Zum Inhalt der Seite

Exitium

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel I

Ab hier werden einige kleinere und größere Änderungen im Vergleich zum Doujinshi auftreten. Dinge, die ich dort einfach vergessen oder nicht deutlich genug heraus gearbeitet hatte.

Wünsche viel Spaß beim Lesen^^
 

~ Kapitel I ~
 

Noch bevor die Sonne richtig am Himmel stand und den neuen Morgen einläutete, war der Assassine Cross in das Hauptgebäude der Gilde zurückgekehrt.

Das im Herzen der Sograt Desert gelegene Gebäude ragte majestätisch in die Höhe. Schon zahllose Kämpfer und junge Assassine Anwärter haben im unendlichen Sandmeer den Tod gefunden. Selbst wer die zahlreichen mordlustigen Monster abwimmeln kann, verliert nicht selten die Orientierung oder auch den Verstand unter der brennenden Sonne Morrocs. Für den heimkehrenden Profikiller stellte dies jedoch schon seit Jahren kein Problem mehr dar. Soweit er sich zurückerinnern kann, lebte er schon immer in den sandigen Weiten und kannte diese wie seine Westentasche. Überraschungen gab es hier für ihn keine mehr.

Leichten Schrittes erklomm er die zahlreichen Stufen zum Eingang des Gildengebäudes. Aus allen Ecken funkelten ihn kampfbereite Monster an. Zwar waren sie selbst in ihrer Aggressivität nicht so dumm sich auf einen Kampf mit dem Assassinen einzulassen, doch der Geruch des Blutes an seiner Waffe und dem Priestergewand muss sie angelockt haben. Doch der Assassine verschwendete keinen Blick an sie.

Auf einem kleinen Plateau vor dem Eingang fixierte ein Wachposten den Ankommenden. Blitzschnell griff er nach einem kleinen Dolch, jede Sekunde bereit zuzustechen. Beim Anblick seines Verbündeten ließ er jedoch ebenso schnell wieder davon ab. Die beiden nickten sich wortlos zu und die Wache schien wieder einen Ort irgendwo in der Ferne zu fixieren.

Die Wände des Hauptgebäudes waren kalt und leer. Die fensterlosen Gänge, von denen einer wie der andere aussah, wurden nur durch einige Fackeln in ein schauriges orange-rotes Licht gehüllt. Ein Laie hätte sich schon nach kurzem hoffnungslos verlaufen, doch der Assassine bahnte sich mühelos seinen Weg durch die identischen Flure.

„Haseo!“

Blitzschnell fuhr der Assassine Cross herum, als er seinen Namen hörte, sodass sein langes schwarzes Haar, welches straff zusammengebunden war, gegen seine Wange schlug. Er kannte diese Stimme und ihr Klang ließ ihn erahnen, dass ihm gleich eine Standpauke drohte, die sich gewaschen hat. Nur wenige Meter von ihm entfernt stand eine junge Frau. In ihrem Gesicht spiegelte sich Ärger und Besorgnis gleichzeitig wider. „Du bist spät!“ Haseo erwiderte nichts. Er sah die Rothaarige nur stumm an, als sie noch einige Schritte auf ihn zu kam und nun unmittelbar vor ihm stand. Ihre großen blauen Augen musterten Haseo von oben bis unten und schienen ihn für unversehrt zu befinden. Ihre Lippen formten ein erleichtertes Lächeln.

Was auch immer Haseo ihr bedeutete, es muss viel gewesen sein.

Doch er schien diese Gefühle nicht zu teilen. Haseos Gesicht blieb regungslos, wie immer.

„Hier.“ Völlig selbstverständlich streckte Haseo der Frau die Robe des High Priest entgegen. Erst jetzt bemerke sie, dass die Robe völlig verdreckt war und ihr eben noch so freundliches Gesicht verzog sich zu einer ungläubigen Grimasse. „Wie zum Henker soll ich das bis morgen rauskriegen?! Wie soll ich das überhaupt rauskriegen?!“ Ihre laute, aufgebrachte Stimme hallte an den leeren Wänden des Gangs wider. Haseo ließ dieser Ausbruch jedoch wie gewohnt kalt. Wenn er Gefühle hatte, verstand er es ausgesprochen gut diese zu verstecken. „Das ist nicht mein Problem.“, erwiderte er nur kalt und drehte ihr den Rücken zu.

Er wollte gerade gehen, als er unsanft zum Bleiben gezwungen wurde. Die nun sichtlich verärgerte Frau hatte das verschlissene Tuch um seinen Hals zu greifen bekommen und schnitt ihm so nicht nur den Weg sondern auch die Luft ab. Reflexartig stieß Haseo seinem vermeintlichen Angreifer unsanft den Ellenbogen in den Magen, um sich zu befreien. Die junge Frau riss die Augen auf und rang nach Luft, als sie einige Schritte nach hinten taumelte. Für einen kurzen Moment wurde ihr schwarz vor Augen. Als sie wieder klar sehen konnte blickte sie genau in Haseos wütendes Gesicht. Erst jetzt wurde ihr bewusst wie fatal ihr Handeln gewesen war. Sie kannte seine Grausamkeit zu genüge und nun hatte sie den Zorn des ruchlosen Mörders auf sich gezogen. Entschuldigungen würden nichts nützen und so konnte sie nur ängstlich der Dinge harren, die da kommen mögen.

Mit ungeheurer Geschwindigkeit ergriff Haseo ihren Arm, schleuderte sie gegen die Wand und nagelte sie dort fest. Sein Griff war brutal und erbarmungslos und sie spürte, wie sich das Blut in ihrem Arm staute. Sie hatte Angst, er würde ihn brechen. Die Schmerzen die sie im Arm und Magen hatte waren kaum zu ertragen, dennoch wagte sie es nicht auch nur einen Ton von sich zu geben. Angestrengt presste sie die Lippen zusammen und hoffte, dass seine Wut bald abklingen und er von ihr ablassen würde. Doch Haseo würde solche Dreistigkeit einer Rangniederen nicht ungestraft hinnehmen.

„Rika…“ Haseos Stimme klang bedrohlich und ließ Rika vor Angst erzittern. Fast schon panisch kniff sie die Augen zusammen und versuchte einfach auszuharren, was ihr nicht gerade leicht fiel, als sie Haseos Wange an ihrer spürte. Nur der Stoff seines Schals trennte sie noch. Ein unangenehmer Schauer durchfuhr Rikas Körper, als Haseo direkt neben ihrem Ohr wieder die Stimme erhob: „Vergiss niemals deine Stellung und mit wem du es zu tun hast…“

Er ließ Rika los und entfernte sich einen Schritt von ihr. Im Gegenzug sah er ihr jetzt mit einem mörderischen Blick genau in die Augen.

„Merk es dir…oder leb mit den Konsequenzen!“

Ohne ein weiteres Wort drehte er ihr den Rücken zu und verschwand in einem Seitengang. Rikas Beine waren wie aus Gummi und boten ihr keinerlei Halt mehr. Völlig kraftlos sank sie an der Wand zu Boden. Sie vergrub das Gesicht in ihren Händen, nicht wissend, ob sie weinen oder lachen soll, schließlich war sie erstaunlich glimpflich davon gekommen. Außer einem rot-blauen Abdruck am Arm hatte sie keinen wirklichen Schaden genommen. Doch ihre Nerven hatten gelitten.

Sie kannte Haseo schon ihr Leben lang und er war schon immer etwas schwierig und ein Einzelgänger gewesen, aber dass er ein derartiger Misanthrop geworden ist, wird sie niemals begreifen können.

Vielleicht wollte sie es auch einfach nicht begreifen. Sie wollte nur den Haseo wieder haben, den sie von früher kannte – vor diesem Vorfall.

Je mehr sie darüber nachdachte desto näher kam sie den Tränen. Sie hatte sich geschworen stark zu sein, für Haseo, für sich selbst, doch sie wusste nicht, wie lange sie diese Scharade noch durchstehen würde. Weinen konnte Rika nur heimlich doch diese Chancen nutzte sie in letzter immer öfter. All ihr Schmerz, ihre Trauer und Verluste brachen aus ihr heraus. Wie das leibhaftige Elend kauerte sie am Boden, das Gesicht hinter beiden Händen verborgen. Der Strom ihrer Tränen schien nicht abreißen zu wollen. Es war ihr egal, dass sie mitten in einem Flur saß, wo sie jeder hätte sehen können. Es war ihr auch egal, wenn sie jemand gesehen hätte. Sie konnte nicht mehr vorgeben etwas zu sein, was sie nicht ist. Zu lange schon hat sie sich selbst verleugnet.

Es musste sich etwas ändern.

Sie musste etwas ändern.

Seufzend doch mit einem neuen Entschluss wischte sich Rika die Tränen aus dem Gesicht und raffte sich auf. Sie würde Haseo wieder zu dem machen, der er war und nicht, was diese Gilde aus ihm gemacht hat. Sie musste nur noch ein bisschen länger durchhalten. Noch ein bisschen länger ihre Fassade aufrecht erhalten.

Dann wird alles wieder gut!

Dann wird alles wieder gut…?
 

„Das ist so demütigend…“

Haseos schlechte Laune am nächsten Tag war im gesamten Gildengebäude zu spüren und schien wie Smog in der Luft zu hängen. „Ach was, ich find’s süß!“, scherzte Rika, die pedantisch an Haseo herum zupfte und versuchte seiner Verkleidung den letzten Schliff zu verpassen.

Haseo hatte einen enorm wichtigen Auftrag von der Gilde erhalten. Heute würde in der Prontera Chivalry eine Versammlung der Knight Gilde und derer Verbündeten abgehalten werden. Es heißt, sie planen einen nahezu apokalyptischen Schlag gegen die Assassine und Rogue Gilden. Zwar handelt es sich bei diesen Aussagen nur um Gerüchte, dennoch darf die Gilde eine derart große Bedrohung nicht unbeachtet lassen. Von der Rogue Gilde war keine Hilfe zu erwarten, da diese die Assassinen von je her fürchteten und mieden. Sie mussten also alleine damit fertig werden und dafür brauchten sie Informationen. So viele und so detailliert wie möglich.

Dass Haseo dafür auserkoren wurde überraschte niemanden. Selbst innerhalb der Gilde hatte er den Ruf besonders rational, routiniert und gefühlskalt zu sein. Egal also, was für Grausamkeiten er während der Versammlung wohlmöglich hören würde, er würde sich nie zu einer unüberlegten von Emotionen gelenkten Tat verleiten lassen. Doch dafür musste er auch seine Mörderkluft gegen die seidige Priesterrobe eintauschen, was ihm sichtliches Unbehagen bereitete. Wie durch ein Wunder war es Rika gelungen die Robe wieder in schönstem Weiß erstrahlen zu lassen. Doch die dunklen Ringe unter ihren Augen verrieten, dass es wohl eher harte Arbeit und eine durchwachte Nacht waren.

„So, fertig!“

Rika positionierte sich einige Schritte vor Haseo, um ihr Werk in voller Pracht bewundern zu können. Haseo versuchte währenddessen krampfhaft seine Scham zu verbergen und wich ihrem Blick vehement aus. Der Anblick, der sich hier bot, war ungewohnt, nahezu verwirrend, und doch so faszinierend. Der geschmeidige weiße Stoff umspielte fließend Haseos schlanken Körper. Seine schmale Taille, seine langen Beine; plötzlich schien er so zerbrechlich zu sein. So sanft und friedlich. Es war wohl doch wahr, dass Kleider Leute machen.

Er war kaum wieder zu erkennen. Seine ganze Ausstrahlung hatte sich verändert. All die Wut und Aggressionen, die er sonst regelrecht versprühte, schienen versiegt zu sein. Sein langes Haar, welches er heute auf Rikas Empfehlung hin offen trug, verschleierte sein Gesicht und ließ nur ab und zu einen verstohlenen, schüchternen Blick durchscheinen. Es muss eine Ewigkeit her gewesen sein, dass Rika solch humane Emotionen in Haseo finden konnte. Es war, als ob der Haseo, den sie einst kannte, für einen kurzen Moment wieder an die Oberfläche gedrungen war. Sie hatte nie aufgehört an das Gute in ihm zu glauben. Vielleicht würde dieser Tag endlich die Wende in seinen Leben bringen, auf die sie schon so lange hoffte und wartete. Rika bat inständig dafür.

„Bist du fertig…?“, fragte Haseo vorsichtig. Der nervöse Unterton in seiner Stimme ließ deutlich vermerken, dass er eigentlich kein ‚Ja‘ hören wollte. Haseo wusste, dass dieser Auftrag mit keinem seiner bisherigen vergleichbar war und das ungute Gefühl, das wie ein Stein in seinem Magen lag, verstärkte sich zunehmend. Das Schicksal aller Assassinen könnte von seinem heuten Erfolg oder auch Misserfolg abhängen. Fehler waren inakzeptabel. Die Last, die auf Haseos Schultern ruhte, war kaum zu ertragen, doch die Gilde setzte großes Vertrauen in ihn und war sich sicher, wenn er es nicht schafft, dann keiner. Haseo war sich dessen nur zu gut bewusst. Sein Blick fiel nun stumpf und leer auf den Boden und schien trüb und ohne Glanz zu sein.

„Haseo…“ Rika hasste es ihn so zu sehen. Behutsam legte sie ihm eine Hand auf die Schulter und sah ihm tief in die Augen. „Du schaffst das. Alle hier glauben an dich.“, sie hielt kurz inne und legte ihre andere Hand auf ihr Herz, „Ich glaube an dich!“ Ihre Lippen formten ein verständnisvolles Lächeln, dass selbst Haseo nicht entging. Ein Teil seiner Last schien von ihm abzufallen oder wenigstens leichter zu werden. Auch er war nur ein Mensch. Auch er brauchte in schweren Zeiten mentalen Beistand, so ungerne er sich das auch eingestand. Haseo seufzte laut und ging einige Schritte auf und ab.

„Ich muss los…oder?“ Rika nickte tonlos. Haseo ließ erneut einen Seufzer vernehmen und fuhr sich durchs Haar. Seine Füße schienen keinen weiteren Schritt mehr machen zu wollen doch er wusste, dass er keine Wahl hatte. Nahezu mechanisch näherte er sich dem Ausgang des dunklen Gebäudes. Die gleißende Wüstensonne blendete ihn, als er hinaus trat.

„Haseo!“ Rikas Stimme klang aufgeregt. Haseo drehte sich zu ihr um und warf ihr einen fragenden Blick zu. Ihr Mund war leicht geöffnet, so, als wollte sie etwas sagen doch schließlich schloss sie ihn wortlos wieder und schüttelte nur kurz den Kopf. „Es ist nichts, entschuldige…“ Haseo warf ihr einen verwirrten Blick zu doch hakte nicht weiter nach.

Schnellen Schrittes ließ er die Gilde hinter sich. Rika blickte ihm noch lange nach, bis er schließlich außer Sichtweite war. „Haseo…pass auf dich auf, bitte…“
 

Der Weg nach Morroc war schnell und problemlos zurückgelegt. Wenn es einen Weg gab, den Haseo in uns auswendig kannte, dann diesen. Im Stadtzentrum wechselten einige Zeny den Besitzer und die freundliche Kafra Angestellte öffnete Haseo ein Portal nach Prontera. Als sich das Portal tosend vor ihm öffnete kam Haseo noch ein letztes Mal der Gedanke einfach umzukehren. Doch er hatte eine Mission. Aufgeben war keine Option, das würde sein Stolz ihm niemals erlauben. Mit festem Blick trat er in das Portal und wusste, es gab kein Zurück.

Kaum in Prontera angekommen bereute Haseo seine Entscheidung schon wieder. Das Portal transportiere ihn direkt auf eine von Händlern übersäte Straße. Die Merchants und alles was aus ihnen werden konnte reihte sich Schulter an Schulter an und auf der Straße. Dazwischen tummelten sich allerhand Käufer, Abenteurer und Reisende jeder Klasse. Für die meisten Menschen wahrscheinlich ein wahres Spektakel für den menschenscheuen Haseo die reinste Hölle und er begann sich zu fragen, ob das wohl die Strafe für seine bisherigen Verfehlungen war. Doch er war sich sicher, dass selbst er solch eine Folter nicht verdient hatte.

Seine Laune sank auf einen neuen Tiefstwert, als er sich mit Händen und Füßen durch die Mengen kämpfte, ungeachtet all jener, die missmutig raunten, als er sie unsanft aus seinem Weg schob. Doch es war ihm völlig egal. Er wollte nur einfach hier weg, irgendwohin wo er wenigstens ein bisschen Raum zum Durchatmen und Neuorientieren hatte. Es schien aussichtslos. Weit und breit waren nur Menschen, Menschen und nochmals Menschen zu sehen. Haseo war sich jetzt sicher zu wissen, wie sich Sardinen in der Dose fühlen.

‚Das ist doch alles Scheiße…‘ Einen positiven Gedanken konnte Haseo jetzt unmöglich fassen. Erst recht, da eine Gruppe Händler hinter ihm plötzlich in Aufruhr geriet und aufgebracht durcheinander rief. Bis zum Äußersten gereizt drehte sich Haseo wie in Zeitlupe zu den Störenfrieden um, um ihnen die Leviten zu lesen, als er plötzlich realisierte, was da auf ihn zu kam. Die Menschenmenge vor seinen Augen spaltete sich zu beiden Seiten, als ein scheinbar wildgewordenes Peco Peco durch die Masse stürzte. Der völlig hilflose Lord Knight auf dem Rücken des Tieres schien keinerlei Kontrolle über den Laufvogel zu haben und taumelte schwankend hin und her. Während die Menschen ringsherum fluchtartig das Weite suchten blieb Haseo wie angewurzelt stehen. Seine Füße wollten sich keinen Millimeter bewegen.

Unaufhaltsam stürmte das Peco auf ihn zu. Immer näher und näher. Reflexartig verschränkte Haseo die Arme vor dem Gesicht, um den bevorstehenden Schaden wenigstens zu minimieren. Die Sekunden bis zum Zusammenstoß zogen sich zäh dahin. Haseo rechnete jeden Augenblick damit, seinen Herzschlag in jeder Faser seines Körpers spürend. Das Unaufhaltsame erwartend hielt er den Atem an.

Dann die Kollision – blieb aus.

Es dauerte einige Momente bis Haseo realisierte was eben passiert, oder eben nicht passiert war. Erst das laute Gemurmel der umher Stehenden holte ihn in das Hier und Jetzt zurück. Vorsichtig senkte er seine Arme und öffnete die Augen. Erschrocken wich er einige Schritte zurück. Der große orangefarbene Laufvogel war nur wenige Zentimeter vor ihm zum Stehen gekommen. Der Reiter war durch das abrupte Bremsen beinahe vorne über gefallen, konnte sich jedoch noch im Sattel halten. Er wirkte benommen, aber wohlauf. Der Lord Knight schüttelte kurz den Kopf und warf dann sein langes dunkelblaues Haar in den Nacken. Ob es von dem wenig angenehmen Ritt so zerwühlt oder dies der Normalzustand war, würde wohl vorerst ungeklärt bleiben. Haseo war das jedoch auch herzlichst egal.

In ihm tobte eine seltsame Mischung aus Wut und Erleichterung. Er wollte gerade seinem Ärger Luft machen und zu wüsten Beschimpfungen ansetzen, als ihm der Lord Knight zuvor kam: „Hey, das tut mir wirklich leid! Ist bei dir alles in Ordnung?“ Obwohl seine Stimme gehetzt klang, barg sie eine ungeahnte Wärme und Aufrichtigkeit, ähnlich einem Kind, dass einfach sagt was es denkt. Ungläubig musste Haseo feststellen, wie sich seine Wut von selbst verflüchtigte. Er verstand es selbst nicht. Irgendetwas an diesem Mann brachte seinen Verstand in Aufruhr und ließ dennoch seine Seele zur Ruhe kommen. Die Begegnung mit dem Fremden fühlte sich so vertraut an, dass es schon fast unheimlich war. So verwirrt konnte Haseo nichts anderes tun, als den Lord Knight unentwegt anzustarren.

Er wollte sich erinnern. Er fühlte, dass da etwas war. Eine Verbindung, eine gemeinsame Vergangenheit. Doch seine Erinnerungen blieben schwarz. Schon seit Jahren. Egal wie sehr Haseo es auch versuchte, nichts aus seiner Vergangenheit wollte sich ihm offenbaren. Auch nicht warum ihn dieser Mann so vollkommen vereinnahmte. Eben jenes Objekt der Begierde kletterte derweil ein ziemlich unbeholfen von seinem Reittier. Obwohl er ein wenig anmutiges Bild darbot, konnte Haseo den Blick nicht abwenden.

„Ist dir wirklich nichts passiert?“, erkundigte sich der Lord Knight erneut, als er unmittelbar vor Haseo stand. Der Knight war kaum größer als Haseo und somit auf Augenhöhe. Seine hellgrünen Augen blickten besorgt zwischen dem langen Pony hindurch und Haseo erwischte sich selbst dabei, wie er bei diesem Anblick kurz schwach wurde. Einfach alles an diesem Mann bewegte etwas in ihm und dafür hasste Haseo den Fremden schon jetzt.

Er hasste ihn dafür, dass er ihn in aller Öffentlichkeit so bloß gestellt hatte.

Er hasste ihn dafür, dass er sich um ihn kümmerte wie um ein kleines Kind.

Und vor allem hasste er ihn dafür, dass er all diese Gefühle in ihm auslöste, die er nicht verstehen oder auch nur zuordnen konnte.

Angestrengt wandte Haseo den Blick auf den Boden in der Hoffnung sein Gegenüber würde von all dem was in ihm vorging nichts mitbekommen. So stark er auch auf dem Schlachtfeld war, so unbeholfen und verletzlich war Haseo letzen Endes bei zwischenmenschlichen Kontakten. Der Lord Knight jedoch schien genau da seine Stärken zu haben. „Tut dir irgendetwas weh? Du guckst so gequält.“ Obwohl der Lord Knight älter als Haseo zu sein schien, klang seine Stimme selbst in solch einer Situation jung und versprühte jugendliche Leichtigkeit. Haseo hatte für all das nur ein müdes Lächeln übrig. Ja, er quälte sich, doch er verstand es selbst nicht, was ihm solches Leid bereitete.

„Nicht gerade gesprächig, was?“, verunsichert legte der Fremde den Kopf schief. Sein Verhalten erinnerte an einen Hund, der seinen Kopf nach links und rechts neigte, wenn er versuchte etwas zu verstehen. Doch Haseo blieb stumm.

Der Lord Knight verzog das Gesicht zu einer nachdenklichen Grimasse, als ob das Überlegen ihm Schmerzen bereiten würde. Haseo war fest davon überzeugt, dass es auch tatsächlich so war. Völlig unerwartet schlug der Fremde seine rechte Faust in die linke Handfläche, als ob ihm ein Geistesblitz gekommen wäre, was Haseo unwillkürlich zusammen zucken ließ. Sein nachdenkliches Gesicht wurde zu einem breiten Lächeln. „Du kriegst eine kleine Entschädigung von mir, ok?“ Haseo wusste nicht, was er darunter verstehen sollte. Die beste Entschädigung wäre gewesen, wenn der Fremde einfach wieder genauso plötzlich aus seinem Leben verschwinden würde, wie er gekommen war. Doch Haseo war sich leider ziemlich sicher, dass es sich um etwas anderes handelte.

Der Lord Knight zwinkerte ihm neckisch zu, als er ihm die Hände auf die Schultern legte und Haseo mit sanfter Gewalt zu sich heran zog. Wie vom Schlag getroffen realisierte Haseo, was der andere vor hatte, doch wirklich glauben konnte er es nicht. Je näher ihm der Lord Knight kam, desto größer wurde Haseos Bedürfnis ihn gewaltsam von seinem Vorhaben abzuhalten. Zwei Männer, einer davon auch noch er selbst, vor den Augen dutzender Schaulustiger, das konnte er nicht zulassen.

Geistesgegenwärtig stieß Haseo den Knight brutal von sich und musste sich beherrschen, nicht noch weiter auf den taumelnden Mann loszugehen. Wut breitete sich wie Gift in seinem ganzen Körper aus und verdunkelte seine Gedanken.

„Was fällt dir ein, du elender…!“ Doch Haseo konnte seinen Satz nicht mehr beenden, als er ein leises Lachen von seinem Opfer vernahm. „Du kannst ja doch reden!“, freute sich der Lord Knight breit grinsend. Haseo traute seinen Augen und Ohren nicht. Dieser Kerl schien durch und durch eine unerschütterliche Frohnatur zu sein. Ein weiterer Fakt, der Haseo einfach nur zuwider war. Dieser Mann schien alles zu vereinen, was Haseo in Rage versetzte, und doch empfand er keine Abneigung gegen ihn, was Haseo innerlich toben ließ vor Wut. Seine Mauer, die er so mühsam all die Jahre aufgebaut hat, begann mit einem Schlag zu bröckeln.

Das konnte er nicht zulassen.

Mit vor Wut funkelnden Augen nahm Haseo sein Gegenüber scharf ins Visier. Das Lächeln das Lord Knights erstarb schlagartig und er musste schwer schlucken. „Wage es nie wieder, mir auch nur noch einmal unter die Augen zu treten! Wenn doch…gnade dir Gott!“ Haseos aggressiver Ton schnitt wie eine Klinge durch die Luft und ließ alles um sich herum vor Kälte erstarren. Für einen kurzen Moment schien vollkommene Stille um Haseo und den Lord Knight zu herrschen. Schnaubend drehte Haseo ihm den Rücken zu und stürzte davon.

Sein Eilschritt brachte die leichte Priesterrobe zum Wehen aus deren Tasche ein Briefumschlag fiel. Auf dem Papier prangte das Wappen der Prontera Chivalry. Der Lord Knight erkannte dieses Zeichen sofort. Ohne zu zögern hob er den Umschlag auf und versuchte Haseo zur Rückkehr zu bewegen. „Warte doch! Hey! Das hier wirst du brauchen, wenn du zu der Versammlung willst!“ Haseo erstarrte auf der Stelle. Dass er eine Mission hatte, war ihm über all diesen Trubel völlig entfallen. Das war ihm noch nie passiert. Noch nie zuvor hatte er sein Ziel aus den Augen verloren. Haseo verstand nicht, was um Himmelswillen mit ihm los war und er war zutiefst erschüttert. Dass seine ungewollte neue Bekanntschaft sich bereits wieder den Weg zu ihm gebahnt hatte, entging ihm völlig.

„Du bist doch auch auf dem Weg zu der Versammlung heute, nicht wahr?“ Haseo war viel zu betroffen über seine eigene Verfehlung, als dass er wirklich realisierte, was er gerade tat und so bejahte er diese Frage mit einem stummen Nicken. Diese Antwort brachte dem Lord Knight prompt sein sonniges Lächeln wieder und Haseo begann langsam wieder in die Realität zurück zu kehren und ahnte voll Schrecken, welche Frage als nächstes folgen würde. „Klasse, ich wollte auch gerade dorthin. Wollen wir nicht zusammen gehen?“ Die heitere Stimme des Lord Knights ließ Haseo schauern. Dass er ihm vor wenigen Augenblicken noch gedroht hatte, schien der Ritter vergessen oder verdrängt zu haben. Ob es nun Naivität oder einfach Dummheit war, vermochte Haseo nicht zu sagen. Er wollte schon zu einem harschen >Nein! < ansetzen, doch etwas ließ ihn zögern. Zwar hatte der tollpatschige Lord Knight bis jetzt nur Chaos verursacht, doch vielleicht war auch er es, der Haseos Mission doch noch zu Erfolg verhelfen konnte. Mit einem Mitglied der Chivalry an seiner Seite war die Wahrscheinlichkeit, dass seine Scharade auffällt wesentlich geringer. Außerdem musste sich Haseo widerwillig eingestehen, dass er die Orientierung in dieser ihm ohnehin nahezu unbekannten Stadt verloren hatte. Dieser ungeschickte Kerl könnte ihm also noch durchaus von Nutzen sein.

Haseo seufzte schwer, als er kleinlaut die Antwort gab, vor der es ihm graute: „Ok…“ Mit einem Mal strahlte der Lord Knight über das ganze Gesicht und schien vor Freude platzen zu wollen, was Haseo fast schon beängstigend fand.

Mit einem breiten Grinsen überreichte ihm der Lord Knight seine Einladung und nahm die Zügel seines Peco Pecos, welches bis jetzt brav und geduldig gewartet hatte. Immer noch seufzend wollte sich Haseo allmählich auf den Weg machen, als er plötzlich merkte, dass jemand von hinten seine rechte Hand ergriff. Als er herumfuhr lächelte ihn der Lord Knight, sich keiner Schuld bewusst, an. „Ist nur eine kleine Sicherheitsmaßnahme damit du mir nicht gleich wieder wegrennst.“ Obwohl gewitzelt konnte Haseo einen deutlichen ernsten Unterton heraushören. Dennoch fand er es mehr als entwürdigend und wollte sich losreißen, doch der Griff des anderen war unerwartet stark und duldete so leicht kein Entkommen. Scheinbar war er doch nicht der idiotische Kindskopf für den Haseo ihn bis jetzt gehalten hatte. Unter dieser Fassade schien ein durchaus erwachsener, rational denkender Mann zu schlummer, der dass, was er wollte, nicht so einfach gehen ließ.

>Er will mich? <

Erschrocken von seinen eigenen Ideen verwarf Haseo diesen Gedanken so schnell wieder wie er gekommen war. Es war völlig absurd, dass dieser Fremde irgendetwas in Haseo sah. Haseo fand es allgemein abwegig, dass ihn jemand mögen oder auch nur sympathisch finden könnte. Wer keine Liebe gibt, wird auch keine zurück bekommen, das wusste er nur zu gut und hatte gelernt sich damit abzufinden.

In seinem Kopf schwirrten tausend Gedanken und Haseo wurde müde vom vielen Nachdenken über Dinge, die ihm noch nie zuvor in den Sinn gekommen waren. Kraft- und widerstandlos ließ er schließlich seine Hand sinken und nahm es hin, dass dieser Fremde sie hielt. Ein Fremder, ja, doch wieso verflog dieses vertraute Gefühl einfach nicht? Besagtem Fremden schien Haseos aufgewühltes Wesen nicht entgangen zu sein und er legte fragend die Stirn in Falten, Allerdings konnte er diesen Zustand nicht allzu lange durchhalten und kehrte schnell zu seinem gewohnt freundlichen Lächeln zurück.

„Hmm, du hast mir bis jetzt nicht mal deinen Namen verraten.“ Haseo empfand dies als Hohn, schließlich war bis jetzt weder der richtige Zeitpunkt gewesen, noch hatte er ihn gefragt. Doch aus irgendeinem Grund konnte Haseo dem naiven Lord Knight einfach nicht wirklich böse sein und so erwiderte er kurz: „Haseo…“ Der Lord Knight stockte und er sah Haseo mit großen Augen an.

„Was hast du denn?“ Der Ritter lächelte beklommen bei dieser Frage. Er schluckte schwer: „Ich hatte mal einen Freund…der auch so hieß.“ Seine Augen füllten sich mit Traurigkeit. Sogleich es Haseo für gewöhnlich widerstrebte sich in das Leben anderer einzumischen, so hatte dies doch sein Interesse geweckt. Kann es sein, dass es wirklich eine Verbindung zwischen ihnen gibt? Haseos Erinnerungen mögen vernebelt sein, doch vielleicht erinnerte sich der Fremde. Haseo war sich sicher, dass dieses Gefühl, diese Vertrautheit, kein Zufall war. Er musste es einfach wissen, er musste nachhaken.

„Was ist mit ihm passiert?“ Der Lord Knight schien geahnt zu haben, dass diese Frage unausweichlich gewesen war und so kam seine Antwort zwar schnell, aber voller Trauer: „Er ist tot…glaube ich zumindest.“ Haseo musste stutzen. „Du…glaubst?“ Der Knight nickte. „Ich war erst seit kurzem Knight, als sein Dorf angegriffen wurde…ich konnte ihm nicht helfen…sie haben ihn einfach verschleppt.“ Die Emotionen in seiner Stimme waren überwältigend. Haseo spürte, dass ihm dieser Junge unglaublich viel bedeutet haben musste. Und aus irgendeinem Grund fühlte er sich ihm plötzlich noch näher. Unwissentlich umschloss Haseos Hand nun auch die des Lord Knights. Dieser sah ein wenig überrascht nach unten, doch lächelte dann wieder sanft. Auch er schien diese besondere Bindung zwischen ihnen zu spüren und für einen kurzen Moment schienen ihre Herzen im Gleichklang zu schlagen.

„Doch sag mal Haseo, mein Name interessiert dich wohl gar nicht.“ Es war offensichtlich, dass er das

Thema wechseln wollte. Zwar schwirrten in Haseos Kopf noch unendlich viele Fragen, doch er merkte, dass dies nicht der richtige Augenblick war und so fragte auch er den anderen nach seinem Namen. Der Knight schien erleichtert zu sein, dass Haseo nicht weiter auf seine schmerzlichen Erinnerungen einging und seine Laune stieg sichtlich.

„Zey“, sagte er mit einem Lächeln, „mein Name ist Zey.“

>Zey<

Haseo musste stutzen. Ihm war, als ob er diesen Namen kannte. Doch vielleicht spielte sein Verstand ihm auch nur einen Streich, weil er so händeringend nach Anhaltspunkten zu seiner Vergangenheit suchte. Was tatsächlich der Wirklichkeit entsprach konnte er nicht mit Gewissheit sagen, doch er war sich sicher, dass er diesen Namen so oder so jetzt nie wieder vergessen konnte oder wollte. So etwas hatte er noch nie empfunden doch es schien als würde sein Verstand ihm ohnehin nicht mehr gehorchen.

>Zey<

Doch je öfter sich Haseo diesen Namen wieder ins Gedächtnis rief, desto sicherer war er sich, dass er ihm noch viel Ärger bereiten würde.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Nesthzeru
2011-06-28T22:06:31+00:00 29.06.2011 00:06
...oh, und ich würde zu gerne mal ein Bild von Haseo mit den offenen Haaren sehen *A* <33
Von:  Nesthzeru
2011-06-28T22:03:54+00:00 29.06.2011 00:03
So... hat ja lange genug gedauert, aber nun bin ich endlich mal dazu gekommen, auch die FF-Version zu lesen \o/

Ich muss sagen, ich mag deinen Schreibstil. Teilweise hakt es etwas mit den Zeiten - ich bin mehrfach über Präsens aka Gegenwartsform gestolpert, aber das tut meinem Spaß am Lesen keinen Abbruch~
Haseo und Zey sind einfach putzig, ich mag die beiden :3 Und ich finde es schön, etwas mehr zu sehen, was in Haseos Kopf vorgeht. Also, ich finde den Douji schon gut so, wie er ist, aber als Fanfiction ist das dann doch nochmal was Anderes <3

Ich freue mich schon auf's nächste Kapitel :D


Zurück