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Nimm mich an der Hand und geh mit mir ins Licht

...denn ich weiß, dass du die Richtige bist.
von

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___ Aufbruch

Unwirsch wurde ihm bewusst, dass er nicht mehr umkehren konnte. Selbst wenn er zurück wollte, so würde er sowohl sich selbst als auch ihr damit mehr schaden als helfen. So lehnte er sich an einen nebenstehenden Baum und schloss die Augen. Das Rauschen war ein wenig leiser geworden, doch es wirkte nach wie vor beruhigend. Fast so, als ob der Regen sein unwohles Gefühl wegzuspülen versuchte. Erfolglos.
 

„Du bist ein Penner, weißt du das? Wer kommt auf die hirnrissige Idee, nachts in den verbotenen Wald zu gehen? Schon einmal etwas von Verantwortungsbewusstsein gehört? Ach, Moment, ich vergaß, dass das bei euch Ravenclaws nicht im Gehirn verankert ist. Ihr seid ja bloß Klugscheißer, die alles besser wissen. Aber auf die Reihe bekommt ihr doch nichts!“, schnaubend wandte er sich von seinem gleichaltrigen Ravenclaw ab. Dass er ihn noch vor einigen Momenten erschrocken gegen die harte Rinde des Baums gedrückt hatte, war bereits wieder in seinen Gedanken verebbt. War der Kerl doch selbst schuld, wenn er sich so feige anschlich! Doch ehe sich der damals vierzehnjährige Junge von seinem einstigen Rivalen entfernen konnte, hob dieser wütend die Stimme.
 

„Das muss ich mir von einem ahnungslosen Hufflepuff nicht anhören. Aber was erwartet man sich eigentlich von euch? Ihr wurdet ja nur deshalb alle in dieses Haus gestopft, weil der sprechende Hut euch nicht gut genug für eines der anderen Häuser fand. Ihr seid nicht mutig, nicht intelligent und auch nicht dominant genug, um euch im Leben zu behaupten. Ihr seid einfach nur „hilfsbereit“. Wow, was für eine Eigenschaft, ich bin beeindruckt.“
 

Es war zu viel. Ein Zischeln entfuhr dem Blondschopf, als er sich ruckartig umdrehte und sich auf ihn stürzte. Kevin wusste zu diesem Zeitpunkt, dass er ihm körperlich unterlegen war – alleine seine damals geringere Körpergröße und sein schlaksiger Körper wiesen darauf hin. Doch das interessierte ihn in diesem Moment nicht. Das musste er sich nicht weiter anhören. Das musste er sich nicht bieten lassen – egal wie beherrscht er sonst eigentlich war. So schlug er zu – direkt ins Gesicht. Ein leises Knacksen ließ ihn verunsichert innehalten. Hatte er ihm die Nase gebrochen? Egal, was es war, es hatte offenbar weh getan. Bewegungslos verharrte er und blickte entsetzt über sich selbst in das Gesicht des Ravenclawjungen. „Charles, ich…“, nuschelte er und versuchte seinen Ausraster zu erklären, aber all das wäre hoffnungslos. Es gab keine Rechtfertigung dafür.
 

„Mies. Einfach nur mies.“, brummte Charles, seinen Blick erzürnt erwidernd.

Im nächsten Moment spürte Kevin einen stechenden Schmerz in seinem Gesicht. Er fiel nach hinten, auf den harten Boden. Der Aufprall presste ihm die Luft aus den Lungen und ließ ihn kurzzeitig bewegungsunfähig im kalten Laub verharren. „Niemand tut so etwas. Verstanden?“
 

„Du bist so jämmerlich Charles.“
 

„Das muss ich mir ausgerechnet von einem verwöhnten Muttersöhnchen anhören. Kriegen wohl alles in den Arsch geschoben, solche reichen Nachkömmlinge was? Und denken auch noch, sie könnten es sich erlauben, alle Regeln zu brechen. Papa wird’s ja mit seinem Geld richten, stimmts? Ach was, weißt du, ich kann mir nicht einmal vorstellen, dass sie dich großartig schätzen. Sieh dich an. Du bist doch nur ein großkotziger Kerl, der auf freundlich tut. Ich kenne dein wahres Gesicht. Du bist eingebildet und denkst, du könntest dir alles erlauben. Ich beneide deine Familie wirklich nicht um so einen Sohn wie dich. Hätten sie ihren Abend lieber mit Kartenspielen verbracht, anstatt so etwas wie dich in die Welt zu setzen.“
 

„HALT DEINE VERDAMMTE KLAPPE. DU HAST KEINE AHNUNG, KAPIERT?“, sein Schrei hallte in der nächsten Umgebung wieder. Kevin war in Rage. Sein Puls raste, sein Atem ging unnatürlich schnell, seine Augen hatten sich schlitzförmig zusammengezogen. Mühsam richtete er sich auf, als der Schmerz zumindest ein wenig aus seinen Gliedern gewichen war. „Du hast kein Recht zu urteilen. Du hast kein Recht dazu.“, nuschelte er, ehe er wackelig auf die Beine kam, „Du bist armselig. Einfach nur armselig.“
 

Er schlug die Augen auf.

„Armselig.“, murmelte er seine einstigen Worte nach und hob den Kopf. Hatte er also wirklich die gesamte Nacht hier verbracht? „Wirklich armselig.“ Sein Blick glitt hinauf zu den Baumkronen. Offenbar hatte der Regen nachgelassen – doch das unwohle Gefühl in seinem Körper hatte er nicht davonspülen können, nicht einmal ein bisschen. Langsam und ein wenig wackelig erhob sich Kevin nach und nach. Sein Körper war nach wie vor durchnässt von dem starken Regenfall, doch wenn er ehrlich war, dann hätte es keinen Unterschied gemacht, ob er nun vom Regen komplett durchgeweicht war oder nicht. Das Gefühl blieb ja doch dasselbe.
 

* * * * * * * * *
 

„Manchmal bist du einfach zu stur! Hättest du dir nicht vorher überlegen können, dass sie es nicht ewig aushalten wird? Mann, Kevin. Du machst nicht nur sie kaputt, sondern auch noch dich! Und uns obendrein auch noch. Oder glaubst du, es ist lustig, mitanzusehen, wie du dich für die damaligen Dinge immer wieder zur Rechenschaft ziehst?“, Anabella seufzte und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, „Du bist genauso wie dein Bruder. Nur hätte der schon seit langem aufgehört, der Sache nachzuhängen.“ Ihre grünlichen Augen fixierten den Blondschopf einen Moment, der in der Zeit, wo er nun schon im Hause Evans war, kein einziges Mal seine eigentlich beste Freundin angeblickt hatte. Wieso hatte er auch ausgerechnet auf sie stoßen müssen? „Ich weiß, dass es schwer ist, es zu vergessen.“
 

„Ist das so?“
 

„N-Natürlich!“, sie hatte sich ein Stückchen nach vorne gebeugt, sodass ihre dunkelbraunen Locken über ihre Schultern fielen. Seit damals hatte sie sich kaum verändert. Vielleicht waren ihre Wangenknochen etwas höher als früher, aber der Blick, dieser entschlossene Blick, war derselbe. Und ihre Art ebenso. Es schien, als ob die Zeit sie kaum verändert hatte. „Ich kann Sethmin vollkommen verstehen. Einerseits versucht sie loszulassen, aber… sie kann nicht. Und du auch nicht. Dieses Mädchen liebt dich. Willst du das kaputt machen? So wie damals beinahe unsere Freundschaft?“
 

„Anabella?“
 

„Hm?“
 

Kevin lehnte sich ein wenig zurück und starrte auf den Dampf, der langsam aus der Tasse Tee emporstieg. „Ich werde verreisen. Irgendwo… weg. Vielleicht nach Irland. Zu seinem Grab. Ich… brauch Abstand, verstehst du? Ich werde Charles darum bitten, ein Auge auf Sethmin zu werfen. Und du…“, er machte eine kurze Pause und erhob sich. Das erste Mal, seitdem sich die alten Freunde wieder gesehen hatten, wagte er es, sie direkt anzublicken, „Du solltest London besser auch demnächst verlassen. Selbst wenn der Krieg vorbei ist, sind die Straßen nicht sicher. Um Charles mache ich mir keine Sorgen, aber um dich schon.“
 

„Wie lange hast du vor zu bleiben?“
 

„Ich weiß es noch nicht. Vielleicht nur ein paar Wochen. Vielleicht ein halbes Jahr.“
 

„Du stehst immer noch unter seinem Gefolge… nicht?“
 

„Mhm.“
 

Anabella biss sich auf die Lippen und wandte den Kopf in Richtung Fenster. Es entrang Kevin ein schwaches Schmunzeln – wohl zu ihrem Leidwesen, denn schon wenige Momente später wandte sie sich mit nachdenklichem Blick wieder dem Blondschopf zu.
 

„Ich schätze, mehr als zu hoffen, dass du dich nicht leichtgläubig in Gefahr begibst, kann ich wohl nicht tun. Du hast ja noch nie auf meine Ratschläge gehört. Nicht, als du dich Greyback im verbotenen Wald hast verprügeln lassen, auch nicht, als du Fieber hattest und trotzdem zum Quidditchtraining gegangen bist und erst recht nicht, als du dich maßlos mit den Aufgaben deines Vaters übernommen hast. Liegt wohl in deiner Familie, Ethan war ja nicht anders als du… zumindest nicht, als er unter uns war. Naja, wie auch immer…“, sie seufzte, „Lass von dir hören.“ Ihre letzten Worte hallten Kevin noch einige Zeit lang durch den Kopf, auch nachdem er bereits die Eingangstüre hinter sich geschlossen hatte und nur der pfeifende Wind durch die Gasse fegte. Egal wie irrational ihr Wunsch auch gewesen war, es hatte ihn letztendlich doch daran erinnert, wieso die beiden auch heute noch Freunde waren.
 

Die Winkelgasse, die ein unangenehmer Wind durchfuhr, war fast menschenleer. Nachdem der Orden des Phönix komplett auseinandergebrochen war, gab es in Großbritannien keinen Widerstand mehr – zumindest war dies eine felsenfeste Behauptung der verbliebenen Zauberer. Viele hatten das Land verlassen, aus Angst. Auch Kevin hatte kurzzeitig den Gedanken gehabt, seiner momentanen Heimat den Rücken zuzukehren und an jenen Ort zurückzukehren, an dem eigentlich alles begonnen hatte. Dublin, Irland. Nach näherem Bedenken kam ihm diese Option aber nicht mehr besonders günstig vor, angesichts der jüngsten Gerüchte, um den herrschenden Krieg. Nicht einmal Irland würde ihm garantieren, aus den Geschehnissen in Großbritannien zu entkommen – und vor allem nicht aus den Fängen von Grindelwald.
 

Kevin kniff die Augen etwas zusammen, als der Wind den Staub der Trümmer von Olivander’s aufwirbelte. Der Krieg hatte seine Tribute gefordert und dazu hatte auch die Winkelgasse gehört. Die Außenfassaden der Läden lagen in Schutt und Asche. Es wirkte wüst, vollkommen leblos. Ein unangenehmes Gefühl durchfuhr ihn, als er sich seinen Weg über das Geröll ebnete, nur um irgendwann vor einer kleinen Seitenstraße stehen zu bleiben und eine Zeit lang in die dunklen Schatten zu starren.
 

„Du siehst verdammt mies aus, hat dir das eigentlich jemand gesagt? So als hättest du die letzten Tage als lebende Leiche in einem Sarg verbracht.“, er stoppte kurz und trat zwei Schritte nach vorne, den Kopf gehoben, um Charles‘ Blick nicht zu verfehlen, „Was war es diesmal? Der Grund, wieso du weg warst. Es war derselbe Grund, wieso du öfters weg bist, richtig?“ Es war genau diese eine Frage, die ihm schon seit Jahren auf der Seele gebrannt hatte. Und jedes Mal, wenn ihn dieses unangenehme Gefühl durchzuckte, dass etwas mit seinem besten Freund nicht in Ordnung war, verdrängte er es letztendlich. Aber dieses Mal würde er keinen Rückzieher mehr machen und das Thema unangesprochen lassen.
 

"Ich war krank - hab ich doch gesagt! Es ist eben… immer das Gleiche. Jeden Monat. Jeden…", Charles zögerte und senkte den Blick, ehe er tonlos weitersprach, „…jeden Vollmond.“
 

Kevin hielt kurzzeitig die Luft an, als er stehen blieb. Der Weg zum kleinen Appartement des Werwolfs war nicht besonders weit. Doch anstatt seinen besten Freund zu besuchen, hinterließ er ihm lediglich einen kleinen, handgeschriebenen Brief im Briefkasten. Er wusste, dass Charles ihn davon abhalten würde, erneut eine waghalsige Aktion zu starten – so hatte er im vorsorglich nicht erzählt, wohin er gehen würde. Stattdessen hatte er Liv einen Besuch abgestattet, um sich einige Sachen zusammenzupacken und anschließend am Bahnhof von KingsCross auf den Zug zu warten. Natürlich hätte es schnellere Möglichkeiten gegeben, nach Irland zu reisen, doch so konnte ihn niemand so schnell folgen.
 

Ein lauter Pfiff war zu hören, als Kevin schließlich in einem der Abteile saß, den Blick nach draußen gewandt. Reglos. Nachdenklich. Die Bilder der Landschaft huschten an ihm vorbei ohne wirklich in sein Bewusstsein zu dringen. Wo sie wohl war? Hatte Liv sich auf die Suche nach ihr gemacht, nachdem Kevin ihr knapp berichtet hatte, dass er nicht wusste, wo sie war? War sie vielleicht bei Charles untergekommen? Oder gar bei Eva, ihrer einstig besten Freundin, die Kevin seit ihrer Beziehung vor 4 Jahren und nach allem, was er Sethmin angetan hatte, keines Blickes mehr würdigte? War es überhaupt noch wichtig, wo sie war, solange sie irgendwo in Sicherheit war? Sein Hals wurde allmählich trocken, sein Körper fühlte sich immer schwerer an, je näher der Zug der Küste kam. Schiffe waren noch nie sein Fall gewesen und würden es wahrscheinlich auch nie werden. Hoch oben in der Luft hatte er sich schon immer wohler gefühlt. Dort verlor man einen Moment den Druck, der auf einem lastete und fühlte sich frei. Vielleicht würde er noch ein letztes Mal versuchen, sich in den Höhen der Luft zu verlieren. Nur einmal, selbst wenn es nur ganz kurz sein würde.



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