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Lebendig begraben

von

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Kapitel 7: Angst ist kein Schicksal…

Mit Schaudern sah Roderich im Schatten der Vorhänge auf das Treiben der Straße.

Wieder marschierten sie und bewiesen abermals, in welche Parteien sich sein Land teilte.

Leicht angewidert wandte er sich von dem Spektakel ab.

Das alles konnte nur in Tränen und Blut enden. Aus den Augenwinkeln konnte die Republik, sein junges Abbild beobachten, wie dieser auf der alten Holzplatte seines Arbeitstisches saß und mit ernstem Gesichtsausdruck seine Beinchen schaukeln ließ.

Roderich wandte seine ganze Aufmerksamkeit wieder den Geschehnissen der Straße zu.

An die Tatsache, dass ihn der Knirps auf Schritt und Tritt begleitete, wenn er alleine war, hatte er sich schon seit geraumer Zeit gewöhnt. Es störte ihn auch seit längerem nicht mehr, hatte er schnell bemerkt, dass andere das Kind nicht sehen konnten.

Plötzlich nahm der Österreicher wahr, wie der Kleine auf einmal den Kopf zu Seite schnellen ließ als hätte er etwas neben sich entdeckt. Die Haltung des kleinen Körpers spannte sich an und vom verkrampften Gesichtsausdruck her konnte Roderich vernehmen, dass es über das Erblickte nicht erfreut war. Doch bevor sich Roderich auch nur rühren konnte, erklang eine Stimme hinter ihm.

„Traurig, was hier unten passiert. Nicht wahr?“

Der Spott in der Stimme war unüberhörbar und raubte den Worten den tröstenden Sinn. Wie von der Tarantel gebissen fuhr Roderich herum und erstarrte.

In dem dunkelsten Eck seines Arbeitszimmers lehnte ein junger Mann gegen die Wand. Die Arme vor der Brust gekreuzt, musterten ihn zwei rote Augen recht interessiert, wenn auch eine Spur abschätzig. Roderich zog scharf die Luft ein.

Das Gesicht, der Körper, die Haltung glichen seiner bis ins Detail, sah man von der Augenfarbe ab. Selbst die Kleidung war der, welche er vor nicht einmal neunzig Jahren getragen hatte, sehr ähnlich, ein bürgerlicher Gehrock in einem dunklen Rot, eine schwarze Kniebundhose, weiße Strümpfe und dunkle Schuhe.

Doch in manchem unterschieden sie sich.

Erstens wirkten die Gesichtszüge weniger markanter als beim ihm und verliehen dem anderen einen jüngeres Erscheinungsbild. Ein Eindruck, der aber auch von den chaotisch zusammengehaltenen Haaren gestützt wurde, welche im Nacken in ein kurzes Pferdeschwänzchen endeten.

Zweitens hatte Roderich nie den streitlustigen Ausdruck in den Augen so offen seiner Umwelt gezeigt wie dieses Abbild von ihm.

„Was ist denn los, Maestro, so erstaunt mich zu sehen?“

Der junge Mann stieß sich von der Wand ab und stolzierte mit langsamen, aber selbstsicheren Schritten zu ihm.

Ungläubig starrte ihn Roderich entgegen, sodass er den kommenden Schlag nicht sah. Er spürte, wie die Faust seinen Kiefer mit voller Wucht berührte und für einen kurzen Augenblick sah er nur noch schwarz, bevor er durch einen schmerzhaften Aufprall Bekanntschaft mit dem Fußboden machte. Nach einem Schreckensmoment massierte sich Roderich, fassungslos, die schmerzende Stelle und starrte mit weitaufgerissenen Augen seinen Aggressor an. Dieser ließ ihm nur eine kurze Verschnaufpause, bevor er ihn grob ihn am Kragen packte und wieder auf die Beine stellte.

„Soll ich dir noch eine reinwürgen?“, wurde ihm zugezischt.

Sprachlos wollte der Braunhaarige den Kopf schütteln, aber immer noch war er starr vor Verwirrung und Angst.

„Schau dich doch an, du Held! Was ist aus dem früheren, ach so stolzen Österreich geworden? Ein alter Sack, der sich nicht mal traut, aus dem Fenster zu sehen?“

Jedes einzelne Wort hallte schmerzhaft in seinem Geist wieder und es schien ihm, als würde Gift in seine Ohren geträufelt.

Doch plötzlich geschah etwas Unerwartetes.

Sein Ebenbild verzog schlagartig, scheinbar unter Schmerzen, das Gesicht, während er dabei den Kragen losließ, an welchem er Roderich gepackt hatte und griff sich mit einer fahrigen Bewegung an sein Schienbein. Flüche im tiefsten Wienerisch erfüllte den Raum.

Nur im Unterbewusstsein verstand Roderich, dass sein jüngeres Ich vom Tisch aufgesprungen war und seinem Aggressor mit einer Kraft, die man dem kleinen Körper nicht zutraute, gegen das Knie getreten hatte.

Wortlos hielt sich das Kind jedoch nicht mit seinem effiktiven Treffer auf, sondern packte Roderich mit entnervtem Blick am Arm und zog so lange grob dran, bis die neue Republik sich wieder aufraffte. Überfordert mit der ganzen Szenerie brachte Roderich instinktiv Abstand zwischen ihm und seinem fluchenden Ebenbild. Unberechenbarer Zorn funkelte in den roten Augen, doch der böse Blick galt nicht Roderich.

„Du, verdammtes Pimperling… wenn ich dich in die Finger kriege…“

Mit einen ungewöhnlichen Ernst in den violetten Augen zog der Kleine die Augenbrauen zusammen, stellte sich selbstsicher vor Roderich und legte eine Hand auf den Knauf seines Kurzschwertes. Für eine kurze Weile blickten sich beide starr in die Augen, während Roderichs Verstand verzweifelt versuchte, das Gesehene zu verkraften.

„Wie süß. Verteidige ihn weiter, Knirps.“

Sein älteres Ebenbild kreuzte boshaft-belustig die Arme vor die Brust.

„Meinst du wirklich, dass du ihm einen Gefallen getan hast als du ihn davon abgehalten hast, sich sein kümmerliches Leben zu nehmen?“

Das Kind verzog keine Miene und drehte sich zu Roderich um. Dieser stütze sich inzwischen am Fensterbrett ab, während sein Blick unruhig zwischen der kleinen Mark und dem, was aus ihm einmal geworden war, hin und her huschte.

„Wie lange willst du dich noch hinter diesem Kind verstecken? Österreich?“

Die Häme in der Stimme verfehlte ihr Ziel, den Roderich sprang nicht darauf an. Stattdessen ließ er seinen Blick träge nach draußen gleiten.

„Zwei… wie soll ich das überleben?“

Sein groteskeres Ebenbild hörte auf sein fratzenhaftes Grinsen weiter zur Schau tragen und legte den Kopf leicht schief. Selbst der Junge warf Roderich einen nachdenklichen Blick zu.

„Wie meinst du das, Maestro?“

Wo vorher Spott und offene Aggressivität aufgeflackert war, glühte nun etwas viel Unangenehmeres in der Stimme.

„Ich bin eben so real wie dieser Jahrling hier.“

Aus den Augenwinkeln konnte die Republik beobachten wie sein aufbrausendes Spiegelbild weitere Schritte wieder auf ihn zu machen wollte, aber die Distanz weiterhin wahrte, als der Junge sich abermals zwischen sie schob.

„Wirst du mich auch verfolgen?“

Roderichs Verstand war zum Schluss gekommen, dass er besser das, was er sah, kommentarlos zu akzeptieren hatte, anstatt weiterhin an dem zu verzweifeln.

Er hatte andere Probleme als seine Wahnvorstellung.

Das fratzenhafte Grinsen überzog erneut das jugendliche Gesicht.

„Mhm… wenn du mir diesen leidenden Blick zuwirfst… wie könnte ich dazu Nein sagen? Zudem…“

Eine unerträglich gekünstelte Sprechpause legte Schweigen über sie.

„… Nun ja, wenn dieser Gackerling als dein kleines Wachhunderl versagt, so muss ich mich doch einschalten und dir den Verstand in dein dämliches Happerl eindögeln, oder?“

Der Blick des Kleinen verfinstere sich noch mehr, doch Roderich wurde der Sache müde, wie bei vielem seitdem die Monarchie zu Grabe getragen wurde.

„Dann sage mir wenigstens, wie ich dich nennen soll…“, flüsterte er erschöpft, und ließ keinen Zweifel daran, dass es ihm egal war, ob ihn der andere verstand oder nicht.

Die roten Augen blitzen belustigt auf.

„Wie sollst du mich nennen… Nun wenn du mir schon die Wahl lässt, dann kannst du mich Wien nennen. Meines Wissens gibt es ja noch keinen Repräsentanten für diese wunderbare Stadt. So kann ich mich ja nach ihr rufen.“
 

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Ohne einen Laut von sich zu geben öffnete Roderich schlagartig die Augen. Im ersten Moment lag er orientierungslos in der warmen Bettdecke eingehüllt. Ihm wurde erst allmählich bewusst, dass er sich in seinem Bett, in seinem Zimmer, in seiner kleinen Dachwohnung befand. Schlaftrunken blieb er noch ein paar Minuten liegen und versuchte krampfhaft, sich an das zu erinnern, was er geträumt hatte.

Doch egal, wie sehr er sich geistig anstrengte, die Erinnerung ließ sich so leicht fangen wie ein junger Aal im Wasser.

Nach einiger Zeit gab er es auf und drehte sich auf die andere Seite. Da fielen ihm die zerwühlten Decken und das zusätzliche Kissen auf, welches die rechte Seite seines nicht eben breiten Bettes einnahm.

Es dauerte eine Weile, bis sein noch träger Verstand begann, den Sachverhalt richtig einzuordnen, als jedoch die Erkenntnis in seinen Geist eingerastet war, begann sein Kreislauf auf Hochtouren zu laufen. Ruckartig fuhr er in die Höhe und starrte für eine Weile benommen das Chaos an, welches sein einstiger Gast, wenn er Gilbert schon betiteln musste, hinterlassen hatte.

Ein leichter rosa Stich breitete sich auf seine Wangen aus.

„Was ist denn, Maestro? Ist es dir peinlich, was du gestern zugelassen hast?“, schnarrte eine hämische Stimme neben ihn und sein Klavierhocker quietschte leise auf, als die Drehplatte sich einmal halb um die Achse drehte.

Roderich sah nicht auf.

Brauchte es auch nicht.

Zu oft hatte ihn der Urheber des Spotts begleitet, als dass er ihn sehen müsste um zu erkennen, wer ihm eben Gesellschaft leistete.

„Auch wieder mal hier?“, nuschelte Roderich müde und zog langsam die Beine unter der Decke hervor. Das penetrante Grinsen Wiens tauchte vor seinem geistigen Auge auf, während er aus den Augenwinkeln beobachten konnte, wie dieser sich leicht hin und her drehte.

„Ach, ist da jemand ein wenig sauer, dass ich ihm nicht wie der Pimperling die Wunden geleckt habe?“

„Halt die Goschen.“

Müde fuhr sich Roderich durch die unordentlichen Haare, einfach noch nicht auf der geistigen Höhe, sich mit seinem um einiges aggressiveren Ebenbild zu messen.

„Ach, in so guter Laune sind wir schon. Aber gestehe es doch, beim Saupreuß schien es dir gefallen zu haben. Wie kommt es denn?“

Wortlos stand Roderich auf, streckte sich so weit, bis er kurz zusammenzuckte. Durch die Wärme des Bettes hatte er seine Wunden beinahe völlig vergessen.

„Hey, du Vollkirfler, i red mit dir!“

Während die roten Augen ihn mit leicht zornigem Funkeln bis zum Schrank verfolgten, suchte sich Roderich ohne viel nachzudenken in dessen Regalen nach Kleidung. Die Schmerzen begleiteten noch jede seiner Bewegungen, aber pochten nicht auf ihren Tribut wie vor kurzem.

„Das ist nicht fair. Ignoriere mich nicht, du Wappler!“

Ungeschickt und aufgrund der Schmerzen entglitt ihm die Hälfte der hervorgezogenen Kleidung, welche daraufhin auf den Boden segelte. Hinter ihm war es schlagartig ruhig geworden, unheilvoll ruhig.

„Außerdem, solltest du dich nicht fragen, wo dein kleines Betthüpferl geblieben ist?“

Die Worte waren langsam und vorsichtig ausgesprochen worden, doch sie verfehlten ihre Wirkung nicht.

Für einen kurzen Moment hielt Roderich inne und zum ersten Mal an diesem Morgen blickte er zu Wien, welcher sich seines Triumphes bewusst war und dies auch selbstsicher im Gesicht trug. Gespielt streng wedelte sein Ebenbild mit einem ausgestreckten Finger in der Luft.

„Na, na, da siehst du was passiert, wenn niemand auf dich Acht gibt, kleiner Maestro. Mit dem ehemaligen Feind das Bett teilen, du solltest dich was schämen.“
 


 

Gilbert stand am Fenster und blickte gedankenverloren in den grauen Himmel, während Salzburg die Reste ihres Frühstücks wegräumte. Jeder ihrer Handgriffe wurde von den stechenden gelben Augen Ruperts begleitet, welcher seine Position auf den Küchenkasten wieder eingenommen hatte und zu Gilberts größter Erleichterung auch keine großen Anstalten machte, diesen zu verlassen. Früher hatte sich Gilbert in unbeobachteten Momenten gefragt, wie es Salvatria mit einem so penetranten Tier überhaupt aushielt.

Doch diese Fragestellung hatte sich in den letzten Jahrhunderten zu denen eingereiht, welche man sich besser nicht stellte, wollte man zu einer befriedigten Antwort kommen.

Gut, das Gilbird sich einstweilen bei Ludwig befand. Gilbert hätte es nicht verantworten können, beide Tiere im gleichen Raum zu halten. Dafür hatte der Kater einfach schon zu oft versucht, in unbeobachteten Momenten sein Küken zu fressen und Salzburg hatte öfters nur aus Boshaftigkeit ihm gegenüber halbherzig durchgegriffen.

Während er weiterhin leicht abwesend dem Geklapper des weggeräumten Geschirrs lauschte, wanderten seine Gedanken wieder zu Ludwig zurück.

Wie gut konnte er sich an den Streit mit seinem kleinen Bruder erinnern, als er ihn zu überreden versuchte, doch Gilbrid in seiner Nähe zu lassen.

Erstens steckten dem kleinen Tier noch die Erinnerungen zu sehr in den Knochen und Federn, als dass Gilbert ihm die Ostgrenze, an die er beordert worden war, antun wollte.

Zweitens hatte er so das Gefühl bekommen, einen Teil von sich bei der Person zu lassen, die seit Jahrzehnten einen wichtigen Platz in seiner Welt einnahm. Sicher, seine deutsche Familie war nicht eben klein, auch wenn er nicht wissen wollte, mit wie vielen er wirklich im Blute vereint war, oder ob sowas ihr Dasein überhaupt zuließe. Er hatte selber mit Entsetzen mitbekommen, was die Frage nach dem Blut anrichten konnte und nur zu schnell stopfte er diesen Gedanken wieder zurück ins dunkle Eck, aus dem er entsprungen war.

Bestimmt lenkte er seinen Geist wieder auf Ludwig zurück.

Sicher, er hatte auch andere Geschwister, aber Ludwig war anders als sie.

Er war sein Werk gewesen und das unterschied diesen von Hagen oder einem der anderen. Gilbert hatte den Knaben großgezogen, ihn geformt und war ihm vorgestanden. Dieser Junge war sein Stolz gewesen, bis der große Krieg kam. Was eine erste Bewährungsprobe für den Blondschopf hätte sein sollen, hatte sich als ihr aller Alptraum herausgestellt, dessen Schrecken ihnen allen selbst heute noch bis tief ins Mark gefahren war.

War ihm bis dahin sein Bruder so vertraut gewesen, entglitt ihn die junge Nation immer mehr und, was Gilbert am meisten schmerzte, auf persönlicher Ebene bekam er mit jeder Interaktion mit seinem Bruder das Gefühl, den Mann vor sich nicht zu kennen.

Irgendwas hatte sich in Ludwigs Augen geändert, auch wenn Gilbert nicht genau sagen konnte, was dieses Etwas war. Es verstörte ihm immer mehr in den großen, blonden Hünen nicht mehr den wieder zu finden, für den er ohne zu zögern durch Hölle gegangen wäre.

Träge schob sich in seinen Gedankenläufen das Bild von Roderich vor sein geistiges Auge und ein ihm nur zu bekannter Stich in der Brust machte ihn wieder deutlich, dass seine so schön geordnete Welt mit dem Deutschen Kaiserreich zu Grabe getragen worden war. Diesen Mann hatte er auch verloren und auch wenn er sich früher sicher gewesen war, Freude zu empfinden, den Geist hinter den violetten Augen gebrochen zu sehen, so spürte er jetzt nur den Schmerz des Verlustes.
 

Das Knirschen einer schlecht geölten Tür riss das ehemalige preußische Königreich aus seinen trüben Gedanken und verwirrt sah er sich um. Gekleidet in einer schlichten braunen Hose und einem Hemd stand Roderich im Türrahmen. Die Verbände, die Gilbert ihn am letzten Abend angelegt hatte, waren gut unter dem leichten weißen Stoff des Hemdes zu erkennen.

Mit weit aufgerissenen violetten Augen glotze Roderich in einer ungesunden Mischung von Unglaube und Verschlafenheit zwischen Gilbert und Salvatria hin und her. Als der Hausherr dann für ein paar Augenblicke länger an den roten Augen Gilberts kleben blieb, schlich sich ein roter Schimmer über die hohlen Wangen. Abrupt wandte Roderich seine Aufmerksamkeit seiner Schwester zu. Diese hatte mit einem schnellen Blick Roderichs schlechte körperliche Verfassung erfasst, doch hielt es offenbar für angebrachter, darüber hinweg zu sehen.

„Salva?“, hauchte er dann kaum hörbar, doch dieses einzige Wort schien zu genügen, um Leben in die festgefrorene Szenerie zu bringen. Scheinbar schwebend näherte sich seine Schwester ihm, nahm ihn am Arm und führte ihn wie eine Krankenschwester einen Tuberkulosekranken an den Tisch.

Roderichs Bewegungen waren hölzern und eckig, auch wenn er sich nicht mehr so ungelenk bewegte wie noch am Abend davor. Unter Schweigen schnitt sie ihm eine Semmel auf und platzierte beide Hälften auf den Teller. Ohne auf den starren Blick ihres Bruders zu achten, schenkte sie ihm noch eine Tasse Kaffee ein, bevor sie sich mit Eleganz auf einen der vier Stühle sinken ließ.

Für einen Augenblick schien es, als hätte abermals eine drückende Stille die Macht im Raum ergriffen, während Roderich mechanisch nach dem Messer griff und begann, eine der Brothälften mit Marmelade zu beschmieren.

Quälend langsam ließ Roderich die flache Seite über das weiche Innere streichen und fixierte schon mit unangenehm abwesendem Blick die rote Schicht. Die Atmosphäre, die nun sich zwischen ihnen drei, vier wenn man Rupert mit einrechnete, ausbreite, erschien Gilbert unwirklich und kroch ihm unbehaglich unter die Haut. Es war noch immer kein Wort gefallen, als Roderich mit seinem Handeln fertig war und, nach kurzem Starren auf sein Werk, den Teller von sich wegschob. Es schien als wäre sein Geist durch das stumme Zwiegespräch zwischen ihm und den Marmeladebrötchen endlich aus seinem Schlummer erwacht, auch wenn sich Gilbert völlig im Klaren war, wie aberwitzig diese Vorstellung war.

„Was machst du hier, Salvatria?“

Roderichs Stimme klang rauchig, doch für seinen Zustand ungewöhnlich gefestigt. Gilbert, der es für klug empfunden hatte, seinen Platz am Fenster zu behalten, konnte beobachten, wie Salzburg eine Augenbraue hob und so ihrem erstaunten Ärger Ausdruck verlieh. Rupert ließ den schwarzen Schwanz gefährlich am Küchenkasten in der Luft hin und her peitschen.

„Seltsam, du bist heute schon der zweite, der mich das fragt.“

Salvatria schlug die Beine übereinander und verschränkte die Finger vor dem höhergelegenen Knie.

„Nur, dass ich wenigstens von dir, als Bruder, erwartet hätte, dass du dich freust mich zu sehen, Roddy.“

Für einen Augenaufschlag ließ Roderich seinen Blick zu Gilbert gleiten, bevor er sich wieder auf seine Schwester konzentrierte.

„Das erklärt noch nicht, warum du die Mühen auf dich genommen hast, nach Wien zu kommen. Was hast du diesmal einsetzten müssen, damit sie dir die Erlaubnis geben haben?“

Ein kaum vernehmlicher Ruck ging durch den Körper der Salzburgerin, doch sie hielt den Blickkontakt zu ihren Bruder aufrecht. Ein ungutes Gefühl beschlich Gilbert und nur mühsam unterdrückte er den Drang die aufkommenden Gedanken weiterzuspinnen.

„Salvatria, was? Was war es diesmal?!“

Von oben konnte Gilbert ausmachen, wie Rupert begonnen hatte, langsam den Kopf hin und her zu wiegen, wobei er unablässig Roderich fixierte. Gilbert erschlich die Erkenntnis, dass er heute einen zweiten unangenehmen Zusammenstoß mit dem schwarzen Monster gehabt hätte, wenn es er gewesen wäre, der auf den Stuhl anstatt Roderich sitzen würde. Beim nähren Anverwandten seiner Herrin hatte das Mistvieh offenbar doch größere Skrupel als bei anderen.

Salvatrias Mine war indes zu einer undurchdringbaren Maske verhärtet, die effektiv jeglichen ihrer Gedanken vor der Außenwelt abschirmte.

„Das geht dich nichts an, Roderich.“

Jegliche schwesterliche Wärme, die von Salzburg ausgegangen war, schien zwischen den Holzdielen zu ihren Füßen versickert zu sein, während Gilbert in Salvatria immer mehr die undurchschaubare Strippenzieherin entdeckte, die vor nicht einmal noch zweihundert Jahren über das politische Parkett gefegt war.

„Bestehe nicht drauf!“, fügte sie noch an, als ihr Gegenüber wieder zum Sprechen ansetzten wollte. Für einen kurzen Augenblick schien es, als würde sich Roderich über diese Bitte, welche streng genommen als Befehl formuliert worden war, hinwegsetzen, doch dann wechselte er plötzlich das Thema.

„Woher hast du gewusst, dass ich wieder festgenommen wurde?“

Ein leichtes Stirnrunzeln überzog die glatte Haut, bevor Roderich noch hinzufügte: „Und vernein es nicht wie letztes Mal, dass du nicht in Kenntnis gesetzt warst als du nach Wien kamst.“

Unter einem Seufzen löste Salvatria ihre Finger voneinander und stellte das hochgeschlagene Bein wieder auf den Boden. Mit Misstrauen verfolgte Gilbert das Gespräch, doch ähnlich wie Rupert hütete er sich davor, sich einzubringen, auch wenn es ihn unter den Fingernägeln brannte. Eine kleine Stimme in ihm, welche er früher mit Freunden ignoriert hatte, mahnte ihn ungewöhnlich bestimmt zur Geduld und er hörte entgegen seiner Instinkte auf sie.

„Was willst du genau von mir hören?“

Salzburg klang resigniert und doch ließ sie keine Sekunde ihren Bruder aus den Augen.

„Warum du hier bist.“

„Erklärst du mir dann auch was dieser Saupreuß bei dir macht?“

Ein kurzes Nicken zu Gilbert war nur allzu deutlich und nun empfand Gilberts Ego, dass es an der Zeit war, der nervigen inneren Stimme nicht mehr zuzuhören und zu handeln.

Doch ein kurzer und eindringender Blick von Roderich ließ den Deutschen innehalten. Er konnte rückblickend dann selber nicht sagen, woran es gelegen hatte, oder ob in Roderichs Blick eine Bitte gelegen hatte oder ein Befehl, auf jeden Fall schritt er nicht ein und verblieb auf seinem Platz am Fenster.

„Das geht dich nichts an, Salvatira.“

Mit einem Ruck des Kopfes befreite sich Roderich von den störenden Haaren, welche ihm ins Gesicht fielen, wobei er die Arme vor der Brust verschränkte. Mit gleicher Distanziertheit, mit dem ihn seine Schwester bedacht hatte, zahlte er ihr auf selben bitteren Weg heim. „Bestehe nicht drauf!“

Ein falsches Lächeln zierte die Lippen der Salzburgerin, während es unheilvoll in ihren violetten Augen blitzte.

„Du hast schon mit vielen Feinden das Bett geteilt, liebster Bruder. Aber was musste passieren, dass du ausgerechnet diesen schmierigen Hund da unter die Tuchern geholt hast? Du hasst diesen Mann, seit Jahrhunderten, ungeachtet der Art der Beziehung zwischen euren beiden Ländern. Dann sage mir doch, wie weit hast du deinen Stolz schon verloren?“

Gilbert machte schon ein paar Schritte auf die Salzburgerin zu, immer bedacht den schwarzen Schatten am Küchenkasten im Auge zu behalten, da zerschnitt Roderichs Stimme die geladene Atmosphäre den Raum.

„Schweig Salzburg!“

Für eine Sekunde lüftete Salvatria ihre Maske und gab ihre Überraschung über den angeschlagenen ruppigen Ton preis, doch Roderich gönnte ihr keinen Moment, um zu reagieren.

„Ich erinnere dich, dass ich dein älterer Bruder bin und dir keine Rechenschaft schuldig. Weder in dem, was ich tue, noch, mit wem oder was ich mein Bett teile. Gilbert ist mein Gast, also hör auf über ihn zu reden als wäre er nicht im Raum und deiner Manieren nicht würdig.“

Von Roderichs striktem Verhalten erstaunt hielt Gilbert inne und auch Rupert schien sich unschlüssig über ein mögliches Eingreifen seinerseits.

Roderich hatte ihn noch nie als Gast bezeichnet. Nicht einmal zu der Zeit, wo Gilbert aus diplomatischen Gründen im Gästetrakt des Haushaltes seiner Nemesis einquartiert worden war.

Die einzige Frau im Raum schien sich jedoch noch vor den Herren zu fangen, was die Anspannung im Raum weiter steigen ließ.

„Gut, einverstanden, Bruder!“, zischte sie mit unterdrückten Zorn in der Stimme, „Wie du meinst.“

„Kommen wir wieder zurück zum eigentlichen Thema. Warum bist du hier?“

„Meine Kontakte…“, kurz hielt das ehemalige Erzbistum inne und warf einen abwägenden Blick in Richtung Gilbert, doch dann nahm sie wieder den Faden auf. „Setzen mich in Kenntnis, dass die Gestapo wieder bei dir war und dich festgenommen hat. Und dann ruft Theodor mich gestern an, um zu melden, dass Gilbert dich wieder rausgeholt hat.“

Salvatria legte eine Sprechpause ein, wobei sie für ein paar Wimpernschläge die Augen schloss, um dann den Bruder still zu mustern. Die vorhin vereisten Züge im feinen Gesicht der Salzburgerin wurden wieder weicher und nun drang auch die Sorge hörbar aus ihrer Stimme. Doch seitdem der Name seines bayrischen Bruders gefallen war, verschloss sich nun der Hausherr.

„Verdammt noch mal, Roderich. Wie oft noch?“

Für eine Weile betrachtete Roderich seine Schwester, doch seine Mimik verfinsterte sich immer mehr.

„Du lässt mich überwachen, Schwester? Den eigenen Bruder?“

Salvatria schnaubte auf seine Worte hin entnervt und verdrehte die Augen.

„Sei doch ehrlich, Roderich, glaubst du wirklich, du bist in der Verfassung, auf dich Acht zu geben? Die wievielte Verhaftung war das jetzt?“

„Ich bin doch wieder rausgekommen, oder?“, giftete der Betroffene zurück, ohne auf die letzte Frage einzugehen.

„Ja, Gilbert hat dich herausgeholt und das ist kein Grund beruhigt zu sein.“

Violett traf abermals auf violett und erneut beschlich Gilbert das Gefühl, nur Beisitzender eines Familiendramas zu sein. Er war sich nur noch nicht einig, ob dies für ihn ein gutes Zeichen war oder nicht.

„Roddy, wir machen uns doch nur Sorgen um dich. Verstehst du das nicht?“

Offenbar legten diese Worte in Roderichs Geist einen Hebel um und lösten somit eine explosive Kettenreaktion aus.

Roderich sprang auf, wodurch der Stuhl unangenehm über den Boden knarrte. Rupert huschte wie von der Tarantel gestochen von seinem Wachposten runter und baute sich fauchend, wie auch buckelnd vor seiner Herrin auf, während Gilbert leicht verloren sich mitten in der Szenerie wieder fand.

„Sorgen… Warum schleicht ihr alle um mich herum, wie um einen Krüppel? Warum meint jeder hinter mir stehen zu müssen, als würde ich jeden Moment zusammenbrechen? Warum meint jeder sich Sorgen machen zu müssen, nur um sich in mein Leben einzumischen?“

Aus jedem Satz sprach der aufgestaute Zorn, welcher offenbar einfach zu lange gedämmt unter der Fassade Roderichs dahin geköchelt hatte. Erstaunt beobachtete Gilbert, wie Blut in die Wangen seines Rivalen gepumpt wurde. Noch nie hatte er es miterlebt, dass dem anderen auf diese Weise der Geduldsfaden riss. Sicher, er hatte Roderich in ihrer langen Feindschaft oft wahrlich zu Weißglut getrieben, aber nie so weit, dass dieser ihm mit blankem Zorn entgegengetreten war. Roderich ließ seiner Wut anders freien Lauf. Doch dann kam Gilbert wieder das Bild des verstaubten Klaviers auf und er verstand.

„Roderich, ernsthaft, hast du dich schon mal im Spiegel betrachtet? Wir sind deine Familie, deine Schwestern, deine Brüder und Freunde. Ist es ein Verbrechen, nicht zusehen zu wollen, wie du dich weiter zu Grunde richtest? Ist es so unnatürlich für dich, dass wir uns Sorgen machen?“

Für einen kurzen Augenblick herrschte Bestürzung hinter den violetten Iren, doch dann gewann wieder eine ungewöhnliche Härte Terrain.

„Ach leckt mi doch olle einfach am Orsch!“

Mit diesen Worten stürmte Roderich aus der Küche, eine überforderte Schwester zurücklassend, wie auch ein Gilbert, welcher erst Mal verdauen musste, zum ersten Mal in seinem Leben von seinem liebsten Feind als Gast bezeichnet worden zu sein.
 

„Was für ein Ausbruch, kleiner Maestro.“

Wien ging feixend vor Roderich auf und ab, während dieser an der weißen Tür gelehnt auf den Boden gerutscht war und das Gesicht in den angezogenen Beinen vergrub.

„Scheiße, scheiße, scheiße…“

Roderich tat sich schwer, einzuschätzen, wie viel Zeit seit seinem Ausbruch vergangen war. Seitdem er in sein kleines Zimmer gestürmt war, war ihm nur dieses eine Wort durch den Verstand gespuckt. Der Schlüssel steckte umgedreht im alten Schloss und nur gedämpft waren Stimmen aus der Küche zu hören. Auf dem noch immer nicht gemachten Bett saß der kleine Junge, welcher Roderich mit einem ernsten Blick bedachte.

Gilbert hatte kurze Zeit, nachdem er sich in seinem Zimmer verbarrikadiert hatte, an das Holz der Tür geklopft, doch seine Aufforderung, Roderich möge gefälligst seinen Hintern aus dem Zimmer schieben, wurde immer leiser, je mehr Zeit verging, in der nichts passierte.

„Hast du das Gesicht dieses Pifken gesehen?“, hakte Wien mit einer rhetorischen Frage nach, schien aber keine Antwort abzuwarten, sondern redete einfach weiter. „Einfach göttlich…“

„Ich hätte sie nicht anschnauzen sollen…“, nuschelte Roderich in den brauen Stoff seiner Hose. Wien blieb für eine Weile stehen, bevor er, ungeachtet des scharfen Blicks von hinten, in die Hocke ging, um mit dem Gesicht auf gleicher Höhe wie Roderich zu sein.

„Tja, Worte lassen sich nicht zurücknehmen, sind sie einmal ausgesprochen. Man kann sich für sie entschuldigen, aber aufgrund dessen ihre Existenz auszuradieren ist nicht möglich. Das musst doch gerade du am besten wissen, denn wie oft hast du Leute durch deine Worte bluten lassen?“

Ein überhebliches Grinsen auf dem jungen Gesicht seines Ebenbildes zog sich von einem Ohr zum anderen, während Roderich spürte, wie ihm schlecht wurde.
 

Der trügerische Frieden, welcher die Küche beherrschte, missfiel Gilbert bis in die letzte Faser seines Leibes. Seitdem Roderich Hals über Kopf aus der kleinen Küche gestürmt war, um sich in seinem Raum einzusperren und auf keine seiner Aufforderungen, beziehungsweise Drohungen reagiert hatte, war der Preuße wieder zurück in die Küche gegangen.

Doch zu seinem Glück war ihm ein anstrengendes Gespräch mit Salvatria erspart geblieben. Offenbar gehörte Salvatria zu den Frauenzimmern, welche ihre Probleme mit sich selbst lösten, anstatt ihre Umwelt damit zu belasten. Ein bis dahin nicht entdeckter angenehmer Zug bei Salzburg, fand Gilbert, während er der Zeit in Form der Küchenuhr beim Vergehen zusah.

Das Klacken einer der Schranktüren ließ ihn aus seiner Lethargie hochfahren und überrumpelt sah er Salvatria dabei zu, wie sich diese die Jacke anzog und nach dem Flechtkorb hinter der Tür griff. Rupert sprang von seiner erhobenen Position über Umwege auf den Küchenboden. Kaum auf seinen vier schwarzen Pfoten gelandet, scharwenzelte er sogleich um die Beine der Salzburgerin, welche sich nur kurz zu ihm hinunterbeugte.

„Bin ja gleich wieder da, mein Lieber“, säuselt sie ihm zu, während er seinen Kopf gegen die dargebotene Handfläche schmiegte, dann richtete sie sich wieder auf und suchte Gilberts Blick.

„Ich kümmere mich darum, dass wir heute noch Essen auf dem Tisch stehen haben. Roderichs Vorräte sind für vier Bäuche recht mager. Du bleibst hier und hast bitte ein Auge auf meinen Bruder.“

„Du hast mir keine Befehle zu erteilen“, maulte Gilbert kurz auf, wurde sich aber gleich darauf des stechenden Blicks der gelben Augen bewusst, was ihn aber nicht daran hinderte, trotzig die Arme vor der Brust zu verschränken. Salzburg jedoch ignorierte gekonnt seine Reaktion, zupfte kurz an ihrer Kleidung und wandte sich zum Gehen. Bevor sie die Schwelle der Küche überschritt, drehte sie sich ein letztes Mal um.

„Ich meine es ernst, Gilbert. Wehe, wenn Roderich sich in meiner Abwesenheit was angetan hat, dann ist Rupert dein kleinstes Problem.“

Kaum war die Haustüre hörbar ins Schloss gefallen, blickte Gilbert zornig zum Kater, welcher in seiner katzenhaften Arroganz sich vor ihn gesetzt hatte und mit peitschendem Schwanz musterte.

„Was?“, blaffte er das Tier an, bevor er sich erhob, um eine passende Ablenkung von all dem zu suchen.
 

Roderich wusste nicht, wie lange er einfach nur auf dem Bett gelegen hatte, um an die Decke zu starren. Die Federungen seiner alten Matratze waren durch die Wunden an seinem Körper empfindlich zu spüren und die Decke bot ihm nach kürzester Zeit auch keine Neuheiten mehr.

Der kleine Junge hatte am Anfang noch neben ihm gesessen, während Wien schon nach wenigen Augenblicken wie vom Erdboden verschluckt gewesen war.

So war dieser penetrante Kerl nun mal. Es gab Zeiten, da verfolgte er ihn auf Schritt und Tritt, sich eines hämischen Worte nie zu schade, und dann gab es Wochen, wo nicht einmal eine Faser seines roten Mantels erblickte.

Doch nun hatten ihn beide seiner Hirngespinste verlassen und nur noch seine krummen Gedanken waren ihm als Begleiter geblieben.

Sich über sein voriges Verhalten den Kopf zu zerbrechen hatte er schon vor geraumer Zeit aufgeben und hatte seine Gedanken zu dem Kasten mit seinen Fotos schweifen lassen.

Wie lange hatte er die meisten dieser Leute nicht mehr gesehen?

Gut, mit seinen Schwestern hielt er sporadisch Kontakt, was aber vor allem ihren Bemühungen zu verdanken war. Er selber griff selten zum Telefon und brachte gar die Initiative auf, selber in den Süden oder Westen zu fahren.

Salvatria und Hedwig waren die einzigen, die sich über seinen Widerwillen, zwischenmenschliche Beziehungen zu pflegen, einfach hinwegsetzten.

Von Adelheid hatte er seit der Festnahme von Tirol nichts mehr gehört und dass Katharina sich bisher nicht bei ihm gemeldet hatte war vielleicht ungewöhnlich, aber im Angesicht des Zwiespalts, in dem sie steckte, nicht verwunderlich. Roderich hätte um nichts in der Welt mit ihr tauschen wollen, um zuzusehen, wie sich ihre Kinder durch nationale Tendenzen sich in zwei Lagern spalteten. Ihm waren die Gerüchte über Partisanenbewegungen in Kärnten trotzt jeglicher Abschirmung sehr wohl zu Ohren gekommen, doch er traute sich nicht, darüber bessere Erkundigungen auszuheben. Zu sehr steckte in ihm die Angst, dadurch eine ungünstige Aufmerksamkeit seitens der Behörden auf sich und seine Schwester zu lenken.

Theodor war hingegen nicht so umsichtig und auch wenn Roderich wusste, dass sein bayrischer Bruder sich nur um ihn sorgte, so stellte er, kaum erschnüffelte nur den kleinsten Einfluss des anderen in seinem Leben, auf Stur. Ihm war zwar sehr wohl bewusst, dass er Bayern damit verletzte, aber ihre Beziehung war schon immer ein wenig komplex gewesen.

Neben dem Jagdportrait mit Theodor stand ein Foto von Schweiz und Lichtenstein. Vash hatte am Anfang des Krieges noch versucht, mit ihm Kontakt aufzunehmen, aber es gleich wieder aufgegeben, kaum war die Korrespondenz nach ein paar Wochen von Roderichs Seite eingeschlafen.

Roderichs Blick glitt zum Foto von Antonio. Er konnte ehrlich nicht sagen, wann er das letzte Mal etwas von dem Tomatenliebhaber gehört, oder wann er ihn gar in Fleisch und Blut gesehen hatte.

Seitdem Franko Spanien fest in der Hand hatte, war Antonio wie vom Erdboden verschluckt und nach Roderichs Wissen wussten nicht einmal Lovino oder Belle, was aus dem charmanten Spanier geworden war. Doch in Augenblicken wie diesen wünschte er ihn sich wieder bei sich zurück, wie früher, als sie über die gleiche Herrscherfamilie miteinander verbunden gewesen waren und eine eheähnliche Beziehung geführt hatten.

Wie in Trance taste Roderich nach der filigranen Goldkette, die er sich erst heute wieder angelegt hatte. Unter dem dünnen Stoff des Hemdes spürte er den schlichten Ring an seiner Brust und erneut dankte er dem Himmel, dass er gestern alles wieder zurückbekommen hatte. Dennoch konnte er sich nicht einmal einen Tag später erklären, warum er seine beiden Anhänger, den Ring und das kleine goldene Kreuz seiner ersten Herren, nicht vor Gilbert und den anderen Gestapo sich hatte umhängen wollen. Langsam fuhr Roderich mit seiner Hand immer höher, um die ehemalige Bezeugung seines Versprechens an Spanien von unter seinem Hemd hervor zu holen, da klopfte es an die Türe.


Nachwort zu diesem Kapitel:
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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  FreeWolf
2014-08-16T11:00:12+00:00 16.08.2014 13:00
Ludwigs Schizophrenie ist faszinierend. Hast du dafür viel recherchiert? Du stellst seine Krankheit sehr nachfühlbar dar.
Ich mag Salzburg und die dicke, schwarze Katze. XD Auch wenn sie wohl nicht die sympathischste war auf dem internationalen Parkett vor 200 Jahren.

Antwort von:  Sternenschwester
16.08.2014 20:45
Ludwigs Schizophrenie oo?
Ich habe mich da an ein paar FF orientiert aus meiner Anfangshetalia-Zeit. Da hat Gilbert selber nicht ganz so verstanden was mit seinem Bruder los ist und das seine Warnungen auf tauben Ohren stießen.
Yo... Salzburg ist auch eine meiner Lieblings-OC^^ und Rupert scheint öfters auf Wohlwollen seitens der Leser zu stoßen^^.
Danke fürs Kommi und dem Betalesen...
lg, Sternenschwester
Nun ja für die FF habe ich ein wenig


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