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Der Weg aus dem Kampf

Wenn Träume Berge versetzen
von

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Sturm

Kapitel 40

Sturm
 

Die Wanderung wurde danach ohne größere Aufenthalte fortgesetzt. Nur ein einziges Mal flogen sie zu einer vorbeiziehenden Insel hinauf, um Post abzugeben und ein wenig Begrünung durchzuführen, und ein paar Mal bekamen sie Besuch von Hanebito, die mit ihnen dann aßen, jagten oder einfach Geschichten austauschten. Die im letzten Jahr noch vorhandene misstrauische Scheu hatte sich offenbar verflüchtigt.

Der große Fluss wurde immer breiter, die Strömung oft zu stark, um wirklich noch darin zu schwimmen. Dafür war es Dank der Baumformereigenschaft möglich, ein Boot zu gestalten, das sie schnell voran brachte. Selbst Mimoun konnte problemlos darauf liegen, da es mehr ein Floß war. Allerdings sorgte die zunehmende Sommerhitze dafür, dass er das selten wahrnahm. Er war es auch, der in kritischen Fällen dafür sorgte, dass sie nirgendwo dagegen fuhren oder nachts an Land kamen, denn Dhaômas Fähigkeiten das Wasser zu beeinflussen, waren lächerlich gering.

Die meiste Zeit, die sie nicht beschäftigt waren oder nur auf dem Boot saßen, bemühte der Magier sich, den Wind zu finden und zu rufen, aber er schien nicht die richtige Technik zu haben, denn es funktionierte nicht. Meistens gab er irgendwann frustriert auf, nur um am nächsten Morgen wieder damit anzufangen.

Und dann wurde der Fluss richtiggehend unübersichtlich. Das große Delta teilte die Wasser in mehrere große Arme auf, die dazwischen gigantische Sümpfe entwickelt hatten, die es Dhaôma die meiste Zeit unmöglich machten, am Ufer zu landen und ein Nachtlager aufzuschlagen. Daran waren nicht zuletzt die Mücken schuld, die selbst Mimoun mit seiner wettergegerbten Haut Probleme bereiteten.

Tagelang trieben sie dahin, nur manchmal suchte Mimoun Frischfleisch, damit er nicht nur von Gemüse leben musste.

Und dann tauchte es vor ihnen auf. Aus dem mit Bäumen bewachsenen Sumpf wurde sandiges Flachland, angefüllt mit Gräsern und Schilf und Wildrosenbüschen und dahinter, groß, unendlich und einschüchternd glitzerte es im Sonnenlicht. Das Große Wasser.
 

Sie zogen das Boot auf den sandigen Uferstreifen und starrten auf die ehrfurchtgebietende Menge Wasser, die sich vor ihnen ausbreitete. Der lockere Sand quoll zwischen den nackten Zehen hervor, als Mimoun bis zur Wassergrenze ging und die Wellen seine Füße umspielen ließ. Trotz der Temperaturen um ihn herum war das Wasser kühler als erwartet. Auch herrschte hier ein steter Wind, der viel von der Wärme nahm.

Neugierig bückte er sich nach einem vorbei treibenden, weißlich-durchsichtigem Gebilde, an dem Fäden hingen. „Irks.“, gab er von sich, als seine Finger auf glibberige Masse stießen. Als nächstes folgte ein stechender Schmerz im Finger. Hastig ließ er das Teil wieder los und steckte sich den Finger in den Mund. Nur um ihn wenig später hastig wieder heraus zu ziehen. „Bäh.“
 

Mit großen Augen beobachtete Dhaôma dieses Verhalten, dann begann er zu lachen. „Finger her.“, befahl er und linderte das stetig zunehmende Brennen, bis es verschwand. Danach betrachtete er das weiße Teil. „Ist das eine Pflanze oder ein Tier?“, wollte er wissen. Und um das zu überprüfen, ließ er seine Arme erglühen. „Keine Pflanze. Die Tierwelt ist schon seltsam, dass sie etwas hervorbringt, was nicht einmal genug Konsistenz hat, um Farbe zu bilden.“
 

„Das ist ein Tier?“ Zweifelnd sah der junge Geflügelte auf die glibberige Masse herab. Durch die Wellen wurde es nun erneut in seine Richtung getrieben und so wich er lieber hastig aus. Nachdem er sich sicher sein konnte, dass es ihn in nächster Zeit nicht erreichen konnte, stemmte er die Hände in die Hüften und sah auf die ewige blaue Fläche.

„Dort hinaus müssen wir also.“, stellte er sachlich fest. Dennoch wühlte Unbehagen in ihm. So weit sein Blick auch reichte, dort schien nicht zu sein, wo er eine Rast einlegen könnte, sollte er versuchen, es zu überfliegen.
 

„Dort hinaus.“, bestätigte Dhaôma. „Aber wir wissen nicht, wohin genau. Es ist viel zu gefährlich, einfach hinauf zu fliegen, ohne wenigstens die Richtung zu kennen.“
 

Wenig motiviert ruckten die Schultern des Geflügelten kurz nach oben. „Allein und ohne Gewicht könnt ich ein bisschen raus fliegen. Gewitterwolken sind eigentlich auch aus geringerer Höhe noch gut zu erkennen.“
 

„Dann mach das.“, zuckte Dhaôma mit den Schultern. „Ich werde Essen vorbereiten und vielleicht noch ein bisschen mit dem Wind reden.“ Er nannte es reden, weil er hoffte, dass der Wind ihm noch einmal etwas erzählen würde wie damals nachts oben auf der Insel.
 

Seufzend ergab er sich in sein Schicksal. Er wollte nicht allein irgendwo ins nirgendwo fliegen, doch so war es wirklich sicherer. So hatte er mehr Ausdauer zur Verfügung. Anfangs flog er auf seiner Suche stur geradeaus, immer dem Horizont entgegen. Das immer einheitliche Blau unter ihm, das einheitliche Blau über ihm, nur durchzogen von einigen wenigen schnell vorbeiziehenden weißen Streifen machten ihn kirre. Ein Blick zurück verriet ihm, dass er das Land bald nur noch als schmalen Streifen sehen würde. Er sollte es nicht ganz aus den Augen verlieren, wollte er den Rückweg finden. Zwar half ihm auch der Stand der Sonne, aber es gab ihm eine zusätzliche Sicherheit. Er schwenkte zur Seite, flog nun mehr oder weniger parallel zum Strand und als er nach wenigen Stunden erschöpft zu seinem Freund zurückkehrte, konnte er ihm keine positiven Nachrichten übermitteln.
 

Dhaôma hatte den Strand abgesucht, aber auch nichts Hilfreiches gefunden. Weder am Boden noch in der Luft. Aber er hatte das Gefühl, dass der Wind hier anders war, auf eine schwer zu beschreibende Art schwerer. Er schob es auf den Salzgehalt.

Also machte er Feuer und verbrannte Treibholz, das wunderbar brannte, wenn auch nicht lange, während er ein paar Kartoffeln und Gelbe Rüben in der Glut röstete.

Insgesamt waren sie also an einem toten Punkt angekommen. Die Freude darüber, aus eigener Kraft das Große Wasser erreicht zu haben, wurde dadurch ziemlich geschmälert. Aber wie sie schon gelernt hatten; die Dracheninsel flog wie alle anderen, blieb nie still auf einem Platz. Woher sollten sie wissen, wo sie jetzt war? Konnten sie sie rechts oder links finden? War es überhaupt sinnvoll, sich für rechts oder links zu entscheiden und den Strand entlangzulaufen? Oder kam die Insel aus Richtung des Wassers? Konnte man die Flugrichtung überhaupt anhand der anderen Inseln ablesen?

Am nächsten Tag suchte Dhaôma in seinen Büchern nach einem Hinweis, aber er fand keinen. Nichts, das sich übertragen lassen würde. Da stand nur, dass die Drachen immer wüssten, wo ihre Heimat war – ganz klasse, wenn man keinen Drachen zur Hand hatte, der es einem sagen konnte.
 

Während Dhaôma in seinen Büchern recherchierte, entschloss sich der Geflügelte, dieses Mal seine Suche in die andere Richtung auszuweiten. Wieder flog er so weit aufs Meer hinaus, dass er das Land nur noch wage erkennen konnte, und nahm dann die entgegen gesetzte Richtung zum vorherigen Tag. Fast hatte er sich schon dazu entschlossen zum Festland zurückzufliegen, als er fand, was er suchte. Und doch wirkte es nicht wie das, was er suchte. Weit in der Ferne, kaum zu erkennen, schienen sich dunkle Wolken zusammenzubrauen. Vielleicht mochte das nicht ihr Ziel sein, aber wenn hier draußen ein Sturm losbrach, während er ungeschützt über dem Meer schwebte…

Hastig trat er den Rückflug an. Zu Dhaôma würde er es möglicherweise nicht mehr schaffen, konnte ihn also nicht warnen, aber zumindest das Land musste er erreichen.

Die Zeit schien sich in die Länge zu ziehen, der Wind frischte zunehmend auf, trieb ihn dadurch wenigstens schneller in Richtung Festland. Als er es endlich erreichte, türmten sich vor ihm zerklüftete Klippen auf. In denen konnte er einfach Schutz vor dem nahenden Unwetter finden. Möglichst weit oben suchte er sich eine enge Spalte. Er hatte die langsam höher werdenden Wellen bemerkt. Mimoun kannte nur Stürme im Landesinneren, wusste nicht, wie es sich hier draußen verhielt, doch das wilde Wasser beunruhigte ihn. Mehr als Warten blieb ihm trotzdem nicht übrig. Und hoffen, dass das Unwetter an seinem Magier spurlos vorbeizog.
 

Auch bei Dhaôma zeigten sich die ersten Anzeichen des Sturmes durch schnell treibende Wolken. Besorgt sah er auf das Meer hinaus, über dem Mimoun verschwunden war. Regen war das nächste, das kam. Heftiger Regen, der das Feuer innerhalb von Sekunden löschte. Auch sein Pelz war innerhalb von ein paar Augenblicken völlig durchnässt, seine Haare klebten an ihm, aber er suchte keinen Schutz. Er stand am Strand, an den die Wellen inzwischen viel höher schlugen als noch vor einigen Stunden. Und von Mimoun war nichts zu sehen. Zwischen den Regenschleiern erwartete er das auch gar nicht.

„Mimoun!“, brüllte er. „Mimoun!“ Immer wieder und wieder. Er rannte am Strand entlang in die Richtung, in die Mimoun hatte fliegen wollen. „Mimoun!“ Angst beherrschte sein Herz, als das Gewitter losbrach und noch immer nichts von ihm zu sehen war. „Mimoun!“

Inzwischen tobte das Meer. Von dem hübschen Funkeln war nichts mehr zu erahnen. Gewaltig und brutal stürzten hohe Wellenberge übereinander. Und obwohl es erst Nachmittag war, war es fast stockdunkel. Wenn Mimoun da hineinfiel, war er tot!

Das blasse Licht fiel ihm kaum auf, als er regenblind ins Wasser stolperte. Die Wellen erreichten schnell seine Brust und schwemmten ihn hin und her. „Mimoun!“
 

Selbst hinter der Felsnadel war er bald bis auf die Knochen durchnässt. Der Wind pfiff durch die Ritzen, ohne die Kraft zu haben, dem jungen Geflügelten zu schaden. Dennoch krallte sich dieser in die Felsen. Lange Zeit, schier endlos schien der Sturm zu toben. Mimoun verlor jegliches Zeitgefühl. Wichtig war für ihn nur noch, dass er schließlich hörte wie das Pfeifen leiser wurde, spürte wie der Zug an Kleidern und Flügeln abschwächte und schließlich verschwand. Nur der Regen schien zu einem ständigen Begleiter werden zu wollen. Es störte ihn nicht. Er kletterte höher, konnte in diesem Regen schlecht fliegen und suchte an Land eine Möglichkeit zu seinem Magier zu gelangen.

Schnell flachten die Klippen zu einem Plateau ab. In gebührendem Abstand zum Rand rannte er los. Zwar war er geübter nun als noch vor Jahren, trotzdem erreichte er bald das Limit seiner Kräfte. Seine Lungen brannten, seine Muskeln schmerzten, als er sich weiter vorwärts trieb. Nur ein Gedanke beherrschte ihn: Dhaôma. Er hatte ihn nicht warnen können. Hatte der Magier einen sicheren Unterschlupf gefunden? Ging es ihm gut?

Das Plateau flachte bereits langsam zum Strand hin ab, als ihn seine Kräfte verließen und er ein Stück des Abhangs hinunterkugelte. Erschöpft versuchte er sich hochzustemmen, doch seine Arme verweigerten ihren Dienst. Heftig atmend blieb er notgedrungen dort, wo er war, einfach liegen. Als er sich nach Ewigkeiten wie es schien, endlich wieder hochstemmen konnte, rannte er nicht mehr. Dafür fehlte ihm die Kraft. Er kämpfte sich Schritt für Schritt vorwärts.

Es war nur noch sein von Dhaôma am Anfang ihrer Beziehung attestierter Sturkopf, der ihn nach Stunden auf den nun völlig durchweichten Sandstrand führte. Selbst der Regen hatte mittlerweile an Stärke eingebüßt, war nun kaum mehr als ein Nieseln. Dafür hatten sowohl Muskeln als auch Lunge ein wenig an Kraft zurückerlangt, so dass der junge Geflügelte in einen lockeren, Kräfte sparenden Trab verfiel.

Der Sturm hatte große Verwüstung angerichtet. Die Gräser waren nahezu unbeschadet davon gekommen, boten sie dem Wind keinen Widerstand, stattdessen waren immer wieder entwurzelte Bäume zu finden, niedergedrückte Büsche. Vermehrt fand sich solches Holz nun auch direkt an der Wassergrenze, vom Sturm ins Meer gerissen und von diesem zurück an den Strand geschleudert. Vereinzelt fanden sich auch tote Fische an Land, nur waren sie im Moment so völlig ohne Interesse für Mimoun. Erst der größere Körper, den er am Strand fand, ließ sein Blut in den Adern gefrieren. Sein Schritt stockte und er sank zittrig in die Knie.

„Nein.“, hauchte Mimoun. Der Leib lag noch halb im Wasser. Die Beine wurden noch immer von nun ruhigen Wellen umspült, die die wirr im Sand verteilten Haare und das abgewandte Gesicht aber nicht mehr erreichen konnten. Die Sicht des Geflügelten trübte sich. Er spürte nicht, wie sich Tränen zu dem Nieselregen auf seiner Haut hinzugesellte. Es war seine Schuld. Er hätte nicht so weit weg fliegen sollen. Er hätte schneller wieder da sein müssen. Er hätte seinen Magier warnen und beschützen müssen, so wie er es versprochen hatte.

Wie mechanisch kroch er zu dem leblosen Körper hinüber und zog ihn sanft in seine Arme, wiegte ihn wie ein kleines Kind hin und her. „Es tut mir Leid.“, hauchte er, während er die verklebten Strähnen aus der Stirn strich.
 

Die warme Berührung und dass sein Körper bewegt wurde, weckte Dhaôma. Kraft hatte er immer noch nicht, nicht einmal genug, um seine Hand selbst zu heben, aber die Augen konnte er öffnen, auch wenn es Mühe kostete. Sie brannten ein wenig, waren verklebt, aber verschwommen konnte er Mimoun erkennen. ‚Du lebst!’, wollte er sagen, aber es kam nichts aus seinen Lungen, außer einem kratzigen Husten.
 

Erst das Husten machte ihn darauf aufmerksam, dass Dhaôma am Leben und wieder wach war. Wie erstarrt sah er auf ihn herunter, bevor die Tränen nun ohne Hemmungen flossen.

„Scht. Ganz ruhig.“, flüsterte er, nachdem er seine Starre überwunden hatte. Dhaôma lebte, er war am Leben! Immer wieder strichen seine Finger die bereits nicht mehr im Gesicht klebenden Haare beiseite. Dann erst wurde ihm bewusst, dass sein Magier noch immer halb im Wasser lag und auszukühlen drohte.

Mimoun hatte keine Ahnung, wie weit es zu ihrem Lager war. Dies schien nicht der Ort zu sein, soweit er sich erinnern konnte. Sanft hob er seinen Freund hoch, strauchelte kurz und brachte ihn die Böschung hoch. Zwischen den Gräsern befreite er Dhaôma und sich selbst von den nassen Kleidern. Anschließend verhinderte er mit seinem eigenen Körper, dass sein Freund auf der nassen Erde lag und schlang Arme und Flügel um sie.

„Ganz ruhig.“, wiederholte er leise. „Es wird alles wieder gut. Ruh dich aus.“ Unablässig fuhren seine Finger durch die wirren Haare. Sein eigener Körper schrie nach Ruhe, doch er konnte nicht. Er wollte sich keine Ruhe gönnen, aus Angst Dhaôma könnte seinetwegen doch noch etwas geschehen.
 

Der Regen ging und irgendwann auch die Nacht. Als Dhaôma erwachte, schlief Mimoun unter ihm. Noch immer fühlte er sich schwach und ausgelaugt, aber immerhin ging es ihm körperlich gut. Als er mitbekommen hatte, dass Magie floss, ohne dass er sie kontrollieren konnte, war es schon zu spät gewesen. Fast wäre er ertrunken, wenn diese eine Welle ihn nicht noch an den Strand geworfen hätte. Aber es hatte funktioniert. Was auch immer der Wind mit seiner Magie gemacht hatte, es hatte ihm Mimoun zurückgebracht.

Selbstvergessen streichelte er das schlafende Gesicht, während es immer wärmer wurde. Dank der Sommersonne verdampfte das Wasser schnell zu feuchtem Nebel, der nach und nach lichter wurde und dann verschwand. Das war der Zeitpunkt, an dem Dhaôma befand, dass Mimoun lang genug geschlafen hatte.

„Willst du nicht aufwachen?“, fragte er kichernd. „Damit wir was essen können und du eine etwas bequemere Position einnehmen kannst?“ Egal, was er versucht hatte, der Hanebito hatte ihn nicht losgelassen, sich weiterhin an ihn geklammert.
 

„Nein.“, murmelte der junge Geflügelte in unruhigem Halbschlaf und zog den Griff um dem Magier fester. „Es tut mir Leid. Bitte nicht.“
 

Wieder kicherte Dhaôma und ließ sich widerstandslos an die starke Brust ziehen. Manchmal war Mimoun wie ein Kleinkind so niedlich. „Was tut dir Leid? Dass du weiterschlafen willst?“
 

Die Worte holten ihn endlich völlig aus seinem Schlaf. Die grünen Augen färbten sich in stiller Pein noch dunkler und das Gesicht verzog sich vor Qual, als er seinen Magier erblickte.

„Ich hätte hier sein müssen. Ich hätte dich beschützen müssen, wie ich es dir immer wieder versprochen habe.“ Den Griff nur leicht lockernd, setzte er sich auf. „Ich dachte, du wärst tot.“ Jedes Wort war leiser, als das davor, so dass das letzte kaum mehr als ein Formen der Lippen war.
 

„Ja, die Entschuldigung gebe ich gerne zurück.“ Zerknirscht strich er ihm über die Wange. „Fast hätte ich dich verloren. Ich hatte solche Angst.“
 

Eine Hand löste sich aus der Umklammerung. Mit dieser fuhr sich der junge Geflügelte fahrig über Stirn und Augen. Sein Blick irrte überall hin, nur nicht zu Dhaôma. „Du kannst nichts dafür. Dich trifft keine Schuld.“ Ein Kopfschütteln begleitete seine Worte. „Kaley hat mich bereits auf meine Unzulänglichkeit hingewiesen. Ich kann nicht vorausahnen, wann und in welcher Stärke ein Unwetter losbricht. Ich war zu weit draußen, als ich gesehen habe, wie er sich bildete. Ich hatte mich zu weit entfernt. Ich hab es nur mit Müh und Not an Land geschafft und dich völlig ohne Warnung und Schutz zurückgelassen. Ich habe dich im Stich gelassen. Ich habe nur mich gerettet, statt alles dafür zu tun, dich zu retten. Ich hab das Resultat ja gesehen.“ Sein Blick glitt nun an den Strand, suchte die Stelle zwischen dem Treibholz, an der er seinen Freund entdeckt hatte. „Leblos. Halb im Wasser. Wie tot.“
 

Schweigend lauschte Dhaôma seinem Freund und während er am Anfang noch mitleidig war, verengten sich seine Augen mit der Zeit immer mehr. Am Ende boxte er Mimoun gegen die Brust. „Ja, aber nicht wirklich tot!“ Er holte tief Luft. „Was erzählst du da, du willst dein Leben riskieren, um mich zu retten. Blödsinn! Hirnverbrannter Blödsinn! Du sollst dich selbst retten! Genau deswegen wollte ich dir helfen, weil ich wusste, dass du auf dich keine Rücksicht nehmen würdest! Natürlich sollst du dich selbst retten, damit ich mir keine Sorgen machen muss.“ Wieder holte er Luft und fuhr sanfter fort. „Ich will nicht, dass du stirbst. Ohne dich wäre ich niemand, nichts, hilflos und einsam. Ich würde vor Kummer umkommen, wenn du sterben würdest, also pass auf dich auf und erzähl keinen Unsinn, dass du mich retten kommen willst, obwohl du selbst es nur mit Müh und Not schaffst. Ja?“ Flehentlich sah er ihm in die Augen, drehte extra den schwarzen Wuschelkopf in die richtige Richtung.
 

Er konnte ihm nicht zustimmen. Für ihn würde Dhaômas Leben wohl immer an erster Stelle stehen, wie er gerade selbst herausgefunden hatte. Um nicht antworten zu müssen und auch, um nicht mehr diese flehenden Augen zu sehen, zog er den Kopf seines Freundes zu sich heran und drückte seine Lippen gegen dessen Stirn.

„Also setzt du dein Leben aufs Spiel, um meines zu retten und ich soll meines nicht riskieren, um deines zu schützen.“, fasste er noch einmal zusammen, als er sich die Worte des Magiers erneut durch den Kopf gehen ließ.
 

„Nein.“, schüttelte dieser den Kopf. „Du verstehst nicht. Wenn du nicht in Gefahr schwebst, muss ich mich nicht in selbige begeben. Und andersherum. Oder?“
 

„Hätten wir also darauf vertraut, dass sich der andere selbständig in Sicherheit gebracht hat, wäre niemandem etwas passiert.“, brachte Mimoun es auf den Punkt. Nach einigen Überlegungen fing er an zu kichern. „Das heißt also, wir sollten aufhören, uns gern zu haben, weil Herz und Körper immer schneller reagieren als unser Verstand.“
 

Dhaôma lachte nicht mit. Stattdessen schüttelte er den Kopf und umarmte Mimoun. „Nein.“ Und nach einer kurzen Pause, seufzte er tief. „Aber ich weiß, was du meinst. Ich habe nicht nachgedacht, als ich dachte, du wärst in dem Sturm. Ich kann mich auch nicht erinnern, was ich getan habe. Ich habe es einfach getan.“
 

Kaum konnte Dhaôma das Gesicht seines Freundes nicht mehr sehen, verblasste das Lächeln darauf. Zu tief saß noch die Angst, die Furcht vor dem Verlust in ihm. Nur die feste Umarmung war Zeuge der starken Gefühle, die in Mimoun tobten.

„Es ist nicht wichtig. Es zählt nur, dass du noch lebst.“, flüsterte er ihm ins Ohr.
 

Nickend gab der Braunhaarige Mimoun Recht. Es zählte nur, dass sie noch am Leben waren. Alles andere war nebensächlich.

Nach einiger Zeit Schweigen schüttelte sich Dhaôma ein wenig und richtete sich auf. „Wir sollten wirklich etwas essen, um den Schrecken zu verdauen und zu überlegen, was wir jetzt machen können. Aufs Meer hinauszufliegen, ohne Sicherheit, ist keine gute Idee. Auch glaube ich nicht, dass in den Wellen von gestern Abend unser kleines Boot lange überleben würde. Also brauchen wir eine andere Möglichkeit.“
 

Länger als nötig lagen nach dem Vorschlag seine Hände um Dhaômas Hüften. Nur widerwillig gab Mimoun den Magier schließlich frei und erhob sich seufzend. Durch die Bewegungen spürte er die Nachwirkungen der gestrigen Ereignisse. Das viele Rennen, das exzessive Gehen und der anschließende Trab hatten für ordentlichen Muskelkater gesorgt. Seine Funktion als Bett dagegen sorgte für ordentliche Verspannungen.

Suchend ließ er seinen Blick über die Umgebung schweißen. Dunkel erinnerte er sich, dass er ihre Kleider achtlos hatte fallen lassen. Nicht weit von sich konnte er die wahllos herumliegenden Sachen ausmachen. Mit einem kräftigen Ruck schüttelte er den Sand ab und verzog das Gesicht. Die der Sonne zugewandte Seite war fast schon wieder trocken, während die von nassem Sand bedeckte noch immer klamm war. Mit einem erneuten Seufzen schwang er sich seine Kleider über die Schulter. Da würde er nicht reinschlüpfen.

Da Dhaôma dem Geflügelten entgegen gekommen war, machten sich die beiden Freunde nun in die entsprechende Richtung auf, immer den Strand entlang. Je weiter sie liefen, desto weniger wurden Spuren des Sturmes sichtbar, doch auch ihr Lager war nicht verschont geblieben. Es war jedoch nicht schwer, die Sachen wieder zu finden. Hier hatte der Sturm nicht mehr solche Kraft gehabt und ihre Habseligkeiten waren in den Büschen oberhalb der Böschung hängen geblieben. Dennoch dauerte es eine Weile, bis alles wieder beisammen war und in der Sonne zum Trocknen lag. Akribisch untersuchten sie alles auf Schäden und besserten es notdürftig aus. Zwar konnten sie auch das Boot wieder trocken legen, die Frage war, was es ihnen brachte? Sollten sie in dieser Nussschale auf dem Wasser erneut von solch einem Sturm überrascht werden, würde sich keiner von ihnen noch retten können.

Nachdem die beiden Freunde gegessen und alles erledigt hatten, was es zu tun gab, saßen sie nebeneinander am Strand und sahen auf die träge dahinrollenden Wellen. Nichts vom Wasser her gab noch einen Hinweis auf die Katastrophe des gestrigen Tages. Das Problem lag aber ganz woanders. Wo sollten sie nun nach der Insel suchen, wenn die Bücher nichts über ihre Flugroute preisgaben? Wie sollten sie über das große Wasser kommen, wenn alles innerhalb von Sekundenbruchteilen in einem Sturm zerschmettert wurde.

Mimoun angelte nach einem dünnen Stöckchen und stocherte unmotiviert in einem angeschwemmten Glibbertierchen herum. Ihm waren mittlerweile die Ideen ausgegangen. Leider hob auch das Malträtieren des Schleimchens seine Laune nicht und mit einem abgrundtiefen Seufzen ließ er sich zurückfallen, verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Er sah zu Dhaôma hinüber. Bevor er aber etwas sagen konnte, schweifte sein Blick an diesem vorbei. Misstrauisch verengten sich seine Augen. Dort hinten, noch weit entfernt, schwebte schon wieder so eine dunkle Wolke. Größe und Entfernung ließen sich nicht wirklich ausmachen. Dann fiel ihm etwas auf, das ihn stutzig werden ließ. Mit einem Ruck setzte er sich auf.

„Du bist doch das Unwettergenie.“, begann er. „Was ist der geringste, außer von Magie erzeugte, zeitliche Abstand zwischen zwei Stürmen?“
 

„Ai?“ Überfordert, weil aus seiner dämmrigen Stimmung gerissen, sah er zu Mimoun. „Du wohnst oben auf den Inseln. Drei Stunden? Zwei? In den Steppen kann es auch mal relativ kurz hintereinander schrecklich stürmen. Dagegen gab es im Wald selten mal einen Sturm.“ Er zuckte hilflos mit den Schultern. „Egal, was du denkst, es ist zu gefährlich, hinauszufahren und sich lediglich auf eine Vermutung zu verlassen, um rechtzeitig wieder an Land zu kommen.“
 

„Dann sollten wir unsere Sachen packen und einen Unterschlupf suchen.“, wies der junge Geflügelte seinen Freund mit einem hinweisenden Fingerzeig auf die näher kommende Gewitterwand hin.
 

Dhaôma nickte wenig begeistert und sah in die bezeichnete Richtung. Aber irgendetwas war komisch an der Wolke. Sie reichte nicht bis hinunter aufs Wasser. Es gab keinen Wellengang. Und man konnte ganz weit hinten, noch hinter der Wolke einen schmalen Streifen Himmel sehen. Oder war das eine Spiegelung des Wassers?

„Das sieht komisch aus.“, meinte er Stirn runzelnd. „Als ob es nur eine Spiegelung wäre. Es gibt gar keine Anzeichen in der Umgebung. Und es ist auch noch kein ungewöhnlicher Wind zu spüren.“
 

„Kein Wind, kein Wellengang.“, wiederholte Mimoun. „Dann droht mir ja keine Gefahr.“ Fließend erhob er sich und klopfte sich den Sand von den Kleidern. Dennoch flog er nicht los. Abwartend sah er zu dem Magier. Wie dieser bereits gezeigt hatte, würde er sich in Gefahr begeben, wenn auch nur die Ahnung einer Gefahr für den Geflügelten bestand.
 

„Bleib hier.“ Der Braunhaarige war aufgesprungen und hielt seinen Freund jetzt am Arm fest. „Ich kann dir nicht helfen, wenn das Gewitter später weiter herunterkommt. Das ist viel zu gefährlich.“ Und weil es auch für ihn sehr unbefriedigend war, fügte er noch an: „Lass es uns noch ein wenig beobachten, ja?“
 

Ein kurzes Kichern drang über die Lippen, bevor sie sich sanft auf die Schläfe des Magiers legten. „Du bist so süß.“, flüsterte Mimoun ihm ins Ohr, bevor er sich vorsichtig losmachte und umwandte. Wie auch immer sich diese Situation entwickeln würde, es wäre angebracht, ihre Habseligkeiten bereits gebündelt zu haben.
 

Überrascht sah Dhaôma ihm nach. Süß? Er? Warum?

Nachdenklich sah er zurück zu dem herannahenden Sturm. Es sah nicht so aus, als würde es darunter regnen. Und bildete er sich das ein, oder kam der Sturm tatsächlich näher? Warum war dann so gar kein Wind zu spüren?

„Wir könnten das Boot umdrehen und es als Dach benutzen.“, suggerierte er nachdenklich, ohne das Wetter aus den Augen zu lassen. „Wäre nur nicht so günstig, wenn viel Regen fällt, dann wird es darunter vermutlich richtig nass. Andererseits könnte man vielleicht ein wenig Treibholz als Boden benutzen, damit das Wasser uns nicht erreichen kann.“
 

Kurz glitt der Blick grüner Augen über das bezeichnete Objekt, dann über die Landschaft. Sie brauchten eine Stelle, die abschüssig war, wo das Wasser nur in eine Richtung fließen würde, und dennoch weit genug vom Strand entfernt, um von den Wellen nicht zu stark bedrängt zu werden.

Zwar fand Mimoun keine ideale Stelle, aber etwas, was dem nahe kam. Tief krallten sich seine Nägel in das harte Holz des Bootes und man sah die Anspannung der Muskeln, als er es Stück für Stück die Düne hinaufzog. Bereits auf halber Höhe blieb er stehen und stemmte es zur Seite, bis es kippte und schließlich kieloben vor ihm lag. Zufrieden rieb er seine Hände aneinander. Der Blick des Geflügelten glitt über den Strand.

„Wir brauchen stabiles Holz, um die untere Seite ein wenig hochzuhalten und vernünftig abzustützen. Und flaches, um einen guten Boden abzugeben.“, kommandierte er und lief bereits los. Die dunklen Wolken kamen unaufhaltsam näher und noch immer war von Regen und Wind keine Spur. Nur ein vereinzelter Blitz sprang darin herum.
 

Auch Dhaôma machte sich sofort an die Arbeit. Für ein wenig Magie hatte er gewiss genug Kraft, aber die würde er dafür verwenden, die Planken mit dem Holz zu verbinden. Wenig später schleppte er Äste an, die möglichst gerade waren und legte den Boden damit aus. Es würde gerade genug Platz in dem Raum sein, um Mimouns Flügel angeklappter Weise unterzubringen. Sehr bequem würde es wohl nicht werden, aber es war auch nur eine Notlösung für ein paar Stunden. Wieder hielt er inne, um zu dem Sturm zu sehen, der die Richtung wohl geändert hatte, denn er veränderte seine Position nun entlang des Strandes. Jetzt sah man auch, dass er sich hervorragend abgrenzte. Wie eine Windhose in der Wüste.

„Mimoun!“, rief er aufgeregt. „Das ist wie das Bild! Das Bild in der Höhle!“
 

Dieser hörte den Ruf und wandte nun seine volle Aufmerksamkeit auf die Wolken. Wirklich gut konnte er sich nicht mehr an die Zeichnung erinnern. Eine Insel, über der Drachen schwebten, mit Gewitterwolken drum herum. Glaubte er zumindest.

„Nicht wirklich.“, gab er zurück. „Das hier sieht echter aus.“ Schnellen Schrittes brachte er sein Holzbündel zu ihrem provisorischen Unterschlupf, ließ es achtlos davor fallen und rieb seine Hände über die Hose. „Lassen wir unseren Kram hier und probieren es erst einmal so? Nehmen wir das Zeug vorsichtshalber mit, da das Gebilde ja augenscheinlich nicht gewillt ist, an einem Fleck zu bleiben?“
 

„Du kannst niemals alles da hoch tragen, oder? Und viel Gewicht macht dich auch unflexibel, also lassen wir hier, was nicht gebraucht wird. Notfalls können wir das nachholen.“ Wobei das eher unwahrscheinlich war. Selbst wenn die Insel innerhalb dieses Sturms war und nicht darüber, wirkte sie doch viel höher als alle bisherigen Inseln. Es würde für Mimoun nicht sehr angenehm werden, diese Strecke zu bewältigen. Dazu kam die seltsam hohe Geschwindigkeit. Vielleicht würde er durch einen solchen Umweg die Insel völlig aus den Augen verlieren. Falls dort oben wirklich die gesuchte Insel lag.

„Was sollen wir machen, Mimoun? Es ist fast Abend. Wenn wir jetzt schlafen gehen, dann ist die Insel weg bis morgen früh. Aber fühlst du dich stark genug, um dort hochzufliegen?“
 

Misstrauisch betrachtete sich Mimoun die Strecke. Ob er stark genug war dafür? Ehrliche Antwort?

„Nein. Aber es ist die einzige Chance, die wir haben. Wenn sie genau wie die anderen Inseln einer bestimmten Route folgt, wird sie erst in einem Jahr wieder hier vorbeikommen, wenn überhaupt. Wir kennen diese Insel nicht. Wir kennen ihren Rhythmus nicht.“ Noch während er redete, durchforstete er ihre Sachen. Seine Rüstung blieb hier. Pfeil und Bogen ebenfalls. Proviant und Wasserbeutel? Nur leichte Notreserven, man wusste nicht, was sie erwartete. Dhaômas Samen mussten mit. Sie waren trotz seiner Weiterentwicklung noch immer seine größte Stärke. Fehlte noch etwas? Suchend glitt sein Blick über ihre Habseligkeiten. Dort oben würde es kalt werden, aber eine Decke würde nur zusätzliches Gewicht bedeuten. Aber runtersegeln war nicht ganz so anstrengend wie hinaufflattern. Im Notfall konnte er immer noch abbrechen.
 

Auch Dhaôma sortierte aus, was er konnte. Schalen für das Essen, einer der Wasserschläuche, die Bücher, im Grunde alles bis auf die Samen und seinen wertvollen Poncho ließ er da. Er verbuddelte es im Sand, nachdem er es in eine Lederhaut eingeschlagen hatte, dann legte er alles Holz darüber, das sie zusammengetragen hatten. Das musste als Schutz reichen. Mimouns Rüstung wurde in die kleine Höhlung des Bootes gelegt, die ihm vorher Schutz vor Wind geboten hatte. Die Rüstung lief nicht Gefahr, von Tieren verschleppt oder zerstört zu werden.

Als er fertig war, war die Insel ein gutes Stück weiter gezogen, genauso wie die Sonne schon relativ tief stand.

„Du sagst sofort Bescheid, wenn du müde wirst, dann gebe ich dir alles, was ich noch habe.“, sagte er ernst. „Es ist egal, ob ich schlafe, wenn wir oben ankommen, Hauptsache, wir kommen oben an, ja?“
 

Eigentlich hatte er mit Widerspruch gerechnet, doch dass sein Freund von dem selben Ehrgeiz besessen war, freute ihn. Mit Wucht zerbrach er die Stützen, die das Boot oben hielten und drückte es mit seinem Gewicht möglichst tief in den Sand, bevor er Seine Arme um Dhaôma schlang.

„Ich werde dich dort hoch bringen.“, versprach er beinahe feierlich, bevor er seinen Atem darauf verwendete dieses Versprechen auch zu halten. Es fiel ihm nicht schwer, mit der Geschwindigkeit der Insel mitzuhalten. Auch auf Höhe der ihm bekannten Inseln schaffte er es. Nur schien noch immer kein Ende in Sicht. Vor ihnen türmten sich noch immer die Wolkenberge, zwischen denen Blitze ohne Nachhall zuckten. Mit keiner noch so winzigen Lücke gaben sie Preis, ob sich das Gesuchte auch wirklich dort befand.

Immer höher stieg der Geflügelte mit seiner Last. Fest drückte er seinen Freund dabei an sich, bot ihm so Wärme und Schutz. Seine Flügel begannen mit jedem Schlag mehr zu schmerzen, je höher er stieg. Und noch immer schien er nicht hoch genug zu sein. Um seinen schmerzenden Gliedern Ruhe zu gönnen, ging er in einen Gleitflug über, der ihn dabei einiges an Höhe kostete. Er nutzte das, um die Wolke zu umkreisen, eine geeignete Stelle zu entdecken, doch nichts. Überall dasselbe Bild.

„Ich werde dich dorthin bringen.“, bekräftigte Mimoun, als ihm die Sinnlosigkeit seiner Bemühungen klar wurde. Er würde nie die Kraft haben, in den dünnen Luftschichten weiter oben zu fliegen. Auf diesem Wege würde es ihm nie gelingen, sein Versprechen zu halten.

Bevor Dhaôma etwas dagegen einwenden konnte, stürzte sich Mimoun mitten in die Wolken hinein. Kurz bevor er die Grenze durchbrach, gewahrte er die wirbelnden Massen tiefer im Inneren. So wurde er zumindest nicht von den heftigen Winden überrascht, auf die er beinahe sofort stieß. Jedoch war er nicht auf die vielen unterschiedlichen Luftströme gefasst. Schnell wurde er von seinem direkten Kurs abgedrängt. Zwar waren die Winde hier heftiger, als bei dem Sturm, der sie zu dem Magierdorf geführt hatte, aber dieses Mal gelang es dem jungen Geflügelten zumindest, nicht die Orientierung zu verlieren.

Ein Blitz zuckte nur knapp an ihm vorbei. Ein zweiter streifte seine Schulter und lähmte sie beinahe völlig. Nicht nur der Griff um Dhaôma lockerte sich dadurch, auch die ohnehin schwindende Kraft seines Flügels wurde beträchtlich in Mitleidenschaft gezogen, so dass der Magier sich gezwungen sah, alles an Magie einzusetzen. Viel war es nicht und er fiel sofort wieder in tiefe Bewusstlosigkeit. Mimoun war es dadurch aber möglich, sich aus dieser Luftströmung zu befreien. Er landete in einer schmalen windstillen Zone. Auch hier zuckten Blitze entlang und es fiel ihm schwer auszuweichen. Er folgte der ruhigen Spur soweit es ihm möglich war, bis er keine weitere Möglichkeit sah und in die nächste Luftströmung eintauchte. Trotz Dhaômas Hilfe schwanden seine Kräfte immer schneller und er musste unbedingt das Zentrum erreichen, bevor es soweit war. Das Zentrum eines Sturms war immer ruhig. Dort würde er sich erholen können, auch wenn es dort keine Dracheninsel gab. Und er hatte es ihm versprochen. Er hatte es seinem Magier versprochen.

Erneut zuckten Blitze nur knapp an ihm vorbei, so dass er sich gezwungen sah, auszuweichen. Seine Sinne begannen ihm vor Erschöpfung und Müdigkeit Streiche zu spielen. Die Formation den Wolkenfetzen hinterließen bei dem ganzen grellen Aufleuchten immer wieder Schatten riesiger schlanker Kreaturen, teilweise grotesk verzerrt.

Mit einem Kopfschütteln brachte Mimoun seine Konzentration wieder auf den momentan wichtigsten Punkt: das Zentrum des Sturms. Die Luftströmung, die ihn mit sich riss, vereinigte sich mit einer zweiten und der scharfe Knick kam für den Geflügelten unerwartet und wirbelte ihn herum. Fluchend kämpfte er sich wieder daraus hervor. Doch er wurde mit einem unerwarteten Anblick belohnt. Vor sich befand sich eine Art zweite Wolkenwand, die in die entgegen gesetzte Richtung wirbelte. Bei einem seitlich davon zuckenden Blitz glaubte er, das Abbild einer Insel ausmachen zu können? Oder war auch das wieder nur eine Halluzination?

Dennoch strebte er darauf zu.

Weit kam er nicht. Das Ende kam schneller, als er befürchtet hatte. Mit einem Mal streikten seine Muskeln und er wurde wie ein Spielball der Naturgewalten einfach nur noch in den Wirbeln hin und her geworfen, ohne den Hauch einer Chance auch nur ansatzweise die Richtung zu bestimmen. Müdigkeit und grenzenlose Erschöpfung brachen mit einem Mal über ihm zusammen. Alles, wozu er noch fähig war, war seine Krallen in den Poncho seines Magiers zu versenken, um diesen auf keinen Fall zu verlieren.

Schwarze Schlieren tanzten vor seinen Augen, als er mit aller Macht versuchte, bei Bewusstsein zu bleiben. Deshalb kam der harte Ruck für ihn unerwartet. Er war gegen irgendetwas Hartes geprallt, konnte jedoch nicht erkennen, was es war. Der junge Geflügelte fand nicht einmal mehr die Kraft, den Kopf zu drehen. Erst spät vermittelte ihm sein Tastsinn die seltsame Beschaffenheit des Widerstandes. Schuppen?

Kaum hatte er das wahrgenommen, behaupteten seine Sinne, es wäre kalter Stein. Ah. Er hatte sich also schon wieder getäuscht, dachte er mit einem kurzen amüsierten Verziehen seiner Lippen. Da hatte er aber Glück gehabt, dass ihn die heftigen Winde nicht daran zerschmettert hatten. Ohne, dass er bemerkte, dass um ihn herum bereits kein Wind mehr wehte, überschritt er endgültig die Grenze zur Bewusstlosigkeit.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  KuroMikan
2014-11-22T09:45:30+00:00 22.11.2014 10:45
hallö :)
total spannend ich will ungedingt wissen was jetz passiert :)
lad schnell das nächste kapi hoch ok? XD

lg Mikan
Antwort von:  Shirokko
22.11.2014 17:57
ist schon. muss nur noch freigeschaltet werden
Antwort von:  KuroMikan
04.12.2014 18:29
:3


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