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Rewind And Reflect

[Caleb x Cornelia | canon-sequel | enemies to lovers]
von

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Choice Language


 

… Even if time plunges away this moment, we will keep going,

Aiming at the summer sky, we began dashing …
 

A C H T Z E H N
 

Nennen Sie vier entwicklungstheoretische Modelle, die sich unter anderem eingehend mit dem Stadium der Adoleszenz beschäftigen und skizzieren sie die Kernpunkte sowie die jeweiligen Hauptvertreter der genannten Modelle.
 

Genau so sah Cornelias Fragebogen nach einer halben Stunde aus: leer. Er bestand aus fünf Fragen dieser Art und sie wusste, dass sie die Antworten kannte. Sie wusste es einfach! Und doch…es war, als würden ihre Gedanken nur um eine einzige Sache kreisen:

Caleb. Sie ertappte sich natürlich sofort beim ersten Gedanken an ihn und schalt sich dafür streng. Dann aber kam ihr der weitaus beruhigendere Gedanke, nur daran denken zu müssen, was er wohl gewollt haben mochte. Sie konnte es sich denken. Und als sie diese Gedanken verfolgte, musste sie daran denken, wie witzig es doch war, wenn man öfters hintereinander dasselbe Wort dachte. Denken, Gedanke, dachte. Amüsant! Sie lächelte über die Witzeleien, die ihr in ihrem Kopf die Laune hoben.

Konzentrier dich! , mahnte Cornelia sich streng. Denk nach, du kennst die Antwort. Freud. Die Eckpunkte seiner Theorie. Was waren die zentralen Themen? Das ist ja furchtbar! Ich hab das doch stundenlang gelernt! Apropos, furchtbar, was ist, wenn etwas Furchtbares passiert ist? Elyon hat Caleb sicherlich nicht einfach so geschickt. Und alleine herkommen kann er nicht, außer er hat eine Möglichkeit gefunden, eigenständig Portale zu kreieren, aber das ist unmöglich. Elyon muss ihm befohlen haben, uns zu benachrichtigen. Er wird vermutlich großen Ärger bekommen, weil er so lange braucht. Ach, was rede ich mir da ein! Erstens ist er kein Kind mehr, das man mit Hausarrest bestrafen kann, und zweitens würde Elyon niemals in ihrem Leben Böses an ihm tun. Ha!

Ein Geistesblitz durchzuckte sie.
 

Die Kernpunkte Freuds gruppieren sich allesamt um die Sexualität. Er beschrieb fünf Phasen, in denen jeweils ein bestimmter Körperbereich die zentrale Rolle spielt.
 

Sie führte die Phasen an, ergänzte Altersangaben dazu und legte dann zufrieden mit sich den Kugelschreiber neben den Prüfungsbogen, auf den sie nun glückselig starrte.

Wirklich großartig, Cornelia, hast du toll gemacht, dachte sie mit Sarkasmus und Bitterkeit. Dir fällt das Thema Sexualität ein, wenn du an Caleb und Elyon denkst. Doch sie schlug sich die Besorgnis schnell wieder aus dem Kopf angesichts des Flows, der sie nun ereilt hatte. Der Knoten war geplatzt. Endlich konnte sie ihr ganzes angesammeltes Wissen aufschreiben.
 

"Pst", zischte plötzlich jemand hinter ihr.

Aufgrund der enormen Verspätung war Cornelia gezwungen gewesen, in der letzten Reihe Platz zu nehmen. Unauffällig schielte sie nach hinten, doch ihre Augen erfassten nur die vertäfelten Wände und die schwere Flügeltüre. Irritiert schrieb sie weiter. "Cornelia!"

Das Zischen war diesmal etwas lauter gewesen, sodass sie keinen Zweifel mehr daran haben konnte; jemand stand hinter ihr. Erneut sah sie hinter sich, diesmal suchte sie jedoch eine größere Fläche ab. Erschrocken zuckte sie plötzlich zusammen, als sie Calebs Gestalt in seiner minimalen Größe zusammengekauert auf dem Boden hinter ihr erblickte.

"Himmel, Caleb! Was tust du hier?", flüsterte sie.

"Ich muss mit dir reden!" Er robbte weiter vor, um besser mit ihr kommunizieren zu können. Angesichts der Konversation drehten sich nun auch andere Studenten um.

"Später", verwies sie ihn, doch Caleb dachte gar nicht daran, zu gehen. Er setzte sich im Schneidersitz zwischen sie und eine Kommilitonin. "Caleb. Verschwinde." Cornelias Ton wurde mahnender, aber er ließ sich davon nicht beeindrucken.

"Meridian ist in Gefahr."

"Meine Note ist auch in Gefahr." Ihr Flüstern wurde lauter, sodass sich nun auch Leute aus den Reihen vor ihr umdrehten. Entschuldigend hob sie die Hände, dann beugte sie sich wieder zu Caleb. "Die Prüfung geht noch eine Stunde, Meridian wird wohl auch noch dann in Gefahr sein, nicht wahr? Hier steht gerade meine Zukunft auf dem Spiel." Sie wandte den Blick stur auf den Fragbogen, während sie mit sich haderte. Der innere Kampf ließ ihre Mimik verkrampfen, was jedoch von jedermann unbemerkt blieb. Es war ein Konflikt, den sie nun schon seit Beginn der Prüfung mit sich ausfechten musste. Einerseits wusste sie, dass Meridian eine höhere Priorität hatte, als ihre lächerliche Prüfung. Und doch – es ging hier ums Prinzip.
 

Während ihrer Gedanken hatte sie die letzte Frage fast automatisch beantwortet. Eine Stunde vor Ende der Prüfung ging sie also nach vorne, gab den Zettel ab und schleifte Caleb verärgert aus dem Saal.

"Cornelia, was ist los mit dir?", fragte Caleb nun in normaler Lautstärke. Der Gang der Universität war menschenleer. Seine Stimme hallte an den Wänden wider.

"Was mit mir los ist?", fuhr sie ihn an. "Die Frage ist, wieso du einfach hier auftauchst, mitten in den Semesterprüfungen, die entscheiden, ob ich weiterstudieren darf oder nicht! Das hier ist wichtig für mich!"

"Es ist doch nur Schule! Ich bitte dich", wehrte Caleb ab. Er war verwirrt. Sie hatte doch früher so oft geschwänzt, um Meridian zu helfen. "Ich verstehe dich wirklich nicht. Wiederhol dieses Zeug doch einfach. Ein ganzes Land ist so gut wie dem Untergang geweiht und du sorgst dich um eine lächerliche Note!"

"Jetzt hör mir gut zu, ich sage das nämlich nur einmal." Sie drängte ihn an die Wand, um ihrer Wut Ausdruck zu verleihen, und hob bedrohlich den Zeigefinger. "Egal was auch immer in diesen Hallen passieren mag, es ist nicht lächerlich. Es geht hier darum, ob ich jemals Psychologin werden kann oder nicht. Das ist mein Traum. Ich habe so viel Arbeit und Geld investiert, dass es mich sowohl seelisch als auch finanziell ruinieren würde, wenn sich der Aufwand nicht irgendwann rentiert! Vielleicht verstehst du das nicht, aber das hier ist mein Leben. Es hängt alles von dieser einen Note ab, denn wenn ich hier negativ bin, dann kann ich mein Studium vergessen, verstehst du? Meridian hatte immer Vorrang, ich weiß das, und ich weiß auch, dass die Rettung eines ganzen Landes wichtiger ist, als meine blöde Note auf diese blöde Prüfung, aber hier geht es rein ums Prinzip!"

"Welches Prinzip bitteschön? Wenn du unbedingt ein Exempel statuieren willst, welche Prioritäten in deinem Leben vorherrschen, dann tu das gefälligst, wenn die Lage nicht so ernst ist!"

"Das Prinzip", fauchte Cornelia scharf, "bezieht sich dabei darauf, dass ich mich ruiniere, wenn ich Meridian allem anderen immer vorziehe. Nehmen wir an, ich hätte die Klausur sausen lassen, um Meridian zu retten. Super, das Königreich ist okay, aber was ist mit mir? Ich wäre am Ende! Ich wäre ruiniert! Mit jedem anderen Job wäre ich unglücklich, das ist sicher. Meine Mutter möchte mir nicht helfen, mein Vater traut sich nicht, meine Schwester kann es nicht und meine Freundinnen würden es zwar, aber das ist es nicht, was ich will! Das einzige, das mich nicht verzweifeln lässt, ist die Tatsache, dass ich mich in ein Studium flüchten kann, das meinem Leben einen Sinn gibt! Ich schöpfe meine ganze Kraft aus diesem Traum, den zu verlieren ich nicht gewillt bin!" Tränen drangen aus ihren Augenwinkeln. Sie rannen die vor Zorn geröteten Wangen hinab, unaufhörlich. "Als du gingst, da hast du nicht nur meine Fröhlichkeit mitgenommen, sondern auch alles, für was zu leben es sich jemals gelohnt hätte." Cornelia erschrak über ihre eigenen Worte. Hastig ließ sie von Caleb ab und wandte ihm den Rücken zu.
 

Er stand schweigend da, äußerlich unberührt. Innerlich herrschte jedoch ein wirres Chaos zwischen Sachlichkeit, Verwirrung, Ratlosigkeit und Leid. Doch nun war das Eis gebrochen; alle angestauten Emotionen hatten mit diesem einen Vorwurf die Erlaubnis erhalten, an die Oberfläche zu dringen. Cornelia ihrerseits versuchte, ebendiese Emotionen zurückzuhalten, doch Caleb war nicht im Ansatz gewillt, die Anschuldigung auf sich beruhen zu lassen. Ruckartig drehte er sie um, damit sie ihn ansehen musste.

"Hättest du nur ein Wort gesagt, die ganze Zeit über, hätten wir gewiss eine Lösung gefunden!"

"Eine Lösung für was, Caleb?", schrie sie. "Für sämtliche Missstände uns betreffend? Für die Trennung, die uns aufgezwungen wurde? Selbst wenn es dafür eine Lösung gegeben hätte, was hätte es uns gebracht? Du wolltest mich nicht!"

"Also machst du mich für alles verantwortlich, was du dir verbaut hast?"

"Das tue ich nicht! Aber ich mache dich dafür verantwortlich, eine gewisse Teilschuld daran zu tragen! Hättest du mich nicht auf so unfreundliche Weise zurückgewiesen, wäre womöglich alles nicht so ausgeartet!"

"Dann ist es also doch meine Schuld? Ich für meinen Teil wollte es dir leichter machen! Zu wissen, dass unter keinen Umständen Hoffnung bestünde, hätte es dir laut meiner Auffassung leichter machen sollen, die Trennung zu verwinden!"

Sie schlug ihm so fest sie konnte gegen die Brust. "Natürlich!", kreischte sie hysterisch. "Es macht es einem Mädchen auch so viel leichter, nicht nur den Schmerz einer Trennung ertragen zu müssen, sondern auch der Unzulänglichkeit bezichtigt zu werden!" Cornelia keuchte inzwischen aus Luftmangel, doch sie dachte nicht im Traum daran, nun zu schweigen. Die Worte brachen in so ungeheurer Lautstärke aus ihr heraus, dass man sie sogar noch in den nahen Auditorien hören konnte. "Was mich wirklich dahingerafft hat, war einzig und allein das Wissen, nicht gut genug gewesen zu sein! Das Gefühl der Unzulänglichkeit meines Charakters, meines Wissensstandes und wahrscheinlich sogar meines Aussehens war das Erdrückendste, das ich jemals verspürt habe!"

"Wenn dem so war, hättest du womöglich an deinem Selbstvertrauen arbeiten müssen, anstatt mich über Jahre hinweg für dein Elend verantwortlich zu machen!", fuhr Caleb sie an.

"Mein Selbstvertrauen ist hervorragend! Es ist mir egal, für wie gut oder schlecht mich die Leute halten! Was sie denken, interessiert mich nicht!"

"Wieso war es denn dann so ein Problem für dich?!"

"Weil mir deine Meinung wichtig ist, du Idiot!"
 

Cornelia holte tief Luft. Ihre Kehle war rau, sie brannte und schnürte sich immer enger zusammen. Dennoch schrie sie sofort weiter. "Du bist der einzige Mensch, dessen Worte mir etwas bedeuten!"

"Dann solltest du womöglich dein Selbstbild nicht nur von einer einzigen Person abhängig machen, wenngleich gerade diese Person immer darum bemüht war, dein Wohl zu sichern!"

"Indem du mich beleidigst?"

"Indem ich dich davor schütze, dich vor anderen Männern zu verschließen!"

"Hat ja hervorragend geklappt!", stieß sie sarkastisch aus.

"Meine Idee war gut!", beharrte er streng. "An deiner Umsetzung hat es gemangelt! Dass du mich als Arschloch ansiehst, um besser darüber hinwegzukommen – das war der Plan!"

"Nur leider hat das nicht funktioniert! Hast du wirklich gedacht, es würde sich so einfach verhalten?"

"Wer konnte denn ahnen, dass du so kompliziert bist?"

"Das hat nichts mit Kompliziertheit zu tun!"

"Ach, ja? Was ist dann der Grund?"

"Dass ich nie aufgehört habe, dich zu lieben, verdammt noch mal!"
 

Cornelia schnaufte. Eine schlagartige Stille breitete sich aus, die keiner der beiden unterbrechen konnte. Sie war zu erschrocken, um sprechen zu können, er zu geschockt. Obwohl Caleb nämlich niemals an seinen eigenen Gefühlen gezweifelt hatte, so hatte er dennoch ihre als nicht vorhanden erachtet. Das machte den Schock noch größer – zu groß.

Cornelia war in der günstigeren Position, etwas zu sagen. "Wir sollten jetzt Will abholen, sie dürfte inzwischen fertig sein. Hörsaal F im zweiten Stock."

"Cornelia…" Doch sie hatte ihm bereits den Rücken zugedreht und war die ersten Schritte vorgegangen.
 

Ab diesem Zeitpunkt herrschte reges Durcheinander in den Köpfen der beiden, ausgelöst durch denselben Satz, doch mit verschiedenen Effekten.

Cornelias Gedanken brachen so schnell über sie herein, dass ihr der Kopf schmerzte. Alles hämmerte wie tausend Presslufthämmer von innen gegen ihre Schädeldecke. Sie hasste sich so sehr in diesem Moment. Sie hasste sich dafür, all ihr Leid geklagt zu haben und dabei auch noch Caleb dort angeklagt zu haben, wo er gar nichts dafür konnte. Er war derjenige, der keinerlei Schuld trug. Aber wie hätte sie dem Mann verzeihen können, der ihrer beider Seelenfrieden in vollster Anwesenheit seines Bewusstseins so bereitwillig zerstört hatte? Er hatte es geplant! Und sie hatte ihm die Grausamkeiten in ihrer Naivität geglaubt, hatte sie sich zu Herzen genommen und sich an ihnen ein stückweit zerstört. Dabei hätte sie ihn nur als das sehen müssen, was er ihr vorgegeben hatte zu sehen – einen unliebenswürdigen Menschen, der keinerlei Anerkennung oder Achtung verdient hatte.

Sie verstand seine Motive vollends. Dass er sie immer noch liebte, stand nun außer Frage. Und doch konnte sie sich nicht dazu durchringen, die Gefühle offenkundig zu akzeptieren oder gar zu erwidern. Es würde zu nichts führen. Das Ende wäre ein anderes, gewiss, aber war es das, was sie wünschte? Die erste Trennung hatte mit Vorwürfen und Gemeinheiten geendet, um es beiden zu erleichtern, Abschied zu nehmen. Die zweite Trennung würde also demzufolge unter Bekenntnissen und Liebesschwüren ihr tragisches Ende finden, die sie zwar nicht an gebrochenem Herzen verzweifeln lassen würden, aber die beiden doch für immer miteinander verbunden halten würden. So oder so, keiner würde jemals einem anderen Menschen so viel Liebe zollen können, wie sie sie füreinander übrig hatten – nicht einmal annähernd.
 

Calebs Gedanken waren weitaus simpler. Sie liebt mich noch. Das war alles, woran er denken konnte. Er versuchte, die Überlegung weiterzuspinnen – wie es nun fortlaufen sollte. Ignorieren – diskutieren – handeln? Doch sobald er ein wenig weiterkam, sprang seine Sachlichkeit wieder zu dem Schock über. Ja, da waren Momente gewesen, die er unmöglich missverstanden haben konnte, das war ihm klar. Aber er hatte für sich beschlossen, dass diese Momente nur durch zufällige Bewegungen zustande gekommen waren, durch seine Gefühle als Momente gewirkt hatten und durch seine Interpretation als ebendiese verstanden worden waren. Dass Cornelia gleichnamige Gefühle hegte, hatte er niemals in Erwägung gezogen. Die Veränderung, die sie seit ihrer ersten Begegnung durchgemacht hatte, war ihm natürlich nicht verborgen geblieben – wie hätte sie auch? Von Furie auf schweigsam in einer Minute, das konnte nicht einmal Cornelias Sprunghaftigkeit.
 

Will bekam davon nicht viel mit. Sie war damit beschäftigt gewesen, so viel Wissen um die Sturm und Drang Periode aus ihrem überladenem Hirn zu ziehen, dass es weh getan hatte. Die Antworten waren recht präzise gekommen, wenn auch langsam. Inzwischen hatte sie mit vor Stolz geschwollener Brust das Geschmiere abgegeben. Sie war erleichtert, diese Tortur endlich hinter sich zu haben, wenngleich die Tage davor die reinste Hölle gewesen waren.

"Cornelia! Caleb!", rief sie freudig und winkte aus der drängenden Menge. "Hier bin ich! Wie war's bei dir?"

"Kein Kommentar."

Will hielt inne. Sie musterte besorgt Cornelias ernsten Gesichtsausdruck, doch vor Caleb wollte sie nicht nachbohren. Irgendetwas war sicherlich wieder zwischen den beiden vorgefallen. Und diesmal sah es ernst aus. "Wieso bist du hier, Caleb? Gibt es wichtige Neuigkeiten aus Meridian?"

"In der Tat, die gibt es." Er zog die beiden in eine Nische am Gang, um die Worte vor den Ohren Fremder zu schützen. "Elyon hat zwei Briefe erhalten, die Meridian unmissverständlich den Krieg erklären."

"Wie furchtbar!", stieß Will aus. "Wir müssen sofort nach Meridian. Ich trommle die anderen zusammen."

"Wo sind sie?"

"Frankreich, England, Silver Dragon."

"Was?" Caleb starrte sie ungläubig an.

"Du wirst es nicht glauben, aber wir haben Verpflichtungen", meinte Will ungeduldig. "Wenn wir die Portale benutzen, dann wird das recht schnell erledigt sein. Kommt."
 

Will behielt recht. Innerhalb einer Stunde stiegen sie alle aus einem blauen Kreis, der sich mitten im Thronsaal von Meridians Herrscherin aufgetan hatte.

"Caleb! Ein Glück!", stieß Elyon aus. Die Erleichterung war ihr ins Gesicht geschrieben, wie auch die Sorgen, die sie sich machte. "Ich dachte bereits, dir wäre etwas zugestoßen."

"Seid unbesorgt über mein Wohlbefinden, meine Königin, es gab lediglich ein paar Komplikationen."

Elyon nickte, danach wandte sie sich den Wächterinnen zu – von denen kaum eine in passender Kleidung erschienen war. Irma trug dank der Zeitverschiebung einen Pyjama und Taranee aus selbigem Grund ein viel zu weites Nachthemd, während Hay Lin Kellnerinnenkleidung anhatte.

"Seht her." Mit angespannter Hand gab Elyon Will die Briefe. Die jungen Frauen lasen das Geschriebene mehrmals sorgsam.

"Womit sich also die Frage nach ihrem Aufenthaltsort erledigt hätte", murmelte Irma düster. "Aber hier steht nicht, wann sie angreifen wird."

"Vermutlich geht sie davon aus, dass wir Fehler machen werden, wenn wir nur lange genug dieser Ausnahmesituation ausgesetzt sind", erklärte Elyon. Sie ließ sich, den Kopf in die kleinen Handflächen gelegt, wieder auf dem Thron nieder. Mit ihrem gesenkten Haupt und den laschen Schultern hatte Elyon wenig Ähnlichkeit mit Meridians einst so strahlenden Herrscherin.

"Kopf hoch, Majestät", versuchte Cornelia sie zu trösten. Liebevoll legte sie ihrer Freundin die Arme um die Schultern, um sie aufzuziehen. "Wir machen das schon. Zu viert hatten wir keine Chance, aber nun sind wir wieder fünf. Die können sich warm anziehen."

"Ich an deiner Stelle wäre vorsichtig mit solchen Versprechungen", widersprach Elyon deprimiert. "Seit Stunden sitze ich hier, grüble nach und versuche zusammen mit meinen Beratern einen Ausweg zu finden. Doch selbst wenn wir gewinnen; welchen Preis werden wir dafür zahlen müssen? Es herrscht Krieg in diesem Land. Krieg fordert seinen Tribut, bestehend aus Toten und Verletzen. Es werden Familien auseinandergerissen werden, es werden Menschen sterben, es wird Verwüstung und Elend herrschen."

"Nicht, wenn wir Phoebe so schnell als möglich unschädlich machen."

"Oh, Cornelia, hätte ich nur deine Hoffnung!"
 

Elyons deprimierte Verfassung übertrug sich schnell auf die feinfühligen Mitglieder der Wächterinnen. Alsbald hatten Hay Lin und Cornelia es aufgegeben, ihr widersprechen zu wollen. Stattdessen saßen sie mit hoffnungslosen Augen im Raum verteilt und grübelten. Will und Irma hingegen ließen sich durch die allgemeine Depression nicht in ihrer Entschlossenheit dämpfen; im Gegenteil: sie wurden von ihr angestachelt, die ausgesprochene Misere zu ihrem Vorteil zu verkehren. Gepackt von Ehrgeiz dachten sie Strategien durch, schmiedeten Pläne und diskutierten leise, aber scharf, welcher Weg am schnellsten zum Sieg führen würde. Indes konnte die nervöse Taranee nichts anderes tun, als nachdenklich in der Halle umherzuwandern, die Finger ans Kinn gelegt. Caleb tat es ihr in gebührendem Abstand gleich.
 

"Ich halte das nicht aus!", durchbrach plötzlich Hay Lin die Stille. "Hallo-o, Leute? Also ganz ehrlich, wann haben wir uns jemals unterkriegen lassen? Ich frage euch: Machen wir dieses Weib fertig oder nicht?" Sie warf enthusiastisch die Arme in die Höhe, doch keiner war gewillt, ihre Zuversicht zu teilen. "Kommt schon, wir haben Phobos besiegt und Nerissa die Hölle heiß gemacht, da kann ein weiblicher Phobos nicht viel schlimmer sein. Trübselig herumzusitzen bringt uns doch auch nicht weiter, nicht wahr? Wir sollten lieber versuchen, uns so gut als möglich auf den Angriff vorzubereiten!"

"Du hast recht", stimmte Elyon zögerlich zu. Sie hob mit festem Blick ihren Kopf. "Wir dürfen nicht einfach kapitulieren, ohne gekämpft zu haben. Phoebe kann uns nichts anhaben, solange wir an uns glauben."

Die kleine Ansprache gab den Wächterinnen und auch allen anderen Eingeweihten ein wenig neuen Mut. Die meisten schienen zwar immer noch angsterfüllter zu sein als überzeugt, doch die allgemeine Niedergeschlagenheit war ein wenig neuer Hoffnung gewichen.

"Nachmittags, halb vier in Meridian: Die Krieger schöpfen neuen Mut", kommentierte Hay Lin lachend. "Also, Elyon, wie sieht der Plan aus?"

Sie erhob sich von ihrem Sitzplatz und ging zu einer Karte, die seit Stunden unbeachtet auf einem Tisch am Rand des Saals lag. Die Anwesenden folgten ihr. "Wir wissen nicht, aus welcher Richtung sie angreift, aber vermutlich aus dem Westen. Im Süden sind nur Ebenen, im Osten und Norden grenzt ein paar Meilen weiter ein großflächiger See, den sie unmöglich ungesehen überqueren kann. Ich habe bereits alle verfügbaren Soldaten zusammenrufen lassen. Die Einheiten werden morgen früh fertig gebildet und ausgerüstet sein. Bis dahin müssen wir hoffen, dass sie den Überraschungsangriff, den sie zweifelsohne vorhaben, nicht so früh starten."

"Sie haben euch doch eine Kriegserklärung geschickt. Warum sollten sie dann einen Hinterhalt planen?", fragte Will verwirrt.

Caleb übernahm die Erklärung. "Aus einem ganz simplen Grund: Strategische Kriegsführung. Es wäre unehrenhaft, die Hauptstadt zu erobern, ohne vorher eine Kriegserklärung abgegeben zu haben. Das würde einer Plünderung gleichkommen und diese hat zur Folge, dass Phoebe den politisch rechtmäßigen Thron verliert, was sie nicht riskieren möchte. Zum anderen ist es ein kluger Schachzug gewesen, das ganze Reich in Angst und Schrecken zu versetzen. Die Furcht vor dem Krieg ist schlimmer als der Kampf selber."

"Also", resümierte Taranee, "hat sie sich angekündigt, um Elyon durch einen Sieg vom Thron zu stürzen, greift aber dennoch zu einer unbestimmten Zeit an, um sich den Vorteil des Präventivschlages zu sichern?"

"Ganz genau." Elyon wandte sich wieder der Karte zu, die sie jedoch nur anstarrte, um nicht in die verängstigten Gesichter der Umstehenden sehen zu müssen. "Ich dachte mir, wir könnten eine Art Aufteilung vornehmen." Nun klang sie gar nicht mehr so wie die selbstsichere Herrscherin eines mächtigen Königreichs, sondern wieder wie die schüchterne Elyon Brown aus Heatherfield. Die Sache nahm sie sichtlich mit. "Die Armee soll sich um die Armee von Phoebe kümmern, zumindest so gut es geht. Sie wird keine ausgebildeten Kämpfer mitbringen. Das ist gut, denn wir selbst haben nur wenige davon. Caleb sagte, dass sie Helfer hat, nicht wahr? Sehr mächtige Gehilfen. Es sind noch drei übrig. Ich werde versuchen, Phoebe in Schach zu halten, während die Wächterinnen die Schergen so kompromisslos als möglich ausschalten. Dann müssen wir gegen den wahren Feind mit vereinten Kräften vorgehen."

"Draufhauen und hoffen, dass alles gut geht also?", fasste Irma zweifelnd zusammen. "Wieso nicht. Hat bisher ja auch immer funktioniert."

"Irma!" Sie hob abwehrend die Hände, als die strafenden Blicke ihrer Freundinnen sie trafen.

"Wie auch immer, es wird große Verluste geben und ich kann nur hoffen, dass es uns möglich ist, den Krieg mit möglichst wenig Opfern unserer Seite beenden zu können." Elyon seufzte erschöpft. "Doch ich wage zu bezweifeln, dass die Sache ein allzu gutes Ende nimmt."

"Ihr dürft niemals so denken, meine Königin!", tadelte Eris vorwurfsvoll. "Ihr seid die einzige, die Meridian Hoffnung zu geben vermag. Verliert ihr den Mut, so haben wir keine Chance."

"Ja, du hast Recht, liebe Eris. Ich muss stark sein. Doch fürs erste werde ich mich zurückziehen und nachdenken. Womöglich finde ich einen Weg, unsere Strategie zu verbessern, wenn mir in dieser Nacht schon kein Schlaf vergönnt sein wird. Eris, bitte lass Anne holen. Sie soll meinen Freundinnen und natürlich auch Caleb die Schlafzimmer zeigen. Gebt ihnen alles, wonach sie verlangen, sofern wir in der Lage sind, es aufzutreiben. Habt eine erholsame Nacht." Ihre Stimme war mit dem Sprechen immer leiser und ihre Augen immer kleiner geworden.
 

Als Elyon zu Bett gegangen war, läutete Eris wie ihr geheißen nach Anne, die trotz der Not ihr quirliges Wesen behalten hatte. Sie führte die Gäste in einen der vielen Flügel, in dem noch keiner von ihnen jemals zuvor gewesen war. Cornelia glaubte anfangs, sie habe sich einst hierhin verlaufen, als sie eigenmächtig in Phobos' Schloss eingedrungen war, doch mit Sicherheit konnte sie es nicht sagen.

Während der ganzen Führung plapperte Anne unentwegt über Nichtigkeiten, wie beispielsweise welche Blumen sich in dieser Vase befanden und wer die Gesichter an den Wänden waren, die milde lächelnd auf sie hinunterblickten. Bald schon wurde den Damen das Gerede lästig, woraufhin Irma sie ziemlich rüde unterbrach, indem sie ein völlig andere Thema anschnitt, während Anne in schnellem Ton die Lebensgeschichte eines Großonkels herunterbetete.

"Findet ihr nicht, dass Elyon irgendwie komisch ausgesehen hat?"

"Sie war ausgelaugt, das ist doch nur natürlich", erwiderte Will schnell. "Ihr Königreich ist in Gefahr, da wäre jeder leicht neben der Spur."

"Nein, Irma hat Recht", meinte Cornelia nachdenklich. "Elyon hat heute außerordentlich ruhig gewirkt, um nicht zu sagen lasch. Ich gebe zu, sie war noch nie die Lauteste, aber immer schon selbstsicher. Dieses Königinnending hat sie darin sicherlich noch bestärkt. Aber gerade eben hat sie irgendwie gewirkt, als hätte sie die afrikanische Schlafkrankheit."

"Vielleicht ist sie ja wirklich krank?", erwiderte Will. "Ich habe gehört, selbst First Ladies blieben davon manchmal nicht verschon."

"Also wenn ihr mich fragt, dann stimmt etwas nicht mit ihr", beharrte Irma entschieden. Cornelia stimmte ihr zu, doch die anderen behielten sich vor, die Meinung der beiden anzuzweifeln. Caleb war der einzige, der mit sorgenvollem Blick seinen ganz eigenen Gedanken zu diesem Thema nachging – zumindest dachten die Mädchen das. In Wahrheit versuchte er einfach, Cornelia nicht anzustarren, denn der Streit und das Geständnis von heute Mittag saßen ihm noch immer fest verankert im Kopf.
 

"Lasst uns einfach morgen einen genaueren Blick auf sie werfen", schlug Cornelia schließlich vor, nur um nicht allzu sehr in die Verzweiflung abzustürzen. Sie waren inzwischen ohnehin schon in dem Gang angelangt, der sich als ihre einstweilige Ruhestätte herausstellte. Anne wies jeder von ihnen ein eigenes Zimmer vor, denn man habe ja hier in dem prunkvollen Palast genügend Unterbringungsmöglichkeiten.

Dass das Vorhaben, Elyons Zustand am folgenden Tag mehr Aufmerksamkeit zu schenken, allerdings niemals seine Umsetzung würde feiern dürfen, ahnte zu diesem Zeitpunkt niemand.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  fahnm
2011-05-14T01:14:33+00:00 14.05.2011 03:14
Klasse Kapi^^


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