Vermisst
Sie hatten Elisabeth eingeweiht, was dort im Dunkel der Höhle geschehen war, doch konnte sie sich nicht so recht einen Reim darauf machen. Simon schien wirklich etwas gegen Xander zu haben, so viel stand fest. Und Xanders Gesichtsausdruck, als sie aus der Höhle gekommen waren, nach, war irgendetwas geschehen, was nicht hätte passieren dürfen – wie beispielsweise das plötzliche Verschwinden eines Weges.
Sie grübelte noch lange an diesem Abend vor sich hin, was das wohl zu bedeuten hatte, lag stundenlang wach, und fasste schließlich einen Entschluss, wie sie dem auf die Schliche kommen könnte – vielleicht fand sie dort ja Stoff für eine neue Lagerfeuergeschichte, mit der sie den anderen eine Gänsehaut bescheren konnte – am nächsten Morgen war sie verschwunden.
„Daran bist nur du schuld!“ Simon stand vor dem Zelt, in dem sie eigentlich ihr Frühstück einnehmen wollten, den Zeigefinger drohend auf Xander gerichtet. „Du mit deinen komischen Späßen!“
Xander hob beschwichtigend beide Handflächen, als wolle er Simon zeigen, dass sich nichts darin befand und er nur in Ruhe mit ihm reden wolle, doch bevor er auch nur eine einzige Silbe über die Lippen bringen konnte, machte der andere schon drohend einen Schritt auf ihn zu.
Tuschelnd standen einige der anderen Campbewohner um sie herum, scheinbar hielten sie das alles für ein großes Vergnügen und wussten noch nicht, was geschehen war. Nur Celina, die zuvor entdeckt hatte, dass Elisabeth wirklich nicht in ihrem Schlafsack schlummerte oder im Mädchenwaschraum war, ging dazwischen.
„Ja, genau, das würde jetzt wirklich helfen! Anstatt euch hier die Köpfe einzurennen, solltet ihr mich lieber begleiten, wenn ich sie suchen gehe!“ Und schon machte sie auf dem Absatz kehrt, schnappte sich zwei Brötchen, die sie unterwegs verputzen wollte, und machte sie auf dem Weg in den Wald, von dem klar war, dass dort gerade keiner der Aufseher rumlungerte.
Die beiden Kerle sahen sich zornig an. Schließlich nickten sie einander zu und folgten Celina, den Streit konnten sie immer noch auf später vertagen.
„Wartet's nur ab, bald hören wir jemanden – die aus dem Camp, die uns suchen!“, grummelte der Neunzehnjährige missmutig. Die anderen beiden schenkten ihm kein Gehör, das hatten sie schon vor einer Stunde aufgegeben.
„Ich frage mich...“, murmelte Xander unvermittelt.
„Was?“
„Könnte es nicht sein, dass sie zurück zur Höhle gegangen ist? Immerhin hat sie es gestern nicht gesehen, vielleicht wollte sie sich einfach vergewissern und hat sich dann verlaufen, oder...“
Oder. Dieses Wort schwirrte lange in der Luft herum, nicht erst, seit es das erste Mal gefallen war. Oder. Oder was? Trieb sich vielleicht noch jemand anderes im Wald herum, oder war Elisabeth wirklich bloß vom Weg abgekommen – und hatte mittlerweile eventuell sogar alleine den Weg zurück gefunden?
Da die drei es momentan nicht schafften, ein Gespräch anzufangen, ohne sich gegenseitig Vorwürfe zu machen, einigten sie sich stillschweigend darauf, den Weg von gestern einzuschlagen. Die Nerven lagen komplett blank, sie alle hatten bei Weitem zu wenig geschlafen, und nun auch noch das...
Es dauerte gar nicht mal so lange, bis sie den großen Fels erreicht hatten. Der Eingang sah bei Tageslicht deutlich freundlicher aus, als es gestern Abend der Fall gewesen war. Aber... entweder spielten ihre Augen ihnen einen Streich, oder es war dort drin wirklich dunkler, als es sein sollte.
„Ich habe eine Taschenlampe dabei, wartet“, und schon hielt Simon sie hoch, wobei er gekonnt Xanders Schnauben ignorierte.
Celina verdrehte genervt die Augen und nahm sich die Lampe. „Kriegt euch wieder ein! Das hält man ja im Kopf nicht aus...“
Da war die Wand. Genau wie erwartet, genau so, wie es gestern noch der Fall gewesen war. Stein, ein bisschen Moos, nichts auffälliges. Wieder tasteten sie sie vorsichtig, dann immer energischer, ab, doch wieder rührte sich nichts. Wieso auch? Das war eine feste, solide Wand, Fels, wie es sich für eine respektable Höhle gehörte. Es war zum Verzweifeln.
„Wie erwartet. Und wo suchen wir nun?“, Simon konnte sein Gähnen nur mit äußerster Mühe unterdrücken.
„Nun, wir könnten erst mal zurück gehen, um zu schauen ob-“
„Wartet! Hört ihr das?“, Celina presste den Kopf gegen das kalte Gestein. „Das klingt wie, wie...“
„Schluchzen!“, Xander hatte es ihr gleich getan, nur Simon sah kritisch um sich, als halte er seine Gefährten für komplett durchgeknallt. „Elisabeth?“
Das Schluchzen verebbte, und nun merkte auch Simon, dass da was gewesen sein musste.
„Hallo?“, kam es verschwommen von der anderen Seite zurück. „Ist ja jemand? Hallo!“
„Elisabeth? Wir sind es – Celina, Xander und Simon!“, Celina war so aufgeregt, dass sie die Höflichkeitsabfolge einer namentlichen Auflistung komplett vergaß. „Wir holen dich da raus!“
„Aber wie?“ Diese Frage war äußerst berechtigt. Nachdenklich tastete Xander noch einmal an der Wand herum – und hielt inne.
„Mann, für Yoga ist jetzt der falsche Augenblick!“, fuhr Simon ihn an.
„Wartet, hier ist... ein Knopf oder so. Ich drücke mal drauf!“
Erst passierte gar nichts. Dann war, zunächst leise, doch immer lauter werdend, ein Schaben zu hören, und etwas, das verdächtig nach einer großen Maschine klang. An der Wand öffnete sich ein Spalt, der nach und nach immer breiter wurde.
„Wahnsinn!“
Sie traten ein, Celina leuchtete um sich. Hier waren die Wände deutlich weniger rau und uneben, gerade so, als hätte jemand nachträglich Hand angelegt. Der Gang wand sich immer tiefer und tiefer in den Berg hinein, und dort, in einer kleinen Nische, saß, zusammengekauert – Elisabeth!
„Da seid ihr ja!“, glücklich sah sie zu ihnen auf. „Die Tür ist hinter mir zugegangen, und ich wusste nicht, wie sie aufgeht, dann sind die Batterien meiner Taschenlampe auf einmal alle gewesen, und ich wusste nicht-“, sprudelte sie hervor, während Celina ihr aufhalf.
„Egal“, grinste Xander, „Jetzt bist du ja in Sicherheit.“
Simon dachte zähneknirschend bei sich, dass das Grinsen wohl ihm galt. Hatte der doch tatsächlich gestern Abend recht gehabt! Nicht zu glauben. Pah!
Celina wischte ihrer Freundin die Tränen vom Geschicht. „Genau, du musst nicht mehr länger hier bleiben!“, versuchte sie, sie aufzumuntern.
Gerade, als die vier sich zum Gehen wandten, drang ein metallisches Geräusch an ihre Ohren, es kam aus den Tiefen des Steines.
„Nicht schon wieder...“, Elisabeth kniff die Augen zusammen und war nicht bereit, die Fragen der anderen zu beantworten, dafür umklammerte sie Celinas Hand so fest sie nur konnte.
Die anderen drei Jugendlichen sahen sich an. Ein Geheimnis! Konnten sie es lüften?
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