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Geheimnisse eines Stars

von

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Akt 1

Berlin, 30.Juli

Die Konzerthalle war ausverkauft. Die Fans der Girlband Laverna sangen die Lieder mit oder schwenkten LED-Stäbe über ihren Köpfen. Knapp zwei Stunden ging das Konzert nun schon und die Fans bekamen nicht genug. Die letzten Klänge des Songs verhallten und der Vorhang schloss sich.

„Zugabe! Zugabe! Zugabe!“

Die Rufe des Publikums wurden immer lauter. Die drei Sängerinnen nickten sich zu und gingen auf ihre Positionen. Der Vorhang öffnete sich erneut und ohrenbetäubendes Jubeln schlug ihnen entgegen, als die Melodie ihres Abschlussliedes erklang.
 

Ich machte Fehler

und glaubte, du wüsstest es nicht.

Ich machte Fehler

und tat dir damit weh.
 

Ich habe gehört,

dass Liebe alles vergibt.

Ich habe gehört,

dass Liebe alles vergisst.

So please don’t go,

don’t let me alone.

Please turn around

And stay, stay the night.
 

Ich hätte dir davon erzählen müssen,

ich hätte es dir nicht verschweigen dürfen.

Doch ich konnte nicht,

es hätte dir zu weh getan.

Aber nun habe ich dein Herz gebrochen.
 

Der Vorhang schloss sich zum zweiten Mal und langsam ebbte der Applaus ab. Ada Richardson griff nach dem Handtuch, das hinter der Bühne auf einem Hocker lag, und trocknete sich das Gesicht damit ab. Anna Cooper und Rachel Adams nahmen einen Schluck aus ihren Wasserflaschen.

„Wieder mal ein super Konzert.“

„Ja, die Fans waren heute richtig gut drauf“, meinte Anna.

Die Drei gingen in ihre Garderobe, zogen sich um und verließen die O2-Arena, eine der großen Konzert- und Eventhallen Berlins, über den Mitarbeiterausgang. Es warteten noch einige Fans auf sie, die ein Autogramm ergattern wollten, und sie erfüllten diesen Wunsch nur zu gern. Mit einem Wagen wurden sie zu ihrem Hotel gebracht.

„Wollen wir uns noch eine Weile in die Hotelbar setzen?“

„Gern. Etwas entspannen vor dem Schlafen gehen, kann ja nicht schaden.“

Die Bar befand sich im Erdgeschoss des Hotels und war trotz der späten Uhrzeit noch gut besucht. Sie fanden jedoch noch einen gemütlichen Platz in einer ruhigeren Ecke, eine grüne Ledercouch und passende Sessel luden zum langen Verweilen ein.

„Ich weiß noch, wie ich früher mit meinen Schulfreunden Cocktails trinken war. Man konnte in Ruhe reden und lachen.“

„Ja, das waren noch Zeiten als man nicht erkannt wurde.“

„An sich ist es ja schön, wenn die Fans uns begrüßen und uns zeigen, dass sie uns toll finden. Aber gerade wenn man etwas Ruhe braucht und ausspannen möchte, kommen sie in Scharen auf einen zu.“

„Ich hoffe, dass es im Urlaub nicht ganz so schlimm wird. Ich habe mir extra eine eher unerschlossene Insel der Malediven ausgesucht“, meinte Anna.

„Na ja, und im Notfall helfen auch schon einmal Sonnenbrille und Kopftuch.“

Kurz nach Mitternacht machten sich die Drei auf den Weg in ihre Zimmer. Sie lagen alle nebeneinander im zehnten Stockwerk.

„Wann wollen wir uns morgen zum Frühstück treffen?“

„Der Flug geht um 12.30 Uhr. Das heißt, wir sollten gegen zehn hier aufbrechen. Frühstück also um halb neun?“, meinte Ada.

„Klingt gut.“

„Okay, dann bis morgen. Schlaft gut.“

„Du auch.“

„Gute Nacht.“
 

Es war bereits zwei Uhr nachts, als Ada sich noch einmal auf den Weg machte. Sie verließ das Hotel über den Hinterausgang, wodurch sie sich erhoffte, weniger Aufmerksamkeit zu erregen. Sie fuhr mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Wannsee hinaus, in den Süden Berlins. Leichtfüßig lief sie durch das Villenviertel, bis sie die richtige Villa gefunden hatte. Sie eilte die Steinmauer entlang, die das Grundstück umrundete und kletterte auf einen Baum, dessen Krone über die Mauer ragte. Gekonnt sprang sie von dem Ast auf den Rasen und rollte sich ab. Sie wusste, dass es keine Kameras oder anderweitige Sicherheitsvorkehrungen gab und schlich sich im Schatten der Nacht zur Terrasse. Aus der Gürteltasche, die sie trug, nahm sie einen Glasscheider und schnitt damit ein kreisrundes Loch in die Scheibe der Terrassentür. Vorsichtig legte sie das Stück auf dem Fußboden ab, griff durch das Loch und drückte die Türklinke hinunter. Keine Alarmanlage ging los. Sie atmete kurz auf und betrat dann das Haus. Die Bewohner waren nicht zuhause.

Laut ihren Informationen befand sich der Safe im Arbeitszimmer im Obergeschoss. Vorsichtig und auf jede Bewegung bedacht lief sie die Treppe hinauf und öffnete die erste Tür auf der linken Seite. Vor ihr lag das Arbeitszimmer. Hinter einem großen Mahagoni-Schreibtisch hing ein Gemälde, das eine Sommerlandschaft an der französischen Küste darstellte. Sie griff nach dem Rahmen und hob das Bild von den beiden Nägeln, auf denen es hing. Dahinter kam ein Safe zum Vorschein. Mit flinken Fingern und einem guten Gehör bekam sie innerhalb weniger Minuten die Kombination heraus und öffnete die Safetür.

In einem blauen Samtsäckchen, in das sie zur Sicherheit vorher hineinsah, befand sich das Objekt, das sie gesucht hatte. Die Akten und der Schmuck interessierten sie nicht. Sie schloss die Tür, hing das Bild davor und verließ das Haus so leise wie sie gekommen war. Mit etwas Anlauf überwand sie die Mauer und machte sich auf den Rückweg zum Hotel.
 

Berlin, 31.Juli

„Guten Morgen, Berlin! Es ist acht Uhr und hier sind die aktuellen Nachrichten…“

Die gut gelaunte Stimme des Radiomoderators weckte Ada aus einem tiefen, traumlosen Schlaf. Halb fünf war sie erst wieder zurück gewesen. Gegen ihre Gewohnheit blieb sie noch fünf Minuten liegen, schlug dann die Bettdecke zurück und stand auf, um in das Badezimmer zu gehen und zu duschen.

Sie war gerade fertig angezogen, als es an der Tür klopfte. Rachel und Anna standen davor.

„Bist du fertig?“

„Ja, einen Moment. Meine Strickjacke und meine Tasche brauche ich noch“, meinte Ada, holte die Sachen vom Stuhl und verließ ihr Hotelzimmer.

Gemeinsam liefen die Drei die fünf Stockwerke ins Erdgeschoss hinunter und betraten den Speisesaal. Sie suchten sich einen freien Tisch, bevor sie sich am reichhaltigen Frühstücksbuffet bedienten.

„Wo fliegen wir heute nochmal hin?“

„Nach London. Dass du das nicht weißt, wo es doch unser letztes Konzert dieser Tour ist.“

„Stimmt. Danach haben wir endlich mal drei Wochen Urlaub“, sagte Rachel.

Plötzlich klingelte Adas Handy. „Entschuldigt mich bitte kurz.“

Sie stand auf und verließ den Speisesaal, bevor sie den Anruf annahm.

„Was gibt’s? … Ja, gestern lief alles gut. Ich habe es geschafft. … Wo ist der neue Übergabeort? … Okay, ich werde da sein. … Ein neuer Auftrag? … Eine Party, das ist natürlich die Gelegenheit. Ich werde versuchen, die beiden dazu zu überreden. … Na klar, das bekomme ich hin. Kennst mich doch. … Gut, dann bis demnächst.“

Ada legte auf und ging zurück zu ihren Freundinnen, die nichts von ihrem Doppelleben wussten.

„Was sagt ihr dazu, wenn wir nach dem Konzert heute Abend noch zwei oder drei Tage länger in London bleiben, uns etwas die Stadt ansehen und gemeinsam die ersten Urlaubstage genießen?“, fragte sie, als sie sich setzte und nach der Kaffeetasse griff.

„Eigentlich hatte ich meinen Eltern gesagt, dass ich nach der Tour sofort nach Hause komme.“

„Ach komm schon.“

„Warum möchtest du das unbedingt?“

„Erst mal würde ich auch gern mal einige Tage ganz in Ruhe, ohne Stress mit euch verbringen und zum zweiten wurden wir auf eine Party eingeladen“, erklärte Ada.

„Was denn für eine Party?“

„Na ja, das ist so. Ein Partygirl aus der High Society Londons findet uns ganz toll und sie feiert morgen ganz groß ihren 25.Geburtstag. Eine Freundin von ihr hat gefragt, ob wir sozusagen als Überraschung für sie auftreten wollen. Wir könnten uns dann dort amüsieren und vorher eben ein paar Songs zum Besten geben. Bitte sagt ja…“

Sie sah die beiden mit einem bettelnden Blick in den Augen an und wusste sofort, dass es funktionierte.

„Meinetwegen. Ich wollte schon immer mal den Tower of London sehen“, sagte Anna.

„Rachel?“

„Okay, ich bin dabei.“

„Super, danke schön!“
 

Nach dem Frühstück holten die Drei ihre Sachen aus ihren Zimmern, checkten an der Hotelrezeption aus und ließen sich ein Taxi rufen.

Wieder stiegen sie in ein Taxi, das sie zum Flughafen Berlin-Schönefeld brachte, wieder stiegen sie in ein Flugzeug, das sie in eine fremde Stadt brachte, wieder würden sie in einem Hotel übernachten, das völlig unpersönlich war. Das Prozedere war ihnen bereits in Fleisch und Blut übergegangen, Koffer abgeben, Bordkarten vorlegen, am Gepäckband warten, Personalausweise zum Einchecken im Hotel vorlegen und nebenbei immer Autogramme schreiben für die Fans, die sie erkannten. Die Blitzlichter der Fotoapparate der Journalisten hatten sie gelernt auszublenden.
 

London, 31.Juli

In London Heathrow gelandet ließen sich die Drei gleich zur Konzerthalle bringen, während ihr Gepäck ins Hotel gefahren wurde. Sie wollten den Soundcheck durchführen, bevor sie ein vorerst letztes Interview geben sollten.
 

Reporter: Ihr gebt heute euer letztes Konzert. Wie fühlt ihr euch dabei?

Anna: Es ist schade, dass die Tour vorbei ist, aber wir sind auch froh, dass wir

jetzt ein paar Tage frei haben werden.

Reporter: Werdet ihr in den Urlaub fahren?

Rachel: Jeder hat seine eigenen Pläne. Ich fahre nach Hause, meine Eltern und Freunde

besuchen.

Anna: Das mache ich zunächst auch, aber der Urlaub ist bereits gebucht.

Reporter: Darf man fragen, wo es hingeht.

Anna: Man darf, aber braucht keine Antwort erwarten. Ich möchte ja schließlich meine

Ruhe haben.

Reporter: Ada, was machen Sie denn in der freien Zeit?

Ada: Ich bin noch unentschlossen. Wahrscheinlich werde ich an einem See ausspannen.

Reporter: Was steht denn nach der Pause an? Neues Album oder andere Projekte?

Ada: Wir werden wahrscheinlich ein neues Album aufnehmen.

Rachel: Allerdings wissen wir noch nicht genau, wie es aussehen soll. Vielleicht

bringen wir einige neue Musikrichtungen hinein, die wir bisher nicht

angeschnitten haben.

Anna: Rap, RnB, so etwas in der Art haben wir uns überlegt.

Reporter: Das klingt gut. Wir freuen uns darauf. … Beruflich läuft alles glänzend. Wie

sieht es aber im Liebesleben aus?

Ada: Sie versuchen es immer wieder, oder? Wir haben doch gesagt, dass wir Fragen zu

unserem Privatleben nicht beantworten werden.

Reporter: Na ja, es hätte ja klappen können.
 

Sie beendeten das Interview und begaben sich aus dem Besprechungszimmer der Konzerthalle in die Garderobe. Dort war ein kleines Buffet aufgebaut worden, an dem sich die Drei bedienten. Nach dem Essen und einer kurzen Entspannungsphase zogen sie sich für das Konzert um. Kurz nach halb neun betraten sie die Bühne, spielten ihre Show, begeisterten die Fans. Zu ihrem letzten Konzert gaben sie sogar zwei Zugaben, sehr zur Freude der Fans.
 

London, 01.August

Der nächste Morgen brach an und die aufgehende Sonne tauchte London in ein rötliches, helles Licht. Ada war bereits zeitig aufgewacht und stand nun im Morgenmantel auf dem Balkon des Zimmers. Mit einem sanften Lächeln auf den Lippen genoss sie den Anblick der erwachenden Stadt. Nur noch dieser eine Abend, nur noch ein Abend, an dem alles glatt gehen musste, dann hatten sie endlich frei. Zwar waren es nur drei Wochen, aber sie waren seit über einem halben Jahr in ganz Europa unterwegs. Immer nur in fremden Hotelzimmern, sie sehnte sich nach ihrem eigenen Bett.

Nachdem Anna und Rachel ausgeschlafen waren, hatten sie sich in den Speisesaal zu einem ausgiebigen Frühstück begeben.

„Was wollen wir bis heute Abend unternehmen?“

„Na, Sightseeing.“

„Das ist mir schon klar, aber wir können uns schließlich nicht alles an einem Tag ansehen.“

Ada, die ungern ohne Plan unterwegs war, hatte aus der Hotelmappe einen Stadtplan mitgenommen und sie entschieden sich für einige Punkte, die man unbedingt sehen musste. In einem der roten Doppeldeckerbusse fuhren sie in das Stadtzentrum und stiegen an den Haltestellen aus, die sie interessierten. Trafalgar Sqaure, Piccadilly Circus, Parlament mit dem Big Ben, St. Patricks Church, Westminster Abbey, Buckingham Palace und viele weitere Sehenswürdigkeiten. Das London Eye, das große Riesenrad am Ufer der Themse, besuchten sie am Nachmittag. Die Aussicht über London war überwältigend, denn in der sonst nebligen oder zumindest stark bewölkten Stadt schien die Sonne. Immer wieder wurden sie von Fans erkannt, die ihre Stimmbänder nicht schonten und aus voller Kehle kreischten. Sie schrieben Autogramme, posierten für Fotos, immer ein Lächeln auf den Lippen.
 

Nach dem Sightseeing hatten sie noch etwa zwei Stunden Zeit, die sie für eine Shoppingtour nutzten, bei der sie etliche Kleidungsstücke erwarben. In einem kleineren Geschäft fand Ada ein knielanges, grünes Abendkleid aus Satin, das in der Taille eine diamantenartige Bestickung aufwies. Es gefiel ihr unglaublich gut und sie nahm es sofort mit. Ich werde es heute Abend tragen.

Gegen 19 Uhr ließen sie sich von einem Taxi zurück ins Hotel bringen.

„Wer genau ist eigentlich das Geburtstagskind, bei dem wir heute singen?“

Die Drei hatten sich in das Wohnzimmer der gemeinsamen Suite gesetzt und sich einen Kaffee auf das Zimmer bringen lassen. In etwa einer Stunde wollten sie zu der Feier aufbrechen, doch vorher noch einmal für einige Augenblicke die Beine hochlegen.

„Ich habe mich bereits über sie erkundigt. An sich ist sie die Tochter eines reichen Vaters, hat aber eine eigene Modelinie herausgebracht, nachdem sie als Model ihre Karriere angefangen hatte“, antwortete Ada.

„Okay. Können wir uns also auf ein verwöhntes Modepüppchen einstellen.“

„Wer weiß, vielleicht ist sie ganz nett.“
 

Die Feier war bereits in vollem Gange und die riesige Geburtstagstorte wurde eben angeschnitten, als ein Tumult im Foyer entstand.

„Was ist denn los?“, wollte Judy wissen und legte das Messer beiseite.

„Laverna sind hier!“

„Wie? Wirklich?“

Die Gastgeberin konnte es nicht fassen und lief mit schnellen Schritten zu der Stelle, an der sich bereits etliche Gäste versammelt hatten. Und wirklich, dort direkt vor ihr standen die Mädchen ihrer Lieblingsband. Als Ada das Geburtstagskind entdeckte, stimmt sie Happy Birthday an, Rachel und Anna setzten mit ein.

„Wir wünschen dir alles, alles Gute zu deinem Geburtstag und hoffen, die Überraschung ist gelungen“, sagte Anna zu Judy, während der Applaus für den Song langsam abebbte.

„Ich freue mich so wahnsinnig, dass ihr hier seid. Das ist wirklich unglaublich! Darf ich euch umarmen?“

Lachend stimmten die Drei zu. Danach ließen sie Judy zunächst die Torte weiter verteilen, bevor sie einige ihrer eigenen Songs zum Besten gaben.

„Das ist das schönste Geschenk, das ich bekommen konnte. Ihr bleibt doch noch, oder?“

„Gern, wir haben nichts weiter vor“, sagte Rachel.

„Und nach unserer Europatour haben wir uns eine tolle Party wie diese verdient.“

„Fühlt euch wie zuhause.“

An der Wand neben dem großen Tisch, der für Geschenke gedacht war und sich langsam aber sicher füllte, lehnte ein junger Mann, ein ehemaliger Schulfreund von Judy. Er hatte die Neuankömmlinge interessiert betrachtet, er kannte diese Mädchen oder ihre Band nicht, fand es allerdings faszinierend, welche Euphorie sie auslösten. Die drei Mädchen, oder eigentlich ja die drei, jungen Frauen, waren hübsch, jede auf eine eigene, besondere Art und Weise. Sein Blick blieb aber bei der jungen Frau im grünen Kleid hängen, immer wieder musste er zu ihr hinüber sehen.
 

Die nächsten zwei Stunden amüsierten Ada, Rachel und Anna sich mit Judy und ihren Gästen, erzählten von den Pannen, die auf der Tour passiert waren, schrieben auch einige Autogramme. In einem passenden Moment, Rachel gab gerade eine ihrer Geschichten zum Besten und alle Umstehenden lauschten ihr aufmerksam, stahl Ada sich aus der Gruppe. Ohne sich noch einmal umzusehen, lief sie die Stufen zum ersten Obergeschoss hinauf. Schlendernd betrachtete sie die Bilder und Gemälde im Flur, während sie sich langsam dem Arbeitszimmer näherte. Sie öffnete die Tür und schaltete das Licht an, bevor sie weiter in den Raum trat. Die Tür ließ sie einen relativ großen Spalt offen.
 

„Was tun Sie hier?“

Ada drehte sich überrascht um.

„Ich wollte mir die Gemälde in diesem Zimmer ansehen. Judy hatte erzählt, dass ihr Onkel einen echten Picasso in seinem Arbeitszimmer hat und davon wollte ich mich selbst überzeugen. Ich weiß, ich hätte vorher fragen sollen“, antwortete sie mit fester, unschuldig klingender Stimme. Sie war selbst überrascht von sich, saß ihr der Schreck doch tief in den Knochen. Warum hatte sie ihn nicht kommen gehört?

„Der Picasso ist wirklich wunderschön. Manchmal ist es mir unerklärlich, wie ein einziger Mensch solch ein Genie auf einem Gebiet sein kann“, sagte der junge Mann, der sich inzwischen neben sie gestellt hatte.

„Ich wäre froh, wenn ich nur einen Bruchteil seines Talentes hätte.“

„Aber Sie können doch wunderschön singen. Sie haben jeden Ton perfekt getroffen, während Ihre Kolleginnen zwei oder drei Mal daneben lagen.“

„Das haben Sie gehört?“

„Auch wenn ich selbst wahnsinnig unmusikalisch bin, so habe ich doch ein absolutes Gehör“, erläuterte der junge Mann. „Entschuldigen Sie bitte, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Lucas Holmes.“

Er reichte ihr die Hand und lächelte.

„Sehr erfreut, Ada Richardson. … Und das Holmes so wie Sherlock Holmes?“

„Ja, genau.“

„Entschuldigen Sie, das bekommen Sie sicher nicht zum ersten Mal zu hören.“

„Aber wissen Sie, was das Lustige daran ist? Ich wohne wirklich in der Baker Street.“

Beide mussten lachen und gemeinsam verließen sie das Arbeitszimmer.

„Darf ich Sie auf einen Drink einladen?“

„Gern, aber Ihnen ist doch klar, dass eigentlich Judy mich einlädt.“

„Schon, aber wir können ja einfach so tun als ob“, erwiderte Lucas und zog sie mit seinem charmanten Lächeln in seinen Bann. Sie setzten sich an die Bar und er bestellte für sie beide, einen Pina Colada für Ada und einen Cuba Libre für sich.

„Woher wussten Sie, dass ich auf Kokos stehe?“

„Reine Intuition, Sie sahen irgendwie so aus. Genauso süß wie dieser Cocktail.“

„Vielen Dank“, sagte sie und ihre Wangen verfärbten sich leicht. Er ließ sie doch tatsächlich ihren Auftrag vergessen.

„Und wie ist es so, berühmt zu sein?“

„Es kann wirklich anstrengend sein. Ständig ist man an einem anderen Ort, gestern haben wir hier in London ein Konzert gegeben, vorgestern waren wir noch in Berlin.“

„Man kommt also in der Welt herum.“

„Aber man sieht nicht besonders viel davon. Man ist ja ständig nur auf Konzerten, bei Interviews, am Songs aufnehmen oder am Video drehen“, meinte Ada.

„Das klingt ja nicht so toll. Viel Arbeit…“

„Das schon, aber wenn man dann die begeisterten Fans sieht oder Fanpost liest, weiß man, dass sich die ganze Arbeit gelohnt hat. Einfach nur, weil man jemanden glücklich gemacht hat.“

Ihr ganzes Gesicht begann zu strahlen und er konnte die Augen nicht mehr von ihr lassen. Eine Haarsträhne war ihr ins Gesicht gefallen und am liebsten hätte er sie zurückgestrichen. Ich möchte sie küssen, einfach nur ihre Lippen berühren, ihre Wärme und Sanftheit spüren.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte sie.

Er schüttelte die Gedanken ab. „Ja, warum nicht?“

„Na ja, Sie sahen so abwesend aus.“

„Ich habe mich einfach nur in Ihren Augen verloren.“
 

„Wo ist eigentlich Ada?“

„Ich habe sie auch schon eine Weile nicht mehr gesehen“, meinte Anna und begann sich umzusehen. Der große Saal war voller Menschen, die sich unterhielten, lachten oder zu der Musik des DJs tanzten. Die Beleuchtung war abgedunkelt, weshalb es etwas länger dauerte, bis sie beiden ihre Freundin an der Bar entdeckten.

„Sie hat ja gesagt, wir sollen uns amüsieren“, sagte Rachel. „Warum sollte sie es also nicht auch tun?“

„Aber ganz ehrlich, den Typen hätte ich auch nicht ignoriert.“

Anna begann zu grinsen und brachte Rachel damit zum Lachen.

„Na los, holen wir uns noch etwas zu trinken.“
 

„Entschuldigen Sie mich bitte kurz.“

„Selbstverständlich. Solange Sie mir versprechen wieder zu kommen.“

„Liebend gern. Aber ich muss jetzt wirklich telefonieren“, erwiderte Ada.

„Doch aber hoffentlich nicht mit Ihrem Freund.“

Sie musste lachen. „Nein. Nur mit einem Bekannten.“

Immer noch mit einem Lächeln auf den Lippen verließ sie den großen Saal und begab sich in den Garten. Mit schnellen Schritten, aber doch darauf bedacht, dass niemand sie sah, lief sie um das Haus und suchte nach einer Möglichkeit, anderweitig in das Obergeschoss zu gelangen.

An der Hauswand an der Seite fand sie ein Holzgitter, an dem Efeu rankte. Ein Balkon lag am oberen Ende. Ada raffte ihr Kleid zusammen, fixierte es mit einer großen Haarspange und begann an dem Gitter hinaufzuklettern. Sie schwang sich über die Brüstung des Balkons und stellte mit Entzücken fest, dass die Tür offen stand. Sie lief zügig durch das Schlafzimmer zum Flur und dann zurück in das Arbeitszimmer. Dieses Mal ließ sie das Licht ausgeschaltet, ihr Handydisplay war hell genug, um sich zu orientieren. Der Safe befand sich nicht hinter einem Gemälde, wie es zumeist der Fall war, sondern im Schreibtisch. Sie öffnete die Holztür, fingerte dann geschickt an dem Zahlenrad herum und öffnete den Safe damit in einer Rekordzeit. Schnell schnappte sie sich das blaue Samtsäckchen, brachte alles in den Ausgangszustand und ging zurück, wie sie gekommen war. Bevor sie sich zurück in den großen Saal begab, schaute sie im Gäste-Badezimmer vorbei, richtete die Frisur, strich das Kleid glatt. Ein letzter Blick in den Spiegel, bei dem sie sich selbst zuzwinkerte, dann machte sie sich auf den Weg zurück zur Bar.

„Da sind Sie ja wieder.“

„Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu lang allein gelassen“, erwiderte Ada charmant und nahm einen Schluck von ihrem Cocktail.

„Keineswegs.“
 

Der Abend nahm seinen Lauf. Die Party war immer noch in vollem Gange, auch wenn sich einige Gäste bereits verabschiedet hatten. Es war bereits nach ein Uhr, als auch Rachel und Anna zurück ins Hotel wollten.

„Ada, wir haben ein Taxi bestellt. Es wird gleich hier sein. Kommst du mit?“, Rachel war zu Ada an die Bar getreten.

„Ja, ich komme mit“, antwortete sie ihrer Freundin.

„Okay.“

Rachel ging zurück zu Anna, um sich die Jacken von der Garderobe holen, während Ada vom Barhocker rutschte und ihre Handtasche von der Bar nahm. Lucas sah sie mit einem Lächeln an, das jedoch einen traurigen Eindruck machte.

„Der Abend hat mir wirklich sehr gefallen.“

„Mir auch. Vielen Dank für Ihre Gesellschaft“, bedankte sich Ada und reichte ihm die Hand.

„Werden wir uns wiedersehen?“

„Nun, mich sieht man ziemlich oft im Fernsehen oder in Zeitschriften.“

„Wenn ich nur sagen könnte, dass mir das ausreicht.“

Immer noch hielt er ihre Hand, nur ungern wollte er sie loslassen, doch auch Ada zeigte kein Bedürfnis, sie ihm zu entziehen.

„Ada, kommst du? Das Taxi ist da!“, rief Rachel ihr zu.

„Ich muss jetzt los.“

„Ich weiß. … Auf Wiedersehen.“

„Ja, hoffentlich auf Wiedersehen“, sagte Ada, zog ihre Hand sanft aus seiner und ging. Mit einem verträumten Blick sah er ihr hinterher, bis sie aus der Tür war.

„Lucas.“ Jemand legte seine Hand auf seine Schulter.

„Judy“, sagte er überrascht.

„Du bist doch sonst nie so lang auf meinen Partys. Hast du etwa jemanden gefunden, der dich die Zeit hat vergessen lassen?“

„Ehrlich gesagt, ja.“

„Na, dann solltest du dir das Mädchen schnappen. Du brauchst auch mal etwas Privatleben, du lebst ja fast nur für deine Arbeit.“

„Ich glaube nicht, dass ich sie wiedersehe. Und selbst wenn, sie ist unerreichbar.“



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