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Eternal life

Kyus Story
von

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Ungewollter Besuch

Teil 1

Kapitel 1 - Ungewollter Besuch
 

Lange war sie nun schon allein. Wie lange vermochte sie nicht mehr zu sagen, die Tage gingen vorüber, wurden zu Wochen, Monaten und Jahren. Es musste vor ungefähr drei Jahrtausenden gewesen sein, dass sie aufgehört hatte die Tage zu zählen. Was brachte es auch? Die Erkenntnis, dass der tröstende Tod auf sich warten lies? Das hatte sie auch vorher gewusst.

Hinter ihr lag eine lange einsame Zeit und eine lange einsame Ewigkeit erwartete sie noch…
 

Der immer wieder kehrende seelische Schmerz und mit ihm die Erinnerungen, die sie schon so oft eingeholt hatten, waren zu ihren engsten Vertrautesten geworden.
 

Für ihresgleichen galt nur ein Gebot: „Liebe niemals, denn die Liebe schadet!“

Sie wusste nun wie dieses Gebot gemeint war, denn sie hatte dagegen verstoßen und spürte die Folgen ihrer Tat öfter als ihr lieb war.
 

Sie hatte sie alle verraten, bei ihrer Aufgabe gründlich versagt und war dazu verdammt auf ewig mit diesem Wissen zu leben. Doch immer wieder fragte sie sich, wie man dieses kümmerliche Dasein noch als Leben definieren konnte.

Wenn sie allerdings darüber nachdachte, so war sie doch selber Schuld daran.

Sie hatte dieses Exil immerhin freiwillig gewählt. Hierher ins Kirojagebirge, oder wie auch immer man es heute nannte.
 

Seit dieses Gebirge existierte hatten sich nur sehr wenige Seelen herverirrt. Außer nacktem Stein gab hier auch nicht viel zu sehen. Außerdem zogen häufig Unwetter darüber und entfalteten sich hier in vollem Maß. Für normale Sterbliche war dies kein Ort zum leben. Genau aus diesem Grund eignete er sich für eine Wächterin mit gebrochener Seele.
 

Sie hörte das Prasseln des Regens lange bevor sie es auf ihrem Fell spürte. Sie hob den Kopf und einige Tropfen landeten in ihrem Gesicht. Genau wie damals, als sie sich für ihr jetziges Leben entschied. Sie merkte, wie sich die kühlen Regentropfen mit ihren warmen neu aufkommenden Tränen vermischten. Was hatte sie nur soweit getrieben? Wind zog auf und lies die Regentropfen tänzeln, selbst für sie wurde es jetzt langsam ungemütlich. Also beschloss sie wieder zurück zu ihrer Höhle zu gehen, auch wenn sie sich gerne noch länger die Beine vertreten hätte.

Die Stärke des Windes nahm schnell zu und bald hatte sie das Gefühl, dass es sich dabei wohl um eines der stärksten Unwetter seit langem handeln musste. Allerdings hatte sie sich nicht allzu weit von ihrer Höhle entfernt, weshalb der Weg dorthin noch vor dem Schlimmsten hinter ihr lag. Kaum da, schüttelte sie sich, damit das Wasser aus ihrem Fell wich. Sie blickte noch einmal hinaus in den Regen. Es war vermutlich Regen wie jeder andere, aber diesmal kam er ihr seltsam bedrohlich und dunkel vor, als ob er aus Tod bestehen würde… Oder aber, sie wurde langsam verrückt. Nach tausenden von Jahren in Einsamkeit musste das ja früher oder später passieren. Ein leichter Seufzer war zu hören, als sie sich vom Höhleneingang wegdrehte und langsam in den hinteren Teil schritt. Sie rollte sich zusammen und schloss die Augen. Das monotone Prasseln des Regens ließ sie schnell die Müdigkeit fühlen und ihre Umwelt vergessen.
 

Als sie dann allerdings in ihrer Traumwelt angekommen war bemerkte sie schnell, dass Schlafen ein Fehler war. Ihr fielen sofort hunderterlei gute Gründe ein, warum sie dies die letzten Wochen stark vernachlässigt hatte.

Weite Ebenen voll grünen, saftigen Gras, hier und da ein paar flache Hügel, ein glitzernder See und dahinter ein Wald, der an die Bergkette im Süden anschloss. Der Himmel war ein wenig bewölkt, dennoch kam die Sonne oft genug durch, um die Temperaturen steigen zu lassen. Selbst im Schatten war es an diesem Tag nicht sonderlich genießbar. Der einzige Ort, an dem man sich unbeschadet aufhalten konnte war der Wald. Durch sein Blätterdach drangen wenige Sonnenstrahlen was die große Hitze merklich zurückhielt. An den Ufern des See nahe des Waldes konnte man erkennen, dass es nicht nur an jenem ein tag ein solches Wetter gegeben hatte, sondern bereits seit einigen Wochen.

Hier war sie nun also… wieder. Jetzt sowie in jeden anderem Traum. Wieder stieg ihr der vertraute Duft in die Nase. Der Geruch kam vom Wald, ihr stiegen bei der Erinnerung an jenen Tag wieder ein paar Tränen in die Augen. Warum musste sie all das jedes Mal aufs Neue erleben? War die sowieso ständig wiederkehrende Erinnerung denn nicht genug? Plötzlich bemerkte sie wie sich jemand vom Wald her näherte. Eine ihr sehr vertraute Gestalt, und das nicht nur, weil sie ihn in jedem ihrer Träume sah. Er kam schnell näher. Am liebsten wäre sie jetzt einfach weggelaufen, doch ihre Beine gehorchten ihr nicht mal ansatzweise. Bald war der Wolf direkt vor ihr und musterte sie. Beim ersten Mal hatte es sie verwirrt, häufig verhielten sich diese Tiere anders, doch sie vergas sehr oft, dass sie meistens aussah wie ein Wolf. Viel zu oft hatte sie mit bizarren Gestalten gekämpft, dabei hatte nie eines wie ein funktionstüchtiges Lebewesen ausgesehen.

„Wer bist du?“, fragte der bekannte Fremde. Er war sichtlich neugierig wer da wohl durch die Lande seines Rudels zog. Wenn sie sich recht erinnerte, war sein Rudel sehr groß und hatte in diesem Sommer viele Probleme, wegen der anhaltenden Hitze. Man sah ihrem Gegenüber auch an, dass er nicht besonders wohlgenährt war. Leicht zeichneten sich auf seinem dünnen Fell ein paar Rippen ab.

„Nur eine Reisende, die deinem Rudel nichts böses will.“, antwortete sie zögernd, ihr war klar, dass das nicht die richtige Antwort auf seine Frage war, denn das war sie nie. Leicht verwundert dreht ihr Gegenüber den Kopf.

„Das meinte ich nicht, dein Name. Wie lautet er?“

Sie überlegte kurz, ob sie dieses Theater erneut mitspielen sollte oder lieber versuchen sollte aufzuwachen. Mit dem Wissen, dass letzteres nie im Leben funktionieren würde antwortete sie: „Ich weiß nicht genau… Mir wurden bereits sehr viele Namen gegeben, meinen wirklichen habe ich dadurch vermutlich bereits vergessen, wie so vieles mit ihm. Doch die meisten nennen mich Kyu…“

Und da war es wieder, das Gefühl den größten Fehler ihres Lebens begangen zu haben. Ihr war es verboten Kontakte zu normalen Sterblichen zu knüpfen. Und doch war sie verflucht dies in jedem Traum aufs Neue zu tun. Sie wich dem Blick des viel zu vertrauten Wolfes aus und ging an ihm vorbei, den Hügel hinunter und wollte eigentlich nur über die Ebene darunter in die Große Steinwüste, da sich dort schon seit einiger Zeit eine große Ansammlung negativer Energie spüren lies. Es war ihre Aufgabe in dieser Welt für Ordnung zu sorgen und solchen Dingen nachzugehen. Für sie wäre es natürlich auch einfacher gewesen eine Reise durch das Raum-Zeit-Kontinuum zu unternehmen, aber in diesen Tagen schätzte sie die altmodische Reiseart einfach zu sehr. Ihr Fehler, denn das wurde ihr zum Verhängnis.

Plötzlich hatte sie das Gefühl fest zuhängen. Normalerweise rief der Vertraute ihr jetzt seinen Namen hinterher und verlangte erneut nach ihrem, doch dieses Mal war es anders. Unter ihr schien sich eine Art Strudel zu bilden, der sie ein sog…
 

Mit Schrecken öffnete sie die Augen. Hinter sich hörte sie noch immer das Prasseln des Regens. Oder jetzt wohl passender: Das Grollen des Donners inmitten eines Jahrhundertsturms hier im Kirojagebirge. Es war eigentlich ganz unmöglich, aber Kyu hatte eben das Gefühl gehabt gerufen zu werden. Sie spitzte die Ohren, konnte aber außer dem tosenden Wind und dem Regen nichts hören. Also ging sie in sich und fing an die Welt auf eine andere Art wahrzunehmen. Nach und nach formten sich klare Umrisse der Felsen und sie nahm Energien von Lebewesen wahr. Diese reichten von kleinen Grashalmen über Vögeln, die bereits Schutz vor dem Sturm gesucht hatten, hin zu zwei in Not geratenen Wölfen. Die Sicht verschwamm langsam, weil es ihr zu unglaublich erschien. Seit tausenden von Jahren lebte Kyu hier im Exil und nie waren hier mehr Tiere als ein paar Vögel im Jahr vorbeigekommen. Was wollten also diese beiden hier?

Sie wollte aufstehen, ihnen helfen, doch in ihr streikte etwas. Warum sollte sie ihnen überhaupt helfen? Sie hatte keinerlei Verpflichtungen ihnen gegenüber, immerhin war ihre Aufgabe in dieser Welt für Ordnung zu sorgen bereits vor langer Zeit von ihrer Schülerin übernommen worden. Was kümmerte sie es also? Der Tod würde sie früher oder später sowieso einholen, denn niemand konnte ihm auf Dauer entkommen. Wenn sie den beiden jetzt half, würden sie also spätestens in ein paar Jahren sterben, was hätte sie dann also gekonnt? Kyu war sich darüber im Klaren, dass es absolut keinen Nutzen hatte jetzt anzufangen jemandem zu helfen, und doch sträubte sie sich auf der anderen Seite. Auch wenn die Aufgabe gegenüber dieser Welt längst nicht mehr die ihre war, so konnte man sich alten Gewohnheiten nicht so einfach entziehen.

Immer wieder spielten ihre Gedanken hin und her, doch irgendwann hatte die Wölfin es einfach satt, mit einem Ruck stand sie auf und begann wieder auf die andere Art zu sehen. Schnell bewegte sie sich auf die Energien der beiden fremden Wölfe zu. Bei dem Unwetter handelte es sich zwar um eines der schlimmsten seit über einem Jahrhundert, aber für Kyu war es eigentlich nur ein leichter Wind mit ein wenig Nieselregen. Irgendwie tat es ihr auch sehr gut wieder einmal so schnell zu rennen, sie hatte seit langer Zeit keinen Grund mehr gehabt dies zu tun und erfreute sich jetzt umso mehr daran.

Durch den Regen konnte Kyu bereits eine Gestalt erkennen, deren Verzweiflung sich in ihren Bewegungen widerspiegelte. Dieser Anblick sagte ihr, dass es vermutlich die richtige Entscheidung war zu helfen. Ihre Sicht änderte sich erneut und sie blieb neben der verzweifelten Wölfin stehen, diese bekam einen Schreck.

Der andere Wolf, oder wohl eher die andere Wölfin kauerte auf einem kleinen Vorsprung in der sich vor ihnen auftuenden Schlucht.

Und selbst wenn man sagte, dass Eigenlob stank, so musste Kyu doch ihre perfekte Bremsung loben, ein paar Zentimeter weiter und sie wäre ebenfalls hineingestürzt, obwohl es für sie auch ein leichtes gewesen wäre wieder hinaufzukommen. Jetzt musste sie wohl oder übel sowieso dort hinunter. Ohne die Wölfin neben sich noch einmal anzuschauen, sprang sie. Immer mit einer Pfote an der Felswand fing sie nach einer Weile an mehr zu rutschen als zu fallen. Der Vorsprung kam immer näher und der Sprung kam Kyu wie eine kleine Ewigkeit vor. Kurz vor dem Aufprall klammerte sie sich regelrecht an die Wand, um so etwas Geschwindigkeit zu verlieren. Langsamer rutschte sie die letzten zwei Meter hinunter. Da sie nicht wusste wie stabil der Vorsprung war, erschien ihr das als sicherste Methode. Sie sah die Wölfin an. Sie zitterte vor Angst und Kälte. Ihr Fell war vollkommen durchnässt und in ihren Augen spiegelte sich der Schrecken des Unwetters wider. Als sie die eben gelandete Wölfin erblickte, sah sie leicht perplex drein.

Kyu kam näher und bedeutete ihr keine Angst zu haben. Als sie direkt vor ihr stand überlegte sie mit ihr zu reden, damit sich die Angst lockerte, doch auf dem vermutlich unsicheren Felsvorsprung schien ihr das keine gute Idee, also würden sie zuerst die Felswand hochklettern müssen.

„Schnell, schnapp dir meine Rute und folge mir!“, befahl Kyu der immer noch zitternden Wölfin und hielt ihr dabei besagte Rute entgegen. Doch die Wölfin zögerte. „Nun mach schon, am besten bevor dieser Vorsprung unserem Gewicht nachgibt! Ich habe heute noch etwas vor, und das will ich bestimmt nicht in dem Fluss dort unten machen.“ Die Wölfin zuckte zusammen, gehorchte dann aber. Kyu hatte derweil begonnen die beste Route nach oben zu suchen, sie selbst hätte jede einzelne mit Leichtigkeit geschafft, aber sie musste hier auch an die Normalsterbliche neben ihr denken.

Bald hatte sie eine geeignete gefunden. Sie begann ihre Pfoten nach den kleinen herausragenden Brocken auszustrecken und zog sich nach und nach hinauf, immer darauf achtend, dass die Wölfin auch hinterherkam. Es war anstrengend und sie wusste warum sie solche Klettereien vermied, wenn sie konnte. Doch im Gegensatz zu ihr hatte die Wölfin keine so großen Energiereserven. Ab und an blickte Kyu nach unten um wirklich sicher zugehen, dass mit ihr auch alles in Ordnung war und sie sah immer wieder wie erstaunlich die Kräfte der Verzweiflung sein konnten. Bald hatten sie die Felswand bezwungen und sie sah das erleichterte Gesicht der beiden Wölfinnen. Doch sie wollte keine Dankesworte, jetzt galt es erst einmal aus dem Sturm herauszukommen, damit die beiden nicht doch noch starben. Demnach machte sie ihnen wieder mal im Befehlston klar ihr zu folgen. Ohne zu murren taten sie das.

Nach ein paar Stunden kamen die Drei bei Kyus Höhle an. Kyu hatte die beiden immer wieder aufscheuchen müssen, sie konnte verstehen, dass sie am Ende ihrer Kräfte waren, aber es ging schließlich um IHR Leben! Als sie dann endlich ankamen war selbst Kyu bis auf die Haut durchnässt und fing ein wenig an zu frieren.

„Ich weiß echt nicht, was ihr zwei euch dabei gedacht habt hierher ins Kirojagebirge zu kommen… Es ist der wohl lebensfeindlichste Ort auf der ganzen Welt. Zumindest ist mir kein tödlicherer bekannt.“, sagte Kyu sobald auch die beiden Fremden sich geschüttelt hatten und so ein wenig Wasser los wurden.

Bei den harten Worten Kyus zuckten beide merklich zusammen. Sie wussten ganz genau, dass es nicht besonders klug gewesen war, aber dennoch hatten sie es getan.

„Wir haben nach jemandem gesucht…“, gab die dunklere Wölfin kleinlaut bekannt. Leicht verwirrte sah Kyu die beiden an, das kam ihr jetzt nicht ganz geheuer vor. „Im Kirojagebirge? Wer zum Teufel sollte sich hier verkriechen, den ihr suchen könntet? Hier lebt absolut nichts geschweige den jemand!“, bei diesen Worten wurde sie immer leiser und fing an wegzusehen. Doch dann kam die Frage, die sie erwartet hatte: „Und du? Du lebst doch hier! Oder etwa nicht? Wie ein wandelndes Skelett siehst du jedenfalls nicht aus!“ Eines musste Kyu ihr lassen, die Helle hatte Mumm, denn obwohl sie diese Frage erwartet hatte, war dies nicht die erwartete Lautstärke. Sie wollte dieser Frage ausweichen, denn die Antwort war nicht für die Ohren dieser beiden bestimmt. „Themawechsel: Wie heißt ihr eigentlich und wen genau sucht ihr?“

Als hätte Kyu den beiden einen kräftigen Schlag ins Gesicht versetzt blieben sie summ und sahen betroffen zu Boden. Sie ließ den beiden wenig Zeit, etwas, dass sie hier her trieb, konnte nicht einfach die Abenteuerlust sein, es musste daher schrecklich sein. Dennoch hatte ihre Geduld in letzter Zeit nicht viel Übung bekommen, weshalb sie sich bald schon streckte und auf den Boden legte, den beiden mit einem fordernden Blick entgegensah. Die dunklere der beiden Wölfinnen fing schließlich doch noch an zu reden: „Mein Name ist Chaedi, das hier ist meine Schwester Maramé… Wir sind schon sehr lange auf der Suche nach jemandem, der uns helfen kann.“ „Jemand, der euch helfen kann? Wobei denn das?“, hakte Kyu nach, als Chaedi erneut verstummte. „Auf der Suche nach dem verlorenen Paradies!“, meldete sich nun auch Maramé zu Wort. „Du hast vermutlich noch nicht davon gehört, aber vor langer Zeit soll diese Welt grün und voller Leben gewesen sein. Niemand hatte Leid zu befürchten, weil alles so friedlich und-“ Sie brach mitten im Satz ab, als sie Kyus Gesicht sah, ihr Blick war plötzlich finster und streng geworden. „Oh nein!“, begann Chaedi zu stammeln „Du gehörst doch nicht etwa zu dieser so genannten Wächterin?“ Kyus finsterer Blick wandelte sich sehr schnell in einen perplexen, wie kamen die beiden denn auf einen solchen Quatsch? Dennoch es enthielt eine den beiden unbewusste Ironie, dass sie einfach anfangen musste zu lachen, nun waren wiederum Chaedi und Maramé an der Reihe perplex drein zu schauen.

„Ich weiß wirklich nicht was du daran so witzig findest, diese Sache ist verdammt ernst!“, brüllte Chaedi der lachenden Kyu bald darauf zu.

„Ach, wenn ihr wüsstest… Also wen genau sucht ihr nun?“, fragte sie erneut. Die beiden blickten sich an und waren sich scheinbar einig Kyu einzuweihen, selbst wenn sie diese nicht wirklich kannten. Maramé erhob also das Wort: „Vor einiger Zeit haben wir von einem alten Wolf erfahren, dass vor dieser so genannten Wächterin eine andere diese Welt beschützte. Das war zu der Zeit von der ich vorhin erzählt habe. Dieser Wolf meinte auch, dass diese Wächterin nicht tot sein kann, denn Wächter sollen unsterblich sein. Wir haben schon viele Orte nach ihr abgesucht, doch uns schien dieses Gebirge, welches ja schon seit Ewigkeiten als lebensfeindliches Gebiet bekannt ist, als geeigneter Ort zum suchen. Niemand hatte diese Wächterin seit ihrem Verschwinden gesehen und hierher verirren sich nur sehr wenige. Und jetzt suchen wir nach ihr!“ Als sie geendet hatte und sich ihr Blick wieder vom Boden löste und zu Kyu wanderte erschrak sie fast. Es schien als ob die mittlerweile liegende Wölfin unter Stimmungsschwankungen litt. Erst so streng, dann plötzlich loslachend und jetzt so… ja wie? Oberflächlich beschrieben war es eine tiefe Traurigkeit, doch da war mehr, es schien als ob sie irgendwelchen Gedanken von einer unglaublichen Verlusten hinterher hang. So etwas hatte Maramé noch nie gesehen, es war ihr beinahe unheimlich. Kyu fing nach einer Weile an etwas Unverständliches vor sich hin zu murmeln. Ohne Vorwarnung sah sie auf und seufzte kurz. „Es ist besser ihr ruht euch jetzt aus.“ Mit diesen Worten stand sie auf und ging zum Ausgang der Höhle. Noch immer regnete es in Strömen, Blitz und Donner wechselten sich in ihrem unglaublichen Tanz immer wieder ab. „Und wo willst du hin?“, fragte Chaedi. Doch Kyu war bereits aus der Höhle getreten und konnte sie vermutlich im Tosen des Sturmes nicht mehr hören.
 

Ohne auf ihre Umgebung zu achten ging Kyu weiter. Sie war ziemlich aufgewühlt und fing allmählich an zu bereuen die beiden gerettet zu haben. So viele Emotionen, die sie die letzten Jahrtausende so gut hatte unterdrücken können, wirbelten nun in ihr auf und ließen sich nicht wieder unter Kontrolle bringen.

Sie kam an einen der vielen Abgründe, die das Gebirge durchzogen vorbei. Kurz blickte sie nach unten und sah, wie der Regen bereits einen reisenden Fluss dort unten bildete. Sie musste einmal tief durchatmen. Man kannte sie also doch noch. Seit tausenden von Jahren war sie hier im Exil, versteckte sich vor jeglichen Blicken. Und heute hatte sie diese beiden gerettet und bereute es bereits. Es war wie damals, sie hatte also erneut einen Fehler gemacht.

„Ihr habt Recht, ein Wächter stirbt nicht einfach so…“, murmelte sie. „Solange das Band zwischen Wächter und Planet nicht zerrissen ist, sind wir dazu verdammt auf ewig zu leben.“

Sie fragte sich, wie sie sich am besten aus der Schussbahn ziehen konnte, denn sie hatte keine Lust zu helfen. Dieser Planet war nicht mehr der ihre. Er hatte eine neue Wächterin, auch wenn diese scheinbar nicht sehr beliebt war. Nun dann konnte sie immerhin nicht denselben Fehler begehen.

„Liebe niemals, denn Liebe schadet!“ Kyu sah zum Himmel als erneut ein Blitz zuckte. „Das habe ich nun gelernt…“

Ein unerwartetes Wiedersehen

Teil 1

Kapitel 2 – Ein unerwartetes Wiedersehen
 

Chaedi und Maramé wussten nicht wie lange sie nun schon zusammengekauert in der Höhle der Fremden saßen. Ihr Zeitgefühl war schon vor einer Weile abhanden gekommen. Noch immer wütete der Sturm und er schien keine Lust zu haben bald damit aufzuhören. Das Tosen des Windes war laut, weshalb es den beiden Geschwistern vergönnt war einen schnellen und vor allem ruhigen Schlaf zu finden. „Glaubst du, dass wir ihr trauen können?“, fragte Maramé nach einer Weile. Sie selbst hatte ihre Zweifel, denn sie wussten zu wenig über diese fremde Wölfin. „Ich glaube nicht… Wir kennen nicht einmal ihren Namen, wir wissen nicht, ob sie nicht vielleicht doch zu dieser Wächterin gehört oder ob sie auf unserer Seite steht!“, antwortete ihre Schwester „Und doch, sie hat uns gerettet und uns wenigstens einen Unterschlupf gewährt.“

Erneut zuckte ein Blitz über die Wolkenwand und bald darauf folgte schon der Donner.

Chaedi meinte etwas in der kurzen Erleuchtung erkannt zu haben. Sie war sich nicht sicher, aber es sah für sie aus wie die Silhouette eines Wesens und nicht wie der Schatten der Felsen.
 

Kyu war indes noch immer mitten in den Gewalten der Natur und träumte vor sich hin. Trotz des Chaos aus Regen und Wind um sie herum, schaffte sie es hier zur Ruhe zu kommen. Es fiel ihr leichter sich zu konzentrieren und ihre Umgebung bis ins kleinste Detail wahrzunehmen. Anfangs hatte sie einfach nur da gesessen und Blitze gezählt, doch bald war ebendiese Ruhe über sie gekommen. Obwohl man denken konnte, dass sie die letzten Jahrtausende genug von dieser Ruhe hatte spüren können, fühlte es sich dieses Mal sehr erleichternd an.

Es wurde allmählich Zeit zurückzugehen. Bald würde die Sonne aufgehen, auch wenn das inmitten dieses Sturmes nicht viel Unterschied zur Nacht ausmachen würde. Sie stand auf und ging. Für sie würden die nächsten Tage schwierig werden. Chaedi und Maramé suchten immerhin nach jemandem, dass sie sich sogar bis in dieses Gebirge getraut hatten bewies, dass es ihnen sehr ernst war. Irgendetwas geschah dort draußen in der weiten Welt. Ihre Neugier verlangte Antworten, ihr Verstand jedoch sagte, dass sie sich da raus halten sollte. Einmal hatte sie sich bereits zu tief in solche Sachen hinein gehangen und dafür einen hohen Preis bezahlt. Ihr gesamtes Leben war daran zerbrochen, sie hatte die Zerstörung ihres Planeten riskiert.

Sie schüttelte entschieden den Kopf, jetzt war nicht die Zeit über so etwas nachzudenken. Sie lief etwas schneller, damit sie die verlorene Zeit wieder aufholte, doch schon bald spürte sie etwas, was ihr großes Unbehagen bereitete. Da waren mehrere Lebensformen, grob geschätzt waren es zehn. Zwei davon mussten Chaedi und Maramé sein, aber selbst mit ihrer Aura stimmte etwas nicht. Kyu änderte ihre Sicht und betrachtete das Geschehen genauer, dabei rannte sie in einem extrem hohen Tempo.
 

„Nun gebt schon auf!“, sagte der große dunkle Wolf. Er war stark gebaut und sein dunkles Fell bekam von der Nässe einen blauen Schimmer. Seine Augen verrieten eine große Selbstsicherheit und viel Kälte. Er würde nicht zögern sie zu töten, wenn sie auch nur irgendwie Widerstand leisten würden. Ebenso seine Kameraden. Dazu kam auch noch, dass sie in der Überzahl waren, es wäre sinnlos. Binnen Sekunden würden die Schwestern in Stücke gerissen worden sein.

„Es war richtig schlau von euch in dieses Gebirge zu fliehen. Kein normaler Sterblicher würde euch hier finden. Die Angst vor dem schnellen Tod hält sie zurück. Schlecht für euch, dass wir nicht so emotionsgesteuert sind. Ihr habt uns lange Zeit an der Nase herum geführt, aber damit ist jetzt Schluss. Wir würden euch gerne hier und jetzt erledigen, aber unsere Meisterin war sehr angetan von der Idee, das selbst in die Hand zu nehmen.“ Er grinste, was weder Chaedi noch Maramé als gutes Zeichen deuteten. Der Verdacht, dass diese mysteriöse Fremde mit diesen Gestalten unter einer Decke steckte, verstärkte sich durch ihre Abwesenheit. „Selbst wenn ihr uns umbringt, irgendwann wird euch jemand aufhalten und dieser Welt ihren alten Glanz zurückgeben!“, antwortete Chaedi auf den Spott des Dunklen. „Und an wen denkst du da? Es gibt niemanden, der uns aufhalten könnte!“, das höhnische Lachen seinerseits übertönte schon fast den Sturm.

„Sei dir da mal nicht zu sicher, Osair!“, erklang eine laute Stimme hinter ihnen auf den Felsvorsprüngen. Die beiden Fähen zuckten zusammen, diese Stimme kannten sie, auf wenn sie bis eben noch ihre Zusammenarbeit mit den Bösen vermutet hatten, machten ihre Herzen einen Sprung. Sie würden nun schon zum zweiten Mal von ihr gerettet werden.

Osair und seine Schergen drehten wie auf Kommando ihre Köpfe zu der Quelle dieser störenden Stimme. Die verwunderten Blicke sprachen größtenteils für sich, doch der Dunkle tanze mit seinem Grinsen aus der Reihe.
 

Kyu sprang die Felsen hinunter und landete elegant vor den anderen. Sie hätte nicht erwartet, was sie hier antraf. Ihr schien es nun auch plausibel, dass Chaedi und Maramé hierher geflüchtet waren. Osair war schon immer ein übler Zeitgenosse gewesen.

„Du solltest so schnell wie möglich von hier verschwinden, die beiden stehen unter meinem Schutz, Osair.“, sagte sie dem dunklen Wolf mit ernster, fast drohender Stimme. Dieser jedoch hatte nicht mehr als ein weiteres spöttisches Lachen dafür übrig. „Das ist göttlich, Kyu… Einfach göttlich. Dein Wille zum Kampf ist doch bereits vor so vielen Jahrtausenden gebrochen worden. Ich weiß noch wie du vor Verzweiflung geschrieen hast, du konntest nicht glauben, dass-„ „Schluss jetzt! Mit deinem jungen Gemüse werde ich auch ohne großartige Übung fertig.“, schnappte sie zurück. Hochnäsig antwortete der Dunkle: „Das weiß ich, ich bin schließlich nicht von Vorgestern. Ich kenne deine Stärke, deshalb werden wir uns fürs erste zurückziehen… Aber wir werden wiederkommen, das versichere ich dir. Kommt jetzt, wir gehen!“ Seine Untergebenen gehorchten, jedoch konnten sie sich ein paar düstere Blicke auf die drei Fähen nicht nehmen lassen. Eines musste man Osair lassen, dumm war er wirklich nicht. Sein Genie im Kampf war schon immer hoch geschätzt worden. Anders hätte er es auch nie zu einem der Dreizehn geschafft. Dennoch war es, wie Kyu jetzt sah ein Fehler. Sie hätte damals mehr auf die Reinheit der Seele achten sollen. Es schien als hätte sie in allem versagt, was ihre Vergangenheit anging. Sie seufzte und drehte sie weg von der abziehenden Gruppe. Sie sah Chaedi und Maramé in die Augen. Die beiden hatten sehr viele Fragen. Berechtigt, wenn man bedachte, was sich hier gerade abgespielt hatte. Doch noch bevor sie sie stellen konnten, begann Kyu zu sprechen: „Ihr habt mein Leben in den letzten Stunden ganz schön durcheinander geworfen, wisst ihr das? Lasst uns wieder in die Höhle gehen, ihr holt euch sonst noch den Tod…“ Mit einem wehleidigen Lächeln im Gesicht ging sie an den beiden vorbei in besagte Höhle. Es war ihre Entscheidung, ob sie ihr folgten und ihre Neugier befriedigten oder ob sie vernünftig wurden und schnell wegrannten. Doch der Vernunft entgegen betraten sie auch bald die Höhle und schüttelten sich erst einmal kräftig. Ihr Fell jedoch war so nass, dass das nicht viel brachte.
 

„Ich weiß, dass ihr jetzt sicher vieles wissen wollt, doch ich bitte euch mit euren Fragen zu warten und mir erst zuzuhören. Einige eurer Fragen werden sich bestimmt von alleine klären“, sagte Kyu ruhig als die beiden Schwestern versuchten endlich etwas aus ihrer Gegenüber herauszubekommen. Das von Kyu beschworene Feuer loderte und wärmte die Körper der beiden. Sie zögerten etwas, nickten jedoch nach einer Weile bestätigend.

„Es fällt mir schwer davon zu erzählen, also entschuldigt bitte eventuelle Pausen. Nun allem voran möchte ich euch gratulieren. Ihr habt gefunden, was ihr gesucht habt. Ich bin Kyu, ehemalige Wächterin des Planeten Gerrits. Bis zu meinem Verschwinden steckte ich bis zum Hals in meinen Pflichten…“

Längst vergangene Zeiten

Teil 1

Kapitel 3 – Längst vergangene Zeiten
 

Vor langer Zeit erfüllte ein ewiges Nichts diese Welt. Es gab weder Finsternis noch Licht. Es gab weder Leben noch Tod. Noch gab es irgendetwas.

Doch dann begann alles. Niemand wusste wie und warum. Aber es war da. Ganze Galaxien waren aus dem Nichts geboren worden. Abertausende von Sonnen und ihren Planetensystemen. Diese Zeit hatte keinen Namen, denn es wagte sich keiner anzumaßen für dieses großartige Wunder einen Namen zu finden. Wenn wir allerdings davon sprechen nennen wir es „Geburt“, um es anderen zu verdeutlichen. Diese „Geburt“ stellte den Ursprung aller Planeten und damit auch den der Wächter dar. Jeder Planet hatte einen Wächter, jeder Wächter hatte einen Planeten. Sie lebten in völligem Einklang miteinander. Sie bildeten eine Symbiose, keiner von beiden konnte ohne den anderen existieren. Zwischen ihnen wuchs ein Band, welches sie stärkte. Dem Wächter verlieh es eine unendlich lange Lebensspanne, der Planet erhielt die Möglichkeit Lebewesen auf sich zu beherbergen. Anfangs gab es auf vielen Planeten Leben, unzählbar viele verschiedene Arten. Doch das ritt viele ins Verderben. Die Lebewesen gerieten an negative Energien, so genannte Schattenwesen.

Habgier, Neid und Wut führten viele auf den Weg des Hasses und zerstörten nach und nach ihre Heimat und damit auch die Wächter. Damals beschloss man, um den Überblick zu behalten, in bestimmten Zeitabständen Versammlungen abzuhalten, man wollte wissen, wer dringende Hilfe benötigte und wer gut alleine zurechtkam. Der Rat der Wächter war nie von denen angetan, die ein solches „Experiment“, wie sie es nannten, durchgeführt hatte. Dennoch hatte man diese Phänomene beobachtet und daraus ein Resultat gezogen: „Liebe niemals, denn Liebe schadet!“ Ganz Unrecht hatten sie damit nicht. Aus der Liebe entwächst der Neid und die Habgier, daraus wurde schlussendlich Hass. Doch ich konnte das nicht glauben, denn die Liebe war für mich etwas kostbares, dass man schützen musste, damit es Gedeihen konnte. Ich hörte damals nicht auf sie.
 

Seit dieser Zeit gab es nur noch einen Planeten mit Leben: Gerrit, mit mir als Wächterin.

Ich erkannte früh die Fehler der anderen. Die Meisten dachten in solchen Zeiten nur an ihre Planeten, doch man musste sich auch um die Wesen darauf kümmern. Immer wieder reiste ich durch Raum und Zeit, um zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Nur so konnte ich beschützen, was mir lieb und teuer war: Der Planet mitsamt seinen Lebewesen.
 

Das ging viele Tausend Jahre gut, immer wieder bekämpfte und bezwang ich die Schattenwesen. Ich wusste, dass man sie nicht vernichten konnte, denn sie waren ein Teil der Lebewesen. Nicht unbedingt ihr bester Teil, jedoch ein überlebenswichtiger. Denn ohne diesen Teil waren sie unvollkommen und nicht einmal bereit eine Amöbe zu treten.

Doch mit der Zeit entdeckte ich meine Vorliebe zu Fuß zu reisen und höchstens in andere Welten zu wechseln. Zeitreisen waren gefährlich, selbst für eine Wächterin. Ich war trotz allem immer zur Stelle, wenn die Schattenwesen einmal mehr Amok liefen, deshalb machte ich mir keine großartigen Gedanken darüber.

Eines Tages spürte ich eine große Ansammlung negativer Energie in der Großen Steinwüste, natürlich war ich wieder zu Fuß dorthin unterwegs. Diese negative Energie hatte bereits weit über die Große Steinwüste hinaus Chaos im Klima verursacht. Eine lange Hitzeperiode war die Folge. Ich kam an einem Revier eines großen Wolfsrudels vorbei und traf dort denjenigen, der mein ganzes Leben auf den Kopf stellen würde. Ich stand noch auf der Anhöhe, als er mich erblickte und aus dem Wald herbeigelaufen kam. Er kam schnell näher. „Wer bist du?“, fragte der mir damals noch Fremde. Er war sichtlich neugierig wer da wohl durch die Lande seines Rudels zog. Wenn ich mich recht erinnerte, war sein Rudel sehr groß und hatte in diesem Sommer viele Probleme, wegen der anhaltenden Hitze. Man sah ihm auch an, dass er nicht besonders wohlgenährt war. Leicht zeichneten sich auf seinem dünnen Fell ein paar Rippen ab. Sein helles Fell blendete stark in der grellen Sonne, die von nicht einer Wolke abgeschirmt wurde.

„Nur eine Reisende, die deinem Rudel nichts böses will“, antwortete ich zögernd. Ich war mir darüber im Klaren, dass ihm das nicht ausreichte, denn sein neugieriger Blick sprach Bände.

„Das meinte ich nicht, dein Name. Wie lautet er?“, fragte er demnach erneut.

„Ich weiß nicht genau… Mir wurden bereits sehr viele Namen gegeben, meinen wirklichen habe ich dadurch vermutlich bereits vergessen, wie so vieles mit ihm. Doch die meisten nennen mich Kyu…“, schnell folgte ein unbekanntes Gefühl, dass eine gewisse Panik in mir auslöste. Heute weiß ich, dass das was ich gesagt habe ein Fehler war und dieser ließ mich länger leiden als mir lieb war.

Ich wich seinem Blick aus und ging an ihm vorbei, auf mich wartete immerhin noch eine Menge Arbeit.

„Warte doch!“, rief er mir nach und stand plötzlich vor mir. „Mein Name ist Gian!“

„Sehr erfreut Gian“, erwiderte ich ihm leicht gereizt, “doch entschuldige, ich muss weiter!“

Es schien ihn nicht zu interessieren, dass er mir scheinbar im Weg stand. Also ging ich erneut an ihm vorbei und nahm diesmal etwas mehr Tempo auf. Doch scheinbar wirkte ich wie ein Stück Eisen für einen Magneten auf ihn. Er lies nicht locker bis ich schließlich doch anhielt und ihn fragte: „Kannst du nicht zurück zu deinem Rudel gehen? Du gehst mir langsam auf die Nerven!“ Doch dann sah ich seinen leicht traurigen zur Seite gerichteten Blick du mir tat schlagartig alles leid, was ich ihm gesagt hatte. Er war für mich immer so einfach zu lesen, wie eine ausgebreitete Pergamentrolle. „Mein Rudel ist stark dezimiert worden, sie schließen jeden, der nicht kräftig genug ist, aus. Noch bin ich ein Mitglied, doch wie lange das noch so bleiben wird, ist mir unklar. Deshalb habe ich vor kurzem beschlossen mein Rudel zu verlassen und in eine andere Gegend zu wandern.“

Er grinste während ich einen leicht skeptischen Blick an den Tag legte. „Tja, dann häng dich an jemand anderes Fersen. Ich habe es eilig und es wird gefährlich!“, entgegnete ich und ließ ihn einfach stehen und ging meines Weges. Diesmal folgte er mir auch nicht, sein Glück dachte ich damals noch, aber bald waren die Gedanken an ihn verdrängt. Immerhin hatte ich eine wichtige Aufgabe.

Einige Tage später kam ich dann endlich in der Großen Steinwüste an und ging zwischen den hohen Felsen entlang. Wer sich dort nicht auskannte, konnte sich leicht verirren und fand einen schnellen Tod. Die ganze Wüste konnte man als gigantisches Labyrinth bezeichnen. Für mich war das Ganze über die Seelensicht kein großes Problem und die starke Quelle der negativen Energie tat ihr übriges.

Die Schattenwesen hatten mich bereits bemerkt und griffen an sobald ich in ihrer Reichweite war. Für mich stellte all das kein Hindernis dar, nur ihre Anzahl war überwältigend. Es schien als ob sie es geradezu auf einen Großangriff angelegt hätten. Es dauert etwas, doch bald hatte ich die Kontrolle über die Situation und schwächte die letzten dieser grotesken Wesen soweit, dass es nicht mehr wusste wo oben und unten war. Wie ich bereits erwähnte, war es unmöglich sie zu töten, obwohl ich mir sicher bin, dass sie danach lieber den Tod gewählt hätten.

Ich saß noch eine Weile an dem Ort. Die negative Energie hatte sich in alle Winde verstreut und mit ihr die vielen Schattenwesen.

Der Wind pfiff mit unglaublicher Geschwindigkeit durch die engen Steingassen und ließ mich schon bald aufstehen und diesen Ort wieder verlassen. Zurück durch das Labyrinth ließ ich mir Zeit. Nun eilte es ja nicht mehr.

Als ich dann schließlich hinaustrat und die Große Steinwüste hinter mir ließ, trat mir ein bekannter Geruch in die Nase: Gian! Leicht verärgert versuchte ich ihn zu ignorieren, denn er ging mir mächtig auf den Geist.

Er hielt viele Tage lang einen recht großen Abstand zu mir, doch nicht groß genug. Ich überlegte einfach durch das Raum-Zeit-Kontinuum zu verschwinden und ihn auf ewig suchen zu lassen. Doch ich ließ es bleiben. Ein paar weitere Tage danach war es mir dann zu viel und ich bewegte mich nicht mehr vom Fleck. Ich wartete bis er aufgeschlossen hatte und unbeabsichtigt näher kam.

„Du willst mir also wirklich folgen?“, fragte ich laut sobald er in Hörweite war. Ich spürte wie er vor Überraschung zusammenzuckte und ließ ein Schmunzeln zu. Er war doch recht amüsant und ich entschied, ihn wenigstens etwas genauer kennen zulernen bevor ich ihn verließ. Wer wusste schon, wann einem selbst ein normaler Wolf helfen konnte. Also stand ich auf und lief ihm entgegen. Seit unserem letzten Treffen war noch weiter abgemagert, er hatte scheinbar nichts jagen können, weil ich so schnell vorankam. Solche Dinge wie Nahrung und Trinken benötigte ich nicht, mir reichte die Energie des Planeten vollkommen aus, selbst wenn ich gegen solch groteske Gestalten wie Schattenwesen kämpfte.

Als er nach einiger Zeit noch immer nicht auf meine Frage geantwortet hatte, sagte ich: „Also, was ist jetzt? Willst du mir wirklich folgen?“ Er zögerte erneut zu antworten und schien trotz allem leicht verängstigt. Als ich dann jedoch seinen Magen knurren hörte, wusste ich, wo sein Problem lag. Ich seufzte und sagte ihm er solle kurz warten. Das unebene Gelände barg viele Verstecke für kleinere Tiere, hauptsächlich Nager. Sobald ich außer Sicht Gians war, fing ich dank der Seelensicht schnell einen wohlgenährten Hasen und lief zu ihm zurück. Leicht erstaunt über die wenige Zeit, die seit meinen Jagdaufbruch vergangen war, sah er mich an, langte jedoch ordentlich zu als ich die Beute vor ihm fallen ließ. Trotz mehrfacher Warnung nicht zu schnell zu fressen, war der Hase innerhalb weniger Minuten nicht viel mehr als ein Knochenhaufen. Nun war es an mir perplex zu schauen, denn diese Geschwindigkeit mit der er den Hasen verputzt hatte, erschien mir sehr unnatürlich.

„Also entweder stelle ich meine Frage jetzt zum dritten Mal oder du gibst mir gleich eine Antwort.“, gab ich erneut zum Ausdruck und diesmal schien er gewillt mir auch gleich eine Antwort zu übermitteln.

„Ich… habe dich beobachtet. In der Großen Steinwüste… ich muss zugeben, ich bin ziemlich neugierig. Wer bist du? Wo hast du das gelernt? Kannst du mir auch beibringen so zu kämpfen?“, seine Augen zeigten ein sehr begeistertes Leuchten.

„Weißt du auch worauf du dich da einlässt? Das Ganze ist kein Spiel sondern bitterer Ernst. Hier geht es um mehr als nur den Kampf gegen Schattenwesen, obwohl dies ein wesentlicher Bestandteil ist. Es gilt unsere Welt zu schützen, vor jeglicher Gefahr, sowohl von außen als auch von innen! Schmerz und Qual sind hier etwas ganz alltägliches, und es ist schwer einen ruhigen Tag zu finden und dann auch noch zu genießen. Diese Arbeit erfordert höchste Konzentration zu jeder Zeit und ist nichts für schwache Nerven! Bist du dir sicher, dass du das willst?“, fragte ich ihn. Es war besser, er wusste worum es ging, wenn er sich darauf einlassen sollte. Wäre letzteres nicht der Fall gewesen, dann hätte ich sein Gedächtnis manipuliert und für mich wäre die Sache erledigt gewesen. Das Leuchten in seinen Augen versiegte nicht, er nickte nur knapp. Ich seufzte. Er war verglichen mit mir noch ein Welpe, der vermutlich trotz meiner Ansprache keinen blassen Schimmer hatte, worum es hier ging. Aber ich respektierte seinen aufrichtigen Willen. Hätte ich damals gewusst was diese Zusage für Folgen nachzog, dann hätte ich vermutlich abgelehnt. Aber selbst jetzt kann ich nicht sagen, was ich schließlich getan hätte. Gian gefiel mir, er hatte Mut und einen starken Willen, außerdem zog mich irgendetwas an ihm magisch an. Eine Wächterin, die sich in Gegenwart eines Normalsterblichen ihrer Aufgabe nicht mehr ganz bewusst war! Damals hätte mir alles auffallen müssen, aber ich war naiv. Kontakte mit Normalsterblichen zu knüpfen war untersagt, wenn es keine andere Lösung gab. Doch ich hatte dies schon zuvor getan, indem ich die Obersten der dreizehn Welten bestimmte und deshalb schien mir nichts außergewöhnlich als ich Gian traf…
 

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Hallöchen alle miteinander. Ich würde euch bitten einmal in die Beschreibung der FF zu schauen, dort gibt es jetzt eine Art Mitmach-Aktion. Ich würde mich freuen, wenn ihr daran teilnehmen würdet.
 

Kyu-chan

Düstere Zeiten

Teil 1

Kapitel 4 – Düstere Zeiten
 

„Und was geschah dann?“, fragte Maramé neugierig als Kyu eine lange Pause einlegte. Chaedi schloss sich dieser Frage stumm an.

„Er starb.“ Diese kurze Antwort erschreckte die beiden, stellte sie aber noch lange nicht zufrieden.

Vor der Höhle wütete noch immer der Sturm und der ständige Wechsel von Blitz und Donner ging immer schneller vor sich. Kyu schien es, als ob ein ähnlicher Sturm in ihrem Inneren tobte. Von Gian oder gar ihrer Vergangenheit zu reden tat weh. Jahrelang hatte sie versucht all das zu vergraben und nun griff sie bereitwillig auf diese Erinnerungen zurück. All das Leid, die Trauer und der damit verbundene Schmerz fühlten sich noch genauso frisch an wie damals, jedoch schienen sie noch schlimmer zu sein.

Warum quälten diese Erinnerungen sie so? Hatte sie noch nicht genug gelitten? Damals, wie heute?
 

Aus den Blicken ihrer beiden Besucher konnte Kyu die deutliche Neugier leuchten sehen. Die beiden würden sie wohl ewig belästigen, wenn sie ihnen nichts sagen würde. Und vor Ende des Sturmes hatte Kyu nicht einmal eine Chance die beiden loszuwerden. Es musste wohl so sein, dass Kyu ihnen erzählte, was damals noch geschah…
 

Den Wächtern wurde nur eine einzige Regel als Schranke gestellt: „Liebe niemals, denn Liebe schadet!“ Doch viele Wächter, deren Planet noch nicht von den darauf lebenden Wesen zerstört wurde, erfuhren durch genau die Wesen, die ihnen zum Verhängnis wurden, was wahre Liebe bedeutete. Wesen dabei zu beobachten, wie sie ihren Partner fanden und mit ihnen eine Verbindung eingingen, die niemals gebrochen werden sollte, das war etwas, dass Wächtern verwehrt blieb. Es ärgerte viele und doch hielten sie sich daran. Sie nahmen niemals direkten Kontakt mit den Sterblichen auf. Wenn die Sterblichen jedoch etwas taten, was den Wächtern gefiel, ließen jene so genannten Wunder geschehen. Das war ihr Weg sich zu bedanken. Viele Mythen über Götter und Geister entstanden zu jenen Zeiten, so auch hier auf Gerrit.

Jedoch verliefen auf unserem Planeten einige Dinge anders. Denn ich, die ehemalige Wächterin dieses Planeten, hatte die einzige Regel gebrochen, die uns gestellt war.

Bereits bevor ich Gian traf, hatte ich bestimmte Bande mit Sterblichen geknüpft. Da dieser Planet schnell Parallelwelten entwickelte, hielt ich es für nötig besonders charakterstarke, magisch begabte und physisch gut ausgestattete Wesen in mein Geheimnis einzuweihen. Dies war die Geburtsstunde der Dreizehn Obersten. Osair ist einer von ihnen, er kennt mich, meine Fähigkeiten und meine Taktiken, deshalb ist er auch so vernünftig gewesen diesen Ort schnell zu verlassen.

Die Dreizehn halfen mir das Gleichgewicht aufrecht zu erhalten und Ansammlungen negativer Energien zu zerstreuen, wo immer sie entstanden. Dies taten sie in den meisten Fällen in ihren eigenen Welten und manchmal halfen sie sich gegenseitig. Starke Bande von Freundschaft wurden zwischen ihnen geknüpft.

Auch Gian war begabt, was seine Fähigkeiten anging. Aber er war jung und übermütig. Und doch erkannte ich trotz seiner Verspieltheit, dass er es noch weit bringen würde. In der Zeit in der ich Gian ausbildete, damit er wie einige andere Lehrlinge im Fall der Fälle einen Platz der Dreizehn übernehmen könnte, wurde mir stärker und stärker bewusst, dass da mehr war, als nur die übliche Lehrlings-Lehrer-Beziehung. Einem Wächter war es verboten solche Gefühle zuzulassen und doch ließ ich ihnen freien Lauf. Wenn ich mein Leben noch einmal von vorne beginnen könnte, so würde ich mit Sicherheit mehr darauf achten meine Empfindungen zu kontrollieren, ob dies aber etwas nützen würde, weiß ich nicht.

Kurz und knapp gesagt: Ich verliebte mich in Gian. Er selbst erfuhr nie etwas davon und ich denke, dass war auch besser so. Doch andere wussten es, genauer gesagt andere Wächter erfuhren davon. Sie waren nicht sonderlich begeistert von der Tatsache und brachten das auch zur Sprache. Das alle hundert Jahre veranstaltete Treffen der Wächter, die zusammen einen neuen Rat wählten, fand zu dieser Zeit statt. Der neue Rat hieß meine Angelegenheit absolut nicht willkommen, ebenso wie meine Art mit den Sterblichen zu agieren. Trotz allem gab es unter den Wächtern auch noch jene, die ich zu meinen Freunden zählen durfte. Und zum Glück des Rates verstand er, dass man mächtige Wächter nicht ärgern sollte. Denn je mehr der Planet eines Wächters aufblüht, desto größer wird seine Macht. Und zu dieser Zeit war dieser Planet noch ein Paradies mit Hülle und Fülle von Leben. Zudem war ich damals noch ziemlich streitlustig, wann immer jemand meinte mich herausfordern zu müssen, erlebte er sein blaues Wunder.

Als ich nach dem Treffen wieder zurück nach Gerrit reiste, erwartete mich dort bereits der Anfang vom Ende. Diejenige, die mich wie immer empfing, war Twai. Ihr kennt sie wohl nur als „neue Wächterin“. Ich weiß nicht genau, was vorgefallen ist, doch damals war Twai eine liebenswürdige, junge Frau, die mit einem gesunden Ehrgeiz und stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn ausgestattet war. Sie war wie Gian meine Schülerin und gehört zu meinen engsten Vertrauten. Auch sie wusste um meine Zuneigung zu Gian und wurde, was dieses Thema anging, manchmal auch ziemlich aggressiv. Sie nahm Regeln sehr ernst und war eine regelrechte Musterschülerin.

Diesen Tag jedoch schien sie etwas zu bedrücken und meine Neugier blieb ihr nicht lange verborgen. Im Allgemeinen kann man Twai nichts vormachen, sie ist viel zu aufmerksam und erkennt den Charakter einer Person spätestens auf dem zweiten Blick, dabei war die Art vollkommen egal. Auf meine dann doch gestellte Frage, was geschehen sei, antwortete sie: „Er wollte nicht hören und ist einfach losgezogen…“ Erst wusste ich nicht von wem sie redete, doch schnell begriff ich, was sie mir sagen wollte. In einiger Ferne spürte ich eine geringe Ansammlung negativer Energie und ganz in der Nähe dieser hielt sich Gian auf. Ich dachte mir würde das Herz stehen bleiben, was in diesem Moment vielleicht sogar ganz angebracht gewesen wäre. Schnell öffnete ich ein Portal zum Raum-Zeit-Kontinuum. Es war gefährlich so zu reisen, selbst für mich. Doch in diesem Moment gab es keine größere Gefahr, als die, die Gian bedrohte. Sein Übermut war seine größte Schwäche und das Spiel des Todes gegen das Leben nutzte diese erbarmungslos aus. Als ich wieder aus dem Raum-Zeit-Kontinuum austrat, bot sich mir eine Szene, die ich bis heute im kleinsten Detail in Erinnerung habe…

Er war tot… Um ihn herum waren noch immer ein paar Schattenwesen, die sich einen Scherz daraus zu machen schienen. Und in diesem Moment ging mein Verstand mit mir durch, meine Wut gewann die Überhand und es war zu spät für die Schattenwesen.

Und dann setzte der Regen ein. Regen… er kommt immer genau zur passenden Zeit und auch diesmal tat er sein Werk. Wenig später fand dann auch Twai mich. Ich war völlig aufgelöst und meine Welt schien in tausende kleine Scherben zu zerbrechen und doch fiel es mir schwer auch nur eine einzige Träne zu vergießen. Wie lang ich dort bei Gians leblosen Körper saß und in mir immer der Gedanke der Vergänglichkeit hoch stieß weiß ich nicht mehr. Mir wurde bewusst, dass die normalsterblichen Wesen eigentlich ein viel besseres Leben hatten als ich. Ihre Seelen kannten das Geheimnis, wie man in die nächste Welt gelangte. Sie konnten Schmerz ignorieren, denn für sie bestand die Hoffnung, all jene, die sie verloren hatten wieder zu sehen, während wir Wächter dazu verdammt sind an das Schicksal des Planeten gebunden zu sein.

„Twai…?“, fragte ich schließlich nach einer endlosen Zeit. Ich wusste, dass sie da war und ebenfalls trauerte, aber ich wollte mich vergewissern, dass mich noch nicht alle verlassen haben. Sie sagte leise, dass sie da sei und aufgrund des Regens konnte man es nur schwerlich verstehen.

„Ich bin schon erbärmlich, oder? Dazu auserkoren einen Planeten zu schützen und im Stillen über ihn zu wachen, aber ein einzelnes Lebewesen konnte ich nicht retten… Ist es Ironie oder ein grausames Spiel des Lebens? Meine Zeit ist abgelaufen, als Wächterin habe ich versagt… Es scheint, dass es Zeit wird für frischen Wind zu sorgen.“ Eine Pause, in der meiner Schülerin klar wurde, was ich in meinen wirren Worten zum Ausdruck brachte. „Ich werde dieser Welt den Rücken kehren und ins Exil gehen… Du Twai wirst an meiner Stelle als Wächterin Gerrit schützen. Ich weiß, dass du es kannst. Besser gesagt, bin ich davon überzeugt, dass nur du es kannst.“
 

Kyu sah zu Chaedi und Maramé, deren momentane Gefühle sie nur schwer einschätzen konnte. Einerseits schienen sie Mitleid zu haben, andererseits waren sie wütend, dass Kyu diese Welt so leichtfertig aufgegeben hatte.

Aber es war nun einmal geschehen und ändern konnte sie es jetzt auch nicht mehr. Für sie war Gian im Laufe der Zeit zu allem geworden und nur sein Übermut und das Fehlen einer kritischen Selbsteinschätzung hatten ihn das Leben gekostet und Kyu ins Exil getrieben. Was war sie da schon als Wächterin wert?
 

Derweil geschahen an anderen Orten Dinge, die eine unheilvolle Zeit ankündigten. Osair hatte seinen Weg zurück zum Zentrum gemacht. Das Zentrum, wie es umgangssprachlich genannt wurde, war eine riesige Festung, deren Mittelturm bis weit über die Wolkendecke reichte. Wachen gab es keine, da niemand so dumm war sich hierher zu begeben. Die einzigen, die ungestraft ein und ausgingen, waren die Dreizehn Obersten und deren Gefolge.

Osair musste zugeben, dass er ein wenig Angst davor hatte, Twai beichten zu müssen, dass er versagt hatte, und dass Kyu sich seit neusten wieder in die Geschicke der Welt einmischte. Die neue Wächterin war nicht sonderlich gut auf solche Dinge zu sprechen, aber wenn man versuchte es zu verbergen, wurde ihre Laune nur noch schlechter, falls diese Steigerung noch möglich war.

Osair stieg die Stufen des höchsten Turmes der Festung hinauf. Es dauerte eine Weile bis er schließlich das oberste Geschoss erreichte. Und dort stand die neue Wächterin mit dem Rücken zu ihm gekehrt und blickte aus den Fenstern über das Land. Osair schluckte kurz und verbeugte sich dann. Als er anfangen wollte zu sprechen, fiel Twai ihm auch schon ins Wort. „Ich weiß längst, was geschah. Meine alte Meisterin ist wieder zurück. Ruf sofort die anderen zusammen, ich muss etwas bekannt geben.“ Die Betonung verriet Osair, dass er jetzt gehen und dem Befehl folge leisten sollte. Es gab wieder eine Zusammenkunft der Dreizehn Obersten.
 

Twai richtete indes den Blick auf die Wolken. Was bewegte ihre Meisterin nun nach all diesen Jahren wieder ans Tageslicht zu treten?

Schwere Entscheidung

Teil 1
 

Kapitel 5: Schwere Entscheidung
 

Es donnerte und blitzte um den Konferenzsaal der Dreizehn herum. Alle waren hergeeilt, nachdem Osair ihnen kurz die Situation geschildert hatte. Allen war klar, dass es sich hier um eine wichtige und ernste Angelegenheit handelte.

Wildes Gemurmel ging durch den Saal. Doch dann erhob sich Twai an einem Ende des Tisches, der in der Mitte stand.
 

Mit lauter Stimme fing sie an: „Der Grund dieser Versammlung hat sich möglicherweise bereits herumgesprochen.“ Twai machte eine kurze Pause, in der sie jeden einzelnen der Dreizehn ansah. „Wie Osair mir berichtete, sind unsere beiden Widersacher Chaedi und Maramé in das Kirojagebirge geflüchtet, in das Exil einer uns bekannten Person, meiner alten Meisterin, der ehemaligen Wächterin unseres Planeten Gerrit: Kyu. Sie scheint den beiden aktiv geholfen zu haben und daher ist nicht auszuschließen, dass sie bald wieder hier vor uns steht. Doch ich denke es dürfte uns schwer fallen ihr erneut Vertrauen entgegen zu bringen, nachdem sie uns und den Planeten so einfach verlassen hat. Von daher frage ich nun euch, was denkt ihr sollten wir unternehmen?“
 

Es wurde still. Zwar hatte bereits jeder eine Meinung zu diesem Thema, aber die Lage nochmals aus dem Munde der Wächterin zu hören, ließ sie erschaudern. Es passierte selten genug, dass Twai die Dreizehn zu Rate zog und das auch wirklich nur in solch heiklen Lagen.

„ Vielleicht sollten wir nicht zu vorschnell urteilen. Sie war immerhin einmal eine Wächterin. Möglicherweise sollten wir versuchen mit ihr zu reden, bevor wir gleich daran denken, wie wir sie aufhalten können“, meldete sich schließlich Runa zu Wort. Twai lenkte ihren Blick auf die weiß-gelbe Wölfin. Sie nickt zum Zeichen, dass sie verstanden hatte.

In diesem Moment fing Mo an zu sprechen: „Twai wir wissen Alle, dass von Kyu keine Gefahr oder der Gleichen ausgeht. Wir können ihr ohne weiteres Vertrauen! Was sollte sie schon Schlimmes anrichten. Sie könnte die Situation allerhöchstens verbessern. Oder?“ Die letzten Worte Mos ließen Twai einen skeptischen Blick auflegen. Scheinbar war es selbst nach all der langen Zeit nicht möglich die Taten ihrer Meisterin verblassen zu lassen. Doch bevor Twai etwas erwidern konnte ergriff Osair das Wort.

„Nun, sie hat zwei Gesuchte beschützt. Das ist eine aktive Unterstützung des Widerstandes. So hat sie doch gleich gezeigt, dass sie nicht willig ist mit uns zu kooperieren. Von daher finde ich Twais Perspektive gar nicht so verkehrt. Handle bevor es deine Gegner tun, dann bist du im Vorteil.“

„ Osair, wir sind hier nicht im Kampf. Wir reden hier von einer alten Freundin! Vergiss’ nicht, dass wir ihr sehr viel verdanken. Es ist ungerecht, dass du und Twai so aggressiv reagiert. Es ist nun mal nicht einfach jemanden zu verlieren, den man über alle Maßen liebt. Ihre Reaktion nach dem Tod Gians war doch verständlich. Ich könnte mir nicht vorstellen danach einfach weiter zum machen, als wenn nicht passiert wäre!“, meinte Akazi daraufhin. Twai merkte, dass das Gespräch so langsam in Gang kam und realisierte ebenfalls, dass die Dreizehn nicht so wie früher als eine Einheit reagierten. Wenn es um Kyu ging, waren sie alle unterschiedlicher Meinung und das obwohl sie sie in diesen Stand gehoben hatte. Doch für Twai war das eine unentbehrliche Lektion, denn so wusste sie nun um die Gefahr. Man sollte nicht alles für selbstverständlich nehmen und besonders bei den Dreizehn musste man sich in Acht nehmen. Sie waren durchaus mächtige verbündete, konnten jedoch auch zu mächtigen Feinden werden.

„Ich muss Osair zustimmen. Sie hat sich gegen uns aufgelehnt und bei jedem anderen würden wir sofort handeln. Wir sollten uns darüber im Klaren sein worum es hier geht und uns nicht von unseren Gefühlen leiten lassen. Eine sachliche Entscheidung sollte getroffen werden. Ihr alle wisst, dass ich nichts gegen Kyu habe, aber sie hat sich in diese Sache eingemischt und muss nun auch die

Konsequenzen tragen“, warf Skylight ein. Der Hengst war immer gewillt alles objektiv zu betrachten und im Grunde hatte er Recht. Wäre es nicht Kyu sondern ein einfacher Wolf gewesen, wäre das nicht einmal zu allen der Dreizehn vorgedrungen. Doch dem war nicht so.

Ansari, ein Katzendämon, brachte eine neue Perspektive ins Gespräch: „Was ist wenn Kyu den beiden nur geholfen hat, weil sie nicht wusste wer sie sind, dass die beiden gesucht werden. Am besten reden wir mit ihr und werden sie bitten sich in Zukunft bei so etwas raus zuhalten.“

„Mit ihr reden? Das ich nicht lache. Sie hielt es doch auch nicht für nötig mit uns zu reden, als sie ging. Sie ließ uns und den Planeten im Stich. Möglich, dass sie nichts wusste, aber das gibt ihr noch lange kein Recht einzugreifen, wenn sie sich doch selbst für das Exil entschieden hat. Schon allein die Tatsache, dass sie ihre Entscheidung nicht konsequent durchzieht, sollte uns beweisen, dass sie im Unrecht ist!“, stellte Enrior fest. Und es gab dem Rest etwas zu denken, vor allem aber unterstützte es die Vertrauensfrage, die Twai zu Beginn gestellt hatte. Wenn Kyu nicht in der Lage war konsequent zu handeln, kam sie da überhaupt noch als Verbündete in Frage?

„Warum verschwenden wir hier unsere Zeit mit dummem Gerede? Wir müssen sofort handeln. Kyu hat uns alle im Stich gelassen und dafür hätte sie schon lange bezahlen müssen. Das sich so etwas Wächterin nennen durfte, ist schon Schande genug. Halten wir sie auf, egal zu welchem Preis!“, bekräftigte Ronon den Beitrag Enriors.

Und auch Calamity stimmte dem zu: „Ronon hat recht! Wir wissen nicht was sie vorhat. Keiner weiß was in ihren Kopf vorgeht. Vielleicht ist sie nicht mehr ganz richtig da oben. Aber wir sollten trotzdem vorsichtig sein. Es gibt noch immer genug, welche sich die alte Wächterin zurück wünschen. Am besten werden wir sie los, ohne dass jemand Wind davon bekommt.“

„ Sie loswerden? Wie stellst du dir das denn vor? Wenn sie die letzten tausend Jahre überlebt hat, heißt das, dass ihre Bande zu Gerrit nicht komplett gekappt wurden. Wir müssten also in allen vierzehn Welten die Erde unter unseren Füßen vernichten. Was haben wir da gekonnt?“, fragte Rosé sowohl skeptisch als auch neugierig auf die Lösung dieses Problems. Tatsächlich war es die einzige Möglichkeit eine Wächterin zu töten, indem man ihren Planeten vernichtete. Anders werden Wächter nicht sterblich und somit besiegbar.

Da meldete Aran piepsend: „Wenn ihr so versessen darauf seit sie zu beseitigen, warum fragt ihr nicht den Rat der Wächter? Die haben doch die Macht, einem Wächter den Dienst endgültig zu verbieten.“

„Und riskieren, dass die Wind davon bekommen, dass wir mit unseren eigenen Problemen nicht fertig werden? Dem Rat der Wächter war unser Planet doch schon immer ein Dorn im Auge! Sie würden das nur als Vorwand nutzen uns endlich den Garaus zu machen!“, erinnerte ihn Zeto.

Unaris nahm den Faden des ursprünglichen Problems wieder auf und sagte: "Wir sollten vermutlich wirklich zuerst das Gespräch mit Kyu suchen und danach weiter sehen, vielleicht löst sich alles. Wenn dem nicht so sein sollte, können wir immer noch überlegen, wie wir Kyu bekämpfen.“

Ein Raunen ging durch die Runde. Diejenigen, die für eine Beseitigung Kyus waren gaben sich damit nicht ganz zufrieden. Doch sie wussten auch, dass ihre Meinung anders nicht durchzusetzen war.

Noch bevor dies einer sagen konnte, ergriff Twai erneut das Wort: „Reden hm… Nun, wenn ich mir eure Meinungen so anhöre, so sind die Dreizehn genauso geteilter Meinung wie ich. Ich respektiere meine Meisterin noch immer, aber ihre Entscheidung uns zu verlassen, wiegt dennoch schwer. Am besten besorgen wir das gleich! Ich, sowie Runa, Osair und Calamity, werden in einer Stunde direkt zu ihr reisen! Osair, komm bitte jetzt gleich schon zu mir, ich brauche noch alle Einzelheiten deines Zusammentreffens mit meiner Meisterin!“

Die Dreizehn wussten, dass sie nun entlassen waren. Sie fanden sich nun in kleineren Gruppen zusammen und ließen die Konferenz Revue passieren.

Osair folgte Twai wie befohlen ein Stockwerk höher.
 

„Und was denkst du?“, fragte Twai, sobald sie die Tür hinter Osair geschlossen hatte. Die Wächterin vertraute auf die Meinung Osairs. Sie wusste um seine Loyalität zu ihr und das kam ihr in diesem Fall sehr gelegen.

„Nun es scheint, als ob Kyu in den Reihen der Dreizehn noch Verbündete hat. Von daher würde ich nicht ausschließen, dass Kontakte zwischen ihnen bestehen. Notwendig ist dies nicht, aber immerhin möglich. Du solltest dich auf jeden Fall vorsehen und keine unnötigen Risiken eingehen. Dennoch denke ich, dass auf die meisten Verlass ist. Sie mögen es nicht aus tiefer Überzeugung tun, doch ihre Loyalität gehört noch immer dir. Ein endgültiges Bild der Situation wirst du dir allerdings auch erst nach dem Gespräch mit Kyu bilden können.“

Twai nickte, ihr war die Gefahr bereits während der Konferenz aufgefallen und das Osair die Möglichkeit von bestehenden Kontakten erwähnte, machte ihr die Sache nicht unbedingt einfacher. Doch vorerst würde sie den Stand der Dinge nicht ändern können.

„Gut, doch jetzt möchte ich alle Einzelheiten!“, sagte sie und streckte Zeige- und Mittelfinger aus und berührte Osairs Stirn. Die Bilder von seiner Begegnung mit ihrer alten Meisterin flossen auf sie über. Dabei empfand sie ein seltsam gemischtes Gefühl.

Ein neuer Anfang

Teil 2
 

Kapitel 6: Ein neuer Anfang
 

Eine Woche war seit dem Zwischenfall mit Osair vergangen. Der Sturm über dem Kirojagebirge hatte seinen Höhepunkt erreicht. Beinahe im Sekundentakt wechselten sich Donner und Blitz ab. Der Wind schwankte in seinen Geschwindigkeiten, leichte Brisen bis zu heftigen orkanartigen Geschwindigkeiten kamen vor. Der Regen verhinderte eine klare Sicht auf das, was sich außerhalb der kleinen Höhle abspielte.

Dennoch lag Kyu am Eingang und starrte hinaus, trotz der Turbulenzen in der Luft empfand sie es als beruhigend, beinahe hypnotisierend. Sie tat dies immer wenn sich ein solcher Sturm entfaltete, schon während ihrer Zeit als Wächterin.

Chaedi und Maramé schliefen. Es war ihre einzige Möglichkeit einigermaßen bei Kräften zu bleiben, denn zu solchen Zeiten nach Nahrung zu suchen, war nicht nur tödlich, sondern verrückt. Immerhin mussten sie sich keine Sorgen um Trinkwasser machen, davon bot sich momentan genug.
 

Kyu wusste nicht warum, aber sie fühlte sich so wohl wie lange nicht. Sie hatte seit einer Ewigkeit wieder mit jemandem reden können, sowohl mit bekannten als auch bis dahin unbekannten Personen. Und doch hatte sie umso mehr das Gefühl Fehler begangen zu haben. Die Einsamkeit hatte ihre Verzweiflung und Trauer nicht heilen können, möglicherweise war dies der größte Fehler, den sie je begangen hatte. Sie lief vor ihren Gefühlen davon, sie stellte sich der Realität nicht.

Vielleicht behielt der Rat Recht, sie war eine Bedrohung für dessen Existenz. Eines war sicher, als Wächterin war sie nicht geeignet, auch wenn sie zusammen mit Gerrit entstanden war, sich entwickelte und mit dem Planeten lebte.

Und doch, trotz all dieser negativen Aspekte ihres Daseins, wollte sie das nicht einfach aufgeben. Die Lebewesen Gerrits träumten noch, sie träumten von einer besseren Zukunft. Es war fraglich ob Kyu ihnen diese geben konnte, momentan fühlte sie sich dazu nicht im Stande. Sie war nicht die Richtige, um das zu tun, jedoch fiel ihr niemand anderes ein, der es besser könnte. Twai schien sich verändert zu haben und mit ihr auch der Rest Gerrits…

Blitze zuckten noch den Rest der Nacht über den Himmel, während Kyu weiter ihren Gedanken nachhing.
 

„Ihr wisst worum es hier geht!“, Twais strenge Stimme hallte kurz nach, „Wir wollen lediglich den Grund für Kyus Eingriff erfahren und auch die beiden flüchtigen Wölfinnen mitnehmen. Gekämpft wird nur, wenn ich es anordne!“ Bei den letzten Worten sah sie vor allem Calamity scharf an. Sie hatte sich während der Konferenz dafür geäußert Kyu loszuwerden. Dennoch wusste Twai, dass sie letztendlich hören würde. „Also dann, auf geht’s!“ Twai führte ihre Hände zusammen und ließ die Energie fließen. Als sie ihre Hände wieder voneinander trennte, zuckten Blitze zwischen ihnen hin und her, bis sie schließlich zwischen Twais Handflächen eine bläulich schimmernde Kugel bildeten. Twai führte diese Kugel zu Boden und direkt vor ihr öffnete sich ein Portal. Sie trat hindurch und fand sich in einer anderen Art des Raum-Zeit-Kontinuums wieder. Es war eine schnellere Art zu reisen, jedoch konnte es gefährlich sein, wenn man nicht über genug Energie verfügte. Auch Wächter waren davor nicht gefeit, sie setzten ihren Planeten dabei aufs Spiel, dieser konnte im Falle einer Explosion zu einer Gefahr für andere werden. Diese Art zu reisen wurde daher nur selten verwendet.

Nach und nach traten auch die anderen ein und Twai schloss das Portal wieder. Mithilfe der Seelensicht ermittelte sie Kyus Position und machte sich dann auf den Weg dahin, gefolgt von Calamity, Osair und Runa.
 

Es war früh am morgen als Kyu ein unbehagliches Gefühl beschlich. Der Sturm hatte über die Nacht stark nachgelassen, dabei hätte er nach Kyus Erfahrung noch ein paar Tage anhalten müssen. Ihr gefiel dieser Umstand überhaupt nicht, weshalb sie schnell Chaedi und Maramé weckte. Die beiden waren noch schlaftrunken, als direkt vor der Höhle ein Portal geöffnet wurde. Heraus traten Kyu nur allzu bekannte Gestalten.

„Wir haben uns eine Weile nicht gesehen, aber ich nehme an, dass du uns noch kennen wirst“, eröffnete Twai das Gespräch. Ihr war nicht nach langen Reden zumute, sie wollte die Sache schnell hinter sich bringen und dann wieder zurückkehren.

Kyu stellte sich unterdessen schützend vor Chaedi und Maramé, welche bereits instinktiv zurückgewichen waren.

„Euch zu vergessen, käme wohl dem Vergessen des eigenen Ichs nahe…“, antwortete Kyu schnell. Twai grinste: „Wenn ich mir dich so anschaue, würde ich sagen, dass du dich selbst vergessen hast! Sieh dich an, du lebst in einer Höhle, versteckst dich vor allem und jedem. Du bist nicht mehr du, du hast diesen Planeten vergessen.“ Diese Worte trafen die ehemalige Wächterin sehr und doch wusste sie, dass Twai Recht hatte. Kyu hatte den Planeten vergessen.

„Ich bin jedoch nicht hier, um dir das mitzuteilen, ich möchte lediglich, dass du mir die beiden Wölfinnen hinter dir übergibst. Sie haben gegen das Gesetz verstoßen und den Gehorsam aufs schlimmste verweigert.“

Kyu wurde neugierig, sie kannte die Geschichte der beiden nicht und konnte daher nicht urteilen, ob Twais Reaktion auf was auch immer Chaedi und Maramé verbrochen hatten gerechtfertigt war. Dennoch sah Kyu darin eine Möglichkeit herauszufinden, inwieweit sich ihre Schülerin verändert hatte. „Was würdest du mit ihnen machen, wenn ich sie dir ausliefere?“

„Sie werden in ihrer Heimatwelt öffentlich hingerichtet!“, antwortete Twai ohne mit der Wimper zu zucken und bestätigte Kyus Verdacht. Chaedi und Maramé hatten ihr nichts Detailliertes erzählt, jedoch ging aus dem wenigen hervor, dass ihre Schülerin nicht mehr dieselbe war. Leider war die Lage schlimmer, als Kyu sich hatte ausmalen können.

„Ich habe dich vieles gelehrt… Gleich zu Anfang hatte ich dir erklärt, dass es jedes Lebewesen zu schützen gilt. Und nun stehst du hier vor mir und zeigst mir, dass du mir vermutlich nie wirklich zugehört hast. Es ist traurig… ja wirklich traurig, dass ich scheinbar in jeder Beziehung blind und nichts als Fehler gemacht habe.“

Twais Gesichtsausdruck wurde ernst. Sie verlor langsam die Geduld mit ihrer Meisterin. „Es hilft weder dir noch den beiden hinter dir, wenn du jetzt mit den alten Zeiten anfängst. Das ist Geschichte und alles hat sich geändert. Angefangen damit, dass du uns im Stich gelassen hast. Du weißt nicht, wie schwer es für uns alle war einfach so weiterzumachen. Ich habe alles gegeben, um deinen Lehren gerecht zu werden, bis ich eines Tages einsehen musste, dass sie falsch sind. Jedes Lebewesen beschützen sagst du… Dabei machen sie einem nichts als Ärger! Übergib mir die beiden nun, oder wir werden gezwungen sein sie uns zu holen!“ Osair und Calamity gingen sofort in Kampfbereitschaft, während Runa noch zögerte, ihr war nicht mehr ganz wohl in ihrer Haut.

Kyu sah zu Boden, ihr fiel keine andere Möglichkeit mehr ein. Twai war nicht mehr die gelehrige Schülerin und wenn sie sagte, dass sie Ernst machen würde, dann tat sie das wohl auch. Sie hatte nun einen Eindruck von ihrer Veränderung und war alles andere als begeistert. Als Twais ehemalige Meisterin hatte sie wohl keine andere Wahl. Blaue Flammen schossen aus dem Boden hervor und umgaben Kyu für ein paar Sekunden. Als sie wieder verschwanden, stand an ihrer Stelle eine Frau, nicht älter als zwanzig Jahre, ihre Haare waren weiß und schimmerten blau. Sie trug braune Kleidung, eine Bluse mit Lederweste und einfache Hosen mit hohen Stiefeln. In der rechten Hand hielt sie einen Stab, der etwa ihre Größe besaß. Zu Twais Erstaunen, war ihr Blick fest und entschlossen.

Das war also die letzte Chance Twais, wenn sie diese Angelegenheit ohne Kampf zu beenden: „Du entscheidest dich also zu kämpfen… Das bedeutet, dass du die beiden Verbrecherinnen hinter dir schützen willst, ja? Nun damit wirst du nicht durchkommen. Ich habe versucht, das friedlich zu regeln und wollte keinen Kampf zwischen uns entbrennen lassen. Weißt du, unter den Dreizehn gab es auch einige, die gleich sagten, wir müssten dich vernichten. Du genießt kein Vertrauen mehr unter ihnen, auf diese Weise machst du dir nur selbst das Leben schwer.“

„Selbst wenn, es ist noch immer meine Entscheidung! Vorhin sagtest du, ich hätte mich selbst vergessen… Ich selbst war bis eben auch noch der Meinung, aber so wie du dich aufführst, fürchte ich, dass du diejenige bist, die sich selbst und ihre Prinzipien vergessen hat. Mein Selbst hat sich scheinbar nur für tausend Jahre ausgeruht, denn ich werde nicht zulassen, dass du diese beiden Wölfinnen hinrichtest. Ich habe nicht seit Anbeginn der Zeitrechnung über diesen Planeten gewacht, damit du deine Willkür an dessen Bewohnern auslässt! Geh jetzt, oder ich zeige, was es bedeutet Ernst zu machen!“ Es war für Kyu, wie seit Ewigkeiten nicht mehr. Sie spürte, wie das Leben in sie zurückkehrte. Das Auftauchen dieser beiden Wölfinnen hatte ihrem Leben eine erneute Wende gegeben, diesmal jedoch in positive Richtung.

Nicht einen Moment ließ Kyu Twai aus den Augen, wenn es um Täuschung und blitzschnell folgende Angriffe ging, so war Twai nicht zu überbieten. Doch entgegen Kyus Erwartungen führte Twai keinen Angriff durch, sondern zog sich zurück: „Ich sagte bereits, dass ich nicht hier bin, um gegen dich zu kämpfen. Allerdings muss ich zugeben, dass ich nicht mit deinem Widerstand gerechnet hatte. Calamitiy, Osair, Runa… wir gehen. Heute ist nicht der Tag, an dem wir Kämpfe provozieren wollen.“ Mit diesen Worten trat Twai durch das noch immer geöffnete Portal und Kyu sah zu, wie die drei anderen ihr folgten. Runa schaute noch kurz zurück zu Kyu und ging dann ebenfalls, nachdem sie verschwunden war, schloss sich das Portal.

Kyu seufzte und erneut schossen blaue Flammen aus dem Boden, umhüllten sie und gaben sie in ihrer Wolfsgestalt wieder frei.

Sie drehte ihren Kopf zu Chaedi und Maramé und grinste: „Ich schätze ihr habt mir jetzt so einiges zu erklären…“
 

Kyu war sich nicht ganz sicher, ob sie das Richtige getan hatte, indem sie Twai provozierte, doch es war ihr egal, denn sie selbst war der Meinung jetzt genug getrauert zu haben. Es wurde Zeit, dass sie wieder ins Geschäft einstieg. Sie würde den Planeten und die darauf lebenden Wesen nicht der Twai überlassen, die sie heute erleben durfte. Eine neue Wende in Kyus Leben, ja gar ein neuer Anfang…
 

Teil I Ende

Geschichtliche Aufholjagd

Teil 2
 

Kapitel 7 - Geschichtliche Aufholjagd
 

Kyu war etwas mulmig zumute als sie das Kirojagebirge endgültig hinter sich ließen. Sie hatte ausschließlich hier die letzten tausend Jahre verbracht und würde nun die Welt in einem neuen Licht sehen. Ihr war klar, dass sich vieles verändert hatte, tausend Jahre gingen nicht ins Land ohne Spuren zu hinterlassen. Und ebenjene Spuren machten der ehemaligen Wächterin ein wenig Angst. Dennoch bemerkte sie schnell, dass es Zeit für weitere Veränderungen wurde, sie hatte sich lange genug vor der Welt versteckt und abgeschottet.

Zunächst musste sie sich wieder an den Anblick frischen grünen Grases gewöhnen, welches sie außerhalb des Gebirges schon erwartete. Chaedi und Maramé, noch immer schwach auf den Beinen, erzählten derweil, was sie im groben über das vergangene Jahrtausend wussten. Natürlich konnten sie nur grob von der ersten Zeit berichten, jedoch war Kyu froh darüber nicht zu viele Details auf einmal zu bekommen, denn die, die sie über die letzten Jahre erhielt, waren nicht unbedingt die erfreulichsten.
 

„Unsere Chronisten wissen nur wenig über die alte Zeit. Die meisten Geschichten sind Legenden um die blühende Ära, die vor Twais Zeit geherrscht haben soll. Darüber wirst du vermutlich mehr wissen als wir, immerhin warst du für die damaligen Begebenheiten verantwortlich“, begann Maramé mit der Erzählung.

Ihre Schwester Chaedi ließ es sich nicht nehmen fortzufahren: „Es heißt, dass die Welt damals reich an Leben und Glück war, demnach das komplette Gegenteil von unserer Zeit. Nachdem Twai Wächterin wurde, sollen dunkle Schatten heraufgezogen sein und nach und nach das Land vergiftet haben. Es wurde vermutlich ziemlich ausgeschmückt, aber im Grunde trifft diese Legende der Dunkelheit zu, denke ich. Denn was du hier siehst, wird wohl das Schönste in naher Zukunft sein. Gras dieser Art ist ein seltener Anblick, ich selbst hatte noch nicht häufig das Vergnügen.“

Kyu blickte zu Boden, als sie begann das Gras unter ihren Pfoten zu spüren. Sollte Gerrit wirklich so kaputt sein, dass nicht einmal mehr richtiges Gras aus seiner Erde wachsen konnte? Erfreuliche Aussichten konnte man das wohl wirklich nicht nennen. Scheinbar hatte sie mit ihrem Fernbleiben mehr Schaden angerichtet, als sie es im gebrochenen Zustand hätte tun können. Doch ehe sie ins Grübeln verfallen konnte setzten die beiden Wölfinnen ihre Erzählung fort und beschlagnahmten so Kyus Aufmerksamkeit.

„Das was ich bereits von dieser Welt gesehen habe, sah nicht gesund aus. Die Erde scheint nicht genug Leben zu enthalten, um Pflanzen hervorzubringen. Für den Fall, dass es einzelne schaffen, steht ihnen eine harte Zeit bevor und die meisten verdorren schon kurz danach. An manchen Stellen wachsen noch kleine Wälder, die sich dem Klima und den Gegebenheiten im Boden angepasst haben. Wir nennen sie Lebensoasen, da man sonst kaum noch lebendige Wesen antreffen kann. An diesen Oasen sammeln sich meist verschiedene Arten, die versuchen miteinander zu leben. Wir versuchen auf diese Weise eine Art Gleichgewicht zu schaffen, denn selbst wir wissen, dass es nichts bringt Pflanzenfresser und Fleischfresser zu trennen. Die Pflanzenfresser sind nicht immer unserer Meinung, jedoch akzeptieren es viele von ihnen“, erklärte Chaedi weiter.

„Es heißt, dass Twai nicht das Einfühlungsvermögen besitzt, dieses Gleichgewicht zu schaffen. Anfangs schien ihre Anwesenheit keine großen Veränderungen zu bringen, doch nach und nach starb die Welt. Wir gehören wohl zu den letzten Lebenden. Wir wussten, dass es langsam Zeit wurde, dass sich etwas ändert und hofften daher auf die alte Legende der unsterblichen Wächter. Wie es scheint war an dieser Legende etwas dran, immerhin steht die ehemalige Wächterin leibhaftig neben uns! Allerdings ist mir dann noch nicht klar, wie wir Twai loswerden sollen…“

Nun war es wohl an Kyu sich zu äußern, denn soweit sie sich erinnerte, hatte sie es immer vermieden solche Geschichten in Umlauf zu bringen, daher fragte sie sich ernsthaft, woher solche Legenden kamen.

„Es stimmt, dass Wächter nicht einfach so sterben, wie ihr beispielsweise. Das macht und jedoch noch lange nicht unsterblich. Bei uns gibt es zwei eiserne Regeln: Die erste behandelt die Liebe, ‚Liebe niemals, denn Liebe schadet.’ Ich brach sie und trug die Konsequenzen. Die zweite bezieht sich auf unser Leben, ‚Das Schicksal der Wächter ist mit dem des Planeten zu eng verknüpft, als dass man es trennen könnte.’ Umgangssprachlich bedeutet das, dass ich erst sterbe, wenn dieser Planet soweit ist dies zu tun. Es gibt jedoch ein paar Erzählungen, dass Wächter ihren Planeten mit in den Tod rissen. Die Seelen dieser Wächter waren laut dem Rat unvollkommen und wechselten zu leicht in die nächste Welt. Allerdings würde ich nicht viel auf das Geschwätz des Raten geben.“ Kyu fand es erstaunlich, dass selbst ein Jahrtausend Exil ihre Abneigung gegen die höchsten Wächter nicht hatte besänftigen können, immerhin hatte sie in dieser Zeit ihre Ruhe vor diesen gehabt.

„Twai jedoch ist nicht die ‚originale Wächterin’, wenn man so will. Ihr Leben wurde künstlich verlängert, so wie die der Dreizehn ebenfalls. Durch kontrollierte Aufnahme von planetarer Energie ist dies möglich, jedoch können sie von körperlichen Wunden gezwungen werden in die nächste Welt überzuwechseln“, erklärte die ehemalige Wächterin ihren beiden neuen Schützlingen. Sie sah, wie sich kurz Hoffnung auf ihren Gesichtern widerspiegelte, jedoch ebenso schnell wieder verschwand. Als Maramé Kyus fragenden Blick bemerkte, erzählte sie von den Versuchen der jetzigen Wächterin zu schaden: „Ich weiß nicht, ob es früher auch schon so war, aber in den letzten Jahren wurde häufiger davon berichtet, dass es Wesen gab, die Twai umbringen wollten. Es heißt, die seien schon an der Grenze zum Sternenturm gescheitert. Scheinbar weiß Twai um diesen Umstand und hat gewisse Vorkehrungen getroffen.“ Erneut zeichnete sich ein fragender Blick bei Kyu ab: „Sternenturm?“

„Dieser Turm soll bis zu den Sternen reichen und wurde mit brutaler Hand errichtet. Man sagt der Bau soll über zweihundert Jahre gedauert haben und diejenigen, die das traurige Los hatten daran beteiligt zu sein, kamen entweder bei der Arbeit um, oder wurden im nachhinein getötet, um eventuelle Schwachstellen geheim zu halten. Einige der Rebellen im Süden nennen ihn auch den Todesturm. Jedoch ist es klüger bei dem Namen Sternenturm zu bleiben, da man andernfalls schnell als Feind identifiziert wird“, gab Chaedi kurz zur Erklärung.

Erneut bestätigte sich Kyus Eindruck, dass Twai sich scheinbar einem kompletten Charakterwandel unterzogen hatte. Nie hätte die ehemalige Wächterin gedacht, dass ihre Schülerin dazu fähig wäre zu morden. Doch es wäre nicht der erste Irrtum, dem sie sich im Nachhinein klar wurde.
 

Mittlerweile hatten die das zarte Gras hinter sich gelassen und vor ihnen erstreckte sich eine scheinbar endlose Felswüste. Als Kyu das sah, forderte sie die beiden anderen zum Anhalten an. Kyu selbst würde den Marsch ohne größere Probleme schaffen, aber die beiden Schwestern hatten so schon kaum noch Kraft sich auf den Beinen zu halten. Sie wies sie an kurz zu warten, während sie sich einer alten Technik bediente. Es war erst seltsam ungewohnt und doch so vertraut den Fluss der Planetenenergie zu spüren und umzulenken, sodass innerhalb kurzer Zeit ein mächtiger Baum mit dichtem Blätterdach vor ihr stand. Es war recht einfach etwas Derartiges zu tun, dennoch merkte Kyu schnell, dass sie vollkommen aus der Übung war und es sie einige Anstrengung gekostet hatte. Sie sah kurz zu Chaedi und Maramé, deren Augengröße beträchtlich zunahm und man vermuten könnte, dass diese jeden Moment ihren vorgesehenen Platz verließen.

„Begebt euch lieber in den Schatten, bevor ihr noch von der Sonne gebraten werdet“, grinste Kyu zu den beiden, „Ich werde in der Zeit mal nach etwas Essbaren suchen, sonst nützt euch aller Schatten nichts.“
 

Prompt aktivierte Kyu daraufhin die Seelensicht und versuchte Auren auszumachen. Es gab nicht viele, und erst recht nichts Großes in dieser Gegend, jedoch fand sie bald ein paar Feldmäuse und begab sich in deren Richtung. Auf den Wind achtend schlich sie sich näher an die Nagetiere heran und bevor diese auch nur wussten, was mit ihnen geschah, wurde ihnen auch schon Schwarz vor Augen und sie hauchten ihr Leben aus. Die Prozedur ging schnell und vermutlich auch relativ schmerzlos von statten und Kyu kehrte mit drei Nagern im Maul zurück zu dem Baum. Der Temperaturunterschied war bereits beträchtlich. Im Schatten war es nach kurzer Zeit angenehm kühl geworden, während man in der Sonne ohne Rücksicht auf Verluste hohen Temperaturen ausgesetzt war. Sie legte die drei Mäuse vor die beiden Wölfinnen, die es sich bereits bequem gemacht hatten und die ehemalige Wächterin dankbar ansahen.

Kyu sah zu wie schnell die beiden die Nahrung zu sich nahmen.

„Was habt ihr nun eigentlich vor?“, fragte Kyu nach einer Weile.

Chaedi sah kurz auf und meinte: „Wir werden wohl zurück in den Süden zu den Rebellen gehen. Dort würde ich sagen sind wir sicherer, obwohl ich mir da nicht mehr so sicher bin, nachdem Twai gestern einfach so aus dem Nichts erschienen ist. Wenn sie wirklich wollte könnte sie uns wohl überall einfach töten.“

„Ihr sagtet selbst, dass jeder, der Twai schaden wollte nicht einmal in ihre Nähe gelangt ist, was lässt euch demnach glauben, dass die Rebellen überhaupt eine Chance haben weiterhin zu existieren?“, wollte Kyu noch wissen.

„Wenn wir nicht daran glauben, dass wir überhaupt eine Chance haben“, begann Maramé mit gedämpfter Stimme, „dann haben wir nichts mehr, keine Hoffnung, keinen Lebenswillen…“

Nach den letzten Worten zeichnete sich ein wissendes und doch spöttisches Grinsen in Kyus Gesicht ab. Diese beiden hatten ohne Zweifel jede Menge Mut und ihnen war auch klar, dass sie anders als Kyu, keine tausend Jahre mit Nichtstun verbringen konnten. „Also gut, ich werde mit euch gehen. Womöglich bin ich irgendwo von Nutzen!“, sagte sie ehemalige Wächterin schließlich.

Teilung alter Freunde

Teil 2
 

Kapitel 8 – Teilung alter Freunde
 

Kurz nach ihrer Rückkehr hatte Twai erneut alle der Dreizehn zusammengerufen und eine weitere Konferenz angesetzt, um das Geschehene zu diskutieren.

Nachdem alle dem Bericht der Wächterin und den Ergänzungen ihrer drei Begleiter gelauscht hatten, war Stille eingekehrt. Twai war unsicher, welche Auswirkungen dies auf die Meinung über Kyu haben würde. Wenn sie ihren Platz behaupten wollte, brauchte sie den Rückhalt der Dreizehn. Sicherlich hatte Kyu trotz ihrer Abwesenheit in den letzten tausend Jahren noch ausreichende Fähigkeiten, um Twai zu schlagen.

Nach einiger Zeit ging von den Gegnern Kyus der ein oder andere verächtliche Laut aus, sie sahen sich in ihrer Theorie mehr als nur bestätigt. Die Bedrohung, die nun von der ehemaligen Wächterin ausging, war ihrer Meinung nach beträchtlich und durfte nicht unterschätzt werden.

Diejenigen, die sich auf der vorherigen Konferenz zu Kyus Gunsten ausgesprochen hatten, wirkten ebenso unsicher wie Twai. Einige waren immerhin der Überzeugung gewesen, Kyu handle nur aus Unwissenheit so. Doch spätestens jetzt sahen sie, dass dem nicht so war. Andere wirkten erleichtert, sie sahen einen Hoffnungsschimmer für den Planeten, dem im letzten Jahrtausend so viel zugemutet wurde.

Die Wächterin verbarg ihre inneren Sorgen vor den Dreizehn. Sie sah keinen Grund ihnen alles preiszugeben, das würde nur für noch mehr Unsicherheit unter ihnen verbreiten und womöglich nur noch mehr von ihnen auf Kyus Seite bringen. Was auch geschah, sie durfte keine Schwäche zeigen.

Während sie ihren Blick durch die Reihen der Dreizehn schweifen ließ fiel ihr am anderen Ende des Raumes ein riesiger Wandteppich ins Auge. Er war riesig und in vierzehn Teile untergliedert. Jeweils eines dieser Teile verwies auf eine Welt Gerrits und erzählte dessen Geschichte in Kurzfassung. Jede Epoche hatte ein spezifisches Bild, welches auf die dort herrschenden Zeitmerkmale aufmerksam machte.

Unbewusst suchte Twai den Teppich nach einem bestimmten Bild ab und fand es schließlich. Sie hatte diese Geschichte schon als Kind gemocht und es war schon beinahe ironisch, wie sie auf die derzeitige Situation passte.

Diese Erzählung ihrer Welt Muratenia handelte von einem jungen Mann, der als einziger bemerkte, wie seine Welt von der Finsternis verschlungen wurde. Seine Versuche etwas dagegen zu unternehmen scheiterten an dem schwachen Willen der Menschen. Sie begaben sich freiwillig in die Dunkelheit, um mehr Macht zu erhalten. Er wurde es irgendwann müde gegen die Finsternis anzukämpfen und begab sich ins Exil. Dort verweilte er viele Jahre und wurde älter. Irgendwann gab es keinen mehr, der sich an ihn erinnerte. Doch er kehrte zurück, wieder jung und kraftvoll, viele nannten es ein Wunder und erkannten, dass er wahre Kraft nur durch die Macht des Lichtes erlangt hatte. Die Menge an jenen, die ihm nacheiferten, wurde immer größer und die Finsternis wurde auf diese Weise zurückgedrängt. Es blieb immer ein Rätsel, auf welche Weise der Held, wie er später genannt wurde, es wieder geschafft hatte jung zu werden. Doch Twai wusste, dass ihre alte Meisterin ihre Finger im Spiel gehabt hatte.

Das passierte vor sehr langer Zeit und doch passte es genau auf ihre Situation.

Sie hätte den Wandteppich wohl besser schon vor langer Zeit entsorgen sollen. Kyu hatte immer darauf bestanden, die Geschichte zu erhalten, da sie als Warnung für die Zukunft fungierte. Die letzten tausend Jahre wurden noch nicht ergänzt, da Twai erst nicht den Mut gefasst hatte das Werk ihrer Meisterin fortzuführen. Trotzdem sie um die Wahrheit in Kyus Worten wusste, bereute sie dieses kostbare Stück nicht vernichtet zu haben. Es erinnerte sie momentan nur an ihre Not.

Sie konnte und wollte den Planeten nicht wieder ihrer Meisterin überlassen, wer wusste schon, wann sie all dem wieder den Rücken zu kehrte. Andererseits würde sie keine Wahl haben, wenn die Dreizehn sich auf Kyus Seite stellen würden. Twai war klar, dass von ein paar keine Bedrohung ausging, jedoch brauchte sie jeden, den sie behalten konnte. Immerhin gebot Kyu viel effektiver über die Energien Gerrits, ihre Bande zum Planeten waren einst sehr stark und die Wächterin bezweifelte, dass sich trotz einem Jahrtausend Abwesenheit viel daran geändert hatte. Ohne die Dreizehn würde es äußerst schwer werden gegen sie anzukommen, wo es doch selbst mit schon schwierig werden würde.

Langsam löste sich Twais Blick von dem Wandteppich und schweifte durch die Reihen der Diskutierenden. Sie verstand nicht viel, da alles durcheinander gesagt wurde. Nun immerhin schrien sie sich nicht gegenseitig an, sondern sagten sich gesittet ihre Meinung. Vereinzelt drangen Worte zu ihr, „Verrat“, „Ignoranz“, „Gefühle“ und „Verständnis“ waren nur einige davon. Sie schloss die Augen und ein leiser Seufzer, kaum hörbar und dennoch von den Streitenden wahrgenommen, entwich Twai. Sie unterbrachen ihre Gespräche und Diskussionen und wandten sich der Wächterin zu.

Als sie die Augen wieder öffnete sah sie unterschiedliche Gesichtsausdrücke direkt auch sich gerichtet. „Wir kommen so nicht weiter. Fakt ist, dass Kyu sich mit den Rebellen verbrüdert hat, sonst hätte sie die beiden nicht geschützt. Selbst wenn sie zu diesem Zeitpunkt nichts davon wusste, werden ihr die Ereignisse der letzten tausend Jahre wohl nicht lange verborgen bleiben.“ Während sie eine kurze Pause machte, beugte sie sich vor und stützte ihren Kopf auf ihren Händen auf. „Das Klügste wäre es demnach die Rebellen zu neutralisieren bevor Kyu bei ihnen eintrifft. Osair, Zeto. Ihr zwei arbeitet am besten zusammen, daher würde ich euch schicken wollen. Nehmt so viele Kampftruppen mit, wie ihr für nötig haltet. Ich erwarte einen Bericht von euch bevor ihr aufbrecht. Ihr anderen werdet eure jeweilige Welt nach Gruppen von Aufständischen absuchen und diese bei Osair und Zeto melden. Ich werde inzwischen Kyus Bewegungen im Au--“

„Dabei werde ich nicht mitmachen!“, unterbrach Runa die Wächterin. Sie erntete dafür einen eiskalten Blick, der ihr klarmachen sollte, wer das Sagen hatte. Jedoch ließ sich die Gelbe davon nicht unterkriegen. „Löst du alle deine Probleme auf diese Weise? Du bringst willkürlich Lebewesen um! Schon damals, als der Sternenturm vollendet wurde, eine solche Handlungsweise ist nicht richtig! Für eine Wächterin ist das gleich gar nicht vertretbar!“ Alle sahen Runa entgeistert an, bisher hatte niemand den Mut aufgebracht diese Handlungen so konkret zur Sprache zu bringen. Akazi, welche direkt neben Runa saß fand als erste ihre Sprache wieder und unterstützte die Gelbe: „Sie hat Recht Twai. Lebewesen zu töten ist auch in meinen Augen nicht mehr vertretbar.“

Mittlerweile wirkte Twai amüsiert und lehnte sich zurück. „Jeder hat so seine Handlungsweise, meine ist eben so. Unfehlbar ist sie keinesfalls, aber das war Kyus auch nicht, also findet euch damit ab!“

„Natürlich hat auch Kyu nicht immer alles richtig gemacht, aber sie hatte stets das Wohl der Lebewesen Gerrits und Gerrit selbst im Sinn“, konterte Runa daraufhin.

„Ich rate dir“, fing Twai ihren Satz an und warf dann einen Blick auf die Gelbe, der kälter nicht hätte sein können, „vergleiche meine Absichten nicht mit denen meiner Meisterin, es könnte dir nicht gut bekommen! Mit ihren Methoden hat sie mehr Schaden angerichtet, als ein Komet, der Gerrit zerstört hätte. Wenn du also mit meiner Handlungsweise nicht einverstanden bist, zähle ich dich ab sofort zu den Rebellen und wir beginnen hier und jetzt mit deren Neutralisierung. Verstanden?!“

Runa schluckte kurz, änderte jedoch ihre Meinung keinesfalls. „Versuch es doch!“ Ohne, dass Twai ihm auch nur ein Zeichen geben musste, sprang Osair auf Runa zu. Er riss sie von den Pfoten und landete elegant neben ihr. Die Zähne hatte er gefletscht und knurrte sie unverhohlen an. Als er erneut angreifen wollt ging Akazi dazwischen und bewahrte die Gelbe vor einer schmerzhaften Bisswunde Osairs, obwohl Akazi den Verdacht hatte, dass die Gelbe sich schon zu helfen gewusst hätte. Die Rutaki richtete ihren Blick auf Twai. „Wir haben auch einen Fehler gemacht. Einen, den wir wohl nie wieder gut machen können, wir haben dich nach Kyus Entscheidung als Wächterin bestätigt.“ Damit drehte sie sich zu der Gelben, die mittlerweile schon wieder sicher stand und Osair im Auge behielt. „Gehen wir!“, sagte Akazi und marschierte schnurstracks zur Tür. Als der Schwarze den beiden nach wollte hielt Twai ihn kurz angebunden zurück. „Lass sie. Wenn wir die Aufständischen beseitigen sind die beiden auch nicht mehr sicher.“

Nach diesem Vorfall herrschte im Konferenzraum eine bedrückende Stille, bis Twai fortfuhr: „Wir fahren fort wie geplant. Osair, Zeto brecht so bald wie möglich auf, ich möchte diese Sache schnell erledigen, bevor wir weitere ungebetene Zwischenfälle haben.“

Mit einem kurzen Nicken verließen auch die beiden den Konferenzraum und begaben sich in die Katakomben des Turmes, um alles vorzubereiten. Twai erklärte die Konferenz für beendet und ging in ihre eigenen Gemächer.

In Not

Teil 2
 

Kapitel 9 - In Not
 

Die Sonne über ihnen stand hoch und gab ihr Bestes, um Kyu und ihre beiden Begleiter ja gut durch zu braten. Zumindest fühlte es sich so an.

Weit und breit war nichts als Sand zu sehen, die heiße Luft flimmerte in der Ferne und hatte Chaedi und Maramé bereits den einen oder anderen Streich spielen wollen. Dank Kyus guten Orientierungssinn und der ab und zu benutzten Seelensicht war jedoch noch kein Unglück zu verzeichnen gewesen.

Die Welt hatte sich verändert. Früher betrug die Ausdehnung dieser nur einen Bruchteil des derzeitigen Standes. Viele Oasen, an denen sich verschiedene Lebewesen tummelten, hatten sie bereichert. Nun war diese Ödnis ein leerer trostloser Ort, weitab jeglicher Reste einer Zivilisation.

Kyu warf einen schnellen Blick hinter sich. Die beiden Geschwister durchquerten diese Wüste bereits zum zweiten Mal, eine große Portion Glück hatte sie das erste Mal begleitet, diesmal hatten sie die Wächterin dabei. Trotz all der Unannehmlichkeiten schienen ihre Auge vor Entschlossenheit nur so zu leuchten. Aber alle Entschlossenheit würde nichts gegen die rekordbrechende Sonne über ihnen nützen. Kyu hatte bereits versucht Wasser aus der Tiefe hervor sprudeln zu lassen, aber auch sie konnte nichts aus dem Nichts erschaffen. Wenn kein Tropfen da war, dann war da nichts, das würde sie nicht ändern können.

Als sie ihren Blick wieder nach vorn konzentrierte, schweifte sie schnell mit ihren Gedanken ab. Tausend Jahre waren für sie keine große Zeitspanne, für den Rest der Welt konnten tausend Jahre ausreichen Zivilisationen zu erschaffen oder diese zu vernichten, es gab Abschnitte in Gerrits Geschichte, in denen beides innerhalb dieser Zeit passierte. Wie sehr sich der Planet während ihrer Abwesenheit wohl verändert hat? Chaedi und Maramé hatten ihr sicherlich noch nicht alles erzählt, allerdings war es auch sehr unwahrscheinlich, dass sie die tausendjährige Geschichte von vierzehn Welten einfach so im Kopf hatten. Wenn sie alles erfahren wollte, musste sie entweder selbst wieder das Raum-Zeit-Kontinuum durchbrechen oder aber einen der Dreizehn, vielleicht sogar Twai höchstpersönlich danach fragen. Letztere Möglichkeit hielt sie für unmöglich, immerhin schienen sie sich alle mit ihrem Verschwinden abgefunden zu haben. Darüber nachzudenken brachte jetzt allerdings auch nichts, erst mal musste sie lebend aus dieser Wüste herauskommen, oder zumindest Wasser finden. Besonders die beiden Wölfinnen hinter ihr würden nicht mehr lange durchhalten, sie mussten nahe der Dehydration sein. Doch auch Kyu wurde es langsam unwohl, die Hitze und die flackernden Luftschichten taten ihr Übriges.

Sie waren zwar erst seit einigen Stunden wieder auf den Beinen, jedoch schien es ihr angebracht jetzt eine Pause einzulegen. Es würde keinen von ihnen helfen, wenn sie jetzt umkippen würden. Kyu stoppte also und griff nach dem nächst besten Energiefluss, formte dessen Muster und in Windeseile erschien vor den Dreien ein riesiger, schattenspendender Fels mit Höhleneingang. Sicherlich konnte er weder frisches Wasser noch eine leckere Mahlzeit ersetzen, er würde sie jedoch vor der gröbsten Hitze und einen großen Wasserverlust schützen.

„Wir warten hier bis die Sonne tiefer steht, ruht euch also aus“, sagte Kyu zu ihren beiden Gefährtinnen, die nicht lange zögerten und diesen Worten nachkamen. Die Wächterin selbst blieb beim Eingang uns starrte hinaus auf den hellen Sand. Er blendete und doch wollte sie sich nicht abwenden. Es machte sie traurig, dass es soweit kommen musste. Einst herrliche Gegenden waren verkommen und an deren Stellen waren Wüsten, wie diese getreten. Tief in ihr keimte ein unangenehmes Gefühl. Sie konnte es nicht genauer definieren, da sie es nie zuvor gespürt hatte. Es war anders als die Trauer, um Gerrits Schönheit, dunkler, wenn nicht sogar finster. Es gefiel ihr nicht, sie wusste allerdings auch nicht, wie sie verdrängen konnte. Als sie es doch endlich geschafft hatte den Blick vom Sand zu wenden, ließ sie sich an Ort und Stelle nieder, drehte den Kopf in die Höhle hinein, um nicht genauer über die Vorgänge nachdenken zu müssen. Es half nicht viel, denn bald fing sie erneut mit dem Grübeln an.
 

Chaedi und Maramé hatten die Zeit genutzt, um ein wenig zu schlafen und so ihre Kräfte zu sparen. Sie waren sich relativ sicher, dass es nicht mehr weit sein würde. Sie hatten bei ihrem ersten Mal nicht so lange gebraucht die Wüste zu durchqueren, das stimmte sie nun recht optimistisch. Kyu hingegen ging immer wieder ihren verworrenen Gedankengängen nach, was nicht wirklich zu einer besseren Stimmung ihrerseits geführt hatte.

Als die Sonne tief stand liefen sie weiter, der Sand war noch heiß, die Temperatur hatte aber abgenommen und es schien nicht mehr so erschöpfend zu sein. Tatsächlich war der Weg nicht mehr weit gewesen, Kurz bevor der Mond seinen höchsten Stand erreicht hatte, erspähte Kyu mithilfe der Seelensicht bereits die ersten Pflanzen. Ihre Zuversicht dort auf Wasser zu treffen stieg und sie wurden allein deshalb schon von neuen Kräften durchströmt. Bei den ersten kleinen Gräsern angekommen ,musste Kyu ihr Bewusstsein tief in den Boden schicken, um genug Wasser zu finden. Bald sprudelte das klare Wasser nur so hervor. Es glich am Ende eher einer großen Pfütze, würde ihnen aber durchaus helfen den Rest der Wüste ohne größere Probleme zu durchqueren. Die beiden Wölfinnen konnten sich kaum bremsen und schlangen das Wasser gierig hinunter. Selbst die Wächterin, die es theoretisch gar nicht nötig hatte Nahrung und Flüssigkeit zu sich zu nehmen, genehmigte sich ein paar Schlücke.

Sie war gerade damit fertig geworden als der Energiefluss, um sie herum kaum merkbar gestört wurde. Sie kannte diese Art der Störung nur zu gut, obwohl sie ihr seit einem Jahrtausend nicht mehr untergekommen war. Ihr Blick wurde ernst und sie zischte Chaedi und Maramé ein leises 'Weg!' zu. Die beiden sahen seltsam zu Kyu hinüber, gehorchten dann aber. Nach nur wenigen Schritten siegte Maramés Neugier und sie riskierte einen Blick zurück. Was sie dort sah war … nichts.

Und doch hatte sich Kyus Aura verändert, ihr ernster Gesichtsausdruck und die wachsamen Augen, die bereits wieder von der Seelensicht glitzerten, ließen Maramé ahnen, dass etwas nicht in Ordnung war. Und dann schossen blaue flammenartige Energien aus dem Boden und umhüllten Kyus Pfoten. Ein tiefes Knurren offenbarte ihren warmen Atem in der kalten Wüstenluft und schneller als die Augen der Wölfin folgen konnten sprang die Wächterin geradeaus, packte etwas und zerrte es zu Boden. Dort erhob sie sich dann auf die Hinterbeine und stieß mit den Vorderpfoten zu. Schwarzer Rauch wurde an dieser Stelle in alle Winde zerstreut. Ein ähnliches Schema spielte sich noch einige Male ab, bis Kyu wieder ruhig dastand und die flammenartigen Gebilde um ihre Pfoten verschwanden. Chaedi hatte all dies ebenfalls mitangesehen und verlieh ihrer vielsagenden Miene noch Worte: „Was war DAS?“

„Schattenwesen“, antwortete Kyu kurz und knapp. „Wir sollten weiter. Je eher wir aufbrechen, desto schneller sind wir aus dieser verdammten Wüste raus.“

Der Wächterin war nun klar, was dieses Gefühl in ihrem Inneren war. Eben beim Kampf hatte sie es ganz deutlich gespürt, es fühlte sich genauso an, wie es bei all den armen davon besessenen Wesen schon gesehen hatte. Es war der blanke Hass.

Zerstörte Hoffnung

Teil 2
 

Kapitel 10 – Zerstörte Hoffnungen
 

Es war dunkel, man konnte lediglich ein vereinzeltes Knurren aus den Weiten des Raumes vernehmen. Ansonsten herrschte eine bedrückende Stille. Zeto war immer recht mulmig zumute, wenn er diesen Teil des Turmes betrat. Ein kurzer Blick zu Osair verriet ihm, dass es diesem genauso erging. Unter den Dreizehn war schon mehrfach das Gerücht aufgekommen, dass die Seelen derjenigen, die diesen Turm erbaut hatten, sich hier einnisteten, um ihre Peiniger zu strafen. Einige glaubten es, da ihre Welten stark von okkulten Künsten und Magie geprägt waren, andere taten dies mit einem verächtlichen Laut ab und lobten die Errungenschaften der Technik. Doch egal aus welcher Welt man stammte, egal wie die Gesellschaft dort geprägt war, es war für alle unbehaglich hierher zu kommen.

Zeto schluckte kurz und verwarf alle Gedanken, die Unbehagen heraufbeschwören könnten. Er war immer noch besser dran, als die armen Wesen, die hier festgehalten wurden. Immerhin hatte er nur ab und zu herzukommen und selbst dann blieb er nicht lange. Die Tatsache, dass die es hier nur noch Verrückte gab, verwunderte ihn wenig. Andererseits geschah es diesem Abschaum ganz recht. Sie hätten die Wächterin nicht kritisieren sollen, dann wäre ihr Leben friedlich verlaufen.

Dennoch kam ihm just in diesem Moment der Gedanke, dass es Akazi und Runa genauso ergehen konnte. Das gefiel ihm nicht, er hatte die beiden lange gekannt und mochte sie an für sich. Aber es war ihre Entscheidung, sie wussten, was auf sie zu kam und wenn sie dies nicht bedacht hatten, dann waren sie wohl noch dümmer als die Wesen hier.

„Ich werde für ein wenig Licht sorgen, dann dürfte es uns leichter fallen die geeigneten zu finden“, sagte Osair. Und schon im nächsten Moment stieg ein blauer Schimmer aus dem Boden und erhellte den Raum. Zeto war klar, dass das Licht nicht nur dazu diente den Raum zu erleuchten, es war auch wirksam gegen das Unbehagen. Zumindest dachten sie so, doch das plötzliche Hell veranlasste die Kreaturen zum Abgeben der seltsamsten Laute. Freude, Panik, Trauer, Schrecken. All dies lag nun in der Luft.

„Also dann, lass uns beginnen. Ich will hier nicht mehr Zeit als nötig zubringen!“, war die Anweisung Osairs. Und Zeto konnte dem nur beipflichten. Sorgsam marschierten sie durch den Raum und sahen jeder der hier gefangen gehaltenen Kreaturen in die Augen, nur um ein ums andere Mal festzustellen, dass nicht viel Verstand übrig geblieben war, wenn überhaupt. Dennoch eigneten sich gerade solche Wesen perfekt für ihren Plan.

Sie hatten bereits einige in der engeren Auswahl als Zeto kurz aufschrie: „Hier, der da! Ich glaube der ist wie geschaffen für diese Aufgabe!“ Der Dunkle wand sich um und überzeugte sich selbst. In der Tat, dieses Exemplar eines Geisteskranken war perfekt. Er nickt Zeto zu und zusammen ließen sie planetare Energie strömen und befreiten den vierbeinigen Verrückten von seinen Fesseln, nur um ihn danach gleich wieder anzuketten. Doch diesmal nicht am Boden, sondern mit losem Ende. Mühsam zogen sie das braune Fellbündel aus den Katakomben und das Licht erlosch, sowie sie die Tore schlossen. Eine große Erleichterung breitete sich in ihnen aus.

Mit mehr Entschlossenheit zogen sie ihre Wahl hinter sich her, um ihn auf seinen Auftrag vorzubereiten.
 

Sie waren noch ein paar Stunden weitergegangen, als Kyu endlich stoppte und Felsen heraufbeschwor. Diese würden ihnen Schatten und Schutz spenden. Seit der Begegnung mit den Schattenwesen hatte Kyu kein Wort mehr von sich gegeben, sodass die Stimmung in der kleinen Gruppe gedrückt war. Maramé hatte eine Ahnung, dass mit Kyu etwas nicht stimmte, zwar konnten die beiden Wölfinnen nicht genau sagen, ob das bei Wächtern nicht normale war, aber es behagte ihnen nicht. Wie sollten sie vor die Rebellenanführer treten und ihre Hoffnung in diesem Zustand dabei haben. Sie wussten, was die Wächterin durchgemacht hatte und gaben auch ihr Bestes das nachzuvollziehen, aber konnte man wirklich ewig Trübsal blasen? Das tat niemanden gut. Nicht der Wächterin und nicht dem Planeten, noch den darauf lebenden Wesen. Nachdem Kyu sich wortlos in den hintersten Teil der heraufbeschworenen Höhle begeben hatte, wechselten die beiden Wölfinnen einen kurzen Blick. Sie brauchten keine Worte, um sich zu verständigen, das war durchaus ein Vorteil bei Missionen. Maramé folgte der ehemaligen Wächterin und hoffte, dass sie genug Mut aufbrachte mit Kyu zu reden. Sie schluckte und begann: „Entschuldigung?“ Die Unsicherheit in ihren Worten war deutlich zu hören. Die Angesprochene lag einfach nur da und starrte die Wand an. Die braune Wölfin war sich nicht sicher ob sie gehört wurde und ging deshalb noch ein wenig näher. Schließlich hob Kyu den Kopf und sah Maramé entgegen. „Was gibt es?“, kam die Rückfrage. Die Wölfin stockte kurz, als sie sah, wie müde der Blick der ehemaligen Wächterin war. Dennoch fasste sie neuen Mut zu sprechen. „Nun... uns... also Chaedi und mir ist aufgefallen, dass dich etwas bedrückt. Wir dachten, dass wir vielleicht helfen können.“ Bei den letzten Worten der Wölfin wurde Kyus Blick finster. Doch sie bedachte nicht Maramé damit, sondern erneut die Wand direkt vor sich. „Ich bin sicher, dass ihr das nett meint, aber da könnt ihr mir nicht helfen. Außer ihr könnt die Zeit zurück drehen und den Ursprung für den falschen Verlauf der Geschichte finden.“

„Wie meinst du das?“

„Hass. Das ist eigentlich etwas, dass ich nicht fühlen sollte, und doch ist er da. Ich habe ihn bei dem Kampf vorhin ganz deutlich gespürt. Ich weiß nicht wo er herkommt. Vielleicht, weil es Schattenwesen waren, die Gian auf dem Gewissen haben? Oder eher, weil ich den Schattenwesen zu viele Freiheiten gegönnt habe? Sind es vielleicht doch die anderen Wächter, weil sie ständig auf diese Versammlung bestehen, nur um auf mir herum hacken zu können? Womöglich hasse ich aber auch nur mich, weil ich alles für einen Sterblichen im Stich gelassen habe? Hasse ich Twai, weil sie diesen Planeten zum Sterben verurteilt und seine Lebewesen nicht mit dem nötigen Respekt behandelt hat? Nein, im Grunde hasse ich mich, weil ich an all dem Schuld bin!“

„Du solltest nicht zu hart mit dir selbst ins Gericht gehen...“, versuchte Maramé die Wächterin zu beruhigen. Doch dazu war es zu spät. Kyu sprang auf und fing an Erwiderungen in einem säuerlichen Ton abzugeben.

„Nenn' nur eine Sache, die ich in den letzten Jahrhunderten wirklich richtig gemacht habe! Ich habe alle im Stich gelassen, alles woran ich geglaubt habe und alle, die an mich geglaubt haben. Ich bin nicht diejenige, die in den Erzählungen von euch verehrt wird. Ich habe all das verursacht und kann nichts dagegen unternehmen. Sogar Gerrit scheint sich von mir abzuwenden!“

Der letzte Satz hatte eine alarmierende Wirkung auf die Wölfin.

„Was meinst du damit? Soweit ich weiß, ist eure Existenz voneinander abhängig, wie könnte sich der Planet dann von dir abwenden?“

Kyu versuchte sich zu beruhigen, schließlich konnte Maramé nichts dafür und sie würde es auch nicht verstehen, wenn sie nicht aufgeklärt werden würde.

„Planeten haben ein eigenes Leben. Als Wächter sind wir zwar mit ihnen verbunden, aber das heißt nicht, dass wir automatisch in allen Streitpunkten einer Meinung wären. Es ist wahr, dass unsere Existenz aufeinander beruht und je mehr wir im Einklang sind, desto mehr Leben kann sich auf einem Planeten entfalten. Obwohl das nicht der einzige Faktor zum Entstehen von Leben ist, so ist er doch essentiell. Ich kann eine große Menge planetarer Energie fühlen, aber nicht erreichen. Es ist als ob sie vor mir abgeschirmt wird. Sowas kann nur Gerrit, nicht Twai und keiner sonnst. Es reicht aus, um eine kleine Gruppe von Schattenwesen zu zerstreuen, aber es wird nie im Leben reichen, um Twai Einhalt zu gebieten. Ich fürchte ich bin nutzlos für euch und eure Hoffnungen solltet ihr am besten schnell aufgeben, dann wird euch unnötiger Schmerz erspart bleiben. Man nennt das wohl Ironie des Schicksals...“

Kyus Nachricht ließ Maramé erschaudern. Sie und ihre Schwester hatten alles auf sich genommen und ihre letzte Hoffnung für diesen Planeten in die Hände der ehemaligen Wächterin gelegt und all das sollte sich jetzt als nutzlos erweisen?

Es erweiterte zwar ihren Blick für das Ganze und ihr kam kurz der Gedanke, dass die zunehmende Schwierigkeit des Überlebens nicht nur Twais Schuld war, doch sie konnte nicht glauben, dass Kyu daran nichts ändern konnte.

Hinzu kam, dass die Wölfin keine Ahnung hatte, wie sie das Chaedi beibringen sollte. Von ihnen beiden war sie es gewesen, die den alten Geschichten immer besondere Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Doch bevor sie sich darüber Gedanken machen konnte, kam die dunkle Wölfin schon in die Höhle gerauscht. Sie war völlig außer Atem und man sah die Panik in ihren Augen.

„Wir bekommen Besuch!“, verkündete sie kurz und versetzte sowohl Maramé als auch Kyu in Alarmbereitschaft.

Ungewissheit

Teil 2
 

Kapitel 11 - Ungewissheit
 

Anders als gedachten, waren die Neuankömmlinge nicht mit bösen Absichten eingetroffen. Sie sahen ein wenig mitgenommen aus, aber ihr Anblick ließ in Kyu erneut Hoffnung aufkommen. Vor ihnen stand nicht einfach irgendwer, es waren gute Freunde aus längst vergangenen Tagen. Runa und Akazi wussten, wem sie ihre Treue schuldeten und die ehemalige Wächterin war froh darüber. Dennoch waren sowohl Chaedi als auch Maramé skeptisch, verständlich, wenn man bedachte, dass die gelbe Wölfin und die Rutaki zu den Dreizehn gehörten.

Doch der Blick Runas und Akazis sprach Bände. Sie waren nicht auf Twais Geheiß hier, sondern aus eigenem Antrieb.

Maramé, die einen kurzen Blick auf Kyu geworfen hatte, verlor schließlich ihre Skepsis. Das erneut entfachte Feuer in den Augen der ehemaligen Wächterin verbrannte all ihre Zweifel zu Asche, welche vom leichten Wind der Wüste zerstreut wurde. Ihre Schwester hingegen ließ sich nicht so leicht beruhigen. Für sie waren die beiden Neuankömmlinge Feinde. Sie waren es seit sie zugelassen hatten, dass Twai den Planeten, ihr Zuhause, zu Grunde richtet. Ein tiefes Knurren entfloh ihrer Kehle und lenkte die Blicke aller Anwesenden auf sich. Doch diese waren nicht mahnend, jeder schien zu wissen, welche Gedanken sie gerade gehabt hatte.

Runa schloss kurz die Augen und richtete diese schließlich wieder auf Kyu. Sie fing an zu sprechen, als ob es die letzten Sekunden nie gegeben hätte.

„Es ist viel zu lange her, dass wir eine gute Unterhaltung geführt haben. In dieser Zeit hat sich viel verändert.“

Ihr Blick machte erneut die Runde, zuerst Maramé, danach Chaedi, die äußerst wütend aussah, und schließlich Kyu.

„Ich nehme an, dass die beiden dich schon auf die eine oder andere Veränderung aufmerksam gemacht haben. Doch bevor ich mit weiteren Einzelheiten komme, möchte ich mich entschuldigen.“

„Nichts kann entschuldigen, was ihr geduldet habt!“, platzte es aus Chaedi heraus. Ihr Blick war starr auf Runa gerichtet und er loderte geradezu vor Hass. Sie mochte weder Runa, noch Akazi, soviel stand fest. Zwar waren diese beiden nicht der Hauptgrund für das Leiden, hatten aber in Chaedis Augen eine beträchtliche Mitschuld.

„Das war es eigentlich nicht, was ich meinte“, erwiderte die Gelbe gelassen. „Meine Entschuldigung galt dem Verbreiten diverser Geschichten über eine wirklich respektable Wächterin.“

In diesem Augenblick konnte man Kyu ansehen, dass ihr ein komplett bestückter Kronleuchter aufging, auch das leichte Lächeln auf ihren Lippen war in dieser Hinsicht mehr als deutlich.

„Nun“, setzte sie an, „in diesem Fall scheint sich deine Redseligkeit ausgezahlt zu haben. Es hat zwar lange gedauert, aber jetzt bin ich zurück. Wenn auch nicht ganz ohne Probleme.“ Eine kurze Pause setzte ein, bevor Kyu weitersprach. „Seltsam eigentlich, sonst ward ihr immer für das Erschaffen von Problemen zuständig:“

Chaedi und Maramé, die den Sinn hinter Kyus letzten Worten nicht verstanden warfen sich gegenseitig einen fragenden Blick zu. Runa und Akazi hingegen hatten es vollstens erfasst. Es jagte ein flüchtiges Lächeln über ihre Gesichter, als Erinnerungen geweckt wurden, trieb jedoch schnell einen besorgten Blick hervor. Dieser rasante Wechsel ihrer Stimmung war auf den seltsamen Unterton in Kyus Stimme zurückzuführen.

Als Maramé dies bemerkte, fiel ihr das Gespräch mit der ehemaligen Wächterin wieder ein. Wenn es selbst ihr solche Sorgen bereitete, konnte das nichts Gutes heißen. Sie selbst als normale Wölfin konnte dabei definitiv nichts ausrichten, vielleicht aber dieser beiden. Sicher war das nicht, eigentlich eher eine vage Idee, dennoch kannten Runa und Akazi sich mit dem Planeten und dessen Energien viel besser aus, als die braune Wölfin.

„Was ist los, Kyu?“, fragte die sandfarbene Rutaki schließlich. Es bereitete ihr Unbehagen nicht zu wissen, was ihre Freundin beschäftigte. Aber diese winkte nur ab.

„Nicht jetzt, Akazi. Du siehst müde aus, du auch Runa. Ich denke, es ist besser, wenn ihr euch erstmal ausruht, bevor ihr anfangt die Welt wieder zurechtzubiegen. Chaedi, Maramé, dasselbe gilt für euch!“

Ohne eine Widerrede abzuwarten, schritt Kyu zur Höhle zurück und ließ sich davor nieder. Sie musste sich noch die passenden Worte zurechtlegen. Ihr war klar, dass sie es ihnen sagen musste, nur stand noch die Frage nach dem wie?
 

Es wurde Nacht. Die Sterne glitzerten am Himmel und die Temperaturen sanken allmählich. Kyu lag noch immer vor der Höhle und beobachtete ein paar kleine Wolken vor dem Sternenmeer. Sie spürte, wie jemand aus der Höhle trat.

„Willst du es ihnen nicht sagen?“, fragte Maramé leise, darauf bedacht die anderen nicht aus ihrem wohlverdienten Schlaf zu reißen.

„Doch, keine Sorge. Sie werden es erfahren“, antwortete die ehemalige Wächterin in derselben Lautstärke. „Ich weiß nur noch nicht so recht, wie ich es tun soll... Sie setzen ihre Hoffnungen in mich, aber ich werde nichts ausrichten können. Wieder einmal...“

„Vielleicht können Runa und Akazi dir helfen? Immerhin verstehen weder Chaedi noch ich viel davon. Aber die beiden sind schon seit Ewigkeiten dabei. Auch wenn ich zugeben muss, dass sie nicht ansatzweise so alt aussehen, es ist das erste Mal, dass ich Mitglieder der Dreizehn sehe. Um ehrlich zu sein habe ich sie mir immer alt und greis vorgestellt.“

Kyu musste schmunzeln. „Sicher sehen sie nicht so alt aus, das Leben der Dreizehn wurde mit Hilfe planetarer Energien verlängert, dabei wird auch beim Aussehen ein wenig getrickst.“ Das Runa ein Spezialfall war, behielt sie jedoch für sich. Es musste schließlich nicht gleich jeder erfahren.

„Sie haben sich äußerlich kaum verändert, aber dennoch haben die beiden viel durchgemacht. Die Geschehnisse haben sie nicht unberührt gelassen, ich habe in ihren Augen gesehen, dass sie sich selbst die größten Vorwürfe machen. Es war viel Schmerz und Trauer darin zu sehen.“

Kyu hielt kurz inne und sah wieder hinauf zu den Sternen. Sie sah ein wenig nachdenklich aus. „Du weißt es, oder? Du hast es ebenso gespürt.“

Maramé schrak kurz auf und sah die ehemalige Wächterin ungläubig an. Der braunen Wölfin erschien es plötzlich glasklar. Sie hatte sich nicht nur auf Kyus zuversichtlichen Blick hin beruhigt. Auch die Tatsache, dass die beiden Mitglieder der Dreizehn denselben Schmerz wie sie empfanden, hatte ihr Gewissheit gegeben. Etwas Derartiges hatte sie noch nie zuvor wahrgenommen, besonders nicht bewusst.

„Es ist eine nützliche Gabe, du solltest sie verfeinern. Ich bin mir sicher, dass du bei den Rebellen damit gute Dienste leisten kannst. Aber jetzt solltest du wieder reingehen und dich weiter ausruhen. Wir haben morgen einen harten Tag vor uns.“

Mit diesen Worten erklärte Kyu das Gespräch für beendet. Maramé folgte der Aufforderung und begab sich wieder in die Höhle.

Gespräch mit einem anderen Ich

Teil 2
 

Kapitel 12 – Gespräch mit einem anderen Ich
 

Und in der Tat, der nächste Tag war hart. Sie legten eine große Strecke zurück und hatten die Wüste mit ihrer Hitze und ihrem Sand weit hinter sich gelassen. Sie kamen nun in ein Steppengebiet, wo zumindest einige Pflanzen wuchsen und vereinzelte Bäume ihnen Schatten spendeten. Sie hatten nur wenige und dazu auch noch kurze Pausen eingelegt, damit sie schneller vorankamen.

Kyu spürte, dass es ihr immer schwerer fiel die planetaren Energien an sich zu binden. Dennoch versuchte sie es immer weiter. Sie wusste, dass sowohl Runa als auch Akazi ihre gut versteckte und doch allmählich wachsende Verzweiflung längst wahrgenommen hatten, ob dies auch für Maramé galt wusste Kyu nicht. Da die braune Wölfin vom Laufen erschöpft war und sich daher ganz und gar darauf konzentrierte eine Pfote vor die andere zu setzen, blieb ihr wohl keine Kraft und Zeit verschwommene Gefühle am Rande ihres Bewusstseins zu analysieren. Nur was Chaedi anging, war Kyu sich sicher, dass diese nichts ahnte. Ihre Fähigkeiten lagen eher in der Ausdauer und im Kampf.

Am Horizont türmten sich bereits Berge auf, an deren Füßen dicht bewaldetes Gebiet lag. Dort würde sie für die Nacht einen Unterschlupf finden. Außerdem gab es in den Bergen noch etwas, dass die Wächterin erledigen musste.
 

Die Sonne war schon gut eine Stunde dem silbernen Glanz des Mondes gewichen, als die Gruppe im Wald ankam, schnell bestimmte Kyu einen günstig gelegenen Platz für die Nacht und erklärte, dass sie noch einmal kurz weg müsse. Sie erntete verwirrte Blicke, ging jedoch nicht darauf ein. Sie war in Eile, diese Angelegenheit duldete ihrer Meinung nach keinen Aufschub. Also verschwand sie im Dickicht des kleinen Waldes und machte sich auf in Richtung Berge.

Obwohl sich die Umgebung in der Zeitspanne von mehreren Tausend Jahren sehr verändert hatte fand Kyu ihren Weg. Hier und da hielt sie an, um sich neu zu orientieren, aber auch um sicher zu gehen, dass ihr niemand folgte. Doch sie stellte schnell fest, dass die vier beim Nachtlager geblieben waren und sonst hörte man auch keines der nächtlichen Geräusche. Keine Vögel oder Insekten, die sangen und durch die Luft schwirrten. Keine Maus die sich auf der Flucht vor einem hungrigen Jäger hierher verirrt hatte.

Nun das war eigentlich kein Wunder. Das angeborene Gefühl von Gefahr mit dem alle Lebewesen ausgestattet waren, hinderte sie daran diesen Berg zu besuchen. Es kursierten auch die wildesten Geschichten über Orte wie diese, sodass die Wächterin im Grunde sicher sein konnte, dass niemand anderes hier war.

Sie ging den gewundenen Weg hinauf, bis sie vor einer Felswand zum Stehen kam. Dort änderte sie ihre Gestalt in die eines Menschen und kletterte behände hinauf. Es war nicht weiter schwer, wenn man wusste, welche Vorsprünge einem Halt boten und welche bei der geringsten Berührung in die Tiefe fielen. Es dauert nicht lange, bis Kyu diese eine Felswand genommen hatte. Jedoch wusste sie, dass ihr noch einige bevorstanden. Sie würde sich beeilen müssen, einerseits weil sie bei Sonnenaufgang weiter wollten und andererseits verließen sie bald die letzten Reserven planetarer Energie. In ihrer momentanen Verfassung würde es zu lange dauern diese Reserven wieder aufzufüllen. Sie beschloss daher auch gleich die menschliche Gestalt zu behalten, es würde nur unnötig viel Zeit und Energie kosten sich jetzt zurück zu verwandeln. Die ehemalige Wächterin hastete den Weg weiter und behielt gleichzeitig den Mond im Auge, um zu wissen, wie viel Zeit ihr noch bis Sonnenaufgang blieb. Wie sie erschreckend feststellen musste, flog die Zeit schneller davon als gedacht. Ihr kam es so vor, als ob sie früher weniger Zeit für diesen Weg gebraucht hatte.

Doch schließlich, kurz nachdem der Mond seinen höchsten Stand erreicht hatte, war sie an der Spitze angekommen, nun gut es war keine Spitze, eher eine Art Tafel. Im Gegensatz zu dem, was so mancher vermuten mochte wehte hier oben kein kalter oder gar eisiger Wind. Das Gegenteil war der Fall, eine sanfte warme Brise erfüllte die Luft.

Doch Kyu war nicht wegen einem Lüftchen den ganzen Weg hier herauf geklettert. Es lag an der Kraft, die diesem Ort innewohnte und dem Zeichen, welches den Boden markierte. Diese Orte gab es auf jedem Planeten, der mehrere parallel existierende Welten beherbergte. Früher, als Kyu noch nicht mit dem Reisen durch die Zwischenwelt angefangen hatte, waren solche Orte die Verbindung zwischen den Welten gewesen. Genau genommen waren sie es auch heute noch. Doch da es bequemer war ein Portal zur Zwischenwelt zu öffnen und diese zu nutzen, um in eine andere Welt zu gelangen, hatte dieser Ort in den letzten Jahrtausenden seine Bedeutung verloren. Immerhin waren diese Orte fest gebunden, während die andere Reisemöglichkeit überall genutzt werden konnte, was enorme Mengen an Zeit sparte. Zeit, die man einfach brauchte, wenn man gleich vierzehn Welten in Schach zu halten hatte.

Doch heute Nacht war dieser Ort wieder von Bedeutung für Kyu. Da er die Welten miteinander verband, war hier auch das Bewusstsein des Planeten am stärksten vertreten. Man mochte zwar denken, dass man, wenn man auf dem Planeten wandelt immer sein Bewusstsein spüren sollte, aber dem war nicht so. An bestimmten Orten war es einfach stärker vertreten als an anderen. Und Kyu brauchte für diese Nacht einen solchen. Sie brauchte Informationen, nicht nur über die Zeit in der sie nicht da war, sondern auch über ihre schwindende Fähigkeit planetare Energien zu bündeln und zu nutzen.

Kyu kniete sich in die Mitte des Zeichens am Boden und konzentrierte sich.
 

Sie horchte in sich hinein und erweiterte ihr eigenes Bewusstsein auf ihre nähere Umgebung. Sie spürte den Planeten, seinen Willen, und tastete sich heran, bis sie miteinander verschmolzen. Zusammen schufen sie eine Welt, in der sie durch Worte kommunizieren konnten. Als Kyu ihre Augen aufschlug, sah sie auf ein Spiegelbild ihrerseits. Gerrit hatte ihre Gestalt gewählt, um sich mit ihr zu unterhalten. Das war nichts Seltsames für die ehemalige Wächterin, da sie beide im Grunde nur zwei Seiten eines einzigen Wesens waren. Während sie ihr Spiegelbild musterte, öffnete auch dieses seine Augen und begann seinerseits mit einer Begutachtung. Schließlich fing das ersehnte Gespräch an.

„Du bist also an diesen Ort zurückgekehrt“, eröffnete Gerrit. Die Stimme mit der der Planet zu Kyu sprach war die ihre. Eine Tatsache, die sie trotz ihres Wissens um das Wesen des Planeten erschaudern ließ. Sie nickte knapp, da sie endlich zur Sache kommen wollte.

„Und du weißt auch wieso... Ich benötige Antworten.“

„Ja in der Tat. Ich spüre deine Verwirrung, nicht nur auf die kürzlichen Ereignisse. Auch deine Gefühle stellen ein großes Chaos dar.“

Die letzte Bemerkung versetzte Kyu einen Stich, sie wusste worauf ihr Spiegelbild anspielte. Gian. Es war ihr ein Rätsel wie die normalen Lebewesen es schafften den Tod geliebter Personen binnen relativ kurzer Zeit so weit zu verkraften, dass sie einfach weitermachen können. Kyu hatte selbst nach einem Jahrtausend noch an Gians Tod zu knabbern.

„Es ist nun schon so lange her, bist du dir überhaupt noch sicher, dass du ihn wirklich geliebt hast und es nicht einfach nur eine Anziehung zwischen euch war? Ich weiß, dass du immer anders warst als der Rat der Wächter es sich wünschte und um ehrlich zu sein, ich habe es begrüßt. Du musstest häufig kämpfen, um deine Ideale durchzusetzen. Und je mehr der Rat gegen die Sterblichen geredet hat, desto stärker hast du dich für sie eingesetzt. Ist es nicht möglich, dass du einfach nur eine etwas stärke Reaktion bei Gian hattest, als bei anderen?“

Wenn man so darüber nachdachte, machte es schon Sinn. Aber es machte die Sache nicht leichter. Gerrit hatte die Möglichkeit solche Dinge mit einigem Abstand zu betrachten, etwas das Kyu in dieser Angelegenheit nicht möglich war.

„Das mag sein, aber du weißt, dass ich nicht hier bin, um über mein Liebesleben zu plaudern.“

„Das bist du nicht, zumindest nicht bewusst. Doch auch dieser Teil hängt mit deinem anderen Problem zusammen. Gians Tod brachte die Ereignisse ins Rollen. Du bist ins Exil gegangen und deine Bindung zu mir wurde schwach. So weit ist es auch dir klar. Dennoch weißt du nicht, weshalb die Verbindung nicht wieder erstarkt. Auch hier liegt es an dir“, erklärte Gerrit.

„Inwiefern?“, wollte Kyu wissen.

„Du hast Angst!“

„Ich... und Angst?“ Die Frage kam so leise und ungläubig über ihre Lippen, dass sie den Eindruck hatte, es nur gedacht zu haben. Doch egal auf welche Weise sie es artikuliert hatte, der Planet wusste darum.

„Nur weil du nicht so schnell stirbst wie normale Lebewesen und dich deshalb ohne nachzudenken in jedes Getümmel wirfst, heißt es noch nicht, dass du frei von Angst bist. Deine Ängste liegen in anderen Bereichen deines Wesens. Nachdem Gian aus dieser Welt schied, erwachte in dir eine Angst vor Bindungen. Du wolltest nie wieder einen solchen Schmerz verspüren. Und diese Angst ist es, was dich daran hindert das volle Potenzial einer Wächterin zu nutzen. Doch genau das musst du tun, wenn du wieder willst, was einst dein war.“

Mit diesem Worten verschwand das Ebenbild der ehemaligen Wächterin und ließ diese allein zurück.

Hier kniete sie nun und musste verdauen, was ihr gesagt wurde. Ihr war klar, dass Gerrit Recht hatte, aber konnte er sie nicht wenigstens ein wenig mehr unterstützen? Sie spürte etwas Nasses auf ihrem Gesicht und als sie mit einem Finger danach tastete, wusste sie dass es Tränen waren. Tränen der Verzweiflung. Sie ließ diese nun einfach rollen. Es war sowieso niemand hier, der sie in dieser erbärmlichen Lage hätte sehen können. Sie kauerte sich zusammen und blieb auf dem Zeichen sitzen. Sie warf einen kurzen Blick zum Himmel und sah, dass sie bald los musste, wenn sie rechtzeitig zurück sein wollte. Vor ihrem Gespräch war es ihr noch so wichtig erschienen den Weg zu den Rebellen fortzusetzen, aber jetzt war es ihr ziemlich egal. Womöglich war sie so schnell nicht mehr allein und konnte sich allem hingeben, was ihr durch den Kopf ging. Sie vermisste die Einsamkeit, die sie im Kirojagebirge für sich beansprucht hatte. Niemand, der sie drängt und ihr klar machte, wie verdammt wichtig sie doch war. Heute konnte sie darauf verzichten. Vor einem Jahrtausend hätte es sie noch geschmeichelt.

Und nun saß sie hier und eine Träne nach der anderen kullerte zu Boden, weil ihr klar war, dass sie es nicht schaffen würde.
 

Als die ersten Sonnenstrahlen den Horizont erklommen hatten erwachten Akazi, Chaedi und Maramé. Runa hatte indes Wache gehalten und war ein wenig besorgt, da Kyu noch nicht zurückgekehrt war. Es waren nur noch ein paar Tagesmärsche zu den Rebellen. Zumindest laut Maramé. Chaedi hatte sich noch immer nicht damit abgefunden, zwei neue in der Gruppe zu haben und demnach die beiden sowie jedes Gespräch mit ihnen strikt gemieden. Das trug nicht gerade zur Harmonie in der Gruppe bei, war Runa und Akazi jedoch recht. Sie konnten die dunkle Wölfin schließlich nicht zwingen sich gut mit ihnen zu verstehen.

Angesichts ihres engen Zeitplanes jedoch war nun die gesamte Gruppe besorgt wegen Kyus Verschwinden. Sie konnten es sich nicht leisten übermäßig viel Zeit zu verlieren, zumal es die Idee der ehemaligen Wächterin gewesen war sich zu sputen. Sie warteten bis Mittag in der Hoffnung Kyu würde einfach wieder aus dem Dickicht auftauchen und es ginge weiter. Doch dem war nicht so. Schließlich beschlossen die vier mehr oder minder einig, dass es weiter gehen musste. Kyu würde sie, wenn sie auftauchte, schon einholen. Also setzten ihren Weg fort.
 

... Ich stand auf einer Anhöhe, eine mir nur allzu bekannte Anhöhe. Ich blickte zu dem Wald und sah ihn. Auch er hatte mich gesehen und kam bereits herbeigelaufen. Er legte den Weg schnell zurück, mir kam es so vor, als sei er dieses Mal schneller gewesen als sonst.

„Wer bist du?“, fragte er mich mit sichtlicher Neugier. Er war dünn, ein paar Rippen zeichneten sie durch das ebenfalls dünne Fell ab. Sein Fell. Es war hell und blendete in der hochstehenden Sommersonne. Wie so oft.

„Nur eine Reisende, die deinem Rudel nichts Böses will“, kam meine zögernde Antwort. Seine Neugier wurde stärker.

„Das meinte ich nicht, dein Name. Wie lautet er?“, kam die Frage, die immer folgte.

„Ich weiß nicht genau... Mir wurden bereits sehr viele Namen gegeben, meinen wirklichen habe ich dadurch vermutlich bereits vergessen, wie so vieles mit ihm...“ Dieses Mal kam ich nicht dazu meinen Namen auszusprechen, denn dieser Traum verlief anders als die vielen Male zuvor. Mein Gegenüber fiel mir mit meiner eigenen Stimme ins Wort und jagte mir so einen kräftigen Schauer unters Fell.

„Das sind doch nur Ausflüchte! Du hast Angst. Angst dich mir zu öffnen.“ Seine Gestalt verschwamm und wurde zu einem Ebenbild der meinen. Und just in diesem Moment...

… erwachte die ehemalige Wächterin. Einerseits dankbar, endlich einen anderen Verlauf der Geschichte gesehen zu haben, andererseits wäre ihr ein völlig anderer Traum wesentlich lieber gewesen.

Im ersten Moment verwirrt und orientierungslos erkannte sie bald, wo sie sich befand. Ihr fiel das Gespräch mit Gerrit wieder ein und fing an es zu verfluchen, weil es jetzt auch ein Bestandteil ihrer Träume war.

Von plötzlicher Panik ergriffen, bemerkte sie, dass die Sonne bereits wieder am Untergehen war. Großartig, wirklich großartig. Das würde sich bestimmt genial in die Geschichten über sie einbauen lassen. Kyu, die Wächterin, die alle im Stich ließ, um ein Nickerchen zu halten. Als ob sie nicht schon genug Zeit im Exil vertrödelt hatte. Sie fuhr sich mit der rechten Hand durch die Haare und machte sich auf den Rückweg. Sie fragte sich kurz ob die anderen gewartet hatten, verwarf den Gedanken aber sofort wieder, da ihr klar war wie eilig sie es eigentlich hatten. Chaedi und Maramé wurden bei den Rebellen gebraucht und mit Akazi und Runa hatten sie nicht nur Informationen über die andere Seite, sondern auch noch Verstärkung erhalten. Da konnten sie wohl kaum auf eine schlecht gelaunte und zu allem Überfluss auch noch nutzlose Wächterin gebrauchen.

Kaum hatte Kyu diesen Gedanken zu Ende gebracht, als sie innehielt. War es nicht das was sie eigentlich wollte? Man brauchte sie nicht mehr, sie war nutzlos, dass hieß sie hatte wieder ihre Ruhe vor allen und jedem. Zugegeben sie hatte Chaedi und Maramé bereits in ihr Herz geschlossen, und sie war froh gewesen auch Akazi und Runa wiederzusehen, aber wie konnte sie ihnen gegen Twai helfen?

Angst. Sie hatte Angst vor Bindungen, dass wusste sie jetzt. Bedachte man die letzten Ereignisse war das vielleicht auch kein Wunder. Sie hatte ein ausführliches Gespräch über Gian hinter sich, doch da musste noch mehr sein. Twai, auch sie hatte unbewusst die Angst in Kyu geschürt. Twai, die einst Kyus engste Vertraute war, nutzte nun alle ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen, um sie zu vernichten. Wahrlich, welch Ironie. Zumindest war es nicht gerade hilfreich im Kampf gegen ihre Angst.

Kyu schüttelte den Kopf, um den Gedankengang zu verscheuchen. Sie musste weiter, ob sie wollte oder nicht. Sie hatte den beiden Schwestern versprochen ihnen zu helfen und konnte sie jetzt nicht hängen lassen. Sie hatte noch nie ein Versprechen gebrochen und hatte nicht vor in diesem Augenblick damit anzufangen.

Die ehemalige Wächterin stieß sich von der Felswand ab an die sie sich zum Nachdenken gelehnt hatte und setzte ihren Weg in den Wald fort. Sie wollte erst nachschauen, ob man nicht doch auf sie gewartet hatte und dann ihrer Spur folgen, sollte dies nicht der Fall sein.

Mittlerweile war die Sonne erneut untergegangen und hatte dem Mond Platz gemacht.

Pläne

Teil 3
 

Kapitel 13 - Pläne
 

Es dauerte nicht lange, da wurden Osair und Zeto zu Twais Gemächern gerufen. Sie erklommen die Treppen des Turmes, wie immer die vielen Stufen verfluchend. Das war so ziemlich der einzige Punkt, den Osair der Wächterin wirklich übel nahm. Er hasste Treppen und solche mit vielen Stufen ganz besonders. Aber ihm und Zeto blieb nichts anderes übrig. Außerdem war Eile geboten. Jetzt da Kyu wieder aktiv wurde, mussten sie alles tun, um an mehr Informationen über die Rebellen zu kommen.

Sie schritten gerade zu dem großen Saal, in dem die Dreizehn, welche nun nur noch zu elft waren, ihre Zusammenkünfte abhielten.

'Nur noch ein paar Stufen..', ging es Osair missgelaunt durch den Kopf. Erst hatte er den Katakomben einen Besuch abstatten müssen und nun durfte er den ganzen Weg nach oben klettern. Hoffentlich lohnte sich die Sache auch.

Endlich hatten die beiden das Ende erreicht und standen vor den Türen, die zu Twais Gemächern führten. Sie brauchten ihre Anwesenheit nicht kundzutun. Twai wäre eine miserable Wächterin, wenn sie sie nicht längst bemerkt hatte. So öffneten sich die Türen bereits kurz nachdem die beiden zum Stehen gekommen waren.

Die Wächterin blickte scheinbar gedankenverloren aus dem Fenster. Obwohl Osair nicht recht wusste, was es da zu sehen geben sollte. Nur öde Landstriche, ein paar Wolken vielleicht. Aber er behielt seine Gedanken für sich. In ihrer Nähe wurde der braune Wolf, den sie vor ein paar Stunden aus den Katakomben des Turmes geholt hatten, von den dünnen Fäden planetarer Energie in der Luft gehalten. Seine Augen waren geschlossen, so gesehen sah er sogar recht friedlich aus. Aber sein Fell war zerzaust und dreckig. Osair bezweifelte nicht, dass sein Blick eigentlich der eines Irren war. Aber Twai war eine Meisterin ihres Fachs. Sie hatte seine Erinnerungen an die Zeit im Turm wohl in die hintersten Ecken seines Unterbewusstseins verbannt. Dabei hatte sie vermutlich noch ein zwei kleine Geheimnisse der Rebellen entdeckt, aber nichts Wertvolles. Immerhin hatte man sich des brauen Fellknäuels schon angenommen als er hergebracht wurde. Es hatte Osair einigen Spaß bereitet ihn zu verhören. Ein leichtes, sadistisch angehauchtes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Der Widerstand des Braunen war beachtlich gewesen, keine Frage. Aber niemand konnte den Methoden des schwarzen Wolfes lange widerstehen. Noch bevor Osair allerdings einige Einzelheiten in Gedanken durchgehen konnte, fing Twai an zu erzählen, ohne ihren Blick jedoch von der Umgebung des Turmes zu lösen.

„Bringt ihn am besten dorthin zurück, wo wir ihn gefunden haben. Fügt ihm noch ein paar Wunden zu, so wird das Ganze glaubhafter. Dann solltet ihr euch zurückziehen, bevor er wieder zu sich kommt. Seine Erinnerungen sind gesperrt, dass sollte sich besser nicht ändern. Andernfalls geht sein Nutzen verloren.“

„Wird gemacht!“, erwiderte Osair. Die Fäden planetarer Energie lösten sich auf und der braune Wolf fiel zu Boden. Kurz schoss es dem Schwarzen durch den Kopf, dass sie ihn nun die ganzen Stufen wieder hinunter zerren mussten. Im Turm und dessen direkter Umgebung war es nämlich nicht möglich Portale zur Zwischenwelt zu öffnen. Eine reine Vorsichtsmaßnahme der neuen Wächterin, die sich in Anbetracht der momentanen Entwicklungen, als durchaus nützlich erwies. Für Osair war es jedoch im Moment nur hinderlich. Ein kurzer Blick zu Zeto bestätigte ihm, dass dieser einen ähnlichen Gedankengang gefolgt sein musste.

„Wenn die Frage gestattet ist? Wie soll er uns helfen? Wenn ich mich recht erinnere, war er nicht gerade kooperativ, als wir ihn aufgelesen hatten“, fragte Zeto. Seine Neugier steckte Osair an. Auch er wollte das Wie erfahren. Allerdings hatte er genug Vertrauen in Twais Fähigkeiten, weshalb ihm klar war, dass sie einen Weg gefunden hatte. Nun da die Frage jedoch gestellt war, erwartete auch Osair eine Antwort.

Twai löste sich endlich vom Fenster und sah die beiden an. Der schwarze Wolf erkannte die Müdigkeit in ihren Augen. Ihm war klar, dass sie eigentlich genau das vermeiden wollte. Deshalb also hatte sie die ganze Zeit zum Fenster hinaus gestarrt. Jetzt da die Ereignisse ins Rollen gekommen waren und schon zwei der Dreizehn sie verlassen hatten, wollte sie keine Schwäche zeigen.

„Wann immer er sich schlafen legt, werden seine Träume uns zeigen, was die Rebellen planen. Mehr braucht ihr nicht zu wissen“, antwortete sie.

Man sah Zeto an, dass er eigentlich auf genauere Informationen aus war, aber er begnügte sich mit diesen. Er wollte Twai nicht erbosen.

Also packten er und Osair den braunen Wolf am Nacken und fingen an die Treppen des Turmes hinabzusteigen.

Nach gut einigen Dutzend Stufen hatte Osair das Zählen aufgegeben, wieder einmal. Sie hatten noch nicht einmal den ersten Abschnitt der Treppen hinter sich gelassen. Und wieder einmal fragte er sich ernsthaft, ob es nicht besser wäre einfach aus dem nächstgelegenen Fenster zu springen. Er wäre schneller unten und mithilfe der planetaren Energie würden er und Zeto schon heil ankommen. Aber da sie nicht genau wussten, was Twai mit ihrem werten Freund angestellt hatte, konnte unwissende Anwendung planetarer Energie zu einer Katastrophe führen. Etwas, dass keiner der beiden bereitwillig auf sich nahm.

Stufe um Stufe stiegen sie den Turm hinab. Es kam Osair wie eine Ewigkeit vor als sie endlich unten ankamen. Es galt zwar noch immer einen gewissen Weg zurückzulegen, aber sie hatten endlich diese verfluchten Treppen hinter sich gelassen. Der Rest des Weges war also ein Kinderspiel.
 

Als sie in dem Bereich ankamen, in dem man wieder Portale zur Zwischenwelt öffnen konnte, legten sie eine kurze Pause ein. Und kurz war diese wirklich.

Osair öffnete das Portal und packte den Braunen erneut. Sie schritten hindurch und fanden sich im ständig wechselnden Blau der Zwischenwelt wieder. An anderer Stelle in ebendieser Welt wurde erneut ein Durchlass geöffnet und sie waren an ihrem Ziel angekommen. Rasch schloss Osair das Portal.

Sie standen inmitten eines Waldes, ein recht großer von Laubbäumen geprägter Wald, wenn Osair sich recht erinnerte. Der Wald reichte von den nördlichen Bergen bis hin zu den Steppen im Westen, besaß weitere Ausläufer in den Osten und hielt sich geradezu fern vom Süden. Nun wie dem auch sei. Sie hatten ein Problem. Der braune Wolf, welcher unwissentlich zu ihrem Spion werden sollte, war damals mit einer Gruppe anderer Wölfe unterwegs gewesen. Wölfe wurden von den Rebellen meist als Späher genutzt, da sie sich unauffälliger bewegen konnten und im Notfall auch schneller im Rückzug waren. Diese hier waren allerdings nicht schnell genug gewesen. Die anderen der Gruppe wurden allesamt in die nächste Welt geschickt. Aber ihre Leichen waren nicht mehr an Ort und Stelle. Also war man bereits über deren Verlust informiert. Ein unglücklicher Umstand, der ihre Aufgabe erschwerte, sie mussten die Rückkehr des Braunen immer noch glaubhaft über die Bühne bringen. Es hieß also einen anderen Ort zu finden. Nicht zu weit weg, um die Glaubhaftigkeit zu untermauern, aber auch nicht so nah, dass man ihn unter allen Umständen hätte finden können.

'Wunderbar...', ging es Osair durch den Kopf. Sie hatten nicht nur einen wandelnden Irren bei sich, sie durften ihn auch noch weiter mit sich rumschleppen.

Glücklicherweise dauerte es nicht lange, bis sie einen geeigneten Ort fanden. In der Nähe des Unglücksortes gab es ein Fluss, den man zwar ohne Zweifel abgesucht hatte, aber dennoch ist es an Flüssen immer möglich etwas zu übersehen. Und diese Möglichkeit nutzten nun die Handlanger der neuen Wächterin aus. Osair und Zeto setzten den Brauen im seichten Wasser, weiter flussabwärts ab und der Schwarze ließ nun seiner Leidenschaft freien Lauf. Hier ein Kratzer, dort ein Biss und fertig war die perfekte Tarnung. Nun fast perfekt, zugegeben. Sie mussten diese Wunden noch ein wenig heilen, andernfalls würde man deren Frische schnell bemerken und misstrauisch werden. Die Rebellen wären zumindest Narren, wenn sie es nicht würden.

Mit ihrem vollendeten Werk zufrieden, zogen sie wieder ab. Jetzt war es außerhalb ihres Einflusses, ob Twais Plan gelang oder nicht.



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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  Moigon
2011-04-03T15:43:26+00:00 03.04.2011 17:43
Wuiii, das Kapitel war echt der Hamma, so viel Spannung. *_*
Ich bin ja mal gespannt was die beiden Wölfinnen verbrochen haben.
Aber bestimmt war es gar nichts so Schlimmes. Twai scheint ihre Macht ein bisschen sehr auszunutzen. Sie möchte ich nicht als Planetenwächterin haben. >>
Manno, ich kann es kaum bis zum nächsten Kapitel abwarten.^^
Von:  Runenwölfin
2010-12-04T22:21:46+00:00 04.12.2010 23:21
Also ich finde die Geschichte wird immer interessanter. Vor allem der Schluss dieses Kapitels verspricht eine spannende Fortsetzung in den nächsten Kapiteln.
Kyus Vergangenheit ist wirklich traurig. Ich hoffe sie kann sie eines Tage überwinden.
Es macht Spaß deine Geschichte zu lesen. ^^
Von:  Runenwölfin
2010-08-29T19:37:46+00:00 29.08.2010 21:37
Du es also doch veröffentlicht (und mir nicht bescheid gesagt, schäm dich XDDDD).
Auch wenn ich es dir ja eigentlich schon gesagt habe, ich finde die Geschichte bisher wirklich interessant und bin natürlich gespannt wie es weitergeht. (Und ich werde es auch als Erste erfahren. Der Vorteil einer Betaleserin. XD)
Besonders spannend scheint ja Kyus Vergangenheit zu sein. Diese Wächterinnen scheinen wirklich mächtige Wesen zu sein. Ich freu mich schon mehr darüber zu erfahren.


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