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Dark Night's Kiss

von

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47. Kapitel

„Nochmal danke, dass du mich abgeholt hast.“

Emma stellte den letzten Teller in den Schrank, den sie gerade abgetrocknet hatte, und hielt das Geschirrtuch für Rob hin, damit er seine Hände trocknen konnte.

„Schon okay. War ja kaum ein Umweg.“

Was nicht ganz richtig war, aber Emma nahm den Kommentar dankbar hin und verabschiedete sich dann.

„Ich mach noch ein paar Sachen für Morgen fertig. Gute Nacht dann.“

„Nacht.“

Emma nahm sich eine Flasche Wasser und einen Apfel mit in ihr Zimmer, bei dem sie die Tür ordentlich schloss und auch die Vorhänge in Richtung Garten zuzog. Kathy war noch nicht zu Hause und Emma wollte nicht, dass ihre Freundin auf seltsame Gedanken kam, wenn sie sie dabei beobachtete, wie sie das tat, was sie vorhatte.

Zuerst setzte sie sich aufs Bett, schob ihr Kissen ein Stück zur Seite und griff hinter den Rahmen des Bettes, wo ihre Finger nach einer kleinen Weile des Suchens auf Metall trafen. Vorsichtig tastete Emma an dem Dolch entlang, damit sie sich nicht schnitt. Erst als sie den Griff gefunden hatte, zog sie das kleine Werkzeug heraus und hielt es abwägend in den Händen.

Ja, ein Werkzeug. So hatte Emma es bis jetzt gesehen. Nicht als das, was der Dolch ebenfalls sein konnte ...

Die Kuppe ihres Zeigefingers zeichnete die Rune auf dem Griff nach, die sie nur zu aktivieren brauchte, um den Dolch für mehr einzusetzen. Sehr viel mehr, als nur Schutzzeichen zu ritzen.

Emma seufzte, bevor ein entschlossener Ausdruck auf ihr Gesicht trat und sie den Dolch auf den Schreibtisch legte. Unter ihrem Nachtkästchen verborgen stand ihre kleine Holzkiste. Die Truhe, in der sie ein paar Hilfsmittel aufbewahrte. Die Metallplättchen für das Schutzzeichen im Büro ... ein kleines Notizbuch mit Runen, die sie nur selten benutzte ... Kräuter und Öle.

„Irrsinnig ...“

Ja, vielleicht war es das. Oder auch wahnsinnig. Was sollte Cayden bloß denken, wenn sie so etwas in seinem Büro installierte? Eine Falle für ...

„... einen Vampir.“

Ebenfalls unter dem Nachtkästchen zerrte sie ein dickes Buch in Ledereinband heraus und schleppte es ebenfalls zum Schreibtisch, wo sie die Lampe anknipste und mit dem Finger das Alphabet am Buchschnitt bis zum V nachfuhr.

„Vampyr ...“

Emma begann zu lesen, die Version des Aberglaubens. Die Sache mit dem Knoblauch und dem Kruzifix. Ein paar Abschnitte über bestimmte Salzarten, die auf die Schneide von Waffen gerieben werden konnten, um die Wunden in der Haut des Vampyrs offen zu halten.

„Zu bannen ist der Vampyr ... hmhmhm ...“

Mit einem komplexen Hexagramm, einer Runensäule ...

Emmas Finger spielten mit dem Dolch, der sich im perfekten Gleichgewicht auf zwei Fingern balancieren ließ. Erst, nachdem sie den Abschnitt über die Bannfalle dreimal durchgelesen hatte, zeichnete sie die Runen ein paar Mal mit Bleistift auf ein Blatt Papier vor. Sie gelangen ihr nicht sofort. Und erst, als sie denen im Buch aufs Haar glichen, holte Emma magnetisierte Metallchips aus ihrer Kiste und begann mit der eigentlichen Arbeit.

 
 

***

 

„Haste mich vermisst, Hexe?“

Das Schutzfeld lag wie eine knisternde Glasscheibe zwischen ihnen. Aufgeladen von Emmas Energie, die den Kerl allerdings nur insoweit in Schach hielt, dass es nicht sein Mundwerk betraf. Zu schade. Denn der schmutzig-schmierige Kerl hatte nicht einmal das geringste Maß an Anstand, als er Emma musterte.

„Ich hab dich vermisste, weißte? Zum Glück hab ich 'ne Menge Phantasie und fünf fleißige Helfer.“

Er hob die Finger und wackelte damit vor Emmas Gesicht herum, bis Stella von den Toiletten her um die Ecke bog und er sich eine Maske aufsetzte, die Emma noch mehr erschreckte, als das anzügliche Gehabe.

Sie konnte es nur als die Fratze eines Raubtiers bezeichnen, dem schon der Speichel auf der Zunge zusammenlief, als er Stella und ihren Babybauch musterte.

„Setzen Sie sich!“

Emma zischte ihn an und der Kerl zog sich tatsächlich ein Stück zurück. Allerdings nicht, ohne jetzt laut zu werden und auf seinen Termin zu pochen, der schon vor fünf Minuten begonnen hatte.

„Was is’n das für ein Saftladen?! Ich geh da jetzt einfach rein. Ich hab’n Termin für Mr. Tasken!“

„Nein, das werden Sie nicht.“

Emmas Hand war nach hinten gezuckt. Nur ein Stück in die Richtung, in der sie den Dolch unter ihrem Blazer an ihrem Rücken versteckt hatte.

„Setzen Sie sich hin. Es dauert nur noch eine Minute.“

Was der Wahrheit entsprach. Und Emma war heilfroh, dass sie den Kerl in Caydens Büro lassen konnte, bevor er hier die Einrichtung kurz und klein schlug.

Da konnte sie sogar sein anzügliches Lächeln ignorieren, das er ihr zuwarf, als er die Tür hinter sich schloss.

 

Cayden hätte beinahe gestöhnt, als er in seinem Terminkalender sah, wen er da zu erwarten hatte.

Tasken wäre schon der Letzte gewesen, den er hier sehen wollte, aber einer seiner Lakaien war nicht weniger schlimm. Was der Typ wohl schon wieder von ihm wollte?

Vermutlich das gleiche wie immer und Caydens Antwort würde auch wie immer ausfallen. Wann kapierte der Vampir das endlich?

Es war bestimmt nicht seine Absicht, das Telefonat mit einem immer noch interessierten Kunden so lange hinauszuzögern, aber da ihm inzwischen so viele abgesprungen waren, musste er nehmen, was er kriegen konnte. Auch wenn es ihm nicht gefiel.

Anfangs war es bei der Firmenneugründung ebenfalls nicht anders verlaufen, weshalb es ihm nicht allzu viel ausmachte, solange er seine Ansprüche nicht zu tief schraubte.

Nach dem unendlich langen Telefonat ließ Cayden Taskens Lakaien endlich hereinschicken und bestellte auch noch eine Flasche stilles Mineralwasser bei Emma.

Er war am Verdursten und das einmal im absolut menschlichen Sinne.

„Also, was will er dieses Mal von mir?“, begrüßte Cayden den anderen Vampir wenig freundlich. Er hatte keine Geduld sich mit seinesgleichen herumzuschlagen und schon gar nicht mit Abschaum dieser Sorte.

 

Emma biss die Zähne fest aufeinander und ging dann in die Teeküche, wo sie eine Flasche Wasser aus einer Kiste nahm, sie öffnete und zusammen mit einem Glas auf das kleine Tablett stellte, mit dem sie auch immer den Kaffee zu Cayden hinein trugen.

Natürlich hatte sie ihm nicht sagen wollen, sie würde ihm das Wasser lieber später bringen. Wenn der seltsame Typ weg war.

Mit einem unterdrückten Seufzen stützte sie sich mit beiden Händen schwer auf die Küchenzeile und atmete mit geschlossenen Augen zweimal tief durch. In dieser Haltung – ein wenig nach vorn gebeugt – spürte sie die Form des Dolches deutlich in ihrem Rücken. Es war einerseits beruhigend, andererseits war es erschreckend, dass sie es überhaupt für nötig hielt, eine Waffe mit ins Büro zu bringen.

Er geht gleich wieder. Nur ein paar Minuten, dann schickt Cayden ihn weg. Vielleicht darf er nie wiederkommen.

Emma drückte sich von der Küchenzeile ab, zupfte sich Haare und Kleidung zurecht und nahm dann das Tablett an sich, um es ins Büro zu bringen.

 

„Ne, hat er nich gesagt. Ich soll’s nur herbringen und Ihnen sagen, Sie soll’n sich’s nochmal überlegen, weil –“

Der Kerl unterbrach seinen schlecht artikulierten Redeschwall und sah Emma von der Seite her an, als sie ins Büro kam und an ihm vorbei zum Schreibtisch ging. Emma stellte betont ruhig das Tablett vor Cayden ab, schenkte ihm Wasser in das Glas und richtete sich dann auf.

Das Feld stand. Alle Eckpunkte waren perfekt ausgerichtet angebracht. Wenn Emma die Augen schloss, konnte sie es sogar summen hören. Allein ihre Nähe zur unvollständigen Falle lud diese minimal auf.

„Bitte. Möchtest du auch Gebäck oder Kaffee?“

Emma wich dem Blick des Besuchers – der immer noch mitten im Büro stand – mit viel Mühe aus. Scheiße, so ohne das Kraftfeld kam er ihr noch viel ... unangenehmer vor.

Schmeiß ihn raus. Bitte!

Doch Cayden tat nichts dergleichen, sondern lehnte nur höflich etwas Zusätzliches zum Wasser ab und ließ Emma wieder gehen.

Ein paar Schritte weit kam sie auch. Dann griffen Krallen nach ihrem Nacken, schabten an ihrer Haut entlang, als der Kerl anfing so dreckig zu kichern, dass Emma das Gefühl hatte, es müsse ihr den Magen aushebeln. Dieses Geräusch hatte so einen unangenehmen Nachklang, enthielt irgendetwas ... Dunkles, das Emma sogar von ihrem direkten Weg zur Tür ablenkte und sie dazu brachte, ihren Kopf einzuziehen. Selbst das Tablett hielt sie so, dass es wie ein Schutzschild vor ihrem Bauch lag.

Ihre rechte Hand allerdings lag frei an ihrer Hüfte. Bereit um –

„Ey, Hexe!“

Die dreckigen Finger umfassten Emmas Handgelenk.

Adrenalin explodierte in ihrer Blutbahn. Emma riss ihre Hand weg, das Tablett schepperte zu Boden und der eklige Mistkerl konnte nur noch ein verdutztes Gesicht machen, bevor sich die Zeit für Emma zu verlangsamen schien. Sie spürte das Brennen an der Stelle, wo der Typ sie gepackt hatte, doch das war nebensächlich.

Das Summen schwoll in ihren Ohren an, die Punkte luden sich auf und Emma wurde ohne ihr bewusstes Zutun in die Mitte des Hexagramms gezogen, wo sie in einer schnellen, fast schon eleganten Bewegung den Dolch aus seinem Versteck zog.

Das Summen wurde lauter und gebärdete sich aggressiv.

„Was für 'n Scheiß machst –“

Er wollte auf sie zutreten, hatte schon die Hand ausgestreckt ...

Doch Emma ließ sich in die Hocke fallen und rammte den Dolch in den Boden. Er schnitt sich durch das Material bis in den Beton wie Butter. Getrieben von Emmas Energie bohrte er sich tief und sandte mit einem tiefen Vibrieren einen harten Impuls in das Hexagramm. Es gab einen Schlag wie von einer Druckwelle.

Emma musste sich am Knauf des Dolches festhalten, um nicht umgerissen zu werden, als sich die Energiesäule um den Mann bildete und ihn mit Wucht von den Füßen riss.

Irgendetwas krachte hinter ihr, vollkommen außerhalb ihrer Angriffsfläche auf den Kerl, den sie im Blick hatte. Aber dafür hatte sie jetzt keine Zeit. Noch musste sie mehr Energie in die Falle pumpen, die Säule mit einem Energiegewirr füllen, das den Mann festkleben, ihn lähmen und unschädlich machen würde.

Er zappelte kaum.

Wieder spürte Emma das Brennen an ihrem Handgelenk, als sie sich nun langsam aufrichtete.

Ein Brennen, dessen Ursache sie kannte.

Ganz im Gegensatz zu –

Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus.

Emma starrte den Dolch in ihrer Hand an. Das Blut in ihrem Körper schien zu splittern, sich in ihre Adern zu graben ... während Emmas Augen sich ungläubig weiteten.

„Nein ...“

Ihre Finger zitterten und ihr Atem rang sich in einem ängstlichen Keuchen über Emmas Lippen.

Langsam drehte sie sich um.

 

Cayden bemerkte Emmas Angespanntheit, während sie ihm Wasser ins Glas einschenkte. Weshalb er sie auch unauffällig beobachte, aber dankend ablehnte, als sie ihm noch etwas anderes anbieten wollte. Sie sollte das Büro verlassen, wenn es ihr hier nicht behagte und bei dem Anblick des anderen Vampirs, würde er das auch nur zu gut verstehen.

Es reichte schon, dass er sich mit Taskens sinnlosen Forderungen und unzivilisierten Boten abgeben musste. Emma sollte das nicht tun müssen.

Cayden entging auch nicht der Blick, den der Vampir Emma schenkte, als sie zur Tür gehen wollte, woraufhin er sich ein tiefes, kehliges Knurren verkneifen musste.

Der Vampir hatte hier keinerlei Rechte. Das hier war Caydens Revier, und sobald Emma gegangen war, würde er das diesem auch ordentlich einbläuen. Durchaus mit Gewalt, wenn es sein musste. Keiner verängstigte hier seine Mitarbei-

Caydens Augen weiteten sich, als der Vampir sie doch tatsächlich dreckig angrinste.

Sofort wollte er den Kerl von Emma wegziehen und ihm irgendetwas brechen, doch das konnte er schlecht vor ihr tun, weshalb er sich mit aller Gewalt dazu brachte, sitzen zu bleiben. Doch innerlich kochte er vor sengender Wut.

Dann … ging plötzlich alles unglaublich schnell.

Der Vampir wagte es tatsächlich, Emma anzufassen, worauf diese sich dem Griff entwand und das Tablett polternd zu Boden ging.

Sofort schoss Cayden aus seinem Stuhl hoch, doch er kam nicht weit, ehe er vollkommen erstarrte.

Nein!

Er konnte es spüren. Wie ein heftiges Sommergewitter, das langsam anrollte, stieg die Spannung im Raum greifbar intensiv an, bis es schließlich losbrach.

Cayden konnte keinen Finger mehr rühren, da der Anblick ihn regelrecht schockte. Er … konnte es nicht fassen.

Irgendetwas schien seine Sinne zu beeinträchtigen, denn die Szene vor ihm spielte sich zu schnell ab, als dass er noch irgendwie hätte reagieren können.

Emma wurde auf einen imaginären Punkt gerissen. Hinter ihrem Rücken zog sie einen Dolch hervor, und noch ehe Cayden begriff, was das genau für einer war, rammte sie ihn mit einer Wucht in den Boden, die er bis in die abgeschiedenste Zelle seines Körpers spüren konnte. Ganz so, als hätte sie die Klinge direkt in ihn gebohrt.

Es riss ihn von den Füßen.

Unglücklicherweise nicht direkt auf den Boden, sondern zuerst in seinen Sessel zurück, ehe sein Körper diesen unter sich und der gewaltigen Wucht regelrecht zermalmte.

Es trieb ihm mit voller Kraft die Luft aus den Lungen und als wäre das noch nicht genug, legten sich unsichtbare Fesseln um seinen ganzen Körper und drückten zu.

Cayden konnte nicht anders. Sein Instinkt übernahm sein rationales Denken, als er sich gegen diese unsichtbare Macht zu wehren begann, und zwar mit allem, was er hatte.

Seine Fänge schossen aus seinem Kiefer, während ihm ein wütendes Fauchen entkam und er sich am Boden wand.

Jeder seiner Sinne fühlte sich so an, als würde er von irgendetwas eingesogen werden.

Mal flackerte die Welt vor seinen Augen, mal war sie unklar. Die Geräusche um ihn wurden dumpf, dann wieder dröhnend laut, ehe sie wieder vollkommen verstummten.

Ohnmacht wollte ihn überfallen und sein Körper ihm nicht mehr richtig gehorchen. Doch er kämpfte weiter. Verbitterter, härter.

Er hasste es, gefangen zu sein.

Cayden schnappte nach Luft. Sein Brustkorb fühlte sich so eng an.

Er warf sich mit aller Macht zwischen den Trümmern des Sessels hin und her, bis er spürte, wie langsam seine Arme, dann seine Beine und schließlich auch seine Sinne freikamen.

Und plötzlich … war es vorbei.

Was auch immer ihn gehalten hatte, fiel endgültig von ihm ab, sodass er sich ein Stück aufrichten und wieder durchatmen konnte.

Sein ganzer Körper zitterte vor Adrenalin, als er etwas Distanz zwischen sich und seinem zerborstenen Bürosessel brachte, der ihm ein paar spitze Krallen in den Rücken getrieben hatte. Erst bei dieser Bewegung sah er den bewusstlosen Vampir auf der anderen Seite des Schreibtischs am Boden liegen.

Sofort schoss sein Blick zu Emma.

Nein … nicht so!

 

Emmas Atem ging schnell und keuchend. Doch er war flach und gehetzt. Ihre Hand hielt inzwischen den Knauf des Dolchs so fest umklammert, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Sie zitterte am ganzen Körper. Weniger vor Anstrengung, obwohl sie die Falle weiterhin aktiviert hielt, als vielmehr vor Panik, die über ihr zusammenschlagen wollte.

Die Angst kroch in Emmas Schuhe, ihre Beine hinauf und wickelte sich wie eine ausschlagende Schlingpflanze um ihren Bauch und bohrte sich durch ihre Brust direkt in ihr Herz. Es konnte kaum noch ihren Puls aufrechterhalten, ohne in tausend Scherben zu zerspringen.

Wie ... die Energiesäule, die Cayden gefangen gehalten hatte.

Die Informationen erreichten Emmas Hirn wie Donnerschläge.

Cayden war gefangen gewesen. Die Falle hatte ihn erkannt. Eine Falle, die –

Der Körper des fremden Vampir plumpste zu Boden, als Emma die Falle abschaltete.

Auf der Hut senkte sie leicht den Kopf, drehte ganz automatisch den Dolch so, dass die Schneide nach oben zeigte. Ihre Finger lagen auf den Runen, die sie noch nie benutzt hatte – bereit sie zu aktivieren.

Die Bruchstücke des Bürostuhls krachten leise, als er sich bewegte. Emma konnte seinen schweren Atem hören. Das Geräusch mit dem der Tonlage überein bringen, das vor Sekunden als hohes Fauchen durch den Raum geschnitten hatte.

Als sich ihre Blicke trafen, glaubte Emma schreien zu müssen.

Der Dolch bebte in ihrer Hand, doch die Runen am Griff glommen leicht, als Emma mit erstickter Stimme die Stille durchbrach.

„Also ist es das?“

 

Cayden hielt nicht lange ihrem Blick stand, sondern schloss die Augen, als er sich noch weiter aufrichtete und dabei an der Wand abstützte.

Weder brachte es etwas, seine Fänge zu verbergen, nun, da Emma sie unweigerlich gesehen hatte, noch etwas zu leugnen.

Er war in ihre Falle geraten. Das wurde ihm jetzt klar. Sehr deutlich sogar, wie ihm das Brennen im Rücken und das Zittern in jedem einzelnen seiner Muskeln bewusst machten.

Es hatte ihn ganz schön an Kraft gekostet, als er die unsichtbaren Fesseln gesprengt hatte.

Adam behielt also recht. Sie war nicht einfach eine unwissende Hexe.

„Was glaubst du, was es ist, Em?“, fragte er leise und hob langsam wieder den Kopf.

Er wich ihrem Blick nicht länger aus, blieb ihm doch ohnehin keine andere Wahl.

 

„Herrgott, Cayden ...“

Die Kraft wollte aus Emmas Muskeln weichen, aber das war nicht der Grund, warum sie das Gefühl hatte, in die Knie zu gehen. Ihr war gleichzeitig eiskalt und trotzdem brach ihr der Schweiß aus, als sie Cayden ansah. Sie konnte den Blick nicht von ihm nehmen, geschweige denn, ihn irgendwie von seinem Mund losreißen.

Ein Grollen baute sich in ihrer Brust auf. Tief und mit Krallen besetzt, die sich auf dem Weg in Emmas Rachen in alles schlugen, was sie erreichen konnten. Verdammt, sie wollte schreien. Sie wollte explodieren, dieses Büro in Schutt und Asche legen, würde es nur bedeuten ...

„Ich wollte nicht dich bannen!“

Als würde das irgendetwas erklären oder ändern.

Emmas Augen fingen an zu brennen und ihr Blick verschwamm, bevor sie wieder Klarheit hineinblinzelte.

„Ich wollte doch nur ... Ich hatte solche Angst. Seit diesem Überfall hab ich Albträume. Fast jede Nacht. Irgendetwas hat vor meinem Haus rumgelungert. Ich dachte, dass es Tiere waren. Bis gestern dieser Kerl ...“

Sie deutete in einer nebensächlichen Bewegung mit dem Dolch auf den anderen Vampir, was dessen Körper unter kleinen Restladungen zum Zucken brachte.

„Ich wollte doch nicht, dass du ...“

Jetzt konnte sie wirklich nur noch Caydens Silhouette gegen die helle Wand erahnen, während ihr die Tränen über die Wangen liefen.

„Verdammte Scheiße, Cayden, du bist ein Vampir!“

 

Cayden zuckte unweigerlich zusammen und sein Blick huschte kurz zur Tür.

Zum Glück war sein Büro gut isoliert, sodass höchstens noch sein scharfes Gehör, etwas von draußen wahrnahm. Wäre es anders, Stella oder sonst irgendjemand wäre bereits hereingeplatzt.

Zwar hatte er bei der Restaurierung dieses Gebäudes nicht an diese Art von Gespräch gedacht, aber an andere Dinge, die niemandem zu Ohren kommen sollten.

Langsam, um Emma nicht zu irgendwelchen unüberlegten Handlungen zu bewegen, stand Cayden vorsichtig vom Boden auf, während er ihren Dolch nicht aus den Augen ließ.

Er wollte nicht so in die Ecke gedrängt sein, wie er es am Boden tat. Trotzdem hatte er das Ganze nicht gewollt.

„Ich weiß, was ich bin, Em“, sagte er leise, ruhig, obwohl es in seinem Inneren tobte, die Angst ihm beinahe jedes Wort abschnürte.

„Darum wollte ich auch nicht, dass du es so erfährst und … was heißt das, du fühlst dich verfolgt? Warum Herrgott noch mal, hast du nicht gesagt, dass dir der Kerl zu nahegetreten ist? Ich hätte ihn ...“ Er verbiss sich, was er eigentlich sagen wollte. „Du hättest es mir sagen sollen. Ich hätte mich darum gekümmert, dass du in Sicherheit bist.“

Beinahe wollte er rüber gehen und dem Vampir in die Seite treten. Dass dieser für Emmas Albträume verantwortlich war, würde er noch bezahlen. Man spielte nicht mit Menschen. Schon gar nicht mit jenen, die Cayden liebte!

 

„Nicht!“

Emmas Stimme war scharf und sie wischte sich mit einer schroffen Bewegung über die nassen Augen. Ihr war klar, dass selbst dieser kurze Moment, diese Sekunde der Unaufmerksamkeit, sie Einiges kosten konnte.

„Tu das nicht.“

Erst jetzt, da sie sich etwas anders hinstellte, protestierten Emmas Muskeln, die schon die ganze Zeit angespannt gewesen waren. Und auch jetzt besserte sich die Anspannung nicht.

„Erzähl mir nicht, ich hätte dich um Hilfe bitten sollen. Was hättest du denn getan? Ich wusste doch gar nicht ...“

Ihr Blick blieb wieder an seinen Lippen hängen. Emma ... konnte sie nicht sehen. Wenn er den Mund geschlossen hielt, konnte sie seine Reißzähne nicht sehen.

„Ich bin wirklich so blind gewesen?“

Nein, nicht nur blind. Unglaublich dumm!

Sie hatte ihn geküsst! Auf diesen Mund, auf diese Lippen! Sie hatte ...

Immer noch steckte so viel Wut in Emma, dass sie gar nicht wusste, wohin damit. Wut auf sich selbst, auf Cayden, auf ... das, was er war. Und darauf, dass sie nicht wusste, was sie nun tun sollte!

Im Moment konnte sie ihn nur weiterhin anstarren, zitternd, mit wild klopfendem Herzen.

 

Cayden versuchte, Emmas Tränen nicht zu nahe an sich heranzulassen. Dass sie überhaupt wegen ihm weinte, wo sie doch sonst so gut wie nie weinte, machte es nur noch schlimmer. Er machte es schlimmer. Vielleicht hätte er ihr das Ganze doch schon sehr viel früher erklären sollen. Aber wann?

Wie wusste man, wann es der richtige Zeitpunkt war?

Cayden sah sich langsam im Raum um, ehe er sich ein bitteres Seufzen verkniff.

Es gab keinen richtigen Moment. Das wurde ihm plötzlich klar. Aber es gab sehr wohl den falschen und gerade der, hatte soeben stattgefunden.

„Nein, Em“, meinte er schließlich leise und verbarg dabei nicht seine Betroffenheit. „Du warst nicht blind, sondern ich sehr vorsichtig. Ich wollte nicht …“

Er schüttelte den Kopf. „Ich wollte wirklich nicht, dass du es auf diese Weise erfährst.“

Er machte einen entsprechenden Bogen mit der Hand, die den ganzen Raum einfasste. „Und was den dort angeht.“ Cayden zeigte mit finsterer Miene auf den bewusstlosen Vampir. „Weiß ich sehr wohl, was ich getan hätte.“ Aber was genau, wollte er Emma lieber nicht sagen.

„Weißt du denn, warum er hinter dir her war? Ich dachte, er wäre eigentlich wegen mir hier. Tasken ist …“

Wieder schüttelte er den Kopf.

„Em. Bitte nimm den Dolch herunter. Ich werde dir nichts tun und was Taskens Lakai angeht, hast du ganze Arbeit geleistet.“

Gott, er wollte zu ihr, wagte es jedoch nicht, sich auch nur ein Stück nach vorne zu lehnen. Emma sah so aus, als würde sie gleich explodieren und ihre Wut versengte ihm beinahe die Nase.

„Bitte, Em.“ Er sah sie flehend an.

Sie machte ihm mit ihrer Haltung tatsächlich Angst. Doch nicht vor ihr, sondern um sie.

 

Emma hatte die Lippen fest aufeinander gepresst, konnte aber die Schwäche nicht verbergen, die sich mit jedem Schniefen deutlich machte, das sie nicht verhindern konnte. Lieber wollte sie entschlossen und beherrscht aussehen. Von ihr aus auch gefährlich. Aber so, wie Cayden sie ansah ... Es spiegelte sich mehr Mitleid in seinen Augen als irgendetwas anderes.

Der Dolch hob sich ein Stück. Bis vor Emmas Augen, sodass sie die scharfe Klinge für einen Moment ansehen und Caydens Bitte abwägen konnte. Skeptisch und immer noch nicht sicher, was sie tun sollte, drehte sie die Waffe zumindest um.

Sofort hatte sie das Gefühl, etwas in sich zusammenzusinken.

Ihr Blick streifte den Körper des bewusstlosen Vampirs. Sein Mund stand offen, die Fangzähne ragten fast aufreizend offen hervor und Emma schloss nun doch seufzend für eine Sekunde die Augen, bevor sie sich einfach auf den Boden sinken ließ.

Es war das Dümmste, was sie gerade machen konnte. Denn wenn Cayden sie angreifen sollte, hätte er leichtes Spiel. Selbst wenn sie ihren Dolch noch in der Hand hielt. Vampire waren schneller, als es das menschliche Auge zumeist wahrnehmen konnte. Emma hätte ... wenig Chancen.

Aber irgendwie ... scherte sie das kaum.

„Setz dich.“

Dass sie einen verständnislosen und eher unwilligen Blick erntete, überraschte Emma nicht. Trotzdem zeigte sie auf die Stelle vor sich auf dem Boden.

„Ich weiß, was du kannst. Setz dich, dann stecke ich den Dolch weg.“

 

Dass sie den Dolch wegstecken würde, sobald er ihrer Aufforderung nachgekommen war, war ein gutes Argument und letztendlich der einzig wirkliche Grund, warum er sich dazu entschloss, ihrer Anweisung zu folgen.

Obwohl Cayden schon so einige Aufklärungsgespräche über Vampire, oder zumindest so etwas in der Art gehabt hatte, wünschte er sich doch zumeist in solchen Augenblicken, er wäre ein stinknormaler Kerl. Ein Mensch und kein Vampir.

Trotzdem würde er sich nie für das schämen, was er von Geburt an war.

Langsam und immer noch darauf bedacht, so unauffällige Bewegungen wie möglich zu machen, kam Cayden näher, setzte sich aber so vor Emma hin, dass er auch den anderen Vampir im Auge behalten konnte und er fast zwischen den beiden war.

Nur zur Sicherheit.

„Der Dolch?“

Cayden forderte Emma mit einem Blick auf, ihn wegzulegen, während er seine eigenen Hände untätig auf den Knien abgelegt hatte. Sogar seine Fänge hatten sich inzwischen wieder zurückgezogen.

Emma musste also nichts fürchten. Zumindest nichts Offensichtliches. Außerdem würde er ihr nie mit Absicht wehtun.

„Woher weißt du es? Ich dachte, du hast das alles nur für Märchen gehalten.“

 

Sie legte ihn auf den Boden. Ihre Hand ruhte noch darauf, während sie Cayden eingehend musterte. Erst, nachdem sie meinte, seiner Haltung eine gewisse gewohnte Gelassenheit ablesen zu können, zog Emma die Hand zurück und legte sie in ihren Schoß.

Als er ihr diese Frage stellte, musste Emma leise lachen. Bitter und scharf, so wie die Antwort auf die Frage auch in ihr kleine Splitter hinterließ.

„Ich wusste es erst, als die Falle funktioniert hat. Bis vor ...“

Sie zeigte ihren Verlust des Zeitgefühls mit einer wegwerfenden Handbewegung an.

„Bis vor ein paar Minuten hätte ich euch beide noch in die Welt von Mythen und Legenden oder ins Kino verfrachtet. Ich ... Es gibt ein Buch. Eines, das wichtig für mich ist – für mich als Hexe. Darin ... sind Vampyre beschrieben. Alles, was die Hexen über sie wissen.“

Seufzend rieb sie sich die Nasenwurzel und schob sich ein paar verirrte Haarsträhnen nach hinten.

„Wäre nicht leicht gewesen, mir das zu erklären, das geb ich zu.“

Sie glaubte es ja jetzt immer noch nicht ganz, wenn sie in Caydens Gesicht sah. Er hatte sich nicht verändert.

„Aber ... dass du es geheim halten konntest ... Du musst alt sein. Älter als der da.“

 

Er wusste, es war blödsinnig, aber dass Emma von sich selbst so offen als Hexe sprach, behagte ihm ganz und gar nicht. Schließlich war sie rein geschichtlich gesehen … sein Feind und er der ihre.

Und vor allem, da sie offenbar mehr an Wissen besaß, als er sich bis gerade eben bewusst gewesen war, war ebenfalls nicht leicht zu verdauen.

Bei Gott, er hätte ihr noch nicht einmal diese Falle zugetraut, und dass er so stark dagegen ankämpfen musste, um freizukommen, beruhigte ihn kein bisschen.

Dass Emma auf sein Alter zu sprechen kam, ließ seinen Magen stark zusammenkrampfen und ihn auf seine Finger sehen.

Er wich ihrem Blick aus.

Meist konnte er leicht ignorieren, wie viele Jahre er schon auf dieser Erde wandelte. Man war schließlich so alt, wie man sich fühlte. Oftmals galt das auch für Vampire. Doch dann gab es wieder Tage, da wurde man sich jedes einzelne Jahr bewusst und so war es auch jetzt.

„Das Alter hat damit nichts zu tun. Eher die Erziehung und letztendlich wohl auch der Charakter.“

Er schenkte dem anderen Vampir einen flüchtigen, angewiderten Blick, ehe er sich wieder Emmas Blick stellte.

„Was weiß dieses Buch über Vampire?“

Vielleicht wusste sie ja nicht alles oder es war sogar falsches Wissen dabei.

Warum ihn das interessierte, wusste Cayden nicht einmal so genau. Aber vielleicht, weil er Emma nichts mehr verbergen wollte, jetzt, da die Katze aus dem Sack war. Sozusagen.

Bis auf sein Alter vielleicht.

 

„Nicht, dass du aus der Falle rausgekommen bist.“

Das hatte nur etwas mit Alter und Stärke zu tun. Und Emma wollte gar nicht darüber nachdenken, wie gut die Falle gewesen war. Cayden musste ... Ihr schlich eine Gänsehaut über den Körper.

„Dass du nichts gegen Knoblauch hast.“

Oh Mann ... hatte sie gerade wirklich fast gelächelt?

„Und dass du Kruzifixe ansehen kannst, Sonne verträgst und ...“

Nun war das Lächeln restlos verschwunden. Weggewischt und verbannt. Denn es gab einen Grund, aus dem Hexen Vampire über Jahrhunderte hinweg gejagt hatten. Teilweise unerbittlich und mit grausamen Methoden. Emma wollte nicht daran denken. Aber ja, es gab etwas, das ihr Buch auch über Vampire wusste.

„Dass du Blut zum Leben brauchst. Blut von Menschen, das ihr nicht durch tierisches Blut ersetzen könnt. Und auch durch nichts anderes.“

Ihr war aufgefallen, dass sie vom 'du' zum weniger persönlichen Pronomen übergegangen war. Aber es war doch auch so, dass Emma ... Cayden hatte noch nicht einmal versucht, sie zu beißen. Niemals.

 

Cayden sah Emma lange an, nachdem sie geendet hatte. Dann blickte er zu dem ohnmächtigen Vampir hinüber und schließlich auf seine eigenen Hände.

Seine Schultern sanken deutlich ein Stück herab.

Es war vorbei. Was Emma wissen musste, wusste sie bereits. Er wusste nur nicht in welchem Ausmaß, aber zumindest eines konnte er nun tun, um seine ganze Lage etwas gerade zu biegen.

Er sah sie wieder an und ließ während er sprach auch keinen Moment von ihren Augen ab.

„Ich weiß nicht, was genau dein Buch über Blut und uns sagt. Zumindest was das Ausmaß angeht. Aber es stimmt. Ich … brauche Blut zum Überleben. Das von Menschen. Alles andere hätte nicht die gewünschte Wirkung. Ebensowenig wie Blutkonserven. Totes oder abgefülltes Blut nützt uns nichts.“

Cayden holte tief Luft.

Es hätte sich eigentlich erleichternd anfühlen sollen, doch stattdessen waren die Worte wie Steine in seinem Mund. Er brachte sie kaum von seiner Zunge.

„Darum ging es im Vertrag mit Vanessa. Sie gab mir ab und zu von ihrem Blut und dafür bekam sie einige Tropfen von meinem. Natürlich auch einen Haufen Geld, doch hauptsächlich ging es um das, was durch meine Adern fließt.“

Er schluckte schwer und hätte ruhig etwas von dem Wasser vertragen, das Emma ihm vorhin noch gebracht hatte. Doch stattdessen sprach er weiter.

„Es hält sie jung und fit. Unser Blut wirkt im Körper eines Menschen wie ein wahres Wundermittel. Verständlich, wenn man bedenkt, wie wir uns ernähren müssen. Ansonsten wäre es zu auffällig anhand der Bisswunden.“

 

„Warte! Warte!“

Emma hob beide Handflächen und hielt sie offen vor Cayden hin, während sie leicht verzweifelt den Kopf schüttelte. Er hatte was? Und Vanessa hatte dafür was bekommen? Und sie hatte bitte was getan?

„Nochmal von vorn. Vanessa hat dich freiwillig ihr Blut trinken lassen? Für Geld?!“

Diese Frau wurde Emma niemals verstehen. Wer tat denn sowas?

„Und ... für dein Blut?“

Das stand eindeutig nicht in Emmas Buch. Der Paragraph konnte ihr auf jeden Fall nicht entgangen sein, wäre er vorhanden gewesen.

„Was bringt das denn? Wenn du ihr Blut trinkst und sie deins ... Wer hat denn dann was davon? Schwächt man sich da nicht gegenseitig?“

Emma zog die Stirn in Falten.

„Von wie viel Blut reden wir hier denn. Mein ... Buch zählt nur Beispiele auf, bei denen Vampire nicht besonders gut wegkommen.“

Jetzt wirkte ihr Blick fast entschuldigend.

„Ist ein altes Buch.“

 

Cayden schnaubte.

Gut, er war nicht in der Position empört zu sein, aber er war es. Zumindest von Emmas Vorfahren. Nicht von ihr selbst. Sie fragte wenigstens nach den wichtigsten Details. Andere Hexen hätten nicht lange gefackelt.

„Das dachte ich mir bereits“, murmelte er mehr zu sich selbst, als zu ihr, allerdings sprach er lauter weiter: „Ich meine, dass Hexen uns für Monster halten. Dabei bin ich mir sicher, dass es ziemlich ausgewogen ist, was die Gräueltaten in der Geschichte zwischen uns angeht. Aber zu deinen Fragen.“

Da Emma nicht mehr den Eindruck machte, sie würde ihn bei der kleinsten hastigen Bewegung erdolchen, griff Cayden hinter sich und zupfte sich ein Stück Plastik aus dem Rücken, das ihn schon die ganze Zeit gestochen hatte. Derweil erzählte er.

„Was das Geld angeht, war Vanessa lange nicht so scharf darauf wie auf mein Blut. Darum war sie auch so wütend auf mich, als ich ihr sagte, ich wolle den Vertrag beenden, bedeutete das doch das Ende ihrer Jugend.“

Er schnippte das blutige Teil Richtung Mülleimer.

„Weißt du, dass sie in Wahrheit 36 Jahre alt ist? Aber sie sieht nicht älter als 24 oder 25 aus. Das ist es, was mein Blut bewirkt. Es stärkt Menschen und hilft bei der Zellregeneration. Je älter der Vampir, umso bess-“

Cayden räusperte sich.

„Ich meine, ich denke, dass ihr dieser Umstand, das Leben gerettet hat, als man sie überfiel. Sonst wäre sie vielleicht an den schwerwiegenden Folgen gestorben. Und dafür bedurfte es nur ein oder zweimal im Monat einen kleinen Schluck meines Blutes. Im Tausch dafür bekam ich von ihr einmal wöchentlich die Dosis, die ich zum Überleben brauche.“

Sein Blick veränderte sich nun, von sachlich auf sanft.

„Wir sind nicht die Monster, für die deine Vorfahren uns halten, Em. Zumindest nicht alle. Ein gesunder Vampir braucht unter normalen Lebensbedingungen vielleicht einen halben und bei größeren Anstrengungen einen ganzen Liter Blut pro Monat. Dabei macht es fast keinen Unterschied, ob wir ein paar Schlückchen in der Woche zu uns nehmen, oder die Menge auf einmal trinken. Aber auf keinen Fall töten wir Menschen dabei. Zumindest habe ich das noch nie getan und sollten wir doch einmal mehr brauchen, nimmt ein intelligenter Vampir die benötigte Menge nicht von einer einzigen Person.“
 

„Hmm ...“

Emma schwieg eine Weile, nachdem Cayden geendet hatte. Ihr Blick wanderte über den Fußboden, hielt bei dem Loch im Boden an, das ihr Dolch hinterlassen hatte, und fing sich dann am Mülleimer.

„Es tut mir leid, dass ich dich verletzt habe. Das wollte ich wirklich nicht.“

Eigentlich bereute sie immer noch die ganze Aktion mit der Falle. Und das, obwohl Emma auch irgendwie froh war, nun Caydens Geheimnis zu kennen.

Das hieß leider noch lange nicht, dass sie auch wusste, wie sie damit umgehen sollte. Aber irgendwie ... half es bei ihrem anderen Problem.

„Ein halber Liter also. Das kann einen vielleicht ein bisschen schwächen, aber naja ... gutes Essen und eine ordentliche Mütze Schlaf und man kommt drüber weg.“

Das war die gleiche Menge wie beim Blutspenden.

„Aber das könnte kein Grund sein, oder?“

Wieder verfiel Emma ins Grübeln und streckte eines ihrer Beine aus, das drohte einzuschlafen.

„Nein, das ergibt genauso wenig Sinn, wie alles andere. Selbst wenn Vanessa so richtig sauer war, dass du ihr dein Blut nimmst ...“

Sie sah ihn forschend an. Immerhin war er zehn Jahre mit ihr verheiratet gewesen. Er sollte es wissen, wenn Vanessa so eine dumme Aktion zuzutrauen war.

„Sie würde sich doch deswegen nicht so verprügeln lassen. Damit du ... zu ihr zurückkommst?“

Ein kleines Stöhnen von dem fremden Vampir, den Emma schon fast vergessen hatte, ließ ihre Hand in Richtung Dolch zucken. Die Runen am Griff leuchteten auf, als Emmas Finger sie berührten und der Vampir zuckte einmal unter dem neuen Energiestoß zusammen, bevor er wieder vollkommen stillliegen blieb.

 

„Ist nur ein Kratzer.“

Cayden winkte ab. Das war wirklich nicht schlimm. Spätestens Morgen würde man kaum noch etwas davon sehen.

Er vergaß es bereits in der nächsten Minute wieder.

„Das mit dem Essen und Schlaf stimmt. Vanessa hatte aber erst recht keine Probleme damit, weil wir sozusagen in einer Symbiose lebten. Sie gab mir und ich gab ihr. Wir schwächten uns nicht gegenseitig, sondern stärkten uns. Ich gestehe, es läuft nicht immer so ab zwischen unseren beiden Arten. Aber das ist jedem seine eigene Entscheidung.“

Als Emma ihr Bein etwas ausstreckte, entspannte auch Cayden sich etwas. Nicht ganz, aber immerhin.

„Es ergibt auch so keinen Sinn. Egal was sie täte, ich würde nie zu ihr zurückgehen. Aber es gibt eine Sache, die sie dazu hätte –“

Cayden biss die Zähne zusammen und kniff die Augen zu, während sich all seine Muskeln anspannten, als Emma ihm erneut eine Ladung verpasste. Sehr viel schwächer als die erste, aber keinesfalls angenehm.

Als er wieder aufsah, hatte sie erneut seine Fänge hervor gelockt. Trotzdem sagte er nichts dazu. Sogar ihm war es lieber, wenn der andere Vampir noch eine Weile schlief, also sprach er weiter, als wäre nichts gewesen.

„Vanessa könnte geglaubt haben, dass ich ihr Leben rette oder so etwas in der Art, wenn sie beinahe drauf geht und ich dafür beschuldigt werde. Denn es gibt eines, was sie immer schon noch mehr wollte als mein Blut ...“

Cayden sah Emma bedeutungsschwer an.

„Ein Vampir werden. Jugend und Schönheit für immer. Sie hat nur eines nie verstanden. Wir werden so geboren und nicht durch irgendeinen Fluch, Zauber oder sonst irgendetwas erschaffen. Und sogar diese Theorie hinkt ganz schön. Ich hätte sie nicht retten können, während ich zugleich hinter Gitter sitze.“

 

Emma nickte. So viel hatten ihre Vorgängerinnen auch schon verstanden, denn in ihrem Buch wurde auch mit dem Mythos des 'Vampirwerdens' aufgeräumt. Er wurde in die gleiche Ecke gestellt, wie die Knoblauchringe und die Holzpfähle. Ein Mensch blieb ein Mensch und ein Vampir blieb ebenfalls, was er war. Und das war auch gut so. Zumindest in Emmas Augen.

„Keine mystische Transformation und kein tödlicher Kuss, der sie unsterblich macht ...“

Arme Vanessa. Wenn man ihren naiven Geist bedachte und das, was sie sich dafür hatte antun lassen, konnte sie einem wirklich leidtun.

„Fragt sich aber, wen sie dazu überreden konnte, sie so zuzurichten. Ihre Liebhaber werden nicht alle so dumm gewesen sein, zu vergessen, dass sie dafür wirklich und vor allem lebenslang im Knast landen könnten. Oder glaubst du, sie hatte auch andere ... wie dich?“

Damit die Beziehung zwischen Cayden und Vanessa anzuerkennen, tat weh. Zwar hatte Emma gerade mit ganz anderen Dämonen zu kämpfen, die sie immer noch nicht ganz begriff, aber sich damit auseinanderzusetzen, dass die beiden bis vor ein paar Wochen noch ein richtiges Paar gewesen waren ... Sich ein Bett geteilt hatten und ...

Emma vertrieb die Gedanken und Bilder, die ihr einen schalen Geschmack im Mund verunsichern wollten.

 

„Ich weiß es wirklich nicht, Em. Sollte sie einen Vampir als Liebhaber gehabt haben oder sogar immer noch haben, dann war sie ziemlich gut darin, es vor mir zu verbergen. Und so grausam es vielleicht auch klingt, langsam glaube ich, sie verdient es nicht anders. Anfangs hielt ich sie noch für entschlossen und willensstark. Inzwischen habe ich jedoch das Gefühl, ihre Besessenheit nach Schönheit und Jugend gleicht Wahnsinn. So oder so. Zumindest kann ich sagen, dass ich es nicht gewesen bin und im Moment reicht mir das. Es gibt Wichtigeres.“

Dabei sah er sie auf eine Art an, wie Cayden keinen anderen Menschen oder Vampir ansehen würde. Dieser Blick gehörte nur Emma.

„Es tut mir leid, dass ich es dir nicht schon früher gesagt habe. Ich weiß, ich hätte es tun sollen, damit es nicht so herausgekommen wäre. Aber ich habe unweigerlich die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen es nicht verstehen. Sie fürchten uns instinktiv oder bringen uns mit diesen Lügenmärchen gleich, die zuhauf über Vampire erzählt werden. Selbst du hast geglaubt, wir wären blutrünstige Monster. Aber das sind wir nicht, Em. Wir sind reale Personen, die wie Menschen fühlen und denken. Nur eben mit kleinen Unterschieden.“

 

Emma seufzte so schwer, dass es sie fast durchschüttelte. Sie fühlte sich durch all das, was sie erfahren hatte, zwar im weitesten Sinne besser, aber es hatte sie auch viel an Kraft gekostet. Wenn sie ihre Beine betrachtete, wusste sie gar nicht so recht, ob sie würde aufstehen können, ohne sich eine Blöße zu geben. Zumindest nicht noch mehr, als sie es bisher ohnehin getan hatte. Und so, wie es aussah, neigte sich dieses Gespräch dem Ende zu. Was allerdings eine Frage offen ließ, die Emma wiederum großes Kopfzerbrechen und einen schnelleren Puls bescherte.

Wie würde es weitergehen? Nach diesem Gespräch ... nachdem sie nun wusste, dass Cayden ... ein Vampir war?

„Ehrlich gesagt, kann ich gerade überhaupt nicht einschätzen, ob es besser gewesen wäre, du hättest es mir gesagt.“

Sie sah ihn ernst an.

„Zumindest wäre es ohne Verletzungen über die Bühne gegangen, aber das ändern nichts an ...“

Sie brach ab, weil sie nicht genau wusste, wie sie weitermachen sollte. Weder im Gespräch noch bei ... dem Rest, der eigentlich zu besprechen war.

 

„Du meinst: Aber das ändert nichts daran, dass ich ein Vampir bin, deine Vorfahren eigentlich zu meinem größten natürlichen Feind gehören und du nicht weißt, ob du damit klarkommst, dass ich Fangzähne habe und ab und zu an menschlichen Hälsen nippe?“

Cayden seufzte und wandte sich schließlich von Emma ab, um sich den anderen Vampir näher anzusehen.

„Ich weiß genau, was du meinst, Em“, sagte er leise, während Frustration ihn erfasste.

Wenn er vor dieser ganzen Sache schon geglaubt hatte, er hätte sich von Emma distanziert, dann war es nun tausendfach schlimmer.

Vielleicht konnte man über eine Tat hinwegsehen, wenn man sie nicht begangen hatte, aber bei einem genetischen Erbe dürfte es nicht so leicht sein.

Er verstand es wirklich, auf die eine oder andere Weise, dennoch machte es ihm jedes Mal aufs Neue zu schaffen und dieses Mal mehr denn je. Zumindest mehr, als er sich auch nur im Ansatz anmerken ließ.

„Weißt du, genau aus diesem Grund, wollte ich es dir nicht sagen.“

Seine Stimme wurde noch leiser. Noch ruhiger. Fast trügerisch gelassen, während er dem anderen Vampir den Mund zu klappte.

Es reichte schon, dass er hier im Büro auf dem Boden lag und mit seiner Anwesenheit glänzte. Er musste sich dabei nicht auch noch von seiner übelsten Seite zeigen.

„Weil Menschen dazu neigen, Dinge zu fürchten, die sie nicht verstehen. Weil sie glauben, anders ist gleichbedeutend mit gefährlich oder was auch immer. Aber weißt du was, Em?“

Cayden setzte sich wieder auf und drehte sich zu Emma herum, um ihr tief in die Augen zu blicken. „Eigentlich könnten wir das Gleiche von deiner Rasse behaupten. Eigentlich sollte ich mich von dir fernhalten, weil euer Leben so kurz ist … Weil du so zerbrechlich bist und vermutlich auch, weil du für mich durchaus auch eine Gefahr sein kannst. Aber das alles ist nicht groß genug, nicht stark genug, nicht beängstigend genug für mich. Ich liebe dich. Dich – so wie du bist. Selbst in dem Wissen, dass ich dich irgendwann sterben sehen werde. Vom Alter gebeugt. Krank. Schwach. Unendlich zerbrechlich.“

Cayden biss sich leicht auf die Unterlippe. Eine Angewohnheit, die er normalerweise nie zeigte. Außer er wollte seine Unterlippe davon abhalten, zu zittern.

„Für mich spielt es keine Rolle, ob du nun ein Mensch, ein Vampir oder eine Hexe bist. Es ist, was es ist. Meine Gefühle werden sich dadurch nicht ändern.“

 

Jedes seiner Worte traf sie wie eine verbale Ohrfeige.

Innerlich zuckte Emma zusammen, auch wenn man das nur am hektischen Zittern ihrer Wimpern nach außen hin erkennen konnte. Es tat weh, dass er auf ihrem Erbe herumhackte. Und dass er ihr nicht zutraute, weiter zu sehen, als die Hexen, die im Mittelalter oder noch früher gelebt hatten.

Aber das Schlimmste war, dass er recht hatte.

Emma wusste nicht, ob sie damit klarkam, dass er Blut trank. Das konnte sie jetzt einfach nicht so aus dem Stegreif heraussagen. Von Vanessa sollte er jedenfalls nicht mehr trinken. Aber von wem ...

Ihre Augen wurden groß, als Cayden so abrupt einen Schwenk in eine andere Richtung machte.

Was?

Zuerst stellte er es so dar, als wäre sie mit ihrer fehlenden Weitsicht selbst schuld daran, dass er ihr nichts erzählt hatte. Dass die Menschen ja sowieso absolut nichts anderes als ihr Selbst akzeptierten – womit er nicht ganz unrecht hatte – und dann ... dann sagte er ihr einfach, dass er sie liebte? Trotzdem?

Emma klappte die Kinnlade herunter und diesmal tat sie nichts gegen das leise Stöhnen, das der ungebetene Besuch von sich gab. Sie hätte sich ... gerade einfach nicht rühren können.

„Du denkst also wirklich, dass ich dich verlassen würde, weil ich nicht von jetzt auf gleich vollkommen akzeptieren kann, dass du dich von menschlichem Blut ernähren musst?“

Umständlich zog Emma ihr Bein wieder ein und arbeitete sich auf die Knie und dann auf die Füße, wobei sie elegant und so unauffällig wie möglich ihren Dolch wieder einsteckte. Dann ging sie die paar Schritte auf Cayden zu, stieg über den inzwischen immer lauter murrenden Vampir und ließ sich vor Cayden in die Hocke sinken.

„Ich mag vielleicht zerbrechlich und nur ein Mensch sein ...“ Sie sah ihm direkt in die Augen und erst dann auf seine Lippen, hinter denen sie nun die Ansätze seiner Fänge erahnen konnte. „Aber ich werde auch die Mutter deines Kindes. Und aus der Verantwortung kommst du wegen ein paar Reißzähnen nicht raus, verstanden?“

 

Sein Herz schlug höher, als Emma ihm plötzlich wieder so nahe kam. Dabei reagierte er gar nicht auf den anderen Vampir, obwohl er instinktiv immer noch auf der Hut vor diesem war. Doch viel mehr fesselten Emmas Worte ihn.

Das … hätte er nicht gedacht und es schmerzte ihn fast selbst, dass er dieses Entgegenkommen nicht einfach annehmen konnte.

„Ich würde mich nie aus der Verantwortung ziehen, Em“, meinte er ernst, aber auch sanft, während er langsam seine Hand hob, um sie zu berühren. Vorsichtig mit seinen Fingerspitzen über ihre Wange zu streicheln und sich ein bisschen weiter zu ihr zu beugen.

„Und es sind nicht unbedingt meine Essgewohnheiten, mit denen du dir schwertun wirst.“

Nun legte er seine ganze Hand an ihre Wange, während er dagegen ankämpfen musste, sie einfach nur in die Arme zu nehmen und die Klappe zu halten. Er machte es sicher nicht besser, in dem er noch mehr preisgab. Aber er schuldete es ihr. Aus ganzem Herzen.

„Ich bin alt, Em“, gestand er schließlich gerade noch so laut, dass man es verstehen konnte.

„Ich weiß, ich sehe nicht so aus. Aber ich habe sehr viel mehr erlebt, als du auch nur erahnen kannst. Ich weiß nicht, ob du mit dem Wissen leben kannst, dass ich schon so viele andere Leben vor dir hatte und das ist noch das Wenigste. Die wirklichen Hürden kommen erst mit den Jahren. Glaub mir … ich weiß es …“

 

Das hatte ... sie nicht erwartet.

Nein, wenn Emma ehrlich war, hatte sie sich sogar auf etwas ganz anderes, als das hier Hoffnungen gemacht. Sie verstand nicht ganz. Und tat das, was Emma eben tat, wenn sie etwas nicht begreifen konnte, indem sie darüber nachdachte.

„Sind dir die Leben in deiner Vergangenheit wichtiger als das Hier und Jetzt, und das, was für uns beide vielleicht noch kommt?“

Es war verdammt schwierig, das zu fragen, wenn sie ihm so nahe war. Die Distanz zwischen ihnen – war sie auch hauptsächlich räumlicher Natur gewesen – hatte der Unterhaltung gut getan. Aber jetzt ... Emma war bereit gewesen, auf ihn zuzugehen. Über ihren und noch einige andere Schatten zu springen und es zumindest zu versuchen. Weil Cayden ihr gesagt hatte, dass er sie liebte. Obwohl sie eigentlich Feinde sein könnten. Oder nach alter Tradition sein müssten.

Was wollte er ihr denn damit klarmachen, dass er ihr sagte, es würden noch wirkliche Probleme auf sie zukommen. Wenn sie alt wurde und er ... nicht.

„Heißt das, ich muss mich jetzt darauf einlassen, dass du dich irgendwann unweigerlich in eine andere verliebst und mich verlässt? Oder, dass du gehst, wenn der Altersunterschied zu sehr auffällt?“

Ihr wurde unangenehm heiß und Emma wünschte sich wirklich, das würde ihr nicht so viel Angst machen. Nicht schon jetzt, wo es noch nicht so weit war. Und eigentlich ... konnte ihr das im schlimmsten Fall mit jedem menschlichen Mann auch passieren.

 

Leicht überrascht sah er sie an, ehe seine Lippen sich zu einem winzig kleinen, sanften Lächeln verzogen.

Wieder gab der Vampir Laute von sich, die er besser für sich hätte behalten sollen, weshalb Cayden Emma schließlich auch die andere Hand auf ihre Seite legte und sie weiter von dem Vampir wegzog.

Dann sah er sie erneut an.

„Nein, Em. Nein, nein und nochmals nein. Das soll es nicht bedeuten.“

Er rückte näher an sie heran. Süchtig nach ihrer Wärme und ihrer Berührung ignorierte er die Gefahr, damit vielleicht schon zu weit zu gehen.

„Mir ist es egal, wie du aussiehst oder einmal aussehen wirst. Ich werde bei dir bleiben und keines meiner vergangenen Leben kann hier und jetzt wichtiger sein. Aber du musst wissen, dass ich dir nichts mehr verheimlichen will. Wenn du mir also eine Frage über meine Vergangenheit stellst, dann weiß ich nicht, ob dir die Antwort darauf auch gefallen wird. Wenn du älter wirst, kannst du es dann ertragen, wenn ich es nicht werde? Ich weiß, diese Fragen sind momentan nicht greifbar. Aber ich kenne sie. Ich habe sie gelebt. Und auch wenn es sich jetzt für dich anhören mag, als wolle ich unsere Verbindung vergraulen, so will ich doch, dass du bei mir bleibst. Gerade deshalb sollst du wissen, worauf du dich einlässt. Damit du dich auf das ganze Cayden-Jedi-Vampir-Sandmann-Paket einlässt und nicht erst später drauf kommst, dass es doch keine allzu gute Idee gewesen ist. Denn das … könnte ich nicht ertragen.“

 

Sein kleines Lächeln tat gut. Emma konnte nicht genau sagen, warum gerade dieses Lächeln, denn im Laufe der Zeit, seit ihrem unglücklichen, magischen Zusammenstoß, hatte Cayden sich immer mehr entspannt und sich ihr geöffnet. Aber jetzt ... war es anders.

Sie glaubte ihm.

Emma glaubte, dass er die Möglichkeit, dass sie selbst sich irgendwann umentscheiden könnte, als schlimmer empfand. Selbst die Tatsache, dass sie welken würde, alt werden und ihn irgendwann aus Gründen, die sie beide nicht verhindern konnten, verlassen würde ... schien leichter zu akzeptieren zu sein.

„Nein, es ist absolut nicht greifbar“, gab sie zu.

Wie hätte es das auch sein können? Emma konnte sich mit ihrem eigenen Tod kaum auseinandersetzen. Immer, wenn sie es tat, wurde ihr Angst und Bange. Sich jetzt vorzustellen, dass Cayden hingegen niemals sterben würde, niemals altern ... war gerade einfach nicht drin.

„Cayden, mir erscheint das Leben, das ich vor mir habe, noch so unendlich lang ...“, begann sie leise und versuchte dabei, ihn anzusehen. Allerdings flatterte ihr Blick immer wieder zur Seite, fing sich wieder und konnte sich trotzdem nicht seinen grünen Augen stellen, die sie so unglaublich intensiv ansahen.

„Ich habe noch so viel vor mir, es gibt so viel Spannendes zu erleben, so viel Neues und so viel Schönes. Nimm doch nur das Baby ... unser Baby.“

Zum ersten Mal legte Emma Caydens Hand bewusst auf die Stelle, unter der das gemeinsame Kind heranwuchs. Sofort schien sie bloß noch mehr Wärme zu durchströmen.

„Diese ganzen Dinge ... kann ich mir noch nicht vorstellen. Aber glaub mir ... wenn ich mir sie vorstellen müsste, fällt es mir leicht, dich jedes Mal an meiner Seite zu sehen.“

Ganz vorsichtig, als könnte die Bewegung ihre kleine Welt zerbrechen, lehnte Emma sich nach vorne. So weit, dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten.

„Ich ... liebe dich doch.“

Emma hauchte nur einen winzigen Kuss auf diese Lippen, die ihr jetzt wieder fremd vorkamen. Aber keinesfalls im negativen Sinne, sondern nur noch aufregender und anziehender als zuvor.

Ihr Herz hämmerte in ihren Ohren.

Sie liebte ihn ...

 

„D-du liebst mich?“, wagte er kaum zu fragen und nicht nur allein der Umstand, dass er jemand war, der so gut wie nie stotterte, machte deutlich, wie überrascht er über dieses Geständnis war.

Seine Augen wurden größer. Sein Herz schlug schneller und er bekam den berüchtigten Tunnelblick, an dessen Ende er nur Emmas Augen sehen konnte.

Ja, sie hatte es wirklich gesagt. Er hatte sich nicht verhört. Die zarte Berührung ihrer Lippen, und ihrer Hand, die immer noch auf seiner lag, während er die Wärme ihres Bauches spüren konnte, waren Beweis genug dafür.

Cayden ließ alle Vorsicht fallen.

Er zog Emma aus der Hocke direkt auf seinen Schoß und schlang die Arme um sie.

Zuerst umarmte er sie nur intensiv und hielt Emma, als würde man sie ihm sonst wegnehmen, während er ebenfalls leise an ihr Ohr flüsterte, dass er sie auch liebte.

Doch das reichte noch lange nicht, um seine aufgestaute Sehnsucht nach ihr zu stillen, die er in den letzten Tagen über sich hatte ergehen lassen müssen.

So nahe war sie teilweise gewesen und doch so unmöglich, sie zu berühren.

Es hatte ihn gewaltig gequält.

Cayden war egal, dass sie zusammen neben einem halb bewusstlosen Vampir am Boden direkt in seinem Büro saßen und gerade eine weitere Krise in ihrer Beziehung hinter sich gebracht hatten. Vielleicht war es gerade dadurch umso intensiver, als er schließlich seine Lippen auf Emmas Mund legte und sie sanft, aber leidenschaftlich küsste.

Es war so lange her.

Oh Gott.

So lange her!

 

Bevor sie noch das kleine Wörtchen 'ja' über die Lippen bringen konnte, wurde sie von Cayden geschnappt, auf seinen Schoß gezogen und fand sich in einer ausgewachsenen Klammerumarmung wieder. Emmas Herz schmolz wie Eis in der Sonne und diesmal fing sie vor Erleichterung an leicht zu zittern.

Im nächsten Moment streichelte Cayden mit einem Kuss seine Liebe auf Emmas Lippen und sie schloss die Augen, um sich einfach fallenzulassen. Zumindest so lange, wie es ihnen beiden erlaubt war.

Denn es dauerte nicht lange, bis der Vampir sich passend zu seinem Stöhnen auch zu bewegen begann. Sein rechter Arm zuckte und er ballte die Hand zur Faust, was sicher nichts Gutes bedeuten konnte.

„Wir sollten ihn hier raus schaffen“, meinte Emma aufgeräumt.

So schwer es war, löste sie sich doch von Cayden, stand auf und sah auf den dreckigen Vampir hinab, dessen Augen unter seinen Lidern hin und her zuckten.

 

Es war ihnen nicht sehr viel Zeit vergönnt, was die Wut auf den anderen Vampir nur noch schürte. Dennoch stand Cayden ebenfalls auf, als Emma es tat.

Sie hatten keine andere Wahl.

„Hol den Sicherheitsdienst. Solange er noch benommen genug ist, kann er nicht widersprechen.“ Und dass sie dem Kerl die ganze Unordnung in seinem Büro in die Schuhe schieben würden, war klar. Vertuschung war geradezu eine angeborene Gabe eines Vampirs.

Während Emma mit dem Telefon beschäftigt war, zog Cayden sich rasch ein neues, nicht am Rücken zerrissenes Hemd an und stopfte das andere in die hinterste Ecke seines Schrankes. Danach ging er zu dem am Boden liegenden Vampir und zog ihn hoch.

Inzwischen hatte dieser die Augen geöffnet, und solange er die Klappe nicht zu weit aufriss, würde man auch dessen Fänge nicht sehen. Ansonsten blieb immer noch die Ausrede einer hirnrissigen Zahnverschönerung.

Mit einem geübten Griff bog er dem anderen Vampir so den Arm nach hinten, dass dieser sich nicht wehren konnte, es sei denn, er riskierte freiwillig eine ausgerenkte Schulter.

Wie immer war der Sicherheitsdienst ganz schön auf Zack, denn kaum hatte Cayden den Vampir richtig zu fassen bekommen, kamen sie auch schon zur Tür hereingestürmt.

Cayden kannte die Männer schon lange und erklärte ihnen in kurzem geschäftsmäßigen Tonfall, dass das der benommene Kerl zu randalieren begonnen hatte, ehe seine Assistentin – er schenkte Emma ein zufriedenes Lächeln – den Kerl mit einem Selbstverteidigungsgriff auf die Matte geschickt hatte.

Sie sollten ihn vor die Tür setzen und dafür sorgen, dass er auch draußen blieb. In Zukunft würde der Typ Hausverbot bekommen.

Nicht, dass das Tasken davon abhalten würde, Cayden auf die Nerven zu gehen, aber immerhin eine kleine Befriedigung für seine Zufriedenheit.

„Dafür hättest du offiziell eine Gehaltserhöhung verdient“, meinte Cayden schließlich, als die Tür hinter der kleinen Gruppe wieder zugefallen war.

Zeit für die Mittagspause. Er lächelte ein kleines Bisschen.

 

Emma stand während der Erklärung für den Sicherheitsdienst wortlos neben dem Schreibtisch, nickte ab und zu und musste nicht einmal versuchen, gehetzt auszusehen. Der ganze Wirbel der Ereignisse stand ihr wohl deutlich ins Gesicht geschrieben, denn die Sicherheitsmänner schenkten ihr jeweils ein aufmunterndes Lächeln und versprachen den Kerl so vor die Tür zu setzen, dass dieser nie wieder das Bedürfnis verspürte, wieder hereinzukommen.

„Dafür hättest du offiziell eine Gehaltserhöhung verdient“, hörte sie Cayden sagen und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihm zu. Er hatte sich rasch umgezogen und nichts von dem Effekt der Falle war ihm jetzt mehr anzumerken. Etwas, das Emma zwar beruhigte, andererseits aber seine Worte von vorhin nur noch bestätigte.

Emma war gut, was Runen anging. Die Falle war stark und präzise gewesen. Taskens 'Angestellten' hatte sie zu Emmas Zufriedenheit umgehauen. Aber Cayden ... hatte die Bannsäule einfach zerrissen. Wie alt er wohl wirklich sein mochte?

„Anstatt der Gehaltserhöhung hätte ich lieber ein Abendessen.“

Sie ging auf ihn zu und nahm seine Hand.

„Pizza und zum Nachtisch Schokoeis. Und viel Zeit, um uns zu unterhalten.“

Emma wollte nicht unbedingt gleich in Caydens Vergangenheit bohren. Dafür war es noch viel zu früh und viel zu unbegreiflich. Aber es interessierte sie, warum Tasken einen Vampir zu Cayden schickte. Noch dazu einen von dieser üblen Sorte. Und ... wie sie das nun eigentlich alles hinbekommen wollten. Immerhin wollte Emma trotz aller Horrorvorstellungen, die sie sich so machen konnte, wissen, wie Cayden sich sein Blut besorgen wollte. Jetzt, da Vanessa nicht mehr zur Verfügung stand.

 

Caydens Lächeln vertiefte sich bei Emmas Wunsch und er ergriff auch ihre andere Hand.

„Es wird mir eine Freude sein, das für dich zu arrangieren.“

Dabei verschwendete er keine Sekunde an seine Arbeit. Wie unwichtig sie doch einem erschien, wenn man etwas so Wichtiges, vor sich stehen hatte. Zudem sollte sich vielleicht ohnehin die Gerüchteküche erst einmal etwas beruhigen, ehe er wirklich wieder Fortschritte mit seinen verbleibenden Kunden machen konnte und alles andere lief von selbst, wenn man gute Mitarbeiter hatte, und das hatte er.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Leros
2012-03-08T11:23:03+00:00 08.03.2012 12:23
einfach nur geniales kapitel, wenn ich auf facebook wär würd ich liken XD
hoffe geht bald weiter, platze vor spannung

LG


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