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Sweet Fifteen

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Es gibt wieder ein Update =) Ja, es hat lange gedauert. Nein, ich habe keine gute Ausrede dafür.
Deswegen bedanke ich mich an dieser Stelle für die zwei lieben Kommentare von XxLillixX und Cameo! Besten Dank an euch beide!

Ich wünsche euch viel Spaß beim 3. Kapitel! ^^ Komplett anzeigen

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Spiegel.verkehrt


 

Sweet Fifteen III
 

Stan wünschte, es wäre nicht so schwierig einen klaren Gedanken zu fassen. Aber in seinem Kopf feierte eine ausgelassene Meute schwarzer Löcher eine Party und verschluckte dabei nicht nur sämtliche logische Denkansätze, sondern verbreitete obendrein einen höllischen Lärm. Ein Bass zum Takt seines auffällig schnell schlagenden Herzens quasi...
 

Geplagt presste Stan die Augen zu und drehte sich auf die Seite, Kyle vorerst ignorierend. Eine Tatsache, die dem Rothaarigen gänzlich missfiel. Weniger aus selbstsüchtigen Gründen, als vielmehr aus Sorge.
 

„Stan? Soll ich dir was bringen? Wasser vielleicht? Ja?! Ich komm sofort wieder!“
 

Das Geräusch von Kyles ruckartigen Bewegungen hallte durchs Zimmer. Stan konnte die Schritte über den Boden poltern hören und weiter durch den Flur, die Treppe in die Küche hinunter. Davon abgesehen lief noch immer der Fernseher und erhielt eine akustische Kulisse am Leben.
 

Das Deckenlicht, was Kyle vorhin beim Betreten des Zimmers mit dem Ellbogen angeschaltet hatte, knallte auf Stan hinunter. Trotz geschlossener Augenlider kam er sich halb geblendet vor. Es war gewiss nicht das erste Mal, dass er irgendwie schlapp war oder dass ihm leicht schwindelig wurde. Manchmal war ihm auch nach dem Training flau, aber dann hatte er meist irgendeinen Schokoriegel zur Hand, den er im Rucksack spazieren führte, und die Sache war – im wahrsten Sinne des Wortes – gegessen. Womöglich wurde er also wirklich krank.
 

...Nein, das war lächerlich. Stan wünschte, dem wäre so. Er konnte sich die Sache nicht schön reden. Er hatte so ein unbeirrbares Gefühl, dass er sich nicht im dreckigen Schulbus oder auf dem noch dreckigeren Jungenklo ein paar fiese Bazillen eingefangen hatte. Das, was ihn hier und jetzt an die Matratze fesselte – dieses enorme Schwindelgefühl, dieses Herzzucken, diese stechenden Kopfschmerzen, dieses Brennen in der Kehle und diese stumpf wallenden Bauchschmerzen – das kannte er im kleinen Stil und nun trat es im großen Stil als Big Band auf. Es kam vom Kotzen. Garantiert.
 

„Hier!“ Schnell, aber darauf aufpassend, dass das Glas nicht überschwappte, hetzte Kyle zurück ins Zimmer. Das Glas stellte er auf den Nachttisch.

Stan konnte sich nur unter größter Mühe auf die Ellbogen stützen und sich dann halb aufrichten.

„Danke, Alter.“
 

„Kein Ding! Deine Mom ist ja gar nich’ da.“ Es war keine Frage im eigentlichen Sinne. Kyle ließ es wie eine erschrockene Feststellung klingen, während er sich unverwandt auf die Bettkante setzte. „Sie hat doch mittlerweile ’n Handy, oder? Soll ich sie anrufen?“
 

Stan, der gerade das Glas an die Lippen geführt hatte, setzte es ab, ohne einen Schluck zu trinken.

„Nein!“ Die klare Flüssigkeit schwappte dabei bedrohlich hoch, reichte aber nicht an seine plötzlich schrillpanische Stimme heran. Unter gar keinen Umständen durfte seine Mutter von all dem hier erfahren! Stan hatte nicht vor, jemanden wissen zu lassen, worunter er litt und so wie er Kyle kannte, würde der in maßlose Übertreibungen ausbrechen und das wiederum würde dafür sorgen, dass Sharon Marsh ihren Sohn ohne mit der Wimper zu zucken in die nächste Notaufnahme fuhr. Stan für seinen Teil wollte definitiv nicht ausprobieren, ob Notaufnahmeärzte es erkannten, wenn jemand sich absichtlich halb bewusstlos kotzte.

„Also sie hat zwar ’n Handy, aber sie ist mit ihrem neuen Macker aus und echt mal, so schlimm isses nich’. Wenn ich ’ne Nacht drüber geschlafen hab, ist das morgen wieder weg!“ Damit ihm die Worte leichter von der Zunge gingen, nippte Stan nun doch an dem Wasser, das ihm überraschend gut tat.
 

Kyles Augen, die sich bei Stans vehementem Nein geweitet hatten, nahmen allmählich ihre natürliche Größe wieder an.

„Dacht ja nur...“, murmelte er, fast als sei ihm seine Reaktion jetzt unangenehm. Nebenbei huschte seine Aufmerksamkeit einmal durch das unaufgeräumte Chaos, was Stan sein Zimmer nannte.
 

Stan konnte sich nicht erinnern, wann sie beide zuletzt in seinem Zimmer gewesen waren. Er verdrängte die Bemühung, indem er das Glas leerte und dann weiterflunkerte.

„Das war bestimmt das Gammelfleisch in dieser scheiß Frittenbude, in die Kenny mich nach der Schule geschleppt hat.“
 

„Du warst mit Kenny in ’ner Frittenbude?! Warum habt ihr nix gesagt?!“
 

Die Erwähnung des Blonden schien zu genügen, um Kyle von den dreckigen Wäschebergen und dem Schreibtisch voller Bücher, Hefter, Laptop und gebrauchtem Geschirr abzulenken.
 

„Gesagt?!“ Stan stellte das Wasserglas zurück auf den Nachttisch und rieb sich die Augenpartie.
 

„Ja, verdammt! So wie Mund aufmachen und Worte produzieren!“
 

„So wie Mund aufmachen und rumschreien, meinst du?!“ Stan hatte keine Ahnung, warum sein Freund plötzlich so laut und wütend war. Stan wusste nur, dass er gerade niemanden ertragen konnte, der seine Kopfschmerzen mit spitzen Vorwürfen anfachte.
 

Kyle schnappte empört nach Luft, wobei sich seine rechte Hand an die Bettkante klammerte. Das Zucken hätte anders verarbeitet werden sollen. Stan hatte es unzählige Male erlebt. Am liebsten hätte ihm Kyle den Mittelfinger gezeigt.

Himmel, war das übertrieben! Und Stan dachte immer, er selbst wäre empfindlich! Aber Kyle hatte die letzten Monate wohl dazu genutzt, um auf der Überholspur an ihm vorbei zu ziehen.
 

„Jetzt bleib mal aufm Teppich! Da war’s echt eklig!“
 

Kyles grüne Augen nahmen die Form erboster Schlitze an. Er schien so sauer, dass sein Blick durch Stan hindurch drang und ein Loch in die Wand brannte.

„Ich will ja gar nich’ wissen, was ihr zwei eingeworfen oder geraucht oder sonst wie habt! Aber wenn du schon mit Kenny so ’nen abgefuckten Scheiß machst und ihr mich nicht dabei haben wollt, dann schreib mich nicht hinterher unter so ’nem blöden Vorwand an, nur weil du Hilfe brauchst, weil du dir die Innereien rauskotzt!“
 

„So..so war das nicht!“ Die Vorwürfe drückten Stan mit einer ungeheuren Intensität die Luft aus der Lunge. Sein Einwand flatterte hilflos wie ein Fähnchen im Wind. Vor lauter Schuld schaffte er es nicht mal, Kyles Blick Paroli zu bieten.

Doch gerade weil er den Blickkontakt so schnell abbrach, fühlte sich Kyle bestätigt und schnaufte. Seine Wangen leuchteten beinahe so rot wie sein Haar, das unter der Mütze hervorschaute.

„Na klar... fickt euch doch! Mir so was von egal!“ Sich vom Bett abdrückend, stand Kyle auf und marschierte geradewegs in Richtung Türe.
 

„Mann, ich schwör’s! Ich hab nichts genommen!“
 

Kyle stoppte, zunächst ohne sich umzudrehen. Trotz Jacke und Schal konnte der Schwarzhaarige die angespannten Muskeln erahnen, die zu Kyles Rücken und Nackenpartie gehörten. Da war viel Energie und viel Kraft in ihm. Viel mehr, als Stan seit Wochen in sich selbst verspürt hatte. Kurz flackerte die stumme Frage, warum Kyle nicht mehr Basketball spielte, durch sein Hirn. Dann war sie auch schon wieder verschwunden.
 

„Du siehst mies aus, Stan. Richtig mies. Und zwar schon länger. Wieso hast du dich da von Kenny mit reinziehen lassen?“ Kyles Tonfall glich einer eisigen Böe und ließ Stan erschauern.
 

„Ich hab mich in gar nichts reinziehen lassen! Es hat überhaupt nichts mit Kenny zu tun!“
 

„Sondern?“ Kyles Zorn ebbte ins Erträgliche herab, als er erwartungsvoll über die Schulter zu Stan hinüber sah.
 

„Ich...ich bin krank. Hab ich doch gesagt!“ Wie konnte ein ursprünglich harmloser Abend nur so eine fiese Wendung nehmen? Stan spürte richtiggehend, wie sein Gesicht lichterloh brannte und als Kyle mit den Augen rollte, wurde es nur noch schlimmer. Warum glaubte einem der Rothaarige eigentlich nicht?
 

Mit schweren Schritten kehrte Kyle zum Fußende des Bettes zurück und donnerte seine Hände aufs Gestell.

„Ja! Und woher kommt das bitteschön?!“
 

Die Vibration erschütterte Stans Herz und Seele.
 

„Wenn du dir solche Sorgen machst, warum hast du dann nich’ mal früher den Mund aufgemacht!“ Stan erwartete keine Antwort. Er erwartete nur, dass Kyle endgültig explodierte und sich dann aus dem Staub machte. Das war es schließlich, was offenbar alle Menschen immer liebend gern taten: streiten, zerstören und dann das Weite suchen. Seine Eltern taten es auch. Vielleicht war es eine Angewohnheit von Erwachsenen und sie beide hatten ein Alter erreicht, in dem man diese hässliche Angewohnheit ebenfalls schon erlernt hatte.
 

Im Zuge einer schnellen Bewegung riss Kyle die Bettdecke beiseite, hatte das Fußende verlassen und packte sich gleich darauf unsanft Stans Arme. Diesem blieb vor lauter Schreck nichts Anderes übrig, als sich auf die Füße zerren zu lassen und Kyle ungeschickt hinterher zu taumeln. Stans saurer Atem formierte sich zu stocksauren Flüchen, während er aus seinem Zimmer ins Badezimmer geschleppt wurde. Er fror, als ihn die barschen Hände vor dem Ganzkörperspiegel, der neben der Dusche an der Wand angebracht war, schubsten. Die Finger, die bis gerade noch Stans Arme umklammert hatten, krochen hart zu seinen Schultern hinauf und blieben dort als Schwergewichte liegen. Kyle stand so dicht hinter Stan, dass Stan nicht mit Bestimmtheit sagen konnte, wie viel er selbst von seinem Körpergewicht trug und wie viel er auf den anderen Jungen abwälzte.
 

„Du siehst nicht erst seit heute so aus...!“ Die Finger, die auf seinen Schultern lagen, stachen abrupt und tief zwischen Stans Knochen. Es tat weh. Das erste Mal, seit Kyle ihn aus dem Bett gezerrt hatte, empfand Stan bewusst Schmerzen. Anstatt diese aber sonderlich beachten zu können, blinzelte er nur irritiert das Spiegelbild an.
 

Dort, direkt gegenüber, standen zwei Jungen. 15 Jahre alt und die Gesichter so unglücklich, als hätten sie auf Zitronen gebissen. Kyle, komplett in Jacke und Mütze und Schal gekleidet, schien wie ein großer Umriss Stans Körper nachzumalen. Eine Art aufgedunsener Schatten, wenngleich Kyle keineswegs so etwas wie breit gebaut war. Im Gegenteil, er hatte einen eher feinen Knochenbau. Von drahtig konnte nicht die Rede sein, von muskulös allerdings genau so wenig. Kyle war schlank, so wie immer. Wobei sein einst kindlich rundes Gesicht nun länger ausfiel und von ansehnlichen Wangenknochen beherrscht wurde. Seine Nase war lang und spitz; gerade heraus, wenn man so wollte. Ebenso wie seine grünen Augen unter den dunklen, zielorientierten Brauen.
 

Stan musste schlucken, als sein Blick mit Hilfe des Glases von Kyles Gesicht fiel und auf dessen Händen landete. Starke, schmale Finger. Stan konnte sich nur zu gut daran erinnern, mit wie viel Geschick sie einen Basketball fangen und werfen konnten. Jetzt hatten diese Finger ihn im Griff und so sehr sich Stan auch innerlich sträubte, so schaute er im nächsten Moment sich selbst ins Gesicht.
 

Irgendwas stimmte an all dem nicht. Daran, wie sie beide hier standen und wie sich ihre Körper im Spiegel darboten. War Kyle nicht der dünnere von ihnen beiden? Stan sog unbewusst die Unterlippe zwischen die Vorderzähne und starrte auf sein Kinn, das so aussah wie das seines Vaters – bloß in einer hageren Variante. Stan war aber nicht hager. Es überraschte ihn nur, dass seine Schultern, sein Oberkörper, eigentlich seine gesamte Person so in sich zusammen gesunken wirkte. Zusätzlich nistete eine gespenstische Blässe, die sich bis in sein strohiges Haar erstreckte, auf seinen Hamsterbacken.
 

Wahrscheinlich war es das, was Kyle meinte. Sie waren beide gewachsen, aber Stan wuchs im Moment nicht so wie vorgesehen. Da war Sand im Getriebe.

Er sah mies aus. Richtig mies.

Es war ihm nur nie aufgefallen, weil er sich zu oft im Spiegel sah, ohne jemals wirklich auf sich zu achten. Ihm war auch nie ein Grund eingefallen, wieso er seine eingerissenen Mundwinkel oder hässlichen Hautunreinheiten genauer unter die Lupe nehmen sollte.
 

„Shit...“
 

Erst Kyles Nicken ließ Stan realisieren, sein Entsetzen frei heraus geäußert zu haben. Unter seinen schweren Augenlidern saß ein müder Blick, der unwohl Kyles Blick im Glas traf. Stan musste wieder schlucken; seine Füße schoben sich trotz Socken frierend übereinander.
 

Kyle schien betroffen, wobei seine Finger sich etwas lockerten. Nicht länger in die Haut bohrten, sondern nur mehr freundschaftlich dort lagen.

„Du nimmst wirklich nix? Keinen Scheiß, den Kenny oder sonst wer dir andreht?“
 

Ein verneinendes Kopfschütteln andeutend, verlor Stan ein leises aber definitives „Nein“. Er nahm nichts. Er brauchte keine Drogen. Er hatte sich selbst kaputt gemacht und er spürte, wie ihm das Herz zäh gegen die Rippen hämmerte.
 

In Kyles Blick mischte sich etwas sanft Besorgtes.

„Ist es wegen...? Ich mein, manchmal..da hat man viel Stress und bei euch Zuhause, da...“ Kyles Blick huschte durchs Bad, so als wolle er sich vergewissern, dass sie alleine waren. Die Worte schienen ihm schwer zu fallen. Zorn witterte Stan keinen. Jetzt war Kyle drauf und dran etwas zu sagen, von dem er nicht wusste, wie er es sagen sollte.

„Deine Eltern streiten ja ständig und dann hat dein Dad immer diese jungen Freundinnen und deine Mom diese merkwürdigen Typen! Und dann gibt’s noch Schule und man muss so viel lernen und man will es allen recht machen, weil sonst... Na jedenfalls manchmal, da ist alles irgendwie zu viel für einen, obwohl man sein Bestes gibt. Aber irgendwann kann man halt nich’ mehr. Stan, kann es sein, dass du depressiv bist? Isst du genug?“
 

Die Fragen waren so feinfühlig wie ein Schlag mit der Keule auf den Hinterkopf. Unter normalen Umständen hätte Stan darüber gelacht, denn ja: er aß definitiv genug! Und ja, Schule war ätzend, daheim war es ätzend und Stress hatte doch eh jeder, aber wieso krallte sich Kyles Emotionalität gerade so ungeheuer tief an Stans Seele fest? Wieso taten seine schnell gehaspelten Wortketten so weh? Alles an Kyles Miene wirkte plötzlich zutiefst verzweifelt. Kyle meinte es ernst und Stan spürte, wie ihn ein böser Verdacht an die Leine legte, seinen Blick vom Glas löste und dafür sorgte, dass er sich leicht herumwandte, damit er seinem Freund tatsächlich ins Gesicht sehen konnte. In die Augen und noch tiefer. Dorthin, wo die weh tuenden Worte herkamen.
 

Stans Schlucken hallte hörbar im Bad wider, als er endlich begriff.

„...wieso hast du nie was gesagt?“ Er hörte sich fremd an in seinen Ohren. Fremd und ohnmächtig, weil er verstand, warum Kyle offiziell so viel zu tun gehabt hatte. Wieso er nicht mehr von sich aus auf Stan zugekommen war, wieso er sich hinter Büchern verschanzt und sich beim Basketball abgemeldet hatte. Wieso er die Mittagspause lieber im Physikraum oder der Bibliothek verbracht hatte. Wieso er die meiste Zeit geschwiegen oder oberflächlich, aber distanziert gewesen war.
 

Kyle war es zu viel gewesen. Alles. Und Stan hatte es nicht verstanden.
 

Kyles Hände rutschten endgültig von Stans Schultern und hingen etwas unbeholfen neben seinem Körper, als er mit den Achseln zuckte.

„Weil...was hätt’ ich denn sagen sollen? Ich hab gedacht, das ist normal. Ich dachte...“ Kopfschüttelnd zog Kyle seine Mütze ab und strich sich einmal durch die wirren Locken. Er wirkte verloren, woran sein nervöses Lächeln gewiss nicht unschuldig war. Resignierend nahm er auf dem Wannenrand Platz und Stan tat es ihm gleich. In seinem Kopf türmten sich Fragen aller Art auf. Er konnte es regelrecht vor sich sehen: Kyles ganzes Bemühen, sein Ehrgeiz, seine Rastlosigkeit. Wenn sich der Rothaarige in etwas verrannte, gönnte er sich keine ruhige Minute mehr und war nur schwer von seinem selbst gesteckten Ziel abzubringen. Kyle musste in eine sehr dunkle Sackgasse gelaufen sein – und Stan hatte es nicht bemerkt. Er hatte nur sich selber gesehen und nur sich selber gehört. Seine Welt eben.
 

Wie hatte ihnen das passieren können? Wie hatten sie beide sich so von ihren eigenen vier Wänden zerquetschen lassen können, dass sie nicht mal mehr mitbekamen, dass auch ihr bester Freund drauf und dran war, zermalmt zu werden?
 

„Du bist depressiv gewesen und du hast nicht gegessen...“, wiederholte Stan leise für sich und rieb die kalten Zehen seiner Füße aneinander. Die Fassungslosigkeit, die seine Muskeln unterschwellig zittern ließ, färbte seine Stimme.
 

„Es war nicht so schlimm!“ Kyles Unbehagen war gigantisch. Stan konnte ihn an seinem Schal fummeln und diesen langsam ausziehen sehen. „Ich hab nur irgendwie keine Zeit mehr zum Essen gefunden und so. Aber du kennst ja meine Mom. Sie hat sich das nicht lange angeguckt...“
 

Der letzte Satz vereinbarte etwas Dankbares sowie Schuldbewusstes miteinander. Ja, Mrs. Broflovski war keine Frau, die Missstände – welcher Art auch immer – hinnahm. Aber Kyle kannte seine Mutter und Kyle wusste, wie er bestimmte Dinge gewisse Zeit vor ihr verheimlichen konnte. Er war gewieft. Er hatte ihr garantiert unverhältnismäßig lange vorgegaukelt, normal zu essen. Stan konnte es förmlich spüren. Kyles Sturheit und seine ewige Anstrengung, bis man ihm irgendwann auf die Schliche gekommen war. Früh genug, bevor er wirklich so drastisch abnehmen konnte, dass es selbst Stan aufgefallen wäre. Sein Gedächtnis wälzte Erinnerungen und versuchte, sich Kyle vor einigen Monaten auf den Schirm zu rufen. War er damals dünner gewesen? Ja. Eindeutig. Aber das war doch normal bei Prüfungsstress und wenn man von Wachstumsschüben heimgesucht wurde. Er wäre nie auf die Idee gekommen, dass etwas Anderes dahinter steckte.
 

Stan stützte die Ellbogen auf seine Knie und bettete das Gesicht in den Händen. Er war so blind gewesen. So dumm. So unverzeihlich dumm!

„Oh Mann! Sorry...“
 

„Stan-“
 

„Es tut mir echt Leid, ehrlich Alter!“ Das schlechte Gewissen zerfraß Stan förmlich. Er machte einfach restlos alles falsch: bei seinen Freunden und bei sich selber.
 

Der Reißverschluss von Kyles Jacke ratschte. Dann registrierte Stan, dass man ihm das vorgewärmte Kleidungsstück über die Schultern legte. Die Geste war so wohltuend, dass er prompt den Kopf hob.

„Geht’s dir gut?“
 

„Halb so wild alles. Mir geht’s mittlerweile besser. Ich fahr ein Mal die Woche zu so ’ner netten Tante und red mit ihr über mein Leben und so. Leider liegt die Stunde zur gleichen Zeit wie das Basketballtraining...“
 

„Deswegen spielst du nich’ mehr...“ Und deswegen hatte Kyle auch nicht groß und breit erklärt, warum er den Basketball dran gegeben hatte. Stattdessen gab er einen bestätigenden Laut von sich und schielte kurz zur Deckenlampe, ehe er sich wieder auf Stan konzentrierte.

„Was is’ mit dir?“
 

„Äh... ich nehm keine Drogen, trotzdem is’ irgendwie alles beschissen. Aber ich ess genug.“ Die Jacke enger um seinen Körper schlingend, kuschelte sich Stan in die herrliche Wärme.
 

Offenbar hatte Kyle es irgendwie geschafft, noch die Notbremse zu ziehen, bevor er sein Leben endgültig vor die Wand fuhr. Davon konnte Stan wohl nur träumen... Er wusste nicht mal, was man konkret an seinem Leben ändern könnte. Seine Eltern würden sich ihm zuliebe nicht wieder wie halbwegs vernünftige Menschen benehmen und selbst wenn, würde das seine Stimmung wohl nur bedingt heben. Wahrscheinlich stimmte Kyles Verdacht und Stan war depressiv. Depressiv und essgestört, um genau zu sein. Wobei Nichtessen eine Sache war, aber Essen und Erbrechen eine andere und wie viel Verständnis Kyle dafür aufbringen würde, konnte Stan nicht abschätzen. Demnach studierte er schweigend seine Füße und lugte nur einmal kurz zur Seite, als Kyle sich reckte und das noch von vorhin offen stehende Fenster schloss.
 

Stan wusste nicht, wie er Kyle seine Unart jemals erklären sollte. Vielleicht sollte er es einfach lassen. Wenn Kyle und er sich jetzt wieder besser vertrugen, bekam er die Sache bestimmt irgendwie in den Griff, ohne noch mehr Pferde scheu zu machen. Einen Versuch war es immerhin wert.
 

Tbc?



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Kitsunebii
2013-10-12T21:13:42+00:00 12.10.2013 23:13
Wow. Ich bin baff. Wie gut du das alles geschrieben hast, einfach toll. Es ist nicht so, dass er es macht, weil er jetzt denkt, er wäre zu fett – das ist schon einmal gut, und auch etwas Neues. Und wie gut du die Gefühle geschrieben hast; von Stan und Kyle. Und das Kyle, irgendwo unscheinbar, unentdeckt, genauso Probleme wie Stan hatte – es hat einfach gepasst. Finde zumindest ich.

Man kann Stan so gut verstehen, warum er es macht, das er sich am liebsten selbst einreden möchte, es wäre nichts, es wäre nur eine Phase der Pubertät, die bald wieder vorbei ist, er müsse nur eine Weile warten und das Problem würde sich von selbst erledigen, dass ihn alles einfach nur noch erdrückt, das er es einfach nicht will, das seine Eltern ihn nur noch dazu benutzen, um den anderen eifersüchtig zumachen, und er letztendlich doch weiß, das es alles keine Phase ist, dass er da alleine nicht wiederherauskommen wird. Man muss ja auch bedenken, dass Stan anfangs sicherlich gehofft hatte, als seine Eltern sich die ersten Male getrennt und wieder versöhnt haben, er hoffte, es würde so bleiben, jedes verdammte Mal. Bis er dann eingesehen hat, dass es nie so bleiben wird, sondern nur viel schlimmer wurde. Und das er sich nach und nach, ohne es zu bemerken, von seinem besten Freund entfernt hat, war nicht gerade ein Pluspunkt für die ganze Sache. Es wirkt so, als wären sie gegenseitig füreinander eine Stütze, die sich davon abhält, sich selbst zu zerstören, und wenn diese Stütze weg ist, geht es nur noch bergab mit ihnen. Aber der Schlusssatz … nun ja, es zeigt deutlich, das Stan immer noch die Hoffnung hat, es würde alles von alleine weggehen. Theoretisch könnte es ja auch klappen, immerhin hatte er nun seine Stütze wieder, sie könnten gegenseitig auf sich aufpassen, aber die Realität sieht nun einmal anders aus…

Wie gesagt, eine fabelhafte Story, bei der der jedes einzelne Wort wie ein Mosaik zusammenpasst, und die zum Nachdenken anregen soll. Mach weiter so.

Kitsu~



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