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Schattenfresser

von

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Die Welt steht Kopf

XXV. Die Welt steht Kopf
 

Irgendetwas knallte entsetzlich laut. Skia zuckte zusammen, doch der Radau schien ihm unendlich weit weg zu sein. Sein Geist bestand aus lauter irre durcheinander rasenden Lichtpünktchen. Ein letzter Rest an Verstand fragte sich, was bei allen tauben Titanen er da gerade tat? Er würgte Kai, den er doch so sehr mochte, und konnte es gar nicht erwarten, ihn in ein optimales Licht zu zerren, in dem es richtig schön viel Schatten gab. Und er hatte das Gefühl, leicht zu kokeln an den Stellen, an denen Kais Fühler ihn getroffen hatten. Aber das war völlig egal… egal… egal… egal…
 

Nein, war es nicht! Was ging hier vor?! Er raffte sich auf, schüttelte sich benommen und erstarrte. Floffi war immerhin so mutig, um mit eingekniffenem Schwanz in Windeseile zu türmen, das hätte er ihm gar nicht zugetraut. Aber die Option hatte er nicht. Kai hing ziemlich derangiert mit verrenkten Flügeln auf dem Sofa. Seine Lider flatterten, seine Atmung ging hastig, seine Wangen waren gerötet. Seine Flügel peitschten angriffslustig durch die Luft, doch wirkte er nicht so, als bekäme er überhaupt mit, dass sie nicht mehr allein waren. Vor ihnen im Wohnzimmer stand eine Frau. Die Glasfassade hinter ihr war einfach… weg. Abendluft drang in den Raum, irgendetwas roch leicht schwelend. Die Fremde war wunderschön. Einfaach unglaublich. Und sie war grauenerregend. Hinter ihren perfekten Formen schien etwas zu lauern. Ihre Augen waren lodernde Flammen. Und sie hatte die Flügel eines Schmetterlings, doch pechschwarz und gerahmt von einer Unzahl messerscharfer Klingen aus dunkel glänzendem Stein.
 

„Genug!“ knurrte sie. Es hörte sich an wie das Knistern einer außer Kontrolle geratenen Flamme, in die jemand feuchte Tannenzapfen geworfen hatte. Dann bewegte sie sich so schnell vorwärts, dass Skia, der Geschwindigkeit nun wirklich gewohnt war, ihr kaum folgen konnte. Sie griff mit einer gezielten Bewegung nach dem noch immer trudelnden Kai und schnappte ihn sich einfach, als sei er eine Stoffpuppe.
 

Dieser Anblick brachte Skia dazu, zumindest so weit wieder zu sich zu kommen, dass er es immerhin schaffte, überrumpelt aufzuschreien.
 

„Nein!“ brüllte er konfus, aber sich sicher seiend, dass das der einzig wichtige Kommentar zu dieser Situation war. „Nein! Nein! Nein! Lass Kai los! Wer bist du?! Was willst du von uns? Lass ihn los!“
 

„Ach… kleiner Schattenfresser“, höhnte sie, Kai an den Fußgelenken hinter sich her Richtung fort gesprengter Fassade schleifend. Kai hing einfach nur paralysiert da und strampelte halbherzig. „Du denkst, er sei dein? Nur für einen Moment? Erinnere dich an diesen Moment… es wird dein einziger sein. Meine Rechte sind älter als deine. Und ich verbrenne dich zu Staub nur mit einem Gedanken. Das hier ist nicht deine Angelegenheit. Hätte es nie sein dürfen. Aber jetzt bin ich da. Und du kannst gar nichts tun. Bilde es dir nicht mal ein. Du hast Angst vor dem Rat? Nun, dieser jammervolle Haufen winselt bei dem Gedanken an mich. Ich hole mir, was mein ist…“
 

Irgendetwas Brüllendes stieg empor, Skia wurde zurück geschleudert, als träfe ihn die Faust eines Riesen, bevor er irgendwie reagieren konnte. Es wurde unsagbar heiß. Es war unmöglich zu begreifen oder irgendwie zielgerichtet zu handeln.
 

„Kai!“ brüllte er lediglich mit überschlagender Stimme, während er schon wieder durch die Wohnzimmerwand geboxt wurde, den frisch restaurierten Picasso mit sich reißend.
 

„Skia?!“ kam eine benommene Erwiderung, dann traf ihn der nächste Schlag. Und der nächste. Und die Welt löste sich in Flammen auf.
 

……………
 

Eigentlich war Morgana recht guter Laune gewesen, als sie wieder gelandet war. Sie hatte immerhin ein bisschen etwas herausgefunden, auch wenn das durchaus besorgniserregend war. Aber das war immerhin besser als nichts, als nur dumm und ahnungslos rum zu hocken, bis irgendetwas geschah, was latent ungut sein dürfte. Auf dem Flughafen hatte sie sich den Erwerb dreier neuer Edelstilettos nicht verkneifen können als Belohnung dafür, dass sie ja so eine Supertante war und überhaupt. Bei den Dingern hieß das Motto: viel zu viel ist noch lange noch nicht genug! Innerlich betete sie darum, dass ihre beiden Schutzbefohlenen nicht doch irgendwelchen Schwachsinn angerichtet haben mochten. Die beiden waren zwar willens, aber ob sie auch fähig waren, wagte sie etwas zu bezweifeln. Was auch immer sie erwarten mochte, hoffentlich war es nur etwas, für das sie ihnen lediglich die Ohren etwas langziehen musste. Wozu gab es sonst Wurstzangen? Das Pfefferkuchenhaus angenagt – das wäre nicht schön, aber inzwischen wusste sie ja, dass cholerische Anfälle da besser zu vermeiden waren. Die Fassade der Villa pink gefärbt – auch nicht so toll, aber das ließ sich korrigieren. Die Homunculi dazu benutzt, im Garten das Filmset von irgendeiner von Skiaphagos‘ Serienschnulzen nachzubauen – igitt. Aber zumindest Kai war ja tendenziell eher vernünftig, wenn auch teilweise etwas überfordert und damit unterschwellig unzurechnungsfähig. Und Skiaphagos… nun ja, er riss sich am Riemen, aber er war und blieb Skiaphagos… Vielleicht war auch gar nichts, sie saßen brav in der Küche und schmierten sich Butterbrote. Wäre erfreulich, aber im Falle des Falles war sie auf einen notwendigen Anschiss mental durchaus gut vorbereitet.
 

Aber auf das, was sie daheim wirklich erwartete, war sie dennoch nicht gefasst gewesen. Nicht im Entferntesten. Sie legte mit ihrem Auto, das sie zwischenzeitlich am Flughafen geparkt hatte, eine Vollbremsung hin, sobald sie in Sichtweite war, und sprang mit einem unmenschlichen Satz hinaus. Mit Ach und Krach gelang es ihr, sich soweit zu besinnen, dass sie die Bewegungen, nach denen ihr war und die ihr möglich waren, bremste, denn es waren Menschen da. Viele Menschen. Viel Lärm. Viel unfassbares Chaos. Was hingegen nicht mehr da war, war ihr Haus. Die Feuerwehr war noch damit beschäftigt, ihre erbärmlichen Löschstrahle auf das zu richten, was mal die Villa gewesen war. Zu behaupten, dass es abgebrannt war, wäre ziemlich untertrieben formuliert. „Infernalisch explodiert“ traf es viel besser.
 

Ach du verwesende Trollscheiße!
 

Kurz tauchte etwas extrem Tobsüchtiges in ihr auf. Was hatten diese beiden Vollidioten bloß angestellt! Dann besann sie sich, wenn auch sehr minimal. Wie zum Geier hätten diese beiden Luschen das hinbekommen sollen? Das hier war keine normale Explosion im menschlichen Sinne, ihre beiden Hausgäste hatten also wahrscheinlich nicht Burgerbraten geübt und dabei den Gastank in die Luft gejagt. Und für so ein Inferno war Skia zu wenig magisch begabt und Kai zu ungeübt. Oder hatten da versteckte Talente gelauert?! Möglich, aber normalerweise dauerte es lange, lange Zeit, bis sie sich auf diesem Niveau entfalteten. Doch was bitteschön war hier noch normal, selbst für ihre Maßstäbe?
 

Die erste Woge heißer Wut wurde durch etwas sehr Kaltes ersetzt, während sie auf ihren Absätzen über den ungepflasterten Zufahrtweg eilte. Aber wenn die beiden das höchstwahrscheinlich nicht gewesen waren, was…?
 

Und vor allen Dingen: Wo waren sie? Und Floffi und Leviathan? Der Verlust der Haustiere war notfalls zu verschmerzen, wenn man in ihren Dimensionen lebte, war das nicht zu vermeiden. Das war zwar unschön, aber alles andere wäre heillos naiv. Auch das Haus war ersetzbar. Kai und Skia konnten nicht tot sein, nicht infolge eines noch so schlimmen Feuers – aber sehr wohl zu Briketts verschmort. Wer bitte wusste das besser als sie? Es würde ewig dauern, bis sie regenerierten, ganz zu schweigen von tausend möglichen Konsequenzen, irrsinnigen Schmerzen und...
 

Etwas neben ihr im Wald jaulte. Sie riskierte einen halben Blick. Zumindest etwas, der Hund hatte überlebt. Im Vorüberrennen sah sie, dass Floffi sein von Kai sorgfältig geschniegeltes Schneeweiß verloren hatte, und jetzt so aussah wie ein besonders kleines schwarzes Wollschaf. Armes Biest… sie bremste kurz ab, schnappte sich das Tier, auf ihren teuren, sauberen Mantel pfeifend, und hetzte weiter. Floffi jaulte einfach stur vor sich hin. Er schien etwas angesengt, aber ansonsten halbwegs okay. Wahrscheinlich stand das arme Viehzeug in erster Linie unter Schock. Stünde sie wahrscheinlich jetzt auch, wenn sie im Laufe der Jahrhunderte nicht bereits ihren Teil an Katastrophen abbekommen hätte. Aber diese hier… okay, war eine weitere. Katastrophen hatten es so an sich ziemlich überraschend und… katastrophal eben daher zu kommen. Seufzend schielte sie nach links. Nein, keine Skia oder Kai-Fragmente, der halbe Inhalt ihres Kleiderschrankes hing in absolut desolatem Zustand im Baum, nur ein roter Spitzenschlüpfer von „Victoria‘s Secret“ schien es überlebt zu haben. Toll, das war mehr als das letzte Mal, da man ihr die Bude auseinander genommen hatte. Da baute man schon stabiler und dann das… Sie war doch nicht die sieben Geißlein, diese Architektur-Nieten, verdammt!
 

Sie bremste und hatte dabei das Gefühl, dass sich ihre Hacken in den vom Löschwasser schlammigen Grund gruben wie bei einer Comic-Figur.
 

„Was ist hier los?“ fuhr sie irgend so eine blonde Semmel von der Feuerwehr an, die besonders wichtig aus der Wäsche guckte.
 

„Gasexplosion, wie es aussieht. Unbefugte haben…“, hob er an.
 

Gasexplosion… tja, was hatte sie schon erwartet. Wer dumm fragte… „Das ist – war – mein Haus!“ klärte sie ihn auf.
 

„Oh!“ erwiderte er überrascht. „Das tut mir leid.“
 

Jede Wette. Leck mich. Sie sah zu, das etwas diplomatischer zu verpacken. „Tja, was weg ist, ist weg. Aber… haben sie zufällig meinen Neffen und meinen… öh… Untermieter gesehen?“ versuchte sie so unverfänglich wie möglich nachzuforschen, was allerdings nicht recht klappen wollte.
 

Der Mann sah sie nur aus seinen wässrig-blauen Augen betroffen an und betatschte mitleidsvoll ihre Schulter. Sie wünschte sich, Floffi wäre bissiger – oder die Ratregeln würden erlauben, zumindest ein Mal im Jahrhundert einen Menschen aus Spaß durch eine nicht mehr vorhandene Wand zu klatschen. Aber das würde nichts bringen. Ruhe bewahren, abwarten, tot konnten sie schließlich nicht sein, immerhin. Es sei denn, etwas hatte ihnen so zugesetzt… nein! Nicht übertreiben, klar denken.
 

„Es tut mir leid“, stammelte der Mann. „Wir haben nur einen… sind sie sicher, dass der andere auch zu Hause war…?“
 

Sie schluckte. Nur einer? Oh weia… aber immerhin, er war in einem erkennbaren Zustand.
 

„Wo ist er!“ forderte sie zu wissen.
 

Der Feuerwehrmann nickte in Richtung mehrerer Krankenwagen, die mit kreisenden Lichtern etwas abseits standen. Sie drehte sich wortlos um und nahm Kurs auf.
 

„Warten Sie!“ schrie er ihr hinterher. „Der psychologische Dienst…“
 

Konnte sie mal kreuzweise. Mit dem winselnden Hund auf dem Arm sauste sie weiter.
 

„Hey, Sie können doch nicht…“, protestierte einer der Sanitäter. Und wie sie konnte. Egal, wen sie da in den Fingern hatten, der war immun gegen Floffis Dreck. Und der durfte auf gar keinen Fall allzu genau unter die Lupe genommen werden.
 

Sie kam gerade noch rechtzeitig, um Zeuge zu werden, wie man einen übel zugerichteten Skia in einen Leichensack verfrachten wollte. Sie schluckte. Er war noch ganz, soweit sie sehen konnte, immerhin, und tot auch nicht, nur im Energiesparmodus. Da war ihrereins wie die Zecken, mit denen sie ja auch ansonsten die ein oder andere Ähnlichkeit verband. Mist, sie war nicht vorbereitet… mit dem entsprechenden Pülverchen wäre es kein Problem, die ganze Bagage loszuwerden… aber so… sie alle niederknüppeln… Skia einfach schnappen und wegschleifen… ganz schlechte Idee.
 

Nein. Ruhe bewahren. Der war noch eine Weile k.o., vielleicht besser so für ihn, wenn sie das richtig sah, den würde sie einfach später diskret im Krankenhaus aus dem Kühlfach klauen. Aber wo zum Geier war Kai?
 

Jetzt fing es auch noch an zu regnen. Irgendein Seelenklemptner laberte auf sie ein, ein Polizist, egal, sie hörte nicht zu. Floffi beklagte die Apokalypse. Sie begann zu laufen. Kai… Kai… Kai… nichts zu sehen, nichts zu fühlen… oder doch… hier war etwas gewesen, das immer noch fast alles überlagerte, etwas Unfassbares… Skia… aus Entfernung… kein Kai… aber…
 

Sie bremste ab. Irgendwelche Menschen brabbelten entfernt durch die Bäume. Dachten wohl, sie sei ausgerastet. Keine Zeit für diesen Mist, sie hatte zu tun. Aber… hier…
 

Sie blickte vor sich durch die Stämme. Der Waldtümpel, an dessen Ufern sie einige Kräuter züchtete, die es schattig und matschig liebten, lag vor ihr.
 

„Mann, das hat ganz schön geknallt!“ kam eine wohlbekannte Stimme.
 

„Charys?“ stutzte sie.
 

Er trat vor. Er hatte sich seine Beine zugelegt. Tat er zwar ungern, aber wenn es sein musste… Er war splitterfasernackt, aber Schamgefühl war auch nicht so richtig ihrs. „Verzeih den Regen. Wenn ich schon draußen rumlaufe, dann wenigstens bei angenehmer Luftfeuchtigkeit. Außerdem kühlen deine heißen Höschen da drüben im Baum so besser ab“, erklärte er.
 

„Was bei allen einäugigen Taranteln machst du denn hier?“ wollte sie harsch wissen.
 

„Ehrlich gesagt: nichts. Habe mich gelangweilt. Ich dachte, ich besuche mal dich und Schmetterkai. Skiaphagos hat ja dieses ärgerliche Redeverbot. Und die Sondergenehmigung war’s mir dann doch nicht wert. Ich tauche also nichts ahnend unten im Becken auf und: RUMS! Was bei allen siamesischen Tintenfischen ist hier los?“ wollte er wissen.
 

„Keine! Ahnung! Hast du Kai gesehen?“, verlor sie keine Zeit.
 

„Nein… ich war zu beschäftigt damit, durch die Luft geschleudert zu werden, tut mir leid. Habe Fliegender Fisch gespielt sozusagen. Sehr demütigend. Aber, falls es dich interessiert: mir geht es super. Ein paar Schuppen sind eingeknickt und ich habe mir einen Fingernagel abgebrochen, aber ansonsten…“, palaverte er.
 

„Nein, das interessiert mich in der Tat nicht die Bohne! Verdammter Mist!“ fluchte sie.
 

„Wie geht’s dem toten Skiaphagos?“ wollte Charys ungerührt wissen.
 

„Konntest du das nicht verhindern?“ klagte sie augenrollend.
 

„Nein“, erwiderte er knapp. „Ich habe zwar keinen Schimmer, was hier los ist – aber was immer das war, war gar nicht gut. Ich habe mein Möglichstes getan, habe deinen Drachen gerettet, und mich in Deckung begeben. Das ist doch schon mal was? Okay, das Vieh war eh los, hat wohl einer vergessen, Käfig und Fenster zu zumachen, aber jeder hat so seine Grenzen. Und Skia… der wird schon wieder…“
 

„Wohl wahr… Okay, eins nach dem anderen… Hier!“ startete sie resolut.
 

Charys rümpfte angewidert die Nase. „Was soll ich mit dem stinkenden Vieh?“ meinte er bei Floffis Anblick. Sie drückte ihm gnadenlos den unglücklichen Hund in die Arme.
 

„Ich dachte, du hast dich gelangweilt? Nun, da helfe ich gerne. Charys, hier ist echt der sogenannte Teufel los. Und nicht der Tasmanische… der so schöne Geschichten erzählen kann… nein, der mit den Hörnern und den unguten Absichten… nicht identisch mit Urgroßonkel Beezlebub… Du packst gefälligst mit an! Sonst servier ich dich paniert mit Ketchup und Kartoffelbrei im Kindergarten!“ verkündete sie drohend.
 

„So alt wie ich bin, schmecke ich garantiert arg tranig, die Kinder heulen – und du bekommst was zum Essen“, folgerte er seufzend, sie großzügig daran erinnernd, dass sie ihm genau genommen gar nichts konnte. Wollte sie ja auch streng genommen gar nicht. Aber Unterstützung konnte sie wirklich gebrauchen und sie war gerade – leicht – gestresst. „Aber da will ich mal nicht so sein. Wie gesagt, mir ist öd… Was ist also dein Begehren, holde Maid?“ veräppelte er sie.
 

Sie kniff kurz die Lippen zusammen. Dann sagte sie: „Bring die Viecher zu Rumpel und Stilzchen und informiere sie, dass sie hier aufräumen müssen. Sag ihnen, sie sollen den Rat informieren, dass wir aller Wahrscheinlichkeit nach angegriffen wurden. Über Kai erst mal nichts. Vielleicht ist er panisch davon gelaufen, wir wollen ihn nicht in Schwierigkeiten bringen.“ Das glaubte sie zwar nicht, aber man durfte ja zumindest hoffen. „Besorge dir etwas zum Anziehen. Ich schau derweil, ob ich hier noch etwas finde. Ich kriege raus, wo sie Skia hinbringen. Kümmere dich um den Transport. Er wird Heilung benötigen. Alles klar?“
 

„Klar!“, nickte Charys in seiner dämlichen jungenhaften Anmut, die sein liebster Köder war. „Stimmt, hört sich spannender als öde an.“
 

„Dann mal Abmarsch… oder –schwimm. Mir egal! Wir haben zu tun!“ orderte sie.
 

„Ja ja… aber was ist hier überhaupt los?“ bohrte er neugierig.
 

Sie seufzte. „Wenn ich das so genau wüsste“, schluckte sie.
 

…………………
 

Seine Welt stand Kopf.
 

Wortwörtlich.
 

Unter ihm zog Hamburg dahin.
 

Ihm war schrei übel – aus diversen Gründen.
 

Aber aktuell in erster Linie, weil ihn etwas kopfüber hängend durch die Luft hoch über den nächtlichen Lichter der Metropole schleifte, während er verzweifelt strampelte und flatterte und flehte und pöbelte. Bilder von Skia blinkten vor seinem inneren Auge auf… seidenweiche Strähnen, die plötzlich zu stählernen Tentakeln mutierten… und dann diese schrecklich Gier zu… Was überhaupt? Er war aktuell zu keinem klaren Gedanken in der Lage.
 

Nur Bilder… sein Schreibtisch im Lehrerzimmer… Floffy und er an einem Samstagabend auf der Couch beim DVD-Gucken… die Fahrt in der Achterbahn… sein Zimmer im Hexenhaus… die Oase Siwa… Skia, der lachte… Morgana, die schimpfte… seine Eltern… er mit den rosa Flügeln… und dann… diese Frau… war einfach dagewesen…
 

Und dann war einfach alles irrsinnig schnell gegangen. So schnell, dass er es gar nicht zu greifen bekam. Überall hatte es geknallt und gedonnert. Eine schreckliche Stimme, die schreckliche Dinge sagte. Skia, der durch die Wand geschleudert wurde. Geschrei. Flammen. Ein brennender Griff, der ihn packte und fortriss.
 

Ein Befehl: „Tonatiuh!“
 

Sagte ihm gar nichts.
 

Und das Wesen, die Frau, die ihn fortschleppte, als sei er ein Sack Kartoffeln der Marke „Erika“ richtete kein Wort an ihn, hielt ihn gepackt und flatterte in einem Wahnsinnstempo voran. Er hatte das Gefühl, mit den Füßen am weltgrößten Fliegenfänger zu hängen, so stählern war ihr Griff und so fruchtlos waren seine Bemühungen
 

Er hatte sie nur kurz vor Augen gehabt. Einfach wunderschön, und das sagte selbst er, der mit weiblicher Schönheit nun gar nichts am Hute hatte. So wirkte sie auch nicht auf ihn, sondern… wie eine Göttin. Nicht wie Angelina Jolie, die mit ihren irdischen Reizen eine verkörpern mochte, nein, ganz und gar nicht. Und nicht wie das Meisterstück eines Künstlers. Nein… wirklich wie eine Göttin. Und vielleicht war sie das auch. Eine Uralte? Furchteinflößend und erhaben. Zart und riesig. Und sie hatte Flügel. Schmetterlingsflügel. Genau wie er, aber in der Horror-Variante.
 

„Bist du meine Mutter?“ brüllte er durch den Fahrtwind. „Meine – biologische Mutter?“
 

Oh bitte nicht… bitte nur eine entfernte Cousine…
 

Sie schwieg immer noch.
 

„Lass mich los!“ tobte er. „Lass mich gefälligst los!“ Das Siezen sparte er sich. Dass man das in ihren Kreisen nicht tat, war ihm ja inzwischen klar geworden. Dass das Strampeln nichts brachte leider auch.
 

Nichts tat sich.
 

„Was soll das überhaupt? Falls du meine Mutter sein solltest – warum musste ich weg vom Fenster? Und was willst du jetzt urplötzlich wieder von mir? Ich tue doch keiner Fliege etwas zuleide – es sei denn sie glitzert und trägt ein Tü-tü!“ protestierte er.
 

Jetzt antwortete sie doch. Eiskalt.
 

„Das, mein lieber Sohn, ist das Problem.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2011-12-08T17:16:13+00:00 08.12.2011 18:16
(urgs, beim kommentar schreiben auf die falsche taste gekommen -.- was wollte ich sagen...? ah ja...)

vorzustellen, wie Skia im Leichenschauhaus aufwacht. Das wäre doch eine super Idee für eine seiner Soaps xD

Jedenfalls, im Moment ist Schattenfresser meine Lieblingsgeschichte von dir, mehr Spannung und Handlung anstatt der vielen Gefühlsdusselei. Sicher ist es wichtig, über seine Gefühle zu reden und sich dadurch weiter zu entwickeln, aber im Moment wiederholst du dich viel zu viel. Weniger kann durchaus mehr sein.
Von: abgemeldet
2011-12-08T17:11:39+00:00 08.12.2011 18:11
Ich mag Kais Mutter wirklich nicht. Es scheint, als wäre sie ein fürchterlicher Kontrollfreak und könne es nicht ertragen, wenn etwas nicht nach ihren Willen geht, was wohl zweimal passiert ist, einmal als sie sich von dem einen Wesen angezogen fühlte und zum anderen, als Kai daraus entstand. Und jetzt, wo er seine wahre Identität entdeckt, verfolgt sie ihn wie einen wachhund und entführt ihn sogar, als es mit Skia passiert. Ich hoffe sehr, dass da noch mehr dahinter steckt, als ihr Kontrollzwang und die Abneigung gegen Kais Aussehen/Fähigkeiten. Und selbst wenn, was sie Skai angetan hat, ist doch echt mies.
Trotzdem ist es irgendwo lustig sich vorzustellen, wie S
Von:  chaos-kao
2011-12-07T23:47:19+00:00 08.12.2011 00:47
Hm ... Hm ... okay ... *sprachlos ist*
Tolle Mutter hat er da. Diskriminiert ihn, weil er kitschige Sachen als Leibspeise hat ... dabei hat es doch gerade zwischen ihm und Skia gefunkt gehabt -.-
Ich hoffe Skia kann gerettet werden, bevor er eingeäschert oder beerdigt wird *drop*
Aber ich beneide dich echt um deine Fantasie! Das ist einfach nur genial, noch nie so dagewesen und verdammt spannend!
Weiter so! ^^
Lg
Kao
Von:  Salix
2011-12-07T20:10:23+00:00 07.12.2011 21:10
Ich habe ein großes, pinkes Fragezeichen über meinem Kopf, welches Kais sicher schmecken würde.
Das Kapitel ist spannend, aber es weckt mehr Fragen als es beantwortet.
Warum wird Kai entführt? Warum ist es gefährlich, dass er auf Kitsch frisst? Und noch so ein paar, die hoffentlich im weiteren Verlauf der Story geklärt werden.
Bin schon gespannt wie sie Skia aus der Leichenhalle stehlen und was Charys noch so anstellt.
Und ich hatte Spaß beim Lesen.

LG


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