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Evil Never Dies

Fortsetzung zu "Ghosts"
von

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Meetings - Treffen

Der Abend und die Nacht verliefen relativ ruhig und ereignislos, genauso wie die nächsten zwei Wochen. Als Ayumi jedoch vierzehn Tage nach den seltsamen Telefonanrufen von der Schule nach Hause ging, erblickte sie plötzlich eine ihr bekannte Person. Um ihre Vermutung zu bestätigen, riskierte sie einen zusätzlichen Blick um die Hecke herum, die Person noch einmal genauer in Augenschein nehmend. „Wodka-san!“, rief sie ihm nach, als er gerade in einem unbekannten Haus verschwand. Kurz auf ihrer Unterlippe kauend, näherte sie sich schließlich der offen stehenden Tür und sah in das Innere des Hauses.
 

Sie fragte sich, warum Wodka hier in dieser Gegend war, und ob Gin ihn begleitete. Die Möglichkeit, den blonden Assassinen wieder zu sehen ließ sie genug Hoffnung schöpfen, sich zwar durch die Eingangstür zu wagen, aber dann unsicher im Flur stehen zu bleiben. Niemand war zu sehen, und alles schien ruhig zu sein. Zu ruhig. Plötzlich kam ihr der Gedanke, wenn Wodka hier war, war er vielleicht gerade dabei jemanden zu töten? Das war etwas, was sie nicht sehen wollte. Sie beschloss, dass Fliehen wohl die beste Idee war, die sie umsetzen sollte, und so drehte sie sich um – um direkt in den Lauf einer Waffe zu blicken. Ein erschrockener Laut entfuhr ihr.
 

Wodka sah mit kalten Augen auf sie herab, auch wenn Ayumi sie nicht sehen konnte hinter den dunklen Gläsern der Sonnenbrille. „Du solltest nicht hier sein“, bemerkte er, und griff nach ihr. Sie zuckte zurück, Verwirrung spiegelte sich in ihren blauen Augen wider. „Ich…ich wollte doch nur nach dir sehen…und nach Gin-sama“, stotterte sie. „Ist Gin-sama bei dir?“ Ayumi versuchte sich umzusehen, aber Wodka schritt wieder auf sie zu und packte sie grob am Arm.
 

„Nein, ist er nicht“, antwortete Wodka. „Und du kommst mit mir auf eine kleine Rundfahrt.“ Ayumi wehrte sich, doch er hielt sie unnachgiebig fest, während er mit der anderen Hand seine Pistole auf sie richtete. Kein Mitgefühl ging von ihm aus, nicht einmal ein Anzeichen von Unbehagen, das er sonst immer in ihrer Nähe ausgestrahlt hatte. Er wirkte kalt, gleichgültig, gefühllos.
 

„Warum tust du das, Wodka-san?“, rief sie vor Angst zitternd. Ihre blauen Augen füllten sich mit Tränen. Sie verstand nicht. Das war nicht der schweigsame und scheue Mann, den sie kannte. Dieser Mann vor ihr war ihr fremd. Und alles, was sie in diesem Moment wollte, war fliehen.
 

„Du hast zu viel gesehen“, antwortete er. „Und du bist eine Nervensäge.“ Er zerrte sie mit sich zur Hintertür und schlug ihr den Griff der Pistole an den Kopf, zwar nicht sehr fest, aber immer noch stark genug um sie augenblicklich zu betäuben. Er konnte es schließlich nicht gebrauchen, dass sie nach Hilfe rief. Daraufhin legte er sie auf den Boden, fesselte sie an Händen und Füßen und steckte ihr einen Knebel in den Mund. Grinsend nahm er ihren schlaffen Körper in seine Arme und trug sie nach draußen, wo ein weißer Porsche parkte.
 

Dieses Kind, für welches Gin damals sein Leben riskiert hatte, war seine Trumpfkarte. Und wenn sie davon überzeugt war, dass er Wodka war und es Gin erzählen würde, würde der blonde Assassine ihr bestimmt glauben. Und es gäbe nichts, was Wodka dagegen tun konnte.
 

Lings Plan beinhaltete, dass der echte Wodka zu diesem Zeitpunkt wirklich woanders sein würde. Gins Partner würde genau für diese Zeit, von der Ayumi erzählen würde er hätte sie gekidnappt, kein Alibi haben. Wodka war von einem von Lings Partnern kontaktiert worden und aufgefordert worden ihn irgendwo in der Stadt zu treffen, wo sein Kontaktmann ihm Beweise von Gins „Verrat“ vorlegen würde. Dann würde Wodka niemand glauben, sollte er versuchen eine Erklärung zu finden, dessen war Ling sich sicher. Und selbst wenn Wodka erklären würde, was er getan hatte, waren die Chancen dafür gering, dass Gin ihm glauben würde und stattdessen Wodka die sogenannten „Beweise“ selbst anhängen.
 

Und so kam es, dass Wodka während des Nachmittags auf unerklärliche Weise verschwand und einen gereizten Gin im Quartier der Organisation herumwandern ließ. Er war versucht, seinen schwarzen Porsche zu nehmen und ihm nachzugehen, oder ihn wenigstens auf dem Handy anzurufen, besonders nach diesen seltsamen Anrufen von vor zwei Wochen. Wodka hatte keine Erklärung abgegeben, wo er hin wollte, bevor er anscheinend das Quartier verlassen hatte, und das verärgerte Gin sehr.
 

Er und Wodka hatten seit diesen Anrufen, die sie bekommen hatten, kaum miteinander gesprochen. Gin war sich sicher gewesen, dass Wodka über irgendetwas verärgert war, das mit dem Anruf zu tun hatte, doch er hatte es nicht geschafft von seinem Partner etwas anderes zu erfahren als die Geschichte mit der falschen Nummer. Ein paar Mal hatte es so ausgesehen, als ob Wodka etwas hatte sagen wollen, schwieg allerdings weiterhin. Etwas hielt ihn zurück. Er schien nervös zu sein, beinahe schon so als fürchtete er sich vor etwas.
 

Fürchtet er sich vor mir?, wunderte sich Gin, während er sich im Wohnzimmer der Suite, die die beiden bewohnten, niedergelassen hatte und eine Zigarette rauchte. Oder könnte er gegen mich arbeiten und er fürchtet was passieren würde, falls ich es herausfände? Misstrauisch verengte er die Augen. Er glaubte nicht, dass er Wodka nun schon seit Jahren kannte und dieser die ganze Zeit über hinter seinem Rücken etwas verheimlichen konnte. Wodka war ihm gegenüber loyal. Manchmal hatte Gin sogar das Gefühl, dass Wodka sich eventuell sogar um ihn sorgen würde. Natürlich war er nicht so leichtgläubig, dass er zu der Annahme gelangen würde, es wäre die Wahrheit.
 

Plötzlich klingelte sein Handy und er wurde aus seinen Gedanken gerissen. Genervt sah er auf, dann holte er sein Handy hervor, klappte es auf und hielt es an sein Ohr. „Hallo?“, antwortete er barsch.
 

„Agent Gin?“
 

Gin blinzelte überrascht, als er erkannte, dass es Ling Hi Sou´s Art der Begrüßung war. „Was gibt es?“, verlangte er zu wissen.
 

„Wir haben hier einen besonderen Umstand“, antwortete Ling verbissen, und Gin konnte im Hintergrund lautes Weinen vernehmen. „Was ist das für ein Lärm?“, knurrte Gin. „Wo sind Sie überhaupt – in einem Kindergarten?“
 

„Nein“, antwortete Ling, und Gin konnte eine Autotür zuknallen hören. „Ich war unterwegs, um mich mit einigen meiner Kontakte zu unterhalten, und einer von ihnen hat erwähnt, dass er jemanden heulen gehört hat in diesem alten Lagerhaus, wo sie einige ihrer Waren lagern. Als wir drinnen nachgesehen haben, haben wir ein kleines Kind gefesselt in einer der Kisten gefunden. Sie hat die ganze Zeit davon geredet, dass ´Wodka-san´ sie entführt hat, und hat nach ´Gin-sama´ gefragt. Im Moment tut sie das immer noch.“ Er sah rüber zu Ayumi, die neben ihm auf dem Beifahrersitz saß und weinte.
 

Gin erstarrte, seine Augen weiteten sich geschockt. Gin-sama… Es gab nur einen Menschen, der ihn so nannte. Aber der Gedanke, dass Wodka sie entführt hatte war absurd! Sowas würde nie passieren. Wodka hatte sich immer unwohl in Ayumis Nähe gefühlt, als sie mit ihnen unterwegs gewesen war. Und er hätte auch keinen logischen Grund dafür, sie zu entführen. Gin hatte es nicht befohlen, und Wodka würde nicht gegen Gins Anordnungen handeln. „Wo sind Sie?“, wollte er wissen, während er sich aufsetzte und zur Tür marschierte. Erinnerungen an den bekannten Vorfall auf der Poststelle schwirrten in seinem Kopf herum, wobei er verärgert die Augen zusammenkniff.
 

„Ich fahre zurück in den Hauptteil der Stadt“, antwortete Ling. „Was soll ich mit dem Kind machen?“
 

Gin befand sich nun im Flur und schloss die Tür hinter sich ab. „Fahren Sie zum Hyde Park“, erwiderte er. „Ich werde Sie dort treffen.“ Er war sich nicht sicher, was er tun würde, wenn er dort ankam, vor allem wenn Ayumi immer noch behauptete, Wodka hätte sie entführt. Das alles ergab einfach keinen Sinn! Allerdings bezweifelte er ebenso, dass Ayumi etwas sagen würde, was sie nicht wirklich für wahr hielt, aber warum würde sie glauben, dass Wodka ihr so etwas antun würde, wenn er es nicht wirklich getan hatte?
 

Wo zum Teufel war Wodka überhaupt?
 

Nachdem er das Gespräch mit Ling beendet hatte, wählte er die Nummer von Wodka. Doch das brachte ihm nur noch mehr Frust, als er merkte, dass er keine Antwort bekam. Etwas lief hier definitiv falsch, ob Wodka Ayumi nun entführt hatte oder nicht.
 

Wie sich herausstellte traf Wodka sich eben mit seinem Kontaktmann in einem heruntergekommenen Apartmentgebäude. Er fühlte sich verunsichert und angespannt, ebenso hatte er entgegen seiner Vernunft getan was die Person ihm befohlen hatte, nämlich sein Handy ausgeschalten. Das letzte was sie wollten, war, gestört zu werden, oder so ähnlich hatte es ihm sein Kontaktmann gesagt. Und Wodka vermutete die Logik dahinter erkennen zu können, doch auf der anderen Seite wusste er, dass Gin wütend sein würde.
 

Er glaubte immer noch nicht, dass Gin ihn verraten hatte. Es war einfach lächerlich, oder nicht? Wodka ballte verzweifelt eine Hand zur Faust, während er den baufälligen und dunklen Korridor entlangwanderte. Ja, Gin verhielt sich distanzierter als üblicherweise, aber das hieß nichts. Er war nur aufgebracht wegen den Erinnerungen, die diese Ayumi in ihm wieder hervorgebracht hatte. Das was alles. Doch Wodka wollte immer noch wissen, was diese Person ihm erzählen würde, um seine Behauptungen zu beweisen. Er hoffte nur, Gin würde ihm später dafür vergeben.
 

Plötzlich hörte er ein lautes Quietschen und zuckte zusammen, fuhr zurück, als eine große Ratte an ihm vorbeihuschte. Angewidert blickte er ihr kurz nach und beschloss, dass er dieses Treffen so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte, und das nicht nur aus einem Grund.
 

Kurz darauf erblickte er zu seiner Erleichterung das richtige Apartment vor sich zu seiner Rechten. Eilig ging er zu der Tür und klopfte an, dann wartete er bis sie sich einen Spalt breit öffnete. Ein unbekannter Mann mit schulterlangen braunen Haaren lugte misstrauisch hindurch, doch als er Wodka erkannte öffnete er die Tür ein Stück weiter. „Beeilen Sie sich und kommen Sie rein!“, befahl er, und zog Wodka förmlich hinein, ehe dieser antworten konnte. Daraufhin wurde die Tür hinter ihnen wieder geschlossen.
 

Wodka sah sich in dem spärlich beleuchteten Raum um, er konnte einige Risse an der Decke und den Wänden erkennen, außerdem hingen Spinnweben herunter, die der Mieter wohl nicht hatte wegmachen wollen. Sich unter dem nächsten Spinnennetz vorbei duckend, sodass es nicht seinen Hut streifte, schenkte er dem Mann einen kalten Blick. „Sie sagten, Sie hätten Beweise, dass mein Partner gegen mich arbeitet“, bemerkte er. „Ich würde sie gern sehen.“
 

„Sie werden es hören.“ Der Mann nickte und ging hinüber zu einem aufgebauten Abspielgerät. „Ich habe sein Handy abgehört und ich habe dieses Gespräch aufgenommen, in dem er über Sie spricht.“ Er sah Wodka teilnahmsvoll an. „Es tut mir leid, wirklich, aber es ist besser, wenn Sie die Wahrheit erfahren“, erklärte er, wobei er die Taste zum Abspielen drückte. Nach einem Moment des Rauschens füllten auf einmal laute Stimmen den Raum, als das Gespräch begann, und der Kontaktmann stellte eilig die Lautstärke etwas leiser.
 

„Ich mag es nicht, beobachtet zu werden“, fauchte Gins Stimme nach der Begrüßung. „Ich weiß, dass er das tut.“
 

„Assassinen können es sich nicht leisten Freunde zu haben .Allerdings ist Wodka wohl der, der Ihnen am nächsten steht“, erwiderte die andere unbekannte Stimme.
 

„Ich habe keine Freunde“, antwortete Gins Stimme barsch. „Sie haben keinen Beweis für all das, was Sie behaupten.“
 

„Aber er ist ein treuer, bewundernswerter Partner.“
 

„Danke für die Erleuchtung. Und das ist Schwachsinn. Es ist mir egal…“
 

„Ich dachte nicht, dass Sie…“
 

„Ich sehe nicht, was es Sie auch nur im Geringsten angeht.“ Plötzlich gab es ein klickendes Geräusch und das Gespräch war beendet.
 

Der Kontaktmann sah zu Wodka hinüber, der ein ungläubiges Gesicht machte. „Ich weiß, es muss hart sein das zu akzeptieren“, meinte er entschuldigend. „Ich war beunruhigt, als ich es aufgenommen und gehört habe, was er über Sie gesagt hat. Anscheinend hat derjenige, mit dem er telefoniert hat versucht ihn zu überreden, es richtig zu stellen, aber er wollte nicht darauf hören.“
 

Wodkas Miene verfinsterte sich. „Es beweist nicht, dass er mich verraten hat“, merkte er an. „Es klingt mehr als ob er denken würde, dass ICH ihn verraten habe!“ Und er konnte nicht verstehen, wie Gin auf diese Idee kam. Wodka konnte sich nicht daran erinnern etwas getan zu haben, das Gin dazu bringen würde so etwas zu vermuten, außer wenn es etwas mit dem Telefongespräch damals zu hatte. „Wann haben Sie das aufgenommen?“, wollte er wissen.
 

„An einem Nachmittag vor zwei Wochen“, antwortete der Braunhaarige, und Wodka erinnerte sich plötzlich, dass Gin ebenfalls zur selben Zeit wie er telefoniert hatte. „Leider jedoch“, fuhr er fort, „hat er Sie wirklich verraten. Gestern habe ich eine E-Mail abgefangen, die er an die Person geschickt hat, mit der er telefoniert hat.“ Damit führte er Wodka zu seinem Computer hinüber und zeigte ihm eine ziemlich überzeugend erscheinende E-Mail, welche Wodka geschockt durchlas.
 

Wodka ist nicht länger von Nutzen. Er ist eine Gefahr geworden. Und du weißt, wie ich mit Bedrohungen umgehe. Er wird sterben müssen.
 

Wodka schluckte schwer, während er auf die Nachricht auf dem Bildschirm starrte. Es war von Gins Email-Adresse gesendet worden, und natürlich waren alle Emails der Agenten hochkompliziert verschlüsselt. Nicht jeder konnte sich dort einfach so einhacken. Dennoch schien Wodka an dem Ganzen immer noch etwas faul zu sein. Er wollte Gin damit konfrontieren. „Geben Sie mir eine Kopie davon“, verlangte er.
 

Der Kontaktmann blinzelte ihn an als ob er nicht verstehen würde. „Eine Kopie?“, wiederholte er fragend. „Warum?“
 

„Ich werde sie mitnehmen und Gin zeigen. Das Band ebenfalls.“ Wodka wollte eben zur Maus greifen, aber seine Hand wurde ohne Vorwarnung weggeschlagen. „Das können Sie nicht tun!“, kam die fast schon panisch klingende Antwort. „Er wird Sie mit Sicherheit töten! Ihre einzige Chance ist, ihn zuerst zu töten!“
 

Wodka packte den Mann und schubste ihn weg von der Tastatur. „Nun, ich werde es schon herausfinden“, erwiderte er, und klickte auf das Symbol zum Drucken auf dem Bildschirm. „Ich werde mein Vertrauen in ihm nicht so schnell aufgeben. Jeder hätte diese E-Mail fälschen können und so aussehen lassen als hätte Gin sie gesendet.“
 

„Aber doch nicht das Telefongespräch!“, rief der Braunhaarige von seinem Platz am Boden aus. „Selbst wenn jemand es gefälscht hätte, warum würde man so etwas tun?“
 

„Ich weiß es nicht“, antwortete Wodka, das Blatt, das eben aus dem Drucker kam, an sich nehmend. „Ich werde das mit meinem Partner besprechen.“ Er betonte das Wort „Partner“ aus bestimmten Gründen, denn es bedeutete, dass er Gin immer noch als seinen Partner ansah, und zudem war er es leid ständig darüber mit anderen Leuten zu diskutieren. Er hätte von Anfang an zu Gin gehen sollen. Er hoffte, dass es noch nicht zu spät war. Vielleicht war dieser eine Telefonanruf schon der Auslöser gewesen, der das Fass zum überlaufen gebracht hatte, sollte Gin ihn bereits verdächtigt haben. Wodka wünschte sich, er hätte Gin einfach die Wahrheit gesagt trotz der Warnung des Anrufers.
 

Der Kontaktmann beobachtete wie Wodka das Tape entfernte und verschwand. Ihm war gesagt worden, falls Wodka das tun würde was er eben getan hatte sollte er es zulassen. Ihm nicht zu erlauben die Sachen mitzunehmen wäre verdächtig gewesen. Ling hatte offensichtlich noch mehr Tricks auf Lager, höchstwahrscheinlich welche, um Gins Meinung zu ändern. Und wenn das erst mal geschafft war, würde es keine Rolle mehr spielen was Wodkas Sicht der Dinge war. Falls Gin dazu gebracht werden konnte, dass er Wodka für einen Verräter hielt, würde es schwierig werden ihm mit der Wahrheit entgegenzutreten.
 

Gin brauchte nicht lange, um Lings Auto beim Hyde Park zu entdecken. Es war ebenfalls ein Porsche, allerdings in Weiß. Hätte Ling ihm zuvor nicht gesagt, was ihn erwarten würde, wäre Gin wohl von dem Anblick erstaunt gewesen. So aber parkte er einfach hinter dem Wagen und stieg aus, um sich ihm zu nähern und durch das Fenster der Beifahrerseite zu sehen, welches eben teilweise runtergelassen wurde.
 

Er wurde überrascht, als eine kleine Person plötzlich aufsprang und ihm entgegensah. „Gin-sama!“, rief Ayumi mit leuchtend blauen Augen erfreut. Man konnte immer noch die Spuren von Tränen auf ihren Wangen ausmachen, doch ignorierte sie diese als sie das Fenster weiter herunter kurbelte, hinauskletterte und ihm um den Hals fiel. Noch überraschter darüber, wich er leicht zurück und sah für einen kurzen Moment so aus, als wüsste er nicht was er tun sollte. Doch er fing sich schnell wieder und ergriff ihre Arme, um sich aus ihrer Umarmung zu lösen und sie auf dem Boden abzusetzen. Sie schien es ihm jedoch nicht übel zu nehmen, denn sie freute allein schon die Tatsache, dass sie ihn wiedersah.
 

Ling schüttelte verständnislos, aber dennoch auch etwas amüsiert darüber den Kopf. Gin verhielt sich ihr gegenüber beinahe schon fürsorglich, auch wenn er nicht wusste, wie er mit ihrer Zuneigung umgehen sollte. „Sie mag Sie wirklich“, bemerkte er. „Das hätte ich aber ehrlich gesagt nie erwartet, Agent Gin.“
 

Ich auch nicht, murmelte Gin unhörbar, und kniete sich nieder, um mit Ayumi auf Augenhöhe zu sein. „Was ist mit dir passiert?“, verlangte er zu wissen. „Hi Sou hat mir erzählt, dass du erwähnt hast, Wodka hätte dich entführt.“
 

Ayumi biss sich auf die Unterlippe, und ein trauriger Ausdruck trat in ihre Augen. „Es war schrecklich, Gin-sama… Er… er hat mir wehgetan…“ Tränen stiegen wieder in ihr auf, während sie den blonden Assassinen ansah. „Er hat mich am Arm gepackt und hat mich mitgezogen…und er hat mich mit seiner Pistole geschlagen…Er hat gesagt, dass ich eine Nervensäge bin und dass ich zu viel gesehen hätte. Aber ich hab nichts gesehen, Gin-sama!“, weinte sie, wobei ihr die Tränen die Wangen hinunter liefen. „Ich hab ihn nur in diesem Haus gesehen, und ich hab gedacht, dass du vielleicht auch da wärst, also bin ich rüber gegangen, um nachzuschauen. Und dann ist er wütend geworden!“
 

Gin legte die Stirn in Falten. „Welches Haus?“, wollte er wissen. Sie versuchte sich zu erinnern. „Nun… es liegt auf meinem Nachhauseweg von der Schule aus“, erklärte sie zögerlich. „Es ist von einer Hecke umgeben, es war rosafarben und es hat viele Blumen im Garten und entlang des Gehwegs. Es ist ein wirklich schönes Haus!“ Sie lächelte leicht, doch es hielt nicht lange. „Gin-sama… warum würde er mich so behandeln?“, fragte sie leise. „Ich hab doch nichts falsch gemacht… ich wollte doch nur nach ihm sehen…und nach dir.“ Ihrem niedergeschmetterten Gesichtsausdruck und dem mitleidvollen Blick, den sie Gin zuwarf, nach zu urteilen, konnte er erkennen, dass sie sich fühlte als wäre sie von einem engen Freund verraten worden. Und sein Blick verfinsterte sich.
 

Aus einem für ihn unergründlichen Grund machte es ihn wütend – der Gedanke, dass sie so grob behandelt worden war, besonders von Wodka. Und doch konnte er sich nicht vorstellen, wie das sein konnte. Er glaubte ihr das, was sie gesagt hatte gesehen zu haben, aber er konnte nicht nachvollziehen, wieso ausgerechnet Wodka so etwas tun würde. Gin fragte sich, ob es noch eine andere Erklärung dafür geben konnte. Langsam richtete er sich auf und sah hinüber zum Park. „Ich weiß es nicht“, erwiderte er grimmig, „aber ich werde es herausfinden.“
 

„Nehmen Sie dann das Kind mit?“, fragte Ling, der sich gegen das Lenkrad lehnte. Gin nickte knapp und wandte sich zu seinem Wagen um, hielt aber noch einmal kurz inne. „Welcher deiner Kontakte war es, der sie weinen gehört hat?“, fragte er zurück. „Einer meiner Waffenhändler, wie ich gesagt habe“, antwortete Ling. „Ich möchte allerdings nicht die Namen rausgeben, wenn möglich.“ Er grinste leicht. „Ich bin sicher, das verstehen Sie, Agent Gin?“
 

Gin schnaubte, während er die Tür seines schwarzen Porsche öffnete. „Na gut. Aber ich möchte mich eventuell später mal mit ihm unterhalten“, erwiderte er. Ayumi wandte sich noch einmal kurz um. „Auf Wiedersehen, Hi Sou-san!“, rief sie, und winkte zum Abschied, als sie in den Beifahrersitz kletterte.
 

Ling beobachtete sie nachdenklich. „Wenn sie mir so vertraut fühle ich mich wirklich wie ein Schurke, weil ich sie in diese Sache mit reinziehe“, murmelte er zu sich selbst, während er das Fenster seines eigenen Wagens wieder hochkurbelte und den Motor startete. Aber es dauerte nicht lange und er dachte nicht mehr darüber nach. Er war entschlossen, alles zu tun, was nötig war, um sich an Gin und Wodka zu rächen. Selbst wenn es beinhaltete, ein unschuldiges Kind dafür zu benutzen, nun, dann musste es eben so sein.
 

Gin ließ soeben den Park hinter sich, als sein Handy klingelte. Etwas verwirrt und zugleich genervt runzelte er die Stirn, ehe er das Handy aus seiner Manteltasche nahm und abhob. „Hallo?“, antwortete er, wobei er aufpasste, seine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die Straße vor ihm zu lenken. Tatsächlich wäre er beinahe von der Fahrbahn abgekommen, als er Wodkas Stimme hörte. „Aniki?“ Gins Augen weiteten sich überrascht, doch wurden augenblicklich zu wütenden Schlitzen. „Wo warst du?“, knurrte er. „Ich hab mehrmals versucht dich zu erreichen, aber dein Handy war nicht an.“ Er sah nicht zu Ayumi hinüber, aber hätte er es getan, hätte er gesehen, wie sie furchtsam zusammenzuckte als sie erkannte, mit wem Gin sprach.
 

Ein kurzes Zögern war auf der anderen Seite der Leitung zu vernehmen. „Tut mir leid, Aniki…Ich hab mit jemandem gesprochen und er wollte nicht, dass wir gestört werden.“ Wieder ein kurzes Schweigen. „Hör zu, ich hab etwas, worüber wir reden müssen. Kannst du mich abholen?“ Gin schnaubte. „Vielleicht“, antwortete er in kaltem Ton, und Wodka fühlte sich plötzlich zehnmal nervöser als vorher. „Wo steckst du?“
 

Wodka sagte es ihm, und Gin legte auf, um dann den Wagen in die vorgegeben Richtung zu lenken. Ayumi sah ihn an und biss sich auf die Lippe. Sie war sich nicht sicher, ob sie mochte, wohin das ganze führte. „Gin-sama“, sprach sie ihn schließlich an, „was werden wir machen, wenn wir dort sind?“ Sie rutschte unruhig im Sitz herum. „Was, wenn… was, wenn Wodka-san wieder versucht mir wehzutun?“ Sie glaubte nicht, dass sie das ertragen würde. Es war schlimm genug, dass es einmal passiert war. Sie wollte Wodka nicht wieder sehen, wenn er sie wieder so behandelte. Es schmerzte sie zu sehr. Zwar stand sie Gin näher als Wodka, doch sie hatte auch ihn gemocht.
 

„Das wird er nicht“, versicherte ihr Gin. „Ich werde dafür sorgen.“
 

Wodkas Aufenthaltsort war in Richtung der Gegend, in der der Zustand schlechter war. Als Gin ihn fand, stand er vor einer Telefonzelle, die er benutzt hatte und er hatte seine Waffe gezogen, höchstwahrscheinlich für den Fall, sollte mit irgendwelchen Personen zusammenstoßen, die ihm Ärger machen wollten. Doch Gin riskierte lieber nichts. So zog auch er seine Waffe, als er geparkt hatte und Ayumi starrte ihn erschrocken an. „Gin-sama!“, rief sie bestürzt, mit einem mal musste sie den Klos, der sich in ihrem Hals bildete runterschlucken.
 

„Bleib hier“, knurrte er, ehe sie weiterreden konnte. „Das hier ist keine sichere Gegend.“ Mit diesen Worten stieg er aus dem Auto und schloss leise die Tür. Wodka hatte nicht gesehen als der Wagen herangefahren war, denn Gin hatte etwas weiter oben geparkt, sodass der blonde Assassine nun verstohlen auf ihn zuging und plötzlich den Lauf seiner Waffe an Wodkas Kopf hielt, wie er schon einmal zuvor getan hatte. Und wie damals erstarrte Wodka vor Angst.
 

„Das Mädchen, das wir damals gerettet haben, sagt, dass du sie entführt hast“, meinte Gin in bedrohlichem Ton, er sah, wie sich sein Partner merklich anspannte. „Das…das ist lächerlich!“, gab Wodka von sich, darum bemüht seine Stimme wieder zu finden. Es war beängstigend genug, dass Gin ihn auf diese Weise begrüßte, aber diese Unterstellung war nun wirklich unverschämt. Mit einem Mal fragte er sich, was er tun würde. Es schien beinahe so, als ob der braunhaarige Typ Recht gehabt hätte – Gin würde ihn töten.
 

„Oh?“, erwiderte Gin. „Dann möchtest du mir vielleicht sagen, wo du warst und worüber du mit mir reden wolltest.“ Seine Augen verengten sich zu Schlitzen und Wodka hörte wie die Waffe entsichert wurde. „Aniki…lass mich erklären“, flehte Wodka mit rasendem Puls. Und so begann er eilig, über den Mann zu erzählen, den er getroffen hatte und was er erfahren hatte. Gin hörte zu und erlaubte Wodka sich zu ihm umzudrehen, allerdings mit der Waffe auf die Kehle gerichtet. Er gab ein Anzeichen davon, ob er Wodkas Geschichte glaubte oder nicht, und er konnte sehen, dass sein Partner immer nervöser wurde.
 

„Wo sind die Sachen, die du angeblich mitgenommen hast?“, fragte er, als Wodka geendet hatte. Er selbst kam zu der Überlegung, dass Wodka die Wahrheit sagte. Es machte Sinn, mehr, als die Idee, dass Wodka Ayumi entführt haben sollte. Und doch, wenn Wodkas Erzählung wahr war, dann hieß das, dass jemand versuchte Ayumi glauben zu machen, dass Wodka es gewesen war. Gin gefiel auch diese Idee nicht sonderlich. Es würde bedeuten, dass sie alle wie Schachfiguren in jemandes Spiel benutzt würden. Dennoch war diese Annahme immer noch der vorzuziehen, dass sein Partner zu einem Verräter wurde. Er wollte sich nicht damit befassen.
 

„Ich hab sie hier, Aniki“, antwortete Wodka, der nun einen Umschlag in seiner zitternden Hand hochhielt. Er konnte nicht hinter die Maske sehen, die Gin aufgesetzt hatte, und er wusste, dass sie beabsichtigt war, doch das machte seine Lage nicht besser. Er mochte den Gedanken nicht, dass Gin ihm jederzeit die Kugel geben könnte. Er fühlte sich genauso wie in jenem Szenario, als sie in dieser Poststelle gewesen waren, aber diesmal schien Gin noch viel wütender zu sein als damals. „Ich will mir das Tonband anhören und die E-Mail ansehen“, meinte Gin gedämpft. „Ich habe jedenfalls keine solche Nachricht geschrieben, wie du sie beschreibst.“ Er hatte immer noch nicht die Pistole von Wodkas Kehle entfernt, als beide plötzlich bei Ayumis verzweifelter Stimme zusammenzuckten, während sie zu ihnen hinüber rannte.
 

„Gin-sama! Bitte tu Wodka-san nicht weh!“, rief sie mit Tränen in den Augen, als sie sie erreichte. „Es war zwar gemein, dass er mich entführt hat und er dass er mich so behandelt hat, aber… ich will nicht, dass du ihm wehtust!“ Sie packte Gins rechte Hand, während die beiden Männer sie ungläubig anstarrten. „Oh bitte tu´s nicht…er ist doch dein Freund!“
 

Wodka war der Erste, der seine Stimme wieder fand. „Aber… ich hab dir nicht wehgetan!“, protestierte er. „Ich hab dich nicht einmal mehr gesehen seit der Nacht in Ushios Haus!“ Er sah wieder zu Gin, sein Herz pochte und er flehte innerlich darum, dass man ihm glaubte. Zu diesem Zeitpunkt war er viel zu verärgert über die Tatsache, dass er hier mit jemand anderen verwechselt wurde, als darüber nachzudenken, dass Ayumi scheinbar glaubte, er und Gin wären Freunde.
 

Gin schnaubte. „Ich hatte nicht vor ihm was anzutun…noch nicht“, erwiderte er, als er wieder zu Wodka sah. „Ich werde darüber entscheiden, ob du die Wahrheit sagst oder nicht. Also her mit dem Kassettenrekorder, damit wir uns das Band anhören können.“ Er musterte seinen Partner kritisch. „Von dem, was du mir erzählt hast, hört es sich fast so an, als ob sie Teile von einer Unterhaltung genommen hätten, die ich geführt habe und die dann neu zusammengefügt wurden, um einen anderen Sinn zu ergeben.“ Langsam ließ er die Waffe sinken, und Wodka war nun um einiges leichter ums Herz.
 

Gin blickte wieder zu Ayumi runter. „Du solltest doch im Auto warten“, wies er sie zurecht. Sie biss sich wieder auf die Lippe. „Ich weiß, aber ich hab gesehen, wie du die Pistole auf ihn gerichtet hast, Gin-sama, und ich hab wirklich Angst bekommen, dass du ihn erschießen würdest…“ Dann sah sie verwundert zu Wodka auf, denn sie erinnerte sich, was er gesagt hatte. Sie war verwirrt und wusste nicht, was sie glauben sollte. Sie wusste, was sie zuvor gesehen hatte, aber nun erkannte sie, dass Wodka wieder mehr wie der Mann schien, den sie kannte. Gab es die Möglichkeit, fragte sie sich, dass es nicht Wodka gewesen war, der sie entführt hatte? Oh, sie hoffte es so sehr! Sie hatte ja schon einige gute Schauspieler gesehen, als sie mit Conan Rätsel gelöst hatte und vielleicht war diese Person ebenfalls einer. Ihr schauderte bei dem Gedanken, als sie überlegte, warum jemand so einen fiesen Trick mit ihr spielen würde.
 

Gin war dennoch nicht zufrieden. „Das nächste Mal tust du besser was ich sage“, meinte er, während sie zurück zum Wagen gingen. „Ich sag dir schließlich nicht ohne Grund was du tun sollst.“
 

„Ich weiß“, antwortete Ayumi leise. Während sie mit den beiden mitging, wurde ihre Sicht plötzlich unscharf und sie stolperte, wobei sie beinahe über die Kante des Bürgersteigs gefallen wäre, hätte Wodka sie nicht aufgefangen. „Alles in Ordnung“, fragte er nervös. „Ja“, merkte sie leise an und nahm wieder etwas Abstand von Wodka. Im Moment fühlte sie sich immer noch unsicher bei ihm, auch wenn sie wirklich glauben wollte, dass er nicht derjenige gewesen war, der sie entführt hatte. Doch da sie es noch nicht mit Sicherheit wusste, bevorzugte sie es, sich ihm nicht allzu sehr zu nähern.
 

Sie rieb sich die Stirn und versuchte das Schwindelgefühl und die Punkte, die sie vor ihren Augen sah, loszuwerden. Sie wusste nicht, woher das kam. Mit einem Mal fühlte sie, wie ihr schlecht wurde und sie griff nach Gins Hand als sie sich wieder näher zu ihm hin bewegte. Bei Gin fühlte sie sich sicher. Bei ihm würde es ihr besser gehen. Gin musterte sie misstrauisch. Irgendwie glaubte er kein bisschen, dass bei ihr alles in Ordnung war. Sie sah durcheinander aus, als sie seine Hand nahm, und er konnte sehen, wie sie kontinuierlich blinzelte, als ob sie versuchte ihre Sicht wieder zu schärfen. Er beschloss sie im Auge zu behalten. Und auch Wodka, wenngleich aus anderen Gründen.



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