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Dark Night's Kiss

von

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55. Kapitel

Sie stand auf, half Cayden beim Abräumen und stellte das dreckige Geschirr in die Spülmaschine, während Cayden die nötigen Zutaten für den Nachtisch zusammensuchte. Sie unterhielten sich weiter und Emma hatte tatsächlich das Gefühl, etwas zur Mousse beizutragen. Am Ende landeten sie nebeneinander auf den Barhockern in Caydens Küche, während sie darauf warteten, dass die zwei Stunden Kühlzeit verstrichen.

Emma hatte sich einen Tee gemacht und pustete in ihre heiße Tasse.

„Hast du nicht gesagt, du hast dir die DVD zu „Unsere Erde“ besorgt? Wenn du Lust hast, könnten wir sie ansehen, während wir warten.“

Allmählich wurde Emma nämlich ein bisschen müde und hätte gegen etwas Kuscheln auf der Couch nichts einzuwenden gehabt.

 

„Als Blu-ray, ja. Aber können wir gerne machen.“ Cayden nahm seine eigene Tasse mit Tee, rutschte vom Hocker und stellte das dampfende Getränk auf einem Untersetzer auf den Glascouchtisch, ehe er zu dem Bücherregal hinüber ging, wo er etwas Platz für die langsam anwachsende Heimkino-Sammlung gemacht hatte. Wenigstens war er so weit gewesen und hatte die Filmhüllen nicht original verpackt ins Regal gestellt.

Wenige Minuten später saß er neben Emma auf der Couch, den Tee in beiden Händen haltend, während der Film sich allmählich zu entfalten begann. Ihn als Blu-ray zu kaufen war wirklich eine gute Idee gewesen. Gerade auf seinem riesigen Fernseher kam das Bild besonders gut rüber. Allerdings interessierte sich Cayden nur wenig für das Gesehene. Seine Gedanken waren bei Emma, wie eigentlich schon den ganzen Abend über und dass er langsam aber sicher vor Verlangen nach ihr verging.

Für einen innigen Kuss von ihr würde er im Augenblick sogar einen Finger hergeben, zumal dieser ohnehin wieder nachwachsen würde. Aber dieses Opfer würde er bringen, wenn es ihm nur endlich gelingen würde, die Distanz – mochte sie inzwischen auch nur noch sehr gering sein – zwischen ihnen zu überbrücken. Stattdessen hielt er sich an seiner Tasse fest, während seine Gedanken sich nicht fesseln ließen.

 

Emma hatte es sich auf der Couch gemütlich gemacht, bei der man das Gefühl hatte, man sank ein bisschen ein, wenn man sich hinsetzte. Natürlich sah die Garnitur überhaupt nicht bequem, sondern einfach nur stylisch und teuer aus. Aber wenn man den ersten Eindruck überwand, dass man das Möbel bestimmt nur schmutzig machte, wenn man sich mit seinen normalen Klamotten darauf setzte, war sie wirklich gemütlich. Emma und ihre Teetasse hatten sich eine Ecke mit zwei Kissen reserviert und sie staunte über das Bild des Fernsehers, auf dem gerade die Doku begonnen hatte.

Da Emma den Film ohnehin gern mochte, war sie von der tollen Qualität umso begeisterter.

„Das ist wirklich cool. Ich hätte gar nicht gedacht ...“

Emma unterbrach sich, als sie Cayden ansah. Er war nicht wie sie in die Doku vertieft, sondern in Gedanken. Einmal wieder. Und Emma konnte sich leider vorstellen, worum es dabei ging. Was sie ziemlich deprimierte. Andererseits hätte sie sich auch denken können, dass Cayden es für diesen Abend nicht einfach vergessen konnte. Ein leckeres Essen und eine Naturdoku ließen leider die Probleme nicht verschwinden. Schon gar nicht solche, die seine Existenz gefährdeten.

Nun selbst trübsinnig nahm Emma einen Schluck Tee. Ob sie lieber nach Hause gehen sollte? Ihr war nicht wohl bei dem Gedanken. Aber Cayden schon wieder auf seine Sorgen anzusprechen, wollte sie auch nicht. Sie hatte sich so darauf gefreut, mal wieder einen 'normalen' Abend mit ihm zu verbringen. Aber sie verstand auch, dass das im Moment einfach nicht ging. An seiner Stelle hätte sie vermutlich auch lieber arbeiten, etwas tun und nicht hier herum sitzen wollen. Am liebsten hätte sie schwer geseufzt. Auf einmal machte die Doku gar keinen Spaß mehr.

 

„... dass das Bild so gut rüberkommt?“, warf Cayden viel zu verspätet ein. Wenn seine restlichen Sinne nicht halbwegs anwesend gewesen wären, hätte er noch nicht einmal mitbekommen, dass Emma etwas gesagt hatte. Dafür, dass sich jeder Gedanke nur um sie drehte, schien er sie erstaunlich gut ignorieren zu können. Das hatte er mit diesem Abend definitiv nicht beabsichtigt.

Cayden zwang sich dazu, die Tasse mit dem Tee wieder abzustellen und sich gemütlicher hinzusetzen. Natürlich Emma zugewandt, aber auch noch dabei in der Lage der Dokumentation bequem folgen zu können, falls er es denn wirklich tat. Was er nicht unbedingt vorhatte. Emma zu beobachten, wenn sie nicht hinsah, war so viel besser, als jeder Film den es gab. Wie sie es sich in den Kissen gemütlich gemacht hatte. Wie ihre zarten Hände ihre Tasse festhielten, während sie einen Schluck daraus trank, ohne die Augen von dem Film zu nehmen. Es spiegelten sich auch einige Gefühlsregungen in ihnen wider, die Cayden allerdings nicht wirklich interpretieren konnte und dann, wenn sich ihre Blicke zu treffen drohten, wandte er den seinen langsam wieder dem Film zu. Nicht ohne dabei allerdings leise zu lächeln. Emma war so viel interessanter als der Film!

 

„Ja, genau.“

Mehr sagte sie dazu nun auch nicht. Stattdessen warf sie Cayden einen besorgten Blick zu und schenkte sich Tee nach, bevor sie sich noch tiefer in die Kissen vergrub und versuchte, der Doku zu folgen. Die Szenen über den Luchs, der lautlos über den Schnee laufen konnte, gefielen ihr am besten. Sie bewunderte viele Tiere, die in ihren Eigenheiten dem Menschen um so vieles voraus waren.

Und wieder fiel ihr Blick auf Cayden. Auch er gehörte nicht den Menschen an und konnte so manches besser, als ein Mensch es gekonnt hätte. Ob er sich dadurch wirklich überlegen fühlte?

„Er erinnert mich an dich“, meinte Emma ruhig und deutete mit einem Blick auf den Fernseher. Der Luchs war zwar um Einiges ruhiger, als Cayden Emma immer vorkam, aber er war ebenso elegant.

„Naja, er ist ein bisschen kuscheliger mit dem dicken Fell.“

Sie lächelte breit.

 

Cayden sah sich den Luchs genauer an und versuchte herauszufinden, wieso das Tier Emma an ihn erinnerte. Natürlich hatte auch er die Fähigkeit, sich lautlos zu bewegen, vor allem im Schutze der Nacht. Auch er war ein kundiger Jäger und auf die Bedingungen in seiner Umgebung perfekt angepasst. Einmal von seinen Augen abgesehen, aber sie waren für die Nacht gemacht und dort waren sie perfekt. Gäbe es die speziellen Gläser oder Kontaktlinsen nicht, könnten sich die Vampire auch jetzt noch nicht tagsüber bewegen, ohne deutlich im Nachteil zu sein. Blinde hatten es nicht leicht in dieser Welt. Unter Raubtieren schon gar nicht und im Grunde waren sie das. Auch wenn viele seiner Art das sehr gut verstecken konnten. Emma hingegen schien gänzlich andere Gedanken zu haben und brachte ihn damit zum Lachen.

„Zweifelst du etwa meine Kuschel-Fähigkeiten an?“, wollte er mit gesenkter Stimme wissen, während er ihr tief in die Augen sah. Wenn ja, würde er sofort etwas dagegen unternehmen müssen!

 

Sein Lachen tat so gut, dass Emma sofort mit einem strahlenden Lächeln antwortete. Und ihr fiel einmal wieder auf, dass Cayden sehr viel besser aussah, wenn er nicht so konzentriert und absolut ernst wirkte, wie er es normalerweise im Büroalltag tat. Sie betrachtete ihn mit Wohlwollen und stellte fest, dass sie seinen Blick keineswegs unangenehm fand, auch wenn Caydens Worte sehr wohl mehr als zweideutig aufgefasst werden konnten.

„Das tue ich nicht“, meinte sie daher leichthin. „Aber ich hoffe doch, dass du dem flauschigen Tier da an Fell durchaus keine Konkurrenz machst.“

 

Er grinste immer noch.

„Du weißt doch, dass ich das nicht tue. Seit dem letzte Mal hat sich daran nichts geändert.“ Caydens Lächeln wurde kleiner. Vielleicht hatte sich seit letztem Mal nichts an seiner Körperbehaarung geändert, aber dafür so viele andere Dinge, dass er sich glücklich schätzen könnte, wenn Haare auf dem Rücken seine geringsten Sorgen wären.

Er konnte sich noch erstaunlich gut an das letzte Mal erinnern, als Emma und er sich richtig nahe gewesen waren. Sie waren bei ihr gewesen. Er hatte zum ersten Mal bei ihr übernachtet … Irgendwie war damals die Welt noch ein Stück mehr in Ordnung gewesen als jetzt. Zumindest seine persönliche Welt, aber es gab Dinge, die sich nicht geändert hatten.

Cayden drehte sich vollends zu Emma herum, lehnte die Wange gegen die Rückenlehne der Couch und sah sie für einen Moment schweigend an.

„Ich liebe dich. Das weißt du noch, oder?“ Die Frage klang vielleicht seltsam. Immerhin hatte er ihr erst heute in einer Karte an sie seine ewige Liebe versichert. Aber was waren schon Worte auf einem Papier? Und vielleicht – er hoffte, sich da zu irren – war Emma sich nicht mehr vollkommen im Klaren darüber, dass Cayden sie immer noch so sehr liebte, wie vor den ganzen Ereignissen, die sie auseinander zu treiben drohten. Darum die Frage.

 

Ihr Herz sprang ihr so schnell in den Hals, dass Emma beinahe husten musste. Ihr Puls raste vor Überraschung und sie sah bestimmt für ein paar Sekunden so aus, als hätte sie einen Geist gesehen. Und so schnell beruhigte sie sich auch nicht mehr. Selbst wenn sie nach einer Weile auf Caydens unvermittelte Frage antworten konnte: „Ich ... habe es nicht vergessen.“

Zumindest nicht, dass er es ihr gesagt hatte. Allerdings schockierte es sie immer wieder, diese Worte jetzt schon zu hören. So kurz, nachdem sie überhaupt zusammengekommen waren. Und unter diesen Umständen, bei denen sie beide oft zu vergessen schienen, dass sie es überhaupt waren.

„Es ist nur ... alles recht schwierig im Moment. Mir kommt es langsam so vor, als hätten wir ...“ Sie machte eine Pause. Aber eigentlich ... warum sollte sie es ihm denn nicht sagen? „Es kommt mir so vor, als hätten wir ein paar Phasen unserer Beziehung übersprungen oder ausgelassen.“

Sie saßen hier wie ein Pärchen, das schon ewig zusammen war, vor dem Fernseher. Natürlich war das schön, aber ... Ach, Emma wusste auch nicht, was sie damit eigentlich hatte sagen wollen.

 

Cayden musste erst über diese Worte nachdenken. Der Film war endgültig vergessen.

„Dann … spürst du es also auch“, meinte er nach einer Weile vorsichtig, ohne es näher zu erklären.

Er hob wieder den Blick, den er bisher auf seine Hände gerichtet hatte, und sah Emma an. „Ich kann dich verstehen, Em. Wir haben ein Kind gezeugt, noch ehe wir überhaupt darüber nachgedacht haben, zusammenzukommen. Wir haben bestimmt Unmengen an Verabredungen ausgelassen, als wir nicht sehr lange nach unserem Versuch eine Beziehung einzugehen, erneut intim miteinander geworden sind. Ich bin immer noch verheiratet und hinzu kommt auch noch, dass du auch erst vor Kurzem von meinem wahren Wesen erfahren hast. Das sind alles Dinge, die für eine Beziehung sicherlich nicht besonders förderlich sind. Von den anderen Problemen einmal ganz zu schweigen. Aber das alles ändert nichts an meinen Gefühlen für dich. Das solltest du wissen.“

Er seufzte und nahm schließlich die Fernbedienung zur Hand, um den Film etwas leiser zu drehen. Cayden bezweifelte, dass sich hier überhaupt noch jemand dafür interessierte.

„Was würdest du dir wünschen, Em? Was sollen wir anders oder richtig machen? Ich bin in diesen Dingen leider schon sehr eingerostet.“

 

Was sie anders machen sollten?

„Erst einmal bin ich der Meinung, dass es kein richtig und kein falsch in diesen Dingen gibt.“ Ihre Stimme war leise, aber entschlossen. Denn Emma dachte wirklich, was sie sagte.

„Wir haben es bisher eben so gemacht, wie es sich ergeben hat. Es ist ... anders, als ich mir das vielleicht beim Wort Beziehung vorgestellt hätte. Aber das ändert nichts daran, dass wir zusammen sind. Und dass ich auch möchte, dass das so bleibt.“

Danach hatte er sie wahrscheinlich nicht gefragt und Emma konnte sich auch nicht vorstellen, dass Cayden je daran zweifeln würde. Das käme ihm vermutlich nie in den Sinn. Aber ihr selbst ging es besser, nachdem sie das offen klargestellt hatte.

„Ich finde nur ... Es ist eben schade, dass ...“ Sie wedelte hilflos mit der Hand in der Luft herum und stellte lieber vorsichtshalber ihre Teetasse auf dem Tisch ab, bevor sie noch beim Erklären etwas verschüttete. „Du hast so viel um die Ohren. Ich würde mir wünschen, wir könnten noch einmal von vorn anfangen, wenn sich alles beruhigt hat. Wenn deine Firma in Sicherheit ist, wenn die Scheidung durch und Vanessa Geschichte ist. Wenn ... Ach, ich weiß auch nicht.“

 

„Das wünsche ich mir doch auch, Em. Einen Neuanfang mit dir und dem Baby“, erwiderte er sanft. Der Gedanke gefiel ihm und hatte ihn schon oft während der letzten Zeit im Büro aufrecht gehalten. „Und glaub mir, wenn nicht so viele Mitarbeiter involviert wären, die an der ganzen Sache überhaupt keine Schuld tragen, dann würde ich die Firma eben zu Grunde gehen lassen. Sie ist nicht das, was ich will, sondern du, Emma. Ich würde am liebsten meine Sachen packen und sofort auf der Stelle mit dir zusammen ein neues Leben aufbauen. Aber das geht leider nicht.“

Er seufzte und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. „Gehen wir einfach einmal davon aus, dass wir an unseren momentanen Ausgangspunkt nichts ändern können. Wie soll es dann weiter gehen, bis es endlich so weit ist? Es gibt sicher einiges, das schon vorher geklärt werden sollte.“ Zum Beispiel die Tatsache, dass er Hemmungen hatte, Emma näher zu kommen, weil er einfach nicht wusste, wie sie darauf reagieren könnte. Ablehnung war etwas, mit dem er bei ihr nicht besonders gut zurechtkäme, ohne dass es ihn verletzen würde. Da war er sich sicher.

 

„Du meinst, was wir jetzt und hier tun könnten?“ Was sie sich überhaupt von ihm und ihrer Beziehung wünschte?

„Das ist gar nicht so einfach ...“ Emma musste wirklich überlegen. Denn eigentlich ... fühlte sie sich ganz wohl. Natürlich würde sie gern mehr Zeit mit Cayden verbringen. Mehr mit ihm unternehmen, ihre und seine Freunde treffen. Ein ganz normales Leben führen. Und das sagte sie Cayden auch.

„Es sind eigentlich nur diese Kleinigkeiten. Bisher weiß kaum jemand, dass wir überhaupt zusammen sind. Was aber auch daran liegt, dass ich mir nicht zutraue, auf einmal die Frau zu sein, die eine Affäre mit dir angefangen hat und jetzt dafür verantwortlich ist, dass du dich von Vanessa scheiden lässt.“

Welches Bild das auf Emma warf, war ihr selbst klar. Und es stimmte ja auch. Verdammt nochmal. „Ich komme mir einfach ein wenig schäbig dabei vor und das ... hilft nicht gerade.“

 

„Du hast recht. Mit allem und ich werde nur zu gerne versuchen, jede noch so freie Minute mit dir zu verbringen, sofern du das willst“, bestätigte er aus ganzem Herzen. Allerdings war Cayden bei dem, was er als Nächstes sagen musste, nicht besonders wohl. Zumal er sich in dieser Hinsicht ganz schön hilflos fühlte. Gegen die Macht der freien Rede konnte man nicht ankommen.

„Aber an einem kann ich leider auch mit allem Geld der Welt nichts ändern. Auf dem Papier und in den Augen der Welt bin ich noch verheiratet, und selbst wenn ich geschieden bin, wird es nichts daran ändern, dass es immer Leute geben wird, die darauf herumreiten werden.“

Cayden streckte seinen Arm aus, um Emmas Hand zu ergreifen und etwas näher zu rutschen. „Ich kann dich davor nicht beschützen, Em. Selbst wenn ich es mir noch so sehr wünsche. Ich kann nur zu dir stehen und das werde ich auch. Zu dir und dem Baby. Darauf hast du mein Wort.“

 

Emma lachte leise und drückte Caydens Hand.

„Du brauchst mich nicht zu beschützen. Immerhin ... ist es wahr.“ Sie sah ihm direkt in die Augen und lächelte. Auch wenn ihr das Lächeln nur mit etwas Sarkasmus gelang.

„Ich hab dich ihr weggenommen. Das muss ich vor mir selbst rechtfertigen. Und genau deshalb habe ich solchen Bammel vor jedem anderen, der mir das ankreiden könnte. Ich habe etwas getan, das ich selbst für moralisch verwerflich halte. Aber jetzt ... kann ich nichts mehr daran ändern.“

Wieder drückte sie Caydens Hand und streichelte mit ihrem Daumen über seinen Handrücken. „Aber ich muss zugeben, dass gerade diese Situation mich davon abhält, dich mehr von meinen Freunden vorzustellen. Ich ... muss erst selbst damit klarkommen, was passiert ist. Und erst dann kann ich von dir, uns, dem Baby und der ganzen Sache erzählen, ohne mich von den Reaktionen überrollen zu lassen. Und trotzdem ... fehlt mir genau das. Ich ... würde dich einfach gern in mein Leben integrieren.“

Das hörte sich so merkwürdig an, dass Emma über sich selbst lachen musste. Aber es stimmte trotzdem.

 

Cayden schüttelte langsam den Kopf.

„Nein, Em. Das, was du für moralisch verwerflich hältst, ist die Vorstellung, dass eine Frau die Liebe eines Mannes einer anderen Frau wegnimmt. Oder, wenn schon keine Liebe mehr im Spiel ist, dann vermutlich die Sicherheit der Ehe. Aber – und ich weiß nicht, wie ich es dir genau begreiflich machen kann, damit du es verstehst – das, was Vanessa und ich hatten, war nur eine Ehe auf dem Papier. Wir haben uns nie geliebt. Du hast ihr nicht mein Herz gestohlen. Ich habe ihr nie gehört. Du brauchst dich also nicht vor dir selbst zu rechtfertigen.“

Natürlich waren das nur Worte, und wenn sie es nicht selbst so empfand, dann würde keine Rede der Welt, sie vom Gegenteil überzeugen können. Aber dadurch, dass sie ihm erklärt hatte, dass sie selbst die Person war, deren Reaktion ihr am meisten bedeutete, konnte er damit etwas anfangen. Vor den anderen Leuten konnte er sie vielleicht nicht beschützen. Sollte allerdings auch nur die geringste Chance bestehen, dass er sie vor sich selbst beschützen konnte, würde er es tun.

 

„Aber ...“ Sie sah ihn ehrlich verwirrt an und zog die Brauen zweifelnd zusammen. „Wie meinst du das?“

Ehe auf dem Papier?

„Warum hast du sie denn geheiratet?“ So blöd es war, fiel Emma als Erstes Sex ein. Vanessa war ein Model. Sie war hübsch, hatte die perfekte Figur und ... naja, Cayden war ein Vampir, aber er war eben auch ein Mann. Oder ... war es wegen ihres Blutes gewesen? Aber dafür hatte er sie doch nicht gleich heiraten müssen.

Emma kam ins Grübeln.

„Ich glaube, ich würde nie jemanden heiraten, wenn ich ihn nicht lieben würde“, murmelte sie leise vor sich hin und zog ganz automatisch eines der Kissen vor ihren Bauch und bettete das Kinn darauf.

 

Warum er Vanessa überhaupt geheiratet hatte? – Das war eine gute Frage. Eine, die nicht so leicht beantwortet werden konnte.

„Es … ist in vielerlei Hinsicht leichter … wenn man verheiratet ist.“ Cayden zögerte ungewollt und doch nicht grundlos. Er musste seine Worte mit Bedacht wählen, schließlich begaben sie sich hier auf ein Gebiet, dass ein Mensch nur schwer nachvollziehen konnte.

„In der heutigen Zeit ist es vielleicht nicht mehr so schlimm, wenn man sich mit jemandem häufig alleine trifft, ohne verheiratet zu sein. Was das angeht, sind die gesellschaftlichen Gepflogenheiten sehr locker geworden. Aber … Es war früher anders.“

Cayden zog sich etwas zurück, in dem er wieder die Tasse mit dem inzwischen kalten Tee zur Hand nahm und einen kleinen Schluck daraus trank.

„Und wenn es eine bestimmte Eigenschaft gibt, die speziell auf Vampire zutrifft, dann ist das die Tatsache, dass wir gerne an etwas festhalten, das bisher funktioniert hat und uns Sicherheit gibt, bis wir einen besseren Weg finden, um auf Dauer überleben zu können. Bei mir war es bisher der Umstand, dass ich meine Hauptblutquellen geheiratet habe, um einen sicheren Rahmen zu schaffen, der sowohl mir Schutz bietet, als auch den Frauen, mit denen ich dieses Arrangement getroffen habe.“

Ein weiterer Schluck folgte, denn seine Kehle wollte trocken werden. Doch er hatte sich geschworen, Emma nicht mehr anzulügen und daran würde er sich halten, also erzählte er weiter, obwohl es ihm nicht besonders leicht fiel.

„Früher waren die Frauen für ihr Leben lang geschädigt, wenn sie durch unschickliche Handlungen mit einem Mann in Verruf kamen. Es reichte schon, einen Verdacht aufkommen zu lassen und das wollte ich auf diese Art vermeiden.“

 

Zuerst wurden Emmas Augen rund vor Erstaunen und Ungläubigkeit, dann zog sie sie zweifelnd zu engen Schlitzen zusammen, bis sie ihren Blick schließlich auf ihre Hände senkte, die auf dem Kissen lagen.

Dann hatte sie wohl recht gehabt. Cayden hatte Vanessa geheiratet, weil er an ihr Blut wollte. Und weil eine Ehe für beide Beteiligten Sicherheit bedeutete. Für ihn, nicht entdeckt zu werden und für sie ... naja.

Emma hatte ihren Mund hinter dem Kissen versteckt und lugte Cayden über die Kante hinweg an. Sie sagte nichts, sondern atmete nur langsam aus und ein. Der Geruch von frisch gereinigtem Couchkissen stieg ihr in die Nase.

„Was meinst du denn genau mit 'Hauptblutquelle'?“, hörte sie sich leise fragen. Zugleich war sie über ihre dreiste Neugier überrascht. Aber wenn sie hier schon die Karten auf den Tisch legten, dann wollte Emma mehr wissen.

 

Cayden zuckte bei Emmas Frage leicht zusammen und seine ganze Haltung schien plötzlich an Spannkraft verloren zu haben. Dabei lag es nicht unbedingt daran, dass ihm ihre Frage unangenehm war, obwohl das durchaus den Tatsachen entsprach. Nein, sie hatte ihn wieder an Helen erinnert und der Stich des Verlustes pochte immer noch deutlich in seiner Brust. Ein Grund, warum seine Stimme vielleicht etwas gedämpfter klang.

„Ich meine damit die Person, die mich hauptsächlich am Leben erhält und von der ich regelmäßig trinke, um bei Kräften zu bleiben. Meistens bin ich damit ausgekommen, aber in Zeiten des Krieges, wo ein Mann sein Zuhause verlassen musste, um es zu beschützen, war es nötig, sich auch noch alternative Quellen zu suchen. Oder, wenn das Gesundheitsrisiko für die Frauen zu hoch wurde und ich nicht mehr oft von ihnen trinken durfte, um sie nicht unnötig zu schwächen. Und in Fällen wie denen von Vanessa, wobei sie hier die einzige Ausnahme darstellt.“ Den letzten Satz knurrte er fast.

„Sie hat mich oft bis zu eine oder zwei Wochen auf dem Trockenen sitzen lassen und um ihre Gesundheit nicht zu gefährden, musste ich mir deshalb jemand anderen suchen, bei dem ich gegebenenfalls meinen Durst stillen konnte.“

Nun wurde seine Stimme doch wieder sanfter und eindeutig traurig.

„Ihr Name war Helen. Sie … kam vor ein paar Wochen bei einer Gasexplosion ums Leben.“

Cayden schwieg. Er hatte es also tatsächlich einmal laut ausgesprochen. Aber es fühlte sich nicht leichter an.

 

Emma zuckte zusammen, als sie Cayden so sah. Ihr Herz schlug so hart, dass sie für ein paar Sekunden kaum atmen konnte. Ihre Hände griffen das Kissen fester und am liebsten hätte Emma sich komplett dahinter versteckt.

Sie wollte gar nicht mehr hören. Denn was sie sah, genügte ihr vollkommen. Helen? Von ihr hatte Cayden noch nie gesprochen. Und wie sehr ihr Tod ihm an die Nieren ging, das konnte Emma geradezu mit Händen greifen. War Helen ... diejenige gewesen, der wirklich Caydens Herz gehörte? War sie mehr als seine zweite Blutquelle gewesen?

„Woher kanntet ihr euch? Helen und du?“

Emmas Stimme war nun kaum mehr als ein Flüstern. Solange er ihr etwas erzählte, musste sie weiter fragen. Sie wollte die Wahrheit. Auch wenn das etwas war, das sie ganz sicher nicht hören wollte.

 

Cayden wollte ihr nicht antworten. Er wollte gar nicht mehr über Helen sprechen, denn es brachte alle Erinnerungen an sie wieder hoch. Nur gute Erinnerungen und das konnte er beileibe nicht von jedem Menschen behaupten. Aber vielleicht waren sie deshalb umso schmerzvoller.

Seine Hände hielte die Tasse in seiner Hand fester, damit seine Finger nicht zu deutlich zitterten. Er starrte in die durchsichtige Flüssigkeit, während er sich dazu zwang, einfach weiter zu reden. Es half ohnehin nicht, Vergangenem nachzutrauern. Das hatte es noch nie. Aber es war auch etwas, das man nicht wirklich verhindern konnte.

„Ich habe sie und ihren Mann auf einer Spendengala für Blinde kennengelernt. Das war noch ein paar Jahre vor der Heirat mit Vanessa. Eigentlich mache ich mir selten etwas aus Freunden, denn sofern sie nicht von meiner Art sind, ist es auf Dauer zu schmerzvoll, sie in mein Leben zu lassen. Aber das Paar war mir sofort sympathisch und wir blieben auch danach noch in Kontakt. Als dann Helens Mann unvermittelt starb, stand sie mit ihren Kindern plötzlich alleine da, und da sie blind war, konnte sie unmöglich gut genug, für sie sorgen. Finanziell gesehen. Sie selbst war eine wirklich gute Mutter.“

Cayden musste einmal tief durchatmen, ehe er wieder in der Lage war, weiter zu sprechen, ohne dass seine Stimme irgendwelchen Schwankungen unterlag.

„Ich wollte ihr helfen. Sie unterstützen. Aber stur, wie sie war, wollte sie sich nicht so ohne weiteres helfen lassen. Sie konnte noch nie einfach so Hilfe annehmen. Vermutlich, weil sie durch ihre Blindheit ohnehin schon mehr davon brauchte, als sie wollte. Also offenbarte ich mich ihr und bot ihr den Handel mit ihrem Blut an. Es hat mir zwar oft genutzt und ich verdanke ihr vieles, aber ich tat es hauptsächlich, damit sie am Ende nicht auf der Straße landen musste. Sonst hätte sie nie mein Geld angenommen.“

 

Weder rührte sie sich, noch wagte Emma zu atmen. Sie traute ihren Augen nicht, die unter der Stimmung, die sich nach Caydens Erzählung im Raum ausbreitete, bereits brannten. Helen war also eine Freundin gewesen. Oder vielleicht auch mehr als das. Emma konnte es nicht sagen. Aber ... sie wollte es jetzt auch gar nicht mehr so genau wissen. Klar war, dass Cayden dieser Frau wesentlich mehr hinterher trauerte als der Ehe mit Vanessa. Ob Helen nun eine weitere Affäre gewesen war oder wirklich nur eine Blutgeberin, das konnte Emma nicht sagen. Genauso wenig, ob sie das eine oder das andere störte.

Das Einzige, was sie hierzu wirklich noch gerne gefragt hätte, war: Gibt es noch mehr? Noch mehr Helens oder wie sie auch heißen mochten. Aber andererseits hätte Cayden dann nicht aushungern müssen. Er hätte doch bestimmt nicht so gelitten, wenn er noch andere Blutquellen zur Verfügung hätte, als Helen, Vanessa und ... Emma.

Ihr Blick wanderte auf ihre Hände und dann ihren Arm hinauf. Nein. Es konnte fast niemand anderen geben. Wäre da noch jemand ... wäre es nie zu dieser Szene im Büro gekommen.

 

Cayden war nicht gewillt, noch weiter über Helen zu sprechen. Das Nötigste hatte er gesagt, und da Emma keine weiteren Fragen mehr stellte, stand er schließlich auf und nahm ihre beiden Tassen mit.

„Ich könnte noch einen 'heißen' Tee vertragen“, war alles, was er schließlich sagte, ehe er in der Küche verschwand und Wasser aufstellte, die Tassen kurz spülte und dann darauf wartete, dass das Wasser heiß wurde.

Die ganze Zeit über war er mit den Gedanken dort, wo er sich nie allzu lange aufhalten sollte, aber es war nun einmal nicht leicht, loszulassen.

Als der Wasserkocher beinahe durchdrehte, stellte Cayden ihn schnell ab und lehnte sich dann über die Theke, um mit Emma reden zu können.

„Willst du auch noch einen Tee? Wenn ja, welchen?“

 

Tee? Emma konnte an kaum etwas denken, was sie gerade noch weniger interessierte! Trotzdem riss sie sich aus ihren vielen Gedanken, die sich ohnehin nur im Kreis drehten, und wandte sich Cayden zu.

„Früchte. Hast du noch andere Nebenquellen?“ Das kam vielleicht etwas schroff, aber ... jetzt war es ohnehin heraus.

Das Kissen immer noch wie ein Schild vor sich gedrückt, stand Emma auf und ließ den Kopf hängen. „Es tut mir leid. Ich ... verstehe es einfach nicht.“

 

Cayden wäre fast über seine eigenen Beine gestolpert, aber Emma hatte ihren Wunsch und ihre Frage im gleichen Atemzug genannt und damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet.

„Nein, habe ich nicht. Ansonsten hätte ich es gar nicht erst riskiert, dich mit meinem Blutdurst zu erschrecken. Ich will schließlich nicht, dass du damit schlechte Erfahrungen verbindest, denn so ist es normalerweise nicht.“

Er gab jeweils einen Beutel in die Tassen und goss mit heißem Wasser auf. Erst als er den Wasserkocher wieder abgestellt und die beiden Tassen zur Theke hinüber getragen hatte, sprach er weiter.

„Was verstehst du nicht? Du kannst mich ruhig fragen, ich werde sicherlich keine Erklärung mehr offen lassen. Das hatte ich ohnehin nicht vor.“

 

„Ich weiß aber gar nicht, was ich alles fragen möchte. Worauf ich wirklich Antworten will und was ich lieber gar nicht hören will. Vielleicht ist es besser, manche Sachen gar nicht zu wissen.“

Emma streckte den Arm aus und ließ endlich das Kissen wieder aufs Sofa fallen.

Ihr Blick wanderte durch das Wohnzimmer und dann zu Cayden hinüber, der sorgsam Tee kochte. Sie wusste es wirklich nicht.

 

Cayden warf einen kurzen Blick auf die Uhr, um die Zeit nicht zu übersehen, wie lange der Tee ziehen musste, danach betrachtete er Emma eingehend.

Er gab ihr durchaus Recht. Es gab Dinge, die sie wohl besser nicht hören sollte und wie sie schon sagte, bestimmt auch nicht hören wollte. Aber Cayden konnte nicht einfach ins Blaue raten, was er nun am besten geheim hielt und worüber er offen plaudern konnte.

„Letztendlich musst du das selbst entscheiden, Em. Ich weiß nur, dass ich dich nicht mehr anlügen werde.

 

„Zum Beispiel möchte ich wissen, wie ...“ Zwar kam sie sich vor wie ein kleines Kind, aber ihre Hände ballten sich trotzdem zu Fäusten und Emma straffte sich. „Wie stellst du dir das alles in Zukunft vor?“

Wollte er sich eine Nebenquelle suchen? Wollte er Emma heiraten, sobald die Scheidung durch war? Nur, weil er das schon immer so gemacht hatte?

Emma spürte die Tränen auf ihrem Gesicht, aber wollte sie nicht wahrhaben. Trotzig wischte sie sie weg und starrte Cayden an. Sie wollte ... eine Antwort.

 

Im einen Moment war er verblüfft, im nächsten schockiert. Emma hatte tatsächlich Tränen auf den Wangen und das so unvermittelt, dass Cayden das Gefühl hatte, irgendetwas verpasst zu haben. Er hatte sie auf gar keinen Fall verletzen wollen. Hatte er das denn getan?

„Ich … weiß es nicht“, gab er schließlich ehrlich zu, da er nicht wusste, was er sonst hätte sagen oder tun können. Emma hatte ihn mit ihrer Reaktion total überrumpelt.

„Ich weiß nicht, was mir die Zukunft bringt. Zumindest nicht mehr. Denn ehrlich gesagt, ist das alles neu für mich. Ich …“

Cayden fuhr sich durchs Haar, während er seinen Blick beinahe hilflos durch den Raum gleiten ließ, als könnten ihm die Möbel passende Worte zuflüstern. Was sie natürlich nicht taten. „Ich habe noch nie so intensiv für jemanden empfunden. Natürlich war ich schon verliebt, aber das kann man nicht damit vergleichen.“

 

Sie war so wütend auf sich selbst, dass sie am liebsten geschrien hätte. Unfähig, die Tränen zurückzuhalten und doch zu stur, um sie ganz herauszulassen, stand Emma stumm und zitternd da und starrte Cayden an.

Er wusste es nicht? Das war das Letzte, was Emma erwartet hatte. Cayden war ihre letzte Lösung gewesen. Die letzte Hoffnung auf einen Plan, der alles wieder in ordentliche Bahnen lenkte. Dass er jetzt nicht einmal den Ansatz eines Planes hatte, dass er selbst nicht wusste, was er tun würde, machte sie ganz rasend und unendlich unsicher zugleich. Am liebsten hätte sie auf das Sofakissen eingeschlagen und ihr Gesicht im nächsten Moment darin vergraben, um ungehalten zu schluchzen.

„Verdammte Hormone!“, schimpfte sie leise vor sich hin, wischte sich noch einmal die Wangen trocken und ließ sich dann auf die Lehne des Sofas nieder. Mit einem Mal schien die gesamte Spannung aus ihrem Körper gewichen zu sein.

Cayden liebte sie. Das hatte er gesagt. Aber es gab auch noch Vanessa und die Ehe, die er nicht ohne Weiteres beenden konnte.

Emma zählte die Punkte tatsächlich an den Fingern ab.

Die Firma. Das Baby. Vampire. Die Tatsache, dass er Blut brauchte. Von ihr? Von jemand anderem? Von mehr als ihr? Die Verleumdungen.

Eine Gänsehaut lief über Emmas Rücken.

Erstaunt sah sie zu Cayden hoch und es spiegelte sich so viel Überraschung in ihrem Blick, dass es ihn zu irritieren schien.

Sie hatte etwas vergessen!

Ihre Lippen pressten sich zu einem schmalen Strich aufeinander und die verschiedensten Emotionen huschten über Emmas Gesicht, bevor sie aufstand, zu Cayden hinüberging und ihn umarmte.

Die Umarmung ging fließend in ein Klammern über, mit dem Emma ihr Gesicht an seiner Schulter vergrub und die Augen schloss. Warum hatte sie eigentlich bisher nie gefragt, was sie eigentlich wollte? Warum war es so wichtig, was alles schief lief und wer von allen Seiten an Cayden zerrte. Vielleicht war es ja auch bedeutend, was in ihr vorging. Der Mutter seines Kindes!

Ihr eigener Atem schlug ihr heiß ins Gesicht, aber Emma hatte weder Lust, noch Kraft sich aus ihrer selbst erhaschten Höhle zu befreien. Es fiel ihr nicht leicht, zu formulieren, was sie selbst wollte. Aber ... möglicherweise musste sie das auch noch nicht im Großen und Ganzen wissen. Vielleicht reichte es schon, wenn sie wusste, dass sie genau das hier wollte. In diesem Moment wollte sie hier sein. Und sie wollte Cayden so nah sein. Das reichte doch schon fürs Erste.

 

Emma stürzte ihn in ein Gefühlschaos. Auf ihrem Gesicht zeichneten sich so viele Emotionen ab, das er nicht sagen konnte, was gerade genau in ihrem Kopf vorging. Cayden wusste nur, dass es gerade ratsam war, sie damit in Ruhe zu lassen, bis sie selbst zu einem Ergebnis kam, weshalb er inzwischen die Teebeutel aus den Tassen nahm und sich dann wieder vollkommen auf Emma konzentrierte.

Gerade richtig, wie es schien, denn im nächsten Moment stand sie auf, kam auf ihn zu und warf sich an seine Brust. Sie drückte sich so fest an ihn, dass ihre Kraft schon bewundernswert für eine Frau war, aber den Gedanken ließ er schnell wieder fallen, als er seine Arme um sie schloss und sie ebenfalls festhielt, wenn auch merklich sanfter.

Sie endlich wieder so nahe bei sich zu haben, löste auch ihn ihm eine Reihe an Emotionen aus. Der erste Gedanke war, dass er sich nie wieder von ihr lösen wollte. Der zweite, dass er sie so unglaublich vermisst hatte.

Cayden vergrub sein Gesicht in ihrem weichen Haar, sog tief den Duft ihres Körpers ein und begann sich merklich zu entspannen. Sie konnten noch so schwierige Dinge besprechen und noch so viel Distanz zwischen sich schaffen, Emma würde immer ihre Wirkung auf ihn haben, egal was davor passiert war.

Seine Hände strichen über ihren Rücken, streichelten ihren Nacken und hielten sie stetig an ihm fest. Cayden hatte nicht vor, das allzu schnell wieder herzugeben.

 

Kurz war sie erstaunt über die sanfte Berührung, über das Streicheln der Hände an ihrem Rücken. Aber Emma genoss diese Berührungen auch unendlich und schloss die Augen. Auf einmal fühlte sie sich müde und hätte auf der Stelle einschlafen können.

Emma fühlte, wie Wärme sich umhüllte und wie wenig sie sich wieder von Cayden lösen wollte. Ob sie für immer hier so stehen konnten?

Ihr Verstand sagte ihr, dass die Realität nicht so einfach war. Aber Emma schob diese Wahrheit zur Seite und ignorierte die Realität so lange sie konnte.

 

Wie lange sie einfach nur so dastanden, konnte er nicht sagen. Vielleicht nur wenige Sekunden, vielleicht aber auch viele Stunden. Cayden hatte jegliches Zeitgefühl verloren, während er das alles hier zu sehr genoss. Aber lange konnte er sich nicht daran erfreuen, ehe seine Gedanken sich wieder mit aller Macht melden wollten. Sein Kopf war ohnehin zu voll, weshalb er eine Weile darum kämpfte, ihn leer zu räumen. Vergebens. Außerdem ließ Emmas nachlassende Berührung ihn erahnen, wie lange sie hier schon standen.

„Ich denke, das Mousse au Chocolat kann auch noch bis morgen warten“, flüsterte er ihr leise zu.

„Es wird Zeit, dass ich meinen Job als Jedi-Sandmann wieder aufnehme.“

Cayden streichelte sie noch ein letztes Mal und drückte ihr einen Kuss auf das weiche Haar. „Lass mich dich ins Bett bringen.“

 

Emma schien sich aus einer Art Kokon lösen zu müssen, als Cayden ihre heile Welt mit Bewegung und Stimme erschütterte. Zwar war es nichts Schlimmes, was er sagte, aber sofort schienen kalte Finger nach Emma zu greifen, als sich auch nur abzeichnete, dass sie Cayden loslassen musste.

Ins Bett?

Ihre Augenlider waren schwer und sie sah Cayden nicht wirklich enthusiastisch an, als er ihr das vorschlug. Aber genauso gut wusste Emma, dass es eine gute Idee war, die Mousse Mousse sein zu lassen und sich etwas Ruhe zu gönnen. Sie wollte zwar nicht auf die Uhr sehen und feststellen, dass es gerade einmal zehn geschlagen hatte. Aber es war sicher auch egal, wie spät es war.

Also nickte sie nur und ließ sich von Cayden an die Hand nehmen. Irgendwie schien sie schon so lange nicht mehr hier gewesen zu sein. Es kam ihr alles ein wenig fremd und Emma sich wie ein seltener Gast vor. Etwas, das sie wahrscheinlich auch bald ändern sollten. Oder nicht?

 

Cayden führte sie in sein eigenes Badezimmer, wo er sie alleine ließ, um ihr die Zeit zu geben, sich für das Bett fertigzumachen, während er sich in seinem Schlafzimmer umzog.

Sie hatten sich zwar schon gegenseitig nackt gesehen, aber es war dennoch noch nicht selbstverständlich, dass sie sich voreinander umzogen und schon gar nicht, nachdem schon so viel Zeit seit ihrer letzten intimen Begegnung vergangen war.

Cayden machte auch noch eine Runde durch die Wohnung, um sämtliche Kerzen zu löschen. Lediglich die auf seinem Nachtkästchen ließ er noch brennen, damit Emma den Weg zu seinem Bett fand, während er sich selbst noch schnell die Zähne putzte.

Nicht sehr viel später lagen sie beide im Bett und dieses Mal zögerte Cayden nicht, als er nach Emma suchte und sie nahe an sich heranzog. Seine Arme schlossen sich wieder um sie und erst jetzt wurde ihm deutlich bewusst, wie schmerzlich er ihren fehlenden Duft in seinen Kissen vermisst hatte. Sein Bett war ohne sie groß und leer gewesen. Kein Schlafplatz, den man freiwillig wählen würde, wenn man eine andere Wahl hätte.

Cayden küsste sie zärtlich auf die Stirn.

„Gute Nacht, Em.“

 

Sie war froh.

Froh darüber, dass er nichts von ihr zu erwarten schien. Dass er nichts von ihr verlangte und keine merkwürdige Stille sich zwischen sie legte. Stattdessen kuschelte Emma sich in Caydens Arme und lächelte sanft, als er ihr eine gute Nacht wünschte. So müde, wie sie war, würde sie bestimmt gut schlafen. Oder auch überhaupt nicht.

„Gute Nacht.“

Das wünschte sie ihnen beiden, und dass sie Morgen aufwachen würden, ohne zu sehr über alles grübeln und sich merkwürdig fühlen zu müssen in den Armen des anderen.

„Schlaf gut.“



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