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Kyo Kara Maou Novel: Reise zum Beginn - Abenteuer in Dark Makoku

von

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Kapitel 13

KAPITEL 13
 

„Irgendwie habe ich mir mehr erwartet als...“, Adalbert von Grantz zögerte etwas. Er schien einerseits überrascht, andererseits doch sehr enttäuscht über das, was man ihnen präsentierte: „Als das hier! Gerade weil es sich um die Verwandtschaft unseres verzogenen Bengelchens handelt!“

Man hatte sie in eine Bibliothek geführt.

Zunächst war Lord Conrad Weller zurück auf den Roten Seestern gekehrt, um seinen Bruder und Leiter dieser Expedition, Gwendal von Voltaire, darüber zu informieren, dass man einen Fischer zum Hauptsitz des Territoriums begleiten wolle. Sie hatten vor dem Hafen einer Fischerstadt der Insel Adria geankert und diese stand unter dem Schutz der Familie von Bielefeld.

Während seiner Vorsprache hatte Günter für einige Augenblicke sein Schluchzen unterbrochen und interessiert zugehört. Als Gwendal die geplante Visite genehmigte, war der seit Tagen zerstreute Berater aufgesprungen und hatte um seine Anwesenheit bei eben dieser Visite gebeten.

Conrad war zwar über den schnell wechselnden Gemütszustand des königlichen Beraters irritiert, doch fand er diese Bitte äußerst nützlich.

Schließlich gab es in ganz Shin Makoku keinen beleseneren Mann als Lord Günter Baron von Kleist! Sein Wissen, gerade was die Geschichte des Dämonenvolkes betraf, konnte in einem Gespräch mit dem derzeit regierenden Familienoberhaupt der Familie von Bielefeld hier im Bielefeld-Territorium auf Dark Makoku bestimmt nützlich sein!

Eben dieser Berater klappte nun laut ein Buch zu, welches er sich zum Verkürzen der Wartezeit aus einem der Regale genommen hatte und funkelte von Grantz untypisch finster an. Adalbert hatte zwar die Gedanken aller, seinem Naturell entsprechend, laut ausgesprochen, doch Günter achtete stets darauf, dass die Etikette eingehalten wurde!

Auch wenn es ihm selber nicht im Geringsten gefiel, dass seine Majestät Yuuri sich ausgerechnet eben diesen verzogenen Prinzen zum Verlobten erwählt hatte, so war dies doch ein unabänderlicher Zustand, den er zu akzeptieren hatte. Das ihm das gefallen sollte wurde schließlich nicht verlangt. Seines Erachtens wäre seine Majestät an seiner Seite viel besser aufgehoben!

„Ich bitte euch doch sehr, Lord von Grantz, ab jetzt und im Laufe des nun angekündigten Gespräches hier eure Wortwahl genau zu überdenken. Wir sind hier zu Gast in einer Kultur, die selbst ich noch nicht ganz begreife, da uns zu wenig Informationen vorliegen. Und ich würde mir ungern die Möglichkeit, an Informationen zu kommen, durch ihr loses Mundwerk zunichte machen lassen!“

Conrad schmunzelte. Er würde Recht behalten. Es war eine hervorragende Idee, das Günter sich ihnen angeschlossen hatte.

Auch er blickte sich um. Dieser Hauptsitz hatte mehr den Charakter eines Land- oder Jagdsitzes der Familie Voltaire. Hier war nichts, was darauf hinweisen würde, dass man sich hier im Hauptsitz der Familie von Bielefeld befinden würde. Alles war einfach und schlicht eingerichtet. Selbst der Weg, der vom Tor zum Haupteingang des Sitzes geführt hatte, war weder außergewöhnlich gepflegt noch bepflanzt gewesen. Alles deutete auf einen sehr verarmten Landadel hin.

Man hatte sie aber sehr freundlich empfangen, als man den Bediensteten am Eingang berichtet hatte, wer man war und was die Anliegen waren. So wurden sie in diesen Raum geführt mit der Bitte, sich einen kleinen Augenblick zu gedulden.

Auch Günter war der heruntergekommene Zustand des Anwesens aufgefallen und er war schon innerlich enttäuscht gewesen. Er hatte sich die Behausungen der Ur-Adelsfamilien, aus deren Linien sie schließlich alle entsprungen waren, weitaus pompöser vorgestellt.

Doch nach all der Enttäuschung musste er sich eingestehen, dass er umso freudig überraschter über die Fülle an Informationen in eben dieser Bibliothek war. Hier gab es so viele Bücher, Karten und Unterlagen, welche er zu gerne auf das Genaueste studieren wollte, dass ihm die Wartezeit gar nicht lang genug sein konnte.

Ein wortwörtliches Aufstrahlen entwich seinen Gesichtszügen, als er den Buchrücken überflog mit einer Überschrift, die ihn gleich fesselte: ' Territoriale Aufteilung vor und nach dem Krieg'!

Entzückt nahm er den dicken Band aus seinem Fach und blätterte begierig die nächsten Seiten um.

„Urteil Mittsu, dritter Sohn Gaarus und Nanimos, des alleinigen Herrschers von Dark Makoku, Stammesfürst aller Dämonen dieser Welt, Führer der oberen 25 Adelshäuser: Durch das verräterische Verhalten der Oberhäupter der Familie von Bielefeld“, Günter las diesen Auszug laut vor, „und der Zuwiderhandlung und der Befehlsverweigerung werden den verbliebenen Clanmitgliedern alle Ehren, Titel und Ländereien aberkannt. Die Leitung der Seestreitmacht fällt ab diesem Tage den Familien von Hundshaupten und von Seihenfeld zu. Die Gebiete des Festlandes werden zu gleichen Teilen den Familien von Greifenwald, von Freyen zu Leyenhaus und von Bastille de Rouge vermacht. Einzig das strategisch ungünstig gelegene Eiland Adria soll der Familie von Bielefeld als Wohnsitz dienen.“

„Das ist eine ganz schöne Degradierung!“, stöhnte Iossac von seinem Platz am Fensterbrett auf.

„Da habt ihr wohl Recht, meine Herren!“

Ein sehr groß gewachsener Mann mittleren Alters stand nun in der offenen Doppeltür der Bibliothek und lächelte trotz der Verkündung des widerfahrenen Leides seiner Familie seine Besucher freundlich an.

Er hatte hellblondes, überschulterlanges Haar, welches er offen trug. Seine dunkelbraunen Augen waren von vielen Lachfalten gekennzeichnet. Er schien ein äußerst sympathischer und angenehmer Gesellschafter zu sein.

„Ich bitte die Wartezeit zu entschuldigen. Sie hatten bestimmt eine lange und anstrengende Reise!“, er setzte sich an die Sitzecke und alle taten es ihm gleich.

„Ich bin Ludwig von Bielefeld. Derzeit leite ich die Geschäfte hier. Das mag für sie befremdlich klingen, aber wie sie soeben selbst aus diesem Buch entnommen haben“, er wies auf das Buch, welches Günter immer noch in Händen hielt, „sind wir schon lange kein Herzogtum mehr. Wir betreiben ausschließlich nur noch Handel mit dem Inland und äußerst selten politische Geschäfte!“

Er wandte sich an Günter, da dieser ihm wohl als der Vorstand dieser kleinen Besuchergruppe erschien, vermutlich wegen der erlesenen weißen Robe, die dieser trug:

„Wie kann ich euch denn behilflich sein? Mein Diener teilte mir mit, ihr seid aus Shin Makoku! Es hat mich wirklich gefreut, zu hören, dass Nanatsu es geschafft hat, dass Reich von dem er und Rufus so träumten zu gründen und zu erhalten!“

„Nanatsu? Ein mir befremdlicher Name! Mit Rufus meint ihr doch sicherlich euren Ahnen Lord Rufus von Bielefeld!“, schaltete sich Günter nun ein, „Und ich bitte auch sie um untertänigste Entschuldigung für unser plötzliches und unangekündigtes Erscheinen. Mein Name ist Lord Günter Baron von Kleist. Meine Begleiter sind Lord Conrad Weller“, er wies auf Conrad, der sich leicht verbeugte, „Herr Iossac Glie“, auch dieser tat es seinem Hauptmann und altem Kriegskameraden gleich, „und Lord Adalbert von Grantz!“

Ludwig von Bielefeld nickte seinen Gästen der Reihe nach zu, dann erhob er sich und ging ebenfalls zum Bücherregal: „Es war uns hier verboten, Gemälde unserer von seiner Heiligkeit Mittsu als Verräter betitelten Verwandten aufzuhängen. Das war Teil der Strafe. Dennoch“, er betätigte einen Hebel und ein Teil des Regals schlug wie eine Türe nach vorne auf, „ haben wir einige Stücke vor dem Verbrennen bewahren können!“

Es wurde ein weiterer Raum sichtbar mit weiteren Bücherregalen und einer Wand voller kleiner bis etwas größerer Gemälde. Günter stand fasziniert auf und trat näher heran.

„Das ist Rufus in sehr jungen Jahren!“, Ludwig von Bielefeld lenkte Günters Blick auf ein recht kleines Bild, auf welchem ein sehr junges Mädchen in einem sehr verspielten spitzenbesetzten Kleidchen in einer Blumenwiese saß und einen Kranz flocht.

„Aber Rufus...“, begann Günter stockend.

„Ja, er war eine sie. Ihr Vater, Lord Georg Großherzog von Bielefeld, hatte nur Töchter. Bei Rufus Geburt starb seine über alles geliebte Frau im Kindbett. Dennoch wurde zu jener Zeit vorgeschrieben, dass nur männliche Erben die Nachfolge antreten konnten. Also ließ Georg verkünden, er habe einen Sohn. Nur die engsten und vertrauenswürdigsten Verwandten kannten das Geheimnis!“

„Erstaunlich! Das ändert vieles in unseren Chroniken!“, flüsterte Günter und auch Conrad war aufgestanden, um sich das Bildchen näher zu betrachten.

„Niemand bei Hofe ahnte etwas von Rufus Doppelleben. Sie war eine hervorragende Schwertkämpferin, eine kühne Strategin und eine furchtlose Kämpferin“, fuhr Ludwig im ruhigen Ton fort, „ Nur lernte sie auf der Akademie ihren Vorgesetzten und Lehrmeister Nanatsu kennen!“ Er schritt die Bilderwand entlang und wies auf ein etwas größeres Bild mit einem Portrait.

Günter und Conrad folgten ihm. Adalbert und Iossac blieben aufgrund der Enge in diesem Geheimraum am Eingang stehen.

Conrad erkannte es zuerst und er stockte: „Shinou!“

Über Conrads Äußerung verwundert rückte der königliche Berater seine Brille zurecht und trat noch näher an das Bild heran: „Bei allen Flugdrachen! Er ist es tatsächlich!“

„Hatte er bei euch einen anderen Namen?“, fragte nun von Bielefeld erstaunt und Iossac räusperte sich lauter:

„Er ist unser Reichsbegründer und erster Maou! Wir kennen ihn alle nur unter Shinou und bisher hat er uns gegenüber auch nie einen anderen Namen erwähnt!“

„Er lebt noch? Wirklich?“, Ludwig schien wirklich freudig überrascht.

„Nicht wirklich!“, Adalbert hatte noch nie große Sympathie für den Gründer seines Reiches empfunden und dies war auch deutlich an seiner Stimme erkennbar, „er geistert gerade auf unserem Schiff herum!“

Lord Ludwig von Bielefeld schwanden die Sinne. Er musste sich an der Wand abstützen: „Das sind großartige Nachrichten! Das Volk wird jubeln vor Begeisterung! Nanatsu ist endlich heimgekehrt! Er wird sich der Tyrannei seines Bruders stellen und uns alle befreien!“

Iossac und Adalberts Blicke wanderten fragend rüber zu ihren Freunden, doch auch Conrad konnte nur ahnungslos mit den Schultern zucken.

Nur Günter schien das Alles kommentarlos aufzusaugen und irgendwo in seinem Kopf zu sortieren: „Was geschah mit Rufus?“

Ludwig von Bielefeld wandte sich ihm wieder zu: „Nun ja, Nanatsu war der siebte Spross von Gaaru und Nanimo und somit ein Gott. Jegliche intime Beziehungen, auch von Göttern zu den oberen Adelshäusern waren streng untersagt worden. Gaaru hatte nämlich die Eskapaden seines Mannes satt. Es gab bereits eine Unmenge an unehelichen Kindern! Aber das wohl ausschlaggebendste war die Prophezeiung vom großen Orakel!“

„Orakel?“

„Hm, ja, Lord von Kleist!“, Ludwig verließ den Geheimraum und steuerte wieder die Sitzecke an. Alle folgten ihm.

„Ihre Heiligkeit Yonno, das fünfte Kind von Gaaru und Nanimo und erstgeborene Tochter, besitzt die Gabe der Weitsicht. All ihre Prophezeiungen traten binnen kürzester Zeit ein! Leider sah sie die Ermordung aller Götter durch einen Doppelschwarzen!“

Die vier Freunde zuckten bei dem Begriff 'Doppelschwarzer' unwillkürlich zusammen, doch von Bielefeld schien dies gar nicht aufzufallen, denn er berichtete im ruhigen Ton weiter:

„Und Doppelschwarze gibt es so eigentlich nicht. Außer, es handelte sich um ein Mischblut. Das heißt also, um ein Kind aus einer Götter und Dämonen Verbindung!“

Ludwig von Bielefelds Augen wurden trauriger: „Rufus und Nanatsu heirateten heimlich. Sie waren sich so innigster Liebe zugetan, dass sie das neue Gesetz, alle Kinder und deren Kinder und so weiter sofort hinrichten zu lassen, ignorierten. Bis Rufus dann in freudiger Erwartung war, ihre geheime Identität aufflog und es im Palast die Runde machte. Ebenso geriet Nanatsu in einen fürchterlichen Streit mit seinen beiden Vätern weil er sich weigerte, bei dieser 'Säuberung', wie sie es nannten, mitzumachen und seine Geschwister zu töten. Er war dem Volk immer am Nächsten gewesen und hatte sehr viele Freunde, die sich im Nachhinein fast alle als Mischblütler entpuppten!“

Es herrschte eine betretene Stimmung in der Bibliothek. Ludwig von Bielefeld hätte gar nicht mehr weiter berichten müssen, was in der Vergangenheit geschehen war. Sie hatten es sich denken können.

„Die Zeiten der Säuberung waren die schlimmsten Jahre in der gesamten Geschichte Dark Makokus. Familien wurden auseinandergerissen. Es herrschte Misstrauen bis hoch in die höchsten Adelskreise, weil man oftmals nicht sicher gehen konnte, ob jemand ein Mischblut war oder nicht! Es begannen fürchterliche Kriege in den einzelnen Territorien. Nanatsu und Rufus flohen mit ihrem Neugeborenen. Viele ihrer Freunde, ob Mischblut oder Reinblütiger, schlossen sich ihnen an. Ihnen gelang es mit Hilfe der Flotte, die damals noch uns unterstellt war, von hier zu flüchten. Nachdem sich hier die schlimmsten Kriegswirren gelegt hatten verließen auch Gaaru, Nanimo, Hitotsu und Futatsu das Land. Denn sie dachten in all ihrem Hass, dass solange noch irgendwo ein Mischblut existiert sich irgendwann diese Prophezeiung erfüllen würde! Das war vor rund 4000 Jahren und seitdem haben wir nichts mehr vernommen. Weder von unseren Brüdern und Schwestern noch von den Göttern, die sie jagten!“ Er seufzte auf.

„Ein Doppelschwarzer würde die Götter vernichten, ja?“, Iossac kratzte sich am Kopf, „ob die unseren jungen Herrn meinten?“

„Yuuris Mutter ist ein Mensch und kein Gott“, warf Conrad ein.

„Aber ist nicht sein Vater ein Nachfahre von Kristel Winscott, welcher damals zur Erde reiste? Wer weiß, ob in deren Genen schon Götterblut floss!“

Günter nickte. Adalbert konnte mit dieser Vermutung Recht haben.

„Seine Majestät Yuuri hat auf alle Fälle die Götter geschlagen! Zumindest die Vier, die Shinou, ich meine, Nanatsu gefolgt waren!“

„Also stimmt das Gerücht und Gaaru und Nanimo sind tot?“

„Ja, Lord von Bielefeld. Dies kann ich mit großer Sicherheit sagen. Unsere derzeitige Majestät Yuuri, der 27. Maou von Shin Makoku, vernichtete die von uns als Begründer gefürchteten vier Schöpfergötter vor fast drei Jahren!“

Lord von Bielefeld atmete erleichtert auf: „Eure Majestät muss ein sehr mächtiger Dämon sein!“

„Hm, ja! Vor allem ein Dämon der immer mächtig viele Probleme verursacht!“, brummte Adalbert und erntete erneut einen giftigen Blick des königlichen Beraters. Doch diesen ignorierte er mit einem schulterzuckendem Grinsen.

„Ist eure Majestät denn mitgereist?“

„Ja, und zwar auf eigene Faust mit seinem Verlobten, Lord Wolfram von Bielefeld!“, Iossac schmunzelte und erhielt genau die Reaktion von seinem Gastgeber, die er sich erhofft hatte.

„Ein Bielefeld ist der Verlobte einer so mächtigen Hoheit?“, Ludwig von Bielefeld sprang erschrocken auf, setzte sich aber sogleich wieder ziemlich abrupt, „Dann hat Rufus Junge es tatsächlich überlebt und unsere Familie lebt in Shin Makoku in Ehren weiter!“

Conrad war sich sicher, dass er Tränen in den Augen des blonden Dämonen erkennen konnte. Was für Grausamkeiten musste diese Familie hier in Dark Makoku nur erdulden?

„Wie ihr vernehmen konntet benötigen wir daher ihre Hilfe“,wandte sich nun Günter wieder an ihn und dieser sah sogleich auf und mit fragender Mimik zum eisgrauen Schönling.

„Natürlich lasse ich euch all meine Unterstützung zukommen!“

„Wir suchen unsere Majestät sowie seinen Verlobten und ebenso Nanatsus Zepter der Segnung!“

„Nanatsus Zepter?“ ,von Bielefeld erhob sich und schritt an das große Fenster mit Blick in den Garten des Anwesens, „Hm. Vor vielen Jahrhunderten gab es das Gerücht, dass Nanatsus Zepter bei der Familie von Hundshaupten am Strand angespült worden sei. Es wurde der heiligen Familie übergeben. Demnach befindet sich dieses in Gewahrsam seiner Heiligkeit Mittsu!“

Die vier Dämonen von Shin Makoku stöhnten auf. Bisher hatten sie noch nichts Gutes über diese Götter hier erfahren. Und sie konnten sich auch alle sicher sein, dass wenn Yuuri überlebt hatte und sich hier aufhielt, er dies auch mittlerweile in Erfahrung gebracht hatte und sich in seinem typischen Leichtsinn schon auf den Weg zu diesem Mittsu gemacht hatte. Da der Fluch auch Wolfram indirekt betraf würde vom Feuerdämon auch kein Widerspruch erfolgt sein.

„Dann werden wir Yuuri und Wolfram sowie das Zepter bei diesem Mittsu finden!“, Conrad straffte seine Schultern. Warum schaffte es sein Zögling und Patenkind auch immer, sich in die schwierigsten Situationen zu manövrieren?

„Sagte ich nicht bereits, dass er mächtig viele Probleme verursacht?“, Adalbert lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und betrachtete die ausgearbeiteten Stuckarbeiten an der Zimmerdecke der Bibliothek.

„So aussichtslos ist es nicht!“, kam nun vom Fenster her und alle wandten ihre Blicke wieder dem Gastgeber zu, „Ich werde eine Versammlung der 25 Adelshäuser einberufen. Mittsu wird das nicht auf sich sitzen lassen und auch dort erscheinen. Und wenn ihre Majestät in seiner Nähe ist, so wird er auch dort erscheinen!“
 

'Kling'

„Wir sind im 140. Stockwerk!“

Der Fahrstuhlboy wies mit der Hand nach draußen auf den Gang. Die letzten 50 Stockwerke war ich der einzige Passagier gewesen. Das war ein vollkommen neues Gefühl der Befreiung in diesem Fahrstuhl gewesen wenn ich so an die ersten 40 Stockwerke zurückdachte. Ich war also nun wirklich richtig nah an diesen Göttern dran. Irgendwie beschlich mich ein seltsames Gefühl als ich aus dem Fahrstuhl trat und mich neugierig um blickte.

Plötzlich erschien direkt neben mir eine brünette Frau. Sie hatte schon einen leichten graumelierten Haaransatz, daher schätzte ich sie in Erdenjahren auf Anfang 60. Ihr Blick war ebenso streng wie der von der Dame mit dem Dutt im 40. Stockwerk und daher sprang ich ein wenig vor ihr zurück. Sie hob amüsiert den Mundwinkel: „Du bist also das neu angeforderte Dienstmädchen für den Thronsaal, ja?“

Ich nickte: „Und sie sind Hilde?“

Sie antwortete mir nicht. Stattdessen packte sie mich an meiner Hand und zerrte mich den unendlich langen, weißen Gang hinunter. Nachdem wir zigmal abgebogen waren und ich mir ziemlich sicher war, dass ich alleine den Weg zum Fahrstuhl nie mehr finden würde, blieb sie abrupt stehen und schubste mich in einen Raum, wo bereits andere Dienstmädchen begonnen hatten, Tabletts mit Speisen und Getränken darauf aus einer Durchreiche heraus auf einige Servierwägen zu stellen.

„Du bist ganz schön groß geraten!“, säuselte diese Hilde nun neben mir und ich bemerkte ihren begutachtenden Blick, „Aber du schaust erstaunlich gut aus. Das wird ihren Hoheiten gefallen!“

Ja ja, ihr habt alle keinen Sinn für wahre Schönheit! Ich bin ein Kerl in Frauenklamotten! Was, bitte schön, schaut an mir gut aus?

Sie zeigte mir einmal quer über den Gang eine riesige weiße Tür: „Dahinter speisen gleich die göttlichen Hoheiten. Dies ist nun dein künftiger Arbeitsplatz. Du bedienst nur. Du sprichst nicht. Du denkst nicht. Du bedienst nur!“

Ich nickte wieder verstehend.

Die sind hier vielleicht streng!

„Ach ja! Und du schaust niemanden an! Selbst wenn man dich persönlich anspricht, schaust du stets zum Boden und antwortest höflich und direkt! Hast du das verstanden?“

„Ähm, jawohl, Ma'am!“

Sie betrachtete mich argwöhnisch: „Das du mir keine Probleme machst!“

Solange ich nicht gefunden habe, was ich suche, bin ich lammfromm!

„Dann komm mit! Ich zeige dir die Küche!“

Mit einem Blick zurück zu dieser großen weißen Tür folgte ich ihr.
 

Es war ein riesiger Raum ohne Wände. Ringsum nur Glas. In diese Glasfronten waren, ebenfalls aus Glas, kleinere Halterungen eingelassen, in denen Kerzen befestigt wurden, welche ihr warmes Licht spendeten. Die Aussicht war phänomenal. Man befand sich über und in den Wolken. Eine Sicht zu allen Seiten bis zum Meer.

Inmitten dieses riesigen Raumes stand eine große, massive, runde Holztafel.

Das Holz wies eine rötliche Maserung auf. Wolfram überlegte lange, um was für ein Holz es sich wohl handeln könne, aber er kam nicht darauf. Diese Unwissenheit ärgerte ihn.

Um diese Tafel standen jeweils im gleichen Abstand zueinander zehn Stühle, wobei man eigentlich nicht Stühle sagen konnte. Es waren pompöse Throne. Jeder für sich anders. Jeder für sich imposant. Die beiden größten waren unbesetzt, ebenso die etwas kleineren Beiden links und rechts von ihnen. Dem Linken folgte ein gänzlich in Silber gehaltener, mit dunkelgrüner Polsterung. Dieser Thron war reichlich verziert mit Drachenmotiven. Es schien sogar so, als wäre er ein aus Silber gegossener Drache. Darauf saß ein Mann mit längerem eisgrauem Haar, welches er lose nach hinten zusammengebunden hatte und dessen fahlgrüne Augen ihn nun musterten.

Mittsu, dritter Sohn von Gaaru und Nanimo, erhob sich, um mit einem kühlen Lächeln auf ihn zu zu schreiten.

Wolfram schluckte. Ihre letzte Begegnung verlief äußerst schmerzhaft.

Mit einem „Dann werden wir den natürlichen Lauf der Dinge etwas beschleunigen!“ hatte der Götterdämon ihm eine Hand auf die Stirn gelegt. Schmerzen waren durch ihn hindurchgezogen wie ein Orkan aus Blitzen. Es hatte an seinen Armen und seinen Beinen, an seinem Rücken, seinen Schultern und seinem Brustkorb gezogen. Es hatte laute, unangenehme, knackende Geräusche in ihm gegeben und er war wie ein alter Leinensack in sich zusammengesunken. „Es sind einige Knochen zerbrochen!“, hatte Mittsu daraufhin sehr kühl geantwortet und legte die andere Hand auf Wolframs Brustkorb. Wärme durchflutete ihn. Schien in schweben zu lassen. Dann ließ Mittsu gänzlich von ihm ab, drehte sich herum und ging: „Ihr werdet nun umgekleidet. Leistet der Magd Folge. Sie kennt eure nächsten Schritte!“

Er hatte sich aufgerappelt und schnell festgestellt, dass es ihm nun nicht mehr an Größe mangelte.

Das Dienstmädchen, welches ihn nach dem Umkleiden von seinem Zimmer in diese Räumlichkeiten hinauf geführt hatte, verbeugte sich tief neben ihm und schritt rückwärts wieder zur Türe, um sich dort neben einem Wachposten und mit gesenktem Haupt zu positionieren.

„Ihr steht eurem Urahn in nichts nach!“, Mittsu legte seine Hand auf die Schulter des jüngeren, blonden Mannes und blickte mit abschätzendem Blick an ihm herunter, „Seine Kleidung an euch lässt die Täuschung nur noch realistischer wirken!“

Wolfram nickte nur. Er fühlte sich überhaupt nicht wohl in der ihm angedachten Rolle.

Zu sehr beschäftigten ihn noch die Gedanken an das Gespräch mit Mittsu wenige Stunden zuvor.

Die ihm zugewiesene Kleidung war eine Rüstung, wie er sie im ähnlichen Stil immer auf den Bildern von Shinou gesehen hatte. Nur der Umhang war um einiges länger und reichte ihm fast bis an den Boden. Sollte es zu einem Kampf kommen, wäre dieser äußerst unpraktisch. Anscheinend hatte Shinou damals genauso gedacht und diesen gekürzt. Der Pelzkragen dieses Umhangs schien aus Nerz gefertigt worden zu sein. Er bezeugte zwar nun seine edle Abstammung, doch war dies selbst für Wolfram, der als Prinz geboren und aufgewachsen war, sehr ungewohnt. Er mochte dieses kitzelnde Gefühl am Hals ganz und gar nicht. Vielleicht würde er sich in den nächsten Tagen daran gewöhnen. Innerlich zog es sich in ihm zusammen. In seiner Magengegend. Der Gedanke, hier zunächst festzusitzen und sich das Vertrauen dieser von allen benannten Götter zu erschleichen, widerstrebte ihm.

Er wollte raus hier. Er wollte Yuuri finden. Und er wollte auch nach seinen Brüdern suchen! Aber er musste auch Prioritäten setzen. Sie hatten diese Reise unternommen, um das Zepter der Segnung zu finden. Und dieses Zepter war hier. Es war zum Greifen nah. Er müsste nur die geeignetste Gelegenheit finden und diese dann ergreifen. Nur er war dazu in der Lage! Niemand sonst würde so nah an die Herrscher dieser Welt herankommen und so nah an das Zepter.

„Dann wollen wir euch einmal einweisen!“, flüsterte Mittsu an Wolfram gewandt und stellte sich nun laut räuspernd neben ihn.

Durch dieses Räuspern wurde es schlagartig still im Raum und alle Blicke richteten sich auf Mittsu. Wolframs Gefühl, dass dieser Mittsu wirklich das alleinstehende Oberhaupt der Familie war, bestätigte sich.

„Brüder! Schwestern! Wie ihr wisst, ist Nanatsu nach all den vielen Jahrtausenden wieder in unsere Mitte zurückgekehrt!“

Eine Gabel klirrte auf einen Tellerrand. Ein Glas fiel um. Ein Knarzen, wenn Holz über Holz schabt, erfüllte den Raum und zog nun die Aufmerksamkeit zurück an den Tisch. Eine augenscheinlich junge Frau war von ihrem goldenen Thron aufgesprungen. Dieser stand direkt rechts der vier Größten. In ihren geweiteten Augen sammelten sich deutlich erkennbar die Tränen. Eben diese Augen waren hellgrün mit leichten Silbersprenkeln. Wolfram musste an seine eigenen Augen denken, welche nun unter dieser unangenehm zu tragenden blauen Flüssigkeit brannten, die ihnen ihr kräftiges smaragdgrün genommen hatten.

Diese Frau, welche ihre hellblonden, langen Haare raffiniert hochgesteckt hatte, hob ihr imposantes Kleid, raffte es schnell und gekonnt leicht nach oben, um dann mit sehr schnellen Schritten, aber dennoch wie es sich für ihren Stand gehörte, im angemessenen Tempo, auf Wolfram zu zu eilen.

Wolfram erschrak über die verblüffende optische Ähnlichkeit zu seiner Mutter Cecilie. Doch dies schien auch nur die einzige Gemeinsamkeit zu sein, denn diese Dame kleidete sich weitaus weniger freizügig.

Sie blieb vor ihm stehen, strahlte über das ganze Gesicht und auch die Tränen schienen nichts von ihrer Schönheit zu nehmen: „Mein kleiner Nana!“, schluchzte sie und drückte Wolfram voller Inbrunst an sich.

Okay. Sie hatte doch Eigenschaften, die ihn an seine Mutter erinnerten und er musste sich zusammenreißen um nicht laut ermahnend 'Mutter' aufzuschreien!

Er ging die Bilder aus der Galerie von Lady von Hundshaupten gedanklich noch einmal durch um sich an den Namen zu erinnern: „Yonno!“, keuchte er schließlich kaum vernehmbar aus der doch recht festen Umarmung. Mittsu neben ihm grinste ihn bestätigend an. Anscheinend spielte er seine Rolle bisher gut.

Yonno löste sich von ihm und betrachtete ihn eingehend: „Ich bin so glücklich! Ich habe mir all die Jahre Vorwürfe gemacht! Es tut mir so leid! Es war alles meine Schuld!“

„Yonno! Nun beruhige dich! Wir haben dir oftmals gesagt, dass du nichts für deine Gabe kannst und somit auch nicht die Schuld trägst!“ , erwiderte eine Stimme hinter ihr und Yonno trat zur Seite, um Wolfram die Sicht auf eine weitere junge Frau zu ermöglichen.

Er erschrak erneut. Es war, als würde er in den Spiegel schauen! Sie war genauso groß wie er und trug ihr honigblondes, leicht welliges Haar offen. Nur ein zart rosafarbenes Haarband zierte ihren Kopf. Ebenso trug sie im gleichen Farbton ein weit ausladendes, mit vielen Rüschen verziertes Kleid. Ihr Körper wirkte so zerbrechlich. Wie eine Porzellanpuppe. Ob er auch so auf andere wirkte. Ihre Wangen schimmerten rötlich, als sie näher an ihn herantrat und ihn auch in die Arme schloss: „Du hast mir gefehlt, großer Bruder!“

Wolfram erinnerte sich an das zweite Frauengemälde in der Galerie: „Hachino!“

Sie nickte und strahlte.

„Ich weiß gar nicht, warum ihr euch so freut!“, schallte es nun von der Tafel her, „Er ist der Mörder unser Väter! Der Mörder unserer Brüder!“

Ein Paar tiefschwarzer Augen funkelten böse in Wolframs Richtung und er spürte, wie er innerlich zurückwich.

„Itsutsu! Schweig still! Wir sollten dankbar sein, dass Einer von Ihnen lebend zurückgekehrt ist!

Gerade in der jetzigen Zeit! Du weißt, was Nanatsu dem Volke bedeutet hat!“, Mittsu stand seinem jüngeren Bruder in der Lautstärke in nichts nach. Seine Stimme wirkte jedoch weitaus bedrohlicher.

„Und deswegen“, wandte sich nun eine weitere, jedoch recht ähnlich klingende Stimme an das amtierende Oberhaupt der Götterdämonen, „hebst du die Todesstrafe auf und heißt ihn hier willkommen, als wäre nichts gewesen? Pah! Die Probleme mit dem Volk hätten wir auch so wieder in den Griff bekommen wie die letzten Jahrhunderte davor auch!“

Ein Schwarzhaariger trat nun neben den Schwarzäugigen.

Das waren also die Zwillinge, Itsutsu und Muttsuno, dachte Wolfram, Vor denen sollte ich mich in Acht nehmen!

Diese Zwillinge wandten sich demonstrativ von Wolfram ab. Yonno legte jedoch mit einem Lächeln, welches Wolfram um Verständnis bat, eine Hand auf seine Schulter: „Jetzt, wo du wieder da bist, wird alles besser!“

„Yonno! Rede nicht so einen Unsinn daher! Es ist alles Bestens so wie es ist!“, schimpfte der braunhaarige Muttsuno, während er sich auf einen bronzefarbenen Thron setzte und nach seinem Weinglas griff.

„Und wenn du uns nicht bald mit einer wirklich aussagekräftigen Vision beehrst, die uns beweist, dass es gut ist, den da“, Itsutsu wies auf Wolfram, „willkommen zu heißen, dann halten wir Beide uns hier an das gegebene Gesetz und richten demnach!“

Wolfram schluckte. Jetzt ungefähr ahnte er, wie sich Yuuri damals beim ersten großen Aufeinandertreffen gefühlt haben musste. Gwendal und er hatten ihn auch so schroff behandelt.

„Hier richtet nur EINER!“, Mittsus Stimme hallte von allen Glaswänden wider.

Dieser Obergott scheint schnell die Fassung zu verlieren, schoss es dem blonden Feuerdämonen durch den Kopf, während er sich von Yonno in einem Sicherheitsabstand zu allen männlichen Götterdämonen durch den Raum schieben ließ.

„Kümmere dich nicht um sie, Nanatsu! Du weißt doch, wie hitzköpfig die Beiden sind!“, flüsterte die blonde Schönheit.

Ehrlich gesagt, wusste Wolfram das nicht, aber er würde es sich für die Zukunft merken und ihnen erst einmal aus dem Weg gehen.

Sie schob ihn auf einen goldenen Thron mit roter Polsterung: „Wir haben ihn an Ort und Stelle belassen, wie er war. Ich wusste, dass du eines Tages wiederkommen würdest!“

Wieder nickte er nur und setzte sich. Dieser Thron befand sich rechts von ihrem. Seine neu hinzugewonnene kleinere Schwester setzte sich links von ihm auf einen wohl in Platin geschlagenen Thron mit cremefarbener Polsterung.

„Sagt den Mädchen, sie können eindecken!“ Hachino winkte der Dienstmagd an der Türe zu.

Diese verbeugte sich und verließ den Saal.

„Wir sollten ein großes Fest zu deiner Rückkehr geben und das ganze Volk daran teilhaben lassen! Es sollte ein landesweiter Feiertag werden!“, Yonno strahlte über ihren eigenen Vorschlag.

Die Türe im Hintergrund wurde wieder geöffnet und ein gutes Dutzend Dienstmädchen trat herein. Jede von ihnen schob einen Wagen mit unterschiedlichsten Speisen darauf.

„Nun übertreib mal nicht, Yonno!“, maulte Muttsuno und nahm einen großen Schluck aus seinem Weinglas.

„Die Idee ist aber nicht schlecht!“, räusperte sich Mittsu, während ihm ein Dienstmädchen einen Teller mit dem ersten Gang servierte, „ Ich denke sogar, es ist genau das, was wir brauchen!“
 

Hilde drückte mir ein Tablett in die Hand und schob mich durch die riesige Doppeltüre, durch welche meine Kolleginnen zuvor all die Wägen mit Speisen darauf durchgeschoben hatten.

„Damit stellst du dich an die Säule direkt neben der Türe und schenkst nur nach, wenn nach Wasser verlangt wird! Und meide Augenkontakt!“, belehrte sie mich im Flüsterton.

Ich nickte verstehend und betrat den Saal. Beinahe wäre ich wie angewurzelt stehen geblieben.

Wo war ich hier? Oder besser gefragt: Was war das hier? Ich hatte so was noch nie gesehen! Nicht einmal auf der Erde! Wir waren wirklich über den Wolken! Im Himmel!

Man konnte also wirklich Götter zu ihnen sagen! Ich schluckte. Wo war ich hier hineingeraten? Langsam stellte ich mich neben die besagte Säule. Hilde dirigierte die anderen Mädchen in Position.

Das Tablett war schwer. Nicht, weil es so beladen war mit den gläsernen Karaffen, sondern eher aus der ungewohnten Position heraus, dieses die ganze Zeit still halten zu müssen.

In der Raummitte war eine große runde Tafel aus massivem, rotem Holz. Was war das für ein Holz? Ich ärgerte mich, dass ich das nicht wusste. Die Stühle um diesen Tisch herum waren eigentlich keine Stühle, sondern unterschiedliche Throne. Und bis auf vier waren alle besetzt.

Das waren also die Götterdämonen von Dark Makoku.

Ob ich noch all ihre Namen zusammenbrachte?

„Wir werden ein großes, imposantes Fest geben!“, sagte einer von ihnen. Er hatte langes eisgraues Haar. Wenn ich mich nicht irrte, war er Mittsu, der dritte Sohn. Und da die älteren Brüder nicht mehr lebten machte ihn das wohl zum Familienoberhaupt.

„Allerdings sollte sich das Volk wirklich darin integriert sehen! Es ist schließlich fast 4500 Jahre her, dass er verschwand. Er ist für das Volk nur noch eine schillernde Legende!“, eine kleinere Blondine nippte an einem Weinglas. Sie saß mit dem Rücken zu mir, aber ich erinnerte mich deutlich an das Portrait, welches ich in der Galerie von Erika gesehen hatte. Sie war Wolfram so ähnlich gewesen! Das musste Hachino sein.

„Nun, dann sollten wir was benennen, was ihn wieder mit dem Volk in Verbindung bringt und weswegen er zurück gekehrt ist!“, wandte dieser Mittsu wieder ein.

Es herrschte Stille am Tisch. Sie aßen alle die ihnen vorgesetzten Speisen. Der erste Gang waren Wachteleier im Spargelbett. Ich bekam Hunger.

Mein Blick wanderte weiter von Mittsu zu der ihm nächst sitzenden Blondine. Dazwischen waren die vier freien Plätze. Das musste demnach Yonno sein. Sie hätte wirklich Cheries Schwester sein können. Ihre Augen funkelten nur einen leichten Hauch heller. Sie hatte mit Abstand die glücklichste Ausstrahlung aller am Tisch. Dann folgte, mir halb abgewandt, ein blonder Herr in einem roten Umhang. Wer war das?

Ich ging nochmals gedanklich durch die Galerie. Mir fiel niemand ein. Ich ging einen leichten Schritt seitlich um einen besseren Blick auf ihn erhaschen zu können. Aber nicht zu weit, denn ich wollte nicht auffallen und meine Tarnung riskieren. In diesem Moment blickte er auf Hachino zu seiner Linken und ich konnte sein Gesicht im Profil erkennen.

Shinou!

Mich durchfuhr ein kalter Schauer.

Das Tablett in meinen Händen schwankte gefährlich.

Das konnte nicht sein!

Shinou konnte in zweierlei Hinsicht nicht hier sein.

Erstens: er war bei Murata und Murata war eindeutig nicht hier und zweitens, und diesen Punkt fand ich noch viel ausschlaggebender, er war tot!

Selbst tote Götter konnten doch nicht an einer Tafel hocken und genüsslich Wachteleier und Spargel essen!

Moment! Das war nicht Shinou! Waren Shinous Haare nicht eine kleine Spur heller?

Diese Haare waren honigblond! Eindeutig honigblond!

Dieser honigblonde Shinou fuhr sich mit einem Lächeln im Gesicht durch sein honigblondes Haar. Ich kannte diese Eigenheit. Er tat es immer, wenn er interessiert scheinen wollte, es aber nicht wirklich war. Wenn er sich in einer Situation nicht ganz und gar wohl fühlte!

Wolfram!

Er war hier! Nur wenige Schritte von mir entfernt! Ich hatte Wolfram gefunden!

Aber warum saß er hier, mit diesen Göttern an einer Tafel, und speiste?

Wusste er nicht, dass ich mir Sorgen machte und ihn suchte?

„Vielleicht sollten wir noch etwas nie Dagewesenes wagen!“, diese Yonno legte ihr Besteck beiseite und wies eine Magd an, ihr den nächsten Gang aufzutragen.

„Was meinst du, Schwester?“, auch Mittsu legte sein Besteck weg und sogleich entfernte man seinen Teller und tauschte ihn gegen einen anderen aus. Der zweite Gang war eine Suppe.

„Nanatsu war beim Volke beliebt für seine Nähe zu ihnen! Daher wäre es doch angebracht, diese Nähe mit etwas zu bestärken!“

„Aber Yonno, wie soll ich denn das bestärken?“, es war eindeutig Wolframs Stimme. Ich seufzte auf. Was hatte ich für ein Glück! Ihm ging es also gut. Das war mir erst einmal das Wichtigste. Meine anderen Fragen würde er mir schon noch beantworten müssen, sobald sich Gelegenheit dazu bot!

„Ich dachte da“, Yonno zögerte und sah verschwörerisch in Wolframs Richtung, „an eine Verehelichung zwischen dir und einer Bürgerlichen!“

WUMM!

Alle am Tisch fuhren zusammen und drehten sich dann zu mir herum.

Ich stand nur da. Mit weit aufgerissenen Augen und ebensolchem Mund. WAS?!
 

Ein Knall ließ Wolfram sowie alle Beteiligten am Tisch herumfahren. Einige Mägde eilten aufgebracht zu einer Magd direkt neben einer Säule. Diese stand stocksteif da und starrte ihn an. Sie hatte ihr Tablett mit Karaffen darauf laut scheppernd fallen gelassen und regte sich nicht.

Wieso starrte ihn diese Magd so an? Sie war etwas zu groß geraten für eine herkömmliche Magd. Sie hatte dunkelrotes, langes Haar, welches in einzelnen langen Strähnen unter ihrem weißen Kopftuch herausquoll. Ihr Mund stand ebenso weit offen wie ihre großen, tiefschwarzen Augen.

„Tut mir leid, eure Heiligkeiten! Sie hat heute ihren ersten Tag und ist noch reichlich ungeschickt!“, sagte eine an Mittsu gewandte, ältere Magd und stieß der rothaarigen Magd böse in die Seite, doch diese blickte Wolfram weiterhin paralysiert an.

„Nun starr nicht so und räume das weg!“, zischte die Ältere die Jüngere an und diese schien wie aus einer Trance zu erwachen und bückte sich sogleich nach den Scherben.

„Schon in Ordnung, Hilde!“, entgegnete Mittsu und wandte sich nun seiner Schwester Yonno zu, „die Idee halte ich für ausgesprochen gut! Dann sieht das Volk auch, dass wir uns ihm gegenüber öffnen wollen! Was sagst du dazu, Nanatsu?“

Wolfram verharrte noch bei der Magd. Er kannte diese Augen. Er kannte sie so gut. Er liebte diese Augen. Er spürte, wie sein Herz stolperte und sogleich anfing, wie wild zu pochen. Dieses Gefühl kannte er auch zu gut. Er hatte es jedes mal, wenn er ihm nahe war!

Er drehte sich zu Mittsu und Yonno herum, die ihn beide fragend ansahen: „Eine Bürgerliche, ja?“

Sie nickten beide. Yonno strahlte immer noch, Mittsus Gesichtsausdruck hingegen wirkte steinern.

„Irgendeine beliebige Bürgerliche?“, fragte er erneut. Wieder nickten beide.

Wolfram stand auf, drehte sich um und ging.
 

Wie konnte mir das nur passieren? Ich Idiot!

Ich kniete mich zu dem Scherbenhaufen zu meinen Füssen und begann sie einzusammeln.

Verdammt! Sie hatten mich alle angestarrt! Hoffentlich flog ich jetzt nicht aus dem Palastdienst! Ich hatte ihn doch gerade erst wieder gefunden! Wie sollte ich ihm denn sonst je wieder so nahe kommen und mir überlegen, wie ich ihn hier herausholen könnte?

Es näherten sich mir Schritte. Hilde hatte gesagt, ich solle meinen Blick gesenkt lassen.

Ich dürfte nicht noch mehr Fehler machen!

Die Schritte verstummten genau vor mir. Mist!

Ich darf nicht hoch blicken! Bloß nicht! Ich brauche diese Stelle um ihm nah zu sein!

Ich spüre, wie sich zärtlich eine Hand unter mein Kinn legt.

Was?

Mein Kinn wurde angehoben und mein Blick wurde dadurch automatisch auf zwei strahlend blaue Augen gelenkt. Langsam beugte sich der Kopf zu mir herunter und flüsterte mir ins Ohr:

„Meinen Waschlappen erkenne ich überall!“

Badumm... badumm.... mein Herz schlug mir bis zum Hals!

Noch immer über mich gebeugt suchte er erneut Blickkontakt mit mir.

Wolfram!

Seine Hand stützte immer noch mein Kinn.

Langsam näherte sich sein Gesicht dem meinen an: „Spiel dieses Spielchen mit!“, wisperte er leise über seine glänzenden zartrosa Lippen, bevor sich diese sanft auf meinen Mund legten.

Ich hatte das Gefühl mir zog es den Boden unter den Füssen weg.

Wolfram!

Seine Lippen waren so weich und warm. Ich fühlte mich wie berauscht!

Bitte lass diesen Kuss, warum auch immer er gerade zwischen uns stattfindet, nie enden!

Ich will nicht schon wieder von ihm getrennt werden!

Doch langsam und für mich fast schmerzlich, löste er seinen Mund wieder von meinem und lächelte. Etwas lauter, für alle im Raum vernehmbar, sagte er zu mir schon fast im Befehlston: „Heirate mich!“

Ich konnte nur noch nicken.

Warum nicke ich eigentlich?

Er ließ mein Kinn los, drehte sich um und ging wieder zurück an seinen Platz. Ich saß immer noch da vor meinem Scherbenhaufen. Um mich herum hörte ich die anderen Dienstmädchen eifrig tuscheln.

Hat mir Wolfram gerade einen Antrag gemacht und ich hab ja gesagt?

„Das habe ich noch nie erlebt!“, Hilde packte mich am Oberarm und zog mich zurück auf meine Beine. Ich wunderte mich, dass ich überhaupt stehen konnte. Sie fühlten sich an wie Pudding!

„Dein erster Arbeitstag und dann das! Hätte ich das geahnt, dann hätte ich schon vor Jahren ein Tablett fallen lassen!“, und sie schob mich aus dem Saal raus.
 

Wolfram setzte sich und betrachtete seine ältesten Geschwister an dieser Tafel: „War das so in eurem Sinne?“

Yonno klatschte in die Hände: „Fantastisch, Nanatsu! Du hast dich kein bisschen verändert! Immer noch so leidenschaftlich und stürmisch!“

„Und unüberlegt! Wir wissen nichts über diese Magd! Wir hätten doch eine erwählen können!“, warf Mittsu trocken ein und Wolfram erkannte eine leichte Spur des Misstrauens in den Augen des Familienoberhauptes.

„Dann wäre es aber vermutlich nicht so Erfolgversprechend für uns wie jetzt!“, Wolfram wies auf die nun nervösen und aufgeregten Dienstmädchen im Raum, „Nun wird sich diese Kunde im ganzen Reich verbreiten ohne unser großes Zutun!“

Mittsus ernster Gesichtsausdruck wandelte sich in ein überlegenes Grinsen: „Gut durchdacht! Du entstammst wirklich unserem Hause!“



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