liegt bei dir. Du bestimmst, wie es weitergeht.
 

Freya: Dann muss es wohl so sein.
 

Von den Blicken der Anwesenden begleitet und sich sichtbar unwohl fühlend beginnt Freya damit, den Panzer am Rücken loszuschnüren. Dann hält sie inne.
 

Freya: Ich kann es nicht.
 

Elemis: Das ist die richtige Entscheidung.
 

Jannis: Es ist eine Entscheidung. Es gibt weder eine richtige noch eine falsche.
 

Elemis: Bleibt sie noch eine Weile bei mir aus der Burg?
 

Freya: Ich möchte hier so schnell wie möglich fort. Was haltet Ihr vom Fetten Schinken?
 

Elemis: Ich muss es ablehnen. Ich darf die Festung nicht mehr verlassen.
 

Jannis: Lina? Es hat mich gefreut. Taja? Kommst du?
 

Taja: Fräulein Zauberin? Es hat mich gefreut.
 

Taja, Jannis und die Waldläufer setzen zum Abgehen an, Elemis zieht es in eine andere Richtung und auch Freya ist schon halb draußen, ehe sie innehält. Mit schnellen Handgriffen zieht sie ihren Panzer ab und tritt nackt vor Tara und Jannis. Dieser reicht ihr eine weiße Decke.
 

Freya: Zufrieden?
 

Jannis: Ein wenig.
 

Freya: Verzeiht mir, Vater. Wir sehen uns später.
 

Sie gehen ab. Black.
 

Akt 3, Szene 11 – Andergast, Königsburg, Audienzsaal
 

Freya geht nur in ein weißes Tuch gekleidet auf, Jannis, Taja und Anhang hinter sich, in einen großen, von Menschen aller Söldnergruppen bunt gefärbten Raum auf, unter denen sich auch Tamara und Drajin befinden. Nerva, zuvor auf einem Thron sitzend, springt auf.

Es folgt die härteste Szene des gesamten Stücks. Wenn sie nicht so gespielt werden kann, dass sie jedem Zuschauer (und Schauspieler auf der Bühne) an die Nieren geht, sollte sie besser rausgestrichen werden.
 

Jannis: Ich verkünde: Der viel gerühmte Kanzler Nerva, ehrbarster Ritter des Generals Gefolge, empfängt…
 

Nerva: Schweig! Wir kennen sie.
 

Nerva klatscht in die Hände, woraufhin Reihen von Orksöldnern aufgehen und die Anwesenden bedrohen.
 

Nerva: Auf die Streckbank mit ihr!
 

Jannis: Herr, das ist eine Gesandte. Findet Ihr nicht…
 

Nerva: Ich finde, du solltest deine Worte überdenken, Zauberer, und dich daran erinnern, wer du bist und wer ich bin. Dann sage mir: Immer noch Einwände?
 

Jannis: Nein, natürlich nicht.
 

Nerva: Das wollte ich doch auch gehofft haben.
 

Orksöldner sind dabei, Freya auf eine (möglichst aufrecht stehende) Streckbank zu schnallen, wogegen diese sich nicht wehren kann. Eisen rasten ein und das Rad wird leicht angedreht – quälend langsam anzusehen.
 

Nerva: Lina, Lina, Lina, ist es nicht schön, zuhause zu sein? Verrate uns doch, warum du hier bist.
 

Freya: Wegen des Schneiders Leidolin! Lass ihn frei.
 

Nerva: Du gibst ein schönes Stichwort. Leidolin, komme doch bitte herein.
 

Leidolin tritt in Gefangenenkleidung auf.
 

Nerva: Drehe doch noch ein wenig am Rad. Ich kann deine Retterin noch gar nicht sehen.
 

Leidolin: Verzeih mir.
 

Freya: Alles wird gut.
 

Leidolin dreht am Rad, was Freya furchtbare Schmerzen zufügt.
 

Nerva: Geht das vielleicht nicht auch etwas schneller? Ja, gut. Braver Junge! Jetzt gehe meine Geißel holen.
 

Leidolin kommt diesem Befehl nach. Nerva sieht ihm hinterher.
 

Nerva: Er ist so ein lieber Junge, meinst du nicht auch? Ich glaube, er mag dich wirklich sehr.
 

Freya: Warum tust du das?
 

Nerva: Ist furchtbar, nicht wahr? Habe noch ein bisschen Geduld, dann wirst du es verstehen.
 

Leidolin kehrt mit der Geißel zurück. Nerva nimmt sie an sich und schlägt und redet sich zugleich in Rage!
 

Nerva: Vier Jahre meines Lebens habe ich im Kerker verbracht und als ich dachte, es ginge nicht mehr schlimmer, fiel ich in die Hände der Druiden. Sie nahmen meinen Kopf, verstehst du? Sie zerfetzten meinen Geist und machten mich zu ihrer Puppe – und wenn du erlebt hast, was es heißt, nicht mehr bestimmen zu können, was du tust und warum, wenn du dich fragst, was als nächstes kommt, und du nur noch zu sterben hoffst, was nichts mehr – und zwar gar nichts – dir mehr Linderung verspricht, wenn du nur noch willst, das es aufhört, dann hast du das Grauen gesehen!
 

Nerva hält keuchend und sichtbar am Ende seiner Kräfte inne. Er sieht Leidolin an.
 

Nerva: Du weißt, was zu tun ist.
 

Damit verschwindet Leidolin.
 

Nerva: Du hast mir das angetan! Du hast mich in Tiefen gestoßen, von denen ich nie geahnt hätte, dass es sie gab! Weißt du was: Wenn alles um dich herum zerbricht und dir nichts mehr bleibt, dann sind es die einfachen Gedanken, die dir noch Kraft geben. In meinem Kopf konnte ich die Stimme wieder und wieder hören, die mir langsam so viel weniger vertraut war als die Bestimmungen, der Druiden und die alles war, die von meiner Vernunft noch übrig war. Weißt du, was sie mir flüsterte? Nimm Rache! Nimm Rache! Nimm Rache! Nimm Rache!
 

Er schlägt noch ein paar Mal zu.
 

Nerva: Dann kamst du her, feige und dumm wie du bist, und nahmst an, ich wäre immer noch der Edelmann von früher. Du bist so jämmerlich! Bringt man Menschen an ihre Grenzen, dann verändern sie sich; sie werden hässlicher und werden edler. Siehe dir diese ganzen Amöben doch an! Niemand von denen wagt es, aufzustehen und für dich zu sterben. Wo ist deine Beschützerin jetzt? Und noch wichtiger: Wo bist du?
 

Leidolin kehrt mit vollen Händen zurück.
 

Nerva: Nun habe ich doch etwas Erfrischung für uns: Ein Gläschen Wein für mich und einen vollen Nachttopf für dich!
 

Er gießt Freya den Inhalt des Nachttopfs über die blutig geschlagene Haut.
 

Nerva: Bist du bereit für die letzte Wahrheit? Du wirst sie erkennen, denn jetzt frage ich dich: ‚Einer von euch beiden wird diesen Tag überleben. Möchtest du dich oder ihn sterben sehen?’
 

Freya: Lass Leidolin gehen!
 

Nerva: Sage ich doch.
 

Er greift zu seinem Schwert und schlägt Leidolin den Kopf ab.
 

Freya: Nein!
 

Nerva: Erkennst du denn das Schwert? Hübsche, leuchtende Klinge, nicht wahr? Es ist deines! Ich habe es in der Burg gefunden!
 

Freya: Monster!
 

Nerva: Keine Angst, wir haben es gleich hinter uns. Jetzt machen wir noch ein kleines Feuerchen und schon badest du im Nirgendmeer.
 

Er klatscht in die Hände und Orks errichten zu Füßen der Streckbank einen Feuerholzstapel.
 

Nerva: Jetzt brauche ich nur noch Feuer. Magst du mir nicht aushelfen? Nein? Zu schade.
 

Er greift nach Zunderstein und Stahl und versucht, den Stapel zu entzünden… einmal, zweimal, dreimal, viermal. Schließlich tritt Jannis durch die Reihen.
 

Jannis: Habe Gnade mit ihr. Die Götter entschieden.
 

Nerva: Jetzt ist er auf einmal mutig. Beeindruckend! Trotzdem sollst du deinen Willen bekommen: Bringe sie in die Zelle. Morgen früh wird sie aufgeknüpft!
 

Nerva zieht sich mit seinen Orksöldnern zurück, während augenblicklich das Gemurmel losbricht. Jannis löst Freyas Fesseln und trägt sie dann von der Bühne.
 

Akt 3, Szene 12 – Andergast, Kampfseminar, Raum der Spektabilität
 

Lontha und Aljawa sitzen beisammen, trinken Wein und diskutieren über Pläne. Ganz plötzlich stürmen Sancide, Lorana und Turike in voller Bewaffnung herein.
 

Lorana: Die Herrschaften rühren sich bitte nicht.
 

Turike: Und nicht nach den Wachen rufen! Die Stimme könnt ihr euch sparen.
 

Aljawa: San! Ich fürchte, du hast da etwas missverstanden. Ich wollte natürlich niemals…
 

Lontha: Fulminictus!
 

Nichts geschieht.
 

Sancide: Die Maske.
 

Aljawa: Imperavi!
 

Nichts geschieht Lontha gibt sich geschlagen und händigt die Maske aus.
 

Lontha: Und nun?
 

Sancide und ihre Gefährtinnen gehen ab. Aljawa und Lontha bleiben ratlos zurück.
 

Akt 3, Szene 13 – Andergast, Kerker
 

Die Szene beginnt im Dunkeln. Freya, immer noch in das weiße, nun blutdurchtränkte Tuch gekleidet, blickt sichtbar misshandelt und verstört ins Leere. Jannis geht auf der anderen Seite der Gitterstäbe auf.
 

Jannis: Darf ich hereinkommen?
 

Sie reagiert nicht, also tut er es einfach.
 

Jannis: Ich weiß nicht, ob es dir ein Trost ist, aber ich wusste es nicht. Es wusste niemand von uns. (Pause) Und ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich dich sitzen ließ. Ich war wirklich ein Feigling.
 

Freya: Was seid ihr nur für Monster?
 

Jannis: Wir sind einfach Menschen, die durch schwere Zeiten gehen. Nun entscheide dich: Es ist deine letzte Nacht auf Deren. Möchtest du sie allein oder in meiner Gesellschaft verbringen?
 

Freya: Wecke mich morgen früh, wenn du magst. Diese Nacht möchte ich allein sein.
 

Er setzt sich zu ihr. Black.



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