Zum Inhalt der Seite

Dark Night's Kiss

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

56. Kapitel

Emma schlief tatsächlich unerwartet gut. Und zwar so lange, bis ihr Handywecker leise und dann immer lauter seine gewohnte Melodie spielte. Tastend griff sie neben das Bett, hinunter auf den Boden, wo das Handy immer lag und fand nichts. Ein müdes Auge zu öffnen, strengte sie schon ziemlich an, aber die Umgebung irritierte sie ziemlich. Um sich am frühen Morgen nicht schon vollkommen zu überfordern, schloss sie das Auge wieder und tastete weiter nach dem scheppernden Telefon.

 

Der unerwartete Lärm riss Cayden aus seinem tiefen, traumlosen Schlaf und das sehr gründlich.

Er brauchte nicht lange, um richtig wach zu sein und Emma dabei zu entdecken, wie sie mit geschlossenen Augen nach einem Handy am Boden fischte, das sie dort gar nicht finden würde. Um die Sache nicht unnötig zu verkomplizieren, richtete Cayden sich auf, beugte sich über Emma und griff nach dem lärmenden Teil, das auf dem Nachtisch lag.

„Hier.“ Seine Stimme war leise und rau, als er ihr das Handy in die Hand drückte und sich dann wieder zurück in sein Kissen fallenließ.

Die Rollläden waren bereits heruntergefahren, und obwohl seine Armbanduhr gerade einmal 6:32 Uhr zeigte, hatte er das Gefühl, schon viel zu lange geschlafen zu haben. Kein Wunder. Wann waren sie denn gestern schon ins Bett gegangen?

Cayden wusste es nicht mehr so genau, aber eigentlich hatte er ohnehin noch keine Lust aufzustehen. Lieber drehte er sich wieder zu Emma herum, die es inzwischen geschafft hatte, den Lärm abzustellen und zog sie wieder an sich, um noch einmal die Augen zu schließen. Vermutlich würde er nicht mehr schlafen können, aber das war ihm im Augenblick herzlich egal. Er liebte ihren Duft und ihre Wärme. Er liebte es, wie sie sich an ihn kuschelte und das vollkommen ohne Vorbehalte. Damit war er im Moment mehr als nur zufrieden.

 

Das Handy war irgendwo im Bett verloren gegangen und Emma döste auch bereits wieder an Cayden geschmiegt, während die Zeit immer weiter lief. Die Jalousien waren heruntergelassen und es war angenehm dunkel im Raum. Außerdem war es unter der Decke warm und kuschelig und Emma verspürte nicht die geringste Lust, sich in die kalte Welt hinaus zu wagen.

Andererseits war da ihr Pflichtbewusstsein. Sie musste aufstehen und zur Arbeit gehen. Hmm ...

„Wie lang ist der Arbeitsweg von hier aus?“, fragte sie träge und in die weichen Kissen nuschelnd, während sie die Augen dafür nicht einmal öffnete.

 

Cayden musste unwillkürlich lachen. Emma musste noch im Halbschlaf sein, wenn sie so etwas fragte.

„Kommt darauf an, ob du im Pyjama gehst, oder dich erst vorher anziehst. Im Pyjama brauchst du ca. vier Minuten. Vorausgesetzt, ich würde dir die Überstunden überhaupt gestatten und das tue ich definitiv nicht.“

Er schmunzelte immer noch, als er zart ihre Wange küsste und sich dann selbst wieder bequemer hinlegte. „Du kannst ruhig noch weiter schlafen. Heute ist Samstag.“ Wenn sie das nicht ohnehin schon tat.

Er selbst war nun endgültig wach und nahm sich die Freiheit heraus, jeden von Emmas Gesichtszügen zu mustern. Es war wie immer faszinierend, sie in ziemlich dunklem Licht zu betrachten, da seine Augen sie dann anders wahrnahmen als bei normalem Licht. Deutlicher, schärfer und mit diesem Hauch von einem übernatürlichen Strahlen. Cayden liebte es wirklich, ein Vampir zu sein, egal was für Entbehrungen es mit sich brachte, für Momente wie diesen, nahm er es immer wieder damit auf.

 

Samstag?

Ein breites Lächeln stahl sich auf Emmas Gesicht. Das hatte sie ja ganz vergessen. Und was gab es Besseres, als vom Wecker geweckt zu werden und ihn dann ignorieren zu dürfen?

„Das ist gut ...“, meinte Emma daher nur noch schläfrig, bevor sie noch einmal in tiefen Schlaf sank.

Sie träumte wirr und unzusammenhängend, aber nicht unbedingt schlecht. Und erst, als ihr Körper ihr endlich das Zeichen gab, dass es schon auf Mittag hin gehen musste, schlug Emma endlich die Augen auf. Ihr Magen knurrte laut und sie blinzelte, um sich zu orientieren.

Wo war sie denn?

Emma erkannte die Umgebung und suchte daraufhin sofort nach demjenigen, der hier diese geschmackvolle, aber fast schon sterile Einrichtung ausgesucht hatte.

 

„Hunger?“, fragte Cayden mit einem Lächeln nach, nachdem Emma nun wirklich wach geworden zu sein schien. In den letzten Stunden hatte sie ab und zu den Eindruck gemacht, aufzuwachen, hatte dann aber doch einfach weitergeschlafen.

Cayden hatte sehr lange bei ihr gelegen und dabei über alles Mögliche nachgedacht, doch ein weiterer Entschluss, trieb ihn dann doch nach einiger Zeit aus dem Bett, um für Emma eine weitere Überraschung vorzubereiten.

Gerade rechtzeitig war er zurückgekommen, um ihr beim Aufwachen zuzusehen und sie dabei noch immer halb in den Armen halten zu können.

„Guten morgen, nyonya.“ Cayden beugte sich über sie und stahl ihr einen vorsichtigen Kuss von den Lippen. Er hatte sie schon lange nicht mehr so genannt.

 

„Guten Morgen.“ Wohl eher Mittag. Aber das war Emma egal. Sie lächelte und nickte nur begeistert, als Cayden sie auf ihren Hunger ansprach. Sie hatte wirklich ein Loch im Bauch.

„Bist du schon lange auf?“

Wahrscheinlich hatte er sich im Morgengrauen aus dem Bett geschlichen und schon Stunden über Akten gebrütet oder wichtige Gespräche geführt. Sofort stieg schlechtes Gewissen in Emma hoch und sie zog sich kurz die Decke über den Kopf und atmete tief durch. Danach erschien sie bis zu den Augen wieder und sah Cayden schuldbewusst an.

„Wie spät ist es denn?“

 

„Früh genug. Mach dir keine Gedanken deswegen, es ist schließlich Wochenende!“, versuchte er Emma zu beruhigen. Was schon seltsam genug war, weil es gerade aus seinem Mund kam, aber es stimmte doch.

Auf Emmas andere Frage gab er ihr zunächst keine Antwort, stattdessen begann er breit zu lächeln. Immerhin hatte er eine andere Methode um ihre Frage zu beantworten.

Cayden setzte sich im Bett auf: „Weißt du was? Du bleibst hier und wartest auf mich. Ich bin gleich wieder da!“

Damit sprang er auch schon aus seinem Bett und verließ in Vampirgeschwindigkeit den Raum. In der Küche hatte er bereits alles vorbereitet, weshalb er keine Minute später sehr viel langsamer mit einem großen Tablett in den Händen erschien, auf dem sich duftende und immer noch warme Pfandkuchen stapelten, dazu Orangensaft, geschnittenes Obst, diverse Soßen und heiße Schokolade mit einem großzügigen Sahnehäubchen oben drauf.

Er lächelte immer noch, als er das Tablett zu Emmas Füßen abstellte und sich ihr gegenüber hinsetzte.

„Voilá. Ich hoffe, das beantwortet deine Frage.“

 

„Schon ja ...“ Emma kicherte verlegen.

„Du bist schon zu lange wach, wenn ich mir das so ansehe.“

Es sah wirklich lecker aus. Und kalorienreich. Emma schnupperte begeistert und konnte mit dem Grinsen gar nicht mehr aufhören. Pancakes zum Frühstück und dann noch ans Bett gebracht. Wie konnte denn ein Wochenende besser beginnen?

„Und? Was warten heute sonst noch für Überraschungen?“

Ihr fielen die überraschenden Wendungen des vergangenen Abends ein und beinahe wäre Emma der Appetit vergangen. Aber sie kämpfte erfolgreich dagegen an und lächelte weiter. Nicht jetzt und nicht sofort. Sie konnten auch später wieder in eine Krise schlittern und darüber reden.

Jetzt wollte sie erst einmal frühstücken.

Emma nahm sich ein kleines Schüsselchen mit geschnittenem Obst und fing begeistert an zu essen. „Sehr lecker. Vielen Dank.“

 

„Keine weiteren Überraschungen würde ich sagen. Nur Möglichkeiten.“ Cayden lächelte immer noch, während er sich zu seinem Nachtkästchen hinüberbeugte und nach seiner Brille angelte. Erst als er sie sich auf die Nase gesetzt hatte, drückte er den Knopf für die Rollläden und ließ das trübe Licht des verregneten Tages herein. Vielleicht hätte er doch besser ein paar Kerzen als Beleuchtung anzünden sollen.

„Wie es scheint, müssen wir uns heute drinnen beschäftigen, aber ich bin mir sicher, uns fällt schon etwas ein.“

Cayden nahm einen Pfannkuchen, tat etwas Schokosoße darauf und rollte ihn dann ein, um ihn auf diese Weise mit den Fingern zu essen.

„Abgesehen von einem kleinen DVD-Angebot hätte ich auch noch ein ausgiebiges Schaumbad zur Entspannung anzubieten. Die Mousse gibt es auf jeden Fall als Nachspeise zum Mittagessen, das du dir natürlich auch aussuchen kannst. Des Weiteren bin ich gerne für Wünsche und Anregungen offen. Und ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich hätte Lust, heute den Tag im Pyjama zu verbringen.“

Nichts davon meinte er zweideutig, sondern ganz und gar ehrlich.

 

Für eine Weile betrachtete Emma sehr interessiert Caydens Schlafanzug oder besser gesagt, seine seidene Pyjamahose und den nackten Oberkörper, aber auch die Art, wie er seinen Pancake aß. Erst dann bestrich sie selbst einen Pfannkuchen mit Schokocreme und legte ein paar Bananenscheiben darauf. Da das Ganze im gerollten Zustand ein wenig zu instabil geworden wäre, nahm Emma den Teller auf den Schoß und benutzte Messer und Gabel. Während sie es sich schmecken ließ, dachte sie über Caydens Ideen nach.

Eigentlich alles Vorschläge, die keine weiteren Wünsche offen ließen. Aber irgendetwas sträubte sich in ihr, einfach für das Wannenbad zu stimmen. Es kam Emma in diesem Moment einfach zu intim vor. Auch wenn das lächerlich war, wenn man bedachte, dass sie im gleichen Bett geschlafen hatten und jetzt hier frühstückten. Aber nackt in der Badewanne war eben doch ... anders, als angezogen im Bett oder auf der Couch oder ... wo auch immer.

Daher antwortete sie eher ausweichend: „Lass uns erstmal frühstücken. Der Rest wird sich dann sicher ergeben.“

 

„Das denke ich auch.“ Er nahm einen Schluck von seiner heißen Schokolade. Ihm war Emmas subtile Reaktion nicht entgangen, weshalb er sich fast schon gezwungen fühlte, ihre Gedanken zu korrigieren, auch wenn er da vielleicht zu viel hineininterpretierte.

„Der Vorschlag mit dem Schaumbad war übrigens für dich alleine gedacht.“ Cayden stellte seine Tasse wieder weg und angelte sich eine Apfelspalte. „Ich habe andere Methoden, um von dem ganzen Stress einmal runter zu kommen.“

Das stimmte. Leider hatte er seine wertvolle Mittagspause in letzter Zeit schändlich vernachlässigt und vermutlich war auch das der Grund, weshalb seine Kraftreserven so schnell nachgelassen hatten. Stress war pures Gift und das nicht nur für Menschen. Er sollte besser wieder damit beginnen, seine Mittagspause nicht für die Arbeit, sondern für seine Entspannungsübungen herzunehmen. So wie er es die letzten Jahre getan hatte.

 

„Ach, tatsächlich?“

Emma hörte sofort interessiert auf, kaute aber weiter an ihrem leckeren Frühstück und sah Cayden auffordernd an. Wenn er schon anfing, ihr so etwas zu eröffnen, musste er auch weiter sprechen.

„Und was machst du?“ Sie wollte nicht an etwas Unanständiges denken, denn so hatte Caydens Hinweis einfach nicht geklungen. Aber interessieren würde es sie schon.

Nachdenklich sah sie Cayden an und überlegte, was „Vampir“ wohl so zur Entspannung tat. Als sie vor ihrem inneren Auge ein Bild von Cayden sah, wie er kopfüber von der Decke baumelte, schob sie sich lieber ein großes Stück Pancake in den grinsenden Mund.

 

Cayden kaute bedächtig den Apfel und überlegte sich dabei, wie er seine Antwort formulieren sollte. Es war nichts Schwieriges dabei, allerdings waren manche Menschen eigen, wenn es um Meditation ging. Zum Glück war Emma kein gewöhnlicher Mensch sondern eine Hexe. Gerade sie müsste etwas damit anfangen können.

Er trank noch einen Schluck von der heißen Schokolade, ehe er ihr endlich eine Antwort gab.

„Ich meditiere. Oder habe es zumindest täglich praktiziert, bevor alles so chaotisch wurde. Meistens in meiner Mittagspause, weshalb ich auch immer verlangt habe, dass mich keiner zu dieser Zeit stört. Denn das hätte die Wirkung dann natürlich zunichtegemacht.“

Er lächelte, während er sich daran erinnerte, wie häufig Stella hartnäckig jede noch so kleine Störung vor seiner Bürotür abgewehrt hatte, da er gerade seine geheiligte Mittagspause genoss.

 

„Meditieren?“ Natürlich wusste Emma, was das war. Aber selbst hatte sie noch niemanden getroffen, der das praktizierte. Geschweige denn hatte sie es selbst je ausprobiert. Irgendwie hatte sie die Ruhe dafür nicht.

„Wie ... Was machst du dann? Ich meine, wie sieht das denn aus?“

Emma war neugierig und interessiert. Sie konnte sich unter Meditation nur vorstellen, dass man im Lotussitz dasaß, seinen Geist öffnete und dann nichts dachte. Was sich schon sehr schwierig anhörte – ihrer Meinung nach nichts, was sie entspannen könnte.

„Und wäre es dann nicht sinnvoller gewesen, du hättest es gerade im Chaos weiter gemacht?“

 

„Natürlich wäre es sinnvoller gewesen“, stimmte er ihr zu. Immerhin war Cayden genau Emmas Meinung. „Aber selbst ich neige dazu, mich ablenken zu lassen und nicht immer das zu tun, was gut für mich wäre. Trotzdem werde ich versuchen, damit wieder anzufangen.“

Er nahm es sich fest vor, während er sich einen zweiten Pfannkuchen zusammenrollte, der mit Erdbeermarmelade bestrichen war.

„Zur Meditation selbst gibt es eigentlich nicht sehr viel zu sagen. Ich mache es im Stehen, da ich im Büro meistens sitzen muss. Viele Menschen hören dabei entspannende Musik, aber so wirklich tief entspannen kann ich mich nur bei einer einzigen Geräuschkulisse.“

Cayden sah Emmas Frage, noch bevor sie sie stellen konnte und musste wieder lächeln.

„Du hast doch sicher schon Dokumentationen gesehen, die im tropischen Regenwald gedreht wurden? Ich habe diverse CDs mit aufgezeichneten Dschungelgeräuschen. Meistens welche, die nachts aufgenommen worden sind. Das ist für mich am Wirkungsvollsten, denn es erinnert mich jedes Mal stark an …“

Das Zögern war nicht gewollt, aber das passende Wort zu finden, war auch nicht leicht. Weshalb Cayden einen Moment lang überlegen musste, bis er zumindest eine gute Übersetzung für das für Emma fremde Wort gefunden hatte.

„… Heimat.“

 

Nun wurde sie so stutzig, dass Emma Essen und Trinken stehen ließ und Cayden neugierig musterte.

Heimat? Das war für viele Menschen ein großes Wort. Etwas, das sehr viel mehr in sich trug, als nur der Ort, an dem man aufgewachsen war und/oder man gerade lebte.

„Dschungel im Sinne von ...“ Sie überlegte. „Mittelamerika? Amazonas?“ Das würde zumindest zu seinem Vergleich mit den Dokus passen. Neuseeland hatte auch einen urtümlichen Regenwald. Dieser klang aber wegen der einzigartigen Vogelwelt ganz anders, als derjenige, den man normalerweise auf diesen CDs fand.

„Erzählst du mir davon?“

Vielleicht wollte er nicht. Das wäre in Ordnung. Aber natürlich hätte es Emma brennend interessiert, warum Cayden den Dschungel mit Heimat verband. Er sah nun einmal absolut nicht wie ein Ureinwohner dieser Gegend aus.

 

„Zentral Amerika, um genau zu sein“, bestätigte er, allerdings wurde Cayden bei seinen nächsten Worten vorsichtiger. Seine Kindheit war sehr sehr lange her, und obwohl er sich noch genau an jedes Detail erinnern konnte, so hatte Emma ihm doch erst vor Kurzem gesagt, dass sie nicht alles wissen wollte. Vielleicht war das auch so eine Sache, wo sie lieber nicht hätte nachfragen sollen, aber er würde sich mit Informationen zurückhalten. Wenn sie weiter nachhakte, dann war es ihre eigene Entscheidung und auch ihre eigene Verantwortung.

„Ich habe dir doch einmal erzählt, dass ich in Belize aufgewachsen bin“, begann er vorsichtig.

„Ich habe dir zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht die volle Wahrheit erzählen können, aber komplett angelogen habe ich dich auch nicht. Die heutige Gegend dort heißt Belize, doch zu der Zeit, als ich dort lebte, war Amerika noch nicht einmal von Kolumbus entdeckt worden, auch wenn dort schon vor ihm Menschen aus Europa gelandet sind. In meinem Fall hat mich das Schiffsunglück dorthin gebracht. Ich habe keine Ahnung, wie wir so weit vom Kurs abkommen konnten. Oder wie genau ich dort gelandet bin. Es ist mir bis heute ein Rätsel, wie ich überhaupt auf dem Schiff gelandet bin. Damals war es alles andere als normal und sicher, ein Kind mit auf so eine Schiffsreise zu nehmen. Die genaueren Umstände werde ich aber auch nicht mehr herausfinden können.“ Was wohl auf Ewig an ihm nagen würde.

„Auf jeden Fall kann ich mich nur noch an den wahnsinnigen Durst erinnern und dass mich die grelle Sonne beinahe hat erblinden lassen. Jedoch nicht wegen meiner heutigen Schwächen.“

Cayden schloss kurz die Augen, um sich besser zu konzentrieren, aber an jene schmerzvollen Tage konnte er sich dankenswerterweise kaum noch erinnern.

„Ich war drei oder vielleicht vier Jahre alt. Zu dem Zeitpunkt unterscheiden wir uns noch kaum von den Menschen, außer, dass wir widerstandsfähiger sind. Vermutlich der einzige Grund, warum ich so lange alleine überlebt habe. An diese Tage kann ich mich allerdings kaum noch erinnern.“

Er schaute wieder auf, Emma in die Augen.

„Das Erste, woran ich mich deutlich erinnern kann, sind die nächtlichen Geräusche eines tropischen Dschungels. Das Prasseln von Feuer und dessen behagliche Wärme. Warme Hände, die mich halten, mir Wasser geben und so das Brennen in meiner Kehle löschen. Da waren viele Menschen um mich herum. Fremdartige Menschen mit dunkler Haut, schwarzen Haaren, halbnackt und mit bedrohlichen Ziernarben und anderem Körperschmuck versehen. Ich verstand sie nicht, aber es hatte keinerlei Worte bedurft, um mir Sicherheit zu schenken.“

Cayden lächelte traurig.

„Der Stamm, der mich bei sich aufgenommen und großgezogen hat, ist schon lange ausgestorben und die Sprache mit ihnen. Ich bin vermutlich die letzte Person auf der Welt, die sie überhaupt noch spricht.“

 

„Das heißt ... du hast deine Eltern bei dem Schiffsunglück verloren?“, fragte Emma vorsichtig nach. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, wie furchtbar das sein musste. Vor allem, weil er noch so klein gewesen war.

Emma senkte den Kopf und blickt auf ihre Finger, die mit der Decke spielten. Wie Caydens Eltern wohl gewesen waren? Es mussten beides Vampire gewesen sein. Oder etwa nicht?

Gern hätte sie ihn das gefragt, aber irgendwie passte es gerade nicht. Emma wollte so viele Fragen stellen, wusste aber nicht, wo sie anfangen sollte. Am liebsten hätte sie sich Notizen gemacht, um auch keine einzige Frage zu vergessen.

„Und dieser Stamm ... Haben sie dich einfach aufgenommen?“ Wo er doch so anders war als sie.

Und als Kind war er wirklich noch fast ein Mensch gewesen? So sehr, dass seine Augen noch das Sonnenlicht ertrugen und Wasser seinen Durst einfach löschen konnte? Emmas Hand wanderte ohne ihr Wissen auf ihren eigenen Bauch. Sie verschwendete keinen Gedanken daran, wie es einmal für sie und ihr Kind sein würde. Gerade jetzt waren ihre Gedanken bei Cayden, und zwar ganz allein bei ihm.

 

„Mein Vater ist bei diesem Schiffsunglück gestorben. Zumindest habe ich nie wieder etwas von ihm oder jemand anderem gehört, der auf diesem Schiff war. Meine Mutter war nicht dabei. Ich glaube, sie starb bei meiner Geburt. Zumindest kann ich mich überhaupt nicht an sie erinnern.“ Das Schicksal vieler Vampirinnen, wie er leider wusste. Aber Emma würde das nicht teilen. Er würde niemals zulassen, dass ihr etwas zustieß und wenn er ihr sein ganzes Blut geben müsste.

„Ja, sie haben mich aufgenommen, obwohl sie mich auch einfach dem Dschungel hätten überlassen können. Aber es war ein friedvoller Stamm, dessen höchstes Bestreben dem Schutz der Familie galt und natürlich ihrem Überleben. Sie lebten vollkommen im Einklang mit ihrer Umgebung und die Natur beschenkte sie reich genug, sodass auch für jemanden wie mich Platz bei ihnen war.“

Cayden zupfte sich ein Stück von dem letzten Pfannkuchen, den er noch hinunterbringen konnte, und kaute langsam darauf herum, während er in Erinnerungen schwelgte. Es waren viele gute darunter, weshalb auch immer wieder ein warmes Lächeln seine Mundwinkel reizte.

„Sie sahen mein Erscheinen sogar als ein gutes Omen an, obwohl man eigentlich das Gegenteil hätte erwarten müssen. Ich habe ihnen dieses Vertrauen im Laufe der Zeit oft zurückgegeben, vor allem, nachdem es während meiner Pubertät ziemlich überstrapaziert worden war.“

Das Lächeln verblasste etwas.

„Damals waren sprießende Körperbehaarung an ungewöhnlichen Stellen und unkontrollierbare Ejakulationen im Schlaf mein kleinstes Problem.“

 

„Okaay ...“

Dass Cayden so offen über seine Pubertät sprach, brachte Emma zu einem leicht nervösen Lachen. Sie war es nicht gewohnt, dass ein Mann so direkt und ohne Witze über dieses Thema sprach.

„Dann ... hast du tatsächlich im Dschungel gelebt?“ Er war scheinbar dort aufgewachsen. Es musste ihn doch geprägt haben. Warum ...

Emma beäugte Cayden von oben bis unten, betrachtete sein Gesicht, das ihr oftmals so kantig, doch gerade jetzt so offen und weich vorkam. Sie konnte ihn sich nicht in einem Dschungel vorstellen. Zumindest nicht als Kind. Rothaarig und blass, wie er durchs Unterholz lief, mit selbst gebastelten Speeren nach Eidechsen warf ... Es war schon sehr, sehr seltsam.

 

Nun musste Cayden bei Emmas Blick doch breit lächeln.

„Sieht man das denn nicht?“, wollte er verwundert wissen, obwohl er ganz genau wusste, dass man ihm Anzüge und Krawatten eher zumuten würde, als einen Lendenschurz und eine Schleuder.

Cayden legte den restlichen Pfannkuchen zur Seite und setzte sich gerade auf, sodass die dunklen Zeichnungen auf seinem Oberkörper besser zu erkennen waren. Er streckte Emma auch die Arme entgegen. Zeigte ihr die verschlungenen Muster auf der Außenseite und dann die auf der inneren.

„Du hast mich doch einmal gefragt, was meine Tattoos bedeuten. Nun, sie stellen Erlebnisse, Taten und bestandene Prüfungen dar. Das hier zum Beispiel …“

Cayden zeigte auf ein zunächst wahllos erscheinendes Muster auf der Innenseite seines rechten Unterarms. Sein Zeigefinger fuhr das Bild nach, während er weiter sprach: „Kannst du den Kopf einer Raubkatze erkennen?“

Um Emma den Blick darauf zu erleichtern, verdeckte er mit den anderen Fingern den Rest der Linien, so dass sich für ihn sehr deutlich der stilisierte Kopf eines Raubtiers abzeichnete. „Dieser Jaguar hat eine Gruppe von Jägern angegriffen und einen davon sogar schwer verletzt. Die Jäger hatten das Tier auf der Suche nach Beute unabsichtlich in die Enge getrieben und somit zum Angriff gezwungen. Denn normalerweise greifen sie keine Menschen an, es sei denn, sie haben keine andere Wahl.“

Sein Finger strich zart über den Kopf des Tiers und ihm entkam unwillkürlich ein Seufzen.

„Ich gehörte nicht zu den Jägern, da zu dem Zeitpunkt meine schwindende Toleranz der Sonnenstrahlen auf meiner Netzhaut gegenüber schon so weit fortgeschritten war, dass ich tagsüber kaum noch richtig sehen konnte. Aber für einen jungen Mann in diesem Alter war es geradezu eine Schande, nichts für das Wohl des Dorfes beitragen zu können, abgesehen von Arbeiten, die normalerweise für Frauen vorgesehen waren. Also schlich ich der Jägergruppe nach, so oft ich konnte, um trotzdem von ihnen zu lernen. So wie an diesem einen Tag, als der Jaguar angriff.“

Cayden zog seine Hand wieder zurück und rieb sich stattdessen über die Stelle, als würde sie ihn schmerzen, während er die Bilder seiner Vergangenheit vor seinen Augen hatte.

„Damals wusste ich nicht, wieso ich so verrückt sein konnte und dieses heilige Tier nur mit einem Messer angriff. Ich denke, der Blutgeruch des verletzten Jägers hat meine vampirischen Instinkte vollends erwachen lassen und ich hatte nicht weiter darüber nachgedacht, sondern einfach nur gehandelt. Ich kannte jeden einzelnen dieser Männer. Ich wollte nicht, dass auch nur einer von ihnen starb und so habe ich ein bisschen mit dem Jaguar 'getanzt'.“

Sein Blick kam wieder in die Realität zurück und nahm nun deutlich Emmas Gegenwart wahr.

„Ich war zwar halb blind, aber ganz und gar nicht wehrlos. Spätestens zu diesem Zeitpunkt mussten die Männer meines Dorfes einsehen, dass ich zwar Schwächen hatte, aber auch Stärken, und obwohl ich für sie immer sonderbarer wurde, habe ich meine erste Auszeichnung erhalten und die Erlaubnis, mich in der Jagd zu üben. Auch wenn das später nur noch nachts möglich war.“

 

„Wie bist du damit zurechtgekommen? Dass du nicht wusstest, was mit dir passiert? Warum deine Augen schlechter wurden, was sich in dir veränderte. Niemand konnte dir etwas über dich sagen ... Wie ...“ Emma brach ab und sah sich die Linien auf Caydens Oberkörper an. Es waren viele. Er musste für den Stamm wichtig und wertvoll gewesen sein. Trotzdem war dieser Junge ... dieser weiße Junge, der immer anders aussah, als ihre eigenen Kinder, der immer noch mehr seltsame Eigenschaften herausbildete ... Hatten sie irgendwann Angst vor ihm gehabt? Hatte er ... ihnen Grund dafür gegeben?

 

Das war eine sehr gewichtige Frage und Cayden musste so lange darüber nachdenken, dass er seine heiße Schokolade inzwischen leer getrunken hatte, ehe er endlich zu erzählen begann.

„Es war sehr schwer. Das kann ich nicht leugnen. Aber das mit meinen Augen war noch relativ leicht hinzunehmen, immerhin war beziehungsweise ist meine Sicht in der Nacht absolut perfekt, besonders wenn es stockdunkel ist. Dass meine Verletzungen so ungewöhnlich schnell heilen, war auch noch etwas, über das die Dorfbewohner bewundernd hinwegsehen konnten und immer noch für ein sehr gutes Omen hielten. Mein Blutdurst war jedoch eine ganz andere Sache.“

Cayden rieb sich unbewusst über die Stelle, unter der sich direkt sein Herz befand, dort wo so eine Art Schatten oder Geist dargestellt wurde, wenn man ganz genau hinsah.

„Wie ich schon sagte, hat mich der Blutgeruch des Jägers zum ersten Mal richtig angesprochen, auch wenn ich diesen … Auslöser damals noch nicht richtig interpretieren konnte. Aber er wurde mit der Zeit stärker, vor allem als ich begann, selbst Tiere zu erlegen.“

Cayden ging sicher, dass Emma bereits fertig gegessen hatte, erst dann ging er näher auf dieses heikle Thema ein, wohl wissend, dass es für einen heutigen Menschen relativ unverständlich war, was bestimmte Bräuche und Sitten anging.

„Du hast sicher schon von verschiedenen Naturvölkern gehört, die glauben, bestimmte Teile eines Tieres roh gegessen, würden die Kraft des Tieres auf den Menschen übertragen. Nun, auch mein Stamm hat das geglaubt und so war es eigentlich ganz normal, demjenigen, der das Tier getötet hat, das Herz zu überlassen und natürlich die besten Teile der Beute für sich und seine Familie.“

Er formulierte es so vorsichtig wie möglich und prüfte auch immer wieder nach, ob Emmas Reaktion von ihm verlangte, zu schweigen, aber bisher hatte sie ihm noch keinen Grund dazu geliefert, also sprach er weiter.

„Für die Menschen meines Stammes hatte dieser Glauben eher symbolische Werte. In etwa so ähnlich wie ein Placebo-Effekt. Für mich jedoch nicht. Es hat mich tatsächlich gestärkt, zumindest eine Zeit lang, bis ich aus einem schlaksigen Jungen langsam zu einem ausgewachsenen Mann hätte werden sollen. Doch stattdessen wurde ich schwer krank, was bis dahin noch nie vorgekommen war.“

Cayden erinnerte sich noch zu gut an diese Zeit. Dieser brennende Durst der auch mit noch so viel Wasser nicht gelöscht werden konnte. Die stärker werdenden Krämpfe, das heftige Beben seines schwitzenden Körpers. Zu dem Zeitpunkt hatte er gedacht, er müsste sterben.

„Ich vermute im Nachhinein, dass das Tierblut meinen Durst eine Zeit lang stillen und mich genügend ernähren konnte, während ich noch ein halber Junge war, aber als mein Körper mehr Energie zum Wachsen brauchte, reichte es einfach nicht mehr aus und er begann sich selbst aufzuzehren. Keiner wusste damals, was mit mir los war und ich am Allerwenigsten.“

 

Emma hatte es sich etwas bequemer gemacht, die Decke um sich gezogen und das Frühstück in diesem Moment vollkommen vergessen. So, wie Cayden erzählte, konnte sie sich alles sogar bildlich vorstellen. Sein immer schlimmer werdender Durst, die Ohnmacht seines Stammes, als er krank wurde.

Immerhin hatte Emma einen kleinen Blick auf die Folgen werfen können, wenn er nichts trank. Wenn Cayden nicht das bekam, was er brauchte. Sie konnte sich zu gut vorstellen, wie schlimm es um ihn gestanden und welche Sorgen sich sein Stamm gemacht hatte.

„Wie ... hast du es überlebt?“

Emmas Mund wurde trocken, als sie diese Frage stellte. Sie konnte sich viele Möglichkeiten vorstellen. Vielleicht war er irgendwann so verzweifelt gewesen, dass er jemanden angegriffen hatte? Oder hatte sich jemand unabsichtlich verletzt und Cayden hatte die Chance genutzt? Hatte ihm doch irgendetwas anderes helfen können?

Emma war ganz angespannt.

 

„Mein Leben verdankte ich wohl dem, was einem Medizinmann am Nächsten kommt. Zusammen mit meiner Mutter und dem Stammesoberhaupt hatte er mein Lager bewacht, sich auch mit den anderen Ältesten beraten und doch war er machtlos gegen den bösen Geist, der in mir wütete.“

Eine Gänsehaut breitete sich auf seinen Armen aus und der kalte Schauer, der ihm über den Rücken lief, war nur noch ein schwacher Abklatsch von dem, was er damals durchgemacht hatte. So nahe war er wegen seines Blutdurstes dem Tode nie mehr gekommen und das war auch gut so.

„Ich lag im Fieberwahn und hatte fürchterliche Schmerzen. Vor allem meine Fänge haben sich angefühlt, als würde man glühende Nägel in meinen Kiefer rammen. Schon vorher war mir die Ungewöhnlichkeit meiner Zähne aufgefallen, und obwohl ich es nicht kontrollieren konnte, wann sie hervortraten, hatte ich es damals doch geschafft, wenigstens diese Absonderlichkeit vor den anderen verborgen zu halten. Aber damit war es vorbei und die Ältesten wurden in ihrer Vermutung bestärkt, ein böser Geist wäre in mich gefahren.“ Was im Grunde genommen eigentlich gar kein schlechter Vergleich war, wenn man es im richtigen Lichte betrachtete.

„Ich musste unzählige Rituale über mich ergehenlassen, die alle nur eines bewirkt hatten – sie reizten meine vampirische Seite bis aufs Blut.“

Die erzählerische Pause war keine Absicht, aber Caydens Erinnerung vermischte sich plötzlich mit dem Vorfall in seinem Büro, als er Emma gebissen hatte, dennoch war es besser, weiterzusprechen. Emma sollte verstehen und auch die Tatsache, dass Vampire zwar gefährlich sein konnten, aber deshalb nicht von Grund auf böse waren, selbst wenn sie das bereits wusste.

„Bei einem dieser Rituale kam mir der Medizinmann zu nahe. Besser gesagt sein Arm und dabei setzte auch noch der klägliche Rest meines menschlichen Verstandes endgültig aus. Ich habe nur noch reagiert, um zu überleben.“ Das war die Wahrheit. Auch wenn er lange gebraucht hatte, um das so zu sehen.

„Ich hätte ihn nicht getötet. Selbst wenn man mich nicht mit Gewalt von ihm weggezogen hätte. Das weiß ich inzwischen, aber damals war es noch etwas anderes. Es gelang ihnen nur deshalb, weil man mich bewusstlos geschlagen hatte. Als ich wieder aufwachte, war ich natürlich gefesselt, aber wenigstens wieder halbwegs bei Kräften und ich musste mit dem Schuldgefühl kämpfen, jemanden aus meinem Stamm in einem Anflug von Wahnsinn angegriffen zu haben. Etwas, das ich mir lange nicht verzeihen konnte.“

Ihm blutete sogar jetzt noch das Herz, wenn er an diese Zeit zurückdachte. Das Vertrauen war mit einer unbedachten Handlung restlos zerstört gewesen. Zumindest bei den meisten Bewohnern des Stammes und das war eine äußerst unangenehme Angelegenheit gewesen.

„Normalerweise wurde ein derartiger Angriff auf ein Stammesmitglied mit dem Tode oder Verbannung bestraft, je nachdem wie schwer die Tat ausfiel. Was auch seinen Nutzen hatte, denn so gab es kaum jemanden, der gegen die Gruppe arbeitete und somit das Überleben des Stammes gefährdet hätte. Bei mir waren sich die Ältesten nicht einig. Zum einen, weil ich ohnehin schon als absolut sonderbar galt und zum anderen, weil ich es nicht bei klarem Verstand getan habe. Also beschloss man, mich zunächst nur für einen gewissen Zeitraum von den anderen zu trennen und mich zu prüfen. Nicht, was meine körperlichen Fähigkeiten anging, sondern die Reinheit meines Geistes, des Herzens und der Seele.“

Ein winziges Lächeln umspielte Caydens Lippen, als er daran dachte und Emmas Blick suchte. „Eines solltest du noch über diesen Stamm wissen: Sie urteilten nie vorschnell, gingen sorgsam mit ihren Worten und Taten um, und alles was auf der Welt existierte, sahen sie als Schöpfung der Erde an. In diesem Sinne war ich zwar sonderbar für sie, aber laut ihrem Glauben war auch ich Teil dieser Welt und somit nicht von Natur aus bösartig. Zumal sie mich großgezogen und gelehrt hatten, wie sie zu leben und ich mir bis dahin nie etwas zu Schulden habe kommen lassen.“

 

Emma nickte nachdenklich.

Während Caydens Erzählung war ihr immer wieder kalt geworden. Sie hatte mit ihrer Vermutung also Recht behalten. Was hätte ein Teenager auch anderes tun sollen? Am Rande seiner Kräfte, krank, fiebrig und verwirrt. Nachdem sie selbst erlebt hatte, was passieren konnte, wenn Cayden ausgehungert war, fiel es ihr nicht schwer, ihm die Geschichte zu glauben.

Was sie allerdings nicht ganz glauben konnte, war die milde Reaktion des Stammes. Hatte der Medizinmann ihn danach wirklich nicht gemieden? Hatte er keine Angst vor dem merkwürdigen Jungen gehabt, der wohl von einem bösen Dämon besessen war?

Wieder nickte Emma und sah Cayden stumm an. Eine Aufforderung, weiter zu erzählen.

 

„Die Trennung sah in etwa so aus, dass ich außerhalb des Dorfes mein Lager aufschlagen musste, was meiner Ziehmutter trotz der Vorkommnisse nicht passte, aber gegen das Wort der Ältesten konnte sie nicht handeln. Mir selbst war es jedoch lieber so. Ich wollte nicht in verängstigte und skeptische Gesichter blicken müssen, die früher nur Zuneigung gezeigt hatten. Außerdem brauchte ich die Zeit des Alleinseins, um gegen meine eigenen Schuldgefühle vorzugehen und auch gegen die Angst vor mir selbst und das, was da in mir wohnte.“

Cayden betrachtete seine Hände, so wie er sie damals stundenlang angestarrt hatte. Hände, die im Laufe seines Lebens immer wieder hatten töten müssen, aber niemals aus den falschen Gründen. Er war ein Krieger und Beschützer. Kein Mörder.

„Unser Oberhaupt war oft bei mir und hat stundenlang mit mir gesprochen. Er hatte viele Fragen. Fragen, auf die ich damals selbst keine Antworten wusste, die ich aber stets offen und ehrlich beantwortet hatte, soweit ich es konnte. Das Reden hat mir damals sehr geholfen. Er hat mir zudem viele Geschichten über die Natur, das Leben und die Existenz allein Seins erzählt. Lehrreiche Geschichten, die schon von Generation zu Generation weitergegeben worden waren.“ Und jetzt nur noch in seinem Kopf existierten.

„Nachts war ich auf der Jagd nach Tieren. Zunächst nur ihres Fleisches willen, um nicht hungern zu müssen, aber mit zunehmendem Durst konnte ich in der Stille des Alleinseins auch den Drang nicht mehr bändigen, noch mehr von dem Blut zu kosten und nicht nur als unvermeidliche Zugabe zu rohem Fleisch, sondern ich begann mich sogar darauf zu spezialisieren. Es war selbst für mich total absonderlich, aber ich merkte zunehmend, dass ich es brauchte, mehr noch als das Fleisch selbst. Was ich also von der Beute nicht für mich allein benötigte, brachte ich zu der Grenze meines Dorfes, damit andere Familien davon profitierten und nichts verschwendet wurde.“

Eine Lebenseinstellung, die es heute nicht mehr zu geben schien, wenn man die verschwenderische Gesellschaft der Menschen betrachtete, die das als Wohlstand ansahen. Aber das war damals auch ein anderes Leben gewesen und Cayden versuchte es auch als solches zu sehen.

„Tagsüber schlief ich oder das Oberhaupt kam mich in meiner kleinen selbstgebauten Hütte besuchen, um zu reden. Ich log den Mann nicht an und verschwieg auch nichts. Nicht einmal meine Beobachtung, was das Blut anging. Es reichte nicht aus, um meinen Durst endgültig zu löschen, egal wie viel ich zu mir nahm, aber es hielt mich halbwegs bei Kräften und auch bei klarem Verstand, was für mich das Wichtigste war.“

Cayden wechselte kurz von einer erzählenden Stimme, zu einer erklärenden: „Falls du dich fragst, warum ich keine Namen erwähne, so muss ich dir sagen, dass ich den Glauben meines Stammes immer noch respektiere. Es ist verboten den Namen eines verstorbenen Menschen auszusprechen, da die Trauer seine Seele sonst an die Verbliebenen bindet und ihr somit die Rückkehr zum Quell allen Lebens verwehrt. Meinen Stammesmitgliedern gegenüber halte ich mich dran, da sie daran glaubten. Unabhängig davon, was ich selbst darüber denke.“

Nach dieser Erklärung setzte Cayden sich etwas bequemer hin und ließ seinen Blick durch das Zimmer schweifen, wo er an einem Ficusbaum hängen blieb und die Form der einzelnen Blätter studierte.

„Aus Tagen wurden Wochen und aus Wochen wurden schließlich Monate, in denen ich zurückgezogen lebte, für mich und zum Teil auch für das Dorf jagte und meine eigenen Grenzen erkundete. Ich war von Natur aus der geborene Jäger und jeder meiner Sinne, all meine Instinkte bestätigten mich darin. Aber wie auch ein Jaguar keine bösen Absichten beim Erlegen einer Beute hat, sondern nur überleben will, begriff auch ich langsam, dass da nichts Böses in mir war beziehungsweise ist. Alles, was mich ausmacht, ist dazu gedacht, in dieser Welt zu überleben und erst recht in der damaligen, wo eine erfolgreiche Jagd über Leben und Tod entscheiden konnte.

Allerdings kam damals irgendwann der Zeitpunkt, an dem ich körperlich so weit gereift war, dass die Abstände zwischen den Blutmahlzeiten immer kürzer werden mussten, um nicht schwächer zu werden. Es war einfach nicht das richtige Blut und zu dem Schluss kamen schließlich auch die Dorfältesten, die mir gegenüber inzwischen sehr viel milder gestimmt waren. Ich durfte zwar immer noch nicht mit den anderen aus dem Dorf in Kontakt treten, aber zumindest ging man nicht mehr davon aus, dass ich einem von ihnen willentlich schaden wollte und sie hatten sehr lange und gründlich über mich beratschlagt.“

Cayden starrte immer noch ein Ficus-Blatt an, während er einmal tief einatmete und die Luft langsam wieder entließ.

„Als ich wieder krank zu werden drohte, mussten sie handeln. Es wurde nach einem Freiwilligen gesucht, der mir etwas von seinem Blut geben wollte, um zu prüfen, ob die Vermutungen wirklich stimmten, oder ich endgültig verbannt werden musste, um niemandem zu schaden. Meine Mutter war die Einzige, die keine Angst davor hatte und jede Gelegenheit nutzen wollte, mich endlich wieder zu sehen.“

Wieder erschien ein Lächeln und Wärme erfüllte seine Brust. Die Liebe seiner Ziehmutter hatte Cayden nie vergessen und würde er auch nicht. Ihr verdankte er eigentlich sein Leben.

„In einem streng bewachten Ritual gab sie etwas von ihrem Blut in eine Schüssel, die mir überreicht wurde. Zu dem Zeitpunkt litt ich bereits an Fieber und den ersten Anzeichen von Krämpfen. Doch schon wenige Minuten nach der Einnahme waren alle Symptome verschwunden und die Vermutung bestätigt. Ab diesem Zeitpunkt durfte mich meine Mutter regelmäßig besuchen, aber sicherheitshalber musste ich noch eine ganze Weile zurückgezogen leben, bis wirklich sichergestellt werden konnte, dass ich keinen Rückfall erlitt. Insgesamt verbrachte ich zwei Jahre in Abgeschiedenheit von meinem Dorf. Erst mit siebzehn kam die Wende.“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2012-11-29T11:11:55+00:00 29.11.2012 12:11
loool cayden im lederfetzen xD wie geil ich kann es mir bildlich vortsellen und musste richtig lachen :D

wie schön endlich etwas über seine vergangenheit zu erfahren ...das finde ich sehr interessant!

freue mich schon darauf weiter zu lesen ;)
Von:  thundergirl
2012-11-26T11:59:29+00:00 26.11.2012 12:59
Hey :)

jetzt habe ich das letzte von euch hochgeladene Kapitel gelesen und dachte mir ich schreib mal wieder ein Kommentar ;)

Ich muss wieder sagen, dass ich eure FF echt gut finde :)

Also Vanessa mag ich ja mal garnicht und ich bin froh, dass er sich von ihr scheiden lassen will, was er hoffentlich auch macht. Auch wenn ich sie nicht mag kann ich mir schlecht vorstellen, dass sie sich praktisch "selber" so zugerichtet hat. Als Model muss sie doch auf ihren Körper achten und sie konnte sich doch nicht sicher sein, dass er ihr mit seinem Blut helfen würde. Obwohl man solchen wie Vanessa alles zutrauen könnte.

Was ich von Adam halten soll weiß ich noch nicht. Es freut mich dass Cayden in ihm einen "Freund" gefunden hat mit dem er reden kann aber er scheint ein geheimnis zu haben und ich frage mich ob es gut oder schlecht für Emma und Cayden sein wird.

Und jetzt zu Emma und Cayden:

Ich finde sie voll süß zusammen und es is schon schade dass ihre beziehung irgendwie nicht die möglichkeit hat sich zu entfalten, da immer neue schwierigkeiten auftreten.
Was mir nicht so gefallen hat, is das mit der Schwangerschaft. Meiner Meinung kam das viel zu früh aber ihr habt das trotzdem toll hingekriegt :)
Ich war überrascht wie gelassen Emma Caydens geheimnis aufgenommen hat und dass sie auch direkt zustimmt dass er von ihr trinken kann.

Ach ich könnte noch so viel schreiben aber ich hör mal auf soll ja kein roman werden XD

ich kann es kaum erwarten, dass es weiter geht. Schreibt also schnell weiter ;)

Mfg


Zurück