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Geh deinen Weg!

Es hätte so einige Mädchen im Leben von James Sirius Potter geben können. Er war beliebt gewesen in der Schule. Kein Wunder, schließlich war er doch der Sohn des großen Helden Harry Potter und zudem sah er verboten gut aus. Wenn man regelmäßigen Umfragen in der Schülerzeitung Glauben schenkte, war er immer unter den Top 5 der heißesten Typen der Schule gewesen. Nicht zu vergessen sein Humor, sein Charme, sein Talent für Quidditch.

Aber all das hatte James nie groß interessiert. Natürlich hatte er hin und wieder Dates gehabt, hatte diese und jene Party nicht alleine verlassen, aber er war nie der Aufreißer gewesen, den viele Gerüchte ihm anhängen wollten. Er war einfach – na, er war einfach James.

Als er jünger war, hatten sein Cousin und bester Freund Fred Weasley den ein oder anderen Mist gebaut, aber sie hatten niemals jemanden aus Spaß verhext oder weil sie denjenigen einfach nicht ausstehen konnten. Sie hatten immer wieder mehr oder weniger überzeugende Gründe gefunden und mit einem charmanten Lächeln konnten sich die beiden auch meist aus der Misere retten.

Als sie älter wurden, Ginny Potter pflegte zu sagen „reifer geworden“, hatten sie aufgehört ihre Zeit mit Streichen zu verschwenden, stattdessen hatten sie sich mit Dingen beschäftigt, für die sich pubertierende Jungs eben interessieren. Partys und Frauen - oder Frauen und Partys?

Sie hatten sich ausgetobt, die Jugend genossen, nebenbei die Schule gemeistert. Noch heute fragte sich sein Vater wie bei Merlins Barte sein Sohn ganze neun UTZs mit Ohnegleichen geschafft hatte ohne Dauergast in der Bibliothek wie seine Tante Hermine zu sein. Aber James war intelligent. Er nahm stark an, dass sich das Talent seiner Großeltern ihn ihm gebündelt hatte, denn vermutlich übersprang sowas eine Generation. Aber diese Theorie hatte er seinem Vater nie dargelegt.

Ja, James hatte es gut getroffen, zumindest fanden das viele. Er selbst hatte nur ein kleines Problem, nein, eigentlich ein großes. Frauen.

Irgendwie hatte er einfach kein Glück mit dem schönen Geschlecht. Selten hatten seine Dates zu Beziehungen geführt und wenn dann hielten diese nicht lange. Sein Rekord lag bei knappen fünf Wochen mit Laura Mason. Sie war ein nettes Mädchen, natürlich und humorvoll, aber sie hatte einen schwerwiegenden Fehler – sie konnte nicht zuhören und wenn dann vergas sie alles schnell wieder. Das hatte nichts mehr mit reiner Schusseligkeit zutun. James hasste es zu warten und nachdem er oft genug stundenlang an einem verabredeten Treffpunkt auf sie vergeblich gewartet hatte, musste er einfach Schluss machen. Er hatte sich einen furchtbaren Schnupfen geholt, als er an einem Wochenende eigentlich mit ihr nach Hogsmead gehen wollte. Sie hatte sich auch niemals für zu spät oder gar nicht kommen entschuldigt.

Aber das war nicht einmal seine schlimmste Beziehung gewesen. Es gab noch Ellen Smith, die nie aufhören konnte zu reden, als hätte man ihr einen starken Plappertrank in den morgendlichen Kürbissaft geschüttet, oder Marie Barnes die eine sonderbare Vorliebe für Knoblauch und Zwiebeln hatte.

Alles in allem hatte James genug gehabt von Frauen. Er hatte entschieden, dass es vermutlich das Beste war, seine Beziehungsprobleme auf später zu verschieben und sich zunächst auf seine Ausbildung als Heiler zu konzentrieren. Sein Bruder fand diesen Berufswunsch lächerlich und auch seine Schwester strebte etwas „aufregenderes“, wie sie es bezeichnete, an. Aber James fand diese Arbeit großartig, denn er konnte Menschen helfen, etwas Gutes tun. Sicher hätte er das auch als Auror getan und sein Hauslehrer Professor Longbottom hatte ihm diesen Job bei der Berufsberatung empfohlen, aber James hatte damals sofort klar gestellt, dass er niemals diesen Beruf ergreifen würde. Sein Vater leitete das Aurorenbüro und James wollte endlich raus aus dem Schatten seiner Familie. Er wollte danach beurteilt werden, wer er war und nicht nach dem Namen Potter. Sein Lehrer hatte gelächelt und nachdem James erzählt hatte, er wolle Heiler werden, hatte Neville ihm die nötigen Informationen und Tipps gegeben. Seine Eltern hatten ihn ebenfalls unterstützt, natürlich hatte er ihnen gegenüber nicht erwähnt, dass er dies auch tat, um nicht ständig mit seinem Vater verglichen zu werden. Lächelnd hatte seine Mutter ihn in den Arm genommen und Harry Potter hatte ihm verkündet, dass er sehr stolz auf ihn sein, als er seine Ausbildungsstelle im St- Mungo’s angetreten hatte. Die Arbeit erfüllte James mit Freude und ganz besonders glücklich fühlte er sich dann, wenn er einen Patienten gesund wieder nach Hause entlassen konnte.
 

James war glücklich und zufrieden so wie es war. Natürlich gab es diesen leisen Wunsch, eine Frau zu finden und eine eigene Familie zu gründen, aber er drängte nicht danach, versuchte nicht mehr verzweifelt eine Frau fürs Leben zu finden.

Es gab nur ein weibliches Wesen in seinem Leben, dass ihm zurzeit wichtig war, abgesehen von seiner Mutter und seiner Schwester natürlich. Immer wenn er dieses Mädchen traf, war er ein glücklicher Mann. Leider fand er nur selten Zeit bei der Arbeit die sich häufte. Aber ein Lächeln von ihr, ein Kuss entschädigte den Stress, der im Krankenhaus oft herrschte. Nach einer langen Woche, in welcher er kaum drei Stunden pro Nacht hatte schlafen können, hatte er sich einen freien Tag genommen, um ihn mit ihr zu verbringen. Er hatte sie abgeholt, war mit ihr in einem Park gewesen und dann in der Winkelgasse einkaufen. Sie hatte ein neues Kleid für ihre Lieblingspuppe Jenna ausgesucht und ein hübsches, kleines Teeservice, dass immer wieder von selbst Tee nachgoss, wenn sie eine ihrer Teegesellschaften veranstalten wollte. Die beiden hatten im Scherzartikelladen der Weasleys vorbeigeschaut und George hatte dem Mädchen einen Minimuff geschenkt. Überglücklich knuddelte sie das kleine zartrosa Wesen, während James sie durch die Winkelgasse trug. Seine Herzdame war müde und so hatten sie es sich in Fortescues Eissalon gemütlich gemacht und James hatte ihr einen großen Eisbecher mit vielen Erdbeeren bestellt und sich selbst einen Eiskaffee.

Sie lächelte ihn an, während sie die Erdbeeren mit den Fingern aus der Sahne fischte und in den Mund steckte. Er lächelte zurück.

„Schmeckt dir dein Eis, Amelie?“, fragte James das Mädchen neben sich. Lachend nickte sie und aß weiter. Zufrieden mit dieser wortlosen Antwort sah James ihr zu. Amelie Lupin, seine vierjährige Patentochter, war wirklich ein liebenswertes Mädchen. Sie war kein Metamorphmagus wie ihr Vater oder ihre Großmutter, aber sie hatte die Schönheit ihrer Mutter Victoire geerbt. Ihre blonden Löckchen umrahmten das herzförmige Gesicht und ihre graublauen Augen glänzten stets vor Neugier. Sicherlich würde sie später viele Verehrer haben und diese Tatsache machte James jetzt schon Sorgen. Er war natürlich nicht eifersüchtig, aber er wusste wie männliche Teenager sein konnten. Wie sollte er die kleine Prinzessin davor schützen?

„James?“, hörte eine überraschte Stimme. Als er aufblickte sah er in das Gesicht von Molly Weasley, seiner jüngeren Cousine, zu der er jedoch nie richtigen Kontakt gehabt hatte. Man hatte sich eben auf Familienfeiern gesehen, war sich in der Schule mal zufällig über den Weg gelaufen, aber mehr auch nicht.

Einen Augenblick wunderte er sich, sie Anfang September in der Winkelgasse zu treffen, aber dann fiel ihm ein, dass sie wohl auch mit der Schule fertig war, denn sie war nur ein Jahr jünger als er.

Sie stand vor ihm und lächelte ihn an. Ihre rotblonden Haare wurden vom Wind verweht und sie wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht. James, der seine Überraschung überwunden hatte, lächelte sie an.

„Hallo Molly, was für ein Zufall, dich hier zu treffen. Ähm, möchtest du dich zu uns setzen?“, fragt er und deutete auf einen freien Stuhl. Sie nickte und stellte ihre Tüten, scheinbar hatte die Bücher bei Florish & Blotts gekauft, unter dem Tisch ab und setzte sich ihm gegenüber.

Amelie, deren Mund mittlerweile von einer Schicht Sahne umrahmt wurde, schaute Molly mit schief gelegtem Kopf an. Dann lächelte sie. Die Frau kannte sie, die besuchte hin und wieder ihre Uroma.

„Möchtest du etwas von meinem Eis?“, bot sie ihr fröhlich an.

„Wir können Molly auch ein eigenes Eis bestellen“, erklärte James und reichte Molly die Karte. Sie nahm sie dankend entgegen und lächelte Amelie entschuldigend an.

„Ich würde ja gerne von deinem Eis probieren, aber leider vertrage ich keine Erdbeeren“, erklärte sie und warf einen Blick in die Auswahl. Sie zog ihren Zauberstab hervor und tippte gegen das Bild einer Eisschokolade, welches kurz aufleuchtete. Das neue Bestellsystem war gewöhnungsbedürftig, aber effizient. Es ersparte den Angestellten jede Menge Laufzeit. Sie mussten nur noch die Eisbecher nach draußen bringen und gleich abkassieren. Nachdem die Gäste gegangen waren, würden sich die leeren Becher selbst abräumen.

„Und wie geht es dir?“, fragte James interessiert, während er Amelie beiläufig den Mund abwischte.

„Danke, es geht mir gut und wie geht es dir?“, fragte sie höflich. Die Situation war nicht angespannt und doch lag eine seltsame Spannung in der Luft. Es war ein seltsames Treffen. Eigentlich kannten sie einander kaum, obwohl sie verwandt waren und normalerweise hätten sie einander nur freundlich gegrüßt und wären dann ihrer Wege gegangen. Molly konnte nicht sagen, warum sie die Einladung angenommen hatte. Sie hatte es eigentlich eilig gehabt oder nicht? Warum war sie überhaupt in die Winkelgasse gekommen? So wichtig konnte es nicht sein, denn sie hatte ihren Beweggrund schon vergessen. Statt zu tun, was auch immer sie vorgehabt hatte, saß sie hier mit ihrem Cousin und dem Kind ihrer Cousine, die sie beide höchstens auf Familienfeiern traf und aß mit ihnen Eis an einem milden Septembertag.

James erzählte von seiner Arbeit und dass er froh war, einmal einen freien Tag zu haben, auch wenn er die Arbeit liebte, wie er immer und immer wieder beteuerte. Dann plapperte Amelie dazwischen, erzählte von dem Einkaufsbummel und dann fing sie an über ihre Mama und ihren Onkel Louis und Tante Domenique und Onkel Charlie und Uroma Weasley zu erzählen. Molly hörte einfach nur lächelnd zu, trank ihre Eisschokolade und blieb auch danach noch sitzen um den Geschichten des kleinen Mädchens zu lauschen. Vergnügt sprach Amelie weiter, schien einige ihrer Erzählungen auszuschmücken, während sie mit Mimik und Gestik das Gesagte untermalte. James und Molly lachten über die Fantasie des Mädchens, lachten gemeinsam, wobei die befremdliche Spannung langsam aus der Luft verschwand.

Aus einer reinen Angewohnheit blickte James auf seine Uhr, kurz darauf entsetzt noch einmal. Er hatte nicht bemerkt, dass es so spät geworden war.

„Verdammt!“, rief er aus und sprang von seinem Platz auf. Schockiert sahen ihn die Mädchen an.

„Man flucht nicht“, meinte Amelie warnend. Er tätschelte ihr nur den Kopf, während er unter dem Tisch die Einkaufstüten zusammenklaubte.

„Tut mir Leid, Molly, wir müssen los. Ich hätte die Kleine schon vor einer halben Stunde nach Hause bringen sollen. Vic wird schon vollkommen außer sich sein vor Sorge. Sie hat immer eine blühende Fantasie, wenn es um vermisste Verwandte geht“, erklärte er.

Molly nickte verstehend und lächelte. „Schon okay, es war schön euch getroffen zu haben“, sagte sie, als er sie kurz zum Abschied umarmte und dann mit dem Kind in der Menge verschwand. Die junge Frau stand auf und beschloss ihrem Onkel George noch einen kurzen Besuch abzustatten. Als ein Stück gegangen war, drehte sie sich noch einmal um, aber James und Amelie hatten die Winkelgasse sicher schon verlassen. Auch die Eisbecher waren verschwunden.
 

Molly Weasley war kein Mädchen-Mädchen, aber sie war auch kein Kein-Mädchen. Sie war Molly, ist es schon immer gewesen und war sich treu geblieben. Ihre Natürlichkeit zog die Leute an. Mit ihrer freundlichen, hilfsbereiten Art fiel es ihr leicht, Freundschaften zu schließen und trotzdem hatte sie nie einer der großen coolen Cliquen angehört. Sie hielt sich an ihre besten Freunden, darunter Amanda Longbottom und Marylin Davies. Der Sprechende Hut hatte sie nicht umsonst dem Haus Ravenclaw zugeordnet, denn sie war intelligent, aber sie arbeitete auch viel dafür. Sie hatte diesen gewissen Ehrgeiz ihres Vaters geerbt, wenn auch nicht in seiner radikalsten Form, denn nie im Leben könnte Molly etwas von ihrer Familie trennen. Ihre Mutter hatte sie immer unterstützt und ihr doch gezeigt, dass es mehr gab im Leben, als gute Noten und Wissen. Dafür liebte Molly ihre Mutter so sehr. Audrey war eine offene und herzliche Person, die Spaß am Leben hatte und sich an den einfachsten Dingen erfreuen konnte. Sie hatte eine frische Art an sich, mit der sie den sonst so korrekten Percy im Sturm erobert hatte. Auch wenn er sich heute des Öfteren fragte, wie er sich nur in diese Person verlieben konnte, desto bewusster wurde ihm, dass es nun einmal einfach so war. Er liebte seine Frau. Ganz einfach. Liebe war nicht logisch.

Molly kam mehr nach ihrem Vater, mit ihrer ruhigen, nachdenklichen Art. Sie kontrollierte etwas lieber noch einmal und war in einigen Dingen sehr penibel, wenn es nach ihrer Schwester Lucy ging. Im Übrigen war Lucy im Gegensatz zu ihrer Schwester, sehr draufgängerisch, lebenslustig und ein Wirbelwind. Ihre roten Locken schwirrten meist ungezähmt um ihren Kopf und ihr Lachen war meilenweit zu hören. Sie war gepflegt, natürlich, aber ihre Outfits waren locker und bunt, passten aber immer auf eine verwirrende Art und Weise zu einander.

Manchmal in stillen Momenten wünschte sie Molly, sie könnte ein wenig mehr wie ihre jüngere Schwester sein. So sorglos durchs Leben gehen und frei wie der Wind und mit vielen Freunden und Verehrern.

Es war nicht so, dass Jungs nicht bemerkten, dass Molly hübsch und klug und liebenswert war, das sie doch im Grunde eine Traumfrau sein konnte. Die Jungs, die mit ihr in der Klasse gewesen waren, aber auch Ältere und Jüngere, waren sich durchaus ihrer Anziehung bewusst. Nur Molly selbst sah in den Spiegel und fand sich selbst „passabel“. Sie war ganz hübsch, aber nicht schön, sie war klug, aber nicht Jahrgangsbeste, im Schach war sie herausragend, aber ansonsten in Sport eine Niete. Sie war eben Molly, die einfache Molly. Auch wenn sie sich manchmal wünschte mehr wie ihre beliebte Schwester zu sein, die alle mit einem Lächeln um den Finger wickeln konnte, so war sie doch sehr zufrieden mit der Person, die sie im Spiegel sah. Sie war die verantwortungsbewusste, freundlich höfliche Molly, die sich fürsorglich um andere kümmerte und stets für Ordnung sorgte, in allen Bereichen des Lebens.

Aber etwas wollte nicht so recht, sich in dieses saubere Bild passen. Molly Weasley hatte keine Ahnung, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte. Sie konnte noch so gerne Pläne schmieden, verwirklichen tat sie keine. Immer war ihr Blick in der Gegenwart hängengeblieben. Die Zukunft erschien ihr aufregend und einschüchternd zugleich. Etwas Großes wollte sie vollbringen, aber sie hasste es auch im Mittelpunkt zu stehen. Sie wollte etwas bewegen, ohne dass sich etwas um sie drehte. Ein bisschen Chaos in diesem sonst so ordentlichen Leben.
 

In Gedanken versunken eilte Molly über den Trafalgar Square, Einkaufstüten einer Muggelbuchhandlung in der einen Hand, einen „Coffee-to-go“ in der anderen. Eine wunderbare Erfindung, sie war süchtig nach einem guten Kaffee und dieser hatte es ihr besonders angetan. Ein Cappuccino mit Karamell, einem Hauch Zimt und Schokostreuseln. So etwas fand man nur in der Muggelwelt! Genauso wie einen guten Roman, der einem nicht das Taschentuch reichte, wenn man mit weinen musste oder der einen biss, wenn man ihn beiseitelegen wollte. Ja, magische Bücher konnten… kurios sein. Sie hatte mal ein Buch über Werwölfe, welches den Mond anheulte. Es war so auf die Nerven gegangen, dass sie es verbrannt hatte. Die Geschichte hatte sie ohnehin nicht vom Hocker gerissen.

Ein Grollen ließ sie aufschrecken und ihr Blick richtete sich gegen den Himmel, der sich sichtlich verdunkelte. Kurz darauf spürte sie den ersten Tropfen auf ihrer Nase. Seufzend kramte sie in ihrer Handtasche, aber natürlich fand sie keinen Regenschirm. Das war doch mal wieder typisch, wenn man einen brauchte, hatte man keinen Schirm dabei. Zaubern konnte sie auf diesem Platz voller Muggel auch schlecht, also musste sie sich Schutz suchen. Die meisten Leute retteten sich ein Cafe, so dass Molly eigentlich keine Lust hatte, sich dort irgendwo unter zu quetschen. Sie mied Menschenmassen auf engem Raum. Das nahm ihr die Luft zum Atmen.

Am besten wäre wohl, wenn sie sich eine leere Gasse suchen würde, von der aus sie disapparieren konnte. Also lief sie eiligst weiter, schlug den Kragen ihres Mantels nach oben, auf der Suche nach einem geeigneten Ort. Aber ein ungestörter Platz, mitten in London? Molly merkte schnell, dass es gar nicht so einfach war. Doch der Regen wurde stärker und ihr Trenchcoat nicht gerade trockener.

„Oh, bei Merlins Bart!“, schimpfte sie und eine alte Frau die an ihr vorbeiging, schaute sie skeptisch an. „Die Jugend von heute, immer diese Sprache“, murmelte sie verwirrt, aber Molly interessierte sich nicht dafür. Sie hasste Regen und wollte jetzt nur noch ins Warme!

„Molly?“

Sie hörte zuerst ihren Namen, ehe sie registrierte, dass der Regen aufgehört hatte, beziehungsweise sie nicht mehr erreichte. Als sie aufblickte, sah sie James, der einen dunkelroten Regenschirm über sich und sie hielt. Er stand so nah, dass sie ihn einen Moment schockiert ansah. Dass sie ihn nicht bemerkt hatte!

„Alles okay bei dir?“, fragte er und beugte sich etwas herunter, um sie besorgt zu mustern.

„Ähm, ja“, meinte sie etwas verwundert ihren Cousin vor sich zu sehen. „Was tust du hier?“

Er lächelte und zeigte auf das Gebäude gegenüber. „Ich wohne hier, hab gerade etwas eingekauft, als mich der Regen überrascht hat.“

Das hatte sie nicht gewusst, aber wozu sollte sie auch wissen, wo ihr Cousin wohnte, wenn sie kaum Kontakt hatten? Obwohl sie eigentlich vermutet hätte, er würde noch in Godrics Hollow bei seinen Eltern leben.

„Komm lass uns rein gehen, du erkältest dich sonst noch“, sagte James und führte sie über die Straße und nach oben in seine Wohnung.
 

Ausgerüstet mit einer großen Tasse Tee und mit trockenen, zu großen Sachen von James bekleidet saß Molly im Wohnzimmer und beobachtete interessiert die Dampfschwaden ihres Getränks.

„Und du willst wirklich keinen Aufpäppeltrank?“, fragte James besorgt. Mit einer Erkältung sollte man schließlich nicht spaßen! Aber seine „Patientin“ schüttelte den Kopf und lächelte ihn sanft an.

„Nein, der Tee und die trockenen Sachen reichen. Vielen Dank“, sagte sie.

James lachte, weil sie sich seit geraumer Zeit immer wieder bedankte. War sie schon immer so gewesen? Sie entschuldigte sich auch immer für seine Mühe und sagte, sie würde sicher nicht lange bleiben, aber James hatte sie überredet, sich erst etwas aufzuwärmen. Später konnte sie immer noch nach Hause apparieren.

„Warum warst du eigentlich dort draußen?“, fragte er.

„Ähm, ich war in einer Buchhandlung“, antwortete sie und deutete auf die Einkaufstüte neben dem Sofa. Er beugte sich dorthin, sah sie kurz fragend an und als sie nicht protestierte zog er zwei Bücher heraus. Einen Bildband von Südamerika und einen Reiseführer zu Paris.

„Fährst du weg?“, wunderte sich James und blätterte in dem großen Buch, von dessen Seiten ihn exotische Tiere und Pflanzen des Regenwaldes und traumhafte Strände ins Auge fielen.

„Ähm, ja, vermutlich“, antwortete sie etwas unsicher, was ihm nicht unbemerkt blieb.

„Vermutlich? Ist es beruflich und du weißt es noch nicht genau, ob es klappt?“

Sie schüttelte den Kopf. Beruflich? Das wäre schön, aber nein, sie hatte noch keine Aussicht.

„Nein, nicht beruflich, eher eine Art Selbstfindungsphase. Vermutlich klingt das total bescheuert. Es war nur eine Überlegung, nichts weiter“, sagte sie und nahm ihm die Bücher aus den Händen, steckte sie wieder ein. Es war ihr peinlich. Sie hatte keinen Job, keine Perspektive, weil sie einfach nicht wusste, was sie wollte und das war einfach so Molly-untypisch. Sonst wusste sie immer alles, hatte ihr Leben im Griff. Aber ohne die Schule fehlte ihr eine Konstante im Leben und alles war mit einem Mal so beängstigend und unstet. Das Leben entzog sich ihrer Kontrolle und das hasste sie. Das hatte sie nie mit jemanden besprochen, aber ohne es wirklich zu wollen, erzählte sie in der folgenden halben Stunde James alles, was sie bedrückte, dass sie einen Beruf ergreifen wollte, womit sie etwas verändern konnte, ohne im Mittelpunkt zu stehen. Sie war keine Politikerin – kein extrovertierter Typ, der sich mit allen Mitteln durchsetzte.

James hörte ihr aufmerksam zu und nach dem sie geendet hatte, schwieg er eine Weile, dachte gut über das eben gehörte nach. Doch Molly fühlte sich mit diesem Schweigen unwohl. Warum hatte sie davon angefangen. Das interessierte ihn doch bestimmt gar nicht. Sie wollte sich schon entschuldigen, aber er übernahm das Sprechen, ehe sie ansetzen konnte.

„Ich verstehe das vollkommen. Solche Phasen hat jeder Mal. Merlin, ich weiß noch, wie lange ich mit mir gehadert habe, weil ich nicht wusste, was ich mal tun wollte. Damals wusste ich nur, dass ich nicht Auror werden wollte, sondern irgendwas eigenes, wo mich niemand mit meinem Vater vergleichen konnte. Das hatte nicht mal etwas damit zu tun, dass ich besonders rebellisch bin, aber vielleicht verstehst du das ein bisschen. Niemand will doch ewig im Schatten seiner Eltern hocken, oder?“, erklärte er und lächelte.

Sie war verwundert, dass von ihm zu hören. James schien immer so stolz auf seine Familie und besonders seinen Vater gewesen zu sein. Gut, vielleicht war er das wirklich. Aber dass er ihn nicht als Vorbild haben wollte, nicht verglichen werden wollte, dass war ihr neu. Was wunderte sie sich eigentlich? Schließlich kannte sie James gar nicht richtig. Sie hatte auch früher geglaubt, er würde mal einen abenteuerlichen Beruf ergreifen. Ein Held werden - aber das waren wohl nur träumerische Fantasien von ihr gewesen. Damals hatte Molly durchaus für ihren Cousin geschwärmt, so wie vermutlich fast jedes Mädchen in Hogwarts. Es war ihr peinlich und darüber gesprochen, hatte sie niemals, nicht einmal mit ihren besten Freundinnen.

„Es ist okay, wenn du noch nicht weiß, was du machen willst. Das ist schließlich eine wichtige Entscheidung und sie gehört allein dir. Wenn du also erst dich selbst finden musst, dann tu es. Such in Südamerika, such im Himalaya oder sonst wo. Hauptsache du fühlst dich gut dabei und du findest Zeit über dich und die Welt nachzudenken. Ich finde, Reisen ist dafür eine tolle Sache. Du solltest das machen“, sagte er entschieden.

„Wirklich?“, zweifelte sie und drehte nervös die Tasse in der Hand. Allein zu reisen war bestimmt gefährlich und unsicher. Molly hasste diese Unsicherheit.

„Ja, wirklich. Wenn nicht jetzt, wann dann? Du musst jetzt erstmal die alte Molly hinter dir lassen. Nicht dass die alte Molly schlecht war“, wand er schnell ein und lächelte, „Aber was ich meine ist, dass du die Schulzeit hinter dir lassen musst, um Platz zu machen für neue wundervolle Erfahrungen, die das Leben bereithält.“

Sie musste unwillkürlich lachen. „Du bist so ein Poet, James.“

Und er lachte mit, dann stand er auf, kramte in seinem Bücherregal, welches ziemlich gut gefüllt war.

„Ich hab da mal ein Gedicht gelesen, dass dürfte dir gefallen“, sagte er, während er in einem Buch blätterte.

Dass er Gedichte las, sogar ganze Gedichtbände besaß, wie Molly jetzt feststellte, das verwunderte sie. Immer hatte sie nur den charmanten Sportler-Schulsprecher in ihm gesehen. Diese oberflächliche Fassade. Wie ein Haus von außen nicht verrät, wie es innen aussieht.

„Da ist es“, sagte er und reichte ihr das Buch.
 

Herbstgedanken

Da ich die grüne Pracht der Bäume zärtlich liebe

Und folglich mich an jetzt im Herbst bei ihrem Fall,

Bei der Entblätterung der Wipfel überall

Und der Vernichtigung des Laubes recht betrübe,

So deucht mir doch, ob hör ich sie im Fallen

Zu meinem Troste dies mit sanftem Lispeln lallen:

"Du siehest uns von dem geliebten Baum

Nicht, um denselben zu entkleiden,

Noch um ihn nackt und bloß zu lassen, scheiden;

Ach nein, wir machen frisch und schönern Blättern Raum."

– Barthold Heinrich Brockes
 

Unwillkürlich musste Molly lächeln. Es passte wirklich und sogleich verliebte sie sich in dieses Gedicht. Die Zeilen brachten ihr Trost, linderten ihre Angst vor der ständigen Veränderung des Lebens.

Ihr Tag war eintönig gewesen, wie so viele, so ungewiss war ihre Zukunft. Der Zufall hatte sie mit James zusammengebracht und jetzt waren die Dinge klar. Sie wusste was sie tun musste. James hatte vollkommen Recht – eine Reise würde ihr gut tun.

„Danke James“, sagte sie und stand auf, reichte ihm das Buch.

„Ich denke, ich sollte jetzt nach Hause und ein paar Sachen zusammen packen.“

Verstehend nickte James und lächelte sie an. „Freut mich dass ich dir helfen konnte und ich hoffe, dass dir die Reise, wohin auch immer sie führt, einiges lehren wird.“

Sie nickte und ging sich dann umziehen. Noch einmal bedankte sie sich bei James und war froh, dass das Schicksal heute mit ihnen gespielt hatte.

„Vielleicht bringt der Zufall uns eines Tages mal wieder zusammen“, hoffte Molly.

„Ich hab gehört, der Frühlingsanfang in Paris soll wunderschön sein“, bemerkte James und reichte ihr die Tüte der Buchhandlung, dann küsste er sie zum Abschied auf die Wange.

„Ja, das hab ich auch gehört“, stimmte sie ihm zu und nachdem sie sich „Auf Wiedersehen“ gesagt hatten, disapparierte Molly.

James sah aus dem Fenster. Regen und Wind zerrten die Blätter von den Bäumen. Für viele Menschen ein trostloses Bild, aber er wusste – ein Ende war immer auch ein Anfang.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2012-05-28T01:38:57+00:00 28.05.2012 03:38
Hallo :D
Was für ein tolles One-Shot. Es war wirklich schön zu lesen. Diese Beschreibungen und alles, wundervoll. Die Begegnungen von Molly und James fand ich toll. Du hast so schön beschrieben. Ich Weiß gar nicht was ich sagen soll, da ich über diese Story mehr als nur begeistert bin. Ich finde dein Schreibstil toll. Hat mir alles sehr gut gefallen.

Liebe Grüße
B0UNTY
Von:  sunny3291
2011-12-09T08:50:32+00:00 09.12.2011 09:50
Puh, sorry das ich mich erst jetzt melde, aber naja...
Also der Os ist wirklich schön geschrieben mit vielen kleinen Details, die ihn wirklich liebenswert machen. Zum Beispiel Amelie - James Patenkind.
Für mich war James bis jetzt immer jemand, der genau wusste, was er in seinem Leben wollte, der darum kämpft und niemals den Mut verliert - halt wie James Potter. Doch dein James hat auch seinen Reiz. Er ist verantwortungsbewusst und geht seinen Weg.
Auch Molly hast du super beschrieben, obwohl es mich wirklich wundert, dass sie, die so familienbewusst ist, ihre Verwandten hauptsächlich auf Familienfeiern getroffen hat. Das fand ich ein bisschen widersprüchlich, was aber nicht schlimm ist.

Alles in Allem ein wirklich schönes Wichtelgeschenk. Danke, dass du dir die Mühe gegeben hast und all meine Vorgaben so schön verpackt hast.

sunny


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