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Dark Night's Kiss

von

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51. Kapitel

Wer bei der Vorstandssitzung dabei gewesen war, den dürfte es nicht wundern, warum sich währenddessen langsam aber sicher Kopfschmerzen bei Cayden einnisteten, die sich auch danach hartnäckig weigerten, wieder zu verschwinden. Aber allein der Gedanke an den bevorstehenden Besuch bei Vanessa gab den Schmerzen noch zusätzlich Nahrung.

Cayden hatte extra im Krankenhaus angerufen, um sich vorher anzukündigen. Er war zwar offiziell von allen Anklagepunkten frei gesprochen worden, aber er wollte nicht riskieren, von irgendjemandem aufgehalten zu werden, wenn er sich schon zu diesem Schritt entschloss.

Das Krankenhaus hatte ihm bestätigt, dass Vanessa ihn der Lage war, ihn zu empfangen und auch zugestimmt hatte, das zu tun. Cayden hätte es doch stark gewundert, wenn sie ihn nicht hätte sehen wollen. Um ehrlich zu sein, hatte er sogar darauf gehofft, dass sie ihn abweisen würde, damit er diesen Schritt nicht machen musste, aber natürlich war ihm das nicht vergönnt.

Zwanzig Minuten und eine Menge unangenehmer Blicke später rieb Cayden sich gründlich das vorgeschriebene Desinfektionsmittel in die Hände ein und konnte dabei kaum verhindern, dass der stechende Geruch seine sensiblen Geruchsrezeptoren total überforderte. Der Schmerz, der daraufhin in seinem Kopf explodierte war beachtlich, aber selbst wenn er hier auf der Quelle von Schmerzmitteln saß, ging er ungerührt durch die Zugangsschleuse in Vanessas Zimmer, um das Treffen nicht noch weiter hinauszuzögern.

Ein paar Schritte vor ihrem Bett blieb er stehen, und zum ersten Mal in Vanessas Leben wollte sich so etwas wie Mitleid für sie in ihm ausbreiten. Cayden erkannte sie nicht mehr. Unter all den Schläuchen und Drähten schaute ein blonder Haarschopf hervor, doch das, was einst ein makelloses Gesicht gewesen war, schien nun zu einer einzigen violett-blauen Masse zugeschwollen zu sein. Selbst ihn, der schon so viel Grausamkeiten gesehen hatte, wie man sie nicht einmal im Fernsehen erleben konnte, schockierte dieser Anblick.

Langsam kam er näher, musterte all die blinkenden und piependen Apparate, ehe sein Blick wieder auf die mehr als zerbrechlich wirkende Frau in dem großen Krankenhausbett fiel. In diesem Augenblick war es ihm unmöglich, zu glauben, sie hätte auch nur irgendetwas mit dieser Sache zu tun, außer unfreiwillig die Rolle des Opfers einzunehmen.

„Wer hat das getan?“ Seine Stimme war kühl, beinahe kalt vor Wut. Selbst Vanessa wünschte er so etwas nicht an den Hals.

Schwach blitzte es unter dem geschwollenen Augenlid hervor, das im Vergleich zum anderen noch richtig gut aussah. Sie war also wach. Ganz wie er vermutet hatte.

„Cayden?“ Ihre Stimme war nur ein Flüstern, aber kein Problem für sein vampirisches Gehör. Er kam noch näher.

„Wer war es, Vanessa?“, fragte er noch einmal fester nach. Schon allein dafür könnte er dem Täter die Kehle und sämtliche Gliedmaßen herausreißen. Wer keine Skrupel hatte, eine schwache Frau so zu zurichten, der verdiente Nichts anderes.

„Weiß … nicht …“ Sie versuchte sich zu bewegen, zuckte dann allerdings vor Schmerz zusammen und atmete schwerer als ohnehin schon.

„Tut weh … Bitte … hilf …“ Das eine Auge, das er gerade noch so sehen konnte, war getrübt vor Schmerz, aber sie sah ihn damit so intensiv an, dass sich seine Nackenhärchen sträuben wollten. Sein Entschluss wurde durch eine ganze Lawine an Mitleid hinfort gerissen, weshalb er nicht weiter nachhakte, sondern sogar flüchtig die kühle Hand streifte, die so weiß war, dass sogar das Laken darunter einen Grauschleier aufzuweisen schien.

„Ich hole eine Schwester, die dir noch mehr Schmerzmittel geben kann.“

Cayden wollte sich gerade umdrehen, als plötzlich eine Hand nach seiner packte und ihn festhielt. Schwach zwar, aber ziemlich eindeutig. Verblüfft drehte er sich wieder um, sah zuerst die schmalen Finger an, die sein Handgelenk kaum umfassen konnten und dann in Vanessas Gesicht. Sie schüttelte so schwach den Kopf, dass er es sich auch nur einbilden konnte, aber ihre aufgeplatzte Lippe formte etwas, das er nicht missverstand.

„B-blut … Bitte … Dein ...“ Weiter kam sie nicht, da sie offenbar von einer weiteren Schmerzwelle überrollt wurde und ihre Finger schlaff von ihm abfielen. Ihr Atem ging nun regelrecht keuchend.

„Nein, Ness.“ Er schüttelte entschieden den Kopf. Sie war am Leben und würde es auch bleiben. Dafür hatte sein Blut bereits gesorgt, denn ansonsten konnte er sich kaum vorstellen, dass jemand solche Verletzungen überlebte.

Sie begann zu weinen. Zunächst unauffällig, aber schon bald war die Tränenspur auf ihrer Wange nicht mehr zu übersehen.

Der zweite Schock. Cayden hatte Vanessa in den ganzen zehn Jahren nicht ein einziges Mal ernsthaft weinen gesehen. Ebenso wenig hatte sie ihn so eindringlich angefleht, wie sie es jetzt mit ihrem stummen Blick tat.

Cayden wollte gehen. Eine Schwester rufen, die ihr die Schmerzen etwas lindern konnte, sodass er das nicht länger mit ansehen musste. Doch anstatt sich weiter vom Bett zu entfernen und den beengenden Raum zu verlassen, trat er ungewollt noch näher, sodass seine Beine an den Rand des Betts stießen.

„Bitte …“

Ihr Blick schnürte ihm die Kehle zu.

„Bitte … Cay-den …“

Sein Widerstand brach. Er konnte das nicht länger mitansehen. So sehr er diese Frau auch verachtete, war ihr Schmerz doch real und Cayden war alles andere als herzlos. Ganz im Gegenteil. Im Augenblick verfluchte er dieses Ding sogar, weil es ihn schwach machte.

Ruckartig riss er seine Hand hoch und hob sie an seine Lippen.

„Wenn es dir wieder besser geht, reden wir. Verstanden? Du wirst mir alles sagen, was du weißt und danach lassen wir uns scheiden.“

Cayden rührte sich so lange nicht, bis sie schwach nickte, danach biss er sich tief in den Daumen und legte ihn schnell an Vanessas Lippen, ehe auch nur ein Tropfen seines Blutes fallen konnte.

Sie war beinahe zu schwach, um den Mund richtig zu öffnen, aber er sah, wie sie mühsam einen Tropfen nach dem anderen schluckte und ihr Körper sich schließlich zu entspannen begann. Das war der Zeitpunkt, an dem Cayden seinen Daumen zwischen seine anderen Finger steckte, eine Faust bildete und damit den Raum verließ.

Für heute hatte er wirklich genug erlebt und die zweite vorgeschriebene Ladung Desinfektionsmittel in der offenen Wunde gab ihm den Rest.

 
 

***

 

Emma hatte sich entschieden, ihre Sorgen mit auf die Straße zu nehmen. Nach dem Curry mit Cayden war sie in die Firma zurückgefahren, hatte erledigt, was erledigt werden musste und sich dann pünktlich zum Feierabend in die Menschenmengen am Pier gestürzt. Allerdings half der Anblick von glücklich lächelnden, Händchen haltenden Pärchen nicht gerade dabei, sie aufzumuntern. Immer wieder wanderten ihre Gedanken zu Cayden ins Krankenhaus. Zu Vanessa, die bestimmt versuchen würde, ihn zu manipulieren, so wie sie es immer getan hatte. Und wie sie es so viele Jahre erfolgreich geschafft hatte.

Emma wurde es richtig flau im Magen, als sie an die Art dachte, mit der Vanessa ins Büro gestöckelt gekommen war, um ihren Ehemann zu besuchen. Natürlich war es für sie selbstverständlich gewesen, aber Emma würde so ein Verhalten auch dann nicht an den Tag legen, wenn sie vielleicht jedes Recht dazu hatte.

Tief in Gedanken ließ sich Emma auf einem der vielen Betonklötze nieder, die zum Verweilen auf dem Pier aufgestellt worden waren. Wellen platschten leise und Emmas Blick ging auf das Meer hinaus.

Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Seit sie Cayden kannte – nein, seit sie sich in ihn verliebt hatte – geschah ihr das so oft, dass sie ziemlich schnell wütend auf sich selbst wurde. Wie hatte ihr das alles eigentlich passieren können? Wo war sie da hineingeraten? Und ... wie würde sie wieder herauskommen?

Es gab wie immer mehrere Möglichkeiten. Grundsätzlich ging es darum, ob Cayden sich endgültig für sie oder für Vanessa entschied. Um positiv zu bleiben, dachte Emma nur bei der ersten Möglichkeit weiter. Wenn sie also mit Cayden zusammenbleiben konnte ... durfte ... würde? Was würde dann aus ihnen beiden werden? Behielt er seine Firma? Verlor er sie? Würde er eine Arbeit finden? Würde Emma einen Job finden, wenn sie nicht mehr für Cayden arbeiten konnte? Wie lange konnte sie denn arbeiten, wenn sie doch ...

Ihr Blick riss sich vom Meer los und flog zu ihrem Bauch, auf den Emma unwillentlich eine Hand gelegt hatte. Ein Schwall von Panik schwappte über sie hinweg. Was ... wenn sie nicht gut für das Baby sorgen konnten? Ihr Herz schien zusammengepresst und ausgewrungen zu werden, wenn sie sich das auch nur vorstellte. Sie und Cayden in ihrem Zimmer in der WG ... dann das Baby.

Emma lachte, um bloß bei der Vorstellung nicht heulen zu müssen. Was reimte sie sich hier nur zusammen?

 
 

***

 

Caydens Gedanken wollten sich überschlagen und das ohnehin schon schmerzhafte Stechen in seinen Schläfen verstärken. Aber nicht nur deshalb zwang er sie nieder, so gut er konnte, um sich später damit zu beschäftigen. Er hätte sich sonst auch keinen Moment lang auf den Abendverkehr konzentrieren können.

Als er wieder einmal an einer roten Ampel halten musste, fiel sein Blick auf seinen rechten Daumen und die frische Wunde, die dort in wütendem Rot auf sich aufmerksam machte. Zwar war der Biss bereits geschlossen, aber sein eigenes Blut konnte seinen Körper nicht so schnell heilen wie den eines Menschen. Zudem taten das scharfe Desinfektionsmittel und sein Durst ihr Übriges, um den Heilungsfortschritt zu verlangsamen.

Warum hatte er das getan? Vanessa hätte auch ohne weiteres Blut überlebt. Da war er sich sicher. Sie hätte ...

Wütendes Hupen riss ihn wieder aus den Gedanken und ließ ihn das Gaspedal so schnell hinunterdrücken, dass der Wagen mit einem deutlichen Quietschen einen Satz nach vorne machte. Für die restliche Strecke hielt er seine Gedanken zurück, um wenigstens dem Verkehrschaos entfliehen zu können, wenn er dem in seinem Kopf schon nicht entkommen konnte.

Cayden hatte keine Ahnung, ob Emma schon zu Hause war, dennoch parkte er in der Nähe und ging das kleine Stück bergauf zu ihrem Haus. Hier war es ruhig und auch die frische Luft tat seinem Kopf ganz gut.

Obwohl ihm seine Sinne sagten, dass das Haus momentan leer war, läutete er dennoch an und war nicht weiter überrascht, dass niemand aufmachte, also zückte er sein Handy und setzte sich auf die Treppe vor dem Haus. Doch als er Emma eine Nachricht schreiben wollte, schwebte sein angeschlagener Daumen nur ziellos über den Tasten, bis der Bildschirm wieder erlosch und er das Handy schließlich unbenutzt zurück in seine Hosentasche steckte.

Cayden stützte seine Arme auf den Knien ab und ließ den Kopf hängen, um seine Schuhspitzen zu betrachten und doch nicht wirklich wahrzunehmen. Seine Gedanken machten sich einfach selbstständig und dieses Mal hielt er sich nicht mehr zurück. Er durchlebte noch einmal das Gefühlsbad, das ihn da in diesem kleinen Raum voller piepender Geräte überkommen war.

Er wusste nicht, ob er einen Fehler begangen hatte.

 

Irgendwann war sie wohl aufgestanden, hatte sich in Richtung Innenstadt aufgemacht und sich dann in den Bus nach Hause gesetzt. Emma stieg eine Station früher aus, holte im Laden noch eine Tafel Schokolade und ging dann langsam den Berg hinauf bis zum Tor, wo sie innehielt.

Ihre Hand lag auf dem Knauf, doch Emma bewegte sich nicht. Sie sah zur Treppe hinauf, wo Cayden saß und ... Nun ja, Emma konnte nicht genau sagen, was er dort machte.

Er sah müde aus. Und ... irgendwie fehl am Platz. Vor ihrem Haus, mit den bunten Blumentöpfen, den abblätternden Fensterrahmen und dem, was dahinter lag, schien Cayden in seinem eindeutig teuren Designeranzug einfach nicht hinzugehören. Er wirkte wie jemand, der sich nicht nur in der Stadt, sondern in einer sehr viel größeren Dimension verlaufen hatte.

Das Tor quietschte, als Emma hindurchtrat, zur Treppe ging und sich neben Cayden sinken ließ. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihn berühren durfte, oder ob das in dieser Situation genau das Falsche war. Und wieder einmal wurde ihr bewusst, wie wenig sie sich doch kannten.

 

Cayden blickte hoch, als er Emma am Tor bemerkte. Eigentlich hätte er sie schon viel früher wahrnehmen müssen, aber er war so tief in Gedanken versunken gewesen, dass er sie nicht hatte kommen hören. Ganz zu schweigen von ihrer Witterung, obwohl der Wind günstig stand.

Da sie nichts sagte, sondern sich einfach nur zu ihm setzte, konnte auch er sich zu keinem Wort durchringen. Er vertraute seiner Stimme ohnehin nicht. Im Moment war er weit davon entfernt, auch nur annähernd als gelassen durchzugehen. Allerdings wollte er Emma auch nicht mit seinem Verhalten beunruhigen, weshalb er sich bereits wieder sammelte, als er einen Arm um sie legte und sie an seine Brust zog.

Cayden drückte seine Nase in ihr Haar und atmete tief und langsam ihren beruhigenden Duft ein, der ihm besser als alles andere half, die vorhin erlebten Eindrücke wieder etwas zur Seite zu schieben und somit mehr Abstand davon zu gewinnen. Leider verstärkte es auch seinen Durst, aber damit konnte er umgehen.

Nachdem er sich wieder so weit im Griff hatte, dass er auch seiner Stimme traute, löste er sich leicht von Emma und sah ihr ins Gesicht. „Wir sollten hineingehen, ehe du dir auf dem kalten Boden noch etwas einfängst.“ Außerdem sehnte er sich nach dem behaglichen Gefühl ihrer kleinen chaotischen Behausung, bei der nicht alle Möbel und Gegenstände penibel aufeinander abgestimmt waren. Etwas Normalität würde ihm sicherlich nicht schaden und vielleicht ließen dann auch seine Kopfschmerzen etwas von ihm ab.

 

„Keine Sorge ...“ Der Satz verlief im Sande, da Emma nicht wusste, wie sie ihn beenden sollte. Cayden hörte sich so müde an, wie er aussah und irgendwie wollte sie ihn wirklich nur ins Haus bringen und ihn aufs Sofa setzen.

Was sie mehr oder weniger auch tat, sobald sie drinnen waren und Emma einigermaßen sicherstellen konnte, dass Cayden sich setzte. Sofort ging sie zum Wasserkocher, setzte Wasser auf und holte zwei Tassen aus dem Schrank.

„Tee?“

Eigentlich war es eine rhetorische Frage. Sie würde auf jeden Fall Tee machen.

„Milch und Zucker?“

 

„Ja, bitte.“ Cayden ließ sich so tief in die Polsterung der Couch sinken, dass man sich fragen musste, ob er dort ohne Hilfe wieder herauskam. Aber im Augenblick hatte er ohnehin nicht vor, aufzustehen. Stattdessen sah er sich in dem gemütlichen Wohnzimmer um und musste sogar leicht lächeln, als er die gelbe Blume auf dem Gehäuse des Fernsehers sah. Wer kam schon wirklich auf die Idee, seinen Fernseher so zu schmücken? Auf jeden Fall war es erheiternd und schon allein dafür zahlte sich der Versuch aus.

Allerdings wurde Cayden nur allzu schnell wieder ernst, als er seine Brille abnahm, seine Ellenbogen auf den Knien abstützte und das Gesicht in seinen Händen vergrub. Er massierte sich mit seinen Daumen die Schläfen, aber gegen das heftige Stechen darunter konnte er kaum etwas damit ausrichten. Also setzte er sich wieder die Brille auf und kam nun doch wieder auf die Beine, um sich etwas von dem Schmerz und seinen anderen Gedanken abzulenken, während er sich im Wohnzimmer die Bilder ansah, die vereinzelt an ausgewählten Orten platziert worden waren.

Es war wirklich eine fröhliche kleine WG und man sah den Leuten auf den Fotos an, dass sie gut miteinander auskamen, aber am Faszinierendsten blieb für ihn wohl immer noch Emma.

 

Da Caydens Antwort für die erste, wie auch für die zweite Frage hätte gelten können, machte Emma Tee und stellte dann Milch und Zucker mit zwei Löffeln auf ein Tablett und trug es hinüber ins Wohnzimmer, wo sie das Ganze auf dem Couchtisch abstellte und dann Cayden etwas hilflos ansah.

Sie wusste nicht, was sie sagen oder fragen sollte. Ihr kamen nur blödsinnige Einstiegsmöglichkeiten in ein Gespräch in den Sinn und alle enthielten sie in der ein oder anderen Weise Vanessas Namen. Emma wollte nicht über sie sprechen und doch wusste sie, dass es sich nicht vermeiden lassen würde. So feige es vielleicht auch war, aber wenn sie sich schon damit konfrontieren lassen musste, wollte sie, dass Cayden mit dem Thema anfing. Immerhin war er auch derjenige, der etwas zu berichten hatte. Was und in welcher Form ... das würde Emma dann noch sehen.

 

Als Emma mit dem Tee kam und das Tablett auf dem Couchtisch abstellte, setzte auch Cayden sich wieder hin, schenkte ihnen beiden ein und nahm dann eine Tasse an sich. Einen Moment starrte er gedankenverloren in seinen Tee, ehe er sich wieder einen Ruck gab und auch noch etwas Milch und Zucker hinzufügte.

Das gleichmäßige Rühren in seiner Tasse ließ ihn allerdings nur allzu schnell wieder weit weg driften, bis sogar seine Hand zum Stillstand kam. In Gedanken betrat er wieder das Krankenzimmer. Sah Vanessa vor sich, oder das, was man von ihr übrig gelassen hatte. Da waren wieder die vielen Schläuche und Geräte. Auch einen Katheter hatte man ihr gesetzt, da sie in diesem Zustand unmöglich das Bett hätte verlassen können. Cayden wollte gar nicht wissen, wie es unter dem weißen Laken aussah.

Sein Verstand sagte ihm, dass er richtig gehandelt hatte, in dem er ihr etwas von seinem Blut gegeben hatte, damit sie wieder schneller auf die Beine kam. Es würde nicht zu schnell gehen, sodass die Ärzte an ein medizinisches Wunder glauben könnten, aber es würde alles zumindest etwas beschleunigen.

Warum also fühlte es sich dann so falsch an, was er getan hatte?

Natürlich könnte es daran liegen, dass er Vanessa einfach nicht mochte, was früher jedoch einmal anders gewesen war. Aber im Laufe der Jahre war sie immer unerträglicher und arroganter geworden. Es wurde ihm immer mehr ein Rätsel, wie er sie überhaupt hatte heiraten können. Er hatte schon so viel bessere Frauen gehabt, nur mit dieser hatte er wirklich daneben gegriffen. Aber einmal von seiner fehlenden Sympathie abgesehen – gab es denn noch einen Grund, um es zu bereuen, ihr geholfen zu haben?

Cayden könnte sogar mehrere aufzählen, die ihm zu dem Zeitpunkt gar nicht in den Sinn gekommen waren. Zum einen war er inzwischen schon wieder sehr durstig, weshalb es immer ein Risiko war, sich auch nur im Geringsten selbst zu schwächen. Selbst wenn es nur ein paar Tropfen gewesen waren. Dann war da auch noch die unleugbare Tatsache, dass er sich schon wieder mit Vanessa eingelassen hatte, obwohl er eigentlich einen Schlussstrich hatte ziehen wollen. Allerdings änderte das nichts an seinem Entschluss, sich so bald wie möglich scheiden zu lassen und dahingehend wäre es sogar besser, wenn sie schneller wieder auf die Beine kam, um so einem Verfahren beiwohnen zu können.

Es war Caydens nächster Gedanke, der die Sache endgültig auf den Punkt brachte und ihn schließlich hochsehen ließ. Direkt in Emmas Augen.

Er hatte sie hintergangen. Natürlich stimmte das rein objektiv betrachtet nicht unbedingt, aber in dem er Vanessa einen Teil von sich gegeben hatte, fühlte es sich so an, als hätte er Emma auf irgendeine groteske Art und Weise betrogen.

Vorsichtig hob Cayden die Tasse an seine Lippen und trank einen kleinen Schluck des heißen Tees. Er war sich nicht sicher, wie Emma auf diese Offenbarung reagieren würde, oder wie er es ihr am Besten erklären könnte.

 

Emma nippte an ihrem Tee und wurde immer unsicherer, je länger das Schweigen sich ausdehnte. Es schien bereits bis in jeden Winkel des Raumes zu reichen und so erschrak Emma geradezu, als Cayden schließlich auf und in ihre Augen sah.

Fragend blickte sie zurück, wagte aber immer noch nicht recht den Mund aufzumachen. Das Schweigen schien zu stark zu sein.

Nach einer Weile, die sie beide weiterhin still ihren Tee getrunken hatten, ließ Emma sich endlich auf einen Sessel sinken und stellte die halbvolle Tasse auf der Armlehne ab.

„Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber bei meinen derzeitigen Kräften im Gedankenlesen werden wir hier noch Jahre sitzen. Ich komme nicht weiter.“

 

Cayden verstand den Wink, nahm aber dennoch zwei weitere Schlucke von dem Tee, ehe er die Tasse auf dem Tisch abstellte und sich auf seinen Knien abstützte, während er seinen rechten Daumen betrachtete.

„Es ist schlimmer, als ich es mir vorgestellt habe“, begann er ruhig, ja geradezu tonlos zu sprechen. „Ich hätte sie nicht wiedererkannt, wenn man mir nicht ihr Zimmer gezeigt hätte.“ Dass es um Vanessa ging, wusste Emma bestimmt auch so. Unnötig, ihren Namen zu erwähnen.

„Wer auch immer das getan hat, war äußerst fähig oder hatte tatsächlich vor, sie zu töten. Vielleicht wäre es dem Angreifer sogar gelungen, wenn sie nicht noch etwas von meinem Blut in sich gehabt hätte.“ Was ihn wieder auf das Thema brachte, das so sehr an ihm nagte.

Cayden hatte das Gefühl, sein Kopf würde nur noch schwerer werden, weshalb es ihm enorme Kraft kostete, ihn zu heben, um Emma ansehen zu können.

„Ich … habe ihr vorhin noch etwas davon gegeben“, offenbarte er schließlich, während er unbewusst mit seinen Fingern die bereits heilende Wunde nachzeichnete.

„Damit sie wieder schneller auf die Beine kommt.“ Er ließ den Kopf wieder sinken. Er war einfach so verdammt schwer.

 

Oh ... Der Ausruf formte sich tonlos auf Emmas Lippen, denn sie brachte bei der Schilderung kein Wort heraus. Ihre Finger krallten sich um die Teetasse und Emma schluckte hart, bevor sie auch nur daran denken konnte zu antworten.

„Wieso ...“ Ihre Stimme kratzte und Emma vertraute ihren Stimmbändern überhaupt nicht. Deshalb legte sie eine Pause ein, bevor sie es noch einmal vorsichtig versuchte.

„Wieso nur?“ Warum sollte jemand ihr das antun?

Emma konnte sich nicht vorstellen, was für Gründe es dafür geben könnte. Und es musste mehr dahinter stecken, als Cayden durch den Dreck zu ziehen. Das hätte der Angreifer vermutlich sehr viel einfacher haben können.

Wobei sich Emma noch eine andere Frage aufdrängte. Wenn sie Vanessa so zugerichtet hatten ... Warum ... Warum hatten sie die unbekannten Schläger am Leben gelassen?

Doch bevor sich Emma mit dieser Frage wirklich auseinandersetzen konnte, setzte Cayden noch einen drauf und eröffnete ihr, dass er Vanessa noch einmal etwas von seinem Blut gegeben hatte.

Jetzt wollte Emma die Kinnlade herunter klappen, aber ihr Herz machte lediglich einen heftigen Sprung, bevor es anfing zu rasen und sich ihr gesamter Körper, einschließlich ihres Gesichts verspannte.

Er hatte ... ihr Blut gegeben? Aber ...

 

Vermutlich wäre es besser gewesen, den Mund zu halten. Aber Cayden konnte seine Worte einfach nicht auf sich beruhen lassen. Er verspürte das Verlangen, sich zu rechtfertigen. Dabei hatte er Vanessa schon unzählige Male sein Blut gegeben, ohne auch nur einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden. Doch immerhin war nun Emma die Frau an seiner Seite, und wenn er schon jemandem etwas so Kostbares von sich geben musste, dann sollte sie es sein. Auch wenn er stark bezweifelte, dass sie auch je nur einen Tropfen von ihm annehmen würde. Schließlich war sie eine Hexe und manche Dinge konnte man nicht einfach so von sich abschütteln. Immerhin musste sie sich wohl überhaupt erst noch an den Gedanken gewöhnen, was es bedeutete, mit einem Vampir zusammen zu sein.

„Du hättest sie sehen sollen“, erklärte er daher sein Handeln. „Sie konnte kaum sprechen. Ihr Gesicht war eine einzige Schwellung und ich habe schon oft genug in meinem Leben echten Schmerz gesehen, um zu erkennen, wenn mir jemand etwas vorspielt und das hat sie nicht.“

Da es draußen inzwischen dunkel geworden war, nahm Cayden seine Brille endgültig ab und legte sie zusammengeklappt neben seiner Tasse auf den Tisch, ehe er sich mit Daumen und Zeigefinger, die Nasenwurzel massierte.

Er atmete einmal tief ein und wieder aus, bevor er sich gerade hinsetzte und seine Müdigkeit und die Kopfschmerzen in den hintersten Winkel seiner Empfindungen verdrängte. Er konnte sich auch noch später darum kümmern.

„Außerdem wird sie auf diese Weise schneller in der Lage sein, mir wichtige Antworten zu liefern. Vielleicht fällt ihr ja doch noch etwas zu dem Überfall ein.“

 

Warum sollte sie es dann dir erzählen?, fragte Emma etwas boshaft und war im nächsten Moment froh, dass sie es selbst auch nur in ihrem Kopf gehört hatte. Sie senkte ihren Blick teilweise aus Scham und weil sie Caydens Anblick nicht sehr viel länger ertragen würde.

Dachte er denn wirklich, es würde so einfach werden? Vanessa würde wieder gesund, eröffnete ihm, was passiert war, er rächte seine Frau und dann würde sie von ihm, seinem Vermögen und allem anderen ablassen?

Am liebsten hätte Emma bitter gelacht. Aber auch das verkniff sie sich. Stattdessen sah sie wieder hoch und wartete, was Cayden sich noch zusammengereimt hatte.

Ihr Herz schlug immer noch hart und unangenehm in ihrer Brust und Emma konnte sich nicht vorstellen, wie das je wieder aufhören sollte. Die Situation war vollkommen verfahren.

 

Cayden schwieg, während er Emma betrachtete. Er wartete auf irgendeine Erwiderung ihrerseits, doch es kam nichts und er war auch nicht gewillt, noch mehr zu dem Thema zu sagen. Natürlich fühlte er sich nicht erleichtert, weil er es ihr gesagt hatte. Aber wenigstens war er ehrlich zu ihr gewesen, da er nicht vorhatte, noch mehr Geheimnisse vor ihr zu hüten. Damit war endgültig Schluss.

„Wann kommen deine Mitbewohner nach Hause?“, wechselte er schließlich das Thema, nachdem das Schweigen immer bedrückender geworden war und er es nicht länger aushielt. Denn im Augenblick schien die sonst so behagliche Umgebung ihm ganz und gar nicht zu behagen. Er wusste noch nicht einmal, ob Emma ihn hier haben wollte, oder ob er besser gehen sollte. Er hatte ohnehin seine Zahnbürste vergessen, auch wenn ihm eine Nacht vernachlässigte Zahnhygiene gerade herzlich egal war.

 

Automatisch sah Emma auf die Uhr über der Tür. „Demnächst.“

Was natürlich viel heißen konnte. „Ich weiß es nicht genau. Eigentlich müssten sie schon hier sein, aber vielleicht sind sie ausgegangen oder zum Essen.“

Das wäre Emma in diesem Moment eigentlich ganz recht gewesen. Sie wollte jetzt nicht, dass jemand hereinkam. Und sie wollte nicht mit Cayden in ihr Zimmer gehen. Dieser neutrale Raum – auch wenn er in ihrem Haus war – kam ihr gerade recht gelegen.

„Wie lange wird es dauern?“

Da Cayden zunächst nicht reagierte, präzisierte sie ihre Frage. „Ich meine, wie schnell wird es Vanessa ... besser gehen?“ Mit deinem Blut hatte sie nicht auch noch in den Satz einbauen wollen. Aber es interessierte Emma durchaus, wie weit die Heilung durch ein wenig Blut fortschreiten konnte.

 

Cayden war eigentlich ganz froh, immer noch alleine mit Emma zu sein. So musste er sich wenigstens nicht verstellen, auch wenn er ihr seine Verfassung ohnehin nicht wirklich zeigte. Aber im Gegensatz zu ihren Mitbewohnern wusste sie, mit was sie es hier auf ihrer Couch zu tun hatte und das war immerhin etwas. Trotzdem musste er einen Moment lang überlegen, als sie ihm diese Frage stellte. Schließlich schüttelte er den Kopf.

„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich jemandem auf diese Weise geholfen habe und ihre Genesung wird zudem auch noch von moderner Medizin unterstützt. Vielleicht eine Woche, bis sie aus der Intensivstation entlassen werden kann. Womöglich eine zweite, bis sie in der Lage ist, das Bett zu verlassen. Für schnellere Ergebnisse war es jedoch bei weitem nicht genug Blut und ich hatte auch nicht vor, aus ihr ein medizinisches Wunder zu machen.“ Oder sich selbst halb ausbluten zu lassen.

 

Emma nickte langsam. „Musst du nochmal hingehen?“

Eigentlich eine dumme Frage, für die sich Emma im nächsten Moment schon fast schämte. Natürlich würde er wieder hingehen. Einerseits, um seine Fragen beantwortet zu bekommen und andererseits, um seiner Frau zu helfen. Wenn es Vanessa wirklich so schlecht ging, würde Cayden vermutlich noch einmal das Gleiche tun, das er heute getan hatte – ihr über den Berg helfen.

Emma fühlte sich so, als hätte sie gegenüber seiner Vorgehensweise bereits resigniert. Natürlich störte es sie, aber so lange war sie mit Cayden auch noch nicht ... zusammen, als dass es sie so schwer hätte verletzen können. Obwohl es total hirnrissig war, dachte Emma darüber nach, dass sie jetzt noch mit wenig Peinlichkeit davon kam, wenn er sich wieder von ihr trennte.

 

„Ich werde noch einmal mit ihr reden, wenn es ihr besser geht. Aber bis dahin gibt es noch andere Dinge zu erledigen.“ Wie zum Beispiel die Firma retten. Eine Scheidung vorbereiten. Etwas gegen seinen Durst unternehmen.

Eigentlich wusste Cayden gar nicht so recht, womit er anfangen sollte, seine Liste abzuarbeiten. Besser wäre es sicher, sich zuerst zu stärken und dann in den Kampf gegen die Presseleute zu ziehen, aber das würde auch bedeuten, dass er sich eine neue Blutquelle suchen musste und da Emmas Reaktion von gestern Abend eigentlich ziemlich eindeutig gewesen war, würde er sich vorerst an jemanden anderen wenden müssen. Er hatte ohnehin nicht vorgehabt, ihr diese Bürde aufzulasten, nachdem sie erst so frisch von seiner wahren Natur erfahren hatte.

Warum nur hatte Helen bei diesem Brand sterben müssen? Nicht nur war sie eine der wenigen Menschen in seinem Leben gewesen, denen er bedingungslos vertraute, sondern zudem hatte er auch stets bedenkenlos von ihr trinken dürfen, ohne darum kämpfen zu müssen.

Allein an sie zu denken, ließ sein Herz bluten und er musste blinzeln, bis er das Verlustgefühl wieder von sich schieben und stattdessen den inzwischen lauwarmen Tee in seine Hände nehmen konnte.

Er klammerte sich daran, als könne das Getränk ihn von dieser drückenden Stimmung im Raum abschirmen, aber Tatsache war nun einmal, dass da etwas in der Luft lag, das sich immer weiter zwischen Emma und ihn schob. Er konnte nur nicht genau benennen, was es war.

 

Emma nickte wieder und spielte gedankenverloren am Henkel ihrer Teetasse herum. „Es gibt noch viel zu tun.“

Allerdings war ihr nicht so ganz klar, was Caydens Pläne waren. „Mit was willst du anfangen?“

Sie selbst hatte nicht genug Ahnung von den Strukturen der Firma, um einen Startpunkt zu finden. Natürlich kannte Emma die wichtigen Leute, sie wusste, wer Partner, wer Geldgeber und wer einfach nur gut für die Publicity war. Aber wie die Firma zu retten war ... dazu fiel ihr gerade so absolut nichts ein.

„Was willst du ... den ganzen Mitarbeitern sagen?“

 

Cayden seufzte. Eigentlich wollte er sich jetzt gar nicht mit alledem befassen. Dafür war der heutige Tag eindeutig schon zu intensiv gewesen. Aber da Emma auch eine der Mitarbeiterinnen der Firma war und somit ebenfalls um ihren Job bangen musste, beantwortete er ihre Fragen. „Ich werde mich erst einmal um Schadensbegrenzung bemühen. Die nächsten Schritte hängen dann davon ab, in wieweit mir das gelingt. Vielleicht werde ich bald eine Mitarbeiterbesprechung einberufen, um die Leute zu beruhigen. Ich habe nicht vor, auch nur eine einzige Person wegen dieser Misere zu entlassen. Selbst wenn ich dafür in die eigene Tasche greifen muss.“

Damit war es Cayden bitterernst. Zudem hatte er ohnehin genügend Rücklagen, um dieses unausgesprochene Versprechen auch wirklich einhalten zu können. Wenn er wollte, könnte er seine Firma mehrmals kaufen und wäre immer noch reich. Das war nun wirklich nicht das Problem.

„Du musst also keine Angst um deinen Job haben, Em“, fügte er sanft hinzu und schenkte ihr endlich einmal ein kleines Lächeln. Was sie persönlich betraf, musste sie im Grunde vor gar nichts mehr Angst haben. Cayden würde für sie da sein und alles für sie tun, wenn sie ihn nur ließ.

 

Ihr Job?

Emma musste ebenfalls lächeln. Darum hatte sie sich keine Sorgen gemacht. Bisher war sie immer auf die Füße gefallen und um ehrlich zu sein, hatte sie nicht einmal daran gedacht, dass Cayden sie entlassen könnte.

„Das glaube ich dir. Wenn Stella geht, wer soll dir die Horden am Telefon und im Vorzimmer fernhalten, wenn nicht ich?“ Ihr Lächeln wurde sogar breiter, bevor es langsam verschwand und wieder einer sorgenvollen Miene Platz machte.

„Um meinen Job geht es mir nicht. Aber wenn man bedenkt, was dir nachgesagt wird, könnte es sein, dass nicht alle bei dir beschäftigt bleiben wollen. Du solltest ... vielleicht mit ihnen reden.“

Andererseits: Was konnte er schon groß sagen? Und würden sie ihm glauben? Ach, es war wirklich zum Haareraufen und auch davon wurde nichts besser.

„Ich brauche noch mehr Tee. Du auch?“ Emma war schon halb aufgestanden.

 

„Das halte ich für keine gute Idee.“ Cayden trank den Rest seines Tees in einem Zug leer und ging dann genauer auf seine Worte ein. Denn er hatte nicht Emmas Vorschlag mit dem Tee gemeint.

„Ich werde mich auf keinen Fall persönlich vor meinen Mitarbeitern rechtfertigen. Dann könnte ich gleich zugeben, dass ich es gewesen bin. Wenn ich eines gelernt habe, dann dass es umso auffälliger wird, je mehr man eine Tat abstreitet. Besser ist es, sich im Stillen darum zu kümmern.“

Cayden stand ebenfalls auf und nahm die Teekanne an sich, bevor Emma es tun konnte. Dieses Mal würde er ihr dabei helfen.

„Außerdem, wer gehen will, soll gehen. Ich werde sicher niemanden aufhalten, der die unwahren Gerüchte nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann.“

 

„Ach tatsächlich?“ Emma hatte noch nie darüber nachgedacht, weil es bis jetzt noch nie notwendig gewesen war. Aber Cayden konnte durchaus recht damit haben, dass er sich als Chef noch zwielichtiger machte, wenn er die Geschichte abstritt. Andererseits mochte Emma es nicht, sich vor Mitmenschen zu verstecken, wenn man nichts Böses getan hatte.

„Oh ...“ Sie grummelte laut vor sich hin und stellte ihre leere Tasse etwas zu schwungvoll auf der Arbeitsplatte der Küchenzeile ab.

„Es ist zum Verrückt werden!“ Mit einem wütenden Funkeln in den Augen sah sie Cayden an. Aber natürlich war ihr negatives Gefühl nicht auf ihn gerichtet.

„Wie ich es auch drehe und wende, es will mir nicht in den Kopf. Wer sollte denn etwas davon haben, dir das alles einzubrocken?“

 

„Wenn ich das wüsste, hätte ich mich schon längst um denjenigen gekümmert“, erklärte Cayden leise aber durchaus düster. Denn so wie ihm die Sache bereits jetzt an die Substanz ging, könnte er gerade nicht versprechen, alles über rein rechtliche Wege zu klären. Doch wollte er Emma auch nicht damit beunruhigen, weshalb er den Wasserkocher wieder neu füllte, aufstellte und sich zu ihr herumdrehte.

Er wagte immer noch nicht, sie zu berühren, im Augenblick reichte es ihm schon, dass sie so nahe war. „Ich will jetzt nicht einfach das Thema wechseln, aber um ehrlich zu sein, wäre es mir lieber, wenn wir es im Augenblick ganz auf sich beruhen lassen. Ich habe mich schon den ganzen Tag damit herumschlagen müssen, im Augenblick habe ich wirklich genug davon. Stattdessen beichte ich dir lieber, dass ich meine Zahnbürste vergessen habe.“

Auch dieses Mal lächelte er ein bisschen und es wurde zunehmend leichter. Gott sei Dank.

 

„Tja.“ Emma verschränkte die Arme vor der Brust und sah Cayden direkt an. „Dann haben wir jetzt wohl ein Problem.“

Etwa zwei Sekunden ließ sie ihn zappeln, bevor sie ihm ein fast schon schönes Lächeln schenkte. „Ich habe keine zweite Zahnbürste und meine darfst du leider auch nicht benutzen. Da bin ich etwas eigen.“

Lächelnd blickte sie kurz weg, bevor sie wieder Cayden ansah. „Der kleine Laden unten am Berg hat bis 22h auf ...“

Es klang wie ein leichter Vorschlag, aber eigentlich schlug Emma es weniger vor, als es zu verlangen. „Ich mache auch Tee, bis du wieder zurück bist.“

 

„Ha, da sind wir schon zwei.“ Nun musste er wirklich lächeln. „Ich bin nicht in vielen Dingen geizig …“, begann er zu erklären. „… aber wenn es um meine Zahnbürste geht, kenne ich kein Pardon.“

Cayden trat näher und es juckte ihn in den Fingerspitzen die vorwitzige Strähne aus ihrem Gesicht zu streichen, die es immer wieder hinter ihrem Ohr hervorlockte. Trotzdem hielt er sich noch zurück, solange er nicht wusste, ob er es wagen durfte oder nicht. Immerhin hatte er immer noch das Gefühl, eine gewisse Vorsicht walten lassen zu müssen.

„Wenn ich gleich in den Laden gehe, habe ich vorher noch zwei Fragen an dich.“ Nein. Er konnte es sich einfach nicht verkneifen, also hob er die Hand, um hauchzart die kleine Strähne über Emmas Wange zurück hinter ihr Ohr zu klemmen.

„Die erste wäre: Kann ich dir etwas mitbringen und die zweite und sehr viel wichtigere Frage lautet: Kann ich deine Worte so auslegen, dass ich dann heute Nacht hierbleiben darf, oder muss ich es mir auf eurer Türmatte bequem machen?“

 

Eine Woge der Erleichterung schoss über Emma hinweg, als Cayden ihr sanft übers Gesicht strich und dann noch diese Fragen stellte. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, dass sie die Zähne zusammengebissen und sich total verspannt hatte. Aber jetzt ... ging es ihr ein wenig besser. Zwar stand die Geschichte mit Vanessa, deren Lügengebäuden und allem anderen noch im Raum zwischen ihnen, aber das änderte nichts daran, dass Emma leichthin antworten konnte.

„Nein, danke. Ich war vorhin schon im Laden und brauche nichts.“

Sie lächelte ihn diesmal warm an und stellte sich Cayden zusammengerollt auf der Veranda vor. „Und ebenfalls nein, du musst nicht draußen, auf dem Boden oder zu Hause bei dir schlafen.“

 

„Danke, Em.“ Er trat näher an sie heran, streichelte ihr dieses Mal tatsächlich über die Wange und wagte es sogar, sich vorzubeugen, um ihr einen zarten Kuss auf die Lippen zu hauchen.

„Du glaubst gar nicht, wie viel mir das bedeutet.“ Es war nur ein Flüstern, aber kam von ganzem Herzen.

„Ich brauche auch nicht lange“, meinte er jedoch keinen Moment später wieder in normaler Tonlage und machte sich fertig, um sich schnell eine Zahnbürste zu besorgen. Das war ja wohl wirklich der kleinste Hinderungsgrund, um bei Emma übernachten zu können und das würde er sicherlich nicht einfach so stehenlassen.



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